Titel:
Kein Deckungsschutz aus Betriebsschließungsversicherung in der Corona Pandemie bei Begrenzung des Versicherungsschutzes auf Katalog namentlich benannter Krankheiten
Normenketten:
IfSG § 6, § 7
BGB § 307 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Nehmen die Bedingungen einer Betriebsschließungsversicherung zum Deckungsumfang unter Verweis auf die § 6 und § 7 IfSG auf einen Katalog von namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger Bezug, besteht bei einer Betriebsschließung in der Corona Pandemie kein Versicherungsschutz, wenn COVID-19/SARS-CoV-2 in dem Katalog nicht aufgeführt ist. (Rn. 11 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine derartige Regelung hält einer Transparenzkontrolle stand. (Rn. 30 – 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betriebsschließungsversicherung, Gaststätte, Corona, COVID-19, SARS-Cov-2, namentlich, abschließende Aufzählung, Intransparenz
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 06.05.2021 – 23 O 10616/20
Rechtsmittelinstanzen:
BGH Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 18.05.2022 – IV ZR 430/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 20.07.2022 – IV ZR 430/21
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2021, 56544
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 06.05.2021, Az. 23 O 10616/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages leistet.
4. Die Revision zum Bundesgerichtshof gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 122.308,00 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Klägerin betreibt die Gaststätte A. W. in M. - M. und unterhält eine Betriebsschließungsversicherung bei der Beklagten. Vereinbart sind die Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) - 2008 (ZBSV 08) (Anlage K 3 - folgend: AVB).
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Die Klägerin macht eine Betriebsschließung vom 21. März bis 10. Mai 2020 aufgrund der öffentlichen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 geltend. Sie hat Zahlung von 122.308,86 € Entschädigung nebst Zinsen und Rechtsverfolgungskosten verlangt. Zu den Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 93/95 d.A.) und den Schriftsatz der Beklagten vom 19.05.2021 (Bl. 100/101 d.A.).
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; auf die Entscheidungsgründe des Landgerichts (Bl. 95/98 d.A.) wird Bezug genommen.
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Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin den geltend gemachten Anspruch (mit einem um 89 Ct. reduzierten Hauptsacheantrag) weiter. Zu den Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 12.08.2021 Bezug genommen.
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Die Klägerin stellt folgende Anträge:
Unter Abänderung des Urteils des LG München I vom 06. Mai 2021 unter dem Az. 23 O 10616/20 dem Kläger nebst Urteilsgründen am 14. Mai 2021 zugestellt wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 122.308,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5,0 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26. Juni 2020 zu zahlen, Unter Abänderung des Urteils des LG München I vom 06. Mai 2021 unter dem Az. 23 O 10616/20 dem Kläger nebst Urteilsgründen am 14. Mai 2021 zugestellt wird die Beklagte verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 2.084,40 € freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen Zu den Einzelheiten wird auf den eingereichten Schriftsatz der Beklagten vom 04.10.2021 Bezug genommen.
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Der Senat hat mit Beschluss vom 06.09.2021 (Bl. 125/ 134 d. A.) Hinweise erteilt.
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Die Entscheidung des Landgerichts trifft zu. Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Die Klägerin hat keinen Versicherungsschutz für die Auswirkungen der Corona-Pandemie.
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1. Nach § 2 AVB, die Bestandteil des Versicherungsvertrags der Parteien sind, besteht kein Versicherungsschutz für Betriebsschließungen zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit COVID-19 oder des Krankheitserregers SARS-CoV-2 (fortan auch: Corona). § 2 Nr. 2 AVB ist als abschließende Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger auszulegen und wirksam. Corona ist in dieser abschließenden Aufzählung nicht enthalten.
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a) § 2 AVB ist so zu verstehen, dass Versicherungsschutz nur besteht, wenn der Betrieb geschlossen wird zur Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten, die in § 2 Nr. 2 lit. a, und von Krankheitserregern, die in § 2 Nr. 2 lit. b AVB aufgezählt sind. Krankheiten und Erreger, die in diesen Listen nicht enthalten sind, wären auch dann nicht in den Versicherungsschutz einbezogen, wenn sie in den §§ 6 und 7 IfSG genannt wären.
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aa) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. Werden Versicherungsverträge typischerweise mit und für einen bestimmten Personenkreis geschlossen, so sind die Verständnismöglichkeiten und Interessen der Mitglieder dieses Personenkreises maßgebend (BGH, Urteil vom 25. Mai 2011 - IV ZR 117/09, r+s 2011, 295 Rn. 22). In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 10. April 2019 - IV ZR 59/18, NJW 2019, 2172 Rn. 17 mwN).
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bb) Nach diesen Grundsätzen ist § 2 AVB im Sinne einer abschließenden Aufzählung auszulegen (vgl. auch OLG Schleswig, Urteil vom 10. Mai 2021 - 16 U 25/21, juris Rn. 27 f).
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(1) § 2 AVB ist überschrieben mit „Versicherte Gefahren“. Nach § 2 Nr. 1 AVB, überschrieben mit „Versicherungsumfang“, leistet der Versicherer Entschädigung, „wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2) … den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt“. In § 2 Nr. 2 AVB heißt es unter der Überschrift „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger“: „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: …“, gefolgt von einer Aufzählung von Krankheiten unter lit. a und einer solchen von Krankheitserregern unter lit. b.
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(2) Der für den Versicherungsnehmer erkennbare Sinnzusammenhang, Wortlaut und Zweck der Bedingungen verlangen eine Auslegung dieser Klausel als abschließende Aufzählung.
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(a) Bei der Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger in § 2 Nr. 2 lit. a und b AVB handelt es sich erkennbar um eine Beschreibung des versicherten Risikos, nicht um einen Risikoausschluss. Das ergibt sich insbesondere aus der Stellung im Bedingungswerk sowie den Überschriften und dem Zusammenhang der betroffenen Regelungen.
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Die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger findet sich zu Beginn des Bedingungswerks (der Zusatzbedingungen zur Betriebsschließungsversicherung). § 2 Nr. 1 AVB enthält zwar nicht selbst die Aufzählungen, verweist aber auf diese sowohl durch die Verwendung des in § 2 Nr. 2 definierten Begriffs der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger als auch - zusätzlich - durch den ausdrücklichen Verweis „siehe Nr. 2“. Dies dient erkennbar nur der sprachlichen Entlastung der Regelung von einer umfangreichen Aufzählung.
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Der Überschrift „Versicherte Gefahren“ ist klar zu entnehmen, dass in § 2 AVB - einschließlich des Verweises auf § 2 Nr. 2 - das versicherte Risiko primär bestimmt wird. Dagegen ist § 4 mit der eindeutigen Überschrift „Ausschlüsse“ versehen. Diese Regelung enthält in § 4 Nr. 3 auch einen Ausschluss für - so die Überschrift - „Krankheiten und Krankheitserreger“, nämlich Prionenerkrankungen oder den Verdacht hierauf. Das Vorhandensein einer solchen Regelung in einem eigenen Paragrafen des Bedingungswerks zeigt ebenfalls deutlich, dass § 2 als primäre Risikobeschreibung zu sehen ist, die durch Ausschlüsse in § 4 eingeschränkt wird.
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(b) Aus dem Wortlaut des § 2 AVB einschließlich der verwendeten Bezugnahmen erkennt der durchschnittliche Versicherungsnehmer, dass nur die in der Regelung eigens genannten, nicht aber noch weitere oder alle Infektionskrankheiten versichert sind.
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(aa) Versicherungsschutz besteht nach § 2 Nr. 1 AVB „beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger“. Welche Krankheiten und Erreger dies sein können, kann nicht unmittelbar § 6 IfSG („Meldepflichtige Krankheiten“) oder § 7 IfSG („Meldepflichtige Nachweise von Krankheitserregern“) entnommen werden, weil § 2 Nr. 2 AVB eine eigene Definition meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger „im Sinne dieser Bedingungen“ vornimmt, worauf § 2 Nr. 1 AVB zudem ausdrücklich verweist. Schon wegen dieser eigenständigen Definition kann ein Versicherungsnehmer nicht erwarten, die Bedeutung des Begriffs der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger decke sich vollständig mit dem infektionsschutzrechtlichen Begriff.
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Die Definition in § 2 Nr. 2 AVB erwähnt zwar die §§ 6 und 7 IfSG. Dem Wortlaut der Versicherungsbedingungen ist aber bei natürlicher, unbefangener Betrachtung zu entnehmen, dass maßgeblich „die folgenden“ Krankheiten sein sollen, nämlich diejenigen, die nach einem Doppelpunkt unmittelbar folgend im Anschluss an den fraglichen Satz in den Versicherungsbedingungen abgedruckt sind. Ein durchschnittlicher Leser kann als „die folgenden … Krankheiten und Krankheitserreger“ ohne Anstrengung diejenigen ausmachen, die dem Einleitungssatz im Abdruck unmittelbar nachfolgen.
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(bb) Dagegen gibt der Wortlaut der Versicherungsbedingungen keinen Hinweis darauf, dass statt der - bei natürlicher Betrachtung - naheliegenden abgedruckten Aufzählungen diejenigen in den §§ 6 und 7 IfSG maßgeblich sein sollten.
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In diesem Zusammenhang bedeutet die Formulierung „die folgenden“ in der Beschreibung des versicherten Risikos zugleich, dass auch nur die folgenden Krankheiten und Erreger dem Versicherungsschutz unterfallen. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird eine möglichst eindeutige, abschließende und nicht nur beispielhafte Beschreibung des versicherten Risikos erwarten. Zudem würde der durchschnittliche Leser zur Einleitung einer bloß beispielhaften, nicht abschließenden Aufzählung mit einem Wort wie „insbesondere“ oder „beispielhaft“ rechnen, das hier aber fehlt.
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Aus der Verwendung des Wortes „namentlich“ ergibt sich nichts anderes. Dieses wird hier nicht in der Bedeutung von „insbesondere“ verwendet. Zwar kann dem Wort diese Bedeutung zukommen, beispielsweise in Formulierungen wie „der Weg ist kaum passierbar, namentlich nach Regen“ oder „überall, namentlich aber im Gebirge“. Doch ergibt sich hier aus dem Kontext der Verwendung („folgenden … namentlich genannten Krankheiten“), dass „namentlich“ im Sinne von „beim Namen genannt“ zu verstehen ist. Auch die Wortstellung entspricht nicht der Einleitung einer beispielhaften Aufzählung, sondern müsste bei einer solchen lauten: „… sind namentlich die folgenden …“
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Der Einschub in der Formulierung „die folgenden im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten …“ nimmt der Wendung „die folgenden“ nicht die Bedeutung, sich auf die nach dem Doppelpunkt folgenden Aufzählungen zu beziehen. Aus der Erwähnung des Infektionsschutzgesetzes in der Klausel kann nicht der Schluss gezogen werden, dass damit alle in diesem Gesetz aufgenommenen oder auch später hinzukommenden Krankheiten und Krankheitserreger versichert seien. Wenn der Versicherer hier eine Aufzählung der versicherten Krankheiten und Erreger in eine Klausel seiner Versicherungsbedingungen aufnimmt, macht dies deutlich, dass damit nicht nur über den Inhalt des Infektionsschutzgesetzes informiert werden oder Versicherungsschutz angepriesen werden soll. Vielmehr werden im Sinne einer rechtlich verbindlichen Regelung die Krankheiten aufgezählt, für die Versicherungsschutz versprochen wird.
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Gegen ein Verständnis, wonach die im Bedingungswerk abgedruckten Aufzählungen lediglich der schnelleren Information des Versicherungsnehmers dienen würden, während maßgeblich die Aufzählungen in den §§ 6 und 7 IfSG seien, spricht schließlich die Überlegung, dass die Versicherungsbedingungen auf dem Stand, den sie bei Abschluss des Versicherungsvertrags hatten, naturgemäß nicht alle nachfolgenden Gesetzesänderungen einbeziehen und wiedergeben können. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer kann schon aus diesem Grund nicht erwarten, dass es statt der abgedruckten Aufzählungen auf den Gesetzestext ankäme.
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(c) Erkennbarer Zweck der Leistungsbeschreibung ist es, den Leistungsumfang zu bestimmen. Insbesondere soll dem Versicherer eine Kalkulation ermöglicht werden. Der Versicherungsnehmer soll informiert entscheiden können, ob die Versicherung die ihm drohenden Risiken abdeckt und abgeschlossen werden soll.
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Ausgehend von diesem Zweck ist eine Erwartung des Versicherungsnehmers nicht begründbar, der Versicherer werde Versicherungsschutz für alle Infektionskrankheiten ohne Unterschied gewähren und ohne die Möglichkeit, die Gefahrträchtigkeit einer Krankheit abschätzen zu können (vgl. OLG Hamm, r+s 2020, 506; OLG Stuttgart, r+s 2021, 139 Rn. 18 ff mwN, 31). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer erkennt anhand der Klausel die Krankheiten und Erreger, für die Schutz besteht. Er muss davon ausgehen, dass er nur insoweit geschützt - und dass die Prämie entsprechend kalkuliert - ist, weil andernfalls keine Aufzählung erforderlich wäre und weil kein Zusatz wie „insbesondere“ angebracht ist.
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(d) Aus dem Umstand, dass bestimmte Krankheiten oder Erreger vom Versicherungsschutz ausdrücklich ausgeschlossen sind (vgl. § 4 Nr. 3 AVB), kann nicht geschlossen werden, dass die vorherige Aufzählung der versicherten Krankheiten und Erreger nicht abschließend gewesen sei. Der Ausschluss hat erkennbar nur den Erklärungswert, dass der Versicherer in bestimmten Fällen keinesfalls Versicherungsschutz gewähren will, unabhängig davon, was nach der primären Risikobeschreibung versichert wäre.
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b) Die Regelung in § 2 AVB ist wirksam. aa) Bei § 2 AVB handelt es sich - wie bereits ausgeführt - um die Leistungsbeschreibung, weil dort der Gegenstand der Versicherung definiert und somit der Umfang des Versicherungsschutzes festgelegt wird. Damit ist für diese Klausel nur eine Transparenzkontrolle vorzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2017 - IV ZR 91/16, NJW 2017, 2346 Rn. 15; Römer/Langheid/Römer, VVG, 4. Aufl., vor § 1 Rn. 45).
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bb) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich nach Satz 2 der Vorschrift auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist. So liegt der Fall hier nicht.
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(1) Nach dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ist der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Dem Versicherungsnehmer soll bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen geführt werden, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden (BGH, Urteil vom 4. April 2018 - IV ZR 104/17, NJW 2018, 1544 Rn. 8 mwN). Nur dann kann er die Entscheidung treffen, ob er den angebotenen Versicherungsschutz nimmt oder nicht (BGH, Urteil vom 20. November 2019 - IV ZR 159/18, r+s 2020, 45 Rn. 7).
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Der Verwender muss die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschreiben, dass für ihn kein ungerechtfertigter Beurteilungsspielraum entsteht (BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 - III ZR 157/10, VersR 2012, 323 Rn. 27). Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot ist nicht schon dann zu bejahen, wenn Bedingungen noch klarer und verständlicher hätten formuliert werden können (BGH, Urteil vom 13. September 2017 - IV ZR 302/16, r+s 2017, 586 Rn. 15; vom 4. April 2018, aaO).
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(2) Gemessen daran ist der Leistungsumfang in § 2 AVB ausreichend transparent geregelt (vgl. auch OLG Stuttgart, r+s 2021, 139 Rn. 41 ff). In diesem Zusammenhang haben die Gesichtspunkte, die bereits bei der Auslegung der Klausel angesprochen wurden, erneut Bedeutung.
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Der Wortlaut der Klausel ist nicht unklar oder mehrdeutig. Versichert sind nicht sämtliche Betriebsschließungen nach dem Infektionsschutzgesetz, sondern nur die in der erkennbar abschließenden Aufzählung genannten. Einen umfassenden Versicherungsschutz kann der Versicherungsnehmer dem Wortlaut nicht entnehmen, was sich aus der Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger sowie der Formulierung ergibt, die nicht den Eindruck erweckt, alle im Infektionsschutzgesetz genannten Krankheiten und Erreger seien versichert. Das Wort „namentlich“ wird in § 2 Nr. 2 AVB nicht im Sinne von „insbesondere“ verwendet. Es meint an dieser Stelle auch keine Meldepflicht unter namentlicher Nennung der betroffenen Person (vgl. etwa § 6 Abs. 1 Satz 1 gegenüber § 7 Abs. 3 Satz 1 IfSG), sondern beim Namen genannte Krankheiten und Krankheitserreger, die versichert sein sollen und die der Versicherungsnehmer in der ausführlichen Aufzählung in den Versicherungsbedingungen vorfindet. Dass diese Aufzählung umfangreich ist, liegt in der Natur der Sache.
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Mit der Regelungstechnik der abschließenden Aufzählung wird dem Versicherungsnehmer bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen geführt, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden. Der Versicherungsgeber ist nach Treu und Glauben nicht gehalten, dem Versicherungsnehmer wirtschaftliche Nachteile und Belastungen noch besser erkennbar zu machen. Wird der Versicherungsumfang in dieser Weise durch eine Aufzählung der versicherten Krankheiten und Erreger bestimmt, muss dem Versicherungsnehmer einleuchten, dass der Versicherer, der sein Risiko begrenzen muss, auf die Weise kalkuliert, dass er ganz bestimmte Krankheiten und Erreger versichert, weil er keinen Einfluss darauf hat, welche weiteren Krankheiten und Erreger der Gesetzgeber in das Infektionsschutzgesetz aufnehmen wird. Dies widerspricht nicht der Forderung, der Versicherungsnehmer müsse die Möglichkeit haben, Lücken im Versicherungsschutz zu erkennen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann bei aufmerksamer Durchsicht und verständiger Würdigung der Regelungen nach deren Formulierung von vornherein nicht davon ausgehen, alle Erkrankungen und Erreger, die künftig in das Infektionsschutzgesetz aufgenommen werden, seien versichert.
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Eine etwaige Unwirksamkeit der Klausel über die Ausschlüsse (§ 4 AVB) würde nicht zur Intransparenz der Risikobeschreibung (§ 2) führen, weil es sich hier um getrennt zu betrachtende Klauseln handelt, die unabhängig voneinander Bestand haben können. Die beiden Regelungen weisen zwar einen Zusammenhang auf, sind aber trennbar und jeweils für sich betrachtet gesondert zu bewerten; eine mögliche Unwirksamkeit der Ausschlussregelungen führt nicht dazu, dass die Regelung zum grundsätzlichen Umfang des Versicherungsschutzes intransparent würde. Wie bereits ausgeführt handelt es sich bei dem in § 2 dargestellten Leistungsumfang nicht um eine verkappte Ausschlussregelung, sondern um die ausreichend bestimmbare Festlegung der grundsätzlichen Leistungspflicht des Versicherers.
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c) Da in der wirksam vereinbarten, abschließenden Aufzählung, die den Umfang des Versicherungsschutzes bestimmt, Corona nicht enthalten ist, besteht hierfür kein Versicherungsschutz.
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2. Selbst, wenn es für den Umfang des Versicherungsschutzes nicht auf die Aufzählung in § 2 Nr. 2 AVB ankäme, sondern unmittelbar auf die in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger, wäre Corona vom Versicherungsschutz nicht erfasst. Erst mit Gesetz vom 19. Mai 2020 (BGBl. I S. 1018) wurden mit Wirkung zum 23. Mai 2020 COVID-19 in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. t IfSG und SARS-CoV-2 in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 44a IfSG aufgenommen. Zuvor bestand ab 1. Februar 2020 eine Meldepflicht für Corona nur nach einer aufgrund § 15 Abs. 1 und 2 IfSG erlassenen Verordnung vom 30. Januar 2020 (BAnz AT 31.01.2020 V1). Zur Zeit des geltend gemachten Versicherungsfalls vom 21. März bis 20. April 2020 (Klageschrift, S. 12) waren weder Krankheit noch Erreger namentlich in §§ 6 und 7 IfSG genannt.
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3. Der Senat teilt nicht die Auffassung der Berufung, dass die Beklagte nur die meldepflichtigen Krankheiten dem IfSG entnommen habe und insoweit keinen Willen zeige, eine eigenständige Definition und Festlegung der versicherten Krankheiten festzulegen. Wie dargestellt ergibt sich gerade daraus, dass die Beklagte die Listen in die Bedingungen mitaufgenommen hat, dass sie eine eigenständige Definition vorgenommen hat. Da diese Listen dem Versicherungsnehmer aufzeigen, bei welchen Krankheiten und Erregern er Versicherungsschutz genießt, war es auch nicht erforderlich, eine bestimmte Fassung des IfSG zu bezeichnen.
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4. Entgegen der Auffassung der Berufung handelt es sich - wie dargelegt - vorliegend nicht um eine Einschränkung des Versicherungsschutzes, sondern um die Bestimmung des Leistungsumfangs, der sich aus § 2 AVB ergibt; dort ist gerade kein Versicherungsschutz für Betriebsschließungen wegen Corona versprochen.
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5. Eine andere (zutreffende) Auslegung ist wegen der Verwendung der Listen mit den einzeln bezeichneten Krankheiten und Erregern und der Bezugnahme auf diese Listen nicht möglich; auf die obigen Ausführungen zur Auslegung wird Bezug genommen.
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6. Soweit die Klägerin vorträgt, §§ 6, 7 IfSG seien lediglich abgeschrieben und daraus herleiten will, dass eine Auslegung auch möglich ist, dass Corona versichert ist, überzeugt das nicht. Die Klägerin erkennt selbst, dass die Vorschriften nicht vollständig abgeschrieben wurden; in den Listen (und in den Bedingungen) fehlen gerade die Öffnungsklauseln für bedrohliche Erkrankungen und Erreger die auf eine schwerwiegende Gefahr hinweisen (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 und § 7 Abs. 2 IfSG); daraus ergibt sich, dass die Beklagte Versicherungsschutz nur für konkrete und bezeichnete Krankheiten/ Erreger versprechen wollte, die zur Zeit der Abfassung ihrer Bedingungen im IfSG enthalten waren und für die sie kalkulieren konnte; nur insoweit hat sie die Bezeichnungen der Krankheiten und Erreger aus dem IfSG entnommen. Eine dynamische Verweisung auf die zur Zeit der Betriebsschließung geltende Fassung des IfSG lässt sich aus dem Regelwerk gerade nicht ableiten.
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7. Ein klarstellender weiterer Hinweis auf die Reichweite des Versicherungsschutzes war nicht veranlasst; aus der Liste der bezeichneten Krankheiten und Erreger ergibt sich der Umfang des Versicherungsschutzes ausreichend deutlich.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 709 Satz 2, § 711 ZPO. Die Revision zum Bundesgerichtshof (§ 133 GVG, § 8 Abs. 2 EGGVG, § 7 Abs. 1 EGZPO) war gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit Blick auf das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 30. Juni 2021 (12 U 4/21, juris) zuzulassen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Mai 2009 - IV ZR 217/08, r+s 2009, 340 Rn. 2; vom 13. Februar 2013 - IV ZR 260/12, r+s 2013, 282 Rn. 10; vom 15. Februar 2017 - IV ZR 202/16, VersR 2017, 948 Rn. 7; BeckOK-ZPO/Kessal-Wulf, 2021, § 543 Rn. 19, 26, § 545 Rn. 13; Zöller/Heßler, ZPO, 33. Aufl., § 543 Rn. 13).
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Die Festsetzung des Berufungsstreitwerts beruht auf §§ 47, 48 GKG, § 3 ZPO.