Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 21.12.2021 – B 5 K 20.1317
Titel:

Abrechenbarkeit der Eingliederung von Klebebrackets und Teilbogen gemäß Nr. 6100 und 6140 Anlage 1 GOZ neben Nrn. 6030 bis 6080 Anlage 1 GOZ, fehlende patientenbezogene Begründung für Schwellenwertüberschreitung

Normenketten:
BayBhV § 7 Abs. 1 S. 1
GOZ § 4 Abs. 2 S. 2
Schlagworte:
Abrechenbarkeit der Eingliederung von Klebebrackets und Teilbogen gemäß Nr. 6100 und 6140 Anlage 1 GOZ neben Nrn. 6030 bis 6080 Anlage 1 GOZ, fehlende patientenbezogene Begründung für Schwellenwertüberschreitung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 56447

Tenor

1. Der Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Landesamtes für Finanzen vom 28.07.2020 und des Widerspruchsbescheides vom 03.11.2020 verpflichtet, der Klägerin zu den Aufwendungen in der Rechnung der Kieferorthopädiepraxis vom 02.07.2020 eine weitere Beihilfe in Höhe von 214,18 Euro zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens zu 2/3, die Klägerin zu 1/3.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.   
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 115 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Festsetzung einer weiteren Beihilfe für kieferorthopädische Behandlungen ihres Sohnes.
2
Die Klägerin ist als Beamtin im Rahmen der Bayerischen Beihilfeverordnung (BayBhV) beihilfeberechtigt. Ihr Sohn gilt beihilferechtlich gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 BayBhV als berücksichtigungsfähiger Angehöriger. Mit Formblattantrag vom 26.07.2020 begehrte die Klägerin die Gewährung von Beihilfe für eine Rechnung der Kieferorthopädiepraxis … vom 02.07.2020 über insgesamt 1.229,66 Euro betreffend die Behandlung ihres Sohnes. Mit Bescheid vom 28.07.2020 setzte das Landesamt für Finanzen - Dienststelle … hinsichtlich der Liquidation vom 02.07.2020 eine Beihilfe in Höhe von 657,74 Euro fest. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Maßnahmen im Sinne der Nummern 6030 bis 6080 der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) alle Leistungen zur Kieferumformung und Retention bzw. zur Einstellung des Unterkiefers in den Regelbiss innerhalb eines Zeitraumes von bis zu vier Jahren umfassen würden, unabhängig von den angewandten Behandlungsmethoden oder den verwendeten Therapiegeräten. Daher seien die Aufwendungen für den Kleberetainer (GOZ-Nrn. 6100 und 6140) nicht gesondert beihilfefähig.
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Mit am 10.08.2020 beim Landesamt für Finanzen eingegangen Schreiben erhob die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 28.07.2020 und verwies zur Begründung auf eine Stellungnahme des Kieferorthopäden. Dieser führte unter dem 04.08.2020 aus, dass im Rahmen der KFO-Behandlung mit den Nummern 6030 bis 6080 GOZ nicht alle Leistungen abgegolten seien. Nicht eingeschlossen seien alle speziellen Maßnahmen, wie sich einer Stellungnahme der Bundeszahnärztekammer zur „Eingliederung eines festsitzenden Retainers - Berechenbarkeit neben den Geb.-Nrn. 6030 bis 6080 GOZ“ entnehmen lasse.
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Mit Bescheid vom 03.11.2020 wies das Landesamt für Finanzen den Widerspruch der Klägerin zurück. Gemäß § 4 Abs. 2 GOZ könne der Zahnarzt Gebühren nur für selbstständige zahnärztliche Leistungen berechnen. Für Leistungen, die Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis seien, könne der Zahnarzt keine Gebühr berechnen, wenn er für die andere Leistung eine Gebühr in Rechnung stelle. Eine Leistung sei methodisch notwendiger Bestandteil einer anderen Leistung, wenn sie inhaltlich von der Leistungsbeschreibung der anderen Leistung (Zielleistung) umfasst und auch in deren Bewertung berücksichtigt worden sei. Die Maßnahmen im Sinne der GOZ-Nummern 6030 bis 6080 umfassten alle Leistungen zur Kieferumformung und Retention bzw. zur Einstellung des Unterkiefers in den Regelbiss innerhalb eines Zeitraumes von bis zu vier Jahren, unabhängig von den angewandten Behandlungsmethoden oder den verwendeten Therapiegeräten. Retentionsmaßnahmen innerhalb des Vierjahreszeitraumes seien somit beihilferechtlich mit den Komplexleistungen (GOZ-Nrn. 6030 bis 6080) abgegolten. Mit der vorliegenden Rechnung werde zusätzlich die Abrechnung der Eingliederung des festsitzenden Retainers über die GOZ-Nummern 6100 bis 6140 analog abgerechnet. Unter Geltung der alten GOZ sei in der Praxis umstritten gewesen, ob Retentionsmaßnahmen (festsitzende oder herausnehmbare Retentionsgeräte) zusätzlich zu den Kernpositionen abgerechnet werden dürften. Diese Streitfrage habe der Verordnungsgeber mit dem dritten Absatz der Abrechnungsbestimmung nach GOZ-Nr. 6080 eindeutig geklärt. Dies sei auch der amtlichen Begründung zu den Leistungen nach den GOZ-Nummern 6030 bis 6080 zu entnehmen. Die Kürzungen der Rechnung vom 02.07.2020 seien somit fehlerfrei; die Ablehnung der Beihilfeerstattung zu den GOZ-Positionen 6100 (zehn Mal) und 6140 (zwei Mal) (im Zusammenhang) mit der Retention seien rechtmäßig.
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Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 26.11.2020, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag eingegangen, hat die Klägerin Klage erhoben und beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 28.07.2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.11.2020 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin weitere 325,99 Euro zu bezahlen.
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Zur Begründung wird auf die Ausführungen des OVG NW in seinem Urteil vom 23.11.2018 - 1 A 1044/17 Bezug genommen. Die Auslegung, dass die in den Nummern 6100ff. GOZ aufgeführten kieferorthopädischen Einzelleistungen nicht aufgrund ihrer - dem Zusammenhang mit dem beabsichtigten Maßnahmeerfolg geschuldeten - sachlichen Zuordnung zu den in den Nummern 6030 bis 6080 GOZ genannten Maßnahmen (auch) als Bestandteil dieser Gebührentatbestände mitabgegolten seien, werde durch die Systematik der Vorschriften und ihre Entstehungsgeschichte bestätigt. Dies beruhe maßgeblich darauf, dass die Gebühren nach den Nummern 6030 bis 6080 GOZ ungeachtet der konkreten Ausgestaltung der für den Erfolg der Maßnahme erforderlichen Einzelleistungen über einen Vierjahreszeitraum nur einmal pauschal und zwar gestaffelt danach, welchen Schwierigkeitsgrad die Gesamtleistung aufweise, angesetzt werden könnten. Vor diesem Hintergrund müssten die Absätze 2 und 3 der Abrechnungsbestimmungen nicht auf die konkrete Behandlungsmethode und die verwendeten Therapiegeräte eingehen. Besonderheiten, die sich aus der Wahl der Behandlungsart oder des Behandlungsmittels für einzelne handwerkliche Leistungen ergäben, seien für die Höhe dieser Gebühr ohne Bedeutung. Entsprechend stelle der (neue) Absatz 3 der Abrechnungsbestimmungen auch (lediglich) klar, dass die Gebühr für die Gesamtleistung ungeachtet der Behandlungsmethode und der Verwendung besonderer Therapiegeräte (z. B. Loops, Bögen, Attachments bei Alignern, festsitzende Retainer oder Kunststoffschienen) in einem Vierjahreszeitraum nur einmal abgerechnet werden dürfe. Demgegenüber könnten Gebühren für die von dem jeweiligen Gebührentatbestand nach den Nummern 6100ff. GOZ erfasste handwerkliche Tätigkeit einzeln (ggf. sogar je Zahn) angesetzt werden. Wären mit den Nummern 6030 bis 6080 GOZ diese Tätigkeiten sämtlich abgegolten, wären nicht nur die Abrechnungspositionen des Abschnitts G der GOZ praktisch bedeutungslos, sondern dies wäre auch dem tatsächlichen handwerklichen Aufwand völlig unangemessen. Dass sich die Gebühren betragsmäßig deutlich unterschieden, ändere hieran nichts. Die gebührenrechtliche Selbstständigkeit der in den Nummern 6100ff. GOZ aufgeführten Einzelleistungen entspreche schließlich auch dem Willen des Verordnungsgebers. Danach solle Absatz 4 der Abrechnungsbestimmungen klarstellen, dass neben den Leistungen nach den Nummern 6030 bis 6080 GOZ die Leistungen nach den Nummern 6190 bis 6260 GOZ nicht berechnungsfähig seien. Damit könnten - so der Umkehrschluss des Verordnungsgebers - die übrigen Leistungen des Abschnitts G sowie diagnostische Leistungen außerhalb dieses Abschnitts (z. B. Abformung, Röntgen) neben den Leistungen nach den Nummern 6030 bis 6080 GOZ berechnet werden. Nach dem Kontext seien die „übrigen“ Leistungen nach Abschnitt G jedenfalls die Leistungen nach den Nummern 6100 bis 6180 GOZ. Dafür, dass der zweite Satz der amtlichen Begründung Leistungen der Retention, die bei Vorliegen der Vorgaben des § 6 Abs. 1 Satz 1 GOZ in analoger Anwendung dieser Nummern abrechenbar seien, nicht einbeziehe, biete die sprachliche Fassung keinen Anhaltspunkt. Einer solchen Differenzierung stehe im Übrigen auch die Fassung der Nummern 6030 bis 6080 GOZ einschließlich der Abrechnungsbestimmung klar entgegen. Die Nummern 6030 bis 6080 GOZ regelten die Abrechnung der Retention in gleicher Weise wie die Abrechnung der Umformung eines Kiefers bzw. der Einstellung des Kiefers. Es heiße insoweit wörtlich (nur): „einschließlich der Retention“. Das sei nicht nur so zu verstehen, dass auch die Retentionsphase zu der Gesamtleistung als solcher gehöre und in die Abrechnungsfrequenz der Nummern 6030 bis 6080 GOZ einzubeziehen sei. Mittelbar folge daraus auch, dass die Einzelleistungen der Retention in derselben Weise selbstständig berechnungsfähig seien, wie die ausdrücklich aufgeführten Einzelleistungen der aktiven Behandlungsphase, vorausgesetzt die Vorgaben des § 6 Abs. 1 Satz 1 GOZ seien erfüllt. Andernfalls hätte es in erkennbarer Weise der Normierung differenzierender Kriterien für Maßnahmen der Retention bedurft. Mit Ausnahme der (ausdrücklich in Absatz 4 der Abrechnungsbestimmung als nicht berechnungsfähig ausgeschlossenen) Nummer 6210 GOZ (Kontrolle des Behandlungsverlaufes oder Weiterführung der Retention einschließlich kleiner Änderungen der Behandlungs- oder Retentionsgeräte, Therapiekontrolle der gesteuerten Extraktion) fehle es hieran. Mithin habe die Klägerin einen Anspruch auf Aufhebung des Ausgangsbescheides in der Fassung des Widerspruchsbescheides und könne darüber hinaus auch entsprechende Zahlung verlangen.
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Mit Schriftsatz vom 30.12.2020 beantragt das Landesamt für Finanzen für den Beklagten,
die Klage abzuweisen.
8
Zur Begründung wird ausgeführt, dass Retentionsmaßnahmen innerhalb des Vierjahreszeitraumes beihilferechtlich mit den Komplexleistungen (GOZ-Nummern 6030 bis 6080) abgegolten seien. Die Leistungen nach den Nummern 6030 bis 6080 umfassten damit alle im zu Grunde gelegten Behandlungsplan (zur Retention) festgelegten Maßnahmen innerhalb eines Zeitraumes von bis zu vier Jahren. Maßgeblich für Beginn und Ende des Vierjahreszeitraumes sei im vorliegenden Fall der Heil- und Kostenplan vom 31.03.2017.
9
Mit Schriftsatz vom 30.12.2020 verzichtete das Landesamt für Finanzen auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Mit Schriftsatz vom 18.10.2021 erklärte der Klägerbevollmächtigte sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.
10
Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der vorgelegten Behördenakte, § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Entscheidungsgründe

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Mit Zustimmung der Beteiligten kann das Gericht nach § 101 Abs. 2 VwGO über die Verwaltungsstreitsache ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
12
I. Die Klage ist zulässig und hat in der Sache teilweise Erfolg. Der Bescheid des Landesamtes für Finanzen vom 28.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.11.2020 ist teilweise rechtswidrig und verletzt die Klägerin insoweit in ihren Rechten. Sie hat über den von Beklagtenseite bereits zugesprochenen Betrag hinaus Anspruch auf Gewährung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 214,18 Euro zu der kieferorthopädischen Liquidation vom 02.07.2020 (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Denn die hier im Streit stehenden GOZ-Positionen 6100 und 6140 sind vorliegend neben den Nummern 6030 bis 6080 Anlage 1 GOZ beihilfefähig (dazu unter 1), allerdings nicht in Höhe des 3,5-fachen Steigerungssatzes (dazu unter 2).
13
1. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BayBhV sind Aufwendungen beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach notwendig und soweit sie der Höhe nach angemessen sind und die Beihilfefähigkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist. Bei der Behandlung durch Ärzte beurteilt sich gemäß Satz 2 der Vorschrift die Angemessenheit der Honorarforderung ausschließlich nach dem Gebührenrahmen der maßgebenden ärztlichen Gebührenordnung, hier der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ). Die Beihilfevorschriften verzichten insoweit auf eine eigenständige Umschreibung des Begriffs der Angemessenheit und verweisen auf die Vorschriften der ärztlichen und zahnärztlichen Gebührenordnungen (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.1988 - 2 C 39.87 - juris, Rn. 14).
14
Die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für ärztliche Leistungen knüpft grundsätzlich an den Leistungsanspruch des Arztes an und setzt voraus, dass dieser seine Leistungen unter zutreffender Auslegung der Gebührenordnung in Rechnung gestellt hat. Die Auslegung der Gebührenordnung und damit die Frage der materiell-rechtlichen Berechtigung einer ärztlichen Gebührenforderung unterliegt der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, wenn die Berechtigung weder im Einzelfall im Verhältnis von Beihilfeberechtigtem und behandelndem Arzt zivilgerichtlich festgestellt worden noch zudem die Auslegung der ihr zugrundeliegenden Gebührenregelung allgemein höchstrichterlich geklärt ist und der Dienstherr rechtzeitig für Klarheit über die von ihm favorisierte Bedeutung der objektiv zweifelhaften Gebührenvorschrift gesorgt hat (vgl. BVerwG, U.v. 5.3.2021 - 5 C 8/19 - juris Rn. 8f.).
15
Ob der Arzt seine Forderung zu Recht geltend gemacht hat, ist eine der Beihilfegewährung vorgreifliche Rechtsfrage, die nach der Natur des Rechtsverhältnisses zwischen Arzt und Patienten dem Zivilrecht zuzuordnen ist. Den Streit über die Berechtigung einer ärztlichen Liquidation entscheiden letztverbindlich die Zivilgerichte. Damit ist für die Entscheidung, ob nach den Maßstäben des Beihilferechts Aufwendungen für ärztliche Leistungen angemessen sind, die Auslegung des ärztlichen Gebührenrechts durch die Zivilgerichte maßgebend. Deren Beurteilung im konkreten Fall präjudiziert die Angemessenheit der Aufwendungen für ärztliche Leistungen im beihilferechtlichen Sinne. Hat das Zivilgericht - in welcher Instanz auch immer - den Beamten rechtskräftig zur Begleichung der Honorarforderung eines Arztes verurteilt, ist die Vergütung regelmäßig angemessen im Sinne des Beihilferechts. Gleiches gilt, wenn es eine einschlägige und eindeutige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den sich im konkreten Fall stellenden gebührenrechtlichen Fragen gibt. Ist dies nicht der Fall, hat der Dienstherr zu prüfen, ob die vom Arzt geltend gemachten Ansprüche nach materiellem Recht begründet sind. Dabei sind Aufwendungen für ärztliche oder zahnärztliche Leistungen, deren Berechnung auf einer zweifelhaften Auslegung der einschlägigen Gebührenordnung beruht, unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht zugunsten des Beihilfeberechtigten schon dann als angemessen anzusehen, wenn der vom Arzt in Rechnung gestellte Betrag bei objektiver Betrachtung einer zumindest vertretbaren Auslegung der Gebührenordnung entspricht und der beihilfepflichtige Dienstherr nicht rechtzeitig für Klarheit über seine Auslegung gesorgt hat (vgl. BVerwG, U.v. 19.10.2017 - 2 C 19.16 - BVerwGE 160, 114 Rn. 17 f., 22 m.w.N.).
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Eine Entscheidung über die Berechtigung der Gebührenforderung ist vorliegend im ordentlichen Rechtsweg nicht ergangen. Zudem ist nicht in Frage gestellt, dass die hier in Rede stehende Auslegung des Gebührenrechts zweifelhaft und nicht im ordentlichen Rechtsweg höchstrichterlich geklärt ist, der Beklagte aber auf seine Rechtsauffassung hierzu rechtzeitig hingewiesen hat. Dies hat zur Folge, dass die Anwendung des Gebührenrechts durch den Dienstherrn vollumfänglich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu klären ist (so schon BVerwG, U.v. 21.9.1995 - 2 C 33.94 - NWVBl 1996, 100 = juris Rn. 12; U.v. 5.3.2021 - 5 C 8/19 - juris Rn. 11).
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Als rechtliche Grundlage für die ärztlicherseits geltend gemachte Gebührenforderung wird hinsichtlich der streitigen Positionen auf die Nummern 6100 (Eingliederung eines Klebebrackets zur Aufnahme orthodontischer Hilfsmittel) und 6140 (Eingliederung eines Teilbogens) der Anlage 1 GOZ Bezug genommen.
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Soweit die Beklagtenseite die Auffassung vertritt, dass für die in Rede stehende Eingliederung von Klebebrackets und Teilbogen die Nummern 6100 und 6140 Anlage 1 GOZ nicht mehr in Ansatz gebracht werden können, weil sich die Eingliederung eines solchen Kleberetainers als Maßnahme der Retention mit dem Inhalt der von dem behandelnden Kieferorthopäden berechneten Nummern 6030 und 6070 Anlage 1 GOZ überschneidet und daher dem sog. Doppelberechnungsverbot unterliegt, kann dem nicht gefolgt werden.
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Prinzipiell kommen alle im Gebührenverzeichnis beschriebenen Leistungen als selbstständige zahnärztliche Leistungen in Betracht. Für die Frage, welche von mehreren gleichzeitig oder im Zusammenhang erbrachten Leistungen selbstständig berechnungsfähig sind, ist - neben Berechnungsbestimmungen im Gebührenverzeichnis selbst - vor allem § 4 Abs. 2 Satz 2 GOZ in den Blick zu nehmen. Nach dieser Bestimmung kann der Zahnarzt für eine Leistung, die Bestandteil (Alt. 1) oder eine besondere Ausführung (Alt. 2) einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist, eine Gebühr nicht berechnen, wenn er für die andere Leistung eine Gebühr berechnet. Der Bestimmung in § 4 Abs. 2 Satz 2 GOZ kommt eine klare abrechnungstechnische Bedeutung zu, die unmittelbar einleuchtet: Der Zahnarzt darf eine Leistung, die sich mit dem Inhalt einer von ihm gleichfalls vorgenommenen anderen Leistung überschneidet, nicht zweimal abrechnen (BVerwG, U.v. 5.3.2021 - 5 C 8/19 - juris Rn. 16 m.w.N.).
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a) Die Eingliederung von Klebebrackets und eines Teilbogens sind jedoch nicht im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 GOZ Bestandteil einer mit der Nummer 6030 und 6070 Anlage 1 GOZ abgerechneten Leistung. Nach § 4 Abs. 2 Satz 4 GOZ ist eine Leistung methodisch notwendiger Bestandteil einer anderen Leistung, wenn sie inhaltlich von der Leistungsbeschreibung der anderen Leistung (Zielleistung) umfasst und auch in deren Bewertung berücksichtigt worden ist. Diese Vorschrift knüpft nach ihrem Wortlaut zum einen an die ausdrückliche Erstreckung des Doppelberechnungsverbots auf operative Leistungen durch § 4 Abs. 2 Satz 3 GOZ und die dort erwähnten „methodisch notwendigen operativen Einzelschritte“ an. Zum anderen verweist sie mit dem Begriff „Bestandteil“ aber auch auf die Regelung in § 4 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 GOZ (vgl. dazu auch BR-Drs. 566/11 S. 43). Daraus ist zu schließen, dass mit ihr zugleich definiert wird, wann eine zahnärztliche Leistung im Sinne dieser Bestimmung als Bestandteil einer anderen Leistung anzusehen ist. Hierfür muss sie einerseits inhaltlich auf der Grundlage der Kenntnisse medizinischer Wissenschaft und Praxis („methodisch“) als Teil eines bestimmten Umfangs von Einzelverrichtungen wie auch andererseits der Bewertung nach von der anderen Gebührenposition erfasst sein. Dies ist in inhaltlicher Hinsicht nicht schon dann anzunehmen, wenn eine Leistung im Einzelfall nach den Regeln der ärztlichen Kunst im Zusammenhang mit der Erbringung der Zielleistung durchzuführen ist. Vielmehr kommt es hierfür darauf an, ob sie nach ihrem technischen Ablauf oder anderen für die Leistungserbringung bestimmenden (methodischen) Faktoren notwendiger- oder typischerweise anfällt, um diese Zielleistung erbringen zu können und damit für diese eine unerlässliche Voraussetzung („Conditio sine qua non“) ist (vgl. BVerwG, U.v. 5.3.2021 - 5 C 8/19 - juris Rn. 18; BGH, U.v. 5.6.2008 - III ZR 239/07 - BGHZ 177, 43 Rn. 9; Clausen, in: Clausen/Makoski, GOÄ/GOZ, 1. Aufl. 2019 § 4 GOZ Rn. 36; Liebold/Raff/Wissing, DER Kommentar BEMA/GOZ, 2020, § 4 GOZ Rn. 4 und 7; Sandvoß, ArztR 2005, 228).
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Vor diesem Hintergrund sind die Eingliederung von Klebebrackets sowie eines Teilbogens nicht als Bestandteil der in den Nummern 6030 und 6070 Anlage 1 GOZ beschriebenen Leistung im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 GOZ anzusehen. Die dort erwähnte Retention der Zahnstellung im Anschluss an Maßnahmen zur Umformung des Kiefers muss jedenfalls nicht regelhaft und typisch mittels der vorgenannten Retentionsgeräte durchgeführt werden, da hierfür diverse Apparaturen in Betracht kommen (vgl. dazu auch Liebold/Raff/Wissing, DER Kommentar BEMA/GOZ, 2020, GOZ-Nr. 6030 bis 6050 Nr. 1; BVerwG, U.v. 5.3.2021 - 5 C 8/19 - juris Rn. 19).
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b) Zwar ist der Beklagtenseite zuzugeben, dass sich die Eingliederung von Klebebrackets und Teilbogen jedenfalls als besondere Ausführung im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 GOZ der in den Nummern 6030 und 6070 Anlage 1 GOZ beschriebenen Leistung erweisen.
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Mit § 4 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 GOZ soll die gesonderte Berechnungsfähigkeit solcher Leistungen ausgeschlossen werden, die die Leistungsbeschreibung einer Gebührennummer des Gebührenverzeichnisses erfüllen und lediglich eine besondere Art und Weise ihrer Erbringung darstellen. Dabei geht es nicht um das Verhältnis zwischen einer Regelmethodik oder Standardleistung und der Abweichung hiervon durch eine „besondere“ Leistung, also auch nicht um die Frage, was die typische und was die atypische Form der Leistungserbringung ist. Vielmehr ist eine Leistungsausführung dann als besonders anzusehen, wenn sie sich als bloße methodische bzw. technische Variation oder Modifikation der beschriebenen Zielleistung erweist (vgl. Clausen, in: Clausen/Makoski, GOÄ/GOZ, 1. Aufl. 2019 § 4 GOZ Rn. 31; Liebold/Raff/Wissing, DER Kommentar BEMA/GOZ, 2020, § 4 GOZ Rn. 5 und 9). Dies ist dann zu bejahen, wenn die Beschreibung der Zielleistung im Gebührenverzeichnis ergibt, dass die in Rede stehende Leistungsausführung ihrer technischen oder methodischen Eigenart nach bereits davon mitumfasst ist, etwa weil die Leistungsbeschreibung offen lässt, mit welchen Techniken oder Methoden eine Leistung zu erbringen bzw. ein Behandlungsziel zu erreichen ist (vgl. BGH, U.v. 21.1.2010 - III ZR 147/09 - NJW-RR 2010, 1355 Rn. 11; Liebold/Raff/Wissing, DER Kommentar BEMA/GOZ, 2020, § 4 GOZ Rn. 10). Dies zugrunde gelegt ergibt die Auslegung der Nummern 6030 und 6070 Anlage 1 GOZ einschließlich der in Nummer 6080 Anlage 1 GOZ enthaltenen übergreifenden Abrechnungsbestimmungen anhand der allgemeinen Auslegungsregeln, dass die Nummern 6030 und 6070 Anlage 1 GOZ als Zielleistung im Sinne von § 4 Abs. 2 GOZ anzusehen und die Eingliederung von Klebebrackets und Teilbogen auch kraft unmittelbarer und ausdrücklicher normativer Wertung in den Berechnungsbestimmungen im Sinne einer besonderen Ausführungsart in der Leistungsbeschreibung dieser Gebührennummer enthalten sind (vgl. BVerwG, U.v. 5.3.2021 - 5 C 8/19 - juris Rn. 21).
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Schon dem klaren Normtext nach haben die Nummern 6030 bis 6080 Anlage 1 GOZ im gebührenrechtlichen Sinne handwerkliche oder behandlungstechnische zahnärztliche Leistungen zum Gegenstand und beinhalten nicht lediglich eine pauschale Grundgebühr für die (auch intellektuelle) Gesamtleistung des Kieferorthopäden. Sie können deshalb auch Bezugspunkt des Doppelberechnungsverbots nach § 4 Abs. 2 Satz 2 GOZ sein. Dies ergibt sich bereits aus der Formulierung der Absätze 2 und 3 der Abrechnungsbestimmungen in der Nummer 6080 Anlage 1 GOZ. Absatz 2 - wie im Übrigen auch der Absatz 4 - beschreibt den Inhalt der Nummern 6030 bis 6080 Anlage 1 GOZ ausdrücklich im Plural mit dem Begriff „Leistungen“. Absatz 3 präzisiert dies in der Sache dahingehend, dass die Maßnahmen im Sinne der Nummern 6030 bis 6080 Anlage 1 GOZ alle Leistungen der Kieferumformung bzw. -einstellung einschließlich der Retention umfassen. Damit können indes nur die handwerklichen bzw. behandlungstechnischen Einzelleistungen gemeint sein, die zur Erreichung dieser Behandlungsziele - also auch der Retention - eingesetzt werden. Auch mit Blick auf die Gesamtsystematik der Verordnung hält sich der Verordnungsgeber genau an den Sprachgebrauch („umfassen“), den er durchgängig in Bezug auf die Beschreibung einer Leistung und ihres Inhalts verwendet (vgl. nur § 4 Abs. 2 Satz 4 GOZ). Davon, dass auch die Nummern 6030 bis 6080 Anlage 1 GOZ zahnärztliche Leistungen zum Inhalt und damit den Charakter einer Zielleistung haben können, geht zudem ersichtlich die Verordnungsbegründung aus, wenn es dort heißt, es werde „der Leistungsinhalt der Leistungen nach den Nummern 6030 bis 6080 … näher beschrieben“ (BR-Drs. 566/11 S. 62). Es kommt hinzu, dass dort in Bezug auf den im Jahr 2011 eingefügten Absatz 3 der Abrechnungsbestimmungen zur Nummer 6080 Anlage 1 GOZ ausdrücklich von „Behandlungsmethoden“ und „Therapiegeräten“ die Rede ist und damit noch einmal der Bezug zu behandlungstechnischen Einzelleistungen hergestellt wird (BVerwG, U.v. 5.3.2021 - 5 C 8/19 - juris Rn. 22).
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Ist danach davon auszugehen, dass in den Nummern 6030 bis 6080 Anlage 1 GOZ die Beschreibung einer Mehrzahl von behandlungstechnischen Einzelleistungen zu sehen ist, ergibt sich anhand der allgemeinen Auslegungsregeln ebenfalls, dass diese sich inhaltlich spezifizieren lassen. Erfasst sind gebührenrechtlich sämtliche Behandlungsleistungen, die im Zusammenhang mit dem jeweiligen Behandlungsziel - unter Einschluss der Retention - stehen, an das der im Leistungstext genannte Begriff der „Maßnahme“ anknüpft und die diesem zugeordnet werden können. Dies beinhaltet alle hierauf bezogenen Einzelleistungen, ohne dass der behandelnde Zahnarzt insoweit auf eine bestimmte Methodik oder Ausführungsweise festgelegt wird. Eingeschlossen ist damit auch die Eingliederung von Klebebrackets oder Teilbögen (vgl. BVerwG, U.v. 5.3.2021 - 5 C 8/19 - juris Rn. 23).
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Diese Auslegung folgt bereits aus dem Normtext der hier in Rede stehenden Regelungen des Gebührenverzeichnisses. Maßgeblich ist auch insoweit der Wortlaut der Absätze 2 und 3 der Abrechnungsbestimmungen in der Nummer 6080 Anlage 1 GOZ. Danach umfasst die Leistungsbeschreibung „alle Leistungen zur Kieferumformung und Retention bzw. zur Einstellung des Unterkiefers in den Regelbiss innerhalb eines Zeitraumes von bis zu vier Jahren, unabhängig von den angewandten Behandlungsmethoden oder den verwendeten Therapiegeräten“, soweit sie sich den im Behandlungsplan festgelegten Maßnahmen zuordnen lassen. Erfasst wird damit schon dem Wortsinn nach („alle“) ausnahmslos das vollständige Leistungsspektrum zur Erreichung der Kieferumformung bzw. -einstellung einschließlich der Retention in allen behandlungstechnischen Variationen innerhalb des Vierjahreszeitraums. Der Leistungsumfang ist ausdrücklich unabhängig von den angewandten Behandlungsmethoden und verwendeten Therapiegeräten und schließt daher Methoden und Geräte jedweder Art in der aktiven Behandlungsphase (Kieferumformung bzw. -einstellung) wie auch der passiven Behandlungsphase (Retention) ein. Das bedeutet abrechnungstechnisch zugleich, dass die Gebühren nach den Nummern 6030 bis 6080 Anlage 1 GOZ die Anwendung sämtlicher dieser Techniken im maßgeblichen Zeitraum erfassen und sie deshalb unabhängig von der konkreten Behandlungsweise weder mehrfach in Ansatz gebracht werden noch hiervon erfasste Einzelleistungen gesondert abgerechnet werden dürfen. Dass dies auch für die Eingliederung von Klebebrackets (Bögen) und Teilbögen dem Willen des Verordnungsgebers entspricht, ergibt sich aus der Verordnungsbegründung, in der diese Behandlungsgeräte ausdrücklich erwähnt und in den Kreis der besonderen Behandlungsmethoden und Therapiegeräte einbezogen sind (BR-Drs. 566/11 S. 62; BVerwG, U.v. 5.3.2021 - 5 C 8/19 - juris Rn. 25).
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c) Jedoch übersieht die Beklagtenseite, dass nach Absatz 4 der Abrechnungsbestimmung zu Nummer 6080 Anlage 1 GOZ neben den Nummern 6030 bis 6080 Anlage 1 GOZ nur die Nummern 6190 bis 6260 Anlage 1 GOZ nicht berechnungsfähig sind, woraus im Wege eines Umkehrschlusses notwendig die Abrechenbarkeit sämtlicher übriger Leistungen des Abschnitts G Anlage 1 GOZ neben den Leistungen nach den Nummern 6030 bis 6080 Anlage 1 GOZ folgt. Dass dies auch dem Willen des Verordnungsgebers entspricht, lässt sich der Verordnungsbegründung entnehmen (BR-Drs. 566/11, S. 62). Daraus folgt, dass die Leistungen nach den Nummern 6090 bis 6180 Anlage 1 GOZ im Rahmen der aktiven Behandlungsphase einer Kieferumformung bzw. -einstellung auch neben den Nummern 6030 bis 6080 Anlage 1 GOZ ansatzfähig sind (BVerwG, U.v. 5.3.2021 - 5 C 8/19 - juris Rn. 27).
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Diese abrechnungstechnische Verselbstständigung ist nicht systemwidrig und stellt auch die Auslegung des Inhalts der Nummern 6030 bis 6080 Anlage 1 GOZ, nach der alle Leistungen zur Erreichung der dort genannten Behandlungsziele erfasst werden, nicht in Frage. Denn der Verordnungsgeber hat es in der Hand, auch Leistungen gesondert zu beschreiben und damit auch ihre Abrechenbarkeit zu regeln, die in einem so engen Zusammenhang zu einer anderen gebührenrechtlich definierten Leistung stehen, dass man ihre Selbstständigkeit in Frage stellen könnte. Er kann desgleichen - wie im Fall der Nummern 6090 bis 6180 Anlage 1 GOZ - positiv bestimmen, dass Leistungen neben einer anderen Leistung abgerechnet werden können, obwohl sie „an sich“ von dieser bereits erfasst werden. Der Verordnungsgeber ist damit auch im Fall kieferorthopädischer Leistungen frei darin, zusätzlich zu einer Gebühr, die eine Gesamtheit von behandlungstechnischen Leistungen abbildet, auch noch einzelne dieser Leistungen daneben zur Abrechnung zu stellen. Insoweit liegt dann ein Regelungszusammenhang vor, in dem sich weder Fragen der Selbstständigkeit der Leistung noch solche nach der Reichweite des Zielleistungsprinzips stellen (vgl. BGH, U.v. 21.1.2010 - III ZR 147/09 - NJW-RR 2010, 1355 Rn. 7; BVerwG, U.v. 5.3.2021 - 5 C 8/19 - juris Rn. 28).
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Folglich haben die behandelnden Kieferorthopäden für die Eingliederung von Klebebrackets an 10 Zähnen sowie eines Teilbogens die Gebührenpositionen 6100 und 6140 Anlage 1 GOZ zu Recht in Ansatz gebracht.
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2. Allerdings erwies sich der Ansatz des dreieinhalbfachen Gebührensatzes als nicht berechtigt.
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Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 GOZ bemisst sich die Höhe der einzelnen Gebühr nach dem Einfachen bis Dreieinhalbfachen des Gebührensatzes. Innerhalb des Gebührenrahmens sind nach § 5 Abs. 2 Satz 1 GOZ die Gebühren unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und des Zeitaufwandes der einzelnen Leistung sowie der Umstände bei der Ausführung nach billigem Ermessen zu bestimmen, wobei nach Satz 2 der Vorschrift die Schwierigkeit der einzelnen Leistung auch durch die Schwierigkeit des Krankheitsfalles begründet sein kann. Grundsätzlich bildet der 2,3-fache Gebührensatz nach § 5 Abs. 2 Satz 4 Hs. 1 GOZ die nach Schwierigkeit und Zeitaufwand durchschnittliche Leistung ab, den sog. Schwellenwert. Ein Überschreiten dieses Schwellenwertes ist nach § 5 Abs. 2 Satz 4 Hs. 2 GOZ nur zulässig, wenn Besonderheiten der in § 5 Abs. 2 Satz 1 GOZ genannten Bemessungskriterien, also die Schwierigkeit und der Zeitaufwand der einzelnen Leistung sowie die Umstände bei der Ausführung, dies rechtfertigen. Bemessungskriterien, die bereits in der Leistungsbeschreibung berücksichtigt worden sind, haben hierbei außer Betracht zu bleiben (§ 5 Abs. 2 Satz 3 GOZ). Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 GOZ hat der Zahnarzt eine Überschreitung des Schwellenwertes auf die einzelne Leistung bezogen verständlich und nachvollziehbar schriftlich zu begründen und auf Verlangen näher zu erläutern.
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Zwar ist dem Zahnarzt bei der Bestimmung des Steigerungsfaktors durch § 5 Abs. 2 Satz 1 GOZ ein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbares Ermessen eingeräumt (vgl. NdsOVG, B.v. 14.11.2011 - 5 LA 237/10 - juris Rn. 21). Dieses besteht jedoch nur auf der Rechtsfolgenseite. Das Vorliegen von „Besonderheiten“ im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 4
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Hs. 2 GOZ auf der Tatbestandsseite unterliegt dagegen der vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit (BVerwG, U.v. 17.2.1994 - 2 C 10/92 - NJW 1994, 3023 [3024]; VG München, U.v. 23.5.2013 - M 17 K 11.4984). Die in der Regel einzuhaltende Spanne zwischen dem einfachen Gebührensatz und dem jeweils geltenden Schwellenwert ist vom Verordnungsgeber nicht nur für einfache oder höchstens durchschnittlich schwierige Behandlungsfälle, sondern für die große Mehrzahl aller Behandlungsfälle zur Verfügung gestellt und deckt in diesem Rahmen auch die Mehrzahl der schwierigen und aufwendigeren Behandlungsfälle ab. Eine Überschreitung des Schwellenwerts hat nach dem sachlichen Zusammenhang der Vorschrift den Charakter einer Ausnahme und setzt voraus, dass Besonderheiten gerade bei der Behandlung des betreffenden Patienten, abweichend von der großen Mehrzahl der Behandlungsfälle, aufgetreten sind. Dem Ausnahmecharakter des Überschreitens des Schwellenwertes widerspräche es, wenn schon eine vom Zahnarzt allgemein oder häufig, jedenfalls nicht nur bei einzelnen Patienten wegen in ihrer Person liegenden Schwierigkeiten, angewandte Verfahrensweise bei der Ausführung einer im Gebührenverzeichnis beschriebenen Leistung als eine das Überschreiten des Schwellenwertes rechtfertigende Besonderheit angesehen würde. Diese Betrachtungsweise ergibt sich aus der Gegenüberstellung der „in der Regel“ einzuhaltenden Spanne zwischen dem einfachen Gebührensatz und dem Schwellenwert einerseits und dem zulässigen Überschreiten dieses Wertes wegen Besonderheiten der Bemessungskriterien andererseits sowie aus der Anordnung einer schriftlichen Begründung des Überschreitens des Schwellenwertes, die auf Verlangen näher zu erläutern ist. Für eine nähere Erläuterung ist sinnvoll nur Raum, wenn Besonderheiten gerade des vorliegenden Einzelfalls darzustellen sind; könnte schon eine bestimmte vom Einzelfall unabhängige Art der Ausführung der im Gebührenverzeichnis beschriebenen Leistung das Überschreiten des Schwellenwertes rechtfertigen, so wäre dies mit einem kurzen Hinweis auf die angewandte Ausführungsart abschließend dargelegt. Auch soweit es üblich geworden sein und hingenommen werden sollte, dass Ärzte überwiegend ohne Rücksicht auf den Einzelfall den Schwellenwert ansetzen, ändert dies nichts an der Rechtslage, insbesondere nicht daran, dass auch die Mehrzahl schwieriger und aufwändigerer Behandlungsfälle im Rahmen der Regelspanne abzugelten ist (vgl. BVerwG, U.v. 17.2.1994 - 2 C 10/92 - juris Rn. 21f.).
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Für eine Überschreitung des Schwellenwertes ist damit gerade eine in der Person des Betroffenen liegende Besonderheit erforderlich. Der den Ausschlag für die Schwellenwertüberschreitung gebende vermehrte Aufwand muss auf eine beim betreffenden Patienten bestehende außergewöhnliche Konstitution zurückzuführen sein, rein verfahrensbezogene Besonderheiten genügen dagegen nicht (vgl. BayVGH, B.v. 15.4.2011 - 14 ZB 10.1544 - juris Rn. 4; VG Stuttgart, U.v. 28.1.2011 - 3 K 2870/10; VG München, U.v. 23.5.2013 - M 17 K 12.59; U.v. 23.05.2003 - M 17 K 11.4984; a.A. noch: VGH BW, U.v. 17.9.2002 - 4 S 2084/91 - juris Rn. 48). Zwar sollte es nicht so sein, dass der Arzt bzw. Zahnarzt für die Begründung der Schwellenwertüberschreitung mehr Zeit aufwenden muss als für die eigentliche Behandlung. Ausführliche ärztliche Berichte oder gar Gutachten können daher nicht verlangt werden. Allerdings muss sich der gegebenen Begründung entnehmen lassen, weshalb bei dem Patienten eine von der Masse der behandelnden Fälle abweichende Besonderheit vorlag und insbesondere, worin diese Besonderheit bestand (VG Hannover, GB v. 7.12.2009 - 13 A 2981/09 - juris Rn. 165). Hierbei ist auch zu beachten, dass die Begründung allein vom behandelnden Zahnarzt selbst gegeben werden kann. Die Klagepartei ist dazu als Adressat der Begründung weder berechtigt noch im Stande (VG Stuttgart, U.v. 21.9.2009 - 12 K 6383/07 - juris Rn. 64).
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Voraussetzung ist somit zum einen, dass die Leistung aufgrund der tatsächlichen Umstände vom Typischen und Durchschnittlichen erheblich abweicht. Die Begründung darf dabei nicht allgemein gehalten sein, sondern muss genügend Anhaltspunkte für einen Vergleich enthalten, bei dem deutlich wird, dass die Behandlungsschritte einen ungewöhnlich hohen Schwierigkeitsgrad aufwiesen, der deutlich über demjenigen lag, der durch die Regelspanne abgegolten wird. Voraussetzung ist nach ständiger Rechtsprechung aber des Weiteren, dass die besonderen Schwierigkeiten nicht in der angewandten Behandlungsmethode begründet sind, sondern auf den individuellen Verhältnissen des konkret behandelten Patienten beruhen (vgl. VG Saarland, U.v. 7.7.2016 - 6 K 967/14 - juris; U.v. 26.5.2017 - 6 K 468/16 - juris; OVG NW, B.v. 20.10.2004 - 6 A 215/02 - juris; BayVGH, B.v. 15.4.2011 - 14 ZB 10.1544 - juris).
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Die behandelnden Kieferorthopäden verweisen zur Rechtfertigung des erhöhten Gebührenansatzes bei den Positionen 6100 und 6140 auf Fußnote 2 ihrer Liquidation vom 02.07.2020 und damit auf eine erschwerte linguale Befestigung bei aufwendiger Trockenlegung wegen erhöhten Speichelflusses und Blutungsneigung sowie das zusätzliche Erfordernis des Abhaltens der Zunge. Ein vermehrter Speichelfluss ist jedoch eine typische Stressreaktion auf eine zahnärztliche Behandlung. Inwiefern bei dem Sohn der Klägerin eine außergewöhnliche, gegenüber der Mehrzahl der Fälle besonders erhöhte Speichelproduktion vorlag, wird nicht nachvollziehbar dargelegt. Was genau unter einem „erhöhtem“ Speichelfluss zu verstehen ist, ist unklar und somit viel zu allgemein formuliert und objektiv zu wenig nachprüfbar, um Besonderheiten des Einzelfalls zu rechtfertigen. Hinzu kommt, dass sich ein vermehrter Speichelfluss leicht mit entsprechenden Absaugvorrichtungen bewältigen lässt (so auch VG Hannover, GB v. 7.12.2009 - 13 A 2981/09 - juris Rn. 201). Auch eine erhöhte Blutungsneigung kann eine von der Masse der behandelten Fälle abweichende Besonderheit nicht begründen. Durch diese Begründung wird weder klargestellt, wie sich die konkrete Blutungsneigung gegenüber anderen Behandlungsfällen bemerkbar gemacht hat, noch inwieweit dadurch ein erheblich höherer Schwierigkeitsgrad der Behandlung vorlag, der zu einer atypischen Behandlungssituation führte. Eine erhöhte Blutungsneigung stellt vielmehr einen Umstand dar, mit dem bei der Behandlung üblicherweise zu rechnen ist. Jedenfalls wurde nicht dazu vorgetragen, weshalb dieser Umstand derart außergewöhnlich ist, dass er sich von der Mehrzahl der schwierigen Behandlungsfälle unterscheidet. Anders würde sich dies bei einem Bluter darstellen, da ein derartiger Umstand nachweislich selten ist (vgl. VG Hannover, U.v. 7.12.2009 - 13 A 2981/09 - juris Rn. 172). Auch das Erfordernis des Abhaltens der Zunge trägt den erhöhten Gebührenansatz nicht. Rein verfahrensbezogene Besonderheiten genügen nicht zur Rechtfertigung einer Schwellenwertüberschreitung. Vielmehr muss der den Ausschlag für die Schwellenwertüberschreitung gebende vermehrte Aufwand auf eine beim betreffenden Patienten bestehende außergewöhnliche Konstitution zurückzuführen sein. Dass die GOZ davon ausgeht, dass bei sämtlichen Behandlungen von - naturgemäß schwer zugänglichen - Seitenzähnen ein, gegenüber der Behandlung von leicht zugänglichen Frontzähnen erhöhter Gebührenfaktor angesetzt werden kann, ist schwer vorstellbar, da der Großteil der Zähne im Mund im schwerer zugänglichen Seitenmundbereich liegt und die Ansetzung eines über den 2,3-fachen Gebührensatzes hinausgehenden Faktors somit die Regel wäre - was sie aber, wie oben dargestellt, gerade nicht sein soll. Es ist davon auszugehen, dass der 2,3-fache Gebührensatz den durchschnittlichen Aufwand für jeden beliebigen Zahn, unabhängig von seiner Lage pauschaliert abbilden soll und somit Erschwernisse, die eine Überschreitung des Schwellenwertes rechtfertigen sollen, nicht allein mit der Lage des Zahns und dem Abhalten der Zunge begründet werden können (vgl. VG München, U.v. 01.8.2018 - M 17 K 17.5823 - juris Rn. 80). Zwar wird nicht verkannt, dass die vorgenannten Umstände (erhöhter Speichelfluss, verstärkte Blutungsneigung, Abhalten der Zunge) in ihrer Kumulation zu einem erhöhten Schwierigkeitsgrund und gegebenenfalls einer zeitlich längeren Behandlungsdauer führen können. Dennoch ist auch insoweit nicht zur Überzeugung des Gerichts mit einem ausreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit dargelegt, dass diese einzeln häufig auftretenden Erschwernisse nicht in einer Vielzahl vergleichbarer Behandlungsfälle auch kombiniert auftreten. Zudem hätte es hierfür weiterer Anhaltspunkte bedurft.
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Mithin erweist sich für die streitigen Abrechnungspositionen maximal der 2,3-fache Gebührenansatz als beihilfefähig. Zugrunde zu legen sind somit 213,40 Euro hinsichtlich Nummer 6100 Anlage 1 GOZ und 54,32 Euro in Bezug auf die Abrechnungsposition 6140 Anlage 1 GOZ. Unter Berücksichtigung des Beihilfebemessungssatzes von 80% ergibt sich folglich ein weiterer Beihilfeanspruch der Klägerin in Höhe von 214,18 Euro.
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II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 der Zivilprozessordnung (ZPO).