Titel:
Verpflichtung zur Öffnung des Wasserschiebers, Verpflichtung zur Wasserversorgung des Nachbarn, Unmöglichkeit der eigenen Wasserversorgung
Normenketten:
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3
WHG §§ 93, 94
WHG § 4 Abs. 2, Abs. 4
Schlagworte:
Verpflichtung zur Öffnung des Wasserschiebers, Verpflichtung zur Wasserversorgung des Nachbarn, Unmöglichkeit der eigenen Wasserversorgung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 56442
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der Klagen wird gegen Ziffer 1 der Bescheide vom 11. Juni 2021 wiederhergestellt, gegen Ziffer 3 angeordnet.
2. Der Antragsgegner und der Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte, wobei beide Beteiligte ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst tragen.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerinnen begehren die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen einen Bescheid des Antragsgegners, mit dem sie befristet zum Offenhalten eines auf in ihrem Eigentum stehenden Grundstücks befindlichen Wasserschiebers und zur Wasserversorgung des Beigeladenen verpflichtet wurden.
2
Die Antragstellerinnen sind je zur Hälfte Miteigentümerinnen der Grundstücke Fl.Nr. … und Fl.Nr. … der Gemarkung … Herrn … (dem Onkel der Antragstellerinnen) wurde am 3. Mai 2011 bis zum 30. Juni 2021 die beschränkte wasserrechtliche Erlaubnis (Art. 15 BayWG) erteilt, aus der Quelle auf dem Grundstück FI.Nr. … der Gemarkung … Wasser zu entnehmen für die Wasserversorgung der Anwesen … und … Mit weiterem Bescheid vom 21. Mai 2021 verlängerte das Landratsamt … die beschränkte Erlaubnis bis 30. Juni 2031. Die Zuleitung liegt im Grenzbereich der Grundstücke Fl.Nr. … und Fl.Nr. …, inklusive des Hausanschluss-Schiebers für das Anwesen … Der Beigeladene lebt in einem Wohngebäude (…) auf Fl.Nr. …, welches mit notariellem Kaufvertrag vom 4. Oktober 2013 als Teilfläche aus dem Ursprungsgrundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … ausgeschieden und an den Beigeladenen verkauft wurde. Unter § 9 Bestellung von Dienstbarkeiten Ziffer 4 des Kaufvertrags heißt es: „Der Verkäufer hat den Käufer darauf hingewiesen, dass für die Wasserversorgung für das Vertragsobjekt öffentliche Auflagen gemacht werden können oder auf Wunsch eines der Vertragsteile, verpflichtet sich der heutige Käufer, auf eigene Kosten an die öffentliche Wasserversorgung anzuschließen.“
3
Eine Eigentumsübertragung hat bislang nicht stattgefunden. Das vom Beigeladenen bewohnte Anwesen wurde in der Vergangenheit über die Herrn … erteilte Erlaubnis zur Quellwasserentnahme versorgt. Mit dem Beigeladenen leben in dem genannten Gebäude Fr. … (... Jahre) mit ihren zwei Kindern (... und ... Jahre).
4
Der Antragsgegner betreibt eine öffentliche Trinkwasserversorgungsanlage für die Ortsteile …, …, …, …, …, … und … Die anderen Ortsteile des Antragsgegners werden von der Wasserversorgung des Antragsgegners nicht erfasst. Im Ortsteil … besteht neben der privaten Versorgungsanlage … die „Wasserversorgung …“.
5
Es kam zu verschiedenen zivilrechtlichen Streitigkeiten zwischen den Antragstellerinnen und dem Beigeladenen, unter anderem wurde am 19. Januar 2018 vor dem Amtsgericht … ein Vergleich geschlossen, wonach der Beigeladene bis 31. Dezember 2018 Wasser aus der Quelle entnehmen darf. Ab Oktober 2018 wurde der Beigeladene mehrmals aufgefordert, das Haus an die Wasserversorgung anzuschließen. In einem Vergleich vor dem Landgericht … wurde am 27. Februar 2020 vereinbart, dass die Wasserversorgung längstens bis 31. März 2021 aufrechterhalten bleibe (Fr. … soll nach Angaben der Antragstellerinnen bei diesem Vergleich ebenfalls anwesend gewesen sein). Die Antragstellerinnen drehten nach diesem Termin mehrmals den Hausanschluss-Schieber für das Anwesen … ab. Aus einem Aktenvermerk vom 9. April 2021 geht hervor, dass Herr … mitgeteilt habe, er könne das Wasser nicht selbständig wieder aufdrehen, da er ein Betretungsverbot für das Grundstück habe. Der Bürgermeister des Antragsgegners drehte den Hausanschluss am selben Tag wieder auf.
6
Unter Vermittlung des Antragsgegners einigten sich die Beteiligten darauf, dass die Wasserversorgung zunächst aufrechterhalten werde, wenn der Beigeladene innerhalb einer Woche einen Antrag auf Errichtung eines Hausanschlusses bei der Wasserversorgung … stellt, zusichert, hierfür alle Kosten zu übernehmen und innerhalb von zwei Wochen die Messungsanerkennung beim Notar unterschreibt. In der E-Mail vom 14. April 2021 hierzu wies der Antragsgegner darauf hin, dass dies der „letzte Rettungsanker“ sei und „nur am Rande“ erwähnt werde, dass die vom Antragsgegner üblicherweise zur Verfügung gestellte Notunterkunft für Obdachlose selbst von Personen, welche einfachste Verhältnisse gewohnt seien, nicht über einen längeren Zeitraum ertragen werde.
7
Der Beigeladene stellte unter dem 17. April 2021 bei der Wasserversorgung … den Antrag, das Anwesen … an diese Wasserversorgung anzuschließen. Am 20. April 2021 unterzeichnete der Beigeladene die Messungsanerkennung.
8
Die Wasserversorgung … teilte dem Beigeladenen unter dem 26. April 2021 mit, dass gemäß Vereinssatzung für die Einrichtung eines Hausanschlusses die Vereinsmitgliedschaft (wobei dagegen keine Bedenken bestünden) und das Eigentum am zu versorgenden Anwesen Voraussetzung ist. Die Grundlage für eine Notversorgung sei nicht gegeben, da eine „Not“ nicht bestehe, sondern lediglich der Stell-Schieber durch den bestehenden Versorger nicht abgedreht werden dürfte. Außerdem bedürfe die Errichtung einer (Not-)Zwischenversorgung verschiedener baulicher Maßnahmen, wofür ein Zeitraum von drei bis sechs Monaten veranschlagt werde. Spätestens mit Beginn der Frostzeit im Oktober müsste diese wieder abgebaut werden.
9
Die Antragstellerinnen boten dem Beigeladenen über den Bürgermeister des Antragsgegners unter dem 7. Mai 2021 an, das Wasser bis 31. August 2021 laufen zu lassen gegen Beteiligung des Beigeladenen an der Wasserbeprobung durch Zahlung eines Betrags von 500 EUR bis 20. Mai 2021. Der Bürgermeister lehnte eine weitere Einmischung ab.
10
Am 12. Mai 2021 erteilten die Antragstellerinnen ihre Zustimmung zum Anschluss des Anwesens … an den Wasserversorgung … Der Wasserversorgung … teilte dem Bürgermeister des Antragsgegners daraufhin mit, dass er auf dieses Zustimmungsschreiben, das er der Mutter der Antragstellerinnen zurechne, nicht reagieren werde.
11
Unter dem 18. Mai 2021 wurde dem Beigeladenen in Aussicht gestellt, das Wasser ab 1. Juni 2021 abzudrehen, was auch am 5. und 10. Juni 2021 geschah.
12
Das Landratsamt … teilte dem Antragsgegner in einer amtsärztlichen Stellungnahme am 11. Juni 2021 mit, dass eine dauerhafte Versorgung mit Trinkwasser aus gesundheitlichen Gründen fortlaufend sichergestellt sein müsse, insbesondere werde auf § 37 IfSG verwiesen.
13
Der Antragsgegner drehte am 11. Juni 2021 unter Amtshilfe der PI … den Wasserschieber wieder auf.
14
Der Antragsgegner verpflichtete die Antragstellerinnen mit Bescheiden vom 11. Juni 2021 als Miteigentümerinnen der privaten Wasserversorgung …, den Hausanschluss-Schieber für das Wohnhaus … geöffnet zu halten und so das Wohnhaus so lange mit Wasser zu versorgen, bis eine andere Wasserversorgung für dieses Haus dauerhaft technisch möglich ist (Ziffer 1). Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet (Ziffer 2). Falls die in Nr. 1 genannte Pflicht nicht erfüllt werde, werde ein Zwangsgeld von 2.500,00 EUR zur Zahlung fällig. Die Anordnung wurde zunächst bis zum 30. September 2021 befristet (Ziffer 4).
15
Die Antragstellerinnen seien Miteigentümerinnen der privaten Wasserversorgung „…“ und da sich der Hausanschluss-Schieber im Grenzbereich der in ihrem Eigentum stehenden Grundstücke befinde, liege er in ihrem Einwirkungsbereich. Nachdem die Wasserversorgung mehrmals eingestellt worden sei und das Gesundheitsamt bestätigt habe, dass aus gesundheitlichen Gründen eine dauerhafte Versorgung mit Trinkwasser sichergestellt werden müsse, bestehe bei aktuell sommerlichen Temperaturen akuter Handlungsbedarf. Rechtsgrundlage sei Art. 7 Abs. 2 LStVG. Es sei eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Bewohner gegeben. Ihnen fehle die Möglichkeit zur täglichen und angemessenen Versorgung und Reinigung. Durch die zivilrechtlichen Entscheidungen bestehe zwar ein privates Interesse, die Wasserversorgung nicht mehr aufrechtzuerhalten und das Urteil des Landgerichts … solle nicht ausgehebelt werden, aber es bestehe eine akute Gesundheitsgefahr. Der Beigeladene habe derzeit keine Möglichkeit eine Änderung der Wasserversorgung durchzuführen, da er nicht Eigentümer sei. Durch die Befristung solle ein geordneter Abschluss der Eigentumsverhältnisse und der Änderung der Wasserversorgung ermöglicht werden. Das öffentliche Interesse habe hier höheren Stellenwert. Ein milderes Mittel sei nicht ersichtlich, insbesondere könne nur der Eigentümer den Anschluss beantragen und es bedürfe auch der technischen Umrüstung der Wasserversorgung. Selbst für eine Zwischenversorgung sei eine Vorlaufzeit von drei bis sechs Monaten notwendig und sie könne ohnehin in den Wintermonaten nicht aufrechterhalten werden. Es sei ein unmittelbares Tätigwerden gemäß Art. 7 Abs. 3 LStVG erforderlich. Grundrechte würden nicht verletzt, insbesondere habe die Anordnung keinen Enteignungscharakter, es handele sich lediglich um eine Duldung und kurzfristige Weiterführung des seit Jahrzehnten feststehenden Verhältnisses, wodurch keine weiteren Kosten oder Anforderungen für die Eigentümer entstünden.
16
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei erforderlich, da die Gefahr bestehe, dass in der Zeit zwischen Erlass des Bescheides und der Bestandskraft Menschen Schaden an der Gesundheit nehmen.
17
Unter dem 28. Juni 2021 teilte der Wasserversorgung … mit, dass für die technische Umsetzung mindestens 8 bis 12 Wochen zu veranschlagen seien.
18
Zuletzt stellte der Beigeladene beim Amtsgericht … unter dem 7. Juni 2021 einen Antrag auf einstweilige Anordnung mit u.a. der Begründung, dass ein Moratorium unter Vermittlung des Bürgermeisters zustande gekommen sei, welches lediglich die Antragstellungen seitens des Beigeladenen (s.o.) vorausgesehen habe, aber nicht befristet gewesen sei, während nun die Antragstellerinnen versuchen würden, Druck auszuüben, um den Beigeladenen zu Zahlungen zu bringen. Am 16. Juni 2021 schlossen die Antragstellerinnen und der Beigeladene einen Vergleich, wonach die Wasserversorgung weiter gewährleistet werde, aber einen Monat nach Anerkennung des Messergebnisses durch Fr. … (Großmutter der Antragstellerinnen) ende, wobei der Lauf der Frist beginne, wenn dem Bevollmächtigten des Beigeladenen das unterschriebene Messergebnis zugegangen sei. Dies ist am 23. Juni 2021 erfolgt.
19
Mit am 7. Juli 2021 eingegangenem Schriftsatz ihres Bevollmächtigten beantragen die Antragstellerinnen:
1. die Bescheide des Beklagten vom 11.06.2021, Az. …, werden aufgehoben.
2. die aufschiebende Wirkung der Bescheide wird angeordnet.
20
Der Beigeladene habe lange Zeit gewusst, dass eine Einstellung der Wasserversorgung drohe, habe aber nichts unternommen. Hätte der Beigeladene nicht fristgemäß den Antrag auf Messungsanerkennung unterschrieben, wäre die Wasserversorgung bereits zum 28. April 2021 eingestellt worden. Es sei auf diese Weise noch über einen Monat Zeit gewesen, eine Wasserversorgung sicherzustellen. Auch eine Mitgliedschaft im Verein sei möglich gewesen. Die Antragstellerinnen hätten auch ihre Zustimmung zum Anschluss des Anwesens längst erteilt. Der Beigeladene habe über Jahre hinweg ohne eigenen Rechtsanspruch bis auf ein paar Euro für die anteilige Übernahme der Wasserüberprüfungskosten kostenfrei Wasser aus der Quelle der Antragstellerinnen bezogen. Die Verpflichtung zur Wasserversorgung für das Anwesen … sei durch zivilrechtliche Gerichtsentscheidungen endgültig entschieden und diese würden ausgehebelt. Für eine verwaltungsrechtliche Entscheidung sei kein Raum mehr. Der Beigeladene habe sich beispielsweise durch Tankwagen oder eine provisorische Leitung zu versorgen oder seine Mieter in einem Hotel unterzubringen. Eine Abwälzung auf die Antragstellerinnen widerspreche Treu und Glauben, § 242 BGB analog und sei unzulässige Rechtsausübung (§ 226 BGB). Der Bescheid enthalte eine entschädigungslose Enteignung und widerspreche Art. 14 Abs. 1 GG. Die Antragstellerinnen seien nicht richtige Adressatinnen, da nach Art. 57 Abs. 2 GO die Gemeinden verpflichtet seien, die erforderlichen Einrichtungen zur Trinkwasserversorgung herzustellen.
21
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag kostenpflichtig abzulehnen.
22
Der Bescheid beruhe auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG. Aufgrund der Aufforderung des Staatlichen Gesundheitsamts beim Landratsamt … vom 11. Juni 2021, in der darüber informiert worden sei, dass die Wasserversorgung des Wohnhauses … unterbrochen sei und darauf hingewiesen worden sei, dass eine dauerhafte Versorgung mit Trinkwasser der Bewohner aus gesundheitlichen Gründen fortlaufend sicherzustellen sei (insbesondere nach § 37 IfSG) ergebe sich, dass die geordnete Trinkwasserversorgung insbesondere in der derzeitigen Situation, die auch von einer Pandemie beherrscht wird, von übergeordneter, überragender Wichtigkeit sei. Zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Anordnung seien darüber hinaus Bewohner des Anwesens … erkrankt gewesen, insbesondere das …-jährige Kind mit einem Infekt schwerer Art. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen habe mit der Resolution vom 28.07.2010 das Recht auf Zugang zu sauberem Wasser als Menschenrecht anerkannt, die Bundesregierung habe dieser Resolution zugestimmt und Art. 16 der Trinkwasserrichtlinie 2020 der Europäischen Union halte ebenfalls den Zugang zu Wasser für den menschlichen Gebrauch für ein essentielles Recht. Das Fehlen von Trinkwasser führe in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft zu einem Schadenseintritt, der auch hinreichend wahrscheinlich ist. Das Abstellen von Trinkwasser stelle allenfalls die ultima ratio dar. Privatrechtliche Streitigkeiten würden dies jedenfalls so lange nicht rechtfertigen, bis eine anderweitige Versorgung in ausreichender Weise gewährleistet sei. Deshalb sei die Anordnung für die jetzt laufende Übergangszeit notwendig und auch gerechtfertigt. Selbst Trägern öffentlicher Wasserversorgungen (egal, ob auf Grundlage von Satzungsrecht oder auf Grundlage der AVBWasserV) sei eine Absperrung der Trinkwasserversorgung allenfalls dann und mit entsprechendem Vorlauf möglich, wenn erhebliche Rückstände auf den Wasserbezugspreis bestehen. Andere Rückstände oder andere Gründe oder Gegebenheiten würden dabei keine Berücksichtigung finden. Selbst in solchen Fällen sei ein einfacher Zugang zu Trinkwasser zu gewährleisten. Eine Versorgung durch die Feuerwehr mit Tankwagen komme nicht in Betracht, da sich in den Tankwagen nach deren Befüllung Stagnationswasser befindet, dessen Keimfreiheit nicht gewährleistet sei. Dem gegenüber stelle das Öffnen des Hausanschlussschiebers eine äußerst einfache, zweckmäßige und funktionsfähige Wasserversorgung sofort wieder her, insbesondere da die Trinkwasserversorgung nicht in Händen der Antragstellerinnen liege, sondern in Händen des Inhabers der Wasserversorgung, der hierzu jederzeit bereit sei.
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Die Antragstellerinnen seien Störerinnen und damit geeignete Adressatinnen der Anordnung, da sich in ihrem Herrschaftsbereich der Hausanschluss-Schieber befinde. Den Antragstellerinnen entstehe kein Schaden, wenn sie den Absperrschieber öffnen und geöffnet halten würden. Durch die Befristung sei die Maßnahme in dem Umfang angeordnet, wie sie der Trinkwasserversorgung … benötige, um einen Anschluss herzustellen.
24
Der Beigeladene ließ beantragen,
den Antrag auf Aufhebung /Außervollzugsetzung abzuweisen.
25
Er ließ vortragen, dass der Vorstand der Wasserversorgung … nichts in Gang setze, bevor der Beigeladene nicht Eigentümer sei. Es sei darum gebeten worden, so schnell wie möglich die Baufirmen zu beauftragen und das Material zu beschaffen, damit sofort nach erfolgter Eintragung mit dem Bau begonnen werden könne sowie bereits vorab eine Mitgliederversammlung einzuberufen, um eine möglichst schnelle Aufnahme zu erreichen. Es sei von Seiten des Beigeladenen alles, was in seiner Macht stehe, veranlasst worden, eine Eintragung als Eigentümer und eine anderweitige Wasserversorgung zu erreichen. Der Bescheid sei rechtmäßig. Es sei nicht auf die zivilrechtliche Situation abzustellen, sondern auf rein hygienische und gesundheitliche Aspekte. Fr. … sei die „Pflegerin“ des Beigeladenen (Pflegegrad 3), welcher unter verschiedenen erheblichen Krankheiten leide, insbesondere stark übergewichtig sei, Wasser in den Beinen habe, an Diabetes mellitus Typ II leide mit der Notwendigkeit Insulin zu spritzen, inkontinent sei und Schuppenflechte habe. Der Beigeladene sei bereit, das Wasser, das er bis zur Herstellung des anderweitigen Wasseranschlusses verbrauche gegen Entrichtung der üblichen Kosten zu bezahlen. Wenn keine Wasserversorgung vorhanden sei, müsste man gemeindlicherseits die vier Personen, schlimmstenfalls in einer Obdachlosenunterkunft unterbringen und dies wäre dem schwerkranken Beigeladenen nicht zumutbar. Den Antragstellerinnen würden für die Wasserversorgung keine eigenen Kosten entstehen. Es müsse kein Rohrleitungssystem vorgehalten werden, das Kosten verursache und Ähnliches. An den Kosten für die Wasserbeprobung habe sich der Beigeladene wie auch die letzten Jahre anteilsmäßig beteiligt.
26
Die Beiladung erfolgt mit Beschluss vom 8. Juli 2021. Im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).
27
Die Anträge haben Erfolg. Das Gericht legt diese so aus (§ 122 Abs. 1, § 88 VwGO), dass die Antragstellerinnen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klagen gegen die Ziffern 1 der Bescheide vom 11. Juni 2021 und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen gegen die Zwangsgeldandrohung in Ziffern 3 der streitgegenständlichen Bescheide begehren.
28
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen.
29
Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen. Das Gericht prüft im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auch, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind.
30
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist den vorliegenden Anträgen stattzugeben. Das Interesse der Antragstellerinnen an der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen wiegt schwerer als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung.
31
1. Ziffer 1 des Bescheides hält einer Rechtmäßigkeitskontrolle im Klageverfahren bei summarischer Prüfung nicht stand.
32
Der Antragsgegner kann den Bescheid insbesondere nicht auf die Wasserabgabesatzung stützen, da diese für den Gemeindeteil … keine öffentliche Einrichtung zur Wasserversorgung betreibt und die satzungsrechtliche Duldungspflicht eines Grundeigentümers sich nicht auf Leitungen bezieht, die diesem selbst gehören (vgl. BayVGH, U. v. 29.11.2013 - 4 B 13.1166 - NVwZ-RR 2014, 217).
33
Nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG können die Sicherheitsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben für den Einzelfall Anordnungen nur treffen, um Gefahren abzuwehren oder Störungen zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder die Freiheit von Menschen oder Sachwerte, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint, bedrohen oder verletzen.
34
a. Insoweit stellt sich an dieser Stelle bereits die Frage, ob der vorliegende Sachverhalt auf wasserrechtlicher Ebene Klärung zu erfahren gehabt hätte, zumal die beschränkte wasserrechtliche Erlaubnis zum Zweck der Wasserversorgung (auch) des Anwesens … erteilt wurde und vor dem Hintergrund der Pflichten aus §§ 93, 94 Wasserhaushaltsgesetz (WHG). Zuständige Behörde wäre insoweit gemäß Art. 63 des Bayerischen Wassergesetzes (BayWG) die Kreisverwaltungsbehörde. Die Sicherheitsbehörden können sich auf die Generalbefugnisnorm nur dann stützen, soweit gesetzliche Ermächtigungen nicht bereits im LStVG oder in anderen Rechtsvorschriften enthalten sind. Ist also ein Sachverhalt bereits mit Blick auf eine andere Rechtsvorschrift tatbestandsmäßig, können die Maßnahmen nur auf die jeweilige Spezialbefugnisnorm gestützt werden. Insoweit normiert die Spezialbefugnisnorm den Sachverhalt abschließend und entfaltet Sperrwirkung bezüglich Sachverhalt und Rechtsfolgen (vgl. BeckOK PolR Bayern/Holzner, 16. Ed. 15.3.2021, LStVG Art. 7 Rn. 20, 22; BayVGH, B.v. 23.2.1996 - 24 CS 95.3373 - NVwZ 1996, 1035).
35
b. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, da Ziffer 1 der Bescheide aus anderen Gesichtspunkten bei summarischer Prüfung rechtswidrig ist.
36
aa. Soweit die Antragstellerinnen verpflichtet werden durch Offenhalten des Wasserschiebers „so das Wohnhaus so lange mit Wasser zu versorgen, bis eine andere Wasserversorgung für dieses Haus dauerhaft technisch möglich“ ist, ist eine über das bloße Offenhalten des Schiebers hinausgehende Verpflichtung den Antragstellerinnen rechtlich schon nicht möglich. Die Antragstellerinnen sind Eigentümerinnen des Grundstücks, auf dem sich der Schieber befindet. Dagegen sind sie nicht Inhaberinnen der wasserrechtlichen Erlaubnis, die es gestattet aus der Quelle auf Fl.Nr. … Wasser zu entnehmen. Zur Wasserversorgung des Grundstücks Fl.Nr. … sind sie damit nicht in der Lage. Insbesondere würde sich selbst bei einer Miteigentümerstellung der Antragstellerinnen in Bezug auf das Grundstück Fl.Nr. … (die zumindest in der Antragsschrift so anklingt, S. 3), auf welchem sich die Quelle befindet, aus § 4 Abs. 2 WHG ergeben, dass Grundwasser nicht eigentumsfähig ist. Das Grundeigentum berechtigt auch nicht zu einer Gewässerbenutzung, die einer behördlichen Zulassung bedarf, § 4 Abs. 3 Nr. 1 WHG.
37
Die rechtliche Unmöglichkeit einer auferlegten Verpflichtung führt zur Rechtswidrigkeit (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs, 9. Aufl. 2018, VwVfG § 44 Rn. 146).
38
bb. Die Verpflichtung den Wasserschieber offen zu halten, ist aller Voraussicht nach ebenfalls rechtswidrig, da eine konkrete Gefahr nicht vorliegt und sie an einem Ermessensfehler leidet.
39
Die Kammer überträgt die zum Obdachlosenrecht ergangene Rechtsprechung, insbesondere zur Wiedereinweisung von Obdachlosen in eine Privatwohnung, auf den vorliegenden Fall.
40
Gemäß Art. 57 Bayerische Gemeindeordnung (GO) i. V. m. Art. 6 LStVG obliegt es den Gemeinden als Pflichtaufgabe, Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu verhindern bzw. zu beseitigen. Der Zustand einer (drohenden) Obdachlosigkeit ist als eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung anzusehen; die zuständige Sicherheitsbehörde hat die Obdachlosigkeit nach pflichtgemäßem Ermessen zu beseitigen. Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung reicht es, um eine Verpflichtung der Obdachlosenbehörde zum Einschreiten zu begründen, nicht aus, dass dem, der sich an die Behörde wendet, eine Unterkunft nicht (mehr) zur Verfügung steht; weitere Voraussetzung für eine Verpflichtung der Obdachlosenbehörde zum Einschreiten ist, dass es dem Betroffenen auch unter Ausschöpfung aller ihm zu Gebote stehenden zumutbaren Eigenmaßnahmen nicht möglich ist, eine, auch nur vorübergehende, Unterkunft zu erlangen (VG München, B.v. 9.7.2009 - 22 E 09.3053 - BeckRS 2011, 47584). Dies folgt aus dem Subsidiaritätsgrundsatz, wonach die Selbsthilfe Vorrang vor einer Verpflichtung der Sicherheitsbehörde zum Einschreiten besitzt (BayVGH, B.v. 23.1.2008 - 4 CE 07.2893 - BeckRS 2008, 27444 Rn. 7). Aus eigener Kraft kann der Obdachlose die Obdachlosigkeit beseitigen, wenn er die notwendigen finanziellen Mittel zur Beschaffung einer wenigstens vorübergehenden Unterkunft aufbringen kann. Etwas anderes gilt, wenn der Obdachlose nachweisen kann, dass er trotz finanzieller Mittel keine anderweitige Unterkunft beschaffen kann (BeckOK PolR Bayern/Holzner, 16. Ed. 15.3.2021, LStVG Art. 7 Rn. 147).
41
Schon bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen geht der Bescheid davon aus, dass eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit der Bewohner besteht. Ausführungen dazu, dass der Beigeladene und die weiteren Bewohner aus eigener Kraft in der Lage sind eine Wasserversorgung (andernorts) sicherzustellen, fehlen. Die Bewohner sind in der Lage, von sich aus die „Wasserlosigkeit“ durch einen Umzug zu beseitigen. Es ist nichts dafür vorgetragen, dass der Beigeladene und seine Mitbewohner nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfügen ihren Wassermangel in einer anderen Unterkunft aus eigener Kraft zu beseitigen.
42
Im Rahmen der Ausübung des gemeindlichen Ermessens sind wegen des damit verbundenen Eingriffs in das Eigentumsrecht des Hauseigentümers hohe Anforderungen an die Zulässigkeit einer obdachlosenrechtlichen Wiedereinweisung zu stellen. Ihm dürfen keine Aufgaben überbürdet werden, die auf Grund des Sozialstaatsprinzips dem Staat und damit der Allgemeinheit obliegen (OVG Lüneburg, B.v. 14.12.2009 - 11 ME 316/09 - NZM 2011, 371). Eine Beschlagnahme einer Privatwohnung ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nur als ultima ratio und für einen eng begrenzten Zeitraum zulässig (BayVGH, B.v. 7.11.2016 - 4 ZB 15.2809 - juris Rn. 8). Der private Wohnungseigentümer darf als Nichtstörer im Sinne des Art. 9 Abs. 3 LStVG nur in Fällen schwerster Notlagen, denen die Obdachlosenbehörde auf andere Weise nicht abhelfen kann, für einen eng begrenzten Zeitraum von maximal zwei Monaten in Anspruch genommen werden (BayVGH, U.v. 14.8.1990 - 21 B 90.00335 - juris Rn. 19, VG Augsburg, B.v. 26.1.2010 - Au 5 S 09.1821 - juris Rn. 32).
43
Die Gemeinde muss sich deshalb zunächst um eine anderweitige Unterbringung bemühen, bevor sie einen privaten Wohnungseigentümer in Anspruch nimmt (OVG Lüneburg, B.v. 14.12.2009 - 11 ME 316/09 - NZM 2011, 371).
44
Die Bescheide leiden insoweit an einem Ermessensfehler. Der Beigeladene wusste seit 19. Januar 2018, dass die Wasserversorgung nicht dauerhaft über die …-Quelle gesichert sein würde, was im Vergleich vom 27. Februar 2020 nochmals deutlich wurde, dessen Wirksamkeit auch durch Urteil bestätigt wurde. Auch die weitere Bewohnerin Frau … war bei diesem Vergleich - unbestritten von Seiten des Beigeladenen - anwesend und hatte damit Kenntnis. Spätestens seit dem Urteil des Landgerichts … vom 7. Januar 2021, mit dem festgestellt wurde, dass der Rechtsstreit durch den vorherigen Vergleich beendet ist, dürfte dem Beigeladenen auch klar sein, dass er kein dingliches Recht i.S.e. Dienstbarkeit die Wasserversorgung aus der …-Quelle betreffend hat und trotzdem hat er aufgrund dieses Nachteils des Grundstücks nicht das Angebot der Antragstellerinnen angenommen und den Kaufvertrag rückabwickeln lassen. Die Antragstellerinnen hatten dem Beigeladenen unter dem 7. Mai 2021 auch angeboten, das Wasser bis 31. August 2021 gegen Beteiligung des Beigeladenen an der Wasserbeprobung durch Zahlung eines Betrags von 500 EUR laufen zu lassen. Dies wurde augenscheinlich nicht vereinbart.
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Der Beigeladene hat auch nicht vorgetragen, dass er vom Erfordernis der Eigentümerstellung für die Aufnahme im Wasserversorgung … Kenntnis hatte und deshalb jahrelang keinen Antrag auf Wasserversorgung durch den Wasserversorgung … beantragt habe. Die verspätete Antragstellung lässt sich also dadurch nicht rechtfertigen. Der Beigeladene hat sich trotz Kenntnis der noch ausstehenden Eigentumsübertragung, welche für die Herstellung der Wasserversorgung durch den Wasserversorgung … erforderlich ist, am 16. Juni 2021 vergleichsweise mit den Antragstellerinnen über das Ende der Wasserversorgung geeinigt, wohlwissend, dass bis zu dem Ablauf der vereinbarten Monatsfrist eine Wasserversorgungsanlage durch den Wasserversorgung … nicht hergestellt sein wird.
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Diese Umstände hat der Antragsgegner auch gekannt (mit Ausnahme des Vergleichs im einstweiligen Rechtsschutzverfahren). Dies zeigt sich anhand der E-Mail vom 14. April 2021 (Bl. 21 d. Behördenakte), indem der Bürgermeister schreibt, dass ein Rechtsanspruch auf eine anderweitige Wasserversorgung von hiesiger Seite mehr als fraglich angesehen werde, da das Einstellen der bisherigen Versorgung bereits im Kaufvertrag vom 4. Oktober 2013 vom Beigeladenen zumindest akzeptiert worden sei, er durch Unterzeichnen des Vertrags aktiv am Herbeiführen der jetzigen Misere mitgewirkt habe und damit auch ihn ein nicht unwesentliches Verschulden an dem Dilemma treffe, in welchem er sich aktuell befinde. Dies habe u.U. zur Folge, dass das Anwesen … nicht mehr bewohnbar sein wird, da es dann über keine geregelte Erschließung verfüge. Da der Beigeladene die einst geregelte Erschließung zumindest zum Teil selbst verwirkt habe, könne er keinen Anspruch auf einen anderweitigen Anschluss ableiten. Dies schon gar nicht beim Antragsgegner, da dessen Wasserversorgung den Ortsteil … nicht umfasse. Im Bescheid dann erkennt der Antragsgegner zwar das Entgegenstehen der zivilrechtlichen Entscheidungen, spricht diesen aber lediglich privates Interesse zu, ohne zu berücksichtigen, dass der Beigeladene (und die übrigen Bewohner seit spätestens 27. Februar 2020) dieses Problem der zukünftigen Wasserversorgung sehenden Auges auf sich zukommen hat lassen, was bei der Ermessensentscheidung als ein wichtiger Belang einzustellen gewesen wäre (vgl. zu § 93 WHG BayVGH, B.v. 26.10.2015 - 8 ZB 14.2356 - juris Rn. 9).
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Das Moratorium unter Vermittlung des Bürgermeisters war zwar tatsächlich nicht befristet, sondern sprach davon „zunächst weiterhin mit Trinkwasser versorgen“ und „vorübergehender Weiterversorgung“. Ob der Antragsgegner es zum Anlass nahm die Antragstellerinnen in Anspruch zu nehmen, weil die Antragstellerinnen kurz darauf ankündigten, die Wasserversorgung trotzdem einzustellen, weil sie nichts von der Erfüllung der Pflichten des Beigeladenen wüssten und nicht davon ausgegangen seien, das Wasser unbegrenzt laufen zu lassen, obwohl der Beigeladene die von ihm abverlangten Handlungen erfüllt hatte, geht so aus dem Bescheid nicht hervor. Jedenfalls stellte der Antragsgegner in die Interessenabwägung ein, dass vom Beigeladenen in der Zwischenzeit sämtliche erforderliche Schritte eingeleitet worden seien. Selbst wenn man dies aber als Umstand zugunsten des Beigeladenen werten wollte, ändert dies nichts daran, dass der private Eigentümer lediglich subsidiär heranzuziehen ist, wobei der Antragsgegner seinen eigenen Vorrang insoweit nicht beachtet hat.
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Bei der Auswahl der zur Verfügung stehenden Mittel wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass er selbst gesetzlich verpflichtet ist, die aus Gründen des öffentlichen Wohls erforderlichen Einrichtungen zur Versorgung mit Trinkwasser herzustellen und zu unterhalten (Art. 57 Abs. 2 Satz 1 GO).
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Der Antragsgegner hat nicht aufgezeigt, dass er trotz erheblicher Anstrengungen und Bemühungen außerstande ist, dem Beigeladenen und seinen Mitbewohnern anderweitig eine Wasserversorgung zu verschaffen. Selbst wenn eine Versorgung durch Tankwagen nicht in Betracht kommt, hätte der Antragsgegner prüfen müssen, ob die Wasserversorgung nicht auf andere Weise (auch an anderen Örtlichkeiten) hergestellt werden kann. Die Unterbringung in einer gemeindlichen Unterkunft, im Hotel oder in einer Pension ist ernsthaft in Betracht zu ziehen, wenn die Behörde dort Räume mit Wasserversorgung zur Verfügung stellen kann. Grundsätzlich hat die Gemeinde für Notfälle Notunterkünfte vorzuhalten. Es handelt sich dabei um eine Pflichtaufgabe nach Art. 57 Abs. 1 BayGO. Andernfalls ist die Gemeinde verpflichtet, Unterkünfte zu beschaffen (BeckOK PolR Bayern/Holzner, 16. Ed. 15.3.2021, LStVG Art. 7 Rn. 156). In der E-Mail vom 14. April 2021 wies der Antragsgegner darauf hin, dass dies der „letzte Rettungsanker“ sei und „nur am Rande“ erwähnt werde, dass die vom Antragsgegner üblicherweise zur Verfügung gestellte Notunterkunft für Obdachlose selbst von Personen, welche einfachste Verhältnisse gewohnt seien, nicht über einen längeren Zeitraum ertragen werde. Auch der eigene Bevollmächtigte des Beigeladenen führte an, dass man gemeindlicherseits die vier Personen schlimmstenfalls in einer Obdachlosenunterkunft unterbringen müsste, wenn keine Wasserversorgung vorhanden sei und dies wäre dem schwerkranken Beigeladenen nicht zumutbar. Warum dem Beigeladenen ein Umzug wegen seiner Krankheiten nicht möglich und zumutbar sei, wurde nicht vorgetragen.
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Bei der Ermessensentscheidung wurden jedoch all diese Umstände nicht (ausreichend) einbezogen. Ein milderes Mittel sei nach der Bescheidsbegründung nicht ersichtlich und der Beigeladene habe derzeit keine Möglichkeit eine Änderung der Wasserversorgung durchzuführen, da er nicht Eigentümer des Hauses sei. Auf die Hintergründe des fehlenden Eigentums wurde nicht eingegangen. Selbst für eine Zwischenversorgung sei eine Vorlaufzeit von drei bis sechs Monaten notwendig und sie könne ohnehin in den Wintermonaten nicht aufrechterhalten werden. Auch hier werden die Umstände, die zu dieser Lage führen, nicht gewürdigt, obwohl diese im Obdachlosenrecht - wie auch hier - Relevanz haben (vgl. zur Unterbringungsunfähigkeit VG Augsburg, B.v. 12.8.2019 - Au 8 S 19.1175 - juris Rn. 23). Diese Abwägungsentscheidung greift zu kurz.
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Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Urteil vom 29. November 2013 - (4 B 13.1166 - NVwZ-RR 2014, 217) einem Unterlassungsbegehren stattgegeben, mit dem die Stilllegung von auf dem klägerischen Grundstück verlaufenden Abwasser- und Trinkwasserversorgungsleitungen erreicht werden sollte, obwohl durch diese Leitungen auch die Nachbargrundstücke versorgt wurden und bis dato keine anderweitige Wasserversorgung zur Verfügung stand. Die dort bestehende Entwässerungs- und Wasserabgabesatzung konnte den Kläger nicht zur Duldung verpflichten. Es fehle bereits an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass ein Verlauf der Leitungen auf dem klägerischen Grundstück für die örtliche Abwasserbeseitigung bzw. Wasserversorgung „erforderlich“ sein könnte. Erforderlich sei eine Verlegung von Abwasserkanälen oder Wasserleitungen auf Privatgrund nach ständiger Rechtsprechung des Senats nur dann, wenn andere Maßnahmen vernünftigerweise nicht in Betracht zu ziehen seien. Dass solche Alternativen technisch nicht realisierbar oder für die Beitrags- und Gebührenzahler wirtschaftlich unzumutbar wären, habe die dortige Beklagte nicht substanziiert vorgetragen und sei angesichts der örtlichen Verhältnisse auch nicht erkennbar. Das bislang über das klägerische Grundstück mit Trinkwasser versorgte nördliche Nachbargrundstück könne durch eine Verlegung der Anschlussleitung nach Westen hin einen unmittelbaren Zugang zum öffentlichen Leitungsnetz erhalten. Dass die Stilllegung der bisherigen Kanalleitung für einzelne Hauseigentümer zu erheblichen Mehrkosten, etwa durch den erforderlichen Einbau einer Hebeanlage, führen könnte, würde lediglich einen ihrem Grundeigentum schon immer anhaftender lagebedingten Nachteil realisieren, der die zwangsweise Inanspruchnahme des klägerischen Grundstücks nicht zu rechtfertigen vermöge.
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Dieser strenge Maßstab gilt daher auch - wie bereits oben ausgeführt - im umgekehrten Fall, wenn der Betroffene sich gegen eine Anordnung wehrt, mit der er letztlich verpflichtet wird das Wasser durchlaufen zu lassen, indem der Wasserschieber nicht abgedreht wird. Vorliegend hat der Antragsgegner nicht einmal in Betracht gezogen seine öffentliche Wasserversorgung auszubauen, um das Wohnhaus … anzuschließen.
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Hinsichtlich einer vorübergehenden Unterkunft und den Anforderungen an diese ist folgendes anzumerken:
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Die von der Sicherheitsbehörde zu leistende Obdachlosenfürsorge dient nicht der „wohnungsmäßigen Versorgung“, sondern der Verschaffung einer vorübergehenden Unterkunft einfacher Art. Auch unter Berücksichtigung der humanitären Zielsetzung des Grundgesetzes ist es ausreichend, wenn obdachlosen Personen eine Unterkunft zugewiesen wird, die vorübergehend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse lässt. Obdachlose Personen müssen, weil ihre Unterbringung nur eine Notlösung sein kann, eine weitgehende Einschränkung ihrer Wohnansprüche hinnehmen, wobei die Grenze zumutbarer Einschränkungen dort liegt, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten wird (BayVGH, B.v. 19.2.2010 - 4 C 09.3073 - BeckRS 2010, 22580). Die Unterkunft muss Stromanschluss sowie einen Wasseranschluss bzw. eine Waschgelegenheit, Heizung sowie die Möglichkeit der Mitbenutzung von sanitären Einrichtungen wie Toilette und Dusche/Bad aufweisen (BeckOK PolR Bayern/Holzner, 16. Ed. 15.3.2021, LStVG Art. 7 Rn. 154).
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Darüber hinaus ist der maximale Zeitraum von zwei Monaten vorliegend um einen ganzen Monat überschritten (11.6.2021 bis 30.9.2021). Allein dieser Rechtsfehler macht im Obdachlosenrecht den gesamten Bescheid rechtswidrig; eine „geltungserhaltende Reduktion“ auf die zulässige Zeitspanne ist nicht möglich (vgl. VG München, B.v. 21.1.2009 - M 22 S 08.5826 - juris Rn. 21 f.). Anders als der Antragsgegner vortragen lässt, wonach die Befristung dazu führe, dass die Maßnahme solange gelte, wie der Wasserversorgung … benötige, um einen Anschluss herzustellen, ergibt sich aus der Korrespondenz mit jenem, dass einerseits vor der Eigentumsumschreibung keine Maßnahmen ergriffen werden und danach ein zu veranschlagender Zeitraum von 8 - 12 Wochen benötigt werde. Nachdem der Beigeladene bis heute (zumindest bis 15.7.2021) nicht als Eigentümer eingetragen ist, wird der Wasserversorgung … bis zum Ablauf der Befristung gerade nicht den Anschluss hergestellt haben. Die Befristung wird ihren angegebenen Zweck daher nicht erreichen.
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2. Ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtmäßig erfolgt ist, kann daher dahinstehen.
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3. Die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen die Zwangsgeldandrohungen in Ziffer 3 der Bescheide ist nunmehr aufgrund Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klagen gegen Ziffer 1 der Bescheide anzuordnen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.
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5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Ziffern 1.5, 1.1.3 und 35.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57). Die Antragstellerinnen bekämpfen die Maßnahmen als Miteigentümerinnen.