Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 09.11.2021 – 8 W 55/21
Titel:

Festsetzung des Streitwerts beim Widerruf eines Verbraucherdarlehens bei einer Hilfswiderklage

Normenketten:
GKG § 45 Abs. 3, § 63 Abs. 3, § 68 Abs. 1
RVG § 32 Abs. 2 S. 1, § 33 Abs. 3, Abs. 4 S. 3, Abs. 6 S. 1, Abs. 9 S. 1, S. 2
BGB § 358 Abs. 2
Leitsätze:
1. Das wirtschaftliche Interesse des Klägers richtet sich darauf, so gestellt zu werden, als hätte er das Geschäft nicht getätigt; in diesen Fällen ist der Streitwert grundsätzlich nach dem Nettodarlehensbetrag zu bemessen (vgl. BGH BeckRS 2015, 5680, Rn. 3). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Bemessung des Gesamtstreitwertes ist - weil es sich um verbundene Verträge handelt - dem Nettodarlehensbetrag eventuell noch die aus Eigenmitteln geleistete Anzahlung für die Kaufsache hinzuzurechnen (vgl. OLG Braunschweig BeckRS 2019, 32290, Rn. 21; OLG Stuttgart BeckRS 2019, 24599, Rn. 14), da der Widerruf des Darlehensvertrages nach § 358 Abs. 2 BGB auch für das finanzierte Geschäft wirkt. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Zusammenrechnung der Werte von Klage und Widerklage erfolgt nur bei wirtschaftlicher Werthäufung (vgl. BGH BeckRS 2004, 10270); hier dient die Widerklage der Bemessung der zu saldierenden wechselseitigen Ansprüche im Rückabwicklungsverhältnis und die (Hilfs-) Aufrechnung der Saldierung (vor Verurteilung), so dass beidem kein eigener Wert zukommt. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Streitwert, Hilfswiderklage, verbundener Vertrag, Widerruf, Verbraucherdarlehen
Vorinstanz:
LG Schweinfurt vom 27.09.2021 – 21 O 62/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 56589

Tenor

I. Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen den Streitwertfestsetzungsbeschluss des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Schweinfurt vom 27.09.2021, Az.: 21 O 62/21, wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass der Streitwert für die erste Instanz (wieder) auf 22.502,77 Euro festgesetzt wird. Ein überschießender Vergleichswert besteht nicht.
II. Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.
1
Die Kläger hat gegen die Beklagte im zugrundeliegenden Rechtsstreit Ansprüche nach dem Widerruf eines Verbraucherdarlehens zur Finanzierung eines gebrauchten PKW … in Form eines verbundenen Geschäfts geltend gemacht. Der Nettodarlehensbetrag zur Vollfinanzierung belief sich auf 22.502,77 Euro. Die Beklagte erhob für den Fall der Wirksamkeit des Widerrufs bzw., dass Klageanträge begründet sind [innerprozessuale Bedingung] Hilfswiderklage und zwar mit dem Antrag festzustellen, dass die Klagepartei im Fall eines wirksamen Widerrufs verpflichtet ist, der Beklagten Wertersatz für den Wertverlust des Fahrzeugs zu leisten, der auf einen [näher spezifizierten] Umgang mit dem Fahrzeug zurückzuführen ist.
2
Das Landgericht hat mit Beschluss des Einzelrichters vom 27.09.2021 gemäß § 278 Abs. 6 ZPO festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Vergleich zustande gekommen ist (und diesen in Ziffer I. protokolliert) und in Ziffer II. des Beschlusses den Streitwert auf 22.502,77 € festgesetzt und ausgesprochen, dass ein überschießender Vergleichswert nicht bestehe (Bl. 236 ff. d.A.).
3
Gegen diesen Streitwertbeschluss hat die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 05.10.2021 Streitwertbeschwerde in eigenem Namen eingelegt (Bl. 241 f. d.A.). Zur Begründung wird ausgeführt, dass für den Gesamtstreitwert auch der Wert der Hilfswiderklage (§ 45 Abs, 3 GKG) zu berücksichtigen sei. Daraus ergebe sich ein Streitwert von 39.246,77 Euro. Ergänzend wird auf diesen Schriftsatz Bezug genommen.
4
Durch Beschluss des Einzelrichters vom 19.10.2021 hat das Landgericht den Streitwert geändert auf nun 28.502,77 Euro. Im Übrigen wurde der Beschwerde nicht abgeholfen. Hinsichtlich der Gründe wird auf den bezeichneten Beschluss (Bl. 251 f. d.A.) Bezug genommen.
II.
5
Die gemäß § 68 Abs. 1 GKG i.V.m. §§ 32 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 RVG zulässige Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen die landgerichtliche Streitwertfestsetzung, über welche das Oberlandesgericht durch einen Einzelrichter zu entscheiden hat, hat in der Sache keinen Erfolg und führt von Amts wegen zur Wiederherstellung der ursprünglichen Festsetzung.
1.
6
Das wirtschaftliche Interesse des Klägers richtet sich darauf, so gestellt zu werden, als hätte er das Geschäft nicht getätigt. In diesen Fällen ist der Streitwert grundsätzlich nach dem Nettodarlehensbetrag zu bemessen (BGH, Beschluss vom 07. April 2015 - XI ZR 121/14 -, Rn. 3, juris; Zöller/Herget, ZPO, 33. Aufl., § 3 Rn. 16.207 m.w.N.).
7
Bei der Bemessung des Gesamtstreitwertes ist - weil es sich um verbundene Verträge handelt - dem Nettodarlehensbetrag eventuell noch - so hier nicht - die aus Eigenmitteln geleistete Anzahlung für die Kaufsache hinzuzurechnen (st. Rspr. des Senats, vgl. auch Beschlüsse vom 03.06.2019, Az. 8 W 33/19 - und vom 18.06.2019, Az. 8 W 41/19; OLG Braunschweig, Beschluss vom 03.12.2019, Az. 11 W 41/19, Rn. 21, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.10.2019, Az. 6 W 47/19, Rn. 14, juris). Nach § 358 Abs. 2 BGB wirkt der Widerruf des Darlehensvertrages nämlich auch für das finanzierte Geschäft.
8
Damit aber ist unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Identität der wechselseitigen Begehren der Maximalbetrag des Interesses im Rechtsstreit abgebildet. Der Umstand, dass das Fahrzeug zurückzugeben ist und im Gegenzug Nutzungen/erlangten Vorteile herauszugeben sind, erhöht also den Streitwert nicht.
2.
9
Eine Erhöhung des Gebührenstreitwertes durch die prozessualen Maßnahmen der Hilfswiderklage und der Erklärung einer Hilfsaufrechnung im Prozess findet deshalb auch nicht statt.
10
Zunächst ist dazu anzumerken, dass sich die Parteien konkret darauf geeinigt haben, dass nicht rückabgewickelt wird (vgl. Beschluss vom 27.09.2021, Ziffer 1.). Darauf aber kommt es nicht entscheidend an, denn ohnehin erfolgt eine Zusammenrechnung der Werte von Klage und Widerklage nur bei wirtschaftlicher Werthäufung (BGH, Beschluss vom 06.10.2004, Az. IV ZR 287/03). Die Widerklage, so sie im Fall eines wirksam erklärten Widerrufs virulent werden würde, hätte den (Maximal-) Anspruch der Klägerin im Rahmen einer vorzunehmenden Rückabwicklung, so sie erfolgreich gewesen wäre, lediglich geschmälert. Die Widerklage dient der Bemessung der zu saldierenden wechselseitigen Ansprüche im Rückabwicklungsverhältnis und die (Hilfs-) Aufrechnung der Saldierung (vor Verurteilung). Wirtschaftlich betrachtet, kommt beides kein eigener Wert zu, sondern soll den Anspruch der Gegenseite im Rahmen des Rückabwicklungsverhältnisses und ausschließlich mit aus dem Rückabwicklungsverhältnis abgeleiteten Rechten schmälern und diese Schmälerung sogleich bemessen und absichern. Dies übersieht die Beschwerdeführerin. Auch wenn der Gegenanspruch zur Reduzierung des klägerischen Anspruchs der Rechtskraft fähig ist, erwächst dieser Anspruch aus ein und demselben (Rückabwicklungs-) Verhältnis. Deshalb gibt die Beschwerdebegründung keinen Anlass, die hier wiederholten und vertieften Leitlinien des Senats zu ändern.
3.
11
Konkret bedeutet dies für den hiesigen Fall, dass der Nettodarlehensbetrag (+KSB) von 22.502,77 Euro den korrekten Streitwert darstellt. Der Vergleichswert übersteigt den Streitwert nicht, weil nicht vorgebracht und erkennbar ist, dass ein über den gerichtlichen Streit hinausgehender Gegenstand mit verglichen wurde.
4.
12
Das Beschwerdegericht hat im Streitwertbeschwerdeverfahren die Entscheidung des Prozessgerichts in vollem Umfang nachzuprüfen, weshalb wegen der amtswegigen Abänderungsmöglichkeit nach § 63 Abs. 3 GKG der korrekte Streitwert festzusetzen ist. Ein Verschlechterungsverbot gilt nicht (vgl. Zöller/Herget, § 3 Rn. 13 m.w.N.).
13
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet, § 33 Abs. 9 Satz 1, Satz 2 RVG.
14
Eine weitere Beschwerde ist nicht statthaft, § 33 Abs. 4 Satz 3, Abs. 6 Satz 1 RVG.