Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 10.08.2021 – B 6 S 21.790
Titel:

Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis, Sicherung des Lebensunterhalts bei volljährigen nachgezogenen Kindern, Zumutbarkeit des Familienlebens im Herkunftsland, faktischer Inländer (verneint)

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 34
AufenthG § 35
AufenthG § 33
Schlagworte:
Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis, Sicherung des Lebensunterhalts bei volljährigen nachgezogenen Kindern, Zumutbarkeit des Familienlebens im Herkunftsland, faktischer Inländer (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2021, 56456

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1
Die Antragstellerinnen begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer auf Verlängerung bzw. Erteilung eines Aufenthaltstitels gerichteten Klagen.
2
Die Antragstellerin zu 1) ist ugandische Staatsangehörige und reiste im Jahr 2009 als 16-jährige mit einem von der deutschen Botschaft in Kampala (Uganda) ausgestellten Visum zum Zwecke des Familiennachzugs zu ihrer im Bundesgebiet als Flüchtling anerkannten Mutter in die Bundesrepublik Deutschland ein (die Vaterschaft des ebenfalls im Bundesgebiet lebenden Ehemannes der Mutter konnte im Visumsverfahrens nicht nachgewiesen werden). Die Stadt X erteilte ihr im Folgenden eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG mit Gültigkeitsdauer 30.04.2009 bis 24.05.2011. Die Aufenthaltserlaubnis wurde in den Folgejahren - zunächst durch die Stadt X, zwischenzeitlich durch die Stadt Y und zuletzt wieder durch die Stadt X - jeweils um zwei Jahre verlängert, wobei als Rechtsgrundlage jeweils „§ 34 Abs. 2 AufenthG“ angegeben wurde.
3
Bezüglich einer von der Antragstellerin zu 1) im April 2017 beantragten Niederlassungserlaubnis wies die seinerzeit zuständige Ausländerbehörde der Stadt Y mit Schreiben vom 12.10.2017 darauf hin, dass aus ihrer Sicht der Lebensunterhalt nicht Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AufenthG gesichert sei, weil sich das Arbeitsverhältnis der Antragstellerin zu 1) zum damaligen Zeitpunkt in der Probezeit befunden habe. Am 12.06.2018 änderte die Antragstellerin daraufhin den Antrag vom April 2017 dahingehend, dass die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis anstatt einer Niederlassungserlaubnis beantragt werde. Diese Verlängerung gewährte die Stadt Y sodann (Geltungszeitraum 20.04.2017 bis 19.04.2019). Am 08.02.2018 sowie am 17.07.2018 formularmäßig gestellte weitere Anträge auf Niederlassungserlaubnis hat die Stadt Y nicht verbeschieden.
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Die letzte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, nun wieder durch die Stadt X, galt für den Zeitraum 20.04.2019 bis 19.04.2021. Bei der Bearbeitung des diesbezüglichen Verlängerungsantrags vermerkte die Antragsgegnerin im Verwaltungsvorgang am 08.05.2019 zur Frage der Sicherung des Lebensunterhalts: „Der Lebensunterhalt ist gesichert durch Arbeitslosengeld“.
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Am 11.12.2020 wurde die Tochter der Antragstellerin zu 1), die Antragstellerin zu 2), in … geboren. Vater ist der tansanische Staatsangehörige E.A.K., der mit der Antragstellerin zu 1) verheiratet ist und der am 05.12.2020 mit einem von der deutschen Botschaft in Daressalam (Tansania) ausgestellten Schengen-Visum - vorgeblich zum Zweck eines Familienbesuchs - ins Bundesgebiet einreiste und sich seitdem in … aufhält. Mit Bescheid vom 19.01.2021 forderte die Antragsgegnerin Herrn E.A.K auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Zustellung des Bescheids zu verlassen und drohte ihm widrigenfalls die Abschiebung nach Tansania oder einen anderen aufnahmebereiten Staat an. Hiergegen ließ Herr E.A.K am 01.02.2021 Klage zum Verwaltungsgericht Bayreuth (B 6 K 21.105, derzeit noch anhängig) erheben mit dem Antrag, ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach §§ 30 und 36 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise eine Duldung zu erteilen. Gleichzeitig ließ er im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes beantragen, die Antragsgegnerin zu verpflichten, von abschiebenden Maßnahmen abzusehen, bis über die Hauptsacheklage erstinstanzlich entschieden wurde (Verfahren B 6 E 21.104). Den letztgenannten Antrag lehnte die Kammer mit Beschluss vom 16.03.2021 ab. Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass der verfassungsrechtliche Schutz der Familie nicht die Aussetzung der Abschiebung gebiete, weil die familiäre Lebensgemeinschaft in zumutbarer Weise in Uganda oder Tansania hergestellt werden könne. Auf die Gründe des Beschlusses im Übrigen wird Bezug genommen.
6
Bereits mit E-Mail vom 12.01.2021 beantragte die Antragstellerin zu 1) für die Antragstellerin zu 2) die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
7
Am 12.04.2021 beantragte die Antragstellerin zu 1) mündlich die Verlängerung der ihr erteilten Aufenthaltserlaubnis. Mit am 27.04.2021 bei der Antragsgegnerin eingegangenem schriftlichem Antrag beantragte sie zudem die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.
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Mit Schreiben vom 03.05.2021 hörte die Antragsgegnerin die Antragstellerin zu 1) zur beabsichtigten Ablehnung der Verlängerung bzw. Erteilung eines Aufenthaltstitels für sie und ihr Kind an. Der Lebensunterhalt sei nicht gesichert. Der Antragstellerin zu 1) habe auf dem Antragsformular selbst angegeben, auf den Bezug von Sozialleistungen nach dem SGB II angewiesen zu sein. Dafür spreche auch, dass sie gemäß einem Schreiben des Jobcenters …-Stadt zur Mitwirkung im Verfahren über die Sozialleistungsbewilligung aufgefordert worden sei.
9
Mit Schriftsatz vom 31.05.2021 äußerte sich der Antragstellerbevollmächtigte gegenüber der Antragsgegnerin dahingehend, dass die Antragstellerin zu 1) sich seit 2009 legal im Bundesgebiet aufhalte, zwei Ausbildungen absolviert habe und bis 2018 berufstätig gewesen sei. Sie sei integriert, ihre Familie (Eltern und fünf Geschwister) lebten im Bundesgebiet und sie habe die Heimatssprache fast verlernt. Sie sei daher als faktische Inländerin anzusehen. Darüber hinaus hätte die Antragstellerin zu 1) bereits in der Vergangenheit die Möglichkeit gehabt, Aufenthaltserlaubnisse zum Beispiel gemäß §§ 32, 35, 36 Abs. 2 AufenthG und insbesondere § 35 i.V.m. § 37 AufenthG zu erlangen. Es werde die rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach all diesen Vorschriften beantragt.
10
Mit Bescheid vom 16.06.2021 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin zu 1) auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (Ziffer 1) und auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (Ziffer 2) sowie die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Antragstellerin zu 2) (Ziffer 3) ab. Die Antragstellerinnen wurden aufgefordert, das Bundesgebiet binnen 30 Tagen nach Zustellung des Bescheids zu verlassen (Ziffer 4). Widrigenfalls wurde ihnen die Abschiebung in die Republik Uganda oder in einen anderen Staat, in denen sie einreisen dürfen oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Ziffer 5). Für den Fall der Abschiebung wurde eine Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen und auf die Dauer von einem Jahr befristet (Ziffer 6).
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Zur Begründung wurde ausgeführt: Der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin zu 1) sei abzulehnen. Eine Verlängerung nach § 32 AufenthG scheide schon mangels Minderjährigkeit der Antragstellerin zu 1) aus. § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG scheide ebenfalls aus, weil die verheiratete Antragstellerin zu 1) nach den ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften nicht in den persönlichen Anwendungsbereich falle, jedenfalls aber eine außergewöhnliche Härte, die einen Verbleib im Bundesgebiet rechtfertigen könnte, nicht nachgewiesen worden sei. Darüber hinaus sei die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Sicherung des Lebensunterhalts) nicht erfüllt, da die Antragstellerin zu 1) nach den vorliegenden Erkenntnissen auf Sozialleistungen angewiesen sei. Eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 34 Abs. 2 und Abs. 3 AufenthG sei abzulehnen. Die Verlängerung des nach § 34 Abs. 2 AufenthG entstandenen eigenständigen Aufenthaltsrechts richte sich nach der Ermessensnorm des § 34 Abs. 3 AufenthG. § 37 AufenthG sei hingegen lediglich auf die erstmalige Prüfung des Bestehens eines eigenständigen Aufenthaltsrechts nach § 34 Abs. 2 AufenthG anwendbar. Im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 34 Abs. 3 AufenthG komme dem Prüfprogramm des § 5 AufenthG besonderes Gewicht zu. Insofern sei auch hier von Bedeutung, dass der Lebensunterhalt der Antragstellerin zu 1) nicht im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gesichert sei. Der Schutz auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK gebiete bei pflichtgemäßer Ermessensausübung nicht die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Den Antragstellerinnen sei die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft im Heimatland der Antragstellerin zu 1) oder im Heimatland des Ehemanns bzw. Vaters zumutbar, wie auch im gerichtlichen Verfahren B 6 E 21.104 festgestellt worden sei. Der Vortrag, die Antragstellerin zu 1) habe die Sprache ihres Herkunftslandes fast verlernt, sei unglaubwürdig, da sie noch im Visumverfahren ihres Ehemanns von ihr verfasste Schreiben in englischer Sprache vorgelegt habe und sowohl in Uganda als auch in Tansania Englisch Verkehrssprache sei. Die Beziehungen der Antragstellerin zu 1) zu ihren im Bundesgebiet lebenden Angehörigen rechtfertigten nicht die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Art. 8 Abs. 1 EMRK schütze nur die Kernfamilie, es lägen auch keine zusätzlichen Elemente der Abhängigkeit im Verhältnis der Antragstellerin zu 1) zu ihren hier lebenden Eltern bzw. Geschwistern vor. Auch die Eheschließung mit einem tansanischen Staatsangehörigen in dessen Heimatland und nach dortigem Recht zeige, dass weiterhin eine Bindung der Antragstellerin zu 1) zu ihrer Herkunftsregion bestehe. Eine nachhaltige wirtschaftliche Integration liege im Hinblick auf die fehlende Lebensunterhaltssicherung ebenfalls nicht vor. Ein Nachweis über einen erfolgreichen Abschluss der beiden genannten Berufsausbildungen sei nicht aktenkundig. Die vorgelegten Zeugnisse belegten zum Teil mangelhafte Leistungen.
12
Die Antragstellerin zu 1) habe auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG. § 35 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sei auf die bereits volljährige Antragstellerin zu 1) nicht anwendbar. § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG greife ebenfalls nicht zu ihren Gunsten, weil der Lebensunterhalt nicht im Sinne von § 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG gesichert sei. Eine rückwirkende Erteilung einer Niederlassungserlaubnis komme ebenfalls nicht in Betracht, weil die Antragstellerin zu 1) nach Aktenlage die Voraussetzungen einer Niederlassungserlaubnis nach § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zu keinem Zeitpunkt erfüllt habe. So habe die Stadt Y bereits im Schreiben vom 12.10.2017 die Voraussetzungen einer Niederlassungserlaubnis mangels Sicherung des Lebensunterhalts nicht als erfüllt angesehen. Hinzu komme, dass die Niederlassungserlaubnis nur auf Antrag erteilt werde, die Antragstellerin zu 1) einen solchen Antrag in der Vergangenheit jedoch lediglich einmal bei der Stadt Y gestellt habe.
13
Die Antragstellerin zu 2) habe ebenfalls keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Die Anspruchsprüfung richtet sich nach § 33 Satz 1 AufenthG und nicht nach Satz 2 dieser Vorschrift, weil zum Zeitpunkt der Geburt nicht beide Eltern, sondern allein die Kindsmutter einen Aufenthaltstitel gehabt habe. Damit bestehe die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde. Bei der Ermessensausübung sei zu berücksichtigen, dass die Aufenthaltserlaubnis der Mutter zwar im Zeitpunkt der Geburt noch gültig gewesen, diese nun aber nicht mehr verlängert worden sei. Hinzu komme, dass für die Antragstellerin zu 2) entgegen der Obliegenheit der Eltern aus § 80 Abs. 4 AufenthG kein gültiger Reisepass vorgelegt worden sei.
14
Schließlich seien Sachverhalte, die ein gesetzliches Verbot der Abschiebung oder Duldungsgründe begründen könnten, bezüglich beider Antragstellerinnen weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
15
Hiergegen ließen die Antragstellerinnen am 14.07.2021 Klage erheben mit dem Antrag, die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Bescheids vom 16.06.2021 zu verpflichten, den Antragstellerinnen die beantragten Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen. Zugleich ließen sie beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
16
Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Antragstellerin zu 1) lebe seit 12 Jahren legal im Bundesgebiet. Sie sei daher als faktische Inländerin anzusehen. Die Antragsgegnerin übersehe, dass die Antragstellerin zu 1) bislang über acht Jahre lang berufstätig gewesen sei. Die letzte Arbeitsstelle habe sie coronabedingt verloren. Aus Gründen des Mutterschutzes sei derzeit eine Erwerbstätigkeit nicht möglich. Die Eltern und fünf Geschwister der Antragstellerin zu 1) lebten im Bundesgebiet und sie spreche perfekt Deutsch.
17
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
18
Zur Begründung verweist sie auf die Gründe des angegriffenen Bescheids und führt ergänzend aus, dass die Corona-Pandemie und der Mutterschutz nicht der Grund für die fehlende Lebensunterhaltssicherung sein könnten. Der Antragstellerbevollmächtige habe im Schriftsatz vom 31.05.2021 selbst ausgeführt, dass die Antragstellerin zu 1) nur bis 2018 berufstätig gewesen sei.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
20
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
21
1. Der Antrag ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO zulässig. Trotz einer in der Hauptsache statthaften Verpflichtungsklage ist im Ausländerrecht der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthaft, wenn mit der Ablehnung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels die Fiktionswirkung des Antrags nach § 81 Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 4 Satz 1 AufenthG beseitigt wird. Denn in der Beseitigung der Fiktionswirkung ist ein belastender, gem. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG kraft Gesetzes sofort vollziehbarer Verwaltungsakt zu sehen (vgl. zum Ganzen z.B. Samel in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 81 AufenthG Rn. 47, 50; Dietz, Ausländer- und Asylrecht, 3. Aufl. 2020, Rn. 210). Ein solcher Fall liegt hier hinsichtlich beider Antragstellerinnen vor. Die Antragstellerin zu 1) stellte den Antrag auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis bzw. auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, als ihre bisherige Aufenthaltserlaubnis noch gültig war (Antrag vom 12.04.2021) bzw. gem. § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG als fortbestehend galt (Antrag vom 27.04.2021), so dass ein Fall des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG vorliegt. Für die im Bundesgebiet geborene Antragstellerin zu 2) gilt § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG analog, so dass ihr Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als rechtmäßig galt (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 33 AufenthG Rn. 20).
22
2. Der Antrag ist unbegründet.
23
Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung, bei der die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage maßgeblich zu berücksichtigen sind, fällt zulasten der Antragstellerinnen aus. Denn die in der Hauptsache erhobene Verpflichtungsklage wird nach der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben.
24
2.1. Die Antragstellerin zu 1) hat keinen Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis (2.1.1.) oder auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (2.1.2.).
25
2.1.1. Gem. § 8 Abs. 1 AufenthG gelten für die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich dieselben Vorschriften für die (Neu-)Erteilung.
26
Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Verlängerung des nach § 34 Abs. 2 Satz 1 AufenthG mit Eintritt der Volljährigkeit vom Familiennachzug losgelösten Aufenthaltsrechts der Antragstellerin zu 1) nach der Ermessensnorm des § 34 Abs. 3 AufenthG und nicht nach der (grundsätzlich) gebundenen Anspruchsnorm des § 34 Abs. 1 AufenthG richtet. Die Bezugnahme des Antragstellerbevollmächtigten auf § 34 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 37 AufenthG (vgl. S. 4 der Antragsschrift und S. 4 des Bescheids vom 16.06.2021) geht fehl. Eine Anwendung des Verlängerungstatbestands des § 34 Abs. 1 letzter Halbs. AufenthG i.V.m. § 37 AufenthG setzt bereits voraus, dass die Volljährigkeit des Ausländers nach Ablauf der zu verlängernden Aufenthaltserlaubnis eingetreten ist; ansonsten ist § 34 Abs. 3 AufenthG einschlägig (OVG RhPf, B.v. 19.11.2003 - 10 B 11535/03 - juris Rn. 4 f. (zu § 21 Abs. 2 AuslG 1990); Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Mai 2021, § 34 AufenthG Rn. 6; vgl. auch VG München, U.v. 27.07.2009 - M 25 K 09.2644 - juris Rn. 14). Es solcher Fall liegt nicht und lag auch in der Vergangenheit nicht vor. Die Antragstellerin zu 1) ist bereits während der Gültigkeit der ihr für den Zeitraum 30.04.2009 bis 29.05.2011 erstmals auf der Grundlage des § 32 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erteilten Aufenthaltserlaubnis volljährig geworden. Darüber hinaus lägen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 34 Abs. 1 letzter Halbs. AufenthG i.Vm. § 37 AufenthG ohnehin nicht vor, und zwar weder aktuell noch in der Vergangenheit. Denn § 37 Abs. 1 AufenthG setzt einen rechtmäßigen achtjährigen Aufenthalt als Minderjähriger und einen sechsjährigen Schulbesuch (Nr. 1) sowie eine Antragstellung nach Vollendung des 15. und vor Vollendung des 21. Lebensjahres (Nr. 3) voraus. Die Antragstellerin zu 1) ist jedoch erst als 16jährige ins Bundesgebiet eingereist (für die Entbehrlichkeit der Erfüllung der Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 AufenthG aufgrund von § 37 Abs. 2 AufenthG wäre ebenfalls nichts ersichtlich). Es verbleibt daher bei dem Grundsatz, dass der Lebensunterhalt nachgezogener Kinder ab Volljährigkeit regelmäßig gesichert sein muss (BVerwG, U.v. 15.08.2019 - 1 C 23/18 - NVwZ 2019, 1762/1764 Rn. 17).
27
Die nach § 34 Abs. 3 AufenthG zu treffende behördliche Ermessensentscheidung ist gerichtlich nur in den Grenzen des § 114 Satz 1 VwGO überprüfbar. Zudem setzt die Verlängerung gem. § 8 Abs. 1 i.V.m. § 5 AufenthG die Erfüllung der Regelerteilungsvoraussetzungen nach der letztgenannten Norm voraus. Die Vergünstigungen der §§ 27-33 AufenthG finden keine Anwendung mehr (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 15.08.2019 - 1 C 23/18 - NVwZ 2019, 1762/1763 Rn. 10; OVG Berlin-Bbg, B.v. 16.02.2010 - 11 S 65/09 - BeckRS 2010, 46463; Tewocht in BeckOK AuslR, Stand 01.04.2021, § 34 AufenthG Rn. 12 f.).
28
Der Lebensunterhalt der Antragstellerin zu 1) ist allen Anhaltspunkten nach nicht i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG gesichert, ohne dass von diesem gesetzlichen Erfordernis wegen atypischer Umstände des Einzelfalls (vgl. § 5 Abs. 1 AufenthG: „in der Regel“) abgesehen werden könnte. Die Antragsgegnerin geht im Bescheid vom 16.06.2021 davon aus, dass die Antragstellerin zu 1) nicht erwerbstätig und auf Sozialleistungen angewiesen ist, ohne dass anwaltlich vertretene Antragstellerin zu 1) dem substantiiert entgegengetreten wäre. Entsprechender Schriftverkehr mit dem Job-Center …-Stadt bezüglich eines Antrag auf Leistungen nach dem SGB II ist in der Behördenakte dokumentiert (vgl. etwa Bl. 267 und 288). Der Hinweis des Antragstellerbevollmächtigten auf die Erwerbstätigkeit in der Vergangenheit, die COVID-19-Pandemie und die Mutterschaft der Antragstellerin zu 1) suspendiert die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht. Wegen § 8 Abs. 1 AufenthG ist hier zu prüfen, ob der Lebensunterhalt (prognostisch) für die erwartete Dauer des Aufenthalts gesichert ist (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 16.02.2010 - 11 S 65/09 - BeckRS 2010, 46463) und nicht, ob der Lebensunterhalt ggf. in der Vergangenheit gesichert war. Zu Recht verweist die Antragsgegnerin darauf, dass die Antragstellerin zu 1) im Rahmen der Anhörung im Verwaltungsverfahren vorgetragen hat, nur bis 2018 berufstätig gewesen zu sein. Der Vortrag im gerichtlichen Verfahren, sie habe ihre letzte Arbeitsstelle „corona-bedingt“ verloren, geht nicht über eine bloße Behauptung hinaus. Im Übrigen hat die Antragstellerin zu 1) nichts dafür vorgetragen, dass sie mit der Entspannung der Pandemie-Lage wieder in der Lage sein wird, ihren Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu sichern. Die Mutterschaft für die Antragstellerin zu 2) entbindet die Antragstellerin zu 1) ebenfalls nicht von dem Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts. Wie sie selbst vorträgt, leben mehrere Angehörige in … und augenscheinlich im gleichen Haushalt. Der Antragstellerin zu 1) wäre es daher zuzumuten, im Falle der Berufstätigkeit für die Kinderbetreuung die Unterstützung ihrer Familie oder auch sonstige Betreuungsangebote in Anspruch zu nehmen.
29
Unabhängig von der Sicherung des Lebensunterhalts begegnet auch die Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Ausländerbehörde hat erkannt, dass sie eine Ermessensentscheidung zu treffen und bei der Ermessensausübung höherrangiges Recht, insbesondere Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK, zu berücksichtigen hat. Die Antragsgegnerin geht ermessenfehlerfrei davon aus, dass die Antragstellerin zu 1) nicht in solchem Maße im Bundesgebiet verwurzelt ist, dass ihr die Rückkehr in ihr Herkunftsland unzumutbar wäre.
30
Die Antragstellerin zu 1) ist - entgegen dem Vortrag des Antragstellerbevollmächtigten - ersichtlich keine sog. „faktische Inländerin“. Der Begriff „faktischer Inländer“ ist nicht einheitlich definiert, sondern wird in der Rechtsprechung unterschiedlich umschrieben (BayVGH, B.v. 10.04.2019 - 19 ZB 17.1535 - juris Rn. 30). Das BVerwG bezeichnet faktische Inländer als „im Bundesgebiet geborene und aufgewachsene Kinder, deren Eltern sich hier erlaubt aufhalten“ (U.v. 16.7.2002 - 1 C 8/02 - juris Rn. 23). Das BVerfG umschreibt den Begriff mit „hier geborene bzw. als Kleinkinder nach Deutschland gekommene Ausländer“ (B.v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 - juris Rn. 19). Unter diesen Personenkreis fällt die Antragstellerin zu 1), die als 16-jährige ins Bundesgebiet eingereist ist, offensichtlich nicht. Die Antragstellerin zu 1) hat vielmehr ihre Kindheit und einen erheblichen Teil ihrer Jugend in Uganda verbracht. Schon deshalb geht der Verweis des Antragstellerbevollmächtigten auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21.05.2021 (19 CS 20.2977), der einen im Bundesgebiet geborenen Ausländer betrifft, fehl. Zu Recht führt die Antragsgegnerin aus, dass auch die aktuelle familiäre Situation dafür spricht, dass die Antragstellerin zu 1) in ihrer Herkunftsregion nicht völlig entwurzelt ist. So hat sie im Jahr 2019 den tansanischen Staatsangehörigen E.A.K. (offenbar in dessen Heimatland) geheiratet, welcher bis zu seiner illegalen Einreise Ende letzten Jahres in Tansania, dem Nachbarland von Uganda, lebte. Die Behauptung, sie habe die Sprache ihres Herkunftslandes verlernt, ist angesichts dessen, dass die Antragstellerin zu 1) während ihres mehrjährigen Aufenthalts in Deutschland bei oder jedenfalls in der Nähe einer größeren Zahl von Familienangehörigen aus dem Heimatland gewohnt hat, lebensfremd. Zu Recht verweist die Antragsgegnerin im Übrigen darauf, dass es der Antragstellerin zu 1) noch im Visumverfahren ihres Ehemanns im letzten Jahr möglich war, Schreiben in fehlerfreiem Englisch (eine der Amtssprachen in Uganda) vorzulegen (vgl. Bl. 327 d. Behördenakte). Davon konnte sich das Gericht bereits im Verfahren B 6 E 21.104 überzeugen. Auch die wirtschaftliche Integration ist nicht in solchem Maße fortgeschritten, dass der Antragstellerin zu 1) die Reintegration im Herkunftsland unzumutbar wäre. Bereits bei der letzten Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis im Jahr 2019 war sie augenscheinlich arbeitslos und auf Arbeitslosengeld nach dem SGB III angewiesen (vgl. Bl. 245 u. 247 d. Behördenakte). Dass sich ihre wirtschaftliche Situation in der Folgezeit wieder stabilisiert hat, ist nicht ersichtlich (s.o.).
31
Die familiären Bindungen der Antragstellerin zu 1) rechtfertigen ebenfalls nicht die Annahme behördlicher Ermessensfehler. Sie ist mit dem vollziehbar ausreisepflichtigen E.A.K. verheiratet; aus der Ehe ist ein gemeinsames Kind, die Antragstellerin zu 2) hervorgegangen. Wie das Gericht bereits im Beschluss vom 16.03.2021 im Verfahren B 6 E 21.104 unter Auswertung der von der Antragsgegnerin eingeholten Stellungnahmen der deutschen Botschaften in Uganda und Tansania dargelegt hat, ist es der Familie möglich und zumutbar, die familiäre Lebensgemeinschaft in Uganda oder Tansania herzustellen. Hieran hält die Kammer fest.
32
Aus den Bindungen der Antragstellerin zu 1) zu ihren in Deutschland lebenden Verwandten folgt nichts anderes. Die Antragstellerin zu 1) ist volljährig und hat mit Herrn E.A.K. eine Familie gegründet. Weder Art. 6 Abs. 1 GG noch Art. 8 Abs. 1 EMRK gewähren ein Recht volljähriger Kinder zum dauerhaften Aufenthalt mit ihren in Deutschland lebenden Eltern oder Geschwistern (vgl. etwa NdsOVG, B.v. 30.1.2007 - 10 ME 264/06 - juris Rn. 9; Hofmann in BeckOK AuslR, Art. 8 EMRK Rn. 19 ff. m.w.N.). Besondere Abhängigkeitsmomente, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
33
Behördliche Ermessensfehler ergeben sich auch nicht daraus, dass die Ausländerbehörde die Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin zu 1) in der Vergangenheit, zuletzt im Jahr 2019, verlängert hat. Zwar war die Antragstellerin zu 1) bereits damals offenbar arbeitslos, der Bezug von Arbeitslosengeld I stand jedoch der Sicherung des Lebensunterhalts nicht entgegen (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 AufenthG und Devetzi/Walter in v. Harbou/Weizsäcker, Einwanderungsrecht, 2. Aufl. 2020, Kap. H Rn. 18). Dass die Antragstellerin zu 1) hingegen auch aktuell noch einen Anspruch auf Arbeitsgeld I hätte, ist nicht ersichtlich. Auf die Nachfrage des Gerichts (gerichtliches Schreiben vom 02.08.2021), bis wann die Antragstellerin zu 1) einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I hat bzw. hatte, wurde lediglich auf Schreiben der Bundesagentur für Arbeit verwiesen, die sich auf einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I für den Zeitraum 07.01.2020 bis 31.03.2020 bzw. 22.09.2020 bis 29.10.2020 bezogen.
34
Aus der in der Vergangenheit bereits einmal trotz fehlender Sicherung des Lebensunterhalts gewährten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (Zeitraum 25.05.2011 bis 24.05.2013, Bl. 86 d. Behördenakte) folgt nach Auffassung der Kammer keine Ermessensbindung für die hier streitgegenständliche Verlängerungsentscheidung. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin die zwischenzeitliche Eheschließung und Familiengründung zum Anlass genommen hat, die Lebenssituation der Antragstellerin zu 1) neu zu bewerten.
35
Schließlich ist auch nicht erkennbar, dass die Antragstellerin zu 1) aufgrund anderer Vorschriften des AufenthG einen Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis hätte. Insbesondere kommt § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht in Betracht. Für eine „außergewöhnliche Härte“ - praktisch die höchste tatbestandliche Hürde, die der Gesetzgeber aufstellen kann (OVG Berlin-BBg, U.v. 15.10.2014 - OVG 6 B 1.14 - juris Rn. 13) - ist unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen nichts ersichtlich. Im Übrigen ist auch im Falle einer solchen außergewöhnlichen Härte nicht gleichsam automatisch eine Ausnahme von dem Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhals gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG begründet (BVerwG, U.v. 18.04.2013 - 10 C 10/12 - NVwZ 2013, 1339/1343 Rn. 39).
36
Aus der von der Antragstellerin zu 1) begehrten „rückwirkenden Erteilung“ einer Aufenthaltserlaubnis ergibt sich nichts anderes. Die Zielrichtung dieses Begehrens erschließt sich nicht ohne Weiteres. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Ausländer die Erteilung eines Aufenthaltstitels für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum nach der Antragstellung beanspruchen, wenn er ein schutzwürdiges Interesse hieran hat. Dies gilt unabhängig davon, ob der Aufenthaltstitel für einen späteren Zeitpunkt bereits erteilt worden ist oder nicht. In diesem Sinne ist ein schutzwürdiges Interesse angenommen worden, wenn es für die weitere aufenthaltsrechtliche Stellung erheblich sein kann, von welchem Zeitpunkt an der Ausländer den begehrten Aufenthaltstitel besitzt (BVerwG, U.v. 09.06.2009 - 1 C 7/08 - NVwZ 2009, 1431 Rn. 13). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Antragstellerin zu 1) verfügte seit ihrer Ersteinreise über eine durchgehend (bis zum Erlass des hier streitgegenständlichen Bescheids) verlängerte Aufenthaltserlaubnis.
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2.1.2. Die Antragstellerin zu 1) hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf § 35 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann sich der Ausländer nur berufen, solange er minderjährig ist. Mit Eintritt der Volljährigkeit ist allein § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG anwendbar (BVerwG, U.v. 15.08.2019 - 1 C 23/18 - NVwZ 2019, 1762). Die Voraussetzungen ebendieser Norm erfüllt die Antragstellerin zu 1) nicht, weil ihr Lebensunterhalt nicht, wie in § 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG gefordert, gesichert ist. Da die Sicherung des Lebensunterhalts im Rahmen des § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG bereits Tatbestandsvoraussetzung ist, ist insoweit kein Raum für eine Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde gem. § 35 Abs. 3 Satz 2 AufenthG (BVerwG, U.v. 15.08.2019 - 1 C 23/18 - NVwZ 2019, 1762/1763 Rn. 14).
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Aus der von dem Antragstellerbevollmächtigten unter Bezugnahme (u.a.) auf § 35 AufenthG beantragten „rückwirkenden“ Erteilung eines Aufenthaltstitels folgt nichts anderes. Sollte der Vortrag darauf abzielen, dass der Antragstellerin zu 1) in der Vergangenheit eine Niederlassungserlaubnis unzulässigerweise vorenthalten worden sei, ist darauf hinzuweisen, dass die Antragstellerin 1) ihren im Jahr 2017 bei der Stadt Y gestellten Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis am 12.06.2018 in einen Antrag auf Verlängerung der ihr erteilten Aufenthaltserlaubnis änderte (Bl. 163 d. Behördenakte). Die weiteren im Februar sowie Juli 2018 gestellten Anträge auf Niederlassungserlaubnis (Bl. 141 bzw. 197 d. Behördenakte) hat die Stadt Y augenscheinlich nicht verbeschieden, sie wurden von der Antragstellerin zu 1) aber auch nicht weiterverfolgt. Offensichtlich begnügte sie sich mit der von der Stadt Y im Juni 2018 verfügten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und beantragte dementsprechend am 15.03.2019 bei der zu diesem Zeitpunkt wieder zuständigen Stadt X (nur) die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis (Bl. 241 d. Behördenakte). Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass die seinerzeitige Auffassung der Stadt Y, dass der Lebensunterhalt für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht gesichert sei (vgl. Schreiben vom 12.10.2017, Bl. 222 d. Behördenakte), rechtsfehlerhaft gewesen ist. Beabsichtigt der Ausländer - wie bei der Niederlassungserlaubnis - einen unbefristeten Aufenthalt, muss der Lebensunterhalt grundsätzlich dauerhaft gesichert sein (NdsOVG, B.v. 29.11.2006 - 11 LB 127/06 - juris; Zeitler in HTK-AuslR, zu § 2 Abs. 3 AufenthG, Stand 06.08.2020, Rn. 6). Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin zu 1) eine solche dauerhafte Sicherung des Lebensunterhalts im Zusammenhang mit einem der von ihr gestellten Anträge auf Niederlassungserlaubnis gegenüber der Stadt Y dargelegt hatte (aus den Akten ersichtlich ist insofern nur ein auf ein Jahr befristeter Arbeitsvertrag mit einer Bäckereikette, der sich zum Zeitpunkt der Vorlage dieses Vertrags auch noch in der Probezeit befand, vgl. Bl. 151 ff. d. Behördenakte). Dass die seinerzeitige negative Prognose der Stadt Y berechtigt war, hat die weitere Erwerbsbiografie der Antragstellerin zu 1) belegt.
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2.2. Die Antragstellerin zu 2) hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. In Betracht kommt hier allein § 33 Satz 1 AufenthG, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der Geburt allein die Kindsmutter über eine Aufenthaltserlaubnis verfügte. Die nach dieser Vorschrift zu treffende behördliche Ermessensentscheidung, die nur in den Grenzen des § 114 Satz 1 VwGO gerichtlich überprüfbar ist, weist keine Ermessensfehler auf. Die Antragsgegnerin hat maßgeblich berücksichtigt, dass die Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin zu 1) nicht mehr verlängert wurde, dass die familiäre Lebensgemeinschaft in zumutbarer Weise im Herkunftsland der Antragstellerin zu 1) oder des Kindsvaters gelebt werden kann und dass die Antragstellerin zu 2) die Passpflicht nicht erfüllt. Dabei handelt es sich um zulässige Ermessenserwägungen. Denn die Ausländerbehörde kann im Rahmen des § 33 Satz 1 AufenthG berücksichtigen, wie sicher und dauerhaft das Aufenthaltsrechts des Elternteils ist (NdsOVG, B.v. 04.02.2021 - 8 ME 2/21 - BeckRS 2021, 1784 Rn. 16; VG Freiburg, B.v. 14.09.2009 - 4 K 1283/09 - BeckRS 2998, 39197; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 33 AufenthG Rn. 11; Diesterhöft in HTK-AuslR, zu § 33 AufenthG, Stand 18.07.2019, Rn. 15). Ebenso kann im Ermessenswege berücksichtigt werden, ob die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG erfüllt sind (VG Freiburg, a.a.O.; Dienelt, a.a.O. Rn 12; Diesterhöft, a.a.O.). Der Verweis auf die zumutbare Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft im Ausland trägt den im Rahmen der Ermessensausübung zu beachtenden Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen auch hinsichtlich der Antragstellerin zu 2) hinreichend Rechnung.
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Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 8.1, 1.1.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.