Inhalt

VG München, Beschluss v. 12.10.2021 – M 7 E 21.5106
Titel:

Wahlen zum BRK Kreisvorstand, München, Wahlanfechtung, Keine Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, Verweisung, Bürgerliche Rechtsstreitigkeit

Normenketten:
VwGO § 40 Abs. 1
GVG § 17a
GVG § 13
Schlagworte:
Wahlen zum BRK Kreisvorstand, München, Wahlanfechtung, Keine Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, Verweisung, Bürgerliche Rechtsstreitigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2021, 56299

Tenor

I. Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.
II. Der Rechtsstreit wird an das Amtsgericht München verwiesen.
III. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben im Bayerischen Roten Kreuz (BRK) in der Bergwacht M. … und in der Bereitschaft I. … ehrenamtlich tätig sowie nebenberuflich in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis im Rettungsdienst für den Kreisverband M. …
2
Er begehrt mit seiner am 24. September 2021 erhobenen Klage (M 7 K 21.5105) die Feststellung, dass die Wahl des Vorsitzenden, der beiden stellvertretenden Vorsitzenden, des Schatzmeisters sowie der Mitglieder und Ersatzmitglieder des Haushaltsausschusses des Kreisverbands M. … des BRK jeweils nichtig sei.
3
Weiterhin beantragt er den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit (zuletzt) folgendem Inhalt:
Der Antragsgegnerin wird bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten untersagt, dass die vom amtierenden Vorstand des Kreisverbands M. … benannten Delegierten und Ersatzdelegierten zur Bezirks- und Landesversammlung ihr Amt ausüben, bis eine rechtskräftige Entscheidung zur Feststellung der Rechtswirksamkeit der Wahlen vom 17./18.07.2021 zum Vorstand des Kreisverbands M. … getroffen wird.
4
Der Antragsteller hatte die am 17. und 18. Juli 2021 erfolgte Wahl angefochten, zu der er als Kandidat nicht zugelassen worden war, weil der Wahlvorbereitungsausschuss seine Tätigkeit für das BRK als hauptamtlich eingestuft und ihm deshalb das passive Wahlrecht abgesprochen hatte. Der Antragsteller hält diese Auslegung der Satzung für unrichtig und sieht sich in seinen mitgliedschaftlichen Rechten verletzt. Zudem rügt er Verfahrensfehler bei der Durchführung der Wahl. Der Wahlprüfungsausschuss hat mit Beschluss vom 22. August 2021 die Anfechtung der Wahl verworfen.
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In der Mitgliederversammlung vom 17. Juli 2021 wurde weiterhin nach Abstimmung die Benennung der Delegierten und Ersatzdelegierten zur Bezirks- und Landesversammlung auf den Vorstand übertragen. Der Antragsteller macht hierzu geltend, dass der Vorstand an der Ausübung der Benennung gehindert sei, da er nicht ordnungsgemäß gewählt worden sei. Wegen der weitreichenden Konsequenzen der Benennung von Delegierten und Ersatzdelegierten sei diese im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, bis eine Entscheidung in der Hauptsache zur Rechtswirksamkeit der Wahl getroffen worden sei. Für den Fall, dass die Benennung bereits stattgefunden habe, werde ein entsprechender hilfsweiser Antrag angekündigt.
6
Die Antragsgegnerin nahm mit Schriftsatz vom 30. September 2021 Stellung und rügte dabei die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts. Die Antragsgegnerin sei zwar formal gemäß BRK-Gesetz eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Ihr stünden jedoch keine hoheitlichen Befugnisse zu und sie übe keine hoheitlichen Befugnisse aus. Sie sei keine Behörde im klassischen Sinne. Es ergingen keine Wahlbescheide. Es bestünden auch keine öffentlich-rechtlichen Wahlvorschriften zur Wahl der Kreisvorstände im BRK. Die Wahlen bei der Antragsgegnerin richteten sich vielmehr gemäß Art. 1 Satz 2 BRK-Gesetz i.V.m. der Satzung des Bayerischen Roten Kreuzes, welche auch die Wahlordnung einschließe, nach eigenem Verbandsrecht und nicht nach öffentlichem Recht. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liege damit nicht vor.
7
Mit gerichtlichem Schreiben vom 4. Oktober 2021 wurde zu einer Verweisung des Verwaltungsrechtsstreits an das Amtsgericht München angehört.
8
Der Bevollmächtigte des Antragstellers äußerte sich hierzu mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2021 und beantragte - mit den nachfolgend ausgeführten Bedenken - vorsorglich, den Rechtsstreit an das Amtsgericht München zu verweisen. Die Antragsgegnerin sei offenbar zu der Überzeugung gelangt, dass die Satzungsbestimmung zum Rechtsweg unwirksam sei. Der Antragsteller sehe sich durch eine Entscheidung des Landgerichts München I (im Verfahren ...11) und des Oberlandesgerichts München (im Beschwerdeverfahren ...11) zwischen den Parteien gebunden, was im Folgenden weiter ausgeführt wurde. Er habe bereits seinerzeit versucht, die Frage des Rechtswegs im Sinne der jetzigen Einschätzung des Gerichts (Zivilrechtsweg) zu klären.
9
Die Antragsgegnerin teilte mit Telefax vom 8. Oktober 2021 mit, dass mit einer Verweisung Einverständnis bestehe.
10
Im Übrigen wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie im Klageverfahren (M 7 K 21.5105) verwiesen.
II.
11
Der Rechtsstreit ist gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG - i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO nach Anhörung der Beteiligten an das zuständige Amtsgericht nach §§ 1, 17 ZPO i.V.m. §§ 13, 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG zu verweisen, da der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht eröffnet ist.
12
Die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs ist auch im einstweiligen Rechtsschutz durch das Gericht zu prüfen. Die §§ 17 ff. GVG sind auch im vorläufigen Rechtsschutzverfahren analog anwendbar (vgl. BayVGH, B.v. 20.7.2002 - 20 A 40066 und 20 A 02.40068 - juris Rn. 9). Denn die Bejahung des Rechtswegs und der Zuständigkeit bildet eine derart allgemeine Voraussetzung für jede gerichtliche Entscheidung, dass eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Verfahrensarten keinen Sinn macht. Wird ein Eilantrag bei einem unzuständigen Gericht gestellt, bringt es für die Beschleunigung nichts, wenn der Antrag nicht an das zuständige Gericht verwiesen, sondern als unzulässig abgelehnt wird mit der Folge, dass er beim zuständigen Gericht neu gestellt werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 29.7.2002 - 20 A 02.40066 und 20 A 02.40068 - juris Rn. 9).
13
Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Ob eine Streitigkeit dem öffentlichen oder dem bürgerlichen Recht zuzuordnen ist, bestimmt sich nach der Natur des zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnisses, aus dem das Klagebegehren abgeleitet wird (vgl. GmS-OGB, B.v. 10.4.1986 - GmS-OGB 1/85 - juris Rn. 10 m.w.N.; BVerwG, U.v. 19.5.1994 - 5 C 33/91 - juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 6.10.2016 - 21 C 15.2210 - juris Rn. 17).
14
Die Streitigkeit ist vorliegend nicht als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren.
15
Für die Rechtswegfrage ist die Rechtsform des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) nicht entscheidungserheblich. Gemäß Art. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Rechtsstellung des Bayerischen Roten Kreuzes - BRK-Gesetz - ist das BRK eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts wird definiert als mitgliedschaftlich verfasster, unabhängig vom Wechsel der Mitglieder bestehender, mit Hoheitsgewalt ausgestatteter Verwaltungsträger. Das BRK ist aber weder Verwaltungsträger noch mit Hoheitsgewalt ausgestattet, so dass es an der materiellen Zuordnung zur öffentlichen Gewalt fehlt. Zwar sind alle Körperschaften des öffentlichen Rechts - auch das BRK - formell Teil der Organisationswelt des Staates, aber für die rechtliche Positionsbestimmung ist der materielle Status ausschlaggebend. Das BRK nimmt lediglich gemeinwohlbezogene (öffentliche) Aufgaben z.B. im Rettungsdienst und im Zivil- und Katastrophenschutz wahr, ist aber nicht Träger staatlicher Hoheitsrechte und damit kein Teil der öffentlichen Verwaltung. Bei der Verleihung des Körperschaftsrechts an das BRK war auch nicht an eine Übertragung staatlicher Aufgaben gedacht. Vielmehr sollte eine juristische Person des öffentlichen Rechts errichtet werden, um dem BRK auf diese Weise zu ermöglichen, die Pflege gesellschaftlicher Interessen besonders wirksam zu gestalten (vgl. BayVGH, B.v. 6.10.2016 - 21 C 15.2210 - juris Rn. 19).
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Gemäß Art. 1 Satz 2 BRK-Gesetz ordnet und verwaltet das BRK seine Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze selbst. Das BRK übt - jedenfalls soweit es interne Angelegenheiten regelt und Maßnahmen gegenüber ihren Mitgliedern und Funktionsträgern erlässt - keine Hoheitsgewalt aus. Der öffentlich-rechtliche Status besteht - wie ausgeführt - nur im formellen Sinn und ändert nichts daran, dass es sich bei materieller Betrachtung um eine grundrechtsgeschützte Betätigung Privater handelt. Bei der Ausgestaltung des Verhältnisses zu den Mitgliedern agiert das BRK - jedenfalls solange die Wahrnehmung der ihm übertragenen öffentlichen Aufgaben nicht betroffen ist - wie eine private Vereinigung. Die vom BRK und seinen Untergliederungen getroffenen Maßnahmen sind daher grundsätzlich dem Zivilrecht und nicht dem öffentlichen Recht zuzuordnen (vgl. BayVerfGH, E.v. 2.5.2016 - Vf. 93-VI-14 - juris Rn. 33 f. m.w.N.; BayVGH, B.v. 6.10.2016 - 21 C 15.2210 - juris Rn. 20 f.; VG München, B.v. 23.7.2020 - M 16 K 20.2514).
17
Die hier vom Antragsteller angefochtene Wahl betrifft ausschließlich die interne Organisation des BRK, die der verbandsautonomen Gestaltung durch das BRK unterliegt. Gemäß Art. 4 Abs. 1 BRK-Gesetz, wonach die Aufgaben im Einzelnen sowie die Mitgliedschaft, der Aufbau, die Organe und die Verbandswirtschaft durch Satzung geregelt werden, steht dem BRK eine autonome Befugnis zur inneren Selbstorganisation zu (vgl. auch BayVGH, B.v. 6.10.2016 - 21 C 15.2210 - juris Rn. 22; BayObLG, B.v. 3.12.2020 - 101 Sch 104/20 - juris Rn. 64).
18
Insoweit kommt der Regelung in § 11 Abs. 6 der Wahlordnung für das Bayerische Rote Kreuz (sowie demzufolge auch der entsprechend ergangenen Rechtsbehelfsbelehrung) keine maßgebliche Bedeutung zu, wonach der Klageweg zum Verwaltungsgericht München eröffnet sei, wenn einer Wahlanfechtung nicht abgeholfen werde (vgl. in Bezug auf insoweit vergleichbare Regelungen zum Verwaltungsrechtsweg in § 11 Abs. 6 der Satzung des Bayerischen Roten Kreuzes sowie § 12 Abs. 2 der Schiedsordnung des Bayerischen Roten Kreuzes auch BayObLG, B.v. 3.12.2020 - 101 Sch 104/20 - juris LS 2 und Rn. 65 ff.; vorgehend VG München, B.v. 23.7.2020 - M 16 K 20.2514).
19
Hieraus folgt (nur), dass die staatlichen Gerichte (grundsätzlich erst) nach Ausschöpfung der internen Rechtsbehelfe angerufen werden können. Dem betroffenen Mitglied steht danach der Rechtsweg zu dem Zweck offen, die verbandsinterne Entscheidung - hier die Wahl - einer sachlichen Überprüfung durch die staatliche Gerichtsbarkeit in den durch die Verbandsautonomie gesetzten Grenzen zu unterwerfen (vgl. BayObLG, B.v. 3.12.2020 - 101 Sch 104/20 - juris Rn. 65 m.w.N.).
20
Grundsätzlich gilt, dass der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten auch für den Streit zwischen einem (mehreren) Mitglied(ern) und einem Verein zulässig ist. Um einen solchen Streit handelt es sich, wenn geltend gemacht wird, der Verein selbst habe durch ein verfassungsmäßiges Organ gesetzliche oder satzungsmäßige Rechte eines Mitglieds verletzt, dass ein Beschluss (nicht) wirksam gefasst sei oder eine Wahl (un) wirksam sei. In jedem Fall handelt es sich um Feststellungsklagen nach § 256 ZPO (vgl. Stöber/Otto in Stöber/Otto, Handbuch zum Vereinsrecht, 12. Aufl. 2021, Der Verein im Prozess, in der Zwangsvollstreckung und in der Insolvenz, Rn. 1240; vgl. zur Nichtigkeitsfeststellung einer Vorstandwahl z.B. auch AG Geldern, U.v. 30.9.2008 - 3 C 287/07 - juris).
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Fragen des Rettungsdienstes bzw. einer konkreten Tätigkeit des Antragstellers in diesem Bereich sind hier offensichtlich nicht betroffen. Auch im Übrigen ist nicht ersichtlich, weshalb dem im Jahr 2011 begonnenen Rechtsstreit bezüglich der Abberufung des Antragstellers als gewählter Leiter der Bereitschaft Bergwacht M. … - und damit bezüglich eines gänzlich anderen Streitgegenstands - Bindungswirkung bezüglich der hier zu entscheidenden Rechtswegfrage zukommen sollte.
22
Der Rechtsstreit ist daher gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO nach Anhörung der Beteiligten an das zuständige Amtsgericht - vorliegend das Amtsgericht München (vgl. §§ 12, 17 ZPO, Art. 1 Satz 1 BRK-Gesetz; vgl. auch BayObLG, B.v. 3.12.2020 - 101 Sch 104/20 - juris Rn. 80) - zu verweisen. In Bezug auf den maßgeblichen Streitwert geht das Gericht vom Regelstreitwert in der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Höhe von 5.000,- Euro aus (vgl. § 52 Abs. 2 GKG).
23
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Über die durch Anrufung des unzuständigen Gerichts entstandenen Kosten entscheidet gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG das zur Entscheidung berufene Gericht.