Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 28.09.2021 – AN 15 K 20.02078
Titel:

Kostenpflicht für einen polizeilichen Einsatz bei vorgetäuschter Suizidabsicht

Normenkette:
BayKG Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 S. 2 lit. c
Leitsatz:
Die Kostenpflicht nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 S. 2 lit. c KG setzt in beiden Tatbestandsalternativen - vorsätzlicher Falschalarm bzw. vorgetäuschte Gefahr oder Straftat - voraus, dass bei der für die Kostenpflichtigkeit maßgeblichen ex-post-Betrachtung objektiv kein Grund für ein polizeiliches Einschreiten vorgelegen hat. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
teilweise unzulässige und im Übrigen unbegründete Anfechtungsklage gegen Gebührenbescheid der Polizei wegen vorsätzlicher Falschalarmierung, angekündigter Suizidversuch zum Herbeirufen der Polizei, damit diese dem Kläger einen Fahrdienst organisiere, Anfechtungsklage, Kostenbescheid, Kostenpflicht, Polizeieinsatz, vorsätzlicher Falschalarm, Suizidabsicht, vorgetäuschte Gefahr
Fundstelle:
BeckRS 2021, 57070

Tenor

1.    Die Klage wird abgewiesen.           
2.    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen einen Kostenbescheid des Polizeipräsidiums ….
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Am 23. Juli 2020 fand in der Zeit von etwa 10:15 Uhr bis 11:30 Uhr in der Wohnung des Klägers in der … … in … … ein Polizeieinsatz statt, an dem zwei Streifenbesatzungen der Polizeiinspektion … mit insgesamt vier Beamten teilnahmen. Der Kläger hatte sich zuvor telefonisch bei der Polizei gemeldet und mitgeteilt, dass er sich umbringen werde. Nach Stellungnahme des am Einsatzgeschehen teilnehmenden Polizeibeamten POM … vom 8. August 2020 wurde der Kläger in seiner Wohnung angetroffen und machte auf die Polizeibeamten einen sichtlich stark betrunkenen Eindruck. Einen freiwilligen Atemalkoholtest verweigerte der Kläger. Der Kläger sei jedoch in der Lage gewesen, sich klar zu artikulieren. Es habe nach Eindruck der Beamten keine Anzeichen einer geistigen Beeinträchtigung oder von Verwirrtheit beim Kläger gegeben. Ebenso wenig hätte es Anzeichen für Drogen- oder Medikamentenkonsum gegeben. Der Kläger habe im Gespräch angegeben, dass er für 13:00 Uhr an diesem Tag einen Termin in der …klinik … hätte und nicht wisse, wie er dort hinkommen solle. Die Suizidabsicht habe er nur geäußert, damit die Polizei überhaupt zu ihm komme und ihm dann einen Fahrdienst organisiere. Der Kläger sei daraufhin belehrt worden, derartige Anrufe bei der Polizei zukünftig zu unterlassen, worauf der Kläger sehr wütend geworden sei und angefangen habe, herumzuschreien. Der Kläger habe wörtlich geäußert: „Euch kann ich alle noch platt machen.“. Aufgrund dieser Aussage und seines gezeigten Verhaltens sei damit zu rechnen gewesen, dass der Kläger unter Umständen körperliche Gewalt anwenden würde. Er sei daher zum Schutz der Beamten vorrübergehend gefesselt worden. Nunmehr sei telefonisch Rücksprache mit dem Landratsamt … genommen worden. Eine Eigen- oder Fremdgefährdung aufgrund einer psychischen Erkrankung sei in der weiteren Folge nicht festgestellt worden, so dass angenommen werden musste, dass die Suizidabsicht nur vorgetäuscht gewesen sei. Weitere Maßnahmen vor Ort seien nicht erforderlich gewesen, die Fesselung sodann aufgehoben und der Polizeieinsatz nach telefonischer Bestellung eines Taxis für den Kläger beendet worden. Seinen Arzttermin in der Klinik habe der Kläger nach Wissen der Polizei tatsächlich auch wahrgenommen, denn es sei in diesem Zusammenhang zu einer vorrübergehenden Vermisstensuche nach dem Kläger bei der Polizeiinspektion … gekommen. Dabei seien jedoch ebenfalls keine Suizidabsichten beim Kläger festgestellt worden. In der Vergangenheit sei der Kläger bereits wiederholt wegen psychischer Probleme polizeilich in Erscheinung getreten. Dabei sei jedes Mal eine starke Alkoholisierung des Klägers aufgefallen.
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Mit Schreiben vom 14. August 2020 hörte das Polizeipräsidium … den Kläger zum Sachverhalt an und teilte mit, dass beabsichtigt sei, ihm die Kosten des Polizeieinsatzes in einer Gesamthöhe von 354,00 EUR, bestehend aus den Einsatzkosten in Höhe von 295,00 EUR für die Inanspruchnahme von vier Polizeibeamten zu insgesamt fünf Stunden (59,00 EUR je Stunde) und einer Gebühr in Höhe von 59,00 EUR für die Anwendung unmittelbaren Zwangs in Form einer Fesselung, in Rechnung zu stellen. Die Kosten ergäben sich aus dem Kostengesetz i.V.m. dem Kostenverzeichnis, Tarifstellen 2.II.5/2 und 2.II.5/3 bzw. § 2 der Polizeikostenverordnung. Das Anhörungsschreiben wurde am 14. August 2020 zur Post gegeben. Eine Äußerung des Klägers erfolgte nicht.
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Mit Kostenrechnung vom 1. September 2020 wurden dem Kläger unter Angabe eines Kurzsachverhaltes auf Grundlage von Art. 1, 2, 3 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 Buchst. c, 6, 10 Abs. 1 Nr. 1 und 5 Kostengesetz (KG) i.V.m. Tarifstellen 2.II.5/2 und 2.II.5/3 des Kostenverzeichnisses (KVerz) eine Gebühr für einen Polizeieinsatz wegen vorgetäuschter Suizidgefahr im Umfang von insgesamt fünf Stunden bei vier eingesetzten Polizeibeamten in Höhe von 295,00 EUR (je Polizeibeamter und Einsatzzeit von 1:15 Stunden x 59,00 EUR) sowie auf Grundlage von Art. 75 Abs. 3, 93 Polizeiaufgabengesetz (PAG), §§ 1 Nr. 6, 2 Polizeikostenverordnung (PolKostV) und Art. 10 Abs. 1 Nr. 1, 5 KG für den angewandten unmittelbaren Zwang (Fesselung) eine Gebühr in Höhe von 59,00 EUR in Rechnung gestellt. Dem Bescheid beigegeben war eine Rechtsbehelfsbelehrung, die über die Möglichkeit der Klageerhebung binnen eines Monats nach seiner Bekanntgabe zum Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach informierte. Die Kostenrechnung wurde am 2. September 2020 zur Post gegeben.
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Mit Telefaxschreiben vom 3. Oktober 2020, dem Gericht übermittelt am 5. Oktober 2020, erhob der Kläger gegen die Kostenrechnung des Beklagten Klage. Er trägt zur Begründung vor, die Suizidabsicht sei nicht vorgetäuscht gewesen. Er habe sich an dem Einsatztag in einem nicht-zurechnungsfähigen Zustand aufgrund der unbeabsichtigten Einnahme von Mirtazapin-Tabletten in einer Überdosis, die ihm ohne sein Wissen durch seine Ex-Partnerin wahrscheinlich am 19. Juli 2020 gegeben worden waren, befunden. Die Wirkung sei durch Alkoholkonsum verstärkt worden. Mit seiner Ex-Partnerin befinde er sich in Trennung. Er habe gegen sie Strafanzeige erstattet. Die Wirkung der Tabletten führe auch zu Suizidgedanken, Aggression und Stimmungsschwankungen und sei erst am 24./25. Juli 2020 abgeklungen. Er sei desorientiert gewesen. Seinen Zustand hätten die Beamten erkennen müssen. Er selbst habe von den Vorgängen während des Verlaufs des Polizeieinsatzes nur wenig Erinnerung. Das vorgeworfene aggressive Verhalten sei allein auf die Einnahme der Tabletten zurückzuführen. Hinzu komme, dass er als trockener Alkoholiker in einen Rückfall geführt worden sei. Er habe allein aus seinem Überlebenstrieb heraus gehandelt, der durch langjährige ambulante und stationäre Behandlungen gestärkt worden sei. Die ihm unwissentlich verabreichten Tabletten seien ihm zur Behandlung depressiver Verstimmungen verschrieben worden, jedoch habe er sie seit gut zwei Jahren nicht mehr eingenommen. Er habe erst später festgestellt, dass aus seiner Medikamentenbox solche Tabletten fehlten, wobei nur seine Ex-Partnerin darauf Zugriff gehabt habe. Er rüge im Hinblick auf die beklagte Kostenrechnung, dass er zuvor nicht angehört worden sei.
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Mit seiner Klageschrift legte der Kläger ein von ihm verfasstes Schreiben vom 11. September 2020 an die Polizeiinspektion …, in welchem er Strafanzeige wegen versuchten Mordes und/oder gefährlicher Körperverletzung gegen seine Ex-Partnerin erstattet sowie einen ärztlichen Untersuchungsbericht der Krankenhäuser … GmbH, Abteilung für Unfallchirurgie und Orthopädische Chirurgie vom 22. Juli 2020 über eine an diesem Tag durchgeführte ambulante Behandlung vor. Aus dem Arztbericht wird ersichtlich, dass der Kläger sich wegen einer Thoraxprellung beidseits, einer Ellenbogenprellung links und einem Verdacht auf Kapselläsion in Behandlung begeben hatte. Er gab gegenüber den Ärzten an, von seiner Ehefrau am 21. Juli 2020 abends geschlagen worden zu sein. Er sei trockener Alkoholiker und nun rückfällig geworden. Der Kläger habe nach Wahrnehmung der Ärzte über sich, das System und sein Verhalten geschimpft, sei jedoch orientiert gewesen und habe ein stabiles Gangbild gezeigt. Der Kläger habe um eine psychiatrische Vorstellung zur erneuten Entgiftung gebeten. Er sei dazu durch die Unfallchirurgie angemeldet worden. Er habe keine Eigen- oder Fremdgefährdungsanzeichen gezeigt und sei daher entlassen worden.
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Der Kläger, der zum Termin der mündlichen Verhandlung nicht erschienen war, hat im Klageschriftsatz bei verständiger Würdigung (§ 88 VwGO) des Gemeinten beantragt,
die Kostenrechnung des Beklagten vom 1. September 2020 aufzuheben.
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Der Beklagte äußerte sich mit Schriftsatz des Polizeipräsidiums … vom 10. Februar 2021, teilte mit, dass bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache von der Vollstreckung bzw. Einziehung der im streitgegenständlichen Bescheid festgesetzten Gebühren und Auslagen abgesehen werde und bat die Klägerseite, ein ärztliches Attest zur Frage der Unzurechnungsfähigkeit des Klägers im Zeitpunkt der polizeilichen Maßnahme vorzulegen.
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In der mündlichen Verhandlung hob die Beklagtenvertreterin nach Hinweis des Gerichts die Festsetzung der Gebühr für die Anwendung unmittelbaren Zwangs (Fesselung) in Höhe von 59,00 EUR im beklagten Bescheid auf und änderte den Bescheid entsprechend ab. Sie beantragte im Übrigen,
die Klage abzuweisen.
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Mit Kammerbeschluss vom 3. September 2021 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
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Mit Beschluss des Einzelrichters vom 27. September 2021 wurde der Prozesskostenhilfeantrag des Klägers abgelehnt.
12
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte sowie für den Gang der am 28. September 2021 stattgefundenen mündlichen Verhandlung auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Über die Klage konnte trotz Ausbleibens des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 28. September 2021 verhandelt und hierauf gestützt eine Entscheidung getroffen werden, denn die form- und fristgerecht erfolgte Ladung zum Termin der mündlichen Verhandlung enthielt den Hinweis nach § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Das persönliche Erscheinen des Klägers war nicht angeordnet worden, so dass es ihr freistand, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen oder dieser fernzubleiben.
14
Als unschädlich erweist sich auch der Umstand, dass der Kläger mangels Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung keinen Klageantrag gestellt hat (vgl. § 103 Abs. 3 VwGO). Dies führt im vorliegenden Fall bei verständiger Würdigung des bisherigen klägerischen Vortrags aus den vorbereitenden Schriftsätzen dazu, dass das Klageziel vom Gericht herauszuarbeiten und ein sinngemäß gestellter Antrag der Prozesslage zugrunde zu legen ist (Riese, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsgerichtsordnung, 40. EL Februar 2021, VwGO § 103 Rn. 49; Dolderer, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, VwGO § 103 Rn. 44, 46). Ein Fall der ausdrücklichen Verweigerung der Antragstellung, der ausnahmsweise zur Unzulässigkeit der Klage führt, liegt hier nicht vor.
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Bei verständiger Würdigung des Vorbringens des Klägers (§ 88 VwGO) ist sein Klagebegehren also dahingehend auszulegen, dass er die Aufhebung des Kostenbescheids des Polizeipräsidiums … vom 1. September 2020 begehrt. Dem gegenüber kommt dem „Antrag“, dem Beklagten aufzugeben, zu prüfen, „ob die Verursacherin dieses Zustands für die entstandenen Kosten in Anspruch genommen werden kann“ keine eigenständige prozessuale Bedeutung zu.
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1. Die so verstandene Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Halbs. 1 VwGO) statthaft. Insbesondere handelt es sich bei dem mit „Kostenrechnung“ überschriebenen, streitgegenständlichen Schreiben des Polizeipräsidiums … vom 1. September 2020 um einen Bescheid im Sinne des Art. 35 BayVwVfG. Jedoch ist zum Schluss der mündlichen Verhandlung die Klage nur noch teilweise zulässig.
17
Soweit der Beklagte dem Anfechtungsbegehren des Klägers in der mündlichen Verhandlung abgeholfen hat, indem die Beklagtenvertreterin die Festsetzung der Gebühr für die Anwendung unmittelbaren Zwangs aufgehoben und den Bescheid entsprechend abgeändert hat, erweist sich die Klage in diesem Punkt als unzulässig. Ihr fehlt das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, was das Gericht von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu berücksichtigen hat, da es sich um eine Sachurteilsvoraussetzung handelt (VG Ansbach, U.v. 15.12.2006 - AN 14 K 05.03196, BeckRS 2006, 30205). Da der Kläger mangels Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung auf diese neue prozessuale Lage nicht reagieren konnte, ist seine Klage teilweise unzulässig geworden und war entsprechend ohne Sachprüfung abzuweisen.
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Im Übrigen ist die Klage zulässig erhoben worden und erweist sich auch noch im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung als zulässig.
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2. Die Klage ist jedoch im zulässigen Umfang unbegründet, denn der Kostenbescheid des Beklagten ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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a) Der Gebührenbescheid leidet nicht schon an einem formellen Fehler. Anhaltspunkte dafür, dass die nach Art. 28 BayVwVfG vor Erlass eines belastenden Verwaltungsakts gebotene Anhörung des Betroffenen vorliegend nicht stattgefunden hätte, sind aus der Behördenakte heraus nicht ersichtlich. Dort findet sich ein mit Anhörung überschriebenes Schreiben des Polizeipräsidiums … vom 14. August 2020, worin dem Kläger die beabsichtigte Inrechnungstellung der Kosten für den Polizeieinsatz am 23. Juli 2020 unter kurzer Darlegung der Sachlage und der kostenrechtlichen Rechtsgrundlagen angekündigt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden war. Damit ist dem Anhörungserfordernis Genüge getan.
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Soweit der Kläger rügt, er sei nicht angehört worden, da ihm ein Anhörungsschreiben nicht erreicht habe, ist ihm zwar zuzugestehen, dass die Behörde die Darlegungslast dafür trägt, dass sie den Kläger vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids ordnungsgemäß angehört hat oder ein Fall vorliegt, bei dem die Anhörung ausnahmsweise entbehrlich war. Die Anhörung kann dabei grundsätzlich formfrei erfolgen, weshalb es der Zustellung eines förmlichen Anhörungsschreibens an den Kläger nicht bedurfte (Schneider, in: Schoch/Schneider VwVfG, Grundwerk Juli 2020, VwVfG § 28 Rn. 39). Die Behörde trägt bei einer Übersendung eines Anhörungsschreibens mit einfachem Brief, wie dies hier ausweislich der Behördenakte geschehen ist, das Risiko, dass das Anhörungsschreiben dem Betroffenen auch zugeht. Ob dem Beklagten dabei - in Anlehnung an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zur Anhörung in einem Verwaltungsverfahren zu verkehrsrechtlichen Maßnahmen (vgl. etwa: VG Bayreuth, B.v. 7.5.2018 - 1 S 18.174 - BeckRS 2018, 26916 Rn. 37 m.w.N.) - ein Beweis des ersten Anscheins zukommt, wenn in der Behördenakte der Versand des Anhörungsschreibens dokumentiert ist, dieses keine Adressierungsfehler aufweist, ein Postrücklauf nicht zu verzeichnen ist und der Betroffene seinerseits keine Anhaltspunkte für eine atypische Fallgestaltung des Postlaufs aufzeigt, kann jedoch dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls wäre ein Anhörungsmangel im vorliegenden Verwaltungsstreitverfahren geheilt worden.
22
Ein Verstoß gegen Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG kann nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG durch Nachholung der Anhörung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens geheilt werden. Eine Heilung tritt ein, wenn die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Eine funktionsgerecht nachgeholte Anhörung setzt voraus, dass sich die Behörde nicht darauf beschränkt, die einmal getroffene Sachentscheidung zu verteidigen, sondern das Vorbringen des Betroffenen erkennbar zum Anlass nimmt, die Entscheidung kritisch zu überdenken (vgl. BVerwG, U.v. 17.12.2015 - 7 C 5.14 - BVerwGE 153, 367; BayVGH, B.v. 27.7.2021 - 1 CS 21.153 - BeckRS 2021, 22477 Rn. 9). Dies ist hier im vorbereitenden Verfahren in ausreichender Weise geschehen. Zwar hat der Beklagte keinen Klageerwiderungsschriftsatz zur Gerichtsakte gereicht, in welchem er sich mit dem klägerischen Vorbringen auseinandersetzt. Der Beklagte hat jedoch auf einen Vorschlag des Gerichts zur Güte unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens und der durch das Gericht aufgezeigten Aktenlage dahingehend reagiert, dass er den Kläger um Vorlage eines ärztlichen Attestes über den Gesundheitszustand des Klägers am Tag der polizeilichen Maßnahme bat und zumindest konkludent zu verstehen gab, dass er den Sachverhalt nach Vorlage eines solchen Attestes noch einmal einer Bewertung unterziehen werde. Damit hat sich der Beklagte nicht allein darauf zurückgezogen, seinen Kostenbescheid zu verteidigen, sondern das Vorbringen des Klägers aufgriffen und ein Überdenken der Kostenfestsetzung real in Aussicht gestellt. Damit wurde dem Anhörungserfordernis hinreichend auch noch im gerichtlichen Verfahren Rechnung getragen.
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Im Übrigen handelt es sich bei der Erhebung der Gebühren für einen Polizeieinsatz unter Berücksichtigung der spezialrechtlichen Kostenregelungen im Polizeiaufgabengesetz (PAG) und im Bayerischen Kostengesetz (KG) um gebundene Entscheidungen (vgl. auch: BayVGH, B.v. 28.6.2019 - 10 C 18.375 - BeckRS 2019, 15094 Rn. 5), was dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 c) KG und des Art. 75 Abs. 3 Satz 1 PAG zu entnehmen ist. Für gebundene Entscheidungen besteht jedoch im Hinblick auf das Formerfordernis einer Anhörung im Verwaltungsverfahren die Möglichkeit, dass ein diesbezüglicher Fehler gemäß Art. 46 BayVwVfG unbeachtlich wird. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach Art. 44 BayVwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. So verhält es sich hier. Da der Kläger bislang seinen Vortrag, er sei am Tag des Polizeieinsatzes tatsächlich in einem psychischen Ausnahmezustand gewesen, nicht weiter plausibilisiert hat und die dienstliche Stellungnahme des beim Polizeieinsatz anwesenden Beamten POM … klar in eine Missbrauchsrichtung des Notrufs durch den Kläger weist, ist eine anderweitige Entscheidung des Beklagten im Hinblick auf die Erhebung einer Gebühr wegen eines Fehlalarms ausgeschlossen.
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b) Der Kostenbescheid, soweit er noch Bestand hat, ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.
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Der Beklagte stützt die Erhebung der Gebühr wegen Vortäuschens einer Gefahr auf Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 Buchst. c) KG. Nach dieser Bestimmung gilt die grundsätzliche Kostenfreiheit für Amtshandlungen, die die Polizei zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach Art. 2 PAG vornimmt, nicht, soweit ein Einsatz der Polizei durch eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Falschalarmierung oder eine vorgetäuschte Gefahr oder Straftat veranlasst wurde. Weiter führt der Beklagte im Kostenbescheid als Rechtsgrundlage für die Gebührenerhebung Art. 1 und 2 KG an. Danach erheben die Behörden des Freistaats Bayern für Tätigkeiten, die sie in Ausübung hoheitlicher Gewalt vornehmen, Kosten. Zur Zahlung der Kosten ist verpflichtet, wer die Amtshandlung veranlasst hat.
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Die Kostenpflicht nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 Buchst. c) KG setzt in beiden Tatbestandsalternativen - vorsätzlicher Falschalarm bzw. vorgetäuschte Gefahr oder Straftat - voraus, dass bei der für die Kostenpflichtigkeit maßgeblichen ex-post-Betrachtung objektiv kein Grund für ein polizeiliches Einschreiten vorgelegen hat (BayVGH, B.v. 19.2.2020 - 10 ZB 20.11 - BeckRS 2020, 4500 Rn. 5). Das war hier der Fall. Der dienstlichen Stellungnahme des am Einsatzgeschehen beteiligten Polizeibeamten …, an deren Richtigkeit das Gericht keinen Anlass zu Zweifeln hat, ist klar zu entnehmen, dass der Kläger sich telefonisch bei der Polizei gemeldet und angegeben hatte, er werde sich umbringen. Die daraufhin zur Wohnung des Klägers beorderten Polizeibeamten konnten den Kläger persönlich antreffen und nahmen zwar eine Alkoholisierung, jedoch keine weitergehenden Ausfallerscheinungen, etwa eine Verwirrtheit wahr. Der Kläger konnte sich deutlich artikulieren und wies keine Anzeichen einer geistigen Beeinträchtigung auf. Zwar kann nicht gleichsam unterstellt werden, die vor Ort anwesenden Polizeibeamten verfügten über zureichende medizinische Fachkenntnisse, eine bestehende Suizidalität beim Kläger sicher auszuschließen. Jedoch war der Kläger ausweislich der Stellungnahme des Polizeibeamten … bereits durch vorangehende Polizeieinsätze bekannt, wobei jedes Mal eine Alkoholisierung aufgefallen war. Anhaltspunkte für ein früheres suizidales Verhalten des Klägers hat der Beamte … in seiner Stellungnahme nicht benannt und hat auch der Kläger nicht vorgetragen. Im weiteren Geschehensgang hat der Kläger dann aber gegenüber den anwesenden Polizeibeamten geäußert, dass er die Suizidabsicht nur vorgetäuscht habe. Es sei ihm darauf angekommen, dass die Polizei ihn aufsuche, um ihm einen Fahrdienst zu einem Arzttermin zu organisieren, wie dies letztlich ja auch geschehen ist. Zum Zeitpunkt des Polizeieinsatzes ergab sich daher für die Beamten keine Anhaltspunkte für eine tatsächlich bestehende Gefahrenlage für den Kläger, sei es aufgrund einer suizidalen Absicht oder aufgrund einer Verwirrtheit oder ähnlicher Umstände. Insoweit geht der Vortrag des Klägers im Klageschriftsatz, die Polizeibeamten hätten einen Zustand der Unzurechnungsfähigkeit bei ihm erkennen müssen, fehl. Es ist auch unerheblich, ob dem Kläger gegen sein Wissen und Wollen Medikamente verabreicht wurden, die ausweislich - nicht näher bezeichneter - Untersuchungen zu Suizidgedanken, Aggression und Stimmungsschwankungen führen können, da beim Kläger jedenfalls eine konkrete Gefahrenlage für seine Gesundheit oder sein Leben durch die eingesetzten Beamten nicht wahrnehmbar war. Das Bestehen einer solchen Gefahrenlage hat der Kläger auch im gerichtlichen Verfahren nicht plausibilisiert. Aus der von ihm vorgelegten ärztlichen Bescheinigung über eine ambulante Behandlung im Klinikum … am Tag vor dem Polizeieinsatz folgt eine solche Gefahr gerade nicht, obgleich ihm nach seiner Aussage die Tabletten bereits im Zeitraum vom 19. bis 21. Juli 2020 verabreicht worden sein mussten. In dem vorgelegten Attest wird ebenfalls festgehalten, dass der Kläger orientiert gewesen sei, ein stabiles Gangbild aufgewiesen habe und keine Anzeichen für eine Eigen- oder Fremdgefährdung erkennbar gewesen seien. Da der Kläger - von ihm unwidersprochen - überdies am Tag des Polizeieinsatzes sich auch noch in ärztliche Behandlung begeben hatte, hätte es seiner aus § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO folgenden Mitwirkungsobliegenheit oblegen, entsprechende ärztliche Unterlagen über das Ergebnis dieser Behandlung vorzulegen bzw. dazu näher vorzutragen. Da dies trotz Einräumung einer Gelegenheit im gerichtlichen Verfahren nicht erfolgt ist, musste sich das Gericht auch zu keiner weitergehenden Ermittlung und ggf. Beweisaufnahme im Hinblick auf den psychischen Zustand des Klägers am Tag des Polizeieinsatzes gedrängt sehen. Den Vortrag des Klägers im Klageschriftsatz, er könne sich an das Einsatzgeschehen nicht mehr deutlich erinnern, wertet das Gericht als Schutzbehauptung. Objektiv betrachtet ergibt die Gesamtschau der bekannten Umstände, dass eine Gefahrenlage, die einen Polizeieinsatz notwendig machte, nicht vorgelegen hatte.
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Das Gericht ist aufgrund der vom Kläger gegenüber den anwesenden Polizeibeamten getätigten Äußerung, er habe die Suizidgefahr nur vorgespielt, von einer bewussten Falschalarmierung überzeugt (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO). Die Voraussetzungen für die Kostentragungspflicht des Klägers sind damit gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 Buchst. c) Alt. 1, Alt. 2 KG gegeben. Er hat zudem die Amtshandlung veranlasst und ist damit nach allgemeinen kostenrechtlichen Grundsätzen zur Kostentragung verpflichtet. Auf die Frage, ob ihm durch seine Ex-Partnerin ohne sein Wissen und Wollen Tabletten eingegeben wurden, die zumindest zu einem Grad an Aggression und Verhaltensschwankungen geführt haben, kommt es auch unter dem Gesichtspunkt des kostenrechtlichen Verursacherprinzips nicht an, denn es fehlt jedenfalls an einem kausalen Zusammenhang zwischen der verursachten Amtshandlung (Polizeieinsatz wegen angekündigtem Suizid) und der Tabletteneingabe, sofern diese als wahr unterstellt wird. Der Polizeieinsatz ist kausal auf die vom Kläger wahrheitswidrige und bewusste telefonische Ankündigung eines Suizids veranlasst worden, was einen möglichen vorhergehenden Kausalverlauf derart unterbricht, dass die Amtshandlung allein dem Kläger zurechenbar ist.
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Einwendungen bezüglich der Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Amtshandlung (s. Art. 16 Abs. 5 KG), der Gebührenbemessung und der Kostenhöhe hat der Kläger nicht erhoben; die Gebührenfestsetzung begegnet aber auch sonst keinen rechtlichen Bedenken. Der Beklagte hat im streitgegenständlichen Bescheid auf die zutreffenden Einzelvorschriften zur Kostenhöhe verwiesen. Gründe für ein Absehen von der Erhebung der Kosten aus Gründen der Billigkeit gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 Satz 3 KG sind ebenfalls nicht ersichtlich.
29
Die Klage war daher insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.