Inhalt

VG München, Beschluss v. 22.11.2021 – M 7 E 21.5996
Titel:

Ausschluss von Zuhörern von Gemeinderats- und Ausschusssitzungen

Normenketten:
GO Art. 52 Abs. 2 S. 1, Art. 53 Abs. 1 S. 1
VwGO § 123 Abs. 1
14. BayIfSMV
Leitsätze:
1. Aus Art. 52 Abs. 2 S. 1 GO folgt ein subjektives Recht des Einzelnen auf Zugang zu den öffentlichen Rats- und Ausschusssitzungen als Besucher, der im Wege der einstweilige Anordnung gesichert werden kann. (Rn. 13 und 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anordnung eines Bürgermeisters, dass bei allen Gemeinderats- und Ausschusssitzungen für Zuhörer die 2G-Regelung (genesen oder vollständig geimpft) gilt, ist rechtlich nicht zu beanstanden. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Teilnahme an Gemeinderatssitzung als Zuhörer, Coronamaßnahmen, 2G-Regel, Gemeinderats- und Ausschusssitzungen, einstweilige Anordnung, Vorwegnahme der Hauptsache
Fundstelle:
BeckRS 2021, 57330

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt als Zuhörer den Zugang zu einer Gemeinderatssitzung unter individueller Erfüllung der Bedingung „3G plus“.
2
Der Antragsteller ist Gemeindebürger der Antragsgegnerin und Sprecher der Bürgerinitiative „lebenswertes R. - 5G-frei“.
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Am 23. November 2021 findet eine Sitzung des Gemeinderats der Antragsgegnerin statt, auf der ein Antrag der Bürgerinitiative zur Thematik „Aktive und systematische Information der Gemeinde zum Mobilfunk in R.“ behandelt werden soll.
4
Nach seinem Vortrag beabsichtigt der Antragsteller, als Zuhörer den Erörterungen des Gemeinderats beizuwohnen, um sich anhand der vorgetragenen Argumente einen unmittelbaren Eindruck von der Haltung der Gemeinderatsmitglieder zu verschaffen. Aufgrund der derzeit durch den ersten Bürgermeister angeordneten Zugangsregelung für Zuhörer (2G-Regelung - „vollständig geimpft oder genesen“) werde ihm jedoch voraussichtlich der Zugang verweigert werden. Die Regelung gehe auf eine Anordnung des ersten Bürgermeisters vom 16. November 2021 zurück, die dieser als Reaktion auf eine Anfrage des Antragstellers vom 11. November 2021 getroffen hätte, mit der der Antragsteller sich nach den Rechtsgrundlagen der zu diesem Zeitpunkt noch geltenden 3G plus-Regelung erkundigt habe. Die Verschärfung der geltenden Regularien als Reaktion auf die Anfrage des Antragstellers empfinde dieser insbesondere auch angesichts des Tonfalls und der Wortwahl der E-Mail des Bürgermeisters als befremdlich und sachwidrig. Der Antragsteller verfüge über keinen Impfschutz. Die Verweigerung des Zugangs zu den öffentlichen Sitzungen des Gemeinderats verletze den Antragsteller in seinem aus Art. 52 Abs. 2 Satz 1 GO folgenden Rechtsanspruch auf unmittelbare Information über die Tätigkeit der gewählten Mandatsträger. Dem einzelnen Bürger stehe ein subjektives Recht auf Zugang zu öffentlichen Rats- und Ausschusssitzungen als Besucher zu. Der Antragsteller wäre gehindert, der Gemeinderatssitzung beizuwohnen und sich einen unmittelbaren Eindruck über die Behandlung der Problematik der gesundheitsverträglichen Versorgung der Gemeinde zu verschaffen, an der er als Vorsitzender der Bürgerinitiative in besonderem Maße interessiert sei. Die Versäumung der Sitzung sei nicht reversibel und könne nicht, etwa durch spätere Berichte Dritter, kompensiert werden. Damit würde der Antragsteller Nachteile erleiden, die bei einem späteren Obsiegen in der Hauptsache nicht mehr ausgeglichen werden könnten und die deshalb nicht hingenommen werden müssten. Die Vierzehnte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung - 14. BayIfSMV - enthalte auch in ihrer aktuellen Fassung keine taugliche Rechtsgrundlage für die Festsetzung der so genannten 2G-Regelung für Besucher öffentlicher Gebäude. Insbesondere sei die durch die Antragsgegnerin angeordnete 2G-Regelung beim derzeitigen Stand der Intensivbettenbelegung (Coronaampel „Rot“) nur vorgesehen für Freizeiteinrichtungen wie Fitnessstudios, Theater, Kinos, Museen sowie Gastronomie und Hotellerie. Die derzeitige Sondersituation, auch im Landkreis T., rechtfertige es auch nach Auffassung des Antragstellers, dass der Zutritt zu Gemeinderatssitzungen von der Einhaltung solcher Schutzmaßnahmen abhängig gemacht werde, die nach derzeitigem Erkenntnisstand einer Verbreitung des „COVID-19-Virus“ effektiv entgegenwirken könnten. Er habe deshalb den ersten Bürgermeister mit E-Mail vom 18. November 2021 gebeten, unter Einhaltung des so genannten 3G plus-Standards, also unter Vorlage eines aktuellen PCR-Tests am Tag der jeweiligen Sitzung bei gleichzeitiger Beachtung der Abstandsregelungen und dem Tragen einer FFP-2-Maske, an der Sitzung vom 23. November 2021 teilnehmen zu dürfen. Eine Reaktion sei nicht erfolgt. Die Anordnung des ersten Bürgermeisters sei ermessensfehlerhaft erfolgt. Er hätte zunächst zu beachten gehabt, dass nur erforderliche Schutzmaßnahmen in Betracht kommen könnten. Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit sei insbesondere die konkrete Gefährdungslage in den Blick zu nehmen, die bei den passiv auf den ihnen zugewiesenen Plätzen verharrenden Zuhörern einer Gemeinderatssitzung eine gänzlich andere sei als etwa bei Besuchern z.B. gastronomischer Einrichtungen und anderer Freizeiteinrichtungen, für die der Verordnungsgeber den 2G-Standard in erster Linie für angemessen gehalten habe. Ferner hätte die Antragsgegnerin im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung zu berücksichtigen gehabt, dass es vorliegend nicht um Zugang zu den Einrichtungen des Zeitvertreibs und des Vergnügens gehe, sondern um die Kontrolle und Beobachtung politscher Mandatsträger bei der Ausübung des ihnen anvertrauten öffentlichen Amts, mithin um die Ausübung eines demokratischen Rechts. Diesem Aspekt habe der Verordnungsgeber dadurch Rechnung getragen, dass ausweislich der §§ 7 und 8 14. BayIfSMV Gottesdienste und Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG gewissen Privilegierungen unterfielen. Diese wertenden Gesichtspunkte hätte die Antragsgegnerin berücksichtigen müssen. Entscheidend sei, dass der Antragsteller keinerlei Möglichkeit habe, bis zu dem unmittelbar bevorstehenden Sitzungstermin auf die von ihm derzeit nicht erfüllten Zugangsvoraussetzungen Einfluss zu nehmen. Dies treffe ihn im Vergleich zu anderen potentiellen Zuhörern außergewöhnlich hart, weil eine Thematik zur Beratung anstehe, die von ihm in die örtliche politische Diskussion eingeführt worden sei und für die er sich naturgemäß gerade im Rahmen seines Amts als Sprecher der Bürgerinitiative in ganz besonderem Maße interessiere. Dies hätte für die Antragsgegnerin Anlass sein müssen, im Sinne eines schonenden Ausgleichs zwischen den widerstreitenden Interessen zumindest ausnahmsweise Zutritt zu gewähren.
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Der Antragsteller beantragt,
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, dem Antragsteller bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache als Zuhörer Zutritt zu ihren öffentlichen Gemeinderats- und Ausschusssitzungen zu gewähren, sofern der Antragsteller die sich aus der jeweils aktuellen Fassung der 14. BayIfSMV ergebenden Anforderungen nach „3G plus-Standard“ erfüllt.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
7
Hierzu wurde mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 22. November 2021 ausgeführt, die Gewährung eines ausnahmsweisen Zugangs werde nicht gestattet. Gegenstand der Tagesordnung sei u.a. ein Beschluss auf Basis des Art. 56 Abs. 3 GO über die Frage, ob sich der Gemeinderat mit dem Antrag „Bürgerinitiative Lebenswertes R. 5G-frei“ auf aktive und systematische Information der Bürger zu Mobilfunk und elektromagnetischen Feldern gemäß Bayerischem Umweltinformationsgesetz weiter befassen wolle. Eine weitergehende inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Antrag sei nicht Gegenstand der Sitzung. Am 15. November 2021 seien die Zahlen der aktiven Corona-Fälle im Gemeindegebiet überraschend überproportional zum ohnehin hochdynamischen Infektionsgeschehen auf 137 aktive Fälle bei 6.950 Einwohnern geschnellt. Auslöser dieser Entwicklung seien - auch nach Aussage des zuständigen Gesundheitsamts - unter anderem mehrere vorsätzlich herbeigeführte Ansteckungen zwischen verschiedenen Familien, die sich einer Impfung verweigern wollten. 2% der Bevölkerung der Gemeinde sei somit derzeit aktiv infiziert. Rechnerisch ergebe sich eine Zahl von 1.971 aktiven Fälle pro 100.000 Einwohner. Infolge dieser dramatischen Entwicklung habe die Antragsgegnerin am 15. November 2021 ihr Gesundheitskonzept für die Durchführung der Gemeinderatssitzung überprüft. Vor dem Hintergrund, dass die Arbeitsfähigkeit des Gemeinderats und der Verwaltung sichergestellt bleiben müsse und eine nach Möglichkeit unbelastete Teilnahme vor allem der Gemeinderäte gewährleistet bleiben solle, habe sich die Antragsgegnerin zur Einführung einer 2G-Regel für die Teilnahme von Bürgern an der Sitzung entscheiden. Für die Gemeinderäte verbleibe es bei der bereits bewährten und gerichtlich geprüften 3G-Regel. Die Einführung sei nicht durch die Nachfrage des Antragstellers motiviert gewesen und ziele gerade nicht auf eine gezielte Ausschließung der Person des Antragstellers ab. Maßgeblich für die Einführung der 2G-Regel seien auch die konkreten Verhältnisse der einzigen Räumlichkeit, die der Antragsgegnerin derzeit für eine corona-konforme Durchführung der Gemeinderatssitzung zur Verfügung stehe. Im Zuschauerbereich könne ein Mindestabstand von 1,5 m nicht sichergestellt werden. Je nach Entwicklung des Infektionsgeschehens und des rechtlichen Rahmens werde die Antragsgegnerin für die nächste Sitzung wieder prüfen, ob sie unter der Berücksichtigung der dann hoffentlich installierten Plexiglasscheiben im Besucherraum wieder eine Lockerung der Teilnahmepflichten vorsehen könne. Aus den aktuellen Gesetzesbeschlüssen von Bundestag und Bundesrat aus der 46. Kalenderwoche und den aktuell geplanten Maßnahmen der Bayerischen Staatsregierung ergebe sich, dass sowohl Bundes- als auch Landesgesetzgeber dem besonderen Risiko Ausdruck verliehen, das in der aktuellen Situation von dem Aufenthalt von Ungeimpften an Örtlichkeiten mit großem Publikumsverkehr ausgehe. Der Antragsteller sei von dem Tagesordnungspunkt nicht persönlich betroffen, sondern lediglich die Bürgerinitiative, deren Sprecher er sei. Diese verfüge nach eigenen Angaben über 103 Mitglieder. Es sei daher nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen, dass es der Bürgerinitiative möglich sei, ein zur Teilnahme befähigtes Mitglied in die Sitzung zu entsenden. Nach rechtlicher Auffassung der Antragsgegnerin diene der Öffentlichkeitsgrundsatz der Aufrechterhaltung demokratischer Grundprinzipien der Teilhabe und Kontrolle und nicht dem Schutz von Individualrechten, die eine gerichtlich einklagbare Rechtsposition verschaffen würden. Es bestehe aber jedenfalls kein Anordnungsgrund, da die Beschränkung der Teilnahme auf Bürger, die einen 2G-Nachweis erbringen würden, rechtlich zulässig sei, was im Folgenden näher ausgeführt wurde.
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Die Bevollmächtigten des Antragstellers erwiderten hierauf nochmals mit Schriftsatz ebenfalls vom 22. November 2021.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie den vorgelegten Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
10
Der zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
11
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen, nötig erscheint. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Abs. 1 ZPO sind dabei sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Grund, für den der Antragsteller vorläufig Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit der Regelung begründet wird, glaubhaft zu machen. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2007 - 21 CE 07.1224 - juris Rn. 3; Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 123 Rn. 6). Der Antrag kann nur Erfolg haben, wenn und soweit sich sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund aufgrund der Bezeichnung und Glaubhaftmachung als überwiegend wahrscheinlich erweisen (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2010 - 11 CE 10.262 - juris Rn. 20 m.w.N.).
12
Ein entsprechender Antrag auf Eilrechtsschutz ist nur zulässig, wenn der Antragsteller analog § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt ist, d.h. die mögliche Verletzung einer ihm zustehenden subjektiv-öffentlichen Rechtsposition geltend macht (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 42); für den Antrag muss zudem das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis bestehen (Happ, a.a.O., Rn. 34 ff.). Beide Voraussetzungen liegen hier vor.
13
Der Antragsteller kann sich auf die Bestimmung des Art. 52 Abs. 2 Satz 1 GO berufen, wonach Sitzungen des Gemeinderats und der beschließenden Ausschüsse (Art. 45 Abs. 2 Satz 2 GO) öffentlich sind, soweit nicht Rücksichten auf das Allgemeinwohl oder auf berechtigte Ansprüche Einzelner entgegenstehen. Der darin zum Ausdruck kommende kommunale Öffentlichkeitsgrundsatz soll zwar in erster Linie im Interesse der Allgemeinheit die ratsinternen Willensbildungsprozesse transparent machen und damit eine demokratische Kontrolle der gewählten Amtsträger ermöglichen. Die objektiv-rechtliche Verpflichtung der kommunalen Gremien zur Sitzungsöffentlichkeit kann diesen Zweck aber nur erfüllen, wenn damit ein entsprechender Informationsanspruch der Bürger korrespondiert. Nach allgemeinem Verständnis folgt daher aus Art. 52 Abs. 2 Satz 1 GO ein subjektives Recht des Einzelnen auf Zugang zu den öffentlichen Rats- und Ausschusssitzungen als Besucher (vgl. BayVGH, B.v. 7.4.2021 - 4 CE 21.601 - juris Rn. 16 m.w.N.).
14
Auch ist davon auszugehen, dass ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist. In der Hauptsache kommt eine Klage des Antragstellers auf Feststellung seines Rechts auf Zugang unter den von ihm genannten Bedingungen („3G plus“) nach § 43 Abs. 1 VwGO in Betracht. Das dafür erforderliche Interesse an einer (vorbeugenden) Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes dürfte sich daraus ergeben, dass dem Antragsteller als Person, die derzeit weder geimpft noch genesen ist (vgl. § 2 Nr. 2 und Nr. 4 der Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 - COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung - SchAusnahmV) auch bei künftigen Sitzungen aus den gleichen Gründen wie bisher der Zutritt verweigert werden wird. In solchen Fällen einer absehbaren Vielzahl gleichartiger oder sich kurzfristig erledigender Verwaltungsakte kann ein Rechtssuchender, insbesondere wenn die Gefahr des Eintritts vollendeter Tatsachen besteht, nicht in zumutbarer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung im Regelfall als ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden. Er kann dann vielmehr - in Ausnahme vom Subsidiaritätsgrundsatz des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO - eine vorbeugende Klage auf Feststellung des bereits hinreichend konkreten künftigen Rechtsverhältnisses erheben und eine entsprechende einstweilige Anordnung beantragen (vgl. BayVGH, B.v. 7.4.2021 - 4 CE 21.601 - juris Rn. 17 m.w.N).
15
Hier droht dem Antragsteller ohne die Inanspruchnahme vorbeugenden Eilrechtsrechtsschutzes ein irreversibler Verlust der geltend gemachten Rechtsposition. Die einmal verwehrte Teilnahme an den öffentlichen Gemeinderats- und Ausschusssitzungen als Zuschauer ließe sich auch bei einem späteren Erfolg im Hauptsacheverfahren nicht mehr nachholen. Effektiver gerichtlicher Rechtsschutz zur Durchsetzung des Zugangsrechts aus Art. 52 Abs. 2 Satz 1 GO kann daher nur im Wege einer einstweiligen Anordnung gewährt werden. Da der Anspruch auf Anwesenheit in einem „der Allgemeinheit zugänglichen“ (vgl. Art. 52 Abs. 4 GO) Sitzungssaal jedermann zusteht und nicht von einem individuell bestehenden berechtigten Informationsinteresse abhängt, kann dem Antragsteller auch nicht entgegengehalten werden, dass er durch den weiteren Ausschluss von den Sitzungen voraussichtlich keine schwerwiegenden Nachteile zu erwarten habe bzw. sich ebenso aus anderen Quellen über den Sitzungsverlauf informieren könne (vgl. BayVGH, B.v. 7.4.2021 - 4 CE 21.601 - juris Rn. 18).
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Mit der beantragten einstweiligen Anordnung würde allerdings im Erfolgsfall - zumindest bis zu einem rechtskräftigen Urteil - das Ergebnis in der Hauptsache irreversibel vorweggenommen. Dies steht einer stattgebenden Eilentscheidung aber nicht generell entgegen, da auch der umgekehrte Fall einer Ablehnung der begehrten Anordnung vollendete Tatsachen (nämlich zu Lasten des Antragstellers) schaffen und insoweit ebenfalls eine spätere Hauptsacheentscheidung gegenstandslos machen würde. In Anbetracht dieser Besonderheiten ist für eine die Hauptsache vorwegnehmende einstweilige Anordnung zu fordern, dass das weitere Abwarten für den Antragsteller mit unzumutbaren Nachteilen verbunden ist und dass ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache besteht (vgl. BayVGH, B.v. 7.4.2021 - 4 CE 21.601 - juris Rn. 19 m.w.N.). Der Antragsteller kann demnach im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die erstrebte Teilnahme an den Rats- und Ausschusssitzungen nur erreichen, wenn ganz überwiegende Gründe für das Bestehen eines diesbezüglichen Rechts sprechen und wenn dessen Vorenthaltung ihm nicht länger zuzumuten ist.
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Nach diesen strengen Maßstäben ist eine einstweilige Anordnung nicht zu erlassen, da der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat. Der erforderliche hohe Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache dürfte nach der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung nicht bestehen. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei - wie ausgeführt - der Zeitpunkt der Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Dabei ist primär die begehrte Teilnahme an der kommenden Gemeinderatssitzung am 23. November 2021 in den Blick zu nehmen.
18
Hier dürfte davon auszugehen sein, dass die durch den ersten Bürgermeister kurzfristig erlassene und im aktuellen Gemeindeanzeiger veröffentlichte Anordnung, dass bei allen Gemeinderats- und Ausschusssitzungen für Zuhörer (ab sofort) die 2G-Regelung (genesen oder vollständig geimpft) gilt, die Zuhörer der Sitzungen dies nachweisen müssen und eine Teilnahme an der Sitzung ausgeschlossen ist, wenn diese Nachweise nicht erbracht werden können, derzeit rechtlich nicht zu beanstanden sein dürfte. Dabei ist maßgeblich auf die konkreten besonderen Umstände des hier vorliegenden Einzelfalls abzustellen.
19
Rechtsgrundlage für die Anordnung dürfte das dem ersten Bürgermeister bzw. seinem Vertreter (Art. 33 Abs. 2, Art. 39 Abs. 1 GO) zustehende öffentlich-rechtliche Hausrecht nach Art. 53 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GO sein. Die damit verbundenen Befugnisse bestehen speziell gegenüber Personen, die nicht dem Gemeinderat angehören und daher nicht der in Art. 53 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GO geregelten Ordnungsgewalt unterliegen. Das Hausrecht ermöglicht neben Maßnahmen der Gefahrenvorsorge (z.B. Eingangskontrollen) auch ein Einschreiten gegen Störungen öffentlicher Sitzungen durch Besucher; es erlaubt insoweit Einschränkungen des aus dem Öffentlichkeitsgrundsatz folgenden Anwesenheitsrechts. Der Vorsitzende ist danach insbesondere befugt, das Recht der nicht ratsangehörigen Personen auf Zutritt und Verbleib im Sitzungsraum an die Erfüllung bestimmter verhaltensbezogener Auflagen zu knüpfen (vgl. BayVGH, B.v. 7.4.2021 - 4 CE 21.601 - juris Rn. 24 m.w.N.). Das dem Sitzungsleiter nach Art. 53 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GO zustehende Hausrecht zielt aber - ebenso wie die gegenüber den Ratsmitgliedern bestehende Ordnungsgewalt - nicht bloß auf die Durchsetzung des geschriebenen Rechts, sondern darüber hinaus auf einen möglichst geordneten und reibungslosen Ablauf der Sitzung und damit auf die Wahrung der öffentlichen Ordnung im Sitzungssaal. Unter öffentlicher Ordnung ist die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln zu verstehen, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets anzusehen ist. In öffentlichen Gemeinderats- und Ausschusssitzungen kann es aus Gründen der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt sein, den aus der Anwesenheit von Zuhörern resultierenden Gesundheitsrisiken für die (nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 GO zur Sitzungsteilnahme verpflichteten) Ratsmitglieder durch geeignete Vorkehrungen entgegenzuwirken und dadurch eine auch von psychologischen Hemmnissen möglichst unbeeinträchtigte Atmosphäre zu schaffen. Zu den objektiv bestehenden Risiken, die sich durch Maßnahmen des Hausrechts minimieren lassen, gehört in der aktuellen Pandemielage die mögliche Ansteckung mit dem Corona-Virus (vgl. BayVGH, B.v. 7.4.2021 - 4 CE 21.601 - juris Rn. 25 f. m.w.N.).
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Vor dem Hintergrund der präventiven Zielsetzung zum Gesundheitsschutz der Gemeinderatsmitglieder, aber auch der anwesenden Gemeindebediensteten sowie im Ergebnis auch der Zuhörer selbst und insbesondere angesichts der aktuellen zugespitzten Pandemielage in der betroffenen Gemeinde dürfte sich die Anordnung der Zugangsvoraussetzung „2G“ für Zuhörer als vom Hausrecht des ersten Bürgermeisters gedeckte und zudem auch nicht unverhältnismäßige Maßnahme darstellen. Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass es sich um eine Maßnahme handelt, die nur oder in erster Linie zum Zweck des Ausschlusses des Antragstellers getroffen worden wäre, sind dabei nicht ersichtlich.
21
Wie ausgeführt, gehört zu den objektiv bestehenden Risiken, die sich durch Ordnungsmaßnahmen des ersten Bürgermeisters minimieren lassen, in der aktuellen Pandemielage die mögliche Ansteckung mit dem Corona-Virus. Die nun verschärfte Regelung der Zugangsbeschränkung für Zuhörer nach der 2G-Regelung dient dem Gesundheitsschutz der Gemeinderatsmitglieder, der anwesenden Gemeindebediensteten, aber auch der Zuhörer in der Sitzung. Es soll dadurch vermieden werden, dass sich geimpfte, genesene oder nicht geimpfte Personen insbesondere mit Virus-Mutationen anstecken und so eine Infektionsquelle „Gemeinderatssitzung“ entsteht, die weitere Infektionsketten zur Folge hätte (vgl. auch VG Bayreuth, B.v. 13.9.2021 - B 9 E 21.1008 - juris Rn. 26).
22
Im hier betroffenen Landkreis T. liegt die COVID-19 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner nach der aktuellen Statistik des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (Stand: 22.11.2021, 8:00 Uhr) bei 1.121,22 (vgl. https://www.lgl.bayern.de/gesundheit/infektionsschutz/infektionskrankheiten_a_z/coro navirus/karte_coronavirus/index.htm, abgerufen am 22. November 2021). Für die betroffene Gemeinde wurde zum Zeitpunkt 15. November 2021 sogar eine weit darüberhinausgehende Inzidenz von nahezu 1.900 ermittelt. Zu diesem Zeitpunkt waren 137 aktive Fälle gemeldet.
23
Das Robert Koch-Institut schätzt nach der aktuellen Risikobewertung die Gefährdung durch COVID-19 für die Gesundheit der nicht oder nur einmal geimpften Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Für vollständig Geimpfte wird die Gefährdung als moderat eingeschätzt, steigt aber mit zunehmenden Infektionszahlen an. Nur bei einem hohen Anteil der vollständig Geimpften und einer niedrigen Zahl von Neuinfizierten in der Bevölkerung können viele Menschen, nicht nur Risikogruppen wie ältere Personen und Menschen mit Grunderkrankungen, sehr gut vor schweren Krankheitsverläufen, intensivmedizinischer Behandlungsnotwendigkeit und Tod geschützt werden. Ein weiterer Anstieg der Infektionszahlen ist zu erwarten. Gründe dafür sind unter anderem die noch immer große Zahl ungeimpfter Personen sowie mehr Kontakte in Innenräumen. Die Zahl der Todesfälle zeigt eine steigende Tendenz. Die Zahl schwerer Erkrankungen an COVID-19, die im Krankenhaus evtl. auch intensivmedizinisch behandelt werden müssen, steigt ebenfalls wieder an. Es lassen sich nicht alle Infektionsketten nachvollziehen, Ausbrüche treten in vielen verschiedenen Umfeldern auf. Das Virus verbreitet sich überall dort, wo Menschen zusammenkommen, insbesondere in geschlossenen Räumen. Häufungen werden oft in Privathaushalten und in der Freizeit (z.B. im Zusammenhang mit Reisen) dokumentiert, Übertragungen und Ausbrüche finden aber auch in anderen Zusammenhängen statt, z.B. im Arbeitsumfeld, in Schulen, bei Tanz- und Gesangsveranstaltungen und anderen Feiern, besonders auch bei Großveranstaltungen und in Innenräumen. (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/ InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html abgerufen am 22.11.2021, 8.00 Uhr).
24
Die landesweit stark erhöhte Intensivbettenbelegung (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 1 14. BayIfSMV vom 1. September 2021 (BayMBl. Nr. 615), zuletzt geändert mit Verordnung von 16. November 2021 (BayMBl. Nr. 799) ist bereits seit dem 9. November 2021 erreicht (vgl. https://www.stmgp.bayern.de/presse/ab-dienstag-gilt-in-bayern-die-krankenhaus-ampel-stufe-rot-mehr-2g-und-3g-plus-3g-am). Derzeit beträgt sie 948 mit +27,4% gegenüber dem Wert der Vorwoche (vgl. https://www.lgl.bayern.de/gesundheit/infektionsschutz/infektionskrankheiten_a_z/coronavirus/karte_coronavirus/index.
htm#wKennzahlen, abgerufen am 22.11.2021). Zwar gilt die 14. BayIfSMV für Sitzungen der nach den Kommunalgesetzen vorgesehenen Gremien nach ihrer Begründung nicht unmittelbar (vgl. BayMBl. Nr. 616 vom 1. September 2021, S. 4), sie kann jedoch jedenfalls auch für diesen Bereich als Grundlage für die aktuelle Lageentwicklung und den bestehenden Regelungsbedarf herangezogen werden.
25
Das für die zuletzt erfolgte Änderung der Vierzehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (vgl. BayMBl. Nr. 797 vom 15. November 2021) maßgebliche Lagebild stellte sich wie folgt dar:
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„Seit Mitte Oktober ist ein starker Anstieg der Meldefälle zu beobachten. Derzeit zeigt sich in Bayern eine deutlich ansteigende, exponentiell wachsende Infektionsdynamik. Am 15. November 2021 liegt die 7-Tage-Inzidenz der Meldefälle in Bayern mit 525,7 über dem Bundesdurchschnitt von 303,0. Eine Woche zuvor, am 8. November 2021, lag die 7-Tage-Inzidenz für Bayern bei 316,2, vor vier Wochen, am 18. Oktober 2021, lag der Wert bei 112,9. Seit 29. Oktober 2021 überschreitet die 7-Tage-Inzidenz in Bayern den bisherigen Höchststand von 217,8 vom 20. Dezember 2020. Insgesamt verzeichnen nach den Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) am 15. November 2021 alle Landkreise und kreisfreien Städte in Bayern eine 7-Tage-Inzidenz der Meldefälle von über 100. Im Einzelnen liegen 4 Landkreise bei einem Wert der 7-Tage-Inzidenz über 1 000, weitere 6 Landkreise über 900, weitere 6 Landkreise über 800, weitere 5 Landkreise und kreisfreie Städte über 700, weitere 7 über 600, weitere 18 über 500 sowie weitere 23 über 400. 15 Landkreise und kreisfreie Städte weisen einen Wert der 7-Tage-Inzidenz von 300 bis 400 auf, 10 Kreise einen Wert von 200 bis 300 und 2 Landkreise und kreisfreie Städte einen Wert von 100 bis 200. Dabei reicht die Spannbreite der Werte der 7-Tage-Inzidenz von 180,7 in der kreisfreien Stadt Amberg bis 1 262,7 im Landkreis Rottal-Inn. In der Gesamtbetrachtung zeigt sich in Bayern damit ein sehr hohes Infektionsgeschehen mit regionalen Unterschieden. Die Reproduktionszahl lag in den vergangenen Tagen über dem Wert von 1. Nach RKI-Berechnungen lag der 7-Tage-R-Wert für Bayern am 15. November 2021 bei 1,11, für Deutschland bei 1,09. Das Infektionsgeschehen unterscheidet sich stark zwischen der geimpften und der ungeimpften Bevölkerung. Nach den Daten des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) vom 10. November 2021 beträgt die 7-Tage-Inzidenz der Ungeimpften mit 953,2 mehr als das Neunfache der 7-Tage-Inzidenz der Geimpften, die derzeit mit 97,6 angegeben wird. Während die Zahl der COVID-19-Patienten, die stationär behandelt werden mussten, seit Anfang Mai kontinuierlich sank, werden seit etwa Mitte August wieder deutlich höhere Zahlen, aktuell auf einem Niveau von um die 3 500, beobachtet. Die Zahl der mit stationär zu versorgenden COVID-19-Patienten belegten Betten stieg seit August insgesamt um 3 318 auf nunmehr 3 519 an, d. h. die Gesamtzahl der mit COVID-19-Patienten belegten Betten hat sich rund siebzehnfach vervielfältigt. Insbesondere in den letzten Wochen wurde ein alarmierend starker Anstieg der Anzahl der bayernweit stationär behandelten COVID-19-Patienten beobachtet. So erhöhte sich die Zahl allein seit der vergangenen Woche um rund 33%, innerhalb der letzten beiden Wochen sogar um rund 93%. Auch im intensivmedizinischen Bereich spiegelt sich diese Entwicklung wider (Zunahme der auf Intensivstationen versorgten COVID-19-Fälle seit Mitte August um rund 750, dies entspricht angesichts des niedrigen Ausgangsniveaus einer Steigerung von rund 1 600%, Quelle: DIVI-Intensivregister). Aktuell werden bayernweit 3 519 Patienten, bei denen eine Infektion mit SARS-CoV-2 nachgewiesen wurde, stationär behandelt (Meldungen der Krankenhäuser in IVENA vom 15. November 2021). 802 COVID-19-Fälle werden derzeit intensivmedizinisch behandelt (Meldungen der Krankenhäuser im DIVI-Intensivregister vom 15. November 2021). Dabei bestehen - bei insgesamt hoher Inanspruchnahme der Intensivkapazitäten durch Nicht-COVID-19-Patienten - immer weniger regionale Unterschiede in der Belastung mit COVID-19-Intensivpatienten, wobei die Belastung in Südbayern sich derzeit tendenziell noch höher darstellt. Angesichts der seit Wochen (regional teils stark) gestiegenen Belegung mit COVID-19-Patienten und infolge der geradezu explodierenden Inzidenzen weiter stark steigenden Krankenhausbelegung mit COVID-19-Patienten ist in den nächsten Wochen mit einer weiteren Belastung der Situation im Intensivbettenbereich der Krankenhäuser zu rechnen, die sich bereits in den meisten Regionen Bayerns höchst angespannt darstellt. Die gegenwärtige Situation auf den Intensivstationen ist durch eine bayernweit insgesamt äußerst hohe Auslastung sowie regional drohende oder bereits eingetretene Überlastungen gekennzeichnet. Überregionale Verlegungen bzw. Patientenzuweisungen sind längst wieder an der Tagesordnung, ebenso das Zurückfahren oder die Aussetzung sogenannter planbarer Eingriffe durch die Kliniken. Nicht auszuschließen ist daher, dass erstmalig in der Pandemie seitens Bayern die bundesweite Kleeblattstruktur aktiviert werden muss, um in einem geordneten Verfahren Patientenabverlegungen in andere, weniger belastete Bundesländer zu ermöglichen. Die durchschnittliche Auslastung der Intensivstationen liegt bei 90,2% (DIVI-Meldungen, Stand 15. November 2021). Lediglich in 17 kreisfreien Städten bzw. Landkreisen weisen die Intensivstationen der Kliniken noch eine Auslastung von weniger als 80% auf. Demgegenüber liegt in 33 kreisfreien Städten bzw. Landkreisen die Auslastung über 95%. Auch auf Ebene der Integrierten Leitstellen (ILS) liegt nur in einer der insgesamt 26 ILS die Auslastung der Intensivkapazitäten unter 80%, zwei ILS weisen demgegenüber jedoch eine Auslastung von über 95% auf (DIVI-Meldungen, Stand 15. November 2021). Regional berichten Kliniken, vor allem im intensivmedizinischen Bereich, von sehr starken Belastungen bis hin zu vollständigen Auslastungen der Intensivkapazitäten, die voraussichtlich in den nächsten Wochen nicht nachlassen werden und bereits jetzt wieder in größerem Umfang überregionale Patientensteuerungen erforderlich machen. (…) Daher gilt es nach wie vor, vor allem die Belegung der Intensivkapazitäten mit COVID-19-Patienten engmaschig zu beobachten, da diese Bettenkategorie die Engpassressource bei der Bekämpfung der Pandemie im stationären Bereich darstellt. Zudem sind zur Reduzierung der Zahl der COVID-19-Patienten in den Kliniken in Bayern zwingend Maßnahmen insbesondere zur drastischen Reduzierung der Inzidenzen erforderlich. In Bayern wurden bisher 17 587 103 COVID-19-Schutzimpfungen durchgeführt; 8 846 734 entfallen dabei auf Erstimpfungen, bei 8 614 539 Personen besteht bereits ein vollständiger Impfschutz. Die Erstimpfquote beträgt damit derzeit rund 67,3% und die Quote der vollständig Geimpften 65,6% (Stand jeweils 15. November 2021). Insgesamt sind von den volljährigen Personen in Bayern 77,7% mindestens einmal geimpft, im Alter von 12 bis 17 Jahren sind es 46,4%. Einen vollständigen Impfschutz haben 83,4% der Personen in Bayern, die 60 Jahre oder älter sind, im Alter von 18 bis 59 Jahren haben 72,2% den vollständigen Impfschutz und im Alter von 12 bis 17 Jahren sind es 41,3%. Seit Mitte August besteht für bestimmte Personengruppen die Möglichkeit, eine Auffrischungsimpfung zu erhalten. In Bayern wurden bisher 591 451 Auffrischungsimpfungen durchgeführt, die in der oben genannten Gesamtzahl der COVID-19-Schutzimpfungen enthalten sind. Die Impfquote bei den Auffrischungsimpfungen liegt damit bezogen auf die bayerische Bevölkerung derzeit bei rund 4,5%. Da inzwischen ausreichend Impfstoff für COVID-19-Schutzimpfungen vorhanden ist, besteht seit mehreren Wochen für alle Impfwilligen, für die ein Impfstoff zugelassen ist, die Möglichkeit, zeitnah eine Schutzimpfung zu erhalten. Für Kinder unter 12 Jahren ist weiterhin kein Impfstoff zugelassen. Die 7-Tage-Inzidenzen steigen derzeit in allen Altersgruppen stark an. Die Fallzahlen sind höher als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Ein weiterer Anstieg der Infektionszahlen ist zu erwarten. Gründe dafür sind unter anderem die derzeit dominierende hochansteckende Delta-Variante des Coronavirus SARS-CoV-2, die noch immer große Zahl ungeimpfter Personen und Kontakte in Innenräumen. Hinzu kommt eine im zeitlichen Verlauf gerade bei älteren oder immunsupprimierten Personen nachlassende Schutzwirkung der Impfung bei derzeit noch geringem Anteil von Personen mit einer Auffrischungsimpfung sechs Monate nach Abschluss des ersten Impfzyklus. Die Zahl der Todesfälle zeigt eine steigende Tendenz. Die Zahl schwerer Erkrankungen an COVID-19, die im Krankenhaus eventuell auch intensivmedizinisch behandelt werden müssen, steigt ebenfalls wieder an. Es lassen sich nicht alle Infektionsketten nachvollziehen. Zudem treten Ausbrüche in vielen verschiedenen Umfeldern auf. Die aktuelle Entwicklung ist sehr besorgniserregend und es ist zu befürchten, dass es zu einer weiteren Zunahme schwerer Erkrankungen und Todesfälle kommen wird und die verfügbaren intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten überschritten werden (…).“
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Voraussichtlich bereits ab dem 24. November 2021 sollen angesichts der aktuellen Fortentwicklung in Bayern weiter verschärfte Corona-Maßnahmen gelten. Es soll unter anderem eine Kontaktbeschränkung für Ungeimpfte gelten. Sie sieht vor, dass bayernweit nur noch Treffen von maximal 5 ungeimpften Personen aus maximal 2 Haushalten möglich sind. Kinder unter 12 Jahren und Geimpfte werden für die Gesamtzahl der Personen und der Haushalte nicht mitgezählt. Außerdem soll - anders als bisher - die 2G-Regel künftig auch für körpernahe Dienstleistungen wie beispielsweise Friseurbetriebe und Nagelstudios gelten. Auch in Hochschulen und vergleichbaren Einrichtungen wie Musik- und Fahrschulen soll der Zutritt nur noch für Geimpfte oder Genesene möglich sein. Ausgenommen von der 2G-Regelung bleiben weiterhin der Handel sowie medizinische, therapeutische und pflegerische Dienstleistungen. Für den Handel gilt künftig jedoch eine Beschränkung auf eine Person pro 10 m². Auch die 2G plus-Regel soll auf weitere Bereiche ausgeweitet werden: Der Zutritt zu Kultur-, Freizeit- und Sportveranstaltungen ist nur noch geimpften oder genesenen Personen gestattet, die zusätzlich über einen negativen Testnachweis verfügen; ein Schnelltest ist hierfür ausreichend. Kultur-, Freizeit- und Sportveranstaltungen dürfen zudem nur noch bei einer Auslastung von maximal 25 Prozent der möglichen Besucherzahlen stattfinden. Es gilt FFP2-Maskenpflicht. Auch in Freizeiteinrichtungen, wie beispielsweise in Bädern, Saunen, Seilbahnen oder Spielhallen und Messen gilt künftig 2G plus. In der Gastronomie bleibt es bei der 2G-Regel. Es soll allerdings eine Sperrstunde eingeführt werden: Gastronomische Betriebe sollen demnach ab 22 Uhr schließen müssen. Schankwirtschaften, Diskotheken, Clubs und Bordelle werden generell wieder geschlossen. Weihnachtsmärkte und sonstige Jahrmärkte werden abgesagt. Bayern erlässt zudem eine Hotspot-Regelung für Landkreise und kreisfreie Städte mit einer 7-Tage-Inzidenz von über 1000 - somit auch für den hier betroffenen Landkreis. Dann sind Freizeit-, Sport- oder Kulturveranstaltungen generell nicht mehr erlaubt. Zudem werden die Gastronomie, körpernahe Dienstleistungen, Beherbergungsstätten sowie Sport- und Kulturstätten geschlossen. Hochschulen dürfen ihre Vorlesungen und Seminare nur noch in digitaler Form anbieten. Für den Handel gilt dann eine Beschränkung auf eine Person pro 20 m² (vgl. https://www.bayern.de/ab-mittwoch-sollen-in-bayern-strengere-corona-massnahmen-gelten-ministerrat-entscheidet-am-dienstag /?seite=2453).
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Eine Ungleichbehandlung von Geimpften und Genesenen einerseits und nicht Geimpften andererseits kann aus infektionsschutzrechtlichen Gesichtspunkten nicht als ungerechtfertigt angesehen werden. Wenngleich bei der Delta-Variante von einer etwas reduzierten Wirksamkeit der Impfung gegen SARS-CoV-2-Infektionen auszugehen ist, der Impfschutz über die Zeit nachlässt und einzelne Studien darauf hindeuten, dass vollständig geimpfte Personen, die sich dennoch mit der Delta-Variante infizieren, möglicherweise dieselbe Viruslast tragen können wie Ungeimpfte, ist nach Einschätzung des RKI bei allen derzeit dominierenden Virusvarianten das Risiko einer Virusübertragung deutlich vermindert. Daten aus Zulassungsstudien wie auch aus Untersuchungen im Rahmen der breiten Anwendung (sog. Beobachtungsstudien) belegen, dass die in Deutschland zur Anwendung kommenden COVID-19-Impfstoffe SARS-CoV-2-Infektionen (symptomatisch und asymptomatisch) in einem erheblichen Maße verhindern. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person trotz vollständiger Impfung PCRpositiv wird und dabei auch infektiöse Viren ausscheidet, ist im Verhältnis zu ungeimpften Personen auch unter der Delta-Variante deutlich vermindert (vgl. BayVGH, B.v. 4.11.2021 - 25 NE 21.2686 - juris Rn. 60).
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Angesichts der derzeit gerade in der betroffenen Gemeinde höchst angespannten Infektionslage sowie ergänzend der bayernweiten extremen Entwicklung kann daher die kurzfristige Anordnung der 2G-Regel für Zuhörer der kommenden Gemeinderatssitzung - bezogen auf den hier zu entscheidenden konkreten Einzelfall - als geeignet, erforderlich und angemessen angesehen werden, um die Infektionsrisiken für die Gemeinderatsmitglieder, die anwesenden Gemeindebediensteten sowie auch die Zuhörer selbst zu verringern. Wie ausgeführt, handelt es sich bei Genesenen und Geimpften um Personen, von denen ein erheblich niedrigeres Ansteckungsrisiko ausgeht und bei denen eine etwaige Erkrankung mit erheblich milderen Verläufen einhergeht (vgl. auch VG Schwerin, B.v. 15.9.2021 - 3 B 1551/21 SN - juris Rn. 42 ff; nachgehend OVG MV, B.v. 16.9.2021 - 2 M 603/21 OVG - juris). Ein Zugangsanspruch besteht - auch unabhängig vom eigenen Verhalten oder Zustand - ohnehin auch nicht uneingeschränkt, da sich bereits aus dem beschränkten Platzangebot eine zahlenmäßige Höchstgrenze für Zuhörer ergibt. Der Grundsatz der Öffentlichkeit verlangt insoweit nicht, dass jeder Interessierte auch tatsächlich teilnehmen kann (vgl. z.B. Hölzl/Hien/Huber, GO, Stand: März 2015, Art. 52 Anm. 3.2). Die Anordnung dürfte sich auch im konkreten Fall des Antragstellers nicht als unverhältnismäßig erweisen oder einen besonderen Härtefall darstellen. Die Antragsgegnerin hat hierzu auch nachvollziehbar begründet, weshalb keine Ausnahmeregelung speziell für den Antragsteller erfolgen kann. Eine ausschließlich persönliche Betroffenheit liegt nicht vor und es erscheint durchaus hinreichend möglich und nicht unzumutbar, dass sich der Antragsteller von einer zutrittsberechtigten Person über den ihn besonders interessierenden Inhalt der Beratung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt nachträglich informieren lässt.
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So dürfte auch letztlich bei einer reinen Interessenabwägung, selbst wenn sich die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs nicht hinreichend sicher prognostizieren ließen, von einem überwiegenden Interesse der Antragsgegnerin am uneingeschränkten Vollzug der angeordneten Regelung auszugehen sein, da diese dem Gesundheitsschutz und der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Gemeindeorgane als überragenden Gemeinschaftsgütern dient und dem Informationsinteresse des Antragstellers auf andere Weise Rechnung getragen werden kann, ohne dass hiermit wesentliche oder gar unzumutbare Nachteile für ihn ersichtlich wären.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Da die beantragte einstweilige Anordnung zumindest teilweise auf eine Vorwegnahme der Hauptsache ausgerichtet ist, besteht für die Herabsetzung des Regelstreitwerts keine Veranlassung (vgl. auch BayVGH, B.v. 7.4.2021 - 4 CE 21-601 - juris Rn. 33).