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OLG München, Endurteil v. 08.02.2021 – 17 U 5766/20
Titel:

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Berufung, Fahrzeug, Ermessen, Anspruch, PKW, Gewerbebetrieb, Zahlung, Beweisaufnahme, Schadensereignis, Gebrauchtfahrzeug, Haftung, Zinsen, Zug um Zug, Vermeidung von Wiederholungen, Ermessen des Gerichts

Schlagworte:
Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Berufung, Fahrzeug, Ermessen, Anspruch, PKW, Gewerbebetrieb, Zahlung, Beweisaufnahme, Schadensereignis, Gebrauchtfahrzeug, Haftung, Zinsen, Zug um Zug, Vermeidung von Wiederholungen, Ermessen des Gerichts
Vorinstanz:
LG München II, Endurteil vom 21.08.2020 – 14 O 1548/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 10.08.2022 – VII ZR 194/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 56483

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 21.08.2020, Az. 14 O 1548/20, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München II sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

A
1
Die Parteien streiten im Rahmen des sogenannten Dieselskandals um Schadensersatzpflichten der Beklagten.
2
Hinsichtlich der Tatsachenfeststellungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf das klageabweisende Endurteil des LG München I vom 21.08.2020 (Bl. 206/213 d. A.) mit nachfolgenden Änderungen und Ergänzungen verwiesen.
3
Die Klage wurde am 29.12.2019 beim LG Memmingen eingereicht. Auf den Transfervermerk des LG Memmingen (hinter Bl. 15 d. A.) wird verwiesen.
4
Bei dem vom vorsteuerabzugsberechtigten Kläger für seinen Gewerbebetrieb gekauften PKW handelte es sich bei Kauf um ein Gebrauchtfahrzeug (vgl. Anlage K 1).
5
In der Berufungsinstanz beruft sich der Kläger hilfsweise für den Fall der Verjährung des originären Schadensersatzanspruchs auf § 852 Satz 1 BGB (vgl. Schriftsatz vom 21.01.2021, dort Seiten 3/8 = Bl. 301/306 d. A.).
6
Das Erstgericht hat die Klage abgewiesen.
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In der Berufungsinstanz beantragt der Kläger jetzt:
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1. Unter Abänderung des am 21.08.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts München II, Aktenzeichen: 14 O 1548/20, wird die Berufungsbeklagte verurteilt, an den Kläger 20.420,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.04.2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des VW Amarok mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …5070 gegen Zahlung einer angemessenen Nutzungsentschädigung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht mehr als 319,87 €, zu zahlen.
9
2. Unter Abänderung des am 21.08.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts München II, Aktenzeichen: 14 O 1548/20, wird festgestellt, dass sich die Berufungsbeklagte mit der Annahme des VW Amarok mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer …5070 seit spätestens 26.12.2019 in Annahmeverzug befindet.
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3. Unter Abänderung des am 21.08.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts München II, Aktenzeichen: 14 O 1548/20, wird die Berufungsbeklagte verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.899,24 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.12.2019 zu zahlen.
11
Die Beklagte beantragt,
die Zurückweisung der Berufung.
12
Hinsichtlich des Vortrags der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
13
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme des Klägers als Partei. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
B
14
Die zulässige Berufung (§§ 511, 517, 520 ZPO) ist nicht begründet, dem (Schadensersatz-) Anspruch des Klägers steht die Einrede der Verjährung durch die Beklagte entgegen, ein Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB besteht ebenfalls nicht.
I.
15
Der Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB ist verjährt (§§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB):
16
1. Der Senat ist aufgrund der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger bereits im Herbst 2015 aufgrund der umfangreichen Berichterstattung in den Medien positiv wusste, dass dieses von ihm gekaufte Fahrzeug hiervon betroffen sei:
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a) Der Kläger will, so seine Bekundung im Rahmen der Parteieinvernahme, von einem Arbeitskollegen auf einer Baustelle erst im März 2016 konkret erfahren haben, dass auch sein Fahrzeug von der Abgasmanipulation betroffen sei. Vorher habe er schon gehört, dass es Probleme bei V., insbesondere beim Golf, gegeben habe. Ihm sei aber nicht klar gewesen, dass sein Fahrzeug betroffen gewesen sei.
18
b) Letzteres hält der Senat für nicht glaubhaft: Der Kläger vermittelte nicht den Eindruck eines insbesondere hinsichtlich seines Erdbauunternehmens uninteressierten bzw. nur oberflächlich interessierten Gewerbetreibenden. Ihm ist nach dem Eindruck des Senats sehr wohl bewusst, dass die Grundlagen dieses Unternehmens für ihn wirtschaftlich essentiell sind. Dazu gehört auch die Nutzbarkeit seines (Zug-) Fahrzeugs. In diesem Zusammenhang kann sich der Senat nicht vorstellen, das sich der Kläger bereits im Herbst 2015 nicht über die Betroffenheit seines Fahrzeugs konkret informiert haben will, zumal in diesem Zusammenhang die uneingeschränkte Nutzbarkeit, auf die der Kläger so großen Wert gelegt haben will, in Zweifel stand. Es spricht daher schon hier alles dafür, dass der Kläger über die konkrete Betroffenheit seines Fahrzeugs informiert war.
19
c) Hinzu kommt, dass der Senat den Kläger bezüglich seines angeblich fehlenden Wissens um die Betroffenheit seines Fahrzeugs auch nicht für glaubwürdig hält: Es war auffallend, dass der Kläger bei mehrfachen konkreten Nachfragen zu diesem Thema immer wieder schnell einen Themenwechsel vorzunehmen versuchte, wobei sich der Senat des Eindrucks nicht erwehren konnte, der Kläger befürchte stets, sich bei diesem Thema zu „verplappern“.
20
d) Nimmt man dies alles zusammen, gelangt der Senat zu der Überzeugung, dass dem Kläger bereits im Herbst 2015 die Verwicklung seines Fahrzeugs in den Dieselskandal aufgrund Abgasmanipulation positiv bekannt war.
21
2. Damit lief die Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 BGB am 01.01.2016 an und mit Ablauf des 31.12.2018 ab. Die Klageerhebung am 29.12.2019 konnte daher die Verjährung des Schadensersatzanspruchs nicht (mehr) rechtzeitig hemmen.
II.
22
Weitere denkbare Ersatzansprüche nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB scheitern an fehlenden vertraglichen Beziehungen der Parteien zueinander bzw. an nicht vorhandenen Schutzgesetzen.
III.
23
Der Kläger hat auch keinen Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB, da die Beklagte bei dem Kauf durch den Kläger nichts im Sinne des § 852 Satz 1 BGB erlangt hat:
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1. Zwar ist die Vermögensverschiebung durch eine unerlaubte Verletzerhandlung nach § 852 Satz 1 BGB nicht auf solche unmittelbarer Art beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 26.03.2019, X ZR 109/16, GRUR 2019, 496, 497f., Randziffer 21).
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2. Es muss jedoch ein zumindest mittelbarer Zusammenhang zwischen schädigendem Ereignis und Vermögensmehrung beim Schädiger bestehen, da sonst eine Haftung nach § 852 Satz 1 BGB einen wesentlich größeren Umfang annehmen würde als die dem zugrunde liegenden (aber verjährten) Schadensersatzansprüche (s. dazu untern Ziffer B III 4).
26
3. Die Beklagte hat jedoch im konkreten Fall allenfalls etwas beim konkreten ersten Verkauf im Rahmen der Erstzulassung im Jahr 2011 erlangt. Danach war jedoch das Fahrzeug in den freien Verkehr gelangt, von dem die Beklagte bei Kauf durch den Kläger im Jahr 2014 nicht mehr profitieren konnte, weshalb sie im Zusammenhang mit diesem Kauf 2014 auch nichts mehr, wenn auch nur mittelbar, erlangt haben kann.
27
4. Dies wird auch durch eine Kontrollbetrachtung ersichtlich: Wäre es anders, hätte die Beklagte bei einem (unterstellten) mehrfachen Weiterverkauf mehrfach nach § 852 Satz 1 BGB zu haften im Vergleich zu einem Fahrzeug, dass nur einmal neu gekauft und dann vom Erstkäufer bis zur endgültigen Verschrottung gefahren würde. Da jedoch in den jeweiligen Jahren nach Erst- bzw. Weiterverkauf nicht bekannt ist, wie häufig das Fahrzeug weiterverkauft wird, kann dies den Umfang des Erlangten bei keinem Schadensereignis (Weiter-) Verkauf beeinflussen, sodass letztendlich das durch die Beklagte zu zahlende Erlangte insgesamt wirtschaftlich weit teurer sein könnte als der Gesamtkaufpreis des (erstmals) neu verkauften Fahrzeugs. In dieser Größenordnung wäre aber ein Schadensersatzanspruch eines (Neuwagen-) Käufers beschränkt. Das will § 852 Satz 1 BGB aber gerade nicht schützen.
C
28
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
29
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen und dieses Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
30
Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO kam eine Zulassung der Revision nicht in Betracht.
Verkündet am 08.02.2021