Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 02.11.2021 – AN 15 S 21.01346
Titel:

Rechtmäßigkeit der Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung

Normenketten:
BayPAG Art. 14 Abs. 1 Nr. 3
StPO § 81b Abs. 2
BtMG § 29 Abs. 1, § 31a Abs. 1
Leitsätze:
1. Für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr iSv Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 BayPAG ist nicht allein auf die konkrete Anlasstat abzustellen, vielmehr sind sämtliche Umstände, aus denen sich die Gefahr zukünftigen, strafrechtlich relevanten Verhaltens des Betroffenen ergibt, in die Betrachtung einzubeziehen. So können in die Prognoseentscheidung beispielsweise Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen zur Last gelegten Straftat und dessen Persönlichkeit Berücksichtigung finden. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist ausreichend, dass aufgrund dieser umfassenden Beurteilung der Betroffene in den Kreis Verdächtiger einer noch aufzuklärenden anderen strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen - den Betroffenen letztlich überführend oder entlastend - fördern könnten. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Annahme, bei ehemaligen Angehörigen der Drogenszene bestehe eine hohe Rückfallquote, ist sachgerecht. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine erkennungsdienstliche Maßnahme ist grundsätzlich auch dann möglich, wenn sich die Anlasstat nur auf eine geringe Menge Drogen bezieht. Das gilt sogar dann, wenn lediglich ein Fall des sog. Eigengebrauchs vorliegt, sodass von strafrechtlicher Verfolgung abgesehen werden kann (§ 31a BtMG). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
erkennungsdienstliche Behandlung, Wiederholungsgefahr, Rauschgiftdelikte, Ermittlungsverfahren, Einstellung, Angehöriger der Drogenszene, Rückfallquote, sofortige Vollziehung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 12.08.2022 – 10 CS 21.3080
Fundstelle:
BeckRS 2021, 56730

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Antragstellers.
2
Mit Bescheid vom 22. Juni 2021 ordnete die Polizeiinspektion … gemäß Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 und 4 PAG die erkennungsdienstliche Behandlung des Antragstellers an (Ziffer 1) und lud ihn hierzu mit Frist bis zum 6. Juli 2021 zum Kriminalfachdezernat, …, … in … gemäß Art. 15 Abs. 1 Nr. 2 PAG vor (Ziffer 2). Für den Fall der Nichtbefolgung der Vorladung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 250,00 EUR angedroht (Ziffer 3). Für den Fall des Nichterscheinens innerhalb der in Ziffer 2 genannten Frist setzte die Polizeiinspektion … eine neue Frist bis zum 20. Juli 2021 (Ziffer 4) und drohte dem Antragsteller für den Fall, dass er auch dieser zweiten Aufforderung keine Folge leistet, die Anwendung unmittelbaren Zwangs an (Ziffer 5). Ferner ordnete die Polizeiinspektion die sofortige Vollziehung der Ziffern 1, 2 und 4 des Bescheides an (Ziffer 6). Aktuell veranlasst sei die Anordnung durch den Fund eines Döschens mit Marihuanablüten in dem Zimmer des Antragstellers in der … in … im Rahmen einer anderen Sachbearbeitung am 22. Dezember 2020 um 18:20 Uhr. Eine Erlaubnis zum Umgang mit Betäubungsmitteln habe der Antragsteller nicht besessen. Das Ermittlungsverfahren sei von der Staatsanwaltschaft … (Az. …*) gemäß § 31a Abs. 1 BtMG am 21. März 2021 eingestellt worden. Als weiteres Vorkommnis wurde ein Ordnungswidrigkeitenverfahren nach dem Straßenverkehrsgesetz (Az. …*) genannt. Bei der durchgeführten Blutentnahme seien THC und Amphetamin/Methamphetamin festgestellt worden. Die Wiederholungsgefahr könne mit der bei Betäubungsmitteldelikten generell bestehenden hohen Rückfallwahrscheinlichkeit begründet werden. Die erkennungsdienstliche Behandlung sei angeordnet worden, um mit den gewonnenen Unterlagen Straftaten aufklären zu können, die der Antragsteller möglicherweise künftig begehen werde. Die erkennungsdienstlichen Unterlagen seien damit für die Ermittlungen förderlich und könnten den Antragsteller belasten, aber auch entlasten. Die erkennungsdienstliche Behandlung erstrecke sich auf die Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken, Fertigung von Lichtbildern sowie Messungen und Personenbeschreibung. Diese Unterlagen seien für die Aufklärung künftiger Straftaten, welche von dem Antragsteller möglicherweise begangen würden, geeignet und erforderlich, weil eine Tataufklärung ohne vorhandene Lichtbilder oder Personenbeschreibung erschwert oder aussichtslos wäre. Sie förderten die Identifizierung von Dealern und Rauschmittelabnehmern und trügen damit zur Eindämmung und Aufklärung entsprechender Taten bei. Der Anordnung stehe nicht entgegen, dass der Antragsteller noch nie verurteilt worden sei. Auch Einstellungen nach § 31a BtmG könnten die Notwendigkeit erkennungsdienstlicher Maßnahmen begründen. Andere, ebenso geeignete Mittel kämen nicht in Betracht. In Anbetracht des geschilderten Verhaltens und der dadurch zukünftig bestehenden Gefahr für die Allgemeinheit sei ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Antragstellers weit weniger schwer zu beurteilen als das Interesse der Allgemeinheit, vor solchen Straftaten geschützt zu werden. Zur Begründung des Sofortvollzugs wurde ausgeführt, dass dieser im überwiegenden öffentlichen Interesse angeordnet werde, weil es um eine vorbeugende sicherheitsrechtliche Maßnahme gehe, bei der die Erforderlichkeit der Maßnahme selbst bereits die Gründe für deren eilbedürftige Durchführung in sich trage. Bei vollständiger Ausschöpfung des Rechtsweges sei mit einer rechtskräftigen Entscheidung in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Das könne im Interesse der öffentlichen Sicherheit nicht hingenommen werden, weshalb das private Interesse, welches sich aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ableite, zurücktreten müsse.
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Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 22. Juli 2021 erhob der Antragsteller Anfechtungsklage gegen diesen Bescheid und stellte den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass der angegriffene Bescheid von unzutreffenden Sachverhaltsannahmen ausgehe und rechtsfehlerhaft begründet sei.
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Der Antragsteller beantragte,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid anzuordnen.
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Der Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 30. August 2021, den Antrag abzulehnen.
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Mit Schriftsatz vom 28. September 2021 führte der Antragstellervertreter weiter zur erhobenen Klage und dem gestellten Antrag aus. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Befugnisnorm des Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 PAG lägen nicht vor. Die erkennungsdienstliche Behandlung des Antragstellers zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten sei nicht erforderlich, da es sich beim Vorfall vom 14. März 2020 um eine Ordnungswidrigkeit handele und die Anlasstat eine offenkundige Bagatell-Begebenheit repräsentiere. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit könne die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung damit nicht gerechtfertigt werden. Im Anordnungszeitpunkt am 22. Juni 2021 bestehe zudem kein zureichender polizeilicher Verdacht mehr. Nicht nachvollzogen werden könne, dass die Anlasstat nach Art und Ausführung im konkreten Fall die Gefahr der Wiedererholung begründen solle. Eine Auseinandersetzung mit der Darlegung des Antragstellers, er konsumiere legal CBD, sei nicht erfolgt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakte verwiesen.
II.
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Der zulässige Antrag, der sich nach notwendiger und sachgerechter Auslegung (§ 88 VwGO) in Bezug auf die Ziffern 1, 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids als Antrag auf Wiederherstellung und hinsichtlich der Ziffern 3 und 5 als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage darstellt, ist unbegründet und daher abzulehnen.
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1. Soweit der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 22. Juli 2021 gegen den Bescheid vom 22. Juni 2021 gerichtet ist, ist er gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässig. Der Klage gegen die Anordnungen in den Ziffern 1, 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids kommt aufgrund des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO keine aufschiebende Wirkung zu, da die sofortige Vollziehung in Ziffer 6 des Bescheides angeordnet wurde. Hinsichtlich der Androhung von Zwangsgeld (Ziffer 3) und unmittelbarem Zwang (Ziffer 5) folgt die Zulässigkeit aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a VwZVG, sodass insoweit die aufschiebende Wirkung (erstmalig) anzuordnen ist. Die Kammer geht dabei - trotz der nach §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO geltenden gerichtlichen Bindung an das beantragte Begehren - davon aus, dass der von dem Antragstellerbevollmächtigten gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, auch eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in Bezug auf die Ziffern 1, 2 und 4 des Bescheids beinhaltet, da der Bevollmächtigte in der Hauptsache den Bescheid ausdrücklich in vollem Umfang aufgehoben wissen will. Insoweit ist die Kammer nicht an die Fassung der Anträge gebunden (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO).
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2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
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2.1 Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet worden ist, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen den zugrundeliegenden Bescheid ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO anordnen. Das Gericht prüft dabei im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zunächst, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Das Gericht trifft sodann eine eigene Ermessensentscheidung. Bei der im Rahmen dieser Entscheidung gebotenen umfassenden Interessenabwägung kommt vor allem den Erfolgsaussichten des Verfahrens in der Hauptsache besondere Bedeutung zu, wobei aber auch die gesetzgeberische Entscheidung für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs mit zu berücksichtigen ist. Erweist sich das Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit als erfolgreich, überwiegt regelmäßig das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung; umgekehrt kommt dem öffentlichen Interesse am Vollzug in der Regel der Vorrang zu, wenn die Klage mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird. Erscheinen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache hingegen als offen, ist eine reine Interessenabwägung erforderlich. Das Interesse des Antragstellers, mit dem Vollzug des ihn belastenden Verwaltungsaktes vor dessen Bestandskraft nicht überzogen zu werden, ist abzuwägen mit dem besonderen öffentlichen Interesse der Allgemeinheit, den angefochtenen Verwaltungsakt - im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG ausnahmsweise - schnellstmöglich zu vollziehen. Maßstab für diese Abwägung ist ein Vergleich der Verhältnisse einerseits für den angenommenen Fall, dass die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt bzw. angeordnet wird, der Verwaltungsakt im Hauptsacheverfahren jedoch bestätigt wird, mit andererseits der angenommenen Konstellation, dass der Sofortvollzug bestehen bleibt, der Verwaltungsakt im Hauptsacheverfahren jedoch aufgehoben wird.
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2.2 Der Antragsgegner hat vor dem Hintergrund, dass an den Inhalt der schriftlichen Begründung des Sofortvollzugs keine zu hohen Anforderungen zu stellen sind (Hoppe in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 43), das besondere Interesse an der Anordnung des sofortigen Vollzugs in Ziffer 6 des streitgegenständlichen Bescheids ausreichend gemäß § 80 Abs. 3 VwGO schriftlich begründet. Wenn der Antragsgegner ausführt, dass sich eine Wiederholungsgefahr in naher Zukunft durch den Antragsteller realisieren könnte und deshalb nicht bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Hauptsacheverfahrens zugewartet werden kann, um erkennungsdienstliche Maßnahmen durchzuführen, so ist dies nicht zu beanstanden. Die Kammer folgt der Auffassung des Antragsgegners, dass die Erforderlichkeit der Maßnahme bereits die Gründe für deren eilbedürftige Durchführung in sich trägt. Damit wird nichts Anderes ausgedrückt, als dass von den Polizeibehörden eine konkrete Gefahr seitens des Antragstellers gesehen wird, die sich möglicherweise bereits vor rechtskräftiger Bestätigung der streitgegenständlichen Anordnung realisieren könnte (vgl. VG Ansbach, B.v. 7.7.2009 - AN 5 S 09.00497 - juris Rn. 13).
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2.3 Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung ergibt, dass gegenüber dem Antragsteller zu Recht erkennungsdienstliche Maßnahmen angeordnet wurden, die mit den angedrohten Zwangsmitteln durchgesetzt werden können. Der streitgegenständliche Bescheid ist damit rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
2.3.1
14
Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 PAG kann hier als Rechtsgrundlage herangezogen werden, da der Anwendungsbereich von § 81b Alt. 2 StPO nicht eröffnet ist (Senftl in: BeckOK PolR, Stand: 15.3.2021, Art. 14 PAG Rn. 11). Die erkennungsdienstliche Maßnahme wurde mit Bescheid vom 22. Juni 2021 angeordnet, die Staatsanwaltschaft hatte die Anlasstat bereits mit Verfügung vom 21. März 2021 eingestellt, weshalb der Antragsteller im Zeitpunkt des Bescheidserlasses nicht mehr Beschuldigter einer Straftat war.
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In formeller Hinsicht erfolgte die nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG notwendige Anhörung mit Schreiben der Polizeiinspektion … vom 19. Januar 2021, mit welchem dem Antragsteller die Möglichkeit zur Äußerung zum Erlass eines förmlichen Bescheids hinsichtlich der Anordnung einer erkennungsdienstlichen Maßnahme gegeben wurde.
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Die auf Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 PAG gestützte Maßnahme ist nach summarischer Prüfung auch materiell rechtmäßig. Nach dieser Bestimmung kann die Polizei erkennungsdienstliche Maßnahmen vornehmen, wenn dies zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist, weil der Betroffene verdächtig ist, eine Tat begangen zu haben, die mit Strafe bedroht ist und wegen der Art und Ausführung der Tat die Gefahr der Wiederholung besteht. Erkennungsdienstliche Maßnahmen in diesem Sinne sind gemäß Art. 14 Abs. 2 PAG insbesondere die Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken, die Aufnahme von Lichtbildern, die Feststellung äußerer körperlicher Merkmale und Messungen.
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Der Antragsteller ist verdächtig, eine mit Strafe bedrohte Tat, nämlich unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG, begangen zu haben. Zwar wurde das Ermittlungsverfahren, das den aktuellen Anlass bildet, gemäß § 31a Abs. 1 BtMG eingestellt. Damit ist aber nicht der Tatverdacht als Grundlage für Maßnahmen der polizeirechtlichen Gefahrenabwehr und darauf gestützter erkennungsdienstlicher Maßnahmen entfallen. Die Feststellung eines Tatverdachts ist etwas substanziell anderes als eine Schuldfeststellung; demgemäß kann ein ausreichender (Rest-)Tatverdacht auch nach einer Verfahrensbeendigung durch Einstellung oder sogar einem Freispruch fortbestehen (Senftl in: BeckOK PolR, Stand: 15.3.2021, Art. 14 PAG Rn. 13). Nach § 31a Abs. 1 BtMG kommt eine Einstellung in Betracht, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen ist, kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht oder der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge besitzt. § 31a Abs. 1 BtMG geht als lex specialis zu den §§ 153 ff. StPO diesen vor (Wettley in: BeckOK BtMG, Stand: 15.9.2021, § 31a Rn. 11). Bei Einstellungen nach §§ 153, 153a StPO verbleibt ein Restverdacht. Voraussetzung für die Einstellungen ist die Schuld des Betroffenen, die allerdings als gering bzw. als nicht so schwer anzusehen ist, dass nach Erfüllung von Auflagen und Weisungen noch eine Anklageerhebung geboten ist (Goers in: BeckOK StPO mit RiStBV und MiStra, Stand 1.1.2020, § 81b Rn. 7). Nichts anderes gilt für eine Einstellung nach § 31a Abs. 1 BtMG. Sie kann nicht bei erwiesener Unschuld erfolgen, sondern eben nur dann, wenn es der Prozessökonomie entspricht, dieses Vergehen nicht weiter zu verfolgen. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte mit dieser Vorschrift nicht zwingend gebotener Verfahrensaufwand vermieden (BT-Drs. 12/934 S. 6) und so die Strafverfolgungsbehörden von der Verfolgung suchtbedingter Kleinkriminalität entlastet werden (Wettley in: BeckOK BtMG, Stand: 15.9.2021, § 31a Rn. 4). Von der Unschuld des Antragstellers und dem Entfall eines Tatverdachtes kann damit gerade nicht ausgegangen werden.
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Der Einwand des Antragstellers, bei der am 22. Dezember 2020 gefundenen Substanz handele es sich um CBD mit einem Wirkstoffgehalt von 0,2 Prozent, welches er legal konsumiere, verfängt nicht. Der von der Polizeiinspektion … am 11. Januar 2021 vorgenommene Rauschgift-Vortest bestätigte den Verdacht auf Marihuana. Zudem konnte der Antragsteller keine Angaben dazu machen, in welchem lokalen Cannabis-Laden er die Substanz gekauft hat. Auch bleibt unklar, für welche Art von Schmerztherapie bzw. aufgrund welches ärztlichen Attestes der Antragsteller das angebliche CBD verwendet, weshalb der Vortrag des Antragstellers nach Auffassung des Gerichts eine bloße Schutzbehauptung darstellt.
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Zudem muss auch die (Gefahren-)Prognose einer Wiederholungsgefahr gegeben sein; dafür sind alle Umstände des Einzelfalls als Anhaltspunkte heranzuziehen und zu bewerten (vgl. VG Augsburg, U.v. 6.5.2014 - 1 K 13.1564 - BeckRS 2014, 52341). Nach dieser Prognose beurteilt sich die „Erforderlichkeit“ der erkennungsdienstlichen Behandlung. Dabei ist nach dem Gesetzeswortlaut (besonders) auf die Art und Ausführung der Straftat (z.B. Drogendelikte, Besitz kinderpornografischer Schriften/Dateien) abzustellen. Bei der „Gefahr der Wiederholung“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff auf der Tatbestandsseite, bei dem der Polizei kein Beurteilungsspielraum (vgl. allg. Rennert in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 51 ff.) zukommt. Die sich im Wesentlichen auf die allgemeine Lebenserfahrung stützende Prognose (Gefahreneinschätzung bzw. -beurteilung) ist vom Gericht in vollem Umfang nachzuvollziehen und auch hinsichtlich des darin enthaltenen Wahrscheinlichkeitsurteils nicht nur einer begrenzten gerichtlichen Kontrolle zugänglich (Senftl in: BeckOK PolR, Stand: 15.3.2021, Art. 14 PAG Rn. 14). Für die Beurteilung dieser Wiederholungsgefahr ist dabei nicht allein auf die konkrete Anlasstat abzustellen, vielmehr sind sämtliche Umstände, aus denen sich die Gefahr zukünftigen, strafrechtlich relevanten Verhaltens des Betroffenen ergibt, in die Betrachtung einzubeziehen (vgl. Köhler in: Berner/Köhler/Käß, PAG, Art. 14 Rn. 12 m.w.N. zur Rspr.; VG Augsburg, B.v. 10.3.2014 - Au 1 K 13.1565 - juris Rn. 47). So können in die Prognoseentscheidung beispielsweise Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen zur Last gelegten Straftat und dessen Persönlichkeit Berücksichtigung finden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist es ausreichend, dass aufgrund dieser umfassenden Beurteilung der Betroffene in den Kreis Verdächtiger einer noch aufzuklärenden anderen strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen - den Betroffenen letztlich überführend oder entlastend - fördern könnten (vgl. BayVGH, B. v. 5.11.2012 - 10 CS 12.1855 - juris Rn. 13).
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Gemessen an diesen allgemeinen Grundsätzen ist vorliegend eine Wiederholungsgefahr gegeben. Die Polizeibehörde geht, ohne dass dies rechtlich zu beanstanden wäre, insbesondere von einer Gefahr eines weiteren Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz aus und begründet dies mit den zwei bekannten Vorfällen. Bereits die Annahme, dass bei ehemaligen Angehörigen der Drogenszene eine hohe Rückfallquote besteht, ist sachgerecht (VG Ansbach, B.v. 1.3.2004 - AN 5 S 03.02142 - BeckRS 2004, 19895 Rn. 22). Nichts anderes gilt hier: Am 14. März 2020 wurde im Blut des Antragstellers THC und Amphetamin/Metamphetamin nachgewiesen, bei der Anlasstat wurde Marihuana gefunden, woraus der Antragsteller zu Recht eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit ableitet. Unabhängig von der Frage, wie es zu bewerten ist, dass der Vorfall vom 14. März 2020 lediglich als Ordnungswidrigkeit zu qualifizieren ist, zeigt sich hieran jedenfalls der Konsum von Betäubungsmitteln. Im Übrigen ist gerichtlich anerkannt, dass Betäubungsmitteldelikte wegen ihrer statistisch signifikant erhöhten Rückfallgefahr bereits bei erstmaliger Begehung die Annahme einer Wiederholungsgefahr nahelegen (SächsOVG, B.v. 6.10.2009 - 3 B 187/08 - juris Rn. 8). Außerdem wird die am 14. März 2020 begangene Ordnungswidrigkeit nicht als Anlasstat (OVG Lüneburg, B.v. 24.10.2007 - 11 ME 309/07 - juris Rn. 14), sondern zur Begründung der Wiederholungsgefahr herangezogen. Zum anderen ist eine erkennungsdienstliche Maßnahme grundsätzlich auch dann möglich, wenn sich die Anlasstat nur auf eine geringe Menge Drogen bezieht. Das gilt sogar dann, wenn lediglich ein Fall des sog. Eigengebrauchs vorliegt, sodass von strafrechtlicher Verfolgung abgesehen werden kann (VG Würzburg, U.v. 12.4.2012 - W 5 K 11.757 - BeckRS 2012, 49353), was hier durch die Einstellung nach § 31a BtMG geschehen ist. Bei einem wiederholten und längerem Drogengebrauch handelt es sich auch nicht um ein oder mehrere Bagatelldelikte. Das wäre nur bei vereinzelten Antragsdelikten nach dem StGB anzunehmen. Am Strafrahmen des § 29 BtMG (Gefängnisstrafe bis zu 5 Jahren) zeigt sich die Erheblichkeit entsprechender Taten (VG Ansbach, B.v. 1.3.2004 - AN 5 S 03.02142 - BeckRS 2004, 19895 Rn. 23). Vorliegend ermittelte die Staatsanwaltschaft ebenfalls wegen einer Tat nach § 29 BtMG; ein unbedeutendes Antragsdelikt ist daher nicht gegeben. Jedenfalls der zweimalige Konsum von Drogen konnte nachgewiesen werden. Der Zeitraum zwischen dem ersten Vorfall am 14. März 2020 und dem am 22. Dezember 2020 umfasst mehr als neun Monate, sodass innerhalb dieser Zeitspanne der Drogenkonsum durch den Antragsteller offenkundig nicht endete. Gerade im Bereich von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz können Ergebnisse, die durch eine erkennungsdienstliche Behandlung gewonnen werden, die präventive Arbeit der Polizei, etwa bei der Identifizierung von Dealern oder Rauschmittelkonsumenten, fördern (VG Ansbach, B.v. 1.3.2004 - AN 5 S 03.02142 - BeckRS 2004, 19895 Rn. 21). Hierzu verweist der Antragsgegner zutreffend auf das große Dunkelfeld bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie die erhöhte Suchtabhängigkeit durch den regelmäßigen Konsum. Überzeugend wird die Führung des Tatnachweises anhand von Fingerabdrücken auf weggeworfenen Drogen, Verpackungsmaterialien und Transportmitteln oder an szenetypischen Orten oder der Wohnung eines Dealers erklärt.
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Auch die als Konsequenz daraus gemäß Art. 5 PAG getroffene Ermessensentscheidung, die vom Gericht nur im Rahmen des § 114 VwGO zu überprüfen ist, begegnet keinen Bedenken. Zunächst ist festzuhalten, dass der Antragsgegner Ermessenserwägungen angestellt hat, sodass Anhaltspunkte für einen Ermessensausfall nicht bestehen. Auch ist er seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nachgekommen (Geis in: Schoch/Schneider, VwVfG; Stand: Juli 2020, § 40 Rn. 107), weshalb diesbezüglich ein Ermessensfehler zu verneinen ist. Aufgrund des Spray-Tests vom 11. Januar 2021 durfte der Antragsgegner davon ausgehen, dass es sich bei der am 22. Dezember 2020 gefundenen Substanz um Marihuana handelt. Wie ausgeführt, legte der Antragsteller nur unsubstantiiert dar, er konsumiere legal CBD, weshalb diesbezüglich keine weitere Sachaufklärung zu erfolgen hatte. Im Bescheid hat die Polizei zudem überzeugend ausgeführt, warum ein Handlungsbedarf besteht, weshalb das Entschließungsermessen ordnungsgemäß ausgeübt wurde. Weiter erfolgte auch die Ausübung des Auswahlermessens unter Berücksichtigung des in Art. 4 PAG normierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes fehlerfrei. Die angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung ist dazu geeignet, dem Antragsgegner hinreichende Informationen und Unterlagen bezüglich des Antragstellers zu liefern, sodass dieser künftig aus Angst vor Entdeckung davon abgehalten wird, Betäubungsmittel zu konsumieren. Ein milderes, aber gleich geeignetes Mittel zur effektiven Gefahrenprävention ist nicht ersichtlich. Die Wahl der Mittel selbst, die sich auf die in Art. 14 Abs. 2 PAG enthaltene nichtabschließende Aufzählung beschränkt, ist ermessensfehlerfrei, da sich durch die Fertigung von Lichtbildern, Messungen und Personenbeschreibungen Zeugenaussagen und durch die Abnahme von Finger- und Handabdrücken gefundene Beweisstücke, insbesondere vor einer polizeilichen Kontrolle weggeworfenen Drogen, Verpackungsmaterialien oder Transportmittel, leichter dem Profil eines Verdächtigen zuordnen lassen. Damit erhöht sich die Verfolgungswahrscheinlichkeit erheblich, was zur beabsichtigten abschreckenden Wirkung beiträgt. Mit dem Zweck der erleichterten Aufklärung künftiger Straftaten dient die erkennungsdienstliche Behandlung einer an rechtsstaatlichen Garantien ausgerichteten Rechtspflege, wobei es sich um ein Rechtsgut handelt, dem ein hoher Rang zukommt (BVerwG, U.v. 27.6.2018 - 6 C 39/16 - NJW 2018, 3194 (3196)). Die Anordnung erweist sich auch als angemessen. Insoweit ist zu beachten, dass die angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung des Antragstellers in nicht unerheblicher Weise in dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG eingreift (BayVGH, B.v. 5.2.2020 - 10 ZB 19.2459 - BeckRS 2020, 2713 Rn. 8). Allerdings ist die Anfertigung der Unterlagen für den Antragsteller nur mit einer kurzfristigen Freiheitsbeschränkung verbunden. Die Unterlagen werden lediglich bei der Polizei gespeichert und der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht. Sie werden nur verwendet, wenn der Antragsteller nochmals strafrechtlich in Erscheinung tritt und die Materialien zur Tataufklärung benötigt werden. Dabei ist nicht nur eine Be-, sondern auch eine Entlastung des Antragstellers denkbar. Darüber hinaus erscheint es zweifelhaft, ob unter Berücksichtigung des § 31a BtMG eine erkennungsdienstliche Behandlung gerechtfertigt sein kann, wenn davon ausgegangen werden muss, dass der Betroffene stets nur geringe Mengen erwerben wird (VG Lüneburg, B.v. 29.2.2012 - 3 B 10/12 - BeckRS 2012, 47988). In Bayern ist allerdings regelmäßig von einer Einstellung nach § 31a BtMG kein Gebrauch zu machen, wenn es sich um Wiederholungstäter handelt, welche innerhalb eines Jahres erneut in Bezug auf Drogen auffällig werden (LT- Drs. 16/8534 S. 3). Es sind bereits zwei Vorfälle bekannt, bei welchen der Antragsteller in Verbindung zu berauschenden Mitteln gebracht wurde. Im Gegensatz zur Strafverfolgung verfolgt die erkennungsdienstliche Behandlung außerdem keinen repressiven, sondern einen präventiven Ansatz, weshalb allein die Möglichkeit der Einstellung des Strafverfahrens nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit der Anordnung führen kann. Des Weiteren wird das Führen eines Fahrzeugs unter Drogeneinfluss regelmäßig bei einer Verkehrskontrolle festgestellt, wobei die Identifizierung ohne Rückgriff auf die erkennungsdienstliche Behandlung möglich ist (VG Lüneburg, B.v. 29.2.2012 - 3 B 10/12 - BeckRS 2012, 47988). Im Vorfeld einer Fahrt unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln erfolgt jedoch deren Erwerb und Konsum. Wird der Antragsteller durch die erkennungsdienstliche Behandlung bereits vom Betäubungsmittelerwerb und -konsum abgehalten, ist seine Teilnahme am Straßenverkehr nach einem Drogenkonsum ebenfalls ausgeschlossen. Weiter ist das große Dunkelfeld an Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz in die Abwägung mit einzubeziehen. Der Drogenfund am 22. Dezember 2020 stellt sich als Zufallsfund dar, woran sich die Bedeutung einer erkennungsdienstlichen Behandlung für die Polizeiarbeit zeigt. Werden künftig Drogen aufgefunden, kann sie insbesondere über den Abgleich von Fingerabdrücken Rückschlüsse auf eine mögliche Beteiligung des Antragstellers ziehen.
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Da die Anordnung auf Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 PAG gestützt werden konnte, kommt es auf das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Art. 14 Abs. 1 Nr. 4 PAG nicht mehr an.
2.3.2
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Auch die Androhung der Zwangsmittel in den Ziffern 3 und 5 entspricht den gesetzlichen Vorschriften. Ohne dass der Antragstellerbevollmächtigte dies insoweit rügt, wurden die Zwangsmittel schriftlich im Sinne von Art. 76 Abs. 1 Satz 1 PAG angedroht, dem Antragsteller zur Erfüllung seiner Verpflichtung angemessene Fristen gesetzt (Art. 76 Abs. 1 Satz 2 PAG) und die Androhung der Zwangsmittel auch mit dem Grundverwaltungsakt verbunden (Art. 76 Abs. 2 Satz 2 PAG). Es ist des Weiteren nicht zu beanstanden, dass gemäß Art. 76 Abs. 3 PAG zunächst ein Zwangsgeld in Höhe von 250 EUR angedroht wurde, um nach erneuter Fristsetzung unmittelbaren Zwang im Sinne von Art. 78 Abs. 1 PAG anzudrohen. Da der unmittelbare Zwang erst für den Fall angedroht wurde, dass das festgesetzte Zwangsgeld keinen Erfolg verspricht, ist er auch verhältnismäßig im Sinne des Art. 75 Abs. 1 PAG. Bei einer unvertretbaren Handlung wie der erkennungsdienstlichen Behandlung kommt eine Ersatzvornahme nicht in Betracht (Art. 72 Abs. 1 Satz 1 PAG).
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Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO war nach alldem abzulehnen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. den Ziffern 1.5 und 35.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.