Titel:
zu den Anforderungen an eine "historische Straße"
Normenketten:
BayKAG Art. 5a Abs. 1, Abs. 7 S. 1
BauGB § 127 Abs. 2 Nr. 1, § 133 Abs. 2 S. 1
Leitsatz:
Das bloße Abfließen des Regenwassers aufgrund der Straßendeckenwölbung unter notwendiger Inanspruchnahme von anliegenden Privatgrundstücken erfüllt nicht die Anforderungen an eine Entwässerungseinrichtung. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erschließungsbeitragsrecht, erstmalige Herstellung (bejaht, keine historische Straße oder bereits zuvor erstmalig und endgültig hergestellte Erschließungsanlage), Ermittlung des beitragsfähigen Aufwands, Erschließungsbeitrag, historische Straße, Ableitung des Straßenoberflächenwassers
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 18.08.2022 – 6 ZB 22.264
Fundstelle:
BeckRS 2021, 57121
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage „H.weg“.
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Der Kläger ist Eigentümer der Grundstücke mit den Fl.Nrn. 3../7 und 3../10 der Gemarkung … im Gebiet der Beklagten. Im H.weg wurden in den Jahren 2014 und 2015 Straßenbaumaßnahmen durchgeführt.
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Mit Bescheid vom 19. Januar 2018 setzte die Beklagte für die Grundstücke des Klägers einen Erschließungsbeitrag in Höhe von 6.674,99 € für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage „H.weg“ fest.
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Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies das Landratsamt M. mit Widerspruchsbescheid vom 10. April 2019 als unbegründet zurück. In den Gründen des Bescheids hieß es unter anderem, dass der H.weg durch die abgerechneten Maßnahmen erstmalig hergestellt worden sei, da bis zur Beendigung der Erschließungsmaßnahmen zumindest eine ordnungsgemäße Straßenentwässerung nicht vorhanden, der Grunderwerb noch nicht abgeschlossen und der H.weg nicht in der von der Beklagten geplanten Breite hergestellt gewesen sei. Die durch die Bauarbeiten verursachte Anhebung des Straßenniveaus sowie dadurch möglicherweise entstandene Niveauanpassungskosten stünden einer Beitragserhebung ebenfalls nicht entgegen.
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Am ... Mai 2019 hat der Kläger Klage erhoben.
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Er ist der Auffassung, dass der H.weg eine historische Straße sei, da dieser am 30. Juni 1961 einen Ausbauzustand erreicht habe, der den damaligen Anforderungen an eine Erschließungsanlage genügt habe. Weiterhin meint der Kläger, dass eine Rechnung zur Rigolenuntersuchung nicht nachvollziehbar sei und der Aufwand sich im Übrigen als lückenhaft dokumentiert darstelle, da ein Beleg für einen Grundstückserwerb nicht auffindbar sei.
den Bescheid der Beklagten vom 19. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts M. vom 10. April 2019 aufzuheben und die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
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Die Beklagte beantragt,
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Ihrer Ansicht nach sei der H.weg weder eine historische Straße noch sei er vor Abschluss der Baumaßnahmen in den Jahren 2014 und 2015 erstmalig hergestellt worden. Zum einen ergebe sich dies schon aus Unterlagen der damaligen Gemeinde …, zum anderen sei im H.weg bis zu den Bauarbeiten in den Jahren 2014 und 2015 keine ordnungsgemäße Straßenentwässerung vorhanden gewesen sei, der H.weg habe keine durchgängig angemessene Breite von mindestens 6 Metern aufgewiesen und der erforderliche Grunderwerb sei erst im Jahr 2016 abgeschlossen worden. Hinzu komme, dass für Erschließungsstraßen bereits ab 1936 eine wassergebundene Decke erforderlich gewesen sei, an der es ausweislich der Grundlagenermittlungen der damaligen Gemeinde … für die erstmalige Anlegung der Straßenbestandsverzeichnisse jedenfalls im Jahr 1964 noch gefehlt habe.
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Mit Beschluss vom 13. Mai 2020 hat das Gericht den Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen.
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Die Beteiligten verzichteten auf mündliche Verhandlung und erklärten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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A. Die zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache keinen Erfolg.
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Der Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 19. Januar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts M. vom 10. April 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Der streitgegenständliche Erschließungsbeitragsbescheid beruht auf Art. 5a Abs. 1 KAG i.V.m. §§ 127 ff. BauGB i.V.m. der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen der Stadt … vom 29. Dezember 1981 (Erschließungsbeitragssatzung - EBS).
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Nach diesen Vorschriften erhebt die Beklagte zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag. Erschließungsanlagen in diesem Sinne sind u.a. die öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen (§ 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB bzw. Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 BayKAG). Der Erschließungsaufwand umfasst dabei u.a. die Kosten für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage einschließlich der Einrichtungen für ihre Entwässerung und Beleuchtung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB). Beiträge können gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur insoweit erhoben werden, als die Erschließungsanlagen erforderlich sind, um die Bauflächen entsprechend den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen (beitragsfähiger Erschließungsaufwand). Der ermittelte beitragsfähige Erschließungsaufwand ist nach Abzug eines Gemeindeanteils (vgl. § 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB i.V.m. § 4 EBS) auf die durch die Anlage erschlossenen Grundstücke zu verteilen (§ 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Die Beitragspflicht entsteht unbeschadet weiterer Voraussetzungen mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage (§ 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB).
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2. Für die streitgegenständlichen Straßenbaumaßnahmen im H.weg konnte für das klägerische Grundstück ein Erschließungsbeitrag - und nicht etwa nur ein Straßenausbaubeitrag - rechtmäßig festgesetzt werden, denn bei der Erschließungsanlage „H.weg“ handelt es sich offensichtlich weder um eine sog. „historische Straße“, die als vorhandene Erschließungsanlage gemäß Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG (vgl. auch § 242 Abs. 1 BauGB) dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts entzogen wäre, noch wurde die Anlage nach In-Kraft-Treten von BBauG/BauGB am 30. Juni 1961 bereits ohne die nun abgerechneten Maßnahmen erstmalig endgültig hergestellt.
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Zwischen den Beteiligten ist zwar streitig, wann genau der H.weg Erschließungsfunktion erlangte (nach st. Rspr. des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs, z.B. U.v. 22.7.2010 - 6 B 09.584 - juris Rn. 37 m.w.N., erhält eine Straße in unbeplanten Gebieten die Funktion einer Erschließungsanlage nicht schon dadurch, dass vereinzelt Grundstücke an ihr bebaut werden, sondern sie ändert ihre rechtliche Qualität vielmehr erst dann, wenn an ihr eine gehäufte Bebauung einsetzt, d.h. - zumindest für eine Straßenseite - bauplanungsrechtlich Innenbereichslage im Sinne von § 34 Abs. 1 weg frühestens in den 50er BauGB zu bejahen ist). Unstreitig ist jedoch, dass der Jahren Erschließungsfunktion erlangt haben kann (nach Aktenlage spricht viel dafür, dass der H.weg frühestens Mitte der 1960er Jahre Erschließungsfunktion erlangt haben dürfte). Eine genauere Überprüfung, ob dies noch vor dem 30. Juni 1961 der Fall war oder erst danach, erübrigt sich jedoch aus folgenden Gründen:
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Die Frage, welche Merkmale eine Straße vor In-Kraft-Treten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 aufweisen musste, um als vorhandene Straße i.S. des Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG/§ 242 Abs. 1 BauGB beurteilt werden zu können, bestimmt sich nach ständiger Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 5.6.2008 - 6 ZB 06.2721 - juris Rn. 5 m.w.N.) nach den zuvor geltenden landesrechtlichen und örtlichen straßenbaurechtlichen Vorschriften sowie städtebaulichen Regelungen, nach etwaigen Richtlinien für den Abschluss von Straßenkostensicherungsverträgen, nach einer erkennbar gewordenen Straßenplanung der Gemeinde und, falls es an dahingehenden Unterlagen fehlt, nach den örtlichen Verkehrsbedürfnissen. Jedenfalls in den 1950er Jahren war aber auch schon in kleineren ländlichen Gemeinden eine durchgehende, gezielte und funktionierende Ableitung des Straßenoberflächenwassers (mit notwendiger Abgrenzung zu den anliegenden Grundstücken, d.h. keine bloße Versickerung über die angrenzenden Grundstücke) zur endgültigen Herstellung einer Erschließungsstraße unerlässlich (BayVGH, B.v. 3.8.1994 - 6 CS 94.2170 u.a. - n.v.; U.v. 4.5.1982 - 6 B 81 A.51 - n.v., UA S. 9; U.v. 9.10.1980 - 6 B 2245/79 - n.v., UA S. 5; vgl. ferner: Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand November 2017, Rn. 181 c; BayVGH, B.v. 24.5.2005 - 6 ZB 02.797 - juris Rn. 8).
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Nach In-Kraft-Treten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 ist eine Anbaustraße erschließungsbeitragsrechtlich erstmalig endgültig hergestellt, wenn sie die nach dem satzungsmäßigen Teileinrichtungsprogramm und dem (dieses bezüglich der flächenmäßigen Teileinrichtungen ergänzenden) Bauprogramm erforderlichen Teileinrichtungen aufweist und diese dem jeweils für sie aufgestellten technischen Ausbauprogramm entsprechen (BVerwG, U. v. 10.10.1995 - 8 C 13/94 - juris Rn. 19; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Auflage 2012, § 11 Rn. 50), wobei die Gemeinde das Bauprogramm im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften (z.B. § 125 BauGB, Anforderungen nach dem Landesstraßenrecht) frei gestalten kann (Driehaus, a.a.O., § 13 Rn. 54). Insoweit kann vorliegend festgestellt werden, dass sowohl die (erste) Erschließungsbeitragssatzung der Gemeinde … vom 29. Juni 1961 als auch alle nachfolgenden Satzungen der Gemeinde … bzw. der Beklagten jeweils eine Straßenentwässerung als Merkmal der endgültigen Herstellung von Erschließungsanlagen festsetzten.
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Vorliegend bestehen keine Zweifel daran, dass die Straßenentwässerung im H.weg vor den streitgegenständlichen Straßenbaumaßnahmen dadurch erfolgte, dass das auf der asphaltierten Straße anfallende Oberflächenwasser auf angrenzenden Flächen versickerte. Dabei handelt es sich jedenfalls ganz überwiegend um in Privateigentum stehende Flächen der Straßenanlieger. Aus den im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Lichtbildern, die den Zustand des …wegs vor den streitgegenständlichen Baumaßnahmen zeigen, ist ohne Weiteres erkennbar, dass auf der gesamten Länge des …wegs eine gezielte Ableitung des Oberflächenwassers durch Straßenprofil und -neigung sowie eine Fassung in Entwässerungsleiteinrichtungen wie Randsteinen oder Rinnen nicht stattfand. Die Klägerseite hat dies auch nicht substantiiert bestritten.
Nach gefestigter Rechtsprechung der Kammer (vgl. etwa: U.v. 29.10.2019 - M 28 K 16.4687 - juris) erfüllt eine solche Art der Straßenentwässerung nicht die vorgenannten Anforderungen: Eine Straßenentwässerung im o.g. Sinn stellt schon begrifflich eine technisch abgrenzbare Teileinrichtung dar, das bloße Abfließen des Regenwassers aufgrund der Straßendeckenwölbung genügt hierfür nicht (BayVGH, B.v. 6.3.2006 - 6 ZB 03.2961 - juris Rn. 9). Dies gilt erst recht, wenn wie vorliegend für die Entwässerung notwendig Privatgrundstücke in Anspruch genommen werden müssen und die Beklagte sich dadurch möglichen Abwehransprüchen der Anlieger, die diese Beeinträchtigung ihres Privateigentums nicht hinzunehmen haben, aussetzt. Erforderlich sind vielmehr Entwässerungseinrichtungen wie Randsteine und/oder Rinnen (BayVGH, U.v. 5.11.2007 - 6 B 05.2551 - juris Rn. 33), durch die das Oberflächenwasser gezielt und ohne Inanspruchnahme von Privateigentum abgeleitet wird.
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Der Einzelrichter schließt nicht aus, dass im Einzelfall (u.a. bei geeigneten örtlichen Verhältnissen, gezielter Planung und Ausführung auf gemeindlichem Grund sowie Einhaltung der diesbezüglichen rechtlichen Vorgaben) auch eine Versickerung des Oberflächenwassers durch ober- oder unterirdische Versickerungsanlagen (wie z.B. Muldenversickerung, Rigolen etc.) eine satzungskonforme Art der Straßenentwässerung darstellen kann. Der bis zu den Baumaßnahmen im H.weg bestehende Zustand eines gänzlich ungeordneten Abfließens und Versickerns über/durch Grundstücke privater Anlieger genügte dem jedoch nicht ansatzweise.
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Soweit der Kläger einwendet, dass sich die Beklagte gegenüber den Anliegern des …wegs insofern missverständlich ausgedrückt habe, als dass sie in diversen Anliegerschreiben wiederholt von Maßnahmen des Straßenausbaus gesprochen habe, mag dies zwar inhaltlich zutreffen. An der - von Amts wegen zu prüfenden - Tatsache, ob tatsächliche eine den o.g. Anforderungen entsprechende Straßenentwässerung vorhanden war, vermag es jedoch nichts zu ändern. Der Kläger verkennt insofern, dass es schon nicht in der Hand der Behörde liegt, Straßenbaukosten nach eigenem Belieben als Kosten der erstmaligen Herstellung oder als Kosten der Erneuerung oder Verbesserung abzurechnen. Die Frage, ob eine Straße erstmalig hergestellt oder lediglich erneuert bzw. verbessert worden ist, ist einzig anhand der tatsächlichen Umständen der Sach- und Rechtslage zu beantworten; ein Entscheidungsspielraum steht der Behörde insoweit nicht zu.
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3. Auch sonst bestehen keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids der Beklagten.
Insbesondere ist die Ermittlung des Aufwands nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger bemängelt, dass ein Beleg für einen Grunderwerb in Höhe von 76,69 Euro fehle, konnte die Beklagte etwaige Zweifel an der tatsächlichen Entstehung dieses Aufwands durch Vorlage der notariellen Kaufvertragsurkunde vom 15. Januar 1968 ausräumen. Hinsichtlich der beanstandeten Rechnung der Fa. B. … Kanalservice vom 2. Mai 2015, deren Zweck in den Behördenakten mit „Rechnung Rigolenuntersuchung“ angegeben wird, hat die Beklagte nachvollziehbar dargelegt, dass diese auf Leistungen zur Kontrollprüfung der neu hergestellten Entwässerungseinrichtungen beruhe, die abgerechneten Kosten mithin beitragsfähig sind. Die Klägerseite hat dies nicht substantiiert bestritten.
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4. Auch im Übrigen sind (tragfähige) Anhaltspunkte dafür, dass der angefochtene Bescheid aus anderen als den vom Kläger vorgetragenen Gründen rechtswidrig wäre, nicht ersichtlich.
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B. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO).