Titel:
Erfolgloser Eilantrag gegen die Ablehnung der Abänderung eines bestandskräftigen Dublin-Bescheids (Italien)
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 4, § 123 Abs. 1
VwVfG § 48, § 51
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1
Leitsatz:
Statthafte Antragsart im Eilverfahren gegen die Ablehnung der Abänderung eines Dublin-Bescheids ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO. (Rn. 13 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dublin-Verfahren (Italien), Rücknahme, Dublin, Unzulässigkeitsentscheidung, Abschiebungsanordnung, Ablehnung der Änderung, Wiederaufgreifen
Fundstelle:
BeckRS 2021, 57315
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom ... Oktober 2021.
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Der Antragsteller ist pakistanischer Staatsangehöriger und reiste am … Juni 2020 erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein; zuvor waren bereits ein im Jahr 2016 und Jahr 2019 eingeleitetes Asylverfahren rechtskräftig abgeschlossen. Am … Juli 2020 wurde ein Übernahmeersuchen gemäß Art. 18 Abs. 1 b Dublin-III-VO an Italien gerichtet, welches nicht fristgerecht beantwortet wurde. Die Zuständigkeit ging mit Ablauf des ... August 2020 gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO auf Italien über. Die am ... Februar 2021 auslaufende Überstellungsfrist wurde mit Schreiben vom ... Januar 2021 auf den … August 2021 verlängert, da der Antragsteller sich in Haft befand. Die am ... August 2021 auslaufende Überstellungsfrist wurde mit Schreiben vom … August 2021 auf den ... Februar 2022 verlängert, da der Antragsteller flüchtig ist.
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Mit Bescheid vom … August 2020 ordnete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Abschiebung nach Italien an (Nr. 1) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4).
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Am ... Juli 2021 stellte der Antragsteller einen weiteren Asylantrag, welcher mit Bescheid des Bundesamtes vom … September 2021 als unzulässig abgelehnt wurde. Zur Begründung führt das Bundesamt aus, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorliegen würden. Im Falle eines Folgeantrages nach § 71 Asylgesetz (AsylG) sei ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Ein weiteres Asylverfahren gemäß § 71 Abs. 1 AsylG sei nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) erfüllt seien, folglich Wiederaufgreifensgründe vorliegen würden, was bei Antragsteller nicht der Fall sei.
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Mit Bescheid vom ... Oktober 2021 hat das Bundesamt den Bescheid vom … August 2020 aufrechterhalten (Nr.1), den Antrag als unzulässig abgelehnt (Nr. 2) und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 3). Zur Begründung führt der streitgegenständliche Bescheid aus, dass keine Gründe für eine Rücknahme des Bescheids vom … August 2020 gemäß § 48 VwVfG vorlägen. Der Asylantrag war daher nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Italien aufgrund des dortigen Asylantrags gemäß Art. 18 Abs. 1 b Dublin-III-VO für die Behandlung des Asylantrags des Antragstellers zuständig sei. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Ebenso wenig bestünden in Italien systemische Mängel.
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Hiergegen erhob der Antragsteller am 19. Oktober 2021 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage mit dem Ziel den streitgegenständlichen Bescheid vom ... Oktober 2021 aufzuheben und hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Der Antragsteller beantragt gleichzeitig,
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der Beklagten und Antragsgegnerin wird untersagt, den Kläger und Antragsteller nach Italien abzuschieben.
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Eine Abschiebung nach Italien habe nicht durchgeführt werden können, da der Antragsteller sich in Haft befunden habe und aus der Haft keine Abschiebung vorgenommen worden sei. Die Jahresfrist, innerhalb derer eine Abschiebung nach Italien hätte vorgenommen werden können, sei abgelaufen.
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Die Antragsgegnerin legte dem Gericht die Behördenakten vor und führte aus, dass der Antrag sowie die Klage unzulässig seien, da beide nicht innerhalb der Frist von einer Woche eingelegt worden seien.
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Im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat keinen Erfolg. Der statthafte Antrag nach § 123 VwGO ist unbegründet.
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1. Der Antrag ist fristgerecht erhoben worden. Die zweiwöchige Frist die in § 74 Abs. 1 Halbs. 1 Asylgesetz (AsylG), sowie in der Rechtsbehelfsbelehrungdes streitgegenständlichen Bescheids vom ... Oktober 2021 vorgesehen ist, wurde eingehalten.
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Vorliegend geht es nicht um die Frage von Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen eine kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung i.S.d. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG. Im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamts vom ... Oktober 2021 wurde keine Abschiebungsanordnung ausgesprochen, sondern nur die Abänderung des Bescheids vom … August 2020 abgelehnt, in dem das Bundesamt dem Antragsteller gegenüber eine - mittlerweile rechtskräftige - Abschiebungsanordnung erlassen hatte.
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Zwar ist auch gegen Bescheide des Bundesamts, mit denen ein Folgeantrag i.S.d. § 71 AsylG abgelehnt wird, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 14.12.2016 - 1 C 4.16 - BVerwGE 157, 18-34- juris Rn.16) ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, weil die Entscheidung über einen Asylfolgeantrag grundsätzlich als Unzulässigkeitsentscheidung i.S.d. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG getroffen wird und die Entscheidung, kein weiteres Asylverfahren durchzuführen, mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist. Denn eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG stellt einen der Bestandskraft fähigen, anfechtbaren Verwaltungsakt dar, der die Rechtsstellung des Asylsuchenden verschlechtert, weil damit ohne inhaltliche Prüfung festgestellt wird, dass sein Asylvorbringen nicht zur Schutzgewährung führt.
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Das Bundesamt hat den Antrag des Antragstellers vom … Juli 2021 auch als Folgeantrag i.S.d. § 71 AsylG verstanden und diesen mit Bescheid vom … September 2021 als unzulässig abgelehnt. Der Bescheid vom … September 2021 ist in Bestandskraft erwachsen.
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Dem Antragsteller geht es vielmehr darum in der Hauptsache, „den Bescheid vom … August 2020 aufzuheben“ und im Eilverfahren „Antrag nach § 123 VwGO“ darum „der Beklagten und Antragsgegnerin zu untersagen, den Kläger und Antragsteller nach Italien abzuschieben“. Dieses Begehren ist auslegungsbedürftig, weil in dem angefochtenen Bescheid vom ... Oktober 2021 das Bundesamt den Antrag auf Abänderung der Entscheidung vom … August 2020 nach § 48 VwVfG ablehnt. Würde auf eine isolierte Anfechtung hin allein dieser Bescheid vom ... Oktober 2021 aufgehoben, könnte der Antragsteller damit seine Rechtsstellung nicht verbessern, denn es verbliebe dann bei dem ablehnenden Dublin-Bescheid vom … August 2020 und der Unzuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland zur Durchführung des Asylverfahrens. Einer solchen isolierten Anfechtung würde das Rechtsschutzbedürfnis fehlen. In zulässiger Weise kann das Hauptsachebegehren daher nur auf die Verpflichtung zur Änderung der ursprünglichen Dublin-Entscheidung über § 48 VwVfG und Übernahme der Zuständigkeit für das Asylverfahren des Antragstellers gerichtet sein. Das sachgerecht so ausgelegte Begehren kann nur durch einen Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO gesichert werden.
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2. Der Antrag nach § 123 VwGO bleibt in der Sache ohne Erfolg, weil ein Anordnungsanspruch nicht gegeben ist.
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a) Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Rücknahme der Abschiebungsanordnung gemäß § 48 VwVfG. Eine „Untersagung der Abschiebung nach Italien“ wäre nur gerechtfertigt, wenn der Bescheid vom … August 2020 rechtswidrig und das der Behörde in § 48 VwVfG eingeräumte Ermessen auf Null reduziert wäre. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
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Der Bescheid vom … August 2020 ist rechtmäßig. Zur Begründung wird insoweit gemäß § 77 Abs. 2 AsylG vollumfänglich auf die Begründungen der Bescheide vom … August 2020, … September 2021 sowie vom … Oktober 2021 Bezug genommen.
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Gegen die Rechtmäßigkeit des bestandskräftigen Dublin-Bescheids vom … August 2020 bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Italien ist gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO) und der Nichtantwort Italiens innerhalb der Frist gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO für das Asylverfahren zuständig. Der Bescheid ist auch nicht nachträglich rechtswidrig geworden. Insbesondere ist die 18-monatige Überstellungsfrist des § 29 Abs. 2 Dublin III-VO noch nicht abgelaufen. Es ist daher zutreffend, dass derzeit Italien für die Entscheidung über das Asylbegehren des Antragstellers zuständig ist. Die ursprünglich am … Februar 2021 auslaufende Überstellungsfrist wurde mit Schreiben des Bundesamts vom ... Januar 2021 an die zuständigen italienischen Behörden zunächst auf den … August 2021 verlängert, da der Antragsteller sich in Haft befand. Die am ... August 2021 auslaufende Überstellungsfrist wurde mit Schreiben des Bundesamts vom ... August 2021 - und somit vor Ablauf der Überstellungsfrist - an die zuständigen italienischen Behörden gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin-III-VO auf den ... Februar 2022 verlängert, da der Antragsteller flüchtig ist.
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Auf die Frage einer Ermessensreduzierung auf Null in dem Sinne, dass nur eine rechtmäßige Entscheidung, nämlich die Rücknahme des Bescheids vom … August 2020 denkbar wäre, kommt es somit nicht mehr an, weil bereits die Tatbestandsvoraussetzung des § 48 VwVfG, dass es sich um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt handelt, nicht vorliegt.
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b) Nach § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (Nr. 3).
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Vorliegend kommt keiner der in § 51 Abs. 1 VwVfG genannten Wiederaufgreifensgründe in Betracht. Es ist nicht ersichtlich, dass sich die dem Bescheid vom … August 2020 zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Antragstellers geändert hätte.
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c) Andere nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheids vom … August 2020 entstandene Gründe, welche die Annahme einer Änderung der Sach- oder Rechtslage zu Gunsten des Antragstellers im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG oder eine Aufhebung des Bescheids nach §§ 48, 49 VwVfG zu tragen vermögen und daher einer Überstellung nach Italien entgegenstehen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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Der Antragsteller hat damit vorliegend nicht glaubhaft gemacht, dass er einen Anspruch auf Änderung des bestandskräftigen Dublin-Bescheids vom … August 2020 bzw. auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf zielstaats- oder inlandsbezogene Abschiebungsverbote hat.
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Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).