Titel:
Klage auf Erteilung einer isolierten Befreiung von örtlichen Bauvorschriften für eine Gartenmauer
Normenketten:
BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 10, § 31 Abs. 2
BayBO Art. 63, Art. 81 Abs. 1 Nr. 5
VwGO § 116 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Wiedereröffnung einer mündlichen Verhandlung ist ausgeschlossen, wenn die unterschriebene Urteilsformel gemäß § 116 Abs. 2 VwGO bereits der Geschäftsstelle übermittelt worden ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Teilunwirksamkeit von örtlichen Bauvorschriften wegen Funktionslosigkeit. (Rn. 30 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch einzelne Festsetzungen des Bebauungsplans können Grundzüge der Planung betreffen, also Teil des planerischen Konzepts sein, das den Festsetzungen des Bebauungsplans auch in seinen Einzelheiten zu Grunde liegt. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
(Funktionslosigkeit) Bebauungsplan, Isolierte Befreiung, Einfriedung (Gartenmauer), örtlichen Bauvorschrift, Grundzüge der Planung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 56957
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer isolierten Befreiung wegen der Höhe und Art der Gestaltung sowie Situierung einer Einfriedung in Form einer Gartenmauer.
2
Das Grundstück des Klägers, FlNr. …, Gemarkung T. …, liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 11b „… … - südlich … …“, der u.a. folgende Festsetzungen enthält:
4
4.1 Innerhalb der Sichtdreiecke ist jede Art von Bebauung und Bepflanzung sowie Ablagerungen von Gegenständen über 1,0 m Höhe, gemessen von der Straßenoberkante in der Fahrbahnmitte, unzulässig. Ausgenommen hiervon sind hochstämmige in Sichthöhe unbelaubte Bäume mit einem Astansatz von 2,50 m über Fahrbahnmitte.
5
6. Art, Gestaltung und Höhe von Einfriedungen
6
6.1 Als Einfriedung sind Maschendrahtzaun mit grünem Plastiküberzug an eisernen Rundrohrstützen, hölzener Staketenzaun und Holzzäune mit waagrechter Brettanordnung mit hinterpflanzter Hecke zulässig. Die Einfriedung ist straßenzugsweise einheitlich zu gestalten. Einfriedungshöhe mx. 0,80 m über Geländeoberkante, bemessen von der Mitte der jeweils zuzuordnenden Verkehrsfläche.“
7
Unter dem 1. August 2018 stellte der Kläger einen Antrag auf isolierte Befreiung mit dem Betreff „Errichtung einer Gartenmauer“. Begehrt wurde in diesem Zusammenhang eine weiß verputzte Steinmauer mit dunkelbraunen Dachreitern entlang der nördlichen und östlichen Grundstücksgrenze (Höhe ca. 1,80 m, ca. 20 cm dick). Auf die Darstellungen (Lageplan, Fotos) in der Behördenakte wird Bezug genommen.
8
Am 18. September 2018 wurde der Antrag in der Gemeinderatssitzung als Befreiungsantrag von den Festsetzungen Nr. 4.1. und 6.1 des Bebauungsplans Nr. 11b „… … - südlich … …“ behandelt. Der Antrag fand dort keine Zustimmung. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die beantragte Steinmauer mit einer Länge von ca. 30 m und einer Höhe von 1,80 m den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 6.1. widerspreche. Zudem befinde sich die geplante Mauer innerhalb des festgesetzten Sichtdreiecks und widerspreche deshalb zudem Nr. 4.1. des maßgeblichen Bebauungsplans. Eine Befreiung von den Festsetzungen sei bisher bei vergleichbaren Vorhaben nicht erfolgt und im Übrigen aufgrund der berührten Grundzüge der Planung auch nicht möglich. Bei der geplanten Gartenmauer handle es sich um eine blickdichte, hohe und massive Einfriedung, die aufgrund ihrer Größe das Ortsbild erheblich beeinflussen würde. Ziel der Festsetzung im Bebauungsplan hinsichtlich Art, Material und Höhe von Einfriedungen sei es, eine offene, lichtdurchlässige, sockellose und durchgrünte Abgrenzung zu den Nachbargrundstücken und öffentlichen Verkehrsflächen zu schaffen. Aufgrund der Höhe und Massivität der geplanten Gartenmauer sei die Einsehbarkeit im Kreuzungsbereich H.weg/ …ring erheblich beeinträchtigt. Aus städtebaulichen und verkehrssicherheitsrechtlichen Gründen sei der Antrag abzulehnen.
9
Mit Schreiben vom 21. September 2018 wurde der Kläger zur beabsichtigten Ablehnung angehört.
10
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2018 teilte der Klägerbevollmächtigte mit, dass der Kläger mit seinem Antrag primär einen Sichtschutz für sein Grundstück verfolge. Dies könne auch durch eine Holzblende von 1,80 m erreicht werden. Derartige Einfriedungen seien in dem maßgeblichen Gebiet auch nicht fremd. Eine solche befände sich auf dem Eckgrundstück …ring/ … straße und sei von der Gemeinde bereits genehmigt worden. Sollten Bedenken gegen diese Art der Einfriedung bestehen, werde alternativ die Errichtung einer Grenzmauer mit einer Höhe von 1,60 m beantragt und eine Abdeckung mit Mönchs-Nonnenplatten wie in der Nachbargemeinde G. … häufig verwendet vorgeschlagen.
11
Mit Schreiben vom 31. Oktober 2018 wies die Beklagte auf ihre bereits erfolgte Entscheidung und deren abschließenden Charakter hin und hörte erneut zur Ablehnung an.
12
Mit Bescheid vom 20. November 2018 lehnte die Beklagte die Erteilung der beantragten isolierten Befreiung zur Errichtung einer Gartenmauer auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung T. … ab.
13
Das Baugrundstück befinde sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 11b „… … - südlich … …“. Dieser schränke die Zulässigkeit der Errichtung der Einfriedung dahingehend ein, dass Art, Gestaltung und Höhe von Einfriedungen für das o.g. Grundstück festgesetzt sind. Im Übrigen sei nach dem Bebauungsplan festgelegt, dass eine Einfriedung innerhalb der festgesetzten Sichtdreiecke unzulässig sei. Das betreffende Gebiet sei überwiegend entsprechend der Festsetzungen des Bebauungsplans bebaut. Abweichende Bebauung in einem Umfang, die den Bebauungsplan obsolet werden lasse, sei nicht vorhanden. Mit Blick auf die beantragte Befreiung würden die Grundzüge der Planung berührt. Planerische Konzeption sei es vorliegend gewesen durch die Festsetzung zur Art, Gestaltung und Höhe von Einfriedungen eine offene, lichtdurchlässige, sockellose und durchgrünte Abgrenzung zu Nachbargrundstücken und öffentlichen Verkehrsflächen zu schaffen und im gesamten Geltungsbereich des Bebauungsplans ein einheitliches Erscheinungsbild zu gewährleisten. Darüber hinaus werde im konkreten Fall durch die Situierung innerhalb der festgesetzten Sichtdreiecke die Verkehrssicherheit beeinträchtigt. Gründe des Wohls der Allgemeinheit seien im Übrigen nicht geltend gemacht worden. Die Abweichung sei zudem nicht städtebaulich vertretbar. Eine offenbar nicht beabsichtigte Härte mit Blick auf den Antragsteller liege ebenfalls nicht vor. Auf die Ausführungen im Bescheid wird Bezug genommen.
14
Mit Schreiben vom 27. November 2018, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 28. November 2018, ließ der Kläger Klage erheben und beantragt zuletzt,
15
Die Beklagte wird verpflichtet, eine Gartenmauer in Höhe von 1,80 m zu genehmigen.
16
Der Klägerbevollmächtigte führt im Wesentlichen aus, dass der Kläger eine isolierte Befreiung für eine Gartenmauer in Höhe von 1,80 m begehre. Gegenwärtig befinde sich an dieser Stelle aktuell eine Zypressenhecke mit einer Höhe von ca. 2 m und einer Länge von ca. 35 m. Die Hecke solle nun aufgrund des aufwendigen Pflegebedarfs u.a. ersetzt werden. Auch diese Hecke sei nach den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht zulässig, sei in den letzten Jahrzehnten jedoch nie beanstandet worden. Eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans mit Blick auf die nun geplante Gartenmauer sei schon deshalb zu erteilen, weil der maßgebliche Bebauungsplan aus der Zeit der 80er Jahre stamme und von der Beklagten nicht (mehr) vollzogen werde. Die Festsetzungen des Bebauungsplans könnten keine Verbindlichkeit mehr beanspruchen, weshalb auch für die Gartenmauer keine isolierte Befreiung unter Berücksichtigung des Bebauungsplans erteilt werden müsse bzw. eine solche mit der angestellten Begründung abgelehnt werden könne. Die Bebauung der Siedlung … … sei aufgrund eines Bebauungsplanentwurf aus den 70er Jahren erfolgt, der das gesamte Baugebiet „… …“ mit ca. 4.000 Wohneinheiten überplante. Dieser Gesamtbebauungsplan sei aufgehoben worden und in Teilbebauungspläne aufgegliedert worden, welche zu einer Reduzierung der Wohneinheiten und zur restriktiven Einschränkung der Festsetzungen geführt hätten. Im Geltungsbereich der Teilbebauungspläne, welche sämtlich die gleichen Festsetzungen hätten, seien im Übrigen hunderte von sog. Carports und Gartenhäuser errichtet worden, obgleich alle diese Anlagen baurechtlich nicht zulässig seien. Ein Einschreiten der Beklagten sei nicht erfolgt. Die Festsetzungen seien in den letzten 37 Jahren immer weniger beachtet worden. Auf dem Grundstück … sei zudem ein 2. Wohnhaus genehmigt worden, obgleich in der zeichnerischen Festsetzung ein Einfamilienhaus dargestellt wurde. Was das festgesetzte Sichtdreieck anbelange, so sei davon auszugehen, dass die Situation durch die Gartenmauer besser werde als sie aktuell mit Blick auf die bestehende Zypressenhecke sei. Die Festsetzungen des Bebauungsplans seien ohnehin nicht mehr anwendbar. Im Übrigen seien Gartenmauern im Geltungsbereich des Bebauungsplans nicht unüblich. Eine solche befinde sich beispielsweise am M. H.weg sowie auf dem Grundstück Ecke L.i* …ring/B. … straße. Auch das Landratsamt kümmere sich nicht um den Vollzug des Bebauungsplanes. Auf den Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 12. Februar 2019 und 10. April 2019 wird im Übrigen Bezug genommen.
17
Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 19. März 2019 ließ die Beklagte
19
beantragen. Es wurde im Wesentlichen auf den ablehnenden Bescheid verwiesen und im Übrigen ausgeführt, dass die angeführten angeblichen Beispielsfälle nicht mehr im Umgriff des maßgeblichen Bebauungsplans zu liegen kommen würden, auch wenn zuzugestehen sei, dass die Zuordnung der genannten Vergleichsfälle aufgrund der unkonkreten Bezeichnung schwierig sei. Ohnehin würden zwei Bezugsfälle bei der Größe des Umgriffs des Bebauungsplangebietes nicht zu der Funktionslosigkeit der Festsetzung in Ziffer 6.1. führen. Diese Festsetzung beanspruche nach wie vor Gültigkeit nachdem sie umgesetzt und eingehalten sei. Der Beklagten seien im Übrigen Vergleichsfälle, die bauaufsichtlich oder im Wege einer isolierten Befreiung genehmigt worden seien, nicht bekannt. Ungenehmigte Verstöße würden stets zur Anzeige gebracht und um bauaufsichtliches Einschreiten gebeten. Auf den Schriftsatz vom 19. März 2019 wird im Übrigen Bezug genommen.
20
Das Gericht hat am 3. November 2021 Beweis über die örtlichen Verhältnisse durch Einnahme eines Augenscheins erhoben und anschließend die mündliche Verhandlung durchgeführt. Bezüglich der beim Augenschein getroffenen Feststellungen wird auf die Niederschrift Bezug genommen.
21
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorgelegte Behördenakte, die Gerichtsakte sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
22
Das Gericht konnte trotz des Antrags des Klägerbevollmächtigten auf Fortsetzung der mündlichen Verhandlung vom 4. November 2021, eingegangen bei Gericht am 5. November 2021 über das streitgegenständliche Verfahren entscheiden. Denn der Antrag auf Fortsetzung der mündlichen Verhandlung ging nach Niederlegung des Urteilstenors in der Geschäftsstelle bei Gericht ein. Die Wiedereröffnung ist jedoch ausgeschlossen, wenn die unterschriebene Urteilsformel gemäß § 116 Abs. 2 VwGO bereits der Geschäftsstelle übermittelt worden ist. Überdies wurde der Urteilstenor auf fernmündliche Abfrage hin den Beklagtenbevollmächtigten am 4. November 2021 mitgeteilt. Das Gericht ist spätestens ab diesem Zeitpunkt an seine Entscheidung gebunden (§ 318 ZPO) (Ortloff in: Schoch/Schneider/Ortloff, VwGO § 104 Rn. 72, 41. EL Juli 202; BayVGH vom 24.7.1998, BayVBl 1998, 733; Brünung in: beckOK VwGO, Posser/Wolff, § 104 Rn. 17, Stand: 01.04.2021; BayVGH, B.v. 2.12.1996 - 19 B 95.629). Zum anderen hat das Gericht entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten den Sachverhalt ausreichend ermittelt und ist die Angelegenheit entscheidungsreif.
23
Die Klage hat keinen Erfolg. Die Verpflichtungsklage auf Erteilung der isolierten Befreiung von den Festsetzungen Nr. 4.1 und 6.1 des Bebauungsplans für eine 1,80 m hohe Gartenmauer ist zulässig aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Befreiung, § 113 Abs. 5 VwGO, § 31 Abs. 2 BauGB. Der Bescheid der Beklagten vom 20. November 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
24
Eine Befreiung ist erforderlich. Die Voraussetzungen für eine Befreiung von den Festsetzungen Nr. 4.1 und 6.1. des Bebauungsplans liegen jedoch nicht vor.
25
1. Die Errichtung der Einfriedung bzw. der Gartenmauer in einer Höhe von 1,80 m ist verfahrensfrei gemäß Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 lit. a) BayBO. Sie steht jedoch mit den Festsetzungen des für diesen Bereich maßgeblichen Bebauungsplans Nr. 11b „… … - südlich … …“ und dessen Nr. 4.1 (Bauverbot innerhalb der Sichtdreiecke über 1 m Höhe) nicht in Einklang; ebenso nicht mit 6.1 Satz 1, da die Gartenmauer nicht der dort festgesetzten Art und Gestaltung der Einfriedung entspricht.
26
Gemäß Art. 63 Abs. 3 Satz 1 BayBO ist im Falle eines verfahrensfreien Vorhabens für die dann erforderliche isolierte Befreiung die Gemeinde zuständig.
27
a. Rechtsgrundlage für die Erteilung einer isolierten Befreiung von 6.1 der Festsetzung des Bebauungsplans ist im vorliegenden Fall § 31 Abs. 2 BauGB, der auf örtliche Bauvorschriften im Bebauungsplan entsprechend anwendbar ist (Art. 81 Abs. 2 Satz 2 BayBO). Der Erlass der örtlichen Bauvorschrift durch Bebauungsplan beruht auf § 9 Abs. 4 BauGB, Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 und 5 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 und 2 BayBO.
28
Soweit die Klagepartei vorbringt aufgrund von Bezugsfällen und von den Festsetzungen des Bebauungsplanes abweichender Bebauung seien die Satzungsbestimmungen zu den Einfriedungen bzw. die gesamten Satzungsbestimmungen nachträglich funktionslos geworden, verhilft dieser Vortrag der Klage nicht zum Erfolg.
29
Wollte man aus den von der Klagepartei genannten Bezugsfällen und der vorgetragenen Situation vor Ort ableiten, dass die Satzungsbestimmungen zu den Einfriedungen nachträglich funktionslos geworden sind, so bestünde der mit der Klage geltend gemachte Anspruch schon allein deshalb nicht, weil von einer funktionslos gewordenen Bestimmung keine Befreiung erteilt werden kann. Ebenso wenig kann eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über Erteilung derselben beansprucht werden.
30
Im Übrigen bestehen keine Zweifel an der Wirksamkeit der maßgeblichen Festsetzungen des Bebauungsplans. Die grundsätzliche Zulässigkeit örtlicher Bauvorschriften über Notwendigkeit oder Verbot und über Art, Gestaltung und Höhe von Einfriedungen ergibt sich aus Art. 81 Abs. 1 Nr. 5 BayBO. Hiernach können bestimmte Arten von Einfriedungen getroffen werden. Regelungen über Einfriedungen kommen aus bausicherheitsrechtlichen oder aus Gesichtspunkten der Baugestaltung und des Schutzes des Straßen-, Orts- und Landschaftsbildes in Betracht. Überdies sind nach Auffassung der Kammer und unter Berücksichtigung der Aktenlage sowie des Ergebnisses des Augenscheins am 3. November 2021 die Festsetzungen in Nr. 6.1 des Bebauungsplans Nr. 11b nach wie vor in Kraft, diese mithin nicht, wie der Klägerbevollmächtigte meint, zwischenzeitlich funktionslos geworden. Zwar kommt das Gericht unter Berücksichtigung des Ergebnisses des Augenscheins zu dem Ergebnis, dass die Festsetzung in Nr. 6.1 Satz 3 mit Blick auf die zulässige Höhe der Einfriedung (0,80 m) funktionslos geworden und damit nicht mehr maßgeblich sein dürfte. Ungeachtet dessen, dass 0,80 m als Höhe für Einfriedungen insgesamt nicht praxistauglich erscheint konnte sich das Gericht sodann auch im Rahmen des Augenscheins davon überzeugen, dass die bisherige gelebte Praxis und die vorhandenen Einfriedungen die vorgegebene Höhe weit überwiegend nicht einhalten. Die Festsetzung mit Blick auf die Höhe der Einfriedung erscheint somit tatsächlich überholt und Nr. 6.1 insoweit funktionslos. Die Festsetzungen in Nr. 6 sind insofern auch teilbar. Die übrigen Vorgaben in Nr. 6.1. Satz 1 und 2 erachtet das Gericht unter Berücksichtigung der Verhältnisse vor Ort und den vorgelegten Unterlagen allerdings für wirksam und nach wie vor umsetzbar. Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten ist von einer Funktionslosigkeit dieser Festsetzung nicht auszugehen. Die maßgebliche Umgebung innerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans weist weit überwiegend Einfriedungen entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 11b Nr. 6.1. Satz 1 und 2 auf. Anhaltspunkte dafür, dass sich die bauliche Entwicklung mit Blick auf die Festsetzung in Nr. 6.1. Satz 1 und Satz 2 in einem solchen Maße abweichend von dem normativen planerischen Programm vollzogen hat, dass dessen Realisierung offensichtlich als auf absehbare Zeit ausgeschlossen angesehen werden muss, sind nicht ersichtlich. Die seitens des Klägerbevollmächtigten vorgebrachten Bezugsfälle liegen, soweit die Angaben für das Gericht überhaupt verifizierbar waren, allesamt außerhalb des Bebauungsplans Nr. 11b „… …-südlich … …“ und können damit nicht herangezogen werden. Im Übrigen hat der Beklagte erklärt, dass bisher keinerlei Befreiungen von den in Rede stehenden Festsetzungen des Bebauungsplans erteilt wurden und im Falle der Kenntnis abweichender Vorhaben diese umgehend zur Anzeige gebracht würden. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, an diesen Ausführungen zu zweifeln. Insofern wurde auch nicht substantiiert vorgetragen. Dass eine andere Sachlage vorliegen könnte war für das Gericht im Rahmen des Augenscheins und unter Berücksichtigung der Aktenlage im Übrigen auch nicht ersichtlich. Dass die Teilbebauungspläne, innerhalb derer die vorgetragenen Bezugsfälle liegen, die gleichen textlichen Festsetzungen aufweisen, ändert an dem gefundenen Ergebnis nichts. Maßgeblich für etwaige Bezugsfälle ist allein die Lage innerhalb des konkreten Bebauungsplans, in dem das Bauvorhaben verwirklicht werden soll.
31
Für eine Gesamtunwirksamkeit bzw. Gesamtfunktionslosigkeit des Bebauungsplans bestehen ebenfalls keine Anhaltspunkte. Die seitens des Klägerbevollmächtigten angeführten Bespiele einer von den Planvorgaben abweichenden Bebauung sind zum einen schon nicht ausreichend substantiiert. Zum anderen ist nicht ersichtlich inwiefern die angeführten Beispiele, deren Existenz unterstellt, zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 11b „… …-südlich … …“ führen sollten. Der Umstand, dass, wie der Klägerbevollmächtigte meint, für einzelne Grundstücke eine Genehmigung für ein zweites Wohnhaus erteilt worden ist, reicht für eine Gesamtfunktionslosigkeit und die Annahme, dass der Bebauungsplan eine den Anforderungen des § 1 BauGB gerecht werdende, sinnvolle städtebauliche Ordnung nicht mehr bewirken kann, nicht aus. Selbst bei Wahrunterstellung der seitens des Klägerbevollmächtigten angeführten Umstände ist unter Berücksichtigung der Größe des Plangebiets keinesfalls ein derartiges Gewicht planabweichender Bebauung ersichtlich und erreicht, die die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit der maßgeblichen Festsetzungen in Nr. 6.1 Satz 1 und Satz 2 des Bebauungsplans Nr. 11b in Frage stellen könnte. Die Festsetzungen in Nr. 6.1 Satz 1 und Satz 2 sind mithin nach wie vor wirksam.
32
b. Die Voraussetzungen für eine Befreiung von den Festsetzungen in Nr. 6.1. Satz 1 und Satz 2 liegen nicht vor. Durch die beantragte Befreiung sind schon die Grundzüge der Planung des Bebauungsplans der Beklagten berührt.
33
Von den drei in § 31 Abs. 2 BauGB im Übrigen genannten Tatbeständen kommt darüber hinaus nur § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB - städtebauliche Vertretbarkeit der Abweichung - in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist städtebaulich vertretbar grundsätzlich alles, was Inhalt eines Bebauungsplans sein kann (z.B. BVerwG, B.v. 17.12.1998 - 4 C 16/97 - juris Rn. 36), wobei aber auf den konkreten Bebauungsplan und dessen planerische Konzeption abzustellen ist.
34
Dieser sehr weite Tatbestand erfordert, in diesen Fällen besonders sorgfältig zu prüfen, ob die Grundzüge der Planung berührt sind, weil diesem Prüfungspunkt hier eine besondere Bedeutung als Korrektiv zukommt.
35
Die Grundzüge der Planung bilden die den Festsetzungen des Bebauungsplans zugrundeliegende und in ihnen zum Ausdruck kommende planerische Konzeption (st. Rspr. BVerwG, z.B. B.v. 20.11.1989 - 4 B 163.89 - juris Rn. 18). Das gilt auch für Festsetzungen, die nicht für die Grundkonzeption des Bebauungsplans maßgeblich sind, denn auch diese können die Grundzüge der Planung bestimmen, wenn ihnen nämlich ein spezifisches planerisches Konzept zugrunde liegt. Es gilt auch für einzelne Festsetzungen. Denn auch sie können „die Planung tragende Festsetzungen“ sein (BVerwG, B. v. 5.3.1999 - 4 B 5.99), also Teil des planerischen Konzepts, das den Festsetzungen des Bebauungsplans auch in seinen Einzelheiten zu Grunde liegt. Durch das Erfordernis der Wahrung der Grundzüge der Planung stellt der Gesetzgeber sicher, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans nicht beliebig durch Verwaltungsakt außer Kraft gesetzt werden. Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um-)Planung möglich ist. Die Befreiung kann nicht als Vehikel dafür herhalten, die von der Gemeinde getroffene planerische Regelung beiseite zu schieben. Sie darf - jedenfalls von Festsetzungen, die für die Planung tragend sind - nicht aus Gründen erteilt werden, die sich in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle oder gar für alle von einer bestimmten Festsetzung betroffenen Grundstücke anführen ließen (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1999 - 4 B 5/99 - juris Rn. 5f.).
36
Genau das wäre jedoch vorliegend der Fall. Dem Bebauungsplan Nr. 11b kann entnommen werden, dass aus planerischen bzw. gestalterischen Erwägungen Einfriedungen im Plangebiet einheitlich zu gestalten sind und nur Maschendrahtzaun mit grünem Plastiküberzug an eisernen Rundrohstützen, hölzerne Staketenzaun und Holzzäune mit waagrechter Brettanordnung mit hinterpflanzter Hecke zulässig sind. Der Regelung bezüglich Art und Gestaltung von Einfriedungen kommt zweifellos tragende Bedeutung hinsichtlich des Planungskonzepts zu, da dies der einheitlichen Gestaltung des Straßen- und Ortsbildes aus städtebaulichen Gründen dient. Es soll erkennbar eine offene, lichtdurchlässige, sockellose und durchgrünte Abgrenzung zu Nachbargrundstücken und öffentlichen Verkehrsflächen sichergestellt werden. Dem würde die Zulassung der streitgegenständlichen 1,80 m hohen, massiven Mauer naturgemäß widersprechen. Darüber hinaus hätte ein Abrücken von dieser konzeptionellen einheitlichen Gestaltung und Anordnung im Einzelfall wegen der vergleichbaren städtebaulichen bzw. gestalterischen Situation auf mehreren Grundstücken im überplanten Bereich weitreichende Folgen. Eine Befreiung würde den vom Plan erfassten Regelfall außer Kraft setzen. Die Grundzüge der Planung würden berührt. Wegen der Vorbildwirkung für gleich gelagerte Fälle und wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes kommt daher eine Befreiung nicht in Betracht. Würde gerade auf dem klägerischen Grundstück eine Befreiung zur Errichtung der von den Festsetzungen in Nr. 6.1 Satz 1 und 2 in Art und Gestalt abweichenden Einfriedung erteilt, so gäbe es keinen Grund, entsprechende Anträge anderer Bauherren abzulehnen. Dies hat die Beklagte jedoch in der Vergangenheit durchweg getan. Dass hieran Zweifel bestehen könnten ist weder ersichtlich noch substantiiert und nachvollziehbar vorgetragen. Der Vortrag, dass die bisher bestehende Zypressenhecke sowohl in Gestalt als auch Höhe ebenfalls gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans verstößt und seit Jahrzenten unbeanstandet ist, ändert an dem gefundenen Ergebnis nichts. Der jahrzehntelange Bestand könnte allenfalls einen Vertrauensschutz seitens des Klägers auslösen, diese Hecke trotz Baurechtswidrigkeit nicht beseitigen zu müssen. Ein Anspruch auf isolierte Befreiung mit Blick auf ein neues Bauwerk/eine neue Einfriedung, welche erneut den Festsetzungen des Bebauungsplans widerspricht ergibt sich hieraus jedoch nicht. Die Gewährung einer Befreiung von den Festsetzungen in Nr. 6.1. Satz 1 und Satz 2 nach § 31 Abs. 2 BauGB ist also ausgeschlossen.
37
c. Eine Befreiung von der Festsetzung über die Freihaltung des Sichtdreiecks (aufgrund § 9 Abs. 1 Nr. 10 BauGB) in Nr. 4.1 des Bebauungsplans Nr. 11b „… …-südlich … …“, in dessen Geltungsbereich sich die beantragte Gartenmauer unstrittig befindet, scheidet ebenfalls aus. Mit Blick auf städtebauliche Gründe der Verkehrssicherheit sind bereits die Grundzüge der Planung berührt (vgl. in diesem Zusammenhang auch Gierke in: Brügelmann, § 9 Rn. 443). Die Beklagte hat innerhalb des Bebauungsplans Nr. 11b in den Einmündungsbereichen gezielt Sichtdreiecke festgesetzt. Für das Gericht ist unter Berücksichtigung des Ergebnisses des Augenscheins und der Verhältnisse vor Ort nicht ersichtlich, weshalb die festgesetzten Sichtdreiecke keine Gültigkeit mehr beanspruchen sollten. Insofern wurde auch nicht substantiiert vorgetragen. Unter Berücksichtigung des Ergebnisses des Augenscheins ist der Grund für die Festsetzung und das Bestehen der Sichtdreiecke nach wie vor gegeben und auch umsetzbar. Sowohl aus dem E. H.weg kommend auf den A. …ring abbiegend als auch umgekehrt sind Sichtdreiecke nötig, um einen unübersichtlichen Einmündungsbereich zu vermeiden. Im Rahmen des Augenscheins und der mündlichen Verhandlung vor Ort konnte sich die Kammer insofern ein realitätsgetreues Bild verschaffen, als dass zum Zeitpunkt der Sitzung ein Lastwagen von Süden über den A. …ring kommend in den E. H.weg eingebogen ist und - aufgrund der aktuell bestehenden Hecke im Sichtdreieck - die Beteiligten des Verfahrens, welche sich kurz nach dem Einmündungsbereich positioniert hatten, erst im Zeitpunkt des tatsächlichen Einbiegens in den E. H.weg erblickt werden konnten. Die Straßenlage ist ohne Berücksichtigung der Sichtdreiecke unübersichtlich und das der Festsetzung in Nr. 4.1. zugrundeliegende, der Verkehrssicherheit geschuldete städtebauliche Planungskonzept im Falle einer Befreiung mithin berührt. Darauf, dass sich die Situation im Falle einer Gartenmauer im Vergleich zu der aktuell bestehenden Zypressenhecke nach Meinung des Klägerbevollmächtigten verbessern würde, kommt es nicht an. Eine Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans scheidet ebenfalls aus (s.o.). Eine Befreiung ist somit auch mit Blick auf Nr. 4.1 des Bebauungsplans Nr. 11b „… … - südlich … …“ ausgeschlossen.
38
2. Der in dem gestellten Vornahmeantrag als Minus enthaltene Antrag auf Neuverbescheidung bleibt ebenfalls erfolglos, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO.
39
Dies bereits deshalb, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen der Befreiung nicht gegeben sind (s. o.). Unabhängig davon ist die von der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid getroffene Ermessensentscheidung nicht zu beanstanden, § 114 VwGO. Die Beklagte hat die berührten Belange und die öffentlichen Interessen an einer Versagung der isolierten Befreiung fehlerfrei abgewogen. Sie hat auf die Einheitlichkeit des Gesetzesvollzugs bzw. auf die Gefahr der Schaffung von Bezugsfällen und die Grundzüge der Planung abgestellt. Dies wurde auch im Laufe des Verwaltungsverfahrens bereits mehrmals erläutert.
40
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO, § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.