Titel:
Kranken- und Pflegekassenbeitragspflicht von Versorgungsbezügen, Beitragseinbehalt durch Zahlstelle, spezielles Verrechnungsrecht
Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1
BayBeamtVG Art. 31 Nr. 3
SGB V § 256 Abs. 1 S. 1
Schlagworte:
Kranken- und Pflegekassenbeitragspflicht von Versorgungsbezügen, Beitragseinbehalt durch Zahlstelle, spezielles Verrechnungsrecht
Fundstelle:
BeckRS 2021, 56449
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 6.272,10 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Auszahlung von Versorgungsbezügen ohne Beitragseinbehalte.
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Die Antragstellerin ist die Witwe eines am …01.1991 verstorbenen Beamten. Seit dem Ableben ihres Ehemannes hat die Antragstellerin Versorgungsbezüge erhalten, die sich zuletzt auf 2.022,97 Euro beliefen. Darüber hinaus erhält die Antragstellerin eine Regelaltersrente von der Deutschen Rentenversicherung Bund.
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Mit Formblatt vom 16.04.2020 teilte die Bayerische Versorgungskammer der AOK auf Anfrage hin mit, dass der Antragstellerin seit 01.02.1991 eine Hinterbliebenenversorgung gezahlt werde. Unter dem 22.04.2020 erklärte die AOK gegenüber der Antragsgegnerin, dass im Zuge der Verjährung ab dem 01.01.2016 Meldungen im Rahmen des Zahlstellen-Meldeverfahrens abgesetzt werden sollten.
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Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 19.06.2020 wurde die Antragstellerin auf die Ermittlung des Zahlbetrages für Juli 2020 hingewiesen. Von dem laufenden steuerpflichtigen Versorgungsbezug i.H.v. 2.022,97 Euro seien demnach neben Lohn-, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag Krankenversicherungsgrund- (295,35 Euro) und -zusatzbeiträge (22,25 Euro), Beiträge zur Pflegeversicherung (30,85 Euro) sowie Nachforderungen (aus KV Grundbeitrag 15.591,19 Euro, aus KV Zusatzbeitrag 1.167,58 Euro und aus Pflegeversicherung 1.430,72 Euro) in Abzug zu bringen, allerdings werde der Antragstellerin eine Mindestauszahlung von 1.000,00 Euro belassen.
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Die Bayerische Versorgungskammer teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 22.06.2020 mit, dass anlässlich einer Überprüfung ihrer Krankenkasse festgestellt worden sei, dass seit Beginn ihrer Witwengeldzahlungen (ab 01.02.1991), keine Beiträge an die Krankenkasse AOK abgeführt worden seien. Nach Rücksprache mit der AOK fordere diese nun, im Zuge der Verjährung, die rückständigen Beiträge ab dem 01.01.2016 nach. Ab Juli 2020 nehme die Bayerische Versorgungskammer diese Änderung vor, wodurch sich eine Nachforderung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen, für die Zeit vom 01.01.2016 bis 30.06.2020, in Höhe von insgesamt 18.189,49 Euro ergebe. Das zukünftige Witwengeld ab Juli 2020 würde, nach Abzug des monatlichen Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrages in Höhe von 348,45 Euro, netto 1.207,47 Euro betragen. Die rückwirkenden Krankenkassenbeiträge würden in 87 Monatsraten von den künftigen Versorgungsbezügen einbehalten. Daher werde der Antragstellerin ab Juli 2020 ein Mindestauszahlungsbetrag in Höhe von 1.000,00 Euro ausbezahlt. Falls die Antragstellerin Einwände gegen die Rückforderung der Krankenkassenbeiträge erheben wolle, möge sie sich an ihre Krankenkasse AOK wenden.
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Mit Schreiben vom 06.07.2020 wandte sich die Antragstellerin gegen das Schreiben der Antragsgegnerin vom 22.06.2020 und bat um Auskünfte. Daraufhin teilte die Bayerische Versorgungskammer der Antragstellerin mit Schreiben vom 08.07.2020 mit, dass sich die Antragstellerin wegen der Rückforderung der Krankenkassenbeiträge an die AOK wenden solle. Gemäß § 256 des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) sei der Versorgungsverband, als Zahlstelle, verpflichtet Krankenkassenbeiträge aus den Versorgungsbezügen einzubehalten und an die zuständige gesetzliche Krankenkasse abzuführen. Anlässlich einer Beitragsüberprüfung habe die AOK festgestellt, dass seitens der Bayerischen Versorgungskammer bisher keine Beiträge abgeführt worden seien. Im Zuge der Verjährung habe die Krankenkasse die Beiträge ab 01.01.2016 angefordert. Die Höhe der Abzüge des Krankenversicherungs-, Pflege- und Zusatzbeitrages richte sich nach den jeweils gültigen Sätzen der Krankenkasse.
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Auf ein weiteres Schreiben der Antragstellerin vom 15.07.2020, mit welchem sie wiederum Auskünfte begehrte, übersandte die Antragsgegnerin unter dem 22.07.2020 nochmals eine Aufstellung zur Ermittlung des Zahlbetrages (nunmehr für August 2020).
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Mit Schreiben vom 14.09.2020 zeigte sich der Bevollmächtigte der Antragstellerin gegenüber der Bayerischen Versorgungskammer an und machte geltend, dass die Voraussetzungen für ein beitragspflichtiges Einkommen im Hinblick auf die Witwenpension nicht vorlägen. Der unterbliebene Einzug der Versicherungsleistungen könne nicht zu Lasten der Antragstellerin gehen. Daraufhin teilte die Bayerische Versorgungskammer dem Bevollmächtigten der Antragstellerin mit Schreiben vom 20.11.2020 mit, dass sie als Zahlstelle der Versorgungsbezüge bei der erstmaligen Bewilligung von Versorgungsbezügen gemäß § 202 SGB V zu ermitteln habe, ob und gegebenenfalls welcher Krankenkasse die Versorgungsempfänger angehörten. Eine ständige Überprüfung durch die Zahlstelle werde nicht durchgeführt, vielmehr obliege es dem Versorgungsempfänger einen Krankenkassenwechsel anzuzeigen. Mit Schreiben vom 31.03.2020 habe die AOK Bayern die Beitragspflicht der Versorgungsbezüge der Antragstellerin überprüft. Versorgungsbezüge seien beitragspflichtige Einnahmen i.S.v. § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Hs. 1 SGB V und die AOK Bayern habe die Bayerische Versorgungskammer aufgefordert, eine Meldung über die Höhe der Bezüge im elektronischen Zahlstellenmeldeverfahren ab dem 01.01.2016 abzusetzen. Die Rückmeldung der AOK Bayern im selben Verfahren habe auf Beitragsabführungspflicht gelautet. Gemäß § 256 SGB V sei die Bayerische Versorgungskammer als Zahlstelle verpflichtet, die Beiträge an die Krankenkasse abzuführen, was erstmalig mit der Auszahlung der Bezüge für Juli 2020 in einer Summe erfolgt sei. Aus diesem Grund werde der Antragstellerin eine Mindestauszahlung i.H.v. 1.000,00 Euro gewährt, um die Beitragsforderungen der AOK Bayern schrittweise zu tilgen.
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Der Bevollmächtigte der Antragstellerin erklärte mit Schreiben vom 27.11.2020 gegenüber der Bayerischen Versorgungskammer, dass die Antragstellerin diese über die Aufnahme einer Tätigkeit informiert habe. Hinsichtlich des Eintritts in die gesetzliche Krankenversicherung bestehe keine Informationspflicht. Mit weiterem Schriftsatz vom 14.12.2020 bat der Bevollmächtigte der Antragstellerin um Ausbezahlung des vollen Versorgungsbezugs. Daraufhin erklärte die Bayerische Versorgungskammer mit Schreiben vom 30.12.2020, dass die Antragstellerin mit Schreiben vom 22.06.2020 auf die Verpflichtung zum Einbehalt der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge hingewiesen worden sei und eine Mindestauszahlung i.H.v. 1.000,00 Euro gewährt werde. Der Bayerische Versorgungsverband habe die Beitragsrückstände in einer Summe an die entsprechende Einzugsstelle überwiesen, d.h. die Antragstellerin erhalte sozusagen ein zinsloses Darlehen. Ein formeller Beitragsrückforderungsbescheid könne nur durch die Krankenkasse erlassen werden, mit dem Hinweis, dass die Zahlstelle der Bezüge den Einbehalt durchführe.
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Mit Schreiben vom 25.01.2021 wandte sich der Bevollmächtigte der Antragstellerin erneut an die Bayerische Versorgungskammer und machte geltend, dass die Einbehalte ohne Rechtsgrundlage vorgenommen würden, da ein formaler Beitragsrückforderungsbescheid durch die Krankenkasse nicht erlassen worden sei. Daraufhin wies die Bayerische Versorgungskammer den Bevollmächtigten der Antragstellerin mit Schreiben vom 04.02.2021 erneut darauf hin, dass sie gemäß § 256 Abs. 2 i.V.m. § 255 Abs. 2 Satz 1 SGB V zum Beitragseinbehalt gesetzlich verpflichtet sei und die Mindestauszahlung ein Entgegenkommen ihrerseits darstelle, da gemäß § 255 Abs. 2 Satz 2 SGB V i.V.m. § 51 Abs. 2 des Ersten Sozialgesetzbuches (SGB I) auch bis zur Hälfte des Versorgungsbezugs für die Tilgung in rechtlich zulässiger Weise herangezogen werden könne. Als Zahlstelle sei die Versorgungskammer ausschließlich für den Vollzug des Beitragsrechts zuständig. Fragen der Rechtmäßigkeit könnten nur mit der Krankenkasse geklärt werden.
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Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 20.05.2021, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag eingegangen, beantragt die Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung,
dem Antragsgegner die Vornahme der Verrechnung vermeintlicher Beitragsschulden mit Versorgungsbezügen der der Antragstellerin aus dem Ruhegehalt ihres verstorbenen Ehemanns zustehenden Hinterbliebenenversorgung zu untersagen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Antragstellerin mit ihrem Schreiben vom 06.07.2020 ausdrücklich „Widerspruch“ gegen die vorgenommene Verrechnung erhoben habe. In den Schreiben der Antragsgegnerin vom 06.05.2020 und vom 18.06.2020 würde lediglich die Höhe der Beitragssätze mitgeteilt. Ein Beitragsbescheid fehle. Ein solcher Beitragsbescheid sei aber Voraussetzung für die Vornahme eines Verrechnungsersuchens. Die umfangreiche Korrespondenz mit der Antragsgegnerin habe nicht dazu geführt, dass ein Beitragsbescheid erlassen worden sei. Stattdessen werde auf vermeintliche Ermächtigungsgrundlagen verwiesen. Die Antragsgegnerin [gemeint ist wohl tatsächlich die AOK] habe hinsichtlich der abzuführenden Beiträge jedoch keinen Bescheid erlassen. Sie habe lediglich ein Verrechnungsersuchen gestellt. Die Antragsgegnerin [gemeint ist wohl tatsächlich die AOK] habe der Zahlstelle lediglich mitgeteilt, es würde eine „Beitragsabführungspflicht“ bestehen. Aufgrund dieser vermeintlichen Beitragsabführungspflicht habe die Zahlstelle an die Antragsgegnerin [gemeint ist wohl tatsächlich die AOK] geleistet. Die Zahlstelle stelle sich auf den Standpunkt, dass „Daten im Zahlstellenmeldeverfahren“ übermittelt worden seien. Die Antragsgegnerin vertrete die Auffassung, der Einbehalt sei lediglich von der Zahlstelle [gemeint ist wohl tatsächlich die AOK] zu verantworten. Die Zahlstelle [insoweit dürfte die Antragsgegnerin gemeint sein] wiederum meine, sie könne aufgrund des Umstandes, dass beitragspflichtige Einnahmen bestünden, nach Gusto Einbehalte vornehmen. Eine Aufstellung der Einbehalte durch die Zahlstelle - Bayerische Versicherungskammer - erfolge nicht. Ein Bescheid über die Höhe der abzuführenden Beiträge durch die Antragsgegnerseite sei ebenfalls nicht ergangen. Offensichtlich würden sowohl die Antragsgegnerin als auch die Zahlstelle die Auffassung vertreten, dass weder ein Informationsrecht der Antragstellerin, noch ein Widerspruchsrecht gegen Bescheide bestehe, sondern schlichtweg nach Gutsherrenart entschieden werden könne. Dies sei unzulässig. Jedenfalls vorläufig, bis zum Vorliegen eines ordnungsgemäßen und bestandskräftigen Bescheides habe der Einbehalt von Beitragsrückständen im Rahmen der Verrechnung zu unterbleiben. Zur Vermeidung weiteren Schadens sei der Erlass einer einstweiligen Anordnung dahingehend erforderlich, dass die Verrechnung mit Leistungen aus den Versorgungsbezügen des verstorbenen Ehemanns im Hinblick auf rückständige Beiträge vorläufig unterbleiben müsse. Das zunächst angegangene Sozialgericht sei nicht zuständig. Daher sei der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dort zurückgenommen worden und werde nunmehr beim Verwaltungsgericht Bayreuth gestellt.
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Mit Schriftsatz vom 04.06.2021 beantragt die Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Bayerische Versorgungsverband, als Zahlstelle der Versorgungsbezüge der Antragstellerin, mit der Auszahlung für Juli 2020 die laufenden Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge aus den Versorgungsbezügen i.H.v. 385,45 Euro und die Beiträge aus Versorgungsbezügen für den Zeitraum vom 01.01.2016 bis 30.06.2020 i.H.v. 18.189,49 Euro in einer Summe an die AOK Bayern abgeführt habe. Der Bayerische Versorgungsverband sei lediglich für den Vollzug des Beitragsrechts zuständig und verpflichtet. Fragen der Rechtmäßigkeit seien mit der Krankenkasse zu klären. Durch die Gewährung einer Mindestauszahlung von 1.000,00 Euro (netto) erhalte die Antragstellerin sozusagen ein zinsloses Darlehen zur Tilgung der hier in Zweifel gezogenen Beitragsschulden. Der tatsächliche Einbehalt von den zustehenden Nettobezügen habe für Juli bis November 2020 je 207,47 Euro (netto), für Dezember 2020 747,58 Euro (netto) betragen und seit Januar 2021 betrage dieser monatlich 248,53 Euro (netto). Da die eigentliche Rechtsfrage mit der AOK Bayern in der Hauptsache noch nicht geklärt sei, der Bayerische Versorgungsverband jedoch bereits die gesamten Beiträge an die AOK Bayern aus gesetzlicher Verpflichtung geleistet habe, sei dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht stattzugeben.
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In Erwiderung hierauf führt der Bevollmächtigte der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 17.06.2021 aus, dass es nicht sein könne, dass die Antragstellerin rechtlos gestellt werde. Das Sozialgericht Bayreuth vertrete die Auffassung der Unzuständigkeit, weil im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gemäß der Rechtsprechung die Auszahlstellen anzugehen seien.
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Ergänzend wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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1. Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Rechtszustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig ist. Die einstweilige Anordnung dient dazu, schlechterdings unzumutbare künftige Nachteile abzuwenden, die drohen, wenn dem Antragsbegehren nicht stattgegeben wird. Sie ist hingegen nicht dafür gedacht, dem Betreffenden schneller, als dies in einem Klageverfahren möglich ist, zu seinem (vermeintlichen) Recht zu verhelfen, sofern nicht eine besondere Dringlichkeit gegeben ist, die es völlig unzumutbar erscheinen lässt, den Ausgang eines Klageverfahrens abzuwarten. Folglich sind die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) und das Bestehen des zu sichernden Rechtes (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO).
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Gemessen an diesen Maßstäben hat die Antragstellerin weder einen Anordnungsgrund (dazu unter a) noch einen Anordnungsanspruch (dazu unter b) glaubhaft gemacht.
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a) Auf Seiten der Antragstellerin ist bereits kein Anordnungsgrund ersichtlich. Sie hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihr mit der durch den Beitragseinbehalt geminderten Auszahlung ihres Witwengeldes schlechthin unzumutbare Nachteile drohen, die eine einstweilige Anordnung rechtfertigen könnten. Unzumutbare Nachteile liegen bei einer Gefährdung des notwendigen Lebensunterhalts oder des Existenzminimums vor. Solche Gefährdungen sind regelmäßig ausgeschlossen, wenn die gesetzlichen Pfändungsfreigrenzen deutlich eingehalten werden. Dies folgt letztlich auch aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 des Bayerischen Beamtenversorgungsgesetzes (BayBeamtVG), wonach der Dienstherr gegenüber Ansprüchen auf Versorgungsbezüge ein Aufrechnungs- oder Zurückbehaltungsrecht nur in Höhe des pfändbaren Teils der Versorgungsbezüge geltend machen kann. Dass im vorliegenden Fall die Pfändungsfreigrenzen unterschritten würden, ist im Hinblick auf die der Antragstellerin daneben zustehende Rente aus der Gesetzlichen Rentenversicherung weder dargelegt noch aus den vorgelegten Akten ersichtlich. Darüber hinaus ist insoweit in Rechnung zu stellen, dass der streitige Beitragseinbehalt von Antragsgegnerseite bereits seit Juli 2020 vorgenommen wird, während erst im Mai 2021 zunächst einstweiliger gerichtlicher Rechtsschutz beim Sozialgericht Bayreuth ersucht wurde.
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b) Die Antragstellerin hat darüber hinaus auch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Denn sie hat keinen Anspruch auf eine Auszahlung des Witwengeldes ohne die streitigen Einbehalte für Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge.
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Die Rechtmäßigkeit des streitigen Beitragseinbehalts bzw. der Nacherhebung folgt aus der zutreffenden Rechtsanwendung durch die Antragsgegnerin, gestützt auf die nachfolgenden Rechtsgrundlagen: Gemäß § 256 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben die Zahlstellen der Versorgungsbezüge die Beiträge aus Versorgungsbezügen einzubehalten und an die zuständige Krankenkasse zu zahlen. Ist bei der Zahlung der Versorgungsbezüge die Einbehaltung von Beiträgen unterblieben, sind die rückständigen Beiträge aus den weiterhin zu zahlenden Versorgungsbezügen einzubehalten (§ 256 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 255 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 SGB V). Dabei kann die Zahlstelle mit Ansprüchen auf rückständige Beiträge gegen Ansprüche auf laufende Leistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig wird (§§ 256 Abs. 2 Satz 1, 255 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 SGB V i.V.m. § 51 Abs. 2 SGB I). Es handelt sich um ein spezielles Verrechnungsrecht der Zahlstelle (vgl. BSG, U. v. 23. 03.1993 - 12 RK 50/92 - juris Rn. 15; Peters in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Auflage 2016, § 256 Rn. 30). Für die Bemessung und Abwicklung der Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung gelten nach § 59 Abs. 1 Satz 1 des Elften Sozialgesetzbuches (SGB XI) und § 255, § 256 SGB V, § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB XI die vorgenannten Regelungen entsprechend, vgl. ebenso § 237, § 229 SGB V nach § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI, § 250 Abs. 1 SGB V (siehe auch bereits BAG, U.v. 12.12.2006 - 3 AZR 806/05 - juris Rn. 12).
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Soweit der Bevollmächtigte der Antragstellerin geltend macht, dass das seitens der Antragstellerin bezogene Witwengeld nicht der Kranken- und Pflegekassenbeitragspflicht unterfällt, trifft dies nicht zu. Nach § 226 Abs. 1 Satz 1 SGB V werden der Beitragsbemessung bei versicherungspflichtig Beschäftigten nach Nr. 3 auch der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge) zugrunde gelegt. Als der Rente vergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge) gelten nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V Versorgungsbezüge aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis oder aus einem Arbeitsverhältnis mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen, soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden. Nach Art. 31 Nr. 3 BayBeamtVG umfasst die Hinterbliebenenversorgung das Witwengeld (Art. 35 BayBeamtVG), welches die Antragstellerin vorliegend unstreitig bezieht. Als Versorgungsleistung unterliegt das Witwengeld im Fall des § 256 Abs. 1 Satz 1 SGB V, § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB XI der Abführungspflicht für Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge.
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Die Erhebung von Beiträgen aus Versorgungsbezügen ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden. Versorgungsbezüge sind in der Krankenversicherung bei den Versicherungspflichtigen seit 1983 beitragspflichtige Einnahmen (§ 180 Abs. 5, 6 und 8 der Reichsversicherungsordnung - RVO - i.d.F. des Rentenanpassungsgesetzes 1982 - RAG 82 - vom 1.12.1981 - BGBl I 1205) . Die Beitragspflicht von Versorgungsbezügen ist ausweislich der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich mit dem Grundgesetz vereinbar (BVerfG, B.v. 6.12.1988 - 2 BvL 18/84, BVerfGE 79, 223 = SozR 2200 § 180 Nr. 46; BSG, U.v. 18.12.1984 - 12 RK 11/84 - BSGE 58, 1 = SozR 2200 § 180 Nr. 23 und 12 RK 36/84 - BSGE 58, 10 = SozR 2200 § 180 Nr. 25 zur Beitragspflicht von Versorgungsbezügen bei versicherungspflichtigen Rentnern) .
25
Nach § 256 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben die Zahlstellen der Versorgungsbezüge bei Versicherungspflichtigen, die eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, die Beiträge aus Versorgungsbezügen einzubehalten und an die zuständige Krankenkasse zu zahlen; Entsprechendes gilt wegen der Verweisung des § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB XI auf § 256 SGB V auch für die Pflegeversicherung (vgl. BVerwG, B.v. 13.11.2013 - 2 B 10/13 - juris Rn. 7). Ist der Einbehalt von Beiträgen aus Versorgungsbezügen unterblieben, verweist § 256 Abs. 2 Satz 1 SGB V auf die Regelung des § 255 Abs. 2 Satz 1 SGB V, sodass die rückständigen Beiträge aus den weiterhin zu zahlenden Versorgungsbezügen durch die Zahlstelle einzubehalten sind (vgl. BSG, U.v. 23.3.1993 12 RK 50/92 - juris Rn. 15; B.v. 22.10.2018 - B 12 KR 29/18 B - BeckRS 2018, 30463 Rn. 6). Auf ein etwaiges Verschulden des Versicherten oder der Zahlstelle kommt es insoweit nicht an. Der Gesetzgeber hat vielmehr bewusst darauf verzichtet, den nachträglichen Beitragseinbehalt davon abhängig zu machen, dass dieser Einbehalt ohne Verschulden der Zahlstelle unterblieben ist. Es handelt sich um spezielles Verrechnungsrecht der Zahlstelle (vgl. BSG, U.v. 23.3.2012 - 12 RK 50/92). Einer Überforderung des Versorgungsbeziehers wird gemäß § 255 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 SGB V durch eine entsprechende Anwendung des § 51 Abs. 2 SGB I entgegengewirkt (vgl. LSG BW, U.v. 30.3.2004 - L 13 RA 3690/93). Dass diese Grenzen im vorliegenden Fall nicht eingehalten wären, hat die Antragstellerseite weder dargelegt noch ist dies für die Kammer ersichtlich.
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Nach alledem war der Antrag abzulehnen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG), wonach sich der Streitwert nach der sich aus dem Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen ist. Betrifft ein Antrag eine bezifferte Geldleistung ist in Streitverfahren, in denen es - wie hier - um die Verpflichtung zur Gewährung laufender Leistungen geht, in entsprechender Anwendung der in § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG getroffenen Regelung vom dreifachen Jahresbetrag der geforderten Leistungen (348,45 Euro x 12 x 3) auszugehen, wenn nicht der Gesamtbetrag geringer ist. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist der auf diese Weise ermittelte Betrag nach Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit mit ein Halb anzusetzen. Der Streitwert beläuft sich somit auf 6.272,10 Euro.