Titel:
Durchführung eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens nach den Vorschriften über die Societas Europaea (SE)
Normenketten:
SEBG § 2 Abs. 2, § 18 Abs. 3
SE-VO Art. 12 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Aktivierung einer Vorrats-SE kann darin bestehen, dass die SE eine mitbestimmte GmbH als Komplementärin in einer GmbH & Co. KG ersetzt. Dieser Vorgang ist als wirtschaftliche Neugründung anzusehen, auf den für die Durchführung des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens abzustellen ist. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Übernahme der Komplementärstellung in einer wirtschaftlich tätigen KG ist als strukturelle Änderung iSv § 18 Abs. 3 SEBG anzusehen, die die Nachholung der bisher unterbliebenen Arbeitnehmerbeteiligung auslöst. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wenn trotz der Vorschrift des Art. 12 Abs. 2 SE-VO die Gründung einer Vorrats-SE ohne Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren für zulässig gehalten wird, dann muss auch die rein wirtschaftliche Aktivierung der SE zur Auslösung der Nachholungspflicht des Verfahrens ausreichend sein. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
4. Zur Frage der teleologischen Reduktion des § 18 Abs. 3 SEBG. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Europäische Aktiengesellschaft, Societas Europae, arbeitnehmerlose SE, besonderes Verhandlungsgremium, Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren, Mitbestimmung
Rechtsmittelinstanzen:
LArbG Nürnberg, Beschluss vom 01.09.2022 – 1 TaBV 27/21
BAG Erfurt vom -- – 1 ABR 6/23
Fundstelle:
BeckRS 2021, 56086
Tenor
Der Beteiligten zu 2. wird aufgegeben, den Antragsteller aufzufordern, Vertreter in das besondere Verhandlungsgremium nach dem SE-Beteiligungsgesetz zu wählen.
Gründe
1
Die Beteiligten streiten um die Durchführung eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens nach den Vorschriften über die Societas Europaea (SE).
2
Der Antragsteller ist der bei der Beteiligten zu 3) gebildete Betriebsrat. Die Beteiligte zu 3) betreibt einen Betrieb der Automobilzulieferindustrie und beschäftigt dort ca. 2.200 Arbeitnehmer. Ihre persönlich haftende Gesellschafterin ist seit dem 01.01.2020 die Beteiligte zu 2). Zuvor war persönlich haftende Gesellschafterin der Beteiligten zu 3) die C. Verwaltungsgesellschaft mbH. Die Beteiligte zu 2) wurde am 11.04.2019 als Tochter-SE der Blitzstartgründungs-SE in München gegründet und am 23.04.2019 als „Blitz 19-887 SE“ in das Handelsregister eingetragen. Nach Umfirmierung und Sitzverlegung nach C-Stadt wurde sie unter ihrer jetzigen Bezeichnung am 12.11.2019 in das Handelsregister eingetragen. Ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren fand vor der Eintragung nicht statt. Vor der Übernahme der Komplementärstellung bei der Beteiligten zu 3) durch die Beteiligte zu 2) beantragte der Antragsteller am 19.12.2019 beim Landgericht Nürnberg-Fürth die Feststellung, dass bei der damaligen Komplementärin der Beteiligten zu 3), der C. Verwaltungsgesellschaft mbH ein Aufsichtsrat zu bilden sei. Dieser Antrag wurde mit Beschluss vom 19.11.2020 unter Hinweis auf das zwischenzeitliche Ausscheiden der GmbH als Komplementärin der Beteiligten zu 3) abgelehnt. Mit Schreiben vom 04.06.2020 forderte der Antragsteller die Beteiligte zu 2) auf, ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren nach dem SEBG einzuleiten. Dies wies die Beteiligte zu 2) unter Hinweis auf ihre Arbeitnehmerlosigkeit mit Schreiben vom 22.06.2020 zurück. Am 26.11.2020 beschloss der Antragsteller die Einleitung des vorliegenden Verfahrens.
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Mit seinem Antrag vom 16.12.2020, geändert mit Schriftsatz vom 25.03.2021 und endgültig gefasst im Termin zur mündlichen Anhörung der Beteiligten vom 08.07.2021 begehrt der Antragsteller von der Beteiligten zu 2) die Einleitung eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens durch schriftliche Aufforderung zur Bildung eines besonderen Verhandlungsgremiums nach dem SEBG. Nachdem die Beteiligte zu 2) als Vorrats-SE entgegen den für die Eintragung maßgeblichen Vorschriften ohne Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren eingetragen worden sei, sei das Verfahren nunmehr nach Aktivierung der Beteiligten zu 2) nachzuholen. Sie sei als herrschendes Unternehmen gegenüber der Beteiligten zu 2) anzusehen. Nachdem die Beteiligte zu 3) umgekehrt alleinige Anteilseignerin an der Beteiligten zu 2) sei, sei die Verflechtung zwischen den beiden Unternehmen so eng, dass die Arbeitnehmer der Beteiligten zu 3) als solche der Beteiligten zu 2) anzusehen seien. Vor dem Komplementärswechsel zum 01.01.2020 habe bei der damaligen Komplementär-GmbH ein paritätischer Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz gebildet werden müssen, was nunmehr entfallen sei. Aufgrund des SE-rechtlichen Missbrauchsverbots müsse eine Zurechnung der Arbeitnehmer der Beteiligten zu 3) an die Beteiligte zu 2) erfolgen. Eine teleologische Reduktion des Erfordernisses eines Mitarbeiterbeteiligungsverfahrens vor der Eintragung der SE in das Handelsregister sei verfehlt. Die Beteiligte zu 3) sei am vorliegenden Verfahren schon als Betreiberin des Betriebes, in dem der Antragsteller gebildet sei zu beteiligen.
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Der Antragsteller beantragt,
Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, den Antragsteller aufzufordern, Vertreter in das besondere Verhandlungsgremium nach dem SE-Beteiligungsgesetz zu wählen.
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Die Beteiligten zu 2) und 3) beantragen demgegenüber:
Die Anträge werden zurückgewiesen.
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Die Beteiligten zu 2) und 3) halten den Antrag auch in der zuletzt gestellten Form für unzulässig, weil unbestimmt, denn aus ihm sei die Anwendung der maßgeblichen Regelungen und damit seine Rechtsfolge nicht ersichtlich. Außerdem sei nicht ersichtlich, warum die Beteiligte zu 3) an dem vorliegenden Verfahren beteiligt sein sollte. Der Antragsteller sei auch nicht antragsbefugt. Die Voraussetzungen eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens seien nicht gegeben. Die Beteiligte zu 2) sei als arbeitnehmerlose Vorrats-SE zu Recht unter teleologischer Reduktion der Vorschriften über die vorherige Arbeitnehmerbeteiligung eingetragen worden. Das Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren sei auch nicht nachzuholen. Eine strukturelle Änderung liege bei der Beteiligten zu 2) nicht vor. Die Beteiligte zu 2) habe von Anfang an keine Arbeitnehmer beschäftigt und tue dies auch weiterhin nicht. Satzungsrelevante Änderungen seien bei ihr nicht vorgenommen worden. Auch eine wirtschaftliche Einheit habe die Beteiligte zu 2) nicht übernommen. Außerdem sei keine Minderung der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu befürchten, denn solche hätten weder bei der Gründungs-SE noch bei der Beteiligten zu 2) mangels vorhandener Arbeitnehmer je bestanden. Ein bei der Gründung bestehendes Mitbestimmungsniveau habe deshalb nicht abgesenkt werden können. Die Arbeitnehmer der Beteiligten zu 3) seien der Beteiligten zu 2) nicht zuzurechnen. Die Beteiligte zu 3) sei keine Tochtergesellschaft der Beteiligten zu 2). Die Beteiligte zu 2) habe an der Beteiligten zu 3) keine Stimmrechte und keine Kapitalbeteiligung. Sie sei auch nicht befugt, die Leitungsorgane der Beteiligten zu 3) zu besetzen, denn sie sei deren Leitungsorgan selbst. Umgekehrt sei die Beteiligte zu 3) alleinige Anteilseignerin der Beteiligten zu 2), habe dort alle Stimmrechte, bestelle deren Organe und könne diesen Weisungen erteilen. Die Beteiligte zu 2) könne deshalb die Beteiligte zu 3) nicht beherrschen. Auch andere gesellschaftsrechtlich vermittelte Einflussmöglichkeiten der Beteiligten zu 2) auf die Beteiligte zu 3) bestünden nicht. Die Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes über die Zurechnung von Arbeitnehmern fänden auf die Beteiligte zu 2) als SE keine Anwendung. Das Statusfeststellungsverfahren vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth sei für das vorliegende Verfahren ohne Relevanz.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätze und auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
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1) Der Antrag ist zulässig.
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a) Er ist hinreichend bestimmt. Für die Beteiligte zu 2) ist eindeutig erkennbar, welche Erklärung von ihr verlangt wird. Dass der Antrag die einschlägige Vorschrift nicht angibt, ist hierbei unschädlich, denn angestrebt ist ohne Zweifel die Durchführung des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens gemäß §§ 4 ff. SEBG. Der Antrag ist auch gemäß § 894 ZPO vollstreckungsfähig. Mit Rechtskraft der Entscheidung gilt die Aufforderung als abgegeben und der Antragsteller kann Arbeitnehmer der Beteiligten zu 3) in das besondere Verhandlungsgremium wählen lassen.
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b) Die Beteiligte zu 3) ist auch zu Recht am vorliegenden Verfahren beteiligt, denn der Antragsteller ist der bei ihr gebildete Betriebsrat. Er beruft sich auf die Zurechnung der Arbeitnehmer der Beteiligten zu 3) zur Beteiligten zu 2) zur Durchführung des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens. Die Beteiligte zu 3) ist deshalb in mitbestimmungsrechtlicher Hinsicht von dem Verfahren betroffen und muss hieran beteiligt werden.
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2) Der Antrag ist auch begründet. Der Antragsteller kann von der Beteiligten zu 2) die Einleitung eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens durch die Aufforderung, Vertreter in das besondere Verhandlungsgremium zu wählen, verlangen.
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Die Voraussetzungen für die Durchführung eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens liegen vor.
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a) Die Beteiligte zu 2) wurde im Rahmen einer Sekundärgründung als Tochter-SE der Blitzstart-Gründungs-SE als Vorrats-SE gegründet. Sie wurde, nachdem weder die Gründungs-SE noch sie selbst Arbeitnehmer beschäftigen, entgegen § 12 Abs. 2 SE-VO ohne die vorherige Durchführung eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens ins Handelsregister eingetragen. Insoweit hat das Registergericht gemäß der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 31.03.2009 (Deutsche Notarzeitung 2009, S. 499) die Vorschrift des § 12 Abs. 2 SE-VO teleologisch reduziert und angenommen, dass angesichts der Arbeitnehmerlosigkeit sowohl der Gründungs-SE als auch der Beteiligten zu 2) das Fehlen der Arbeitnehmerbeteiligung kein Eintragungshindernis sei.
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Zwischenzeitlich wurde die Beteiligte zu 2) jedoch aktiviert und nimmt als Komplementär-SE der Beteiligten zu 3) am Wirtschaftsleben teil.
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aa) Die Aktivierung der Vorrats-SE kann darin bestehen, dass die SE eine mitbestimmte GmbH als Komplementärin in einer GmbH & Co. KG ersetzt (Sigle Festschrift Hommelhoff S. 1128, vgl. Bl. 125 d.A.). Dieser Vorgang ist als wirtschaftliche Neugründung anzusehen, auf den für die Durchführung des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens abzustellen ist. Die Vorrats-SE ist bis dahin eine „leere Hülle“, die erst mit ihrer wirtschaftlichen Aktivierung „zum Leben erweckt wird“ (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.). Deshalb ist hinsichtlich des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens nicht auf die Gründung der Vorrats-SE abzustellen, bei der unter teleologischer Reduktion des Art. 12 Abs. 2 SE-VO auf dessen Durchführung verzichtet wird, sondern auf die tatsächliche wirtschaftliche Aktivierung der SE z.B. durch die Übernahme der Komplementärsstellung in einer wirtschaftlich tätigen KG (Sigle a.a.O.).
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Nach dem Willen des Gesetzgebers hat im Rahmen der Gründung einer SE ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren stattzufinden. Ist ein solches zunächst nicht möglich bzw. wird bei der Eintragung, ob zu Recht oder zu Unrecht, darauf verzichtet, so ist es nachzuholen, sobald durch die Aktivierung der SE deren wirtschaftliche Gründung erfolgt.
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Einer analogen Anwendung des § 18 Abs. 3 SEBG und einer Prüfung von dessen Tatbestandsmerkmalen bedarf es hierfür nicht.
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bb) Auch wenn man jedoch für die Nachholung des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens gem. §§ 4 ff. SEBG die analoge Anwendung mit dem OLG Düsseldorf a.a.O. für geboten hält, ändert sich für dessen Notwendigkeit nichts.
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Die Übernahme der Komplementärstellung in einer wirtschaftlich tätigen KG muss in diesem Fall als strukturelle Änderung im Sinne des § 18 Abs. 3 SEBG angesehen werden, die die Nachholung der bisher unterbliebenen Arbeitnehmerbeteiligung auslöst. Der Begriff der strukturellen Änderung im Sinne des § 18 Abs. 3 SEBG meint nicht nur gesellschaftsrechtliche, insbesondere satzungsrelevante Änderungen innerhalb der SE, sondern auch rein wirtschaftliche Änderungen in der Betätigung der SE. So hat bereits das OLG Düsseldorf in seiner zitierten Entscheidung die Nachholung des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens aufgrund der analogen Anwendung der §§ 1 Abs. 4, 18 Abs. 3 SEBG für möglich gehalten, sobald die Vorrats-SE „zum Leben erweckt wird“ namentlich mit einem Unternehmen ausgestattet wird und über Arbeitnehmer verfügt. Auch von der Höh „Die Vorrats-SE als Problem der Gesetzesumgehung und des Rechtsmissbrauchs“ Seite 246 hält die Übernahme einer wirtschaftlichen Einheit im Sinne des § 613 a BGB durch die SE als wirtschaftlichen Gründungsakt für ausreichend.
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Dem ist zu folgen. Wenn trotz der Vorschrift des Art. 12 Abs. 2 SE-VO die Gründung einer Vorrats-SE ohne Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren für zulässig gehalten wird, dann muss auch die rein wirtschaftliche Aktivierung der SE zur Auslösung der Nachholungspflicht des Verfahrens ausreichend sein. In diesem Sinne wurde die Beteiligte zu 2) durch die Übernahme der Komplementärsstellung der Beteiligten zu 3) zum 01.01.2020 aktiviert und liegt eine strukturelle Änderung im Sinne des § 18 Abs. 3 SEBG vor.
21
Hinsichtlich des zweiten Tatbestandsmerkmals des § 18 Abs. 3 SEBG, der Eignung, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern, ist die Vorschrift teleologisch zu reduzieren. Eine Minderung von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer ist ausgeschlossen, wenn aufgrund der teleologischen Reduktion des Art. 12 SE-VO Beteiligungsrechte von vorneherein nicht geschaffen wurden und vorliegend die Beteiligte zu 2) ohne Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren als Vorrats-SE gegründet wurde. Es geht nicht an, bei der Vorratsgründung zunächst auf das Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren zu verzichten, dann aber bei der Aktivierung die Minderung der Arbeitnehmerbeteiligungsrechte zu verlangen. Wenn bei der Gründung der Beteiligte zu 2) der § 12 Abs. 2 SE-VO teleologisch reduziert und auf eine Mitarbeiterbeteiligung verzichtet wurde, muss nunmehr nach Aktivierung auch auf das Erfordernis der Gefahr der Minderung der Beteiligungsrechte ebenfalls verzichtet werden. Insoweit ist § 18 Abs. 3 SEBG ebenfalls teleologisch zu reduzieren.
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b) Die Tatsache, dass die Beteiligte zu 2) selbst keine Arbeitnehmer beschäftigt, steht der Durchführung des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens nicht entgegen, denn die Arbeitnehmer der Beteiligten zu 3) wählen die Mitglieder des Verhandlungsgremiums, denn die Beteiligte zu 3) ist als beteiligte Gesellschaft im Sinne des SEBG anzusehen.
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Die Beteiligte zu 3) ist nicht Tochtergesellschaft der Beteiligten zu 2). Tochtergesellschaft im Sinne des SEBG sind gemäß § 2 Abs. 3 SEBG solche, auf die eine andere Gesellschaft gemäß den Vorschriften der RL 94/45/EG einen beherrschenden Einfluss hat, wobei § 6 Abs. 2 bis 4 EBRG anzuwenden sind. Ein solcher beherrschender Einfluss wird gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 EBRG vermutet, wenn ein Unternehmen in Bezug auf ein anderes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des anderen Unternehmens bestellen kann.
24
Diese Voraussetzung liegt im Verhältnis zwischen der Beteiligten zu 2) und der Beteiligten zu 3) zwar vor, denn die Beteiligte zu 2) kann nicht nur die Mitglieder des Leitungsorgans der Beteiligten zu 3) bestellen, sondern ist dieses selbst, worauf die Beteiligten zu 2) und 3) selbst hinweisen. Wer jedoch selbst Leitungsorgan ist, beherrscht das geleitete Unternehmen erst recht, wenn schon derjenige herrscht, der nur das Leitungsorgan teilweise bestellen kann.
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Die sich hieraus ergebende Vermutung der Beherrschung der Beteiligten zu 3) durch die Beteiligte zu 2) ist jedoch durch den unstreitigen Umstand widerlegt, dass die Beteiligte zu 3) alleinige Anteilseignerin der Beteiligten zu 2) ist und als solche deren Organe bestellt und anweist. Deshalb übt umgekehrt die Beteiligte zu 3) auf die Beteiligte zu 2) einen gesellschaftsrechtlich vermittelten beherrschenden Einfluss aus.
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Als diejenige Gesellschaft, die durch Erwerb aller Anteile der Beteiligten zu 2) und deren Einsetzung als ihre Komplementärin die Beteiligte zu 2) wirtschaftlich aktiviert hat, ist die Beteiligte zu 2) im Sinne des § 2 Abs. 2, 4 ff. SEBG als beteiligte Gesellschaft anzusehen. Ebenso wie in § 18 Abs. 3 SEBG für das Tatbestandsmerkmal der strukturellen Änderung der Wortlaut für eine gesellschaftsrechtlich-satzungsrelevante Änderung spricht, nach Sinn und Zweck der Vorschrift aber eine rein tatsächlich-wirtschaftliche Änderung in der Betätigung der Gesellschaft als ausreichend anzusehen ist, genügt es für die Subsumption unter dem Begriff der beteiligten Gesellschaft, wenn die betreffende Gesellschaft an der Gründung der SE in wirtschaftlicher Hinsicht unmittelbar beteiligt ist (§ 2 Abs. 2 SEBG).
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Diese an Sinn und Zweck des Gesetzes orientierte Auslegung ist auch aufgrund des Missbrauchsverbotes des § 43 SEBG geboten. Die Gestaltungsoption der SE & Co. KG wird von Winter/Marx/De Decker „Mitbestimmungsrechtliche Aspekte der SE & Co. KG“ NZA 2016, Seite 334 empfohlen, um Abhilfe zu schaffen, wenn sich die GmbH & Co. KG wegen §§ 4 und 5 Mitbestimmungsgesetz als „mitbestimmungsgefährdet“ zeigt. In diesem Fall wird als Gestaltungsoption der Austausch der Komplementärin empfohlen, um die Unternehmensmitbestimmung zu vermeiden.
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Dem ist entgegenzutreten. Das SEBG zielt auf die Wahrung der Mitbestimmung ab und verbietet in § 43 SEBG missbräuchliche Gestaltungen.
29
Die Subsumption der die Gründung und Aktivierung der SE allein betreibenden KG, die diese als ihre Komplementärin einsetzt als beteiligte Gesellschaft im Sinne des SEBG, ist deshalb nach Sinn und Zweck und im Lichte des Missbrauchsverbots des § 43 SEBG geboten. Soweit die Beteiligten zu 2) und 3) der Beteiligten zu 3) die Tauglichkeit als beteiligte Gesellschaft im Sinne des SEBG unter Berufung auf die Kommentarstelle Oetker, Europäisches Arbeitsrecht, Artikel 2 RL 2001/86/EG, Rn 5 absprechen, ergibt sich gerade hieraus das Gegenteil, denn danach können Gründungsgesellschaften alle Gesellschaften im Sinne des Artikel 54 AEUV sein, also auch Personenhandelsgesellschaften.
30
Ist die Beteiligte zu 3) deshalb beteiligte Gesellschaft an der (wirtschaftlichen) Gründung der Beteiligten zu 2), so haben ihre Arbeitnehmer auf Aufforderung durch die Beteiligte zu 2) Vertreter in das besondere Verhandlungsgremium zu wählen.
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Dem Antrag war deshalb nach allem zu entsprechen.
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Eine Kostenentscheidung ergeht im Beschlussverfahren nicht.