Inhalt

VG München, Beschluss v. 16.12.2021 – M 5 E 21.5923
Titel:

Kein Anspruch des Beamten auf Ansammlung von Mehrarbeit über ein Kalenderjahr hinaus

Normenketten:
VwGO § 123
BayBG Art. 87 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit iSd Art. 87 Abs. 2 BayBG unterliegt zwar keinem Schriftformerfordernis, muss sich aber auf konkrete und zeitlich abgegrenzte Mehrarbeitstatbestände beziehen. Das bloße faktische und vom Dienstherrn (stillschweigend) gebilligte Ableisten von Überstunden stellt demnach keine Mehrarbeit in diesem Sinne dar. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Allein aus einer über das geforderte Stundenmaß hinausgehenden Dienstleistung des Beamten kann nicht auf Mehrarbeit geschlossen werden. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es besteht weder aus Art. 87 Abs. 2 BayBG noch aus anderen beamtenrechtlichen Normen ein Anspruch des Beamten gegenüber seinem Dienstherrn, Mehrarbeit oder nicht angeordnete Überstunden über einen Zeitraum von einem Kalenderjahr hinaus anzusammeln. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Mehrarbeit, Überstunden, Anordnung von Mehrarbeit (verneint), Verfall von nicht genommenen Zeitguthaben / Kappung, Anordnungsgrund (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2021, 57316

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.969,31 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller (geboren 1967) steht als Beamter (Besoldungsgruppe A 15) in den Diensten der Antragsgegnerin. Die konkrete Dienstverrichtung erfolgt seit 2011 im Eigenbetrieb „…“ der Antragsgegnerin. Davor war der Antragsteller im Direktorium Hauptabteilung III und im Amt für Informations- und Datenverarbeitung der Antragsgegnerin tätig.
2
Die Antragsgegnerin schloss mit dem Gesamtpersonalrat eine Dienstvereinbarung (DV-Flex 2.0), die ab 1. Januar 2020 Geltung erlangte. Hintergrund dieser Dienstvereinbarung war, dass die Erfassung der Zeitguthaben als Gleitzeit oder Überstunden/Mehrarbeit bei der Antragsgegnerin bisher sehr unterschiedlich gehandhabt wurde. Mit der Dienstvereinbarung wurden Gleitzeitguthaben und Überstunden ab dem 1. Januar 2020 einheitlich als Gleitzeitguthaben behandelt. Zeitguthaben über einer gewissen Grenze sollen entsprechend Ziffer 10.2 der DV-Flex 2.0 innerhalb von zehn Jahren in Freizeit ausgeglichen werden. Sofern kein Abbau dieses Zeitguthabens erfolgt, wird zum Stichtag 31. Dezember jedes Kalenderjahres das Zeitguthaben um 10 v.H. gekürzt.
3
Mit Schreiben vom ... Januar 2020 beantragte der Antragsteller die Übertragung des gesamten Zeitguthabens in Höhe von 2.013 Stunden 36 Minuten unter Abzug der verbleibenden Gleitzeitschuld auf das Überstunden-/Mehrarbeitsskonto. Weiter beantragte der Antragsteller von der durch die DV-Flex 2.0 vorgesehene Pauschalübertragung auf das Zeitausgleichskonto Abstand zu nehmen, da er mit der pauschalen Umwandlung von Mehrarbeit in Gleitzeit nicht einverstanden sei.
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Die Antragsgegnerin übertrug unter Berufung auf Ziffer 10.1 der DV-Flex 2.0 ein Teil der Mehrarbeit (80 Stunden) auf das reguläre Gleitzeitkonto und 1.933 Stunden 36 Minuten auf das Zeitausgleichskonto.
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Am … August 2021 hat der Antragsteller Klage (M 5 K 21.4492) dahingehend erhoben, dass die am … Dezember 2019 in seinem Arbeitszeitkonto erfassten Überstunden über den … Dezember 2019 hinaus als Mehrarbeit im Sinne des Art. 87 Abs. 2 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) in seinem Arbeitszeitkonto ausgewiesen werden.
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Mit Schriftsatz vom 15. November 2021 eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat der Antragsteller beantragt,
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der Antragsteller wird vorläufig von einer Verpflichtung zum Abbau seines in seinem Arbeitszeitkonto zum … Dezember 2019 in der Rubrik „Überstunden“ erfassten Zeitguthabens freigestellt und die Antragsgegnerin verpflichtet, einen Verfall von jeweils 10% dieses Guthabens zum jeweiligen Jahresende zu unterlassen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens über die Verpflichtung der Antragsgegnerin, die am … Dezember 2019 im Arbeitszeitkonto des Antragstellers erfassten Überstunden als Mehrarbeitszeit im Sinne des Art. 87 Abs. 2 BayBG über den … Dezember 2019 hinaus im Arbeitszeitkonto des Antragstellers auszuweisen.
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Im Eigenbetrieb … sei aufgrund des erheblichen Arbeitsaufwandes wiederholt Mehrarbeit angeordnet worden. Diese angeordnete Mehrarbeit sei dem Kläger in der Spalte „Überstunden“ des elektronischen Zeiterfassungssystems verbucht und nachgewiesen worden. Die Anordnung der Mehrarbeit sei elektronisch und beleglos erfolgt. Auch die Anordnung von Mehrarbeit, welche bereits in den neunziger Jahren erfolgte, sei elektronisch und ohne Belege erfolgt. Ein schriftlicher Nachweis der Anordnung könne aufgrund des beleglosen elektronischen Verfahrens nicht erbracht werden. Der Prozess der Zeiterfassung habe jedoch einen sogenannten Monatsabschluss vorgesehen, bei welchem jeder Mitarbeiter die geleisteten Arbeitszeiten jeweils zum Monatsende bestätigt habe und eine elektronische Freigabe durch die Dienststelle erfolgt sei. Damit sei ein Prozess etabliert worden, der Monat für Monat die Überprüfung und Feststellung der erfassten Arbeitszeit inklusive der Mehrarbeit sichergestellt habe. Die angeordnete Mehrarbeit sei dem Antragsteller in der Spalte „Überstunden“ verbucht worden und somit als Mehrarbeit erfasst worden. Die Spalte „Überstunden“ würde im Eigenbetrieb für die Erfassung der Mehrarbeit gelten. Zeitguthaben die nicht den Voraussetzungen des Art. 87 Abs. 2 BayBG entsprachen, seien in der Spalte „Gleitzeit“ der elektronischen Zeiterfassung geführt worden.
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Diese festgestellte Mehrarbeit sei rechtlich von anderer Qualität als die grundsätzlich abzuleistende normale Arbeitszeit, die durch Rechtsverordnung geregelt worden sei. Aus der Regelung des Art. 87 Abs. 2 BayBG sei zu entnehmen, dass Mehrarbeit nur ausnahmsweise geleistet werden solle und einer dienstlichen Anordnung bedürfe. Die rechtliche Qualität von Mehrarbeit würde sich zudem aus dem Umstand ergeben, dass Mehrarbeit, die nicht genommen werden kann, vergütet werden könne (Art. 87 Abs. 2 Satz 3 BayBG). Es würde ein Anspruch, auf gesonderte Behandlung der Mehrarbeit gegenüber der normalen Arbeitszeit und einem Vorhalt eines geeigneten Erfassungssystems bestehen. Eine beamtenrechtliche Pflicht des Antragstellers zum Abbau von Mehrarbeit würde nicht bestehen. Ein solcher Abbau von Mehrarbeit sei durch Verwaltungsakt im Rahmen einer Einzelfallentscheidung gegenüber den betroffenen Beamten zu konkretisieren. Die Dienstvereinbarung DV-Flex 2.0 sähe aber unterschiedslos bei jedem betroffenen Beamten eine Umwandlung von Mehrarbeit in Gleitzeitguthaben vor. Eine Umwandlung von Mehrarbeit in Gleitzeitguthaben sei gesetzlich nicht vorgesehen. Es bestünde auch keine Möglichkeit des Dienstherrn, das Einbringen von Mehrarbeit anzuordnen. Durch die Regelungen der DV-Flex 2.0 würde der Antragsteller aber seine komplette Mehrarbeit und die sich daraus ergebende Rechtsposition verlieren, ohne dass es für diesen Eingriff eine Rechtfertigung/Eingriffsgrundlage geben würde. Die Behandlung der Mehrarbeit des Antragstellers durch die Antragsgegnerin sei rechtswidrig.
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Auch ein Anordnungsgrund würde vorliegen, da mit unmittelbar bevorstehendem Jahresende und somit noch während der Dauer und vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens 10 v.H. des Zeitguthabens des Antragstellers verfallen würde. Dem Antragsteller sei zudem nicht zuzumuten, zuvor noch ein entsprechendes Zeitguthaben durch Freizeitausgleich abzubauen.
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Eine Verwirkung sei nicht eingetreten, da durch die Erfassung der Mehrarbeit auf dem Gleitzeitkonto durch die Antragsgegnerin dokumentiert wurde, dass eine entsprechende Mehrarbeit bestünde. Durch das beständige fortschreiben der im Arbeitszeitkonto erfassten Mehrarbeit sei beständig auch der Anspruch des Antragstellers fortgeführt worden.
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Mit Schriftsatz vom 22. November 2021 hat die Antragsgegnerin beantragt,
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der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
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Die erfassten Mehrstunden des Antragstellers würden überwiegend aus der Tätigkeit des Antragstellers vor seiner Beschäftigung bei … stammen. Im Jahr 2006 habe die Antragsgegnerin ein neues Personalverwaltungssystem eingeführt. Mit Einführung dieses Personalverwaltungssystems seien dem Antragsteller 2.126,70 Mehrstunden aus den Jahren vor 2006 in das System übertragen worden. Bei den geleisteten Mehrstunden habe es sich nicht um angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit im Sinne des Art. 87 Abs. 2 BayBG gehandelt. Die Tatsache, dass die Mehrstunden im elektronischen Zeiterfassungssystem in der Rubrik „Überstunden“ verbucht worden seien, lasse nicht den Schluss zu, dass es sich tatsächlich um Mehrarbeit handele. Die Eintragungen in den unterschiedlichen Rubriken der Zeiterfassung auf den Stempelkarten seien stadtweit sehr unterschiedlich gehandhabt worden. Die Zeitwerteintragungen auf den Stempelkarten seien zunächst durch den jeweiligen Mitarbeiter selbst und eigenverantwortlich erfolgt. Im Anschluss daran seien die Stempelkarteneintragungen durch einen beauftragten Mitarbeiter (in der Regel ohne Vorgesetztenfunktion) digital in das Personalverwaltungssystem eingetragen worden. Schriftliche Anordnungen oder Genehmigungen von Mehrarbeit lägen der Antragsgegnerin nicht vor und seien weder aus dem Personalakt noch den Nebenakt zu entnehmen. Durch die bloße Eintragung in das Personalverwaltungssystem würde keine Genehmigung von Mehrarbeit vorliegen. Der Übertrag der Zeitguthaben auf das Gleitzeitkonto des Antragstellers durch die Regelungen der DV-Flex 2.0 sei rechtmäßig erfolgt. Auch die aufgestellten Kappungsgrenzen für Gleitzeitguthaben seien zulässig. Selbst bei Annahme, dass es sich vorliegend um Mehrarbeit im Sinne des Art. 87 Abs. 2 BayBG handeln würde, sei eine Inanspruchnahme der Mehrarbeit und damit auch eine Übertragung auf das Mehrarbeitskonto bereits verwirkt, da grundsätzlich ein Freizeitausgleich innerhalb eines Jahres zu gewähren sei.
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Zudem läge kein Anordnungsgrund vor, da keine besondere Eilbedürftigkeit zu erkennen sei. Dem Antragsteller würde es nach wie vor unbenommen bleiben, 10 v.H. seines Zeitguthabens noch im laufenden Kalenderjahr abzubauen.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten - auch im Verfahren M 5 K 21.4492 - verwiesen.
II.
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Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
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1. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl einen Anordnungsgrund, d.h. ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes in Form der Gefährdung eines eigenen Individualinteresses, als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d.h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache. Die Antragstellerpartei hat die hierzu notwendigen Tatsachen glaubhaft zu machen.
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2. Ein Anordnungsgrund in Form der besonderen Dringlichkeit der begehrten einstweiligen Anordnung ist nicht gegeben. Voraussetzung einer Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist die Gefahr, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Die Sicherungsanordnung dient damit der Bewahrung des status quo (Happ in: Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 123 Rn. 21). Die Verwirklichung eines Rechts wird im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO dann vereitelt, wenn es trotz eines späteren Urteils in der Hauptsache und dessen etwaiger Vollstreckung ohne eine einstweilige Anordnung nicht mehr durchgesetzt werden könnte; eine wesentliche Erschwernis der Verwirklichung eines Rechts im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO läge dann vor, wenn seine Durchsetzung im Hauptsacheverfahren zwar noch möglich, aber mit wesentlichen rechtlichen, wirtschaftlichen oder ideellen Nachteilen verbunden wäre (Happ in: Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 123 Rn. 22), dem Antragsteller es aus Gründen des grundrechtlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) letztlich nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten, etwa weil ihm sonst irreparable oder schwerwiegende Nachteile drohen (BayVGH, B.v. 18.8.2008 - 9 CE 08.625 - juris Rn. 4).
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Eine solche Situation liegt hier nicht vor. Sofern der Antragsteller im Hauptsacheverfahren obsiegt, würden ihm die zum jeweiligen … Dezember eines Jahres verfallenen Zeitguthaben wieder auf sein Arbeitszeitkonto gebucht.
21
Eine andere Entscheidung ist auch nicht deshalb veranlasst, weil der Antragsteller geltend macht, der Anordnungsgrund ergebe sich aus der Tatsache, dass die Antragsgegnerin keine Zusage getroffen habe, von einer Pflicht zum Abbau von Zeitguthaben bis zur Entscheidung in der Hauptsache abzusehen. Es ist dem Antragsteller unbenommen, die Zeitguthaben von 10 v.H. pro Jahr abzubauen.
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3. Der Antragsteller hat zudem keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage besteht keine hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache. Gegen die von der Antragsgegnerin getroffenen Regelungen in Ziffer 10.1 der DV-Flex 2.0, die den Übertrag der Altguthaben auf das Arbeitszeitkonto vorsieht und Ziffer 10.2 der DV-Flex 2.0, welche vorsieht, dass das Guthaben auf dem Arbeitszeitkonto innerhalb von zehn Kalenderjahren in Freizeit auszugleichen ist und zum jeweiligen … Dezember eines Jahres eine Reduzierung des Zeitguthabens auf dem Arbeitszeitkonto um 10 v.H. erfolgt, ist rechtlich nichts zu erinnern.
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a) Bei den im Arbeitszeitkonto zum … Dezember 2019 in der Rubrik „Überstunden“ erfassten Zeitguthabens handelt es sich nicht um Mehrarbeitstunden im Sinne des Art. 80 Abs. 2 Satz 1 BayBG (in der bis zum 31.3.2009 geltenden Fassung) bzw. Art. 87 Abs. 2 Satz 1 BayBG (in der ab 1.4.2009 geltenden Fassung).
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Grundsätzlich ist der Beamte verpflichtet, ohne Entschädigung über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse dies erfordern und sich die Mehrarbeit auf Ausnahmefälle beschränkt (Art. 80 Abs. 2 Satz 1 BayBG a.F. bzw. Art. 87 Abs. 2 Satz 1 BayBG). Wird er durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht, ist ihm innerhalb eines Jahres für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeit entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren (Art. 80 Abs. 2 Satz 2 BayBG a.F. bzw. Art. 87 Abs. 2 Satz 2 BayBG). Ist die Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich, so kann an ihrer Stelle der Beamte eine Vergütung erhalten (Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayBG a.F. bzw. Art. 87 Abs. 2 Satz 3 BayBG).
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Die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit ist ein Verwaltungsakt, der sich auf konkrete Mehrarbeitstatbestände beziehen und der von einem entsprechenden Willen bzw. Bewusstsein des Dienstherrn getragen sein muss und von der bloßen Anordnung von Arbeit, die durch innerdienstliche Weisung erfolgt und ggf. in Dienstplänen konkretisiert wird, zu unterscheiden ist. Die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit unterliegt zwar keinem Schriftformerfordernis, muss sich aber auf konkrete und zeitlich abgegrenzte Mehrarbeitstatbestände beziehen. Das bloße faktische und vom Dienstherrn (stillschweigend) gebilligte Ableisten von Überstunden stellt demnach keine Mehrarbeit in diesem Sinne dar. Bei der Anordnung von Mehrarbeit hat der Dienstherr vielmehr auf der Grundlage und unter Abwägung der im konkreten Zeitpunkt maßgeblichen Umstände eine (einzelfallbezogene) Ermessensentscheidung zu treffen und zu prüfen, ob nach den dienstlichen Notwendigkeiten überhaupt Mehrarbeit erforderlich ist und welchem Beamten sie übertragen werden soll (zum Ganzen: BVerwG, U.v. 2.4.1981 - 2 C 1/81 - ZBR 1981, 317, juris Rn. 20; U.v. 28.5.2003 - 2 C 28.02 - ZBR 2003, 383, juris Rn. 14, U.v. 28.5.2003 - 2 C 35.02 - ZBR 2003, 385, juris Rn. 11).
26
Vorliegend fehlt es bereits an der notwendigen Anordnung oder Genehmigung der Mehrarbeit. Allein aus einer über das geforderte Stundenmaß hinausgehenden Dienstleistung kann nicht auf Mehrarbeit geschlossen werden (BVerwG, B.v. 3.1.2005 - 2 B 57.04 - juris Rn. 4).
27
Soweit die Antragstellerpartei vorträgt, dass der Prozess der Zeiterfassung, welcher einen sogenannten Monatsabschluss vorgesehen habe, bei welchem jeder Mitarbeiter die geleisteten Arbeitszeiten jeweils zum Monatsende bestätigt habe und eine elektronische Freigabe durch die Dienststelle erfolgt sei und deshalb ein schriftlicher Nachweis der Anordnung nicht erbracht werden könne, liegt darin gerade keine Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit. Die bei der Antragsgegnerin erfolgte Zeiterfassung dokumentiert lediglich außerhalb des Gleitzeitrahmens anerkannte Arbeitszeiten, trifft jedoch keine Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit. Die Freigabe durch die Dienststelle erfolgte durch einen beauftragten Mitarbeiter (in der Regel ohne Vorgesetztenfunktion). Es handelte sich somit um einen bloßen Übertrag der jeweiligen Eintragungen auf der Stempelkarte, die durch den Beamten erfolgte, in das digitale Zeiterfassungssystem und gerade nicht um eine Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit durch eine durch Verwaltungsakt getroffene Ermessensentscheidung, unabhängig davon, ob die Mehrstunden in der Spalte „Gleitzeit“ oder „Überstunden“ erfasst wurden. Auch sonst lässt sich den Akten oder dem Vortrag der Verfahrensbeteiligten eine Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit nicht entnehmen.
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b) Ungeachtet dessen ist gegen die Regelungen der DV-Flex 2.0 rechtlich nichts zu erinnern. Insbesondere steht die Ziffer 10.2 der DV-Flex 2.0 im Einklang mit Art. 87 Abs. 2 BayBG. Entgegen der Auffassung der Antragstellerpartei enthalten die Regelungen der DV-Flex 2.0 keine Verpflichtung zum Abbau von „Mehrarbeit“. Eine solche Verpflichtung würde mutmaßlich nicht im Einklang mit Art. 87 Abs. 2 BayBG stehen (VGH Kassel, B.v. 9.6.2020 - 1 B 2144/19 - ZBR 2021, 6, juris Rn. 13 f. zu § 61 HBG der inhaltsgleich zu Art. 87 Abs. 2 BayBG ist). Zwar könnte der Wortlaut der DV-Flex 2.0 Ziffer 10.2 Satz 2 und 3 einen solchen Schluss nahelegen. Jedoch ergibt sich zum einen aus Satz 8 der Ziffer 10.2, dass bei einem Nicht-Nachkommen der Pflicht zum Abbau von Überstunden das Zeitguthaben, welches die zulässige Höchstgrenze zum jeweiligen Stichtag überschreitet, lediglich verfällt. Zum anderen ergibt sich aus dem Schreiben der Antragsgegnerin an den Antragsteller vom ... November 2021, dass es dem Antragsteller frei stehe, seiner „Abbauverpflichtungen“ nachzukommen, andernfalls würden die entsprechenden Zeitguthaben ersatzlos verfallen. Aus den Gesamtumständen ist die „Abbauverpflichtung“ dahingehend auszulegen, dass die Antragsgegnerin nicht auf einer Pflicht zum Freizeitausgleich besteht, sondern den Beamten die Möglichkeit offenlässt, die jeweiligen Zeitguthaben nicht abzubauen und diese dann in Höhe von 10 v.H. zum jeweiligen Jahresende verfallen zu lassen.
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Darüber hinaus ergibt sich weder aus Art. 87 Abs. 2 BayBG noch aus anderen beamtenrechtlichen Normen ein Anspruch des Beamten gegenüber seinem Dienstherrn, Mehrarbeit oder nicht angeordnete Überstunden über einen Zeitraum von einem Kalenderjahr hinaus „anzusammeln“, welcher der Regelung des Abbaus von Überstunden in der Ziffer 10.2 der DV-Flex 2.0 zuwiderlaufen würde.
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4. Der Antragsteller hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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5. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 3 GKG des Gerichtskostengesetzes/GKG, wobei im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes lediglich die Hälfte des Streitwerts eines Hauptsacheverfahrens anzusetzen war. Die dem Antragsteller zum Ende des Jahres 2021 verfallenden Zeitguthaben betragen 193 Stunden und 22 Minuten (10 v.H. der nach Ziffer 10.1 der DV-Flex 2.0 auf das Zeitausgleichskonto übertragenen Stunden in Höhe von 1.933 Stunden 36 Minuten). Dies entspräche einer Mehrarbeitsvergütung i.S.d. Art. 61 Abs. 5 Satz 2 BayBesG i.V.m. Anlage 9 zum BayBesG in Höhe von 5.938,61 EUR (193 Stunden x 30,77 EUR), hiervon die Hälfte 2.969,31 EUR.