Inhalt

LG Landshut, Urteil v. 07.10.2021 – 1 KLs 401 Js 585/13 (4)
Titel:

Anforderungen an aussagepsychologische Begutachtungen (Glaubhaftigkeitsgutachten)

Normenketten:
StPO § 261
StGB § 174, § 177
Leitsätze:
1. Für die wissenschaftlich fundierte Glaubhaftigkeitsdiagnostik stellen sich die Analyse der Aussagepersönlichkeit (Beurteilung der Aussagetüchtigkeit und der aussagerelevanten Kompetenzmerkmale des Zeugen), die Analyse der Aussagegenese (Beurteilung der Aussagevalidität bzw. Zuverlässigkeit der Aussage) und die Analyse der Aussagequalität (Beurteilung der inhaltlichen Qualifizierung der Aussage in Relation zu den erhobenen Kompetenzmerkmalen) als zentrale Bereiche dar. (Rn. 196) (redaktioneller Leitsatz)
2. Anhand der vorgenannten Kriterien ist in einem 3-stufigen Verfahren vorzugehen. Zunächst ist die Aussagetüchtigkeit anhand einer Kompetenzanalyse zu überprüfen. Sofern diese zu bejahen ist, ist die Aussagevalidität zu untersuchen. Sofern diese wiederum zu bejahen ist, ist eine inhaltliche Qualitätsanalyse vorzunehmen. (Rn. 197) (redaktioneller Leitsatz)
3. Als mögliche die Aussagevalidität einschränkende Faktoren kommen zum Beispiel potentiell suggestiv wirkende Befragungen im Rahmen der Aussagegenese, Hinweise für autosuggestive Prozesse im Zuge der Aussagenentstehung, potentielle Falschbelastungsmotivationen, Besonderheiten der Aussageperson (beispielsweise die Aussagetüchtigkeit tangierende Belange) oder auch eine schwankende Aussagemotivation und Aussagebereitschaft des Zeugen in Betracht. (Rn. 198) (redaktioneller Leitsatz)
4. Schein- bzw. Pseudoerinnerungen sind solche, bei denen sich die Person subjektiv sicher ist, dass sich ein objektiv nicht zutreffendes Geschehen tatsächlich ereignet hat. (Rn. 268) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Freispruch, Beweiswürdigung, Aussage gegen Aussage, sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, aussagepsychologische Begutachtung, Glaubhaftigkeitsbegutachtung, Pseudoerinnerung
Vorinstanzen:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 18.09.2019 – 1 StR 217/19
LG Landshut, Urteil vom 14.12.2018 – 4 KLs 401 Js 585/13 (3)
BGH Karlsruhe, Urteil vom 16.06.2016 – 1 StR 50/16
LG Landshut, Urteil vom 29.09.2015 – 6 KLs 401 Js 585/13 (2)
Rechtsmittelinstanzen:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 02.06.2022 – 1 StR 47/22
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 29.09.2022 – 1 StR 47/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 56023

Tenor

I. Der Angeklagte … wird
freigesprochen.
II. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.

Entscheidungsgründe

1
Dem Urteil ging keine Verständigung gemäß § 257c StPO voraus.
Vorspann
2
Nach der Anklageschrift vom 02.10.2014 lag dem Angeklagten zur Last, an der damals 14 Jahre alten Nebenklägerin im Zeitraum zwischen dem Jahr 2007 und 2008 bei 3 Gelegenheiten sexuelle Handlungen vorgenommen zu haben, wobei er in einem Fall mit seinem Finger in ihre Scheide eingedrungen sei und hierzu Gewalt angewendet habe.
3
Die Nebenklägerin kam im Alter von fast 4 Jahren in die Familie des Angeklagten und wuchs dort auf. Sie ist vermutlich die Nichte des Angeklagten, nicht ausschließbar aber auch seine Tochter.
4
Der Angeklagte bestritt die Vornahme sexueller Handlungen an der Nebenklägerin.
5
Von dem eingangs genannten Vorwurf ist der Angeklagte nach eingehender Prüfung der ihn belastenden und entlastenden Indizien und ihrer Würdigung in der Gesamtschau nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ aus tatsächlichen Gründen freizusprechen, weil die Kammer sich im Zuge der durchgeführten Beweisaufnahme nicht hinreichend davon überzeugen konnte, dass diese Vorfälle tatsächlich stattfanden.
A. Verfahrensgang
6
Das zugrunde liegende Ermittlungsverfahren kam durch die Strafanzeige in Gang, die die geschädigte Zeugin - … am 23.11.2012 bei der Polizei in … erstattete.
7
Mit Anklageschrift vom 02.10.2014 erhob die Staatsanwaltschaft Landshut am 13.10.2014 die öffentliche Klage zum Landgericht Landshut. Mit Beschluss der 6. Strafkammer des Landgerichts Landshut vom 29.06.2015 wurde die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren vor der 6. Strafkammer des Landgerichts Landshut eröffnet.
8
Nach viertägiger Hauptverhandlung vom 18.08.2015 bis 29.09.2015 sprach die 6. Strafkammer des Landgerichts Landshut mit Urteil vom 29.09.2015 den Angeklagten frei. Auf die Revision der Nebenklägerin hob der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 16.06.2016 das Urteil des Landgerichts Landshut vom 29.09.2015 mit den Feststellungen auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Landshut zurück.
9
Mit Verfügung vom 13.08.2018 bestimmte die nunmehr zuständige 4. Strafkammer des Landgerichts Landshut fünf Hauptverhandlungstermine vom 17. bis 26.10.2018. Nach Durchführung der Hauptverhandlung mit noch weiteren Fortsetzungsterminen erging am 14.12.2018 ein Urteil, in welchem der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in drei tatmehrheitlichen Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung, schuldig gesprochen und gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren verhängt wurde. Auf die Revision des Angeklagten hin hob der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 18.09.2019 das Urteil vom 14.12.2018 mit den Feststellungen auf und verwies die Sache zur Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück.
10
Nach viertägiger Hauptverhandlung im Zeitraum von 29.09.2021 bis 07.10.2021 sprach die nunmehr zuständige 1. Strafkammer des Landgerichts Landshut am 07.10.2021 ein Urteil, in welchem sie den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freisprach.
B. Persönliche Verhältnisse
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Der Angeklagte wurde am … in … in … geboren und wuchs dort bei seinen Eltern auf. Sein Vater war Landwirtschaftsingenieur, seine Mutter Näherin und später Hausfrau. Bedingt durch den Beruf des Vaters zog die Familie vielfach in … um. Neben seiner Mutter hatte sein Vater noch eine weitere Ehefrau. Mit beiden Frauen zusammen hatte der Vater insgesamt neun Kinder, die alle zusammen aufwuchsen. Beide Elternteile des Angeklagten leben nicht mehr.
12
Der Angeklagte wurde im Alter von 6 Jahren eingeschult und besuchte nach der Grundschule eine höhere Schule. Nach insgesamt 13 Jahren schloss er seine Schulausbildung 1991 mit dem Baccalaureat ab, das mit dem deutschen Abitur vergleichbar ist. Anschließend studierte der Angeklagte bis 1993 in … an der Universität - Rechtswissenschaft. Im März/April 1993 verließ er … und die Universität, um in - etwas Technisches zu studieren. Zunächst machte er in - am Herder-Institut der dortigen Universität eine Sprachausbildung, die etwa ein Jahr dauerte. Zugleich informierte sich der Angeklagte an der Universität … über das Fach Wirtschaftsinformatik. Dieses Studium nahm er aber erst im Wintersemester 1994/1995 an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in … richtig auf und schloss es am 03.08.1999 als Diplom Wirtschaftsinformatiker (FH) erfolgreich ab.
13
Bereits 1993 in - lernte der Angeklagte seine spätere Ehefrau - - kennen, als sie beide Patienten im St. Georg Krankenhaus in - waren. Anfang 1995 zog - - zum Angeklagten nach …. Am 31.05.1996 heirateten beide in …. Eine Heirat in - wäre aufgrund fehlender Papiere des Angeklagten aus seinem Heimatland nicht so rasch möglich gewesen. Am 06.08.2015 wurde die Ehe geschieden; seit Oktober 2015 ist das Scheidungsurteil rechtskräftig. Aus dieser Ehe sind vier leibliche Kinder hervorgegangen:
i ..., geb. am -
i - …, geb. am -
i ..., geb. am …
i - …, geb. am -
14
Im August 1997 besuchten der Angeklagte und seine damalige Ehefrau - -, zu dieser Zeit verheiratete … (im Folgenden aber stets: - -), die Familie des Angeklagten zusammen mit … in …. Bei der Mutter des Angeklagten lebte damals auch seine ältere Schwester … und die am 22.08.1993 in -/… geborene - - - …. Sie ist mit hoher Wahrscheinlichkeit die Tochter von …, möglicherweise aber auch die Tochter des Angeklagten mit - -. Auf Wunsch der Mutter des Angeklagten und seiner Schwester … nahmen der Angeklagte und - - die fast 4 Jahre alte - mit nach -, um sie dauerhaft wie ein eigenes Kind in ihre Familie aufzunehmen und ihr so ein besseres Leben zu ermöglichen. In der Geburtsurkunde von - - - … ist der Angeklagte als leiblicher Vater und - - als ihre Mutter eingetragen, bei der es sich um eine frühere Freundin des Angeklagten in … handelte. Aufgrund dieser Geburtsurkunde konnte der Angeklagte die notwendigen Papiere für - - - … beschaffen und mit ihr aus … aus- und in - einreisen.
15
Von da an lebte - - - … in der Familie des Angeklagten und - - bis zu ihrem Auszug nach … im Jahr 2011. Mit Beschluss des Amtsgerichts … Mitte vom 23.12.1999, wirksam seit 22.02.2000, wurde ihre Adoption durch - - vollzogen; als Ehemann der Annehmenden und Vater der Angenommenen ist der Angeklagte vermerkt. Die Angenommene erhielt den alleinigen Geburtsnamen … und führt die Vornamen - -. Sie ist die Nebenklägerin in diesem Verfahren.
16
Nach dem Ende seines Studiums im August 1999 in … war der Angeklagte dort zunächst bei einer IT-Dienstleistungsfirma angestellt. Nach etwa sechs Monaten wechselte er Anfang 2000 als Technischer Berater zu einer Firma in …. Von dort wechselte er nach wiederum sechs Monaten zu einer Firma in … und von dort nach weiteren sechs Monaten zu einer anderen Firma, ebenfalls in …. Für letztere war er von April 2001 bis Juli 2002 tätig.
17
Der Angeklagte hatte zunächst seinen Hauptwohnsitz in … beibehalten, wo seine Ehefrau mit den gemeinsamen Kindern weiterhin wohnte. Er selbst hatte während seiner Arbeitstätigkeit in … dort eine Nebenwohnung. Im August 2001 gab der Angeklagte seine Nebenwohnung in … auf und die gesamte Familie zog von … nach … in ein dort angemietetes Haus in der …. Nach einem Hausbrand am 19.02.2002 musste die Familie vorübergehend die Notunterkunft der Stadt …, …, bis August 2002 bewohnen. Dann mietete die Familie eine Wohnung in …, …. Am 11.12.2004 zog der Angeklagte schließlich mit seiner Familie, nunmehr bestehend aus seiner Ehefrau und den Kindern -, … und - in ein eigenes Haus in …/-, …, das der Angeklagte zusammen mit seiner Ehefrau zu Eigentum erworben hatte.
18
Der Angeklagte, der zwischenzeitlich die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt hatte, wurde im April 2003 als Informatiker beim … in … angestellt. 2004 wurde er unter Beibehaltung dieser Tätigkeit in ein Beamtenverhältnis des Freistaates Bayern übernommen - zunächst auf Probe, später auf Lebenszeit.
19
Am 16.04.2006 wurde die gemeinsame Tochter … geboren. Gegen den Willen seiner damaligen Ehefrau, die sich eine stärkere Unterstützung bei der Kinderbetreuung gewünscht hätte, immatrikulierte sich der Angeklagte am 03.09.2007 für das Wintersemester 2007/2008, das vom 01.10.2007 bis 31.03.2008 dauerte, an der ... für den Studiengang Rechtswissenschaft. Der Angeklagte beabsichtigte dieses Studium neben seiner Berufstätigkeit zu betreiben. Infolge dessen geriet die Ehe des Angeklagten erstmals in eine schwerere Krise, in deren Folge der Angeklagte erstmals 2007 seine Schlafstätte vom ehelichen Schlafzimmer in den Keller verlegen musste. Der Angeklagte betrieb das Studium der Rechtswissenschaft dann aus Rücksicht auf seine Ehefrau nicht mehr weiter. Am 10.06.2010 verzog der Angeklagte mit seiner Familie, nunmehr bestehend aus seiner Ehefrau und den fünf Kindern -, …, -, … und - in ein neu errichtetes Reihenhaus in …/…, …, das die Eheleute nach dem Verkauf des Anwesens in der … nunmehr zu gemeinsamen Eigentum erworben hatten.
20
Nach der ersten schweren Ehekrise im Jahr 2007 kam es immer wieder zu Versöhnungen und erneuten Krisen zwischen den Eheleuten. Etwa ab 2010 war der Angeklagte zweimal jeweils für etwa drei Monate vorübergehend aus dem Haus im … ausgezogen. Seit Juni 2012 lebten der Angeklagte und seine damalige Ehefrau innerhalb des Hauses getrennt. In dem Sommerferien im August 2012 fuhr - - mit den Kindern, die bis auf - noch zu Hause wohnten, zu ihren Eltern nach ... in …, um sich darüber klar zu werden, ob sie die Ehe fortsetzen wollte. Der Angeklagte wollte dies zu jeder Zeit. Am 28.08.2012 meldete sie schließlich die Kinder mit neuer Wohnanschrift in ... an und fasste den Entschluss sich scheiden zu lassen. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 15.11.2012 beantragte - - beim Amtsgericht - Familiengericht - ... ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die alleinige Gesundheitssorge für die vier gemeinsamen minderjährigen Kinder zu übertragen. Ab März 2013 kam es zwischen den Eheleuten wieder zu einer Annäherung, in deren Folge der Angeklagte bei seiner Ehefrau und den vier minderjährigen Kindern in deren Wohnung in ..., …, einzog. Dort begründete der Angeklagte auch einen Nebenwohnsitz. Da man übereingekommen war, das gemeinsame Haus im … zu verkaufen, zog der Angeklagte am 10.07.2013 dort aus und begründete seinen Hauptwohnsitz in einer von ihm angemieteten Wohnung in der … in …, in der er heute noch wohnt. Am 29.10.2013 schlossen die Eheleute einen notariellen Ehevertrag, mit dem sie Gütertrennung und wechselseitigen Zugewinnausgleichsverzicht vereinbarten. Ferner stellten sie klar, dass sich der Erlös aus dem Verkauf des Anwesens im … in Höhe von 80.000 EUR auf einem Konto des Angeklagten befindet, über das - - verfügungsberechtigt ist, und der hälftige Betrag - - umgehend ausbezahlt werden soll.
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Ab August 2014 war die Ehe des Angeklagten mit - - wieder so stark zerrüttet, dass diese mit anwaltlichem Schriftsatz vom 20.01.2015 beim Amtsgericht ... die Scheidung beantragte. Mit Beschluss des Amtsgerichts ... vom 06.08.2015 wurde die Ehe geschieden.
22
Der Angeklagte ist aufgrund dieses Verfahrens seit 13.10.2014 suspendiert. Er erhält jedoch weiterhin seine vollen Bezüge in Höhe von monatlich 3.800 EUR netto, wovon er für seinen Sohn - 570 EUR und für seine Tochter … einen noch festzusetzenden Betrag zum Zwecke des Kindesunterhalts bezahlt. Lediglich die jährliche Sonderzahlung erhält der Angeklagte seit 2015 nicht mehr. Der Angeklagte zahlt für seine Wohnung derzeit 820 EUR Miete einschließlich Nebenkosten und Heizung. Er hat kein Vermögen, und ungefähr 2.600 EUR Schulden, welche aus Anwaltskosten und einem Privatdarlehen resultieren. Die Schulden trägt er in monatlichen Raten ab.
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Der Angeklagte ist körperlich und geistig gesund. Auch in der Vergangenheit hatte er keine schwereren Erkrankungen oder Unfälle. Mit Ausnahme einer Behandlung bei seinem Hausarzt Dr. …, befand sich der Angeklagte bislang nicht in psychologischer oder psychiatrischer Behandlung. Der Arzt betreute den Angeklagten im Zeitraum von 2012 bis 2015, weil er sich durch das „Auseinanderbrechen“ seiner Familie psychisch stark belastet fühlte.
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Der Angeklagte hatte bislang keinen Kontakt mit Drogen und trinkt nur mäßig Alkohol.
25
Der Angeklagte ist außerdem nicht vorbestraft.
C. Sachverhalt der zugelassenen Anklage
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Die Staatsanwaltschaft Landshut legte dem Angeklagten in der Anklageschrift vom 02.10.2014 folgenden Sachverhalt mit der rechtlichen Bewertung als sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen in 3 tatmehrheitlichen Fällen in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung gemäß §§ 174 Abs. 1 Nr. 3, 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, 52, 53 StGB zur Last:
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Der Angeklagte sei der Adoptivvater und der leibliche Onkel der am 22.08.1993 geborenen Geschädigten - ….
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1. Zu einem nicht mehr genauer bestimmbaren Zeitpunkt im Dezember 2007 sei der Angeklagte mit der damals 14-jährigen Geschädigten zu einer Familienfeier zu den Großeltern der Geschädigten, … und ..., ... gefahren. Die Mutter der Geschädigten und ihre Geschwister hätten nachkommen sollen. Abends sei die Geschädigte in ihrem Bett in einem Nebenzimmer gelegen, hierbei sei sie mit einem Schlaf-T-Shirt und einer Schlafhose bekleidet gewesen. Der Angeklagte, der mit einer Unterhose und einem T-Shirt bekleidet gewesen sei, habe das Zimmer der Geschädigten betreten, sich neben die Geschädigte ins Bett gelegt und gesagt, er wolle ihr etwas über ihre leibliche Mutter erzählen. Der Angeklagte habe begonnen, die Geschädigte über dem T-Shirt an Rücken und Po zu streicheln, habe dann unter das T-Shirt gegriffen und der Geschädigten über Rücken, Po und Brust gestreichelt. Er habe die Geschädigte aufgefordert, ihn auch zu streicheln, die Geschädigte sei aber schockiert gewesen und wie gelähmt liegen geblieben.
29
Der Angeklagte habe begonnen, seine Hand in die Hose der Geschädigten zu schieben und ihr Geschlechtsteil zu streicheln. Er habe ihr auch die Hose ausgezogen. Zwischendurch habe der Angeklagte sein T-Shirt ausgezogen. Er habe weiter das Geschlechtsteil der Geschädigten und ihre Brüste gestreichelt und habe das T-Shirt der Geschädigten hochgeschoben und ihre Brüste geküsst. Auf die Frage der Geschädigten, was das denn solle, habe der Angeklagte gesagt, er wolle ihr etwas erzählen und kuscheln.
30
Der Angeklagte habe auch die Hand der Geschädigten über der Hose auf sein Geschlechtsteil geführt. Der Angeklagte habe hierbei eine Erektion gehabt. Die Geschädigte habe ihre Hand weggezogen, der Angeklagte habe sie daraufhin erneut auf sein Geschlechtsteil geführt.
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Der Angeklagte habe sich dann auf den Rücken gedreht und die Geschädigte auf ihn hinaufgezogen, so dass diese auf ihm zum Liegen gekommen sei. Er habe die Geschädigte aufgefordert, sich auf sein Geschlechtsteil zu setzen und sich hin und her zu bewegen. Die Geschädigte habe hierauf nicht reagiert, sie habe nicht gewusst, wie sie sich weiter verhalten solle. Der Angeklagte habe dann von unten mit Bewegungen am Geschlechtsteil der Geschädigten gerieben. Schließlich habe der Angeklagte von der Geschädigten abgelassen und das Zimmer verlassen.
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2. Zu einem weiteren nicht mehr genauer bestimmbaren Zeitpunkt im Februar 2008 habe sich die Geschädigte spätabends in ihrem Zimmer im Dachgeschoss des Familienhauses …, - … befunden. Sie sei zur Toilette gegangen. Als sie zurückgekehrt sei, sei der Angeklagte in das Zimmer der Geschädigten gekommen. Er sei mit einer kurzen Hose und einem T-Shirt bekleidet gewesen. Die Geschädigte habe ein Schlaf-T-Shirt und eine Unterhose getragen. Der Angeklagte habe die Geschädigte umarmt und gesagt „Gute Nacht“. Dabei habe der Angeklagte der Geschädigten den Rücken herunter, bis übe den Po gestreichelt und seine Hand dann auf die Brust der Geschädigten gelegt, entweder oberhalb oder unterhalb des T-Shirts der Geschädigten. Dabei habe er gesagt, die Geschädigte solle es nicht der Mama erzählen. In diesem Moment sei jedoch die abwesende Mutter nach Hause gekommen, so dass der Angeklagte von der Geschädigten abgelassen habe und aus ihrem Zimmer gegangen sei.
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3. Zu einem weiteren nicht exakt bestimmbaren Zeitpunkt, um den 20.05.2008 sei die Geschädigte mit dem Angeklagten allein zu Hause im …, ... gewesen. Die Geschädigte sei abends in ihrem Bett gelegen, habe aber noch nicht geschlafen. Sie sei mit einem T-Shirt und einer Unterhose bekleidet gewesen. Der Angeklagte, der ebenfalls mit einem T-Shirt und einer Unterhose bekleidet gewesen sei, sei in das Zimmer der Geschädigten gekommen und habe sich neben sie ins Bett gelegt. Er habe die Geschädigte am ganzen Körper gestreichelt, auch zwischen den Beinen und an der Brust.
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Die Geschädigte habe Angst gehabt, habe aber den Entschluss gefasst, dass sie sich dieses Mal wehren werde und habe versucht, ihren Körper anzuspannen und die Oberschenkel zusammen zu drücken. Der Angeklagte habe daraufhin die Geschädigte aufgefordert, ihre Beine auseinander zu machen. Nachdem die Geschädigte dieser Aufforderung nicht nachgekommen sei, habe der Angeklagte ihr die Beine mit der Hand auseinander gedrückt. Die Geschädigte habe dann mit ihrem Druck etwas nachgelassen, weil sie Angst gehabt habe, der Angeklagte würde sie schlagen. Der Angeklagte habe dann in den Slip der Geschädigten gegriffen und der Geschädigten an ihr Geschlechtsteil gefasst. Hierbei sei er mit seinem Finger in das Genital der Geschädigten eingedrungen und dort über einen Zeitraum von 10 bis 30 Sekunden verblieben. Hierbei habe die Geschädigte nicht nur unerhebliche Schmerzen verspürt, außerdem habe sie Angst gehabt.
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Der Angeklagte habe auch wieder die Hand der Geschädigten genommen und diese in seine Unterhose, die er anbehalten habe, auf sein Geschlechtsteil, welches erigiert war, gelegt.
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Der Angeklagte habe sich dann auf die Geschädigte gelegt. Dabei habe er seine Unterhose anbehalten, habe aber mit seinem Becken Auf- und Abbewegungen zwischen den Beinen der Geschädigten gemacht, wodurch diese seine Erektion verspürt habe. Während er auf ihr gelegen sei, habe der Angeklagte versucht, die Geschädigte auf den Mund zu küssen, was diese durch Drehen des Kopfes zur Seite verhindert habe. Schließlich sei der Angeklagte aufgestanden und gegangen.
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Bei allen Vorfällen sei dem Angeklagten das Alter der Geschädigten bekannt gewesen.
D. Festgestellter Sachverhalt
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Demgegenüber stellte die Kammer folgenden Sachverhalt fest:
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Der Angeklagte ist der Adoptivvater und der leibliche Onkel der am 22.08.1993 geborenen Geschädigten - ….
I. Tat 1 der Anklageschrift vom 02.10.2014 - Dezember 2007 in ...:
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Nicht ausschließbar besuchte der Angeklagte zusammen mit seiner damaligen Ehefrau, der Zeugin - -, und den gemeinsamen Kindern im Dezember 2007 seine Schwiegereltern in ..., um einen feierlichen Anlass - möglicherweise den Geburtstag der Schwiegermutter am 21.12. - im Familienkreis zu begehen. Allerdings reiste die gesamte Familie … hierfür gemeinsam von … aus nach ... an.
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Die (Sonder-)Situation, dass der Angeklagte zwar gemeinsam mit seiner Tochter -, allerdings ohne die Zeugin - - und die übrigen Kinder, von … aus nach ... fuhr, um an einer Familienfeier - möglicherweise zu dem Geburtstag seines Schwiegervaters am 28.09. - teilzunehmen, ergab sich nicht ausschließbar aber im September 2007. Die Zeugin - - reiste zum Geburtstag ihres Vaters mit den übrigen Kindern nämlich einen Tag später an, weil sie zuvor an der Geburtstagsfeier ihrer Freundin … - in … teilnahm, an welcher der Angeklagte und die Zeugin - … nicht teilnahmen. Zur Feierlichkeit in ... stieß die Zeugin - - samt den restlichen Kindern schließlich auf dem Rückweg von … hinzu.
42
Zu keiner dieser beiden Gelegenheiten kam es jedoch zu einer Situation wie der, die unter Punkt 1. der Anklage vom 02.10.2014 geschildert wurde.
II. Tat 2 der Anklageschrift vom 02.10.2014 - Februar 2008 …, …
43
Die Familie des Angeklagten bewohnte im Februar 2008 noch das Haus in der … in … (Ortsteil -) und nicht das im … in … (Ortsteil …).
44
Im Haus in der … bewohnte die Zeugin - … ab einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2008 ein zuvor renoviertes Zimmer im Dachgeschoss, an welches ein Bad unmittelbar angrenzte. Das Zimmer war durch Schränke mittig geteilt, wobei die Zeugin - … die eine und ihr Bruder - die andere Zimmerhälfte bewohnte.
45
Nicht ausschließbar kam es im Februar 2008 abends zu Situationen, in denen der Angeklagte mit seinen Kindern allein zuhause war, weil die Zeugin - - auswärtige Termine wahrnahm.
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Zu einer Situation wie der, die unter Punkt 2. der Anklage vom 02.10.2014 geschildert wurde, kam es in diesem Zeitraum bei entsprechenden Gelegenheiten jedoch nicht.
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III. Tat 3 der Anklageschrift vom 02.10.2014 - um den 20.05.2008, …, …
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Die Familie des Angeklagten bewohnte auch um den 20.05.2008 noch das Haus in der … in … (Ortsteil -) und nicht das im … in … (Ortsteil …).
49
Der Angeklagte brachte zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt abends seine Kinder - und - zu Bett, die beide das (mit Schränken mittig geteilte) Zimmer im Dachgeschoss bewohnten.
50
Er las zunächst seinem Sohn - vor, der anschließend einschlief. Anschließend begab sich der Angeklagte zum Bett der Zeugin - … hinüber. Er setzte sich zu ihr auf das Bett. Nicht ausschließbar legte er sich neben sie in das Bett, nicht ausschließbar auch mit unter die Bettdecke. Der Angeklagte wollte nun ein Gespräch über die Kindheit der Zeugin in Afrika und deren leibliche Mutter beginnen. Die Zeugin reagierte auf dieses Gesprächsangebot jedoch nicht, weswegen der Angeklagte von ihr abließ und das Zimmer verließ.
E. Beweiswürdigung
51
Der Angeklagte war aus tatsächlichen Gründen unter Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ freizusprechen. Mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit konnte die Kammer nach durchgeführter Beweisaufnahme nicht feststellen, dass der Angeklagte die ihm in der Anklageschrift vom 02.10.2014 zu Last gelegten Taten zu Lasten seiner (Adoptiv-)Tochter, der Zeugin - …, beging.
I. Einlassung des Angeklagten
1. Einlassung im aktuellen Hauptverfahren
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Nach Absprache mit dem Verteidiger des Angeklagten wurden diesem seine Angaben aus der Hauptverhandlung vor der 4. Strafkammer des Landgerichts Landshut aus dem Jahr 2018 vorgehalten. Der Angeklagte ergänzte den Vorhalt teilweise noch mit eigenen Worten, bestätigte die Ausführungen aber im Übrigen.
53
Der Angeklagte ließ sich in der aktuellen Hauptverhandlung dahingehend ein, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe träfen nicht zu. Er habe - zu keinem Zeitpunkt in sexuell motivierter Absicht angefasst. Es sei auch nicht richtig, dass er mit - einmal alleine bei den Großeltern ohne seine damalige Ehefrau und die anderen Kinder übernachtet habe. Richtig sei, dass - im Dachgeschoss des früheren Familienhauses in der … ihr Zimmer mit Bett gehabt habe. Mit ihr zusammen habe - dort geschlafen. In dem Dachzimmerraum sei links und rechts ein Bett gestanden. Die Betten seien durch zwei Schränke von Ikea getrennt gewesen. Die Kinder hätten sich an den Schränken vorbei in ihren Betten sehen können. Er habe den Kindern abends beim zu Bett bringen immer etwas vorgelesen. Einmal sei es so gewesen, dass er - schon etwas vorgelesen habe und dieser dann eingeschlafen sei. Er habe sich dann gedacht, dass dies ein guter Zeitpunkt sei, um mit - über ihre Mutter und ihre Zeit in Afrika zu sprechen. - sei in ihrem Bett auf der Seite zur Wand gelegen. Er habe sich dann auf die unbenutzte Seite gesetzt und seine Füße hochgenommen. Er habe ihr gesagt, dass er mit ihr über ihre Zeit in Afrika sprechen wolle. - habe damals viele Probleme gemacht und er habe geglaubt, dass es gut sei, dies anzusprechen. Sie habe aber nicht darüber sprechen wollen. Da habe er auch einmal seine Hand auf ihre Schulter oder ihren Kopf gelegt und ihr eindringlich erklärt: „Ich rede mit dir!“, um mit ihr ins Gespräch zu kommen. Sie habe sich aber so verhalten, als ob sie ihn nicht hören würde und habe das Gesprächsangebot abgelehnt. Er habe es dann aufgegeben und sei gegangen. Er wisse nicht mehr genau, wie alt - damals gewesen sei. Sie sei zu dieser Zeit aber gerade bei Frau … in Therapie gewesen. Er habe damit in Erfahrung bringen wollen, ob sie sich an ihre Kindheit erinnere. Auch habe er wissen wollen, ob … ihre Mutter sei. Kurze Zeit danach habe - - gesagt, er habe eine Grenze überschritten. Sie sagte ferner, er hätte sich nicht auf das Bett setzen sollen. Er habe geantwortet, dass er dies nicht bedacht habe. Die Angelegenheit sei dann erledigt gewesen und es habe deswegen keine Probleme mehr gegeben.
54
Er wisse nicht, weshalb - solche Vorwürfe gegen ihn erhebe. Er sei der Meinung, sie habe eine sehr schwierige Zeit in Afrika hinter sich. Sie habe sich in - als Kleinkind oft übergeben müssen. Seiner Kenntnis nach sei dies auch in Afrika schon so gewesen. Selbst habe er es dort aber nicht beobachten können. Während ihres Aufwachsens in - habe sie oft Probleme gemacht. Anfang 2011 sei - dann von zu Hause aus- und nach … umgezogen. Nach dem Auszug habe sie sich immer wieder Mal wegen finanzieller Probleme (beispielsweise wegen Schwierigkeiten mit einem Telefonvertrag oder wegen eines Schlüsselverlusts) bei ihm gemeldet und er habe ihr dann geholfen. Er habe zeitweise ferner vermutet, dass sie Drogenprobleme habe. Er mache dies daran fest, dass er einmal verstörende Bilder seiner Adoptivtochter in deren E-Mail-Postfach aufgefunden habe. Er habe seine Ehefrau dann gefragt, was los sei. Diese habe gesagt, sie kümmere sich darum. Es sei aber nichts rausgekommen.
55
Seine Kinder habe er nie geschlagen. Lediglich bei - sei es einmal vorgekommen, dass er ihr auf den Po gehauen habe. Dies sei aber nicht fest gewesen und habe keine Schmerzen verursacht.
56
Der Angeklagte führte ferner aus, er glaube, - belaste ihn zu Unrecht, weil sie es nicht verkraftet habe, dass er von ihr immer verlangt habe, ihr Wort zu halten und er ihr nichts habe durchgehen lassen.
57
Im Übrigen sei er der Meinung, dass seine Ehefrau unbedingt die Scheidung gewollt habe. Seines Erachtens würden die Umstände aber auch dafür sprechen, dass - bewusste Falschbehauptungen aufstelle, die nichts mit seiner Ex-Frau zu tun hätten.
58
Auch seine anderen Kinder - insbesondere … und … - habe er niemals in sexueller Absicht berührt.
2. Einlassung im Hauptverfahren vor der 4. Strafkammer des Landgerichts Landshut im Jahr 2018
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Wie der Zeuge - -, der im Hauptverfahren aus dem Jahr 2018 der Vorsitzende der 4. Strafkammer des Landgerichts Landshut war, im Rahmen seiner Aussage ausführte, habe sich der Angeklagte ihm gegenüber so geäußert, dass er unschuldig sei und - zu keinem Zeitpunkt in sexuell motivierter Absicht angefasst habe. Ferner habe er angegeben, dass er mit - auch zu keinem Zeitpunkt ohne seine damalige Ehefrau und die anderen Kinder bei den Groß- bzw. Schwiegereltern übernachtet habe. Es sei zwar korrekt, dass er einmal mit - über ihre Kindheit in Afrika habe sprechen wollen, er sei dann aber unverrichteter Dinge wieder gegangen, nachdem sie nicht auf sein Gesprächsangebot reagiert habe.
3. Einlassung im Hauptverfahren vor der 6. Strafkammer des Landgerichts Landshut im Jahr 2015
60
Wie der Zeuge ..., der im Hauptverfahren aus dem Jahr 2015 der Vorsitzende der 6. Strafkammer am Landgericht Landshut war, im Rahmen seiner Aussage ausführte, habe der Angeklagte auch ihm gegenüber geäußert, die in der Anklageschrift formulierten Anschuldigungen träfen nicht zu. Er sei zu keinem Zeitpunkt allein mit seiner Tochter - zu einer Familienfeier zu seinen Schwiegereltern nach ... vorausgefahren. Er habe sich darüber hinaus zwar einmal zu - ins Bett gelegt, doch sei es dabei zu keinerlei sexuellen Übergriffen gekommen. Er habe ihr lediglich Familienfotos zeigen wollen.
4. Angaben im Ermittlungsverfahren
61
Während des Ermittlungsverfahrens machte der Angeklagte im Rahmen von Vernehmungen keine Angaben.
II. Begründung der Feststellungen
1. Feststellungen zu den Persönlichen Verhältnissen
62
Die Feststellungen zu den Persönlichen Verhältnissen beruhen im Wesentlichen auf den eigenen glaubhaften Angaben des Angeklagten, welche in allen wesentlichen Teilen auch von der Zeugin - - glaubhaft bestätigt wurden.
63
Letztlich nicht mit den Mitteln der DNA-Analyse geklärt blieb die genaue Abstammung der Zeugin - …, wenngleich der Angeklagte selbst ausführte, er sei mittlerweile davon überzeugt, dass sie nicht seine leibliche Tochter sei. Seine Mutter habe ihm im August 1997 bei seinem Besuch in … mitgeteilt, - sei seine leibliche Tochter, die von seiner früheren - zwischenzeitlich verstorbenen - Freundin - - geboren worden sei. Die Zeugin - - führte allerdings aus, ihr sei damals im August 1997 mitgeteilt worden, - sei die Tochter der älteren Schwester des Angeklagten, deren Name ... gelautet habe. Da - auf Wunsch der Familie des Angeklagten nach - habe mitkommen sollen, damit sie dort ein besseres Leben führen könne, sei in … eine inhaltlich unrichtige Geburtsurkunde ausgestellt worden, wonach der Angeklagte der Vater und dessen frühere Freundin die Mutter von - seien. Auch die Zeugin - … gab im Rahmen ihrer Aussage an, ihre leibliche Mutter … habe ihr im Rahmen eines Telefonats Ende 2017 bzw. Anfang 2018 berichtet, dass der Angeklagte ihr Onkel sei und er sie - die Zeugin - habe mitnehmen sollen, um ihr ein besseres Leben in - zu ermöglichen. Auch weitere Onkels aus … hätten ihr insofern übereinstimmend berichtet. - - sei demnach die Schwester ihres leiblichen Vaters gewesen, so die Zeugin.
64
Im Übrigen ergaben sich die entsprechenden Feststellungen zu den familiären Verhältnissen auch aus dem Beschluss des Amtsgerichts …Mitte vom 23.12.1999, den familiengerichtlichen Schriftsätzen, dem notariellen Ehevertrag vom 29.10.2013 und dem Scheidungsbeschluss vom 06.08.2015, welche im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt wurden.
65
Das straffreie Vorleben des Angeklagten steht aufgrund des Auszugs aus dem Bundeszentralregister vom 29.09.2021 fest, welcher im Rahmen der Hauptverhandlung verlesen wurde.
2. Feststellungen zum festgestellten Sachverhalt
66
Die Kammer konnte sich im Zuge der Beweisaufnahme nicht von den Sachverhalten überzeugen, welche der Anklage vom 02.10.2014 zugrunde lagen.
67
Zu dem in diesem Urteil niedergeschriebenen festgestellten Sachverhalt gelangte die durch die Sachverständige Dr. … beratene Kammer insbesondere aufgrund einer eingehenden Würdigung der Aussage der Zeugin - ….
68
Die - im Vergleich zu anderen Beweismitteln - hervorgehobene Bedeutung der Aussage der Zeugin - … resultierte aus der vorliegend gegebenen Aussage-gegen-Aussage-Konstellation.
a) Zeugin - …
(1) Angaben im aktuellen Hauptverfahren
Erinnerungen aus der frühen Kindheit in …
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An ihre frühe Kindheit in … habe sie fast keine Erinnerungen mehr. Generell habe sie sehr eher wenig eigene Erinnerungen an ihre Kindheit. Alle Erinnerungen hinsichtlich konkreter Orte in … habe sie ihres Erachtens vielmehr über Erzählungen Dritter erlangt. Auch an Personen aus der Zeit in … habe sie sich zunächst nur schemenhaft erinnern können, weil ihr Vater - gemeint ist der Angeklagte - nicht so viel Kontakt mit seinen Verwandten dort gepflegt habe. Sie könne daher auch nicht beurteilen, in welchem gesundheitlichen Zustand sie sich damals befunden habe. Ihre afrikanischen Verwandten würden sie - heutzutage befragt - als ruhiges und gesundes Kind beschreiben. Ein Onkel aus … habe ihr außerdem erzählt, dass sie damals kein auffälliges Essverhalten bzw. häufiges Erbrechen gezeigt habe. An die Reise nach - könne sie sich ebenso wenig erinnern.
Erinnerungen aus der Kindergartenzeit
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Aus der Kindergartenzeit könne sie nicht von eigenen Erinnerungen berichten. Diesbezüglich sei „nichts da“, weil sie viel „ausgeblendet“ habe, so die Zeugin - …. Dass sie bei der Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie Frau Dipl. med. … in Behandlung gewesen sei, wisse sie nur aus Erzählungen. Sie sie wisse über Erzählungen außerdem, dass sie dort mit einem Puppenhaus gespielt habe. Die konkrete Szene sei allerdings nicht erinnerlich.
Erinnerungen aus der Schulzeit
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An dieser Stelle würden ihre Erinnerungen langsam einsetzen, berichtete die Zeugin - … im Rahmen der Hauptverhandlung.
72
Sie sei gerne zur Schule gegangen und habe viel Fußball gespielt. Namen von Klassenkameraden wisse sie allerdings nicht mehr viele. Sie könne sich nicht an schulische Schwierigkeiten oder rassistische Anfeindungen erinnern. Die 1. Klasse habe sie noch in … besucht, die 2. Klasse dann in …. Für die 3. Klasse habe sie innerhalb von … die Grundschule gewechselt.
Erinnerungen aus der Kindheit in -
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Es sei für sie als Kind normal gewesen, dass sie von ihrem Vater - dem Angeklagten - geschlagen worden sei. Er habe sie ein paar Mal mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Einmal habe er auch mehr als 5 Minuten lang mit einem Schuh auf sie eingeschlagen, überall dort wo er sie habe treffen können. Die Mutter habe dies mitbekommen, sei aber einfach aus dem Zimmer gegangen.
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Die Zeugin gab auf Rückfrage zudem an, sie gehe schon davon aus, dass es auch im Kindesalter schon zum Missbrauch durch den Vater gekommen sei, wenngleich sie den Zeitraum nicht hundertprozentig einordnen könne, weil sie dies alles habe verdrängen können. Die Ereignisse, welche Gegenstand dieses Verfahrens seien und ab einem Alter von 14 Jahren stattgefunden hätten, habe sie allerdings nicht verdrängen können.
75
Aus der Zeit, in der die Familie noch in der … in … gelebt habe, erinnere sie sich jetzt beispielsweise wieder an entsprechende Situationen, die aber völlig „verschwommen“ seien. Sie und ihre Schwester … hätten sich ein Hochbett geteilt, wobei sie unten und … oben geschlafen habe. Der Angeklagte sei dann des Öfteren schon zu Schlafenszeiten zu ihnen ins Zimmer gekommen. Welche Handlungen dann passiert seien, könne sie nicht beschreiben, weil alles „verschwommen“ sei. Der Angeklagte habe immer Körperkontakt gesucht, wenn er bei ihnen im Bett gelegen habe. So habe er beispielsweise auch einen Arm um die Zeugin gelegt und sei nicht lediglich auf der Bettkante gesessen. Bei diesen diffusen Erinnerungen könne es sich aber auch um eine normale Vorleseszene gehandelt haben, welche von ihr als unangenehm empfunden worden sei, weil sie nie zu viel Nähe zu ihrem Vater hätte haben wollen. Auch Berührungen durch ihre Mutter habe sie zu dieser Zeit nicht gemocht.
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Ihr Verhältnis zum Angeklagten sei auch deshalb belastet gewesen, weil er sie ihres Erachtens nach anders behandelt habe als die übrigen Geschwisterkinder. Beispielsweise habe er sie oft in einem militärischen Ton gerufen, was er bei den Geschwistern seltener gemacht habe. Insgesamt habe sie so wenig Schwierigkeiten machen wollen, wie es ihr nur möglich gewesen sei, damit sie von ihrem Vater nicht an den Pranger gestellt werde. Sie habe in der Zeit vom Kindesalter bis hin zur Pubertät in der Familie die Rückmeldung erhalten, dass sie ein „Problemkind“ sei.
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An die Kinder- und Jugendtherapeutin Frau … könne sie sich gut erinnern. Sie sei zweimal bei ihr in Therapie gewesen, nämlich einmal im Zeitraum zwischen 2001 und 2003 und einmal im Jahr 2008. Im Rahmen der 1. Therapie sei es vor allem um ihr Verhältnis zu den Eltern gegangen. Die Therapeutin habe ihr Verlustängste und eine Entwicklungsstörung diagnostiziert. Die 2. Therapie habe sie auf Anraten ihrer Mutter begonnen, weil sie schwierige Zeiten in der Pubertät gehabt habe. Wenngleich sich aus den Akten der Therapeutin diesbezüglich Panikattacken und pubertäre Probleme als Krankheitsbild ergeben würden, so könne sie sich selbst nicht daran erinnern, Panikattacken gehabt zu haben.
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Die verfahrensgegenständlichen Taten fielen allesamt in die Zeit der 2. Therapie. Sie habe der Therapeutin allerdings von den Ereignissen damals nichts Konkretes berichtet, weil sie nicht mehr gewusst habe, wem sie noch vertrauen könne. Sie habe die Kontrolle gewollt und habe sich überlegt, was die Konsequenzen wären, wenn sie die Details der Taten jetzt offenbaren würde und sie den Vater anschließend zu Hause wieder treffen müsse. Sie habe sich gefragt, ob er es abermals schaffen würde, sie gegenüber der Mutter unglaubwürdig zu machen. Aus Angst hiervor habe sie nichts gesagt. Sie habe außerdem nicht gewollt, dass die Ehe der Eltern hieran und wegen ihr scheitere.
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Im Mai 2008 habe sie gegenüber ihrer Therapeutin Frau … allerdings doch eine Andeutung gemacht. Während der entsprechenden Sitzung habe sie die ganze Zeit darüber nachgedacht, wie sie diese formulieren solle. Sie habe die Therapeutin daher gefragt, was man machen solle, wenn sich einer zu einem ins Bett legen würde. Frau … habe daraufhin telefonisch ihre Mutter - die Zeugin - - - verständigt und diese sei dann zu der Therapiesitzung hinzugestoßen. Trotz weiterer Nachfragen durch die beiden Frauen habe sie im Rahmen der Therapiesetzung keine konkreteren Ausführungen mehr gemacht, so die Zeugin - …. Nach der Sitzung sei sie gemeinsam mit ihrer Mutter nach Hause gefahren. Hierbei habe ihre Mutter keine weiteren Fragen gestellt, sondern es sei geschwiegen worden. Sie habe die Mutter daher gefragt, ob sie sich vom Angeklagten trennen würde, wenn er sie „angefasst“ hätte. Diese Frage habe die Mutter bejaht, wobei sie auch an diesem Punkt keine weiteren Rückfragen gestellt habe und insbesondere auch nicht habe wissen wollen, was die Zeugin - … unter dem Begriff des Anfassens verstehe. Zu Hause angekommen sei sie direkt in ihr Zimmer gegangen, während die Mutter mit dem Vater gesprochen habe. Im Anschluss an das Gespräch der Eltern sei sie heruntergerufen worden. Bei den Eltern angekommen habe die Mutter ihr mitgeteilt, der Vater müsse ihr etwas sagen. Der Vater habe dann geäußert, es tue ihm leid, dass er sich zu ihr ins Bett gelegt habe. Er habe es nicht so gemeint. Sie sei dann zurück in ihr Zimmer gegangen und habe die Sache auf sich beruhen lassen. Nach diesem Zeitpunkt habe der Angeklagte auch keine weiteren Übergriffe mehr begangen, vielmehr sei erst mal Ruhe in der Familie eingekehrt.
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In der Folgezeit habe sie ein eher distanziertes Verhältnis zum Angeklagten gepflegt, insbesondere nach ihrem Auszug nach … im September 2011. Sie habe allerdings den Kontakt mit ihm nicht ganz abbrechen wollen, um Fragen nach dem Grund für den Kontaktabbruch zu vermeiden.
Ausführungen zur Entstehung der Strafanzeige hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Taten
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Im Sommer 2012 habe sich die mittlerweile beruhigte Lage schließlich dadurch verändert, dass die Eltern sich getrennt hätten bzw. ihre Mutter den Vater verlassen habe. Nachdem ihr ihre Mutter versichert habe, dass die Trennung vom Vater nunmehr endgültig sei, habe sie - die Zeugen - … - ihr gegenüber ausgeführt, dass sie ihr noch etwas erzählen müsse, was den damaligen „Vorfall“ bei Frau … betreffe, es sei nämlich „noch mehr“ passiert, als der Angeklagte sie „angefasst“ habe. Auch zu diesem Zeitpunkt habe ihre Mutter nicht versucht zu ergründen, was sich genau zugetragen habe. Vielmehr habe sie - die Zeugin - - - eine Freundin der Familie - die Zeugin … - diesbezüglich hinzugezogen. Mit dieser sei sie dann zu einer Beratungsstelle des Weißen Rings in … gegangen. Die Beziehung zu der Zeugin … sei gut gewesen. Sie sei sehr nett zu ihr und so etwas wie eine mütterliche Freundin gewesen, weswegen sie ihr auch vertraut habe, so die Zeugin - …. Die Gespräche bei der Beratungsstelle hätten in Abwesenheit der Zeugin … stattgefunden und sie habe mit dieser bis zum heutigen Tag auch nicht über Details der Vorfälle gesprochen. Die Zeugin … habe diese Grenzen respektiert und nicht nachgebohrt. Sie habe sich einfach gewünscht, dass man ihr glaube und sie unterstütze, schilderte die Zeugin - …. Dies sei er vor allem auch deshalb wichtig gewesen, weil ihre Mutter letztlich doch wieder zum Vater zurückgegangen sei, weswegen es zwischen Tochter und Mutter zum zeitweisen Kontaktabbruch gekommen sei.
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Als sie gespürt habe, dass es Menschen gebe, von denen sie unterstützt werde, habe sie die Strafanzeige machen wollen, insbesondere auch um ihre Schwestern zu schützen. Die Bestrafung des Angeklagten sei hierbei nicht ihr vorrangiges Ziel gewesen, wenngleich sie gewusst habe, dass er bestraft werden könne für das was er getan habe. Dass noch längere Zeit bis zur tatsächlichen Strafanzeige vergangen sei, liege daran, dass sie nochmal Zeit für sich gebraucht habe, um überhaupt Worte für die verfahrensgegenständlichen Ereignisse zu finden. Sie habe die Tatvorwürfe vorher nie konkret formuliert, weswegen sie sich zunächst habe überlegen müssen, was sie überhaupt sagen solle. Die in Rede stehende Strafanzeige habe sie dann am 23.11.2012 gegenüber der Zeugin KHMin a.D. … bei der Kriminalpolizei in … gemacht. Bei dieser habe sie sich wohl gefühlt, weil sie sehr ruhig aufgetreten sei. Sie habe daher angefangen alles zu erzählen und alles so gut geschildert, wie es ihr eben möglich gewesen sei.
Schilderungen der verfahrensgegenständlichen Taten
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Hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Taten führte die Zeugin - … im Wesentlichen folgendes aus:
Schilderungen zum 1. Tatvorwurf der Anklage vom 02.10.2014
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Die erste der verfahrensgegenständlichen Taten habe sich Ende 2007 bei den Großeltern in ... zugetragen. Bei der zeitlichen Einordnung sei sie sich nunmehr nicht mehr sicher, es sei entweder September oder Dezember gewesen, weil sie den Vorfall immer mit einem „Familienereignis“ verbunden habe. Wenngleich sie früher angegeben habe, es sei draußen kalt gewesen, so können sie sich hieran heute nicht mehr erinnern.
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Sie sei mit dem Angeklagten allein bei den Großeltern gewesen. Früher habe sie nicht gewusst, warum die Mutter und die Geschwister nicht dort gewesen seien, jetzt wisse sie allerdings, dass die Mutter mit den Geschwistern auf dem Geburtstag von … - in … gewesen sei. Gemeinsam mit dem Angeklagten sei sie am frühen Abend bzw. späten Nachmittag bei den Großeltern angekommen. Man habe dann gemeinsam zu Abend gegessen und die Großeltern seien dann schlafen gegangen.
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Die Großeltern hätten ein Einfamilienhaus bewohnt, in welchem es ein 2-Etagen-Bett für die Enkelkinder gegeben habe. Das Schlafzimmer der Großeltern habe direkt neben dem Zimmer mit dem 2-Etagen-Bett gelegen. Das 2-Etagen-Bett sei ausziehbar gewesen und sie habe zuerst mit dem Rücken an der Wand auf dem unteren Teil gelegen, schilderte die Zeugin - …. Sie habe sich umgedreht, als der Angeklagte hinzugekommen sei.
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Er habe zu ihr gesagt, er wolle ihr etwas über ihre leibliche Mutter erzählen. Hierbei habe er ihren Rücken und ihren Po gestreichelt. Als sie in gefragt habe, was das solle, habe er geantwortet, er wolle kuscheln und habe ihren Arm über seine Schulter gelegt. Sie sei ruhig liegen geblieben und habe nichts gemacht. Sie sei verängstigt gewesen und habe gedacht, dass die Großeltern aufwachen würden, wenn sie schreie und der Angeklagte sie dann schlagen würde. Außerdem habe sie gedacht, dass er aus Desinteresse aufhören würde, wenn sie lethargisch liegen bleibe. Sie sei schließlich auf dem Rücken gelegen und er habe ihr T-Shirt hochgeschoben und längere Zeit an ihrer linken Brustwarze gesaugt, was ihr nicht weh getan habe, weil er nicht gebissen habe. Zudem habe er mit seiner Hand in ihren Slip gefasst und an ihrem Genital gerieben. Genau genommen habe er mit seinen Fingern an ihrer Klitoris gerieben, an ein Eindringen könne sie sich nicht erinnern. Auch an einen Versuch des Eindringens könne sie sich nicht erinnern. Sie könne sich mittlerweile nur noch daran erinnern, dass er an ihrer Klitoris gerieben habe. Er habe schließlich auch ihre Hand in seine Hose geführt, wo sie bemerkt habe, dass sein Glied sich hart angefühlt habe.
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Er habe sich dann auf den Rücken gelegt und sie aufgefordert, sie solle sich auf ihn setzen. Sie hingegen habe nichts gemacht. Er habe sie dann auf seinen Schoß gesetzt, wobei er seine Unterhose noch angehabt habe. Sie habe seine Erektion spüren können. Sein T-Shirt habe der Angeklagte zwischenzeitlich ausgezogen. Als sie ihr Becken nicht auf ihm habe bewegen wollen, habe er ihren Körper auf seinem bewegt, sie könne nicht mehr sagen, ob er sich auch bewegt habe. Auf den Vorhalt hin, dass sie diesen Vorgang früher anders geschildert habe, könne sie nur sagen, dass sie heute der Meinung sei, es habe eine Kombination aus Bewegungen seinerseits und ihrerseits vorgelegen.
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Der Angeklagte habe dann aufgehört, sei aufgestanden, habe sich angezogen und den Raum wortlos verlassen.
Schilderungen zum 2. Tatvorwurf der Anklage vom 02.10.2014
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Nach Einschätzung der Zeugin - … habe die nächste Tat im Frühling des Jahres 2008 stattgefunden. Diese Einschätzung begründete sie so, dass ihre Mutter in dieser Zeit oft einen Poncho getragen habe. Sie habe die Mutter und deren Bekleidung bei ihrer Rückkehr nach Hause zwar nicht sehen können, erinnere sich aber, dass sie in der betreffenden Zeit den Poncho oft getragen habe. Zudem seien mehrere Monate zwischen der Tat aus dem Jahr 2007 und dieser Tat vergangen.
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Sie habe bereits in dem Zimmer im Dachgeschoss gewohnt und sei abends vor dem zu Bett gehen vor dem hieran angrenzenden Badezimmer gestanden, als der Angeklagte das Zimmer betreten habe. Er habe geäußert, er wolle gute Nacht sagen und habe sie hierbei umarmt und ihr über dem T-Shirt an die Brust, den Rücken und den Po gefasst. In diesem Moment hätten die beiden gehört, dass die Mutter nach Hause gekommen sei. Der Angeklagte habe zu ihr gesagt „Sag Mama nichts!“ und sei aus dem Zimmer verschwunden. Ob ihr Bruder -, mit dem sie das Zimmer geteilt habe, sich ebenfalls im Zimmer befunden habe, könne sie nicht mehr genau sagen, weil sie ihn wegen der mittig im Zimmer platzierten Schränke nicht richtig habe sehen können.
Schilderungen zum 3. Tatvorwurf der Anklage vom 02.10.2014
92
Den Zeitpunkt der nächsten Tat könne sie ziemlich genau eingrenzen, weil sie kurz zuvor von einer Romreise mit einer christlichen Jugendgruppe der Fokolar-Bewegung zurückgekehrt und enttäuscht gewesen sei, dass weder die Mutter noch ihre Geschwister sich zu diesem Zeitpunkt zu Hause befunden hätten.
93
Sie habe rücklings auf der Matratze in ihrem Zimmer gelegen, da sei der Angeklagte hereingekommen. Sie habe sich dann gedacht „nicht schon wieder“ und den Plan gefasst, sie werde sich dieses Mal zur Wehr setzen und aktiver zeigen, dass sie die Handlungen des Angeklagten nicht wolle.
94
Sie sei durch den Angeklagten zur Seite geschoben worden, weshalb sie schließlich mit dem Rücken zur Wand gelegen habe und der Angeklagte neben ihr gelegen sei. Sie habe versucht, sich steif zu machen und sich nicht zu bewegen, aber er habe ihre Beine mit seinen Händen auseinandergedrückt und in einem „bösen Unterton“ gefordert, sie solle ihre Beine auseinander machen. Außerdem habe er versucht sie zu küssen, was sie aber verhindert habe, indem sie ihre Hände vors Gesicht gehalten habe. Der Angeklagte habe schließlich seine Hand in ihren Slip geschoben, sie angesehen und gefragt, ob er eindringen solle. In einem „mächtigen Unterton“ habe er hinzugefügt „ich kann, wenn ich will“. Er sei anschließend mit der Fingerspitze in sie eingedrungen, nicht aber mit dem kompletten Finger. Die Fingerspitze habe er ruhig für die Dauer von etwa 20-30 Sekunden in ihrer Scheide verharren lassen. Dieser Vorgang habe geschmerzt und gebrannt. Der Angeklagte habe ihr hierbei ins Gesicht gesehen, um ihre Reaktion zu ergünden. Sein Körpergeruch und alles sei einfach zu viel für sie gewesen und sie habe nicht gewusst, was sie machen solle. Er sei anschließend aufgestanden und sei einfach aus dem Zimmer gegangen.
Ausführungen zu weiteren und bislang nicht erhobenen Tatvorwürfen
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Neben den verfahrensgegenständlichen Taten wolle sie in der aktuellen Hauptverhandlung auch noch von einem anderen Zwischenfall berichten, der in der … stattgefunden habe. Die Szene sei so gewesen, dass ihre Mutter und ihr Vater sich gemeinsam im Bad befunden hätten, wobei der Vater nackt gewesen sei. Ihre kleine Schwester … sei ins Bad gerannt und habe das Glied des Vaters anfassen wollen, welches „da so hing“. Der Vater habe hierbei nur süffisant gelacht. Sie habe das Bad dann ebenfalls betreten und … wieder herausgeholt. Man sei in der Familie nicht ständig nackt herumgelaufen, sie habe aber beispielsweise ihre Mutter schon mal „oben ohne“ oder nackt in der Sauna gesehen.
96
Grundsätzlich sei es in der Familie aber sehr prüde zugegangen. So sei beispielsweise sexuelle Aufklärung zu Hause nie thematisiert worden. Als sie ihre Periode bekommen habe, habe ihre Mutter ihr nur gesagt, was sie tun solle, mehr habe sie ihr aber nicht erzählt. Ihre Mutter sei grundsätzlich ein zugewandter Mensch, das Thema Sex und sexuelle Aufklärung sei bei ihr aber einfach nicht vorhanden, eventuell auch deshalb, weil sie sehr katholisch sei.
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Des Weiteren führte die Zeugin - … aus, im Nachgang zum letzten Verfahren sei ihr infolge einer diesbezüglichen Frage, welche ihr von ihrer Schwester … gestellt worden sei, eine weitere Erinnerung wieder präsent geworden. Diese beziehe sich auf einen Vorfall, der in der ... 2 stattgefunden habe. Sie habe dort mit … gemeinsam in der Dusche gestanden und der Angeklagte habe die beiden Mädchen zwischen den Beinen gewaschen. Sie sei der Meinung, sie sei zu diesem Zeitpunkt etwa 9-10 Jahre alt gewesen und habe die Grundschule besucht. … sei noch kleiner und noch nicht eingeschult gewesen. An die genaue Handlung des Angeklagten könne sie sich nicht mehr erinnern. Sie könne auch nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich um eine normale Wäsche im Intimbereich oder um eine Grenzüberschreitung durch den Vater gehandelt habe. Sie können nur sagen, dass er die Kinder öfter gewaschen habe. Beim Duschen habe der Angeklagte allerdings nicht verlangt, dass die Mädchen sexuelle Handlungen an ihm vornehmen sollten. Sie ordne die Waschsituation für sich dennoch in einen sexuellen Kontext ein, weil der Angeklagte - ihres Erachtens - eine äußerst gründliche Wäsche des Intimbereichs bei seinen Töchtern vorgenommen habe.
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Soweit ihr vorgehalten werde, dass sie in den vorangegangenen beiden Hauptverhandlungen aus den Jahren 2015 und 2018 keine weiteren Übergriffe (insbesondere auch im Zusammenhang mit ihren Geschwistern) habe schildern können, so müsse sie nochmal betonen, dass sie diese Erinnerung damals nicht besessen habe. Vielmehr seien die entsprechenden Bilder erst wieder in ihren Kopf „gekommen“, nachdem sie von … nach Abschluss der 2. Hauptverhandlung gefragt worden sei, ob sie sich noch an die Ereignisse in der Dusche erinnern könne.
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Die Zeugin - … führte im Rahmen ihrer Aussage zudem aus, sie könne sich an vieles aus der Vergangenheit nicht erinnern, weil sie an dem Familienleben zu Hause nur passiv teilgenommen habe und aus dieser Zeit zunächst keine Erinnerungen mehr hätte haben wollen. Je weiter sie von diesen Ereignissen zeitlich entfernt sei, desto weniger Angst verspüre sie und desto mehr Erinnerungen würden sich in ihrem Kopf zusammensetzen. Zunächst seien für sie nur die verfahrensgegenständlichen Taten klar gewesen. Die übrigen hier geschilderten Erinnerungen an weitere Ereignisse seien in ihr erst nach der 2. Hauptverhandlung „hochgekommen“, weil sie sich dann gemeinsam mit ihrer Mutter - der Zeugin - - - mit der Vergangenheit beschäftigt und auch eine zeitliche Rekonstruktion der Geschehnisse vorgenommen habe.
100
Wenngleich die Kammer im Zuge der Aussage der Zeugin auf einige Punkte stieß, in denen die nunmehr getätigte Aussage der Zeugin von ihren früheren Angaben abwich (beispielsweise, welche Körperstelle wann über oder unter dem T-Shirt berührt wurde; Bauchlage oder Rückenlage; Hose und bzw. oder T-Shirt des Angeklagten noch getragen oder abgelegt; Schmerzen infolge des Saugens an der Brustwarze verspürt oder nicht) und sich die aufgefundenen Widersprüche auch durch Rückfragen nicht plausibel erklären ließen, so ging die Kammer nicht davon aus, dass die Zeugin bewusst falsche Angaben machte. Die Kammer berücksichtigte nämlich, dass die Erinnerung der Zeugin im Laufe der Jahre einem normalen Vergessensprozess ausgesetzt sein konnte. Zugleich stellte die Kammer in ihre Bewertung auch mit ein, dass die Zeugin potentiell einem erhöhten unbewussten Druck, die Justiz mit entsprechenden Angaben im „dritten Anlauf“ nunmehr zufrieden zu stellen, ausgesetzt gewesen sein könnte, sodass aus dieser Drucksituation auch Unschärfen hinsichtlich der Detailschilderungen resultieren könnten.
(2) Angaben im Ermittlungsverfahren: Erste polizeiliche Einvernahme am 23.11.2012 in …
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Die geschädigte Zeugin - … erstattete am 23.11.2012 bei der Kriminalpolizei … Strafanzeige gegen ihren Vater und machte an diesem Tag folgende Angaben, über welche die Zeugin KHMin a.D. … im Rahmen der Hauptverhandlung berichtete:
Schilderungen zum 1. Tatvorwurf der Anklage vom 02.10.2014
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Die 1. Tathandlung habe sich bei den Großeltern in ... ereignet. Soweit sie sich erinnern könne, habe im Dezember 2007 eine Feierlichkeit (Geburtstag der Großmutter) stattgefunden. Die Familie habe aus diesem Grund zusammenkommen sollen. Die Zeugin - … sei mit ihrem Vater vorausgefahren. Ihre Mutter und die anderen Geschwister seien erst am nächsten Tag hinzugekommen. Es sei bereits spät abends gewesen, als die beiden in ... eingetroffen seien. Die Großeltern hätten zu diesem Zeitpunkt schon geschlafen.
103
Der Vater habe auf einer Couch geschlafen, nach eigenen Angaben habe die Zeugin - … im Nebenzimmer geschlafen. Sie - die Zeugin - … - sei bereits im Bett gelegen und beim Einschlafen gewesen. Sie haben Nachtsachen bzw. einen Schlafanzug getragen. Der Vater sei ins Zimmer gekommen, auch er habe Schlafsachen getragen, nämlich eine Unterhose und ein T-Shirt.
104
Er habe sich neben sie ins Bett gelegt und sei mit unter ihre Decke gekommen, habe die Zeugin - … gegenüber der Zeugin KHMin a.D. … ausgeführt. Der Vater habe dann gesagt, er wolle ihr etwas über ihre leibliche Mutter, seine Schwester, erzählen. Sie habe erst weg gedreht von ihm gelegen und sei verwundert gewesen, dass er ihr um diese Uhrzeit etwas von ihrer leiblichen Mutter habe erzählen wollen. Sie habe sich daher auf die andere Seite und somit ihm entgegen gedreht. Er sei seitlich zu ihr gedreht gelegen.
105
Er habe dann seinen oberen Arm über ihre Schulter bzw. den Rücken gelegt und begonnen, über dem Schlafshirt über ihren Rücken und den Po zu streicheln. Er habe dann unter ihr T-Shirt gegriffen, habe über ihren Rücken, den Po und ihre Brust gestreichelt. Sie sei vollkommen verwirrt darüber gewesen und habe gefragt, was das solle, so habe die Zeugin - … laut den Schilderungen der Zeugin KHMin a.D. … ausgeführt. Er habe anschließend ihren Arm über seine Schulter getan und sie habe ihn auch streicheln sollen. Sie habe ihre Hand aber liegen lassen. Er habe dann begonnen, seine Hand in ihre Hose zu schieben und ihr Geschlechtsteil zu streicheln. Er habe sich neben ihr etwas aufgerichtet, hierdurch sei sie von der Seite auf den Rücken gedreht worden. Er habe dann ihren Slip ausgezogen. Zwischendurch habe er sein T-Shirt ausgezogen. Er habe ihr Geschlechtsteil und ihre Brüste gestreichelt, dann habe er ihr T-Shirt hochgehoben und ihre Brüste geküsst. Auf ihre Frage, was das denn solle, sei nur gekommen, er wolle ihr etwas erzählen und kuscheln. Kurzzeitig habe er aufgehört, ihr Geschlechtsteil zu streicheln, und habe ihre Hand genommen, die er zu seiner Hose zum Intimbereich geführt habe. Er habe ihre Hand bei sich über der Hose aufgelegt. Sein Geschlechtsteil habe sich hart angefühlt. Sie habe ihre Hand zurückgezogen, aber er habe sie festgehalten. Er habe gesagt, sie solle über sein Geschlechtsteil streicheln, welches sich noch in der Hose befunden habe. Aus Angst habe sie dies ganz kurz getan und ihre Hand dann schnell zurückgezogen. Er habe ihre Hand abermals genommen und diese zu seinem Geschlechtsteil gezogen und in seine Hose geschoben, wodurch sie auf sein Geschlechtsteil habe fassen müssen. Zwischendurch habe er auch noch ihre Brüste in den Mund genommen und an ihnen gesaugt.
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Danach habe er sie auf den Rücken gedreht und an ihrer Schulter gezogen und sie habe sich auf ihn setzen sollen. Er habe sie seitlich auf sich drauf gezogen, sodass sie einfach auf ihm gelegen habe. Sie habe große Angst gehabt, dass er seine Hose herunterziehen und irgendwas mit ihr machen würde, so habe die Zeugin - … gegenüber der Zeugin PHMin a.D: … erzählt. Sie habe sich auf sein Geschlechtsteil setzen und so hin und her schieben sollen. Das habe sie allerdings nicht getan. Dann habe er es andersherum getan, sie wisse nicht mehr, ob sie gesessen oder gelegen habe. Er habe dann von unten mit Bewegungen an ihrem Geschlechtsteil herumgerieben. Sie könne das alles nur so schildern, wie sie es noch in Erinnerung habe. Irgendwann seien sie wieder im Bett gelegen und er sei aus dem Zimmer gegangen.
107
Sie habe schon aus der Schule gewusst, dass solche Sachen zwischen Mann und Frau ganz normal seien. Sie habe aber auch gewusst, dass das, was ihr Vater mache, nicht normal, sondern falsch gewesen sei. Sie sei darüber geschockt und verwirrt gewesen. Ihr Vater habe darüber kein Wort verloren. Sie selbst habe auch niemandem davon erzählt, weil sie sich nicht getraut habe. Sie habe gedacht, dass ihr keiner glaube und sie als Lügnerin dastehen würde.
Schilderungen zum 2. Tatvorwurf der Anklage vom 02.10.2014
108
Ein weiteres Mal sei etwas im Februar 2008 passiert, im Haus der Familie in …. An einem Abend sei ihre Mutter nicht da gewesen, weil sie irgendjemanden besucht habe. Ihr Vater sei allerdings da gewesen. Sie habe ihr eigenes Zimmer gehabt. Es sei schon spät gewesen und sie habe zur Toilette gemusst. Als sie wieder zurück in ihr Zimmer gekommen sei und noch gestanden habe, sei ihr Vater ins Zimmer gekommen. Sie habe ein Schlaf-T-Shirt und einen Slip getragen. Ihr Vater habe eine kurze Sporthose und ein T-Shirt angehabt. Er habe gute Nacht gesagt und sie umarmt, wobei er sie festgehalten und sie an sich gedrückt habe. Er habe ihr den Rücken herunter bis über den Po gestreichelt. Dabei habe er zu ihr gesagt, sie solle es nicht der Mama sagen, dann habe er unter ihr Schlafshirt gefasst und ihre Brüste gestreichelt. Sie habe nicht reagiert. Sie sei wie erstarrt dagestanden und habe sich gedacht „nicht schon wieder“, habe die Zeugin - … gegenüber der Zeugin KHMin a.D. … ausgeführt. Plötzlich sei die Mutter im Haus zu hören gewesen. Er habe dann von ihr abgelassen und sei aus dem Zimmer gegangen. Sie habe sich in ihr Bett gelegt und gehofft, dass er nicht wiederkomme. Sie habe auch hierüber in der Folgezeit nichts erzählt.
Schilderungen zum 3. Tatvorwurf der Anklage vom 02.10.2014
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Ein letztes Mal habe dann in … in ihrem Zimmer Anfang Mai 2008 stattgefunden. Sie sei kurz zuvor von einer kirchlichen Jugendveranstaltung aus Rom nach Hause gekommen. An dem Tag seien ihre Geschwister und ihre Mutter bei irgendeiner Veranstaltung gewesen. Sie habe sich daher mit dem Vater allein zu Hause befunden.
110
Sie sei im Bett und am Einschlafen gewesen. Ihr Vater sei in das Zimmer gekommen und habe sich neben sie gelegt. Er habe ihr wieder unter ihr T-Shirt gegriffen und ihre Brüste gestreichelt. Er habe es hochgeschoben und habe an den Brüsten gesaugt. Sie habe sich steif gemacht, als er versucht habe, ihr in den Slip zu fassen und ihr Geschlechtsteil zu streicheln. Sie habe ihre Oberschenkel zusammengedrückt. Er habe zu ihr gesagt, sie solle ihre Beine auseinander machen. Als sie das nicht getan habe, habe er ihr die Beine mit der Hand auseinandergedrückt. Sie habe dann mit ihrem Druck etwas nachgelassen, weil sie Angst gehabt habe, er würde sie schlagen. Sie müsse dazu einfügen, dass es in der Vergangenheit vor den geschilderten sexuellen Übergriffen, auch zu Tätlichkeiten ihres Vaters ihr gegenüber gekommen sei.
111
Er habe ihr dann in den Slip gegriffen und mit der Hand über ihr Geschlechtsteil gestreichelt. Er habe auch seine einzelnen Finger benutzt und versucht, mit einem Finger einzudringen. Sie habe sich aber gedreht und gezuckt und er habe damit kurz aufgehört, habe sich aber nicht abbringen lassen und damit weiter gemacht. Er habe auch wieder ihre Hand genommen und diese zu seiner Hose gezogen, wo er sie in die Hose geführt und auf sein hartes Geschlechtsteil gelegt habe. Sie habe ihre Hand nur liegen lassen und nichts getan. Sie habe Angst gehabt, weil sie nicht gewusst habe, wie weit er gehen würde. Sein Verhalten, ihre Beine auseinander zu drücken, sei schon verändert und gewaltsamer gewesen. Sie erinnere sich auch noch, dass er sich auf sie gelegt habe. Er habe seine Hose anbehalten, aber habe sexuelle Bewegungen auf ihr gemacht und versucht, sie dabei auf den Mund zu küssen. Sie habe aber ihre Hände noch hochnehmen können und diese vor ihrer Brust verschränkt. Sie habe versucht, durch Wegdrehen des Gesichts zu verhindern, dass er sie küsse. Sie können sich noch daran erinnern, weil er so schwer auf ihr gewesen sei. Irgendwann sei er aufgestanden und gegangen. Auch hiervon habe sie erst niemandem erzählt.
112
Sie müsse sagen, dass sie zu dieser Zeit wegen häuslicher Gewalt, verursacht durch ihren Vater an ihr, in therapeutischer Behandlung in einer Praxis in … gewesen sei. Die Therapeutin habe Frau … geheißen. Diese sei Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche. Sie sei dort bis Juni 2008 in Therapie gewesen. Sie habe die Therapeutin damals mal gefragt, was man mache, wenn sich der Vater zu einem ins Bett lege. Sie habe keine weiteren Ausführungen gemacht. Daraufhin habe Frau … ihre Mutter angerufen und ihr das mitgeteilt. Ihre Mutter sei dann zur Therapiestunde mitgekommen, sie - die Zeugin - … - habe aber nichts weiter zu ihr gesagt. Die Mutter habe daraufhin den Vater auf die Sache angesprochen. Dieser habe gesagt, es stimme, er habe sich zu ihr gelegt, allerdings habe er ihr nur etwas über ihre Mutter erzählen wollen.
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Die Zeugin KHMin a.D. … führte im Rahmen ihrer Aussage zudem aus, sie habe am betreffenden Tag im November 2012 die Anzeige der Geschädigten und anschließend deren Aussage persönlich aufgenommen. Hierbei sei sie so vorgegangen, dass sie die Geschädigte habe abschnittsweise schildern lassen. Sie habe den Abschnitt dann niedergeschrieben und anschließend konkrete Fragen hierzu gestellt.
114
Mit Vernehmungen hinsichtlich von Sexualstraftaten sei sie aufgrund ihrer langjährigen beruflichen Erfahrung ihres Erachtens nach auch vertraut gewesen. Es sei ihr zudem bewusst, dass die Frage des vollendeten oder versuchten Eindringens im Hinblick auf eine strafrechtliche Bewertung der Tathandlung von Relevanz sei. Die Geschädigte habe - auch nach Rückfrage durch die Vernehmungsbeamtin - angegeben, dass der Finger des Angeklagten im Rahmen des 3. fraglichen Vorfalls nicht in sie eingedrungen sei, sondern dass der Angeklagte lediglich ein Eindringen versucht habe, welches die Zeugin - … durch eine Drehung mit ihrem Po habe verhindern können. Die Zeugin KHMin a.D. … war sich auch nach Rückfrage durch die Kammer sicher, dass sie die Wichtigkeit dieses Details damals erkannt und folglich eine diesbezügliche Nachfrage gestellt habe, wenngleich sie sich nicht mehr exakt an diesen Umstand der Vernehmung erinnern konnte.
115
Die Frage „Soll ich Eindringen?“ oder einen „bösen“ oder gar „herausfordernden Blick“ des Angeklagten in Zusammenhang mit dem 3. Vorfall habe die Zeugin - … ihr gegenüber nicht geschildert. Insgesamt habe die Zeugin damals sehr flüssig berichtet, weswegen die Vernehmung eher kurz gedauert habe. Sie habe nicht geweint und sei nicht aufgebracht gewesen. Vielmehr habe sie zurückhaltend und bedrückt gewirkt.
116
Die Zeugin - … führte im Rahmen ihrer eigenen Aussage in der aktuellen Hauptverhandlung allerdings aus, die damalige Vernehmungsbeamtin - die Zeugin KHMin a.D. … - habe zum einen im Rahmen der damaligen Vernehmung nicht nochmal nachgefragt, ob der Angeklagte mit seinen Finger auch eingedrungen sei, und zum anderen habe sie - die Geschädigte - ihr gegenüber nicht bloß den Versuch eines Eindringens sondern ein tatsächliches Eindringen geschildert.
117
Die Sachverständige Dr. … führte zu diesem Punkt im Rahmen ihrer mündlichen Gutachtenserstattung ebenfalls eine eingehende Analyse der von der Zeugin - … gemachten Angaben durch, auf welche an nachfolgender Stelle ausführlich eingegangen und an dieser Stelle nur Bezug genommen wird.
118
Letztlich fand die Kammer keine Anhaltspunkte, die Zweifel an den Angaben der Zeugin KHMin a.D. … begründeten. Die Zeugin benötigte zwar teilweise einen kurzen stützenden Vorhalt, was in Anbetracht der seit 2012 vergangenen Jahre nach Ansicht der Kammer nicht verwunderlich war, führte dann aber wieder frei und schlüssig aus ihren Erinnerungen aus. Ob die Nachfrage nach der Vollendung des Eindringens tatsächlich gestellt wurde oder durch ein (jederzeit mögliches und nur menschliches) Versehen der erfahrenen Kriminalbeamtin unterblieb, kann nach Einschätzung der Kammer letztlich dahinstehen, weil die Zeugin - … zeitweise selbst angab, sie habe dieses Detail zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung nicht präsent gehabt (vgl. hierzu die nachfolgend noch geschilderte Analyse der Sachverständigen Dr. …).
Ausführungen zu weiteren und bislang nicht erhobenen Tatvorwürfen
119
Zu weiteren sexuellen Übergriffen habe die Zeugin - … im November 2012 keine Angaben gemacht, sondern sie habe vielmehr berichtet, der 1. Vorfall sei im Jahr 2007 geschehen, so die Zeugin KHMin a.D. ….
120
Die Kammer fand auch insoweit keine Anhaltspunkte, welche Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin KHMin a.D. … begründeten. Trotz der langen Zeit, die seit November 2012 verging, konnte sich die Zeugin mit gelegentlichem stützendem Vorhalt des Vernehmungsprotokolls von damals schlüssig und detailreich zu den Angaben äußern, welche die Zeugin - … ihr gegenüber machte bzw. nicht machte.
(3) Angaben im Ermittlungsverfahren: Ermittlungsrichterliche Vernehmung vom 03.03.2014 am Amtsgericht … in …
121
Die Zeugin - … wurde am 03.03.2014 Amtsgericht … von RiAG - ermittlungsrichterlich vernommen und machte im Wesentlichen folgende Angaben, welche im Wege der Verlesung in die aktuelle Hauptverhandlung eingeführt wurden.
Schilderungen zum 1. Tatvorwurf der Anklage vom 02.10.2014
122
Der 1. Übergriff sei im Dezember 2007 bei den Großeltern in ... in … passiert. Dort habe ein Familienfest oder eventuell auch nur ein Treffen stattgefunden. Der Angeklagte und die Zeugin - … seien vorgefahren, die Mutter sei nachgekommen. Die Großeltern hätten dort in ihrem Schlafzimmer geschlafen, die Zeugin im direkt angrenzenden Nebenzimmer. Der Angeklagte habe im Wohnzimmer auf der Couch geschlafen.
123
Es sei abends gewesen, die genaue Uhrzeit wisse sie nicht, sie wäre aber bereits in ihrem Bett gelegen, als der Angeklagte das Zimmer, in welchem sie geschlafen habe, betreten habe. Er habe zu ihr gesagt, er wolle ihr etwas von ihrer leiblichen Mutter, die in Afrika lebe, erzählen. Dies sei ihr komisch vorgekommen, weil sie ihn ja gar nicht danach gefragt habe. Sie sei auf der Seite im Bett gelegen. Er habe sich dann neben sie gelegt. Er habe gesagt, er wolle ihr etwas über ihre leibliche Mutter erzählen.
124
Dann habe er angefangen, ihr über den Rücken und den Po zu streicheln. Sie habe ihn gefragt, was das solle. Er habe geantwortet, er wolle kuscheln. Er habe ihren Arm genommen und diesen über seinen Oberkörper gelegt. Sie sei dabei ruhig geblieben und habe von sich aus nichts unternommen. Er habe sie aufgefordert, dass sie ihn streicheln solle. Er habe unter ihr T-Shirt gefasst und ihre Brust gestreichelt. Sie wäre mit einem T-Shirt und einer Sportschlafhose bekleidet gewesen. Er habe auch ihre Brüste in den Mund genommen. Sie sei steif dagelegen und habe ihre Augen geschlossen gehalten. Sie sei schockiert gewesen und wie gelähmt. Er habe sich dann auf den Rücken gelegt und sie zu sich herübergezogen, sodass sie sich auf seinem Oberkörper befunden habe. Sie habe sich dann auf seinem Genital bewegen sollen, hierzu habe er sie aufgefordert. Sie habe darauf nicht reagiert und Angst gehabt. Er habe zunächst ein T-Shirt und seine Unterhose getragen. Das T-Shirt habe er ausgezogen, bevor er sie auf sich gezogen habe. Er habe seine Hand auf ihre Hüfte gelegt. In welcher genauen Position sie sich auf ihm befunden habe, könne sie nicht mehr genau sagen. Sie habe nicht gewusst, wie sie sich weiter verhalten solle.
125
Sie habe vergessen zu sagen, dass sie sein Genital auch habe anfassen müssen. Das sei noch gewesen, bevor er sie auf sich gezogen habe. Da habe er ihre Hand zwischen seine Beine geführt. Sie habe sein Genital deshalb kurz berührt. Es habe sich hart angefühlt. Sie habe ihre Hand dann weggezogen. Er habe die Hand erneut zu seinem Genital geführt.
126
Während sie nebeneinander gelegen seien, habe er sie auch zwischen ihren Beinen angefasst. Bereits relativ am Anfang habe er ihr ihre Hose ausgezogen. Er habe sie an ihrem Geschlechtsteil gestreichelt. Ob er ihr das T-Shirt auch irgendwann ausgezogen habe, wisse sie nicht mehr. Sie wisse aber noch, dass er ihr unter ihr T-Shirt gefasst habe. Auf Nachfrage durch den Ermittlungsrichter habe die Zeugin angegeben, der Angeklagte sei bei diesem Vorfall mit keinem seiner Körperteile in sie eingedrungen.
127
Irgendwann sei der Angeklagte dann aus dem Zimmer gegangen, wobei die Zeugin nicht mehr gewusst habe, ob sie vorher, als sie ja auf ihm gelegen habe, selbst von ihm runter gegangen sei oder er sie irgendwie zur Seite geschoben habe. Als er gegangen sei, habe er nichts weiter zu ihr gesagt. Wenn sie gefragt werde, ob ihr noch etwas konkretes einfalle, was sie zu ihm gesagt habe, so erinnere sie sich noch daran, dass ihn gefragt habe, was das solle. Ob sie gesagt habe, dass er damit aufhören solle, wisse sie nicht mehr. Sie habe dabei nicht viel geredet, aber viel gedacht. Sie habe nicht gewollt, dass ihre Großeltern, die nebenan gewesen wären, etwas mitbekämen. Sie habe auch Angst gehabt, dass er ihr weh tue.
128
Auf Nachfrage habe die Zeugin angegeben, dass dieser Vorfall im Dezember 2007 gewesen sei, was sie daraus schließe, dass sie noch wisse, dass sie damals 14 Jahre alt gewesen sei und die Sache im Winter passiert sei. Bevor sie zur Polizei gegangen sei, um dort eine Anzeige zu erstatten, habe sie mit ihrer Adoptivmutter hierüber gesprochen. Diese habe ihr geholfen, den Zeitpunkt genauer einzugrenzen.
Schilderungen zum 2. Tatvorwurf der Anklage vom 02.10.2014
129
Der 2. Vorfall habe sich im Februar 2008 in … ereignet. Es habe sich um eine kurze Situation gehandelt. Sie habe in dem Haus im Dachgeschoss ein eigenes Zimmer mit Badezimmer gehabt. Spät am Abend sei sie auf die Toilette gegangen. Als sie von der Toilette zurückgekehrt sei, sei der Angeklagte in ihrem Zimmer gestanden. Er sei mit einer kurzen Hose und einem T-Shirt bekleidet gewesen. Sie selbst habe ein T-Shirt und eine Unterhose angehabt.
130
Er habe sie umarmt und dabei fest an sich gedrückt. Er habe gesagt, er wolle ihr gute Nacht sagen. Sie habe die Umarmung nicht erwidert. Er habe dann die Hand auf ihre Brust gelegt, sie meine auf ihr T-Shirt. Wenn ihr vorgehalten werde, dass sie bei der Polizei gesagt habe, dass er unter ihr Schlafshirt gefasst und ihre Brüste gestreichelt habe, so könne sie das nicht ausschließen. Sicher sei sie sich dabei, ob er seine Hand auf oder unter ihr T-Shirt gelegt habe, nicht. Sie wisse aber sicher, dass er seine Hand auf ihre Brust gelegt habe. Er habe in diesem Moment auch gesagt, sie solle ihrer Mutter davon nichts erzählen. Diese Situation habe sich schnell geändert, da in diesem Moment ihre Mutter nach Hause gekommen sei. Diese habe im Flur das Licht angemacht. Ihre Zimmertür sei zwar geschlossen gewesen, allerdings falle durch ein Fenster in ihrem Zimmer ein Lichtschein, wenn im Flur das Licht eingeschaltet werde. Der Angeklagte sei dann schnell aus dem Zimmer gegangen. Seine Aufforderung, der Mutter nichts zu erzählen, sei erfolgt, bevor sie bemerkt habe, dass diese gerade nach Hause gekommen sei. Während dieses Vorfalls seien auch ihre Geschwister zu Hause gewesen. Diese hätten allerdings bereits in ihren Zimmern in der 2. Etage geschlafen. Auf Nachfrage gebe sie an, dass dieser Vorfall sich im Februar 2008 ereignet habe. Dies mache sie hieran fest, dass seit dem 1. Vorfall nur eine kurze Zeitspanne vergangen sei.
Schilderungen zum 3. Tatvorwurf der Anklage vom 02.10.2014
131
Der 3. Übergriff habe im Mai 2008 stattgefunden. Der Angeklagte und sie seien allein zu Hause gewesen. Die Mutter sei mit den Geschwistern für ein paar Tage woanders gewesen. Es sei abends gewesen und sie habe bereits im Bett gelegen. Sie habe noch eine Lampe angehabt. Sie sei mit einem T-Shirt und einer Unterhose bekleidet gewesen. Der Angeklagte, der auch mit einem T-Shirt und einer Unterhose bekleidet gewesen sei, sei in ihr Zimmer gekommen und habe sich wieder zu ihr ins Bett gelegt.
132
Er habe zu ihr gesagt, er wolle kuscheln. Er habe sie am ganzen Körper gestreichelt, auch zwischen den Beinen. Er habe sie auch an der Brust angefasst. Ob es sie zuerst am Rücken oder an der Brust berührt habe, wisse sie nicht mehr. Sie habe Angst gehabt. Sie hätte aber den Entschluss gefasst, dass sie sich dieses Mal wehren wolle. Sie habe versucht, ihren Körper anzuspannen. Er habe sie aufgefordert - und zwar in einem bösen Tonfall - ihre Beine auseinander zu machen. Nachdem sie dieser Aufforderung nicht nachgekommen sei, habe er ihre Beine auseinandergedrückt und ihr zwischen die Beine gefasst. Hierbei sei er mit einem Finger in ihr Genital eingedrungen. Das Eindringen habe schon etwas länger gedauert. Für sie habe es sich ewig angefühlt, ihrer Einschätzung nach hätten es schon 10-30 Sekunden sein können. Sie habe Angst und auch Schmerzen gehabt. Angst habe sie auch deshalb gehabt, weil außer ihnen niemand zu Hause gewesen sei.
133
Er habe auch ihre Hand genommen und sie in seine Unterhose geführt, welche er anbehalten habe. Sie habe ihre Hand weggezogen, er habe diese jedoch wieder dorthin geführt. Sie habe hierbei bemerkt, dass sein Geschlechtsteil hart gewesen sei.
134
Er habe sich dann auf sie gelegt. Sie habe ihre Arme über ihrer Brust verschränkt und die Augen geschlossen. Sie habe gehofft, dass er sich nicht ganz ausziehen und mit seinem Geschlechtsteil in sie eindringen würde. Seine Unterhose habe er weiterhin angehabt. Er habe mit seinem Becken Auf- und ab Bewegungen zwischen ihren Beinen gemacht, wobei sie seinen harten Penis gespürt habe. Ob er ihre Unterhose ausgezogen habe, wisse sie nicht mehr. Während er auf ihr gelegen habe, habe er auch versucht, sie auf den Mund zu küssen. Indem sie ihren Kopf zur Seite gedreht habe, habe sie dies jedoch verhindern können.
135
Irgendwann sei er aufgestanden und gegangen. Sie habe während des Vorfalls nicht mit ihm gesprochen. 1-2 Tage später habe sie einen Gesprächstermin bei ihrer Therapeutin gehabt. Hierbei habe es sich um das Gespräch gehandelt, bei welchem sie Frau … gefragt habe, wie man reagieren solle, wenn sich der Vater zu einem ins Bett lege. Aufgrund dieser zeitlichen Abfolge sei sie sich sicher, dass dieser Vorfall im Mai 2008 geschehen sei.
Ausführungen zu weiteren und bislang nicht erhobenen Tatvorwürfen
136
Im Rahmen der ermittlungsrichterlichen Vernehmung führte die Zeugin - … zudem aus, sie seien insgesamt 5 Geschwister, wobei sie die älteste und … die zweitälteste sei. … sei 3 Jahre jünger als sie selbst. Die Zeugin schilderte im Rahmen der Vernehmung, dass sie noch wisse, dass sie sich damals Gedanken dahingehend gemacht habe, dass sie hoffe, dass der Angeklagte so etwas nicht auch mit … mache. Davon, dass er mit ihr oder einem anderen der Geschwister so etwas tatsächlich gemacht habe, habe sie aber nichts mitbekommen.
(4) Angaben im Ermittlungsverfahren: Zweite polizeiliche Vernehmung am 10.02.2015 in …
137
Die Zeugin - … machte bei einer 2. polizeilichen Vernehmung am 10.02.2015 in … insbesondere folgende Angaben, welche im Wege der Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt wurden.
Ausführungen zu weiteren und bislang nicht erhobenen Tatvorwürfen
138
Die Zeugin - … habe zunächst einleitend angegeben, sie habe 2013 in … wegen Missbrauchs eine Anzeige gegen ihren Vater - den Angeklagten - gemacht. Ihr sei jetzt noch etwas eingefallen. Die Anzeige damals sei nur wegen ihr gewesen. Von ihrer Schwester … habe sie zu diesem Zeitpunkt noch gar nichts gewusst. Das sei erst jetzt im Dezember rausgekommen.
139
Als sie 1997 nach - gekommen sei, sei sie 3 Jahre alt gewesen und dann 4 Jahre alt geworden. Da habe es eine Zeit gegeben, in welcher sie nichts gegessen und sich nicht wohl gefühlt habe. Dieser Zustand sei aber nicht körperlich verursacht worden, sondern psychisch. Die Familie habe in … gewohnt und da habe sie zu einer Psychotante gemusst, deren Namen sei Frau - … gewesen. Sie sei Kindertherapeutin gewesen. Sie - die Zeugin - habe der Frau … spielerisch gezeigt, was ihr passiert sei. Das heiße, sie habe mit Puppen gespielt und einen sexuellen Akt gezeigt. Also hätten die schon gewusst, dass etwas nicht stimme. Das Problem sei nur gewesen, dass ihr Vater behauptet habe, dass das schon in Afrika passiert sei. Dies habe er aberr eigentlich gar nicht wissen können, weil er nicht dabei gewesen sei. Er sei er schon vorher in - gewesen und habe dort studiert. Sie meine deswegen, dass er dies nur behauptet habe, damit er nicht verdächtig erscheine. Aber als sie nach - gekommen sei, sei es ihr gut gegangen. Es habe erst kurz danach angefangen.
140
Auch im Kindergarten habe sie erzählt, dass ihr etwas Schlimmes passiert sei. Da sei sie schon ungefähr 2 Monate bei der Frau … in Behandlung gewesen. Der Kindergarten habe dies dem Jugendamt … gemeldet. Vielleicht sei dort auch noch etwas in den Akten. Der Grund, warum das fallen gelassen worden sei, sei, dass Frau … gesagt habe, dass es ihr schon in Afrika passiert sei.
141
Sie - die Zeugin - habe es also schon als kleines Kind zweimal (einmal bei Frau … und einmal im Kindergarten) erzählt.
142
Auf die Frage, woher sie das jetzt alles wisse, habe die Zeugin - … angegeben, sie habe immer diese Szene im Kopf, wo sie sich übergeben habe. Sie habe auch mit ihrer Mutter darüber gesprochen und immer nur die Aussage gehabt, dass ihr etwas in Afrika passiert sei, aber sie könne sich daran nicht erinnern. Jetzt wisse sie - die Zeugin - aber, dass ihr etwas passiert sein müsse. Keine 4-jährige wisse, wie der sexuelle Akt aussehe. Die Frage, ob die Tatsache, dass sie bei Frau … in Behandlung gewesen sei, aus ihren eigenen Erinnerungen komme, habe die Zeugin bejaht. Die Szene, als sie Frau … das mit den Puppen gezeigt habe, sei die einzige Erinnerung, die sie noch sehe. Das mit dem Jugendamt habe sie nicht mehr gewusst, das wäre auch erst ihrer Mutter wieder eingefallen.
143
Ihre Erinnerungen an die fraglichen Tathandlungen würden erst im Alter von 14 Jahren einsetzen. Es sei sein Fehler gewesen, dass er es noch mal gemacht habe.
144
Zu ihrer Schwester könne sie sagen, dass diese ihr im Dezember eine WhatsApp geschrieben und gemeint habe, sie könne sich an alles erinnern. Sie habe dann schon ihre Vermutungen gehabt und nachdem ihr ihre Schwester erzählt habe, was er mit ihr - der Schwester - gemacht habe, habe sie - die Zeugin - dieser sofort geglaubt. Ihre Schwester habe zu ihr gesagt, der Angeklagte habe gesagt, dass ihre Mutter sowieso nicht auf sie hören würde, weil sie nur auf ihn hören würde. Zu ihr - der Zeugin - habe er aber etwas anderes gesagt, nämlich nur, dass sie es nicht erzählen solle. Als er es bei ihrer Schwester gemacht habe, sei diese 5 oder 6 Jahre alt gewesen. Sie wisse aber nicht genau, was er mit ihr gemacht habe. Ihre Schwester spreche mit keinem so richtig darüber, nur ihrem Freund habe sie es einmal erzählt.
(5) Angaben im Hauptverfahren vor der 6. Strafkammer des Landgerichts Landshut im Jahr 2015
145
Die geschädigte Zeugin - … machte im Rahmen der 1. Hauptverhandlung am 18.08.2015 folgende Angaben, von denen der Zeuge ..., welcher damals der Vorsitzende der 6. Strafkammer des Landgerichts Landshut war, berichtete.
146
Die Zeugin - … habe ihm gegenüber 3 Vorfälle geschildert, so der Zeuge .... Der 1. Vorfall habe sich in ..., der 2. habe sich in … im Dachgeschosszimmer mit Bad und der 3. habe sich ebenfalls in … in dem entsprechenden Dachgeschosszimmer mit Bad zugetragen. Beim 3. Vorfall habe der Angeklagte sein Genital am Rücken der Zeugin gerieben und sei mit seinem Finger in ihre Scheide eingedrungen.
147
Die Zeugin habe ihm gegenüber ausgeführt, sie habe die Ereignisse bis zum Sommer 2012 mit sich herumgetragen.
148
Schilderungen zum 1. Tatvorwurf der Anklage vom 02.10.2014 Der 1. Vorfall sei bei den Großeltern in ... gewesen. Der Vater sei damals mit ihr allein zu den Großeltern vorgefahren. Sie seien dort am späten Nachmittag angekommen und hätten dann mit den Großeltern zu Abend gegessen. Nach Ansicht der Zeugin sei damals irgendeine Familienfeier geplant gewesen.
149
Abends hätten die Großeltern in ihrem Schlafzimmer geschlafen und die Zeugin - … im Zimmer daneben. Dort sei ein Einzelbett gewesen, bei dem man unten eine weitere Liegefläche habe herausziehen können. Der Vater habe in einem anderen Zimmer auf einer ausziehbaren Couch geschlafen.
150
Dann sei er plötzlich zu ihr ins Zimmer gekommen. Er habe sich erst zu ihr gesetzt und mit ihr geredet. Sie sei darüber verwundert gewesen. Der Vater habe behauptet, er wolle sich mit ihr über ihre leibliche Mutter unterhalten.
151
Dann habe er begonnen, sie anzufassen. Sie habe ihn gefragt, was das solle und er habe behauptet, er wolle nur mit ihr reden. Er habe einen Schlafanzug mit einer normalen Unterhose angehabt. Sie habe einen Schlafanzug mit einer kurzen Schlafanzughose angehabt. Sie habe auf der Seite gelegen. Er habe dann ihren Rücken und ihre Brust angefasst. Sie sei damals 14 Jahre alt gewesen und habe schon Schamhaare und Busen gehabt. Er habe ihr über den Rücken gestreichelt und die andere Hand auf die Brustwarze gelegt. Sie habe Angst gehabt, aber nicht gewusst, was sie machen solle. Er habe dann eine Brustwarze, aus ihrer Sicht gesehen die linke Brustwarze, in den Mund genommen und daran gesaugt. Das habe weh getan. Er habe dann gewollt, dass sie sich auf ihn setze. Das habe sie nicht gemacht. Er habe sie aber schließlich auf sich draufgesetzt. Er habe dann gewollt, dass sie sein Glied anfasse und habe dazu ihre Hand geführt. Sie habe sein Genital gespürt und habe ihre Hand schnell wieder weggezogen.
152
Sein Schlafshirt habe er ausgezogen gehabt und habe nur noch die Unterhose getragen. Ob er ihr in ihrer Schlafanzughose gefasst habe, habe die Zeugin nicht mehr sagen können, so der Zeuge ....
153
Sie habe geschildert, dass sie den Eindruck gehabt habe, das Ganze habe ewig gedauert. Schließlich sei der Angeklagte gegangen.
154
Am nächsten Tag sei dann ihre Mutter mit den Geschwistern auch zu den Großeltern gekommen, als sie gerade beim Frühstück gesessen seien.
Schilderungen zum 2. Tatvorwurf der Anklage vom 02.10.2014
155
Der 2. Vorfall sei 2008 im damaligen Haus der Familie in … geschehen. In diesem Haus habe die Zeugin ihren eigenen Angaben nach ein Zimmer im Dachgeschoss bewohnt, welches eine eigene Toilette gehabt habe. Sie sei damals allein mit dem Angeklagten im Haus gewesen.
156
Es sei Winter gewesen. Sie sei abends auf der Toilette gewesen und habe gerade zurück in ihr Bett gewollt, als der Angeklagte plötzlich in ihr Zimmer gekommen sei. Er habe sie umarmt und gestreichelt und seine Hand auf ihrer Brust gelegt. Dies sei alles geschehen, während die beiden noch im Zimmer gestanden seien. Sie habe damals ein T-Shirt getragen. Im Rahmen der Hauptverhandlung habe sich die Zeugin nicht mehr erinnern können, ob der Angeklagte sie unter oder über dem T-Shirt berührt habe. Plötzlich sei die Mutter nach Hause gekommen und der Vater - der Angeklagte - habe aufgehört und zu ihr - der Zeugin - … - gesagt, dass die Mutter von dem hier nichts erfahren dürfe. Nach den Angaben der Zeugin habe die Mutter beim nach Hause kommen einen Poncho getragen. Dieser Vorfall seit in etwa 3-4 Monate nach dem 1. Vorfall gewesen.
Schilderungen zum 3. Tatvorwurf der Anklage vom 02.10.2014
157
Es sei dann noch zu einem 3. Vorfall gekommen, der sich ebenfalls in … in dem Zimmer im Dachgeschoss abgespielt habe. Sie sei wieder mit dem Angeklagten allein zu Hause gewesen, habe die Zeugin gegenüber dem Zeugen ... angegeben. Die Mutter und die Geschwister seien nicht zu Hause gewesen. Der Vorfall habe sich nach ihrer Rückkehr von einer Romreise, die sie mit einer christlichen Jugendgruppe gemacht habe, zugetragen.
158
Die Zeugin habe berichtet, sie sei schon im Bett gewesen. Da sei der Angeklagte zu ihr hoch ins Zimmer gekommen und habe sich zu ihr ins Bett gelegt. Sie sei damals entschlossen gewesen, sich diesmal zu wehren. Er habe gewollt, dass sie ihm zwischen die Beine fasse und er habe versucht ihr zwischen die Beine zu fassen. Sie habe die Beine dann fest zusammengedrückt. Er habe ihre Beine aber auseinandergedrückt und sie im Genitalbereich angefasst. Dann habe er sich auf sie gelegt und sein Genital auf ihrem Rücken hin- und herbewegt. Sie habe sich steif gemacht und die Arme verschränkt. Er habe auch versucht, sie zu küssen, was sie aber dadurch verhindert habe, dass sie das Gesicht weggedreht habe.
159
Außerdem sei er mit dem Finger in sie eingedrungen. Schließlich sei er wieder gegangen. Ihrer Erinnerung nach sei einen Tag später die Mutter wieder heimgekommen und ungefähr einen weiteren Tag später habe sie - die Zeugin - dann in einer Therapiestunde ihre Psychotherapeutin Frau … gefragt, was man tun könne, wenn sich der Vater zu einem ins Bett lege. Im Einzelnen habe sie damals gegenüber der Therapeutin aber nicht erzählt, was alles vorgefallen sei.
160
Dass der Angeklagte bei dem 3. Vorfall tatsächlich mit dem Finger in sie eingedrungen sei, habe sie bei der Anzeigenerstattung in … nicht mehr so deutlich in Erinnerung gehabt, habe die Zeugin gegenüber dem Zeugen ... auf Vorhalt erklärt. Sie habe sich nach der Anzeigeerstattung im November 2012 aber noch weiter Gedanken darüber gemacht und bei der nächsten Vernehmung in … - die vor dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts … - habe sie sich dann ganz deutlich daran erinnert, dass der Angeklagte tatsächlich mit dem Finger in sie eingedrungen sei. Es stimme, dass sie bei der Anzeigenerstattung in … noch gesagt habe, er habe lediglich versucht, mit dem Finger in sie einzudringen. Später sei dann aber die detaillierte Erinnerung gekommen, dass er tatsächlich mit dem Finger in sie eingedrungen sei.
161
Sofern der Angeklagte behaupte, er habe sich einmal zu ihr ins Bett gelegt und habe ihr Fotos von ihrer leiblichen Mutter aus Afrika gezeigt, so sei dies nie vorgekommen, habe die Zeugin - … ferner angegeben.
Ausführungen zu weiteren und bislang nicht erhobenen Tatvorwürfen
162
Dass er ihrer Schwester … etwas angetan habe, habe sie nie unmittelbar mitbekommen, habe die Zeugin - … des Weiteren im Hauptverfahren aus dem Jahr 2015 geschildert. Diese habe ihr aber jetzt gesagt, dass sie sich zum jetzigen Zeitpunkt an etwas erinnere. Details habe ihr … jedoch nicht erzählt.
163
Wie der Zeuge ... weiterhin ausführte, sei auch ... damals als Zeugin von der Kammer angehört worden. Diese habe allerdings keine detailreichen Angaben gemacht und sich schließlich nicht mehr imstande gesehen, über etwaige Vorgänge gegenüber der Kammer zu berichten. Sie habe lediglich noch angegeben, dass die entsprechenden „Bilder“ ihr ganz plötzlich im Herbst 2014 erschienen seien.
164
Soweit die Zeugin - … sich zu Vorgängen aus ihrer Kindheit in … geäußert habe, habe sie diese nicht auf der Grundlage eigener Erinnerungen geschildert, sondern aus Erzählungen ihrer Mutter - der Zeugin - - - gezogen, habe die Zeugin im Rahmen der Hauptverhandlung ferner angegeben.
165
Die Kammer fand keine Anhaltspunkte, die Zweifel an der schlüssigen Aussage des damaligen Vorsitzenden der 6. Strafkammer des Landgerichts Landshut begründeten. Seine Ausführungen zu den Erkenntnissen der damals durchgeführten Beweisaufnahme waren vielmehr umfassend, detailreich und frei von Widersprüchen.
(6) Angaben im Hauptverfahren vor der 4. Strafkammer des Landgerichts Landshut im Jahr 2018
166
Die Zeugin - … machte im Rahmen der 2. Hauptverhandlung am 17.10.2018 vor der 4. Strafkammer des Landgerichts Landshut folgende Angaben, die der damalige Vorsitzende der 4. Strafkammer - der Zeuge - - - im Rahmen der aktuellen Hauptverhandlung wiedergab.
Schilderungen zum 1. Tatvorwurf der Anklage vom 02.10.2014
167
Das 1. Mal sei es im Hause der Großeltern passiert, so habe die Zeugin im Oktober 2018 geschildert. Sie sei mit ihrem Vater vorausgefahren und man sei abends dort angekommen. Ihre Mutter und ihre Geschwister seien erst am nächsten Tag nachgekommen. Warum dies so gewesen sei, wisse sie nicht. Sie meine, dass der Vorfall im Dezember 2007 vor dem Geburtstag ihrer Großmutter gewesen sei, die am 21. Dezember Geburtstag habe. Diesen Umstand habe sie sich zusammen mit ihrer Mutter - der Zeugin - - - erschlossen. Es könne aber auch September bzw. Oktober 2007 gewesen sein. Sie sei sich jedenfalls sicher, dass sie damals 14 Jahre alt gewesen sei. Sie meine außerdem, dass es draußen schon kalt gewesen sei, könne sich aber nicht an Schnee erinnern.
168
Sie habe im Zimmer neben den Großeltern im oberen Stockwerk geschlafen. Es sei ein Bett mit Matratze zum unten rausziehen gewesen. Der Angeklagte habe seinen Schlafplatz im Wohnzimmer im Erdgeschoss gehabt. Man habe sich schon gute Nacht gesagt und sie sei bereits im Bett gelegen und mit einem T-Shirt sowie einer Unterhose bekleidet gewesen.
169
Sie sei auf dem Rücken in ihrem Bett gelegen und habe noch nicht geschlafen. Ihr Vater sei dann ins Zimmer gekommen und habe als Vorwand angegeben, dass er mit ihr über ihre leibliche Mutter sprechen wolle. Ihr Vater habe ein T-Shirt und eine kurze Hose angehabt. Sie sei auf der Seite mit dem Gesicht zu ihm gelegen. Er habe angefangen, ihr über Rücken und Po zu streicheln. Sie habe ihn gefragt, was das solle. Er habe geantwortet, dass er kuscheln wolle.
170
Er habe dann angefangen, ihr ihre Hose und ihr T-Shirt auszuziehen. Er habe sie mit einer Hand zwischen den Beinen im Vaginalbereich angefasst. Dies sei unter der Hose gewesen. Auch habe er ihr T-Shirt so weit hochgeschoben, dass ihre Brüste frei gewesen seien. Er habe dann ihre Brüste in den Mund genommen und daran gesaugt. Dabei sei er neben ihr gelegen und habe sie rücklings hingelegt.
171
Er habe dann gewollt, dass sie seinen Penis anfasse. Dies habe sie nicht gemacht. Er habe daher ihre Hand genommen und unter seine Hose an sein erigiertes Glied geführt. Sie habe Angst vor ihm gehabt. Sie habe schon gewusst, dass ihre Großeltern im Zimmer nebenan schliefen, allerdings habe sie nicht gewusst, wie er reagieren würde, wenn sie um Hilfe schreien würde. Sie habe auch befürchtet, dass er sie schlagen werde.
172
Er habe gewollt, dass sie sich auf seinen Unterleib setze, was sie aber nicht gemacht habe. Auf dem Rücken liegend habe er sie bäuchlings auf sich drauf gezogen und dann Bewegungen mit seinem Unterleib ausgeführt. Dabei habe er sein Glied an ihr gerieben. Schließlich habe er dann einfach aufgehört und sei wortlos aus dem Zimmer gegangen. Sie habe niemandem davon erzählt. Sie habe nicht gewollt, dass es zwischen ihren Eltern Streit gebe. Sie habe nicht an deren Trennung schuld sein wollen. Außerdem habe sie auch Angst vor ihrem Vater gehabt.
Schilderungen zum 2. Tatvorwurf der Anklage vom 02.10.2014
173
Ein 2. Mal sei es in dem Haus in der - Straße in … passiert. Sie glaube, es sei etwa Februar 2008 gewesen. Sie wisse sicher, dass sie 14 Jahre alt gewesen und dies einige Zeit nach dem 1. Vorfall gewesen sei. Sie habe damals im Dachgeschoss ihr Zimmer gehabt. Zunächst habe sie dort allein geschlafen, später sei auch ihr Bruder - mit in das Zimmer gezogen. In dem Dachgeschoss Zimmer sei auch ein kleines Bad mit Toilette abgeteilt gewesen.
174
An dem betreffenden Abend sei ihre Mutter nicht zu Hause sondern auf einer kirchlichen Veranstaltung in … gewesen. Auch ihr Bruder - sei dort gewesen. Sie vermutete, dass auch ihre Schwester … dort gewesen sei. Sie sei jedenfalls der Meinung, dass sie allein mit dem Angeklagten zu Hause gewesen sei. Dieser sei zu ihr ins Dachgeschoss gekommen, als sie gerade von der Toilette zurück in ihr Bett habe gehen wollen.
175
Er habe sie stehend umarmt, was sie nicht erwidert habe. Er habe ihr dann über ihre Brüste gestreichelt und diese auch leicht geknetet. Sie könne heute nicht mehr sagen, ob er auch über den Po gestreichelt habe. Dies könne schon sein. Sie glaube, dass er ihre Brüste über dem T-Shirt und nicht darunter gestreichelt habe. Genau wisse sie das aber nicht mehr. Dabei habe er zu ihr - zu einem dem Zeugen - - nicht mehr erinnerlichen Zeitpunkt - gesagt, dass sie der Mutter nichts sagen solle. Ihr Zimmer habe ein dreieckiges Fenster zum Treppenhaus gehabt. Dadurch habe sie bemerkt, dass ihre Mutter heimgekommen sei, weil Licht im Treppenhaus angemacht worden sei. Auch der Angeklagte habe dies bemerkt und sofort von ihr abgelassen und sei aus dem Zimmer gegangen. Er sei dann auch schnell die Treppe hinuntergegangen.
176
Auch bei diesem Vorfall habe sie ein T-Shirt und eine Unterhose und der Angeklagte ein T-Shirt und eine kurze Hose getragen.
Schilderungen zum 3. Tatvorwurf der Anklage vom 02.10.2014
177
Es habe noch eine 3. Situation gegeben, als sie noch 14 Jahre alt gewesen sei. Diese habe sich im Mai 2008 zugetragen. Sie sei damals bei Frau … in Therapie gewesen, habe die Zeugin - … ihm - dem Zeugen - - - gegenüber berichtet.
178
Sie sei wieder in dem bereits erwähnten Dachgeschosszimmer in der - Straße gewesen. Er sei abends gewesen und die anderen Geschwister seien nicht zu Hause gewesen. Es sei schon spät gewesen und sie habe ihre Nachttischlampe angehabt. Sie habe ein T-Shirt und eine Unterhose getragen und sei rücklings in ihrem Bett gelegen.
179
Der Angeklagte sei dann hereingekommen. Er habe eine kurze Hose und ein T-Shirt getragen. Sie habe sofort gedacht „Nicht schon wieder!“. Sie habe sich vorgenommen, sich dieses Mal zu wehren. Sie habe ihren ganzen Körper angespannt und ihre Beine geschlossen gehalten. Er habe sie dann in einem bösen Unterton gefragt, ob er in sie eindringen solle. Sie habe nur den Kopf geschüttelt und sich ganz steif gemacht. Dabei habe sie ihre Hände an ihre Oberschenkel gepresst. Er habe in einem bösen und gefährlichen Ton gesagt, dass sie die Beine auseinander machen solle. Das habe sie aber nicht getan. Er habe ihr dann aber mit seiner Kraft die Beine mit beiden Händen auseinandergedrückt. Er sei ihr körperlich überlegen gewesen. Er habe sie anschließend mit einer Hand zwischen den Beinen unter der Unterhose angefasst. Die Hose habe er nicht ausgezogen, sondern zur Seite geschoben. Er sei dann mit einem Finger in die ihre Scheide eingedrungen. Das habe ihr weh getan. Er sei für sie gefühlt sehr lange in ihrer Scheide geblieben. Er habe dann seinen Finger wieder herausgezogen. Mit dem Finger in der Scheide ausgeführte Bewegungen habe die Zeugin ihm gegenüber nicht geschildert, so der Zeuge - -.
180
Anschließend habe der Angeklagte sich bäuchlings auf die Zeugin gelegt und seine Hüften wie beim Geschlechtsakt bewegt. Seine Hose und Unterhose habe er aber angelassen. Sie habe gespürt, dass sein Penis erigiert gewesen sei. Er habe auch wieder ihre Brüste gestreichelt bzw. geknetet und ihr hierzu das T-Shirt hochgeschoben. Auf einmal habe er von ihr abgelassen und das Zimmer wortlos verlassen.
181
Sie habe dann am nächsten oder übernächsten Tag, als sie bei Frau … wieder eine Therapiesitzung gehabt habe, diese gefragt, was man tun könne, wenn sich der Vater zu einem ins Bett lege.
Ausführungen zu weiteren und bislang nicht erhobenen Tatvorwürfen
182
Wie der Zeuge - - im Rahmen der Hauptverhandlung zudem ausführte, habe die Zeugin im Rahmen der Hauptverhandlung aus dem Jahr 2018 ausgeführt, sie wisse noch, dass sie als Kleinkind in … bei einer Psychologin gewesen sei. Hieran habe sie nur schemenhaft Erinnerungen. Nach dem Laufe der letzten Jahre meine sie jetzt aber, dass der Angeklagte sie auch schon im jüngsten Alter missbraucht habe. Konkrete Erinnerungen aus ihrer Kindheit habe die Zeugin im Rahmen der damals durchgeführten Beweisaufnahme allerdings nicht benennen können.
183
Die Kammer fand keine Anhaltspunkte, die Zweifel an der schlüssigen Aussage des damaligen Vorsitzenden der 4. Strafkammer des Landgerichts Landshut begründeten. Seine Ausführungen zu den Erkenntnissen der damals durchgeführten Beweisaufnahme waren vielmehr umfassend, detailreich und frei von Widersprüchen.
(8) Aussagepsychologisches Gutachten der Sachverständigen Dr. …
184
Die Kammer stütze sich ergänzend zu den ohnehin bereits selbst gewonnenen Erkenntnissen bezüglich der Abweichungen in den verschiedenen Vernehmungen der Zeugin bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin - … maßgebend auf die Einschätzung der Sachverständigen Dr. …, deren (schriftliche und mündliche) gutachterliche Schilderungen die Kammer einer eigenen wertenden Betrachtung unterzog, bevor sie sich den schlüssigen und widerspruchslosen Ausführungen der Sachverständigen vollumfänglich anschloss.
185
Die Sachverständige Dr. … ist Diplom-Psychologin, Fachpsychologin für Rechtspsychologie BDP / DGPs, öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für forensische Psychologie, psychologische Psychotherapeutin und forensische Sachverständige für Glaubhaftigkeitsbegutachtung (PTK). Sie ist der Kammer bereits seit mehreren Jahren als gewissenhaft arbeitende Gutachterin bekannt.
Gerichtliche Fragestellung
186
Am 06.04.2020 beauftragte die 1. Strafkammer des Landgerichts Landshut die Sachverständige in der vorliegenden Strafsache damit, ein aussagepsychologisches Gutachten zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Erwachsenen Zeugin - … zu erstellen.
187
Mit Schreiben vom 15.05.2020 teilte die Zeugin der Sachverständigen zunächst mit, sie wolle in dem Verfahren keine weiteren Angaben machen und stehe auch für eine Begutachtung nicht zur Verfügung.
188
Die Sachverständige legte daher am 17.10.2020 eine ausführliche aussagepsychologische Stellungnahme nach Aktenlage vor.
189
Am 04.01.2021 wurde der Sachverständigen schließlich durch die Zeugin mitgeteilt, dass diese sich überraschend dazu bereit erkläre, nun doch an einer Exploration mitzuwirken.
190
Der Begutachtungstermin mit der Zeugin fand schließlich am 07.05.2021 in den Räumen des Rechtspsychologischen Zentrums … (RZP) statt.
191
Die Sachverständige legte ihr schriftlich ausgearbeitetes Gutachten vom 18.06.2021 am 21.06.2021 bei Gericht vor.
192
Sie war ferner während der Hauptverhandlung anwesend und erstattete hier ihr Gutachten unter Einbeziehung der Erkenntnisse aus der durchgeführten Beweisaufnahme mündlich.
Theorie der Glaubhaftigkeitsbegutachtung
193
Zum besseren Verständnis ihrer Schlussfolgerungen stellte die Sachverständige zunächst den theoretischen Hintergrund und das Vorgehen im Rahmen der Glaubhaftigkeitsbegutachtung in Grundzügen dar.
194
Grundsätzlich gehe ein aussagepsychologisches Gutachten der Frage nach, ob für eine Zeugenaussage zu einem bestimmten Ereignis mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne, dass diese auf einem realen Erlebnishintergrund basiere, oder ob sich unter Berücksichtigung bestimmter Kompetenzmerkmale des Zeugen sowie der Entstehungsbedingungen der Aussage eine Erlebnisfundierung nicht mit ausreichender Sicherheit belegen lasse.
195
Der Bundesgerichtshof habe im Jahr 1999 in einer wegweisenden Entscheidung Mindeststandards für aussagepsychologische Begutachtungen formuliert (BGH, Urteil vom 30.07.1999, Az. StR 618/98). Hierbei sei zunächst im Grundsatz die Auffassung der wissenschaftlich begründeten Aussagepsychologie, dass die Glaubhaftigkeit einer Aussage wesentlich stärker von situativen Faktoren als von der Persönlichkeit des Zeugen determiniert werde, bestätigt worden. Der BGH habe sich insofern von der früheren Fokussierung auf Persönlichkeit und Leumund des Zeugen als Gradmesser der persönlichen Glaubwürdigkeit distanziert.
196
Dementsprechend würden sich für die wissenschaftlich fundierte Glaubhaftigkeitsdiagnostik die Analyse der Aussagepersönlichkeit (Beurteilung der Aussagetüchtigkeit und der aussagerelevanten Kompetenzmerkmale des Zeugen), die Analyse der Aussagegenese (Beurteilung der Aussagevalidität bzw. Zuverlässigkeit der Aussage) und die Analyse der Aussagequalität (Beurteilung der inhaltlichen Qualifizierung der Aussage in Relation zu den erhobenen Kompetenzmerkmalen) als zentrale Bereiche darstellen.
197
Wie die Sachverständige im Rahmen der Hauptverhandlung schilderte, werde anhand der vorgenannten Kriterien in einem 3-stufigen Verfahren vorgegangen. Zunächst werde die Aussagetüchtigkeit anhand einer Kompetenzanalyse überprüft. Sofern diese zu bejahen sei, werde die Aussagevalidität untersucht. Sofern diese wiederum zu bejahen sei, werde eine inhaltliche Qualitätsanalyse vorgenommen.
198
Unter dem Aspekt der Aussagevalidität müssten mögliche verzerrende Einflüsse auf die Zeugenaussage eruiert werden. Als mögliche die Aussagevalidität einschränkende Faktoren kämen zum Beispiel potentiell suggestiv wirkende Befragungen im Rahmen der Aussagegenese, Hinweise für autosuggestive Prozesse im Zuge der Aussagenentstehung, potentielle Falschbelastungsmotivationen, Besonderheiten der Aussageperson (beispielsweise die Aussagetüchtigkeit tangierende Belange) oder auch eine schwankende Aussagemotivation und Aussagebereitschaft des Zeugen in Betracht.
Anknüpfungstatsachen laut Aktenlage
199
Der Sachverständigen seien die Ermittlungsakte im Verfahren mit dem Aktenzeichen 1 KLs 401 Js 585/13 (Blatt 1-1246) sowie die dazugehörigen Sonderhefte „Lichtbilder“, „familiengerichtliche Unterlagen“ und „Aussagepsychologisches Gutachten …, …“ vorgelegt worden. Ferner seien der Sachverständigen die Akten der Verfahren 401 Js 16248/15 (Ermittlungen gegen den Angeklagten wegen fraglichen sexuellen Missbrauchs der Tochter ...) und 401 Js 22142/15 (Ermittlungen gegen den Angeklagten wegen fraglichen sexuellen Missbrauchs der Tochter ...) übersandt worden.
200
Die Sachverständige habe die Akten nach eigenen Angaben vollständig rezipiert und anhand der begutachtungsrelevanten Inhalte sowie der bisherigen Angaben der Zeugin - … die nachfolgend geschilderte aussagepsychologische Hypothesenbildung vorgenommen.
Fallspezifische Untersuchungshypothesen
201
Grundsätzlich werde bei der aussagepsychologischen Begutachtung analog zu wissenschaftlichen Untersuchungen zunächst davon ausgegangen, dass der zu prüfende Sachverhalt (in diesem Fall der Erlebnisbezug der Aussage der Zeugin - …) nicht gegeben sei. Dieses Negationsprinzip sei nach Auffassung des BGH (aaO.) die aufgrund der Unschuldsvermutung gebotene Vorgehensweise.
202
Für die Begutachtungssituation bedeute dies nicht, dass gegenüber dem Zeugen in der Exploration direkt Misstrauen oder Ungläubigkeit artikuliert werde. Es bedeute aber, dass die Gutachter aufgrund der zur Verfügung stehenden Informationen Möglichkeiten in Betracht ziehen müssten, wie die Aussage abseits eines realen Erlebnishintergrundes zustande gekommen sein könnte. Aufgrund des Aktenstudiums und gegebenenfalls ergänzend im Laufe der Begutachtung müssten entsprechende fallspezifische Hypothesen aufgestellt und diese im Rahmen der Exploration des Zeugen geprüft werden. Aus diesem Grund sei es auch unerlässlich, dass eine eigene aussagepsychologische Exploration durch den Sachverständigen erfolge, da dieser hypothesengeleitete Prozess nicht durch Vernehmungen durch die Polizei oder das Gericht ersetzt werden könne.
203
In der Wissenschaft würden in diesem Zusammenhang verschiedene Kategorien von Falschaussagen, nämlich die absichtlichen Falschaussagen und die unbeabsichtigten Falschaussagen, welche auf Erinnerungsfehlern basieren würden, unterschieden. Entsprechende Erinnerungsfehler seien beispielsweise Fremdbeeinflussungen, welche vom Zeugen übernommen und subjektiv für wahr gehalten würden, ferner die Ausbildung von Pseudoerinnerungen aufgrund autosuggestiver Prozesse, zudem der unabsichtliche falsche Transfer eines Erlebnisses oder einer sonstigen Wahrnehmung auf den Beschuldigten oder eine eingeschränkte bzw. aufgehobene Fähigkeit, zwischen Fantasieprodukt und Realität zu unterscheiden.
204
Ausgangspunkt für die verfahrensgegenständliche Begutachtung sei die Nullhypothese H0, die besage, dass für die Angaben der Zeugin - … keine Erlebnisfundierung in Bezug auf das inkriminierte Geschehen angenommen werden könne. Diese Nullhypothese lasse sich fallspezifisch wie folgt ausdifferenzieren:
205
Hypothese 01: Die Angaben der Zeugin seien das Produkt autosuggestiver Prozesse bzw. Überformungen ursprünglich vorhandener Gedächtnisinhalte. Aus den Akten habe sich ergeben, dass sich die Zeugin schon im Mai 2008 gegenüber ihrer damaligen Psychotherapeutin so geäußert habe, der Vater habe sich zu ihr ins Bett gelegt. Jedoch sei in diesem Zusammenhang nicht von konkreten sexuellen Übergriffen die Rede gewesen. Erst im Jahr 2012 habe die Zeugin ihre Mutter gegenüber geäußert, dass noch „mehr“ vorgefallen sei und dass der Angeklagte sie „angefasst“ habe. In der Folge hätten die Mutter und die Zeugin mehrere Gespräche geführt, bis die Zeugin schließlich am 23.11.2012 Anzeige erstattet habe. Es komme daher in Betracht, dass der Angeklagte sich tatsächlich auch unangemessen gegenüber der Zeugin verhalten habe und dass es zu unerwünschten Berührungen gekommen sei, die jedoch nicht über das anfangs geschilderte In-den-Armnehmen hinausgegangen seien. Hinzu würden Aussageerweiterungen dahingehend kommen, dass im Rahmen der Anzeigeerstattung ein etwaiges Eindringen mit dem Finger nicht von der Zeugin berichtet worden sei. Hierzu habe sie im Rahmen der 1. Hauptverhandlung angegeben, ihr sei dies erst nach längerem Nachdenken bewusst geworden.
206
Ferner komme es in Betracht, dass die Zeugin Einschränkungen in der Realitätskontrolle bzw. eine eingeschränkte Erinnerungskritik aufweise und insofern Pseudoerinnerungen an das vermeintliche inkriminierte Geschehen entwickelt habe. Es sei daher zu prüfen, ob unter diesen Voraussetzungen die Aussagevalidität als ausreichend gewahrt angesehen werden könne.
207
In diesem Zusammenhang müsse zunächst auf der Kompetenzebene geprüft werden, wie es um die Realitätskontrolle und das Quellenidentifikationsvermögen der Zeugin bestellt sei und inwiefern sie dazu in der Lage sei, fallneutrale Begebenheiten aus dem fraglichen Tatzeitraum realitätsangemessen zu schildern. Darüber hinaus müssten die Aussagegenese und die inhaltliche Aussagenentwicklung auf Hinweise für autosuggestiver Prozesse geprüft werden, indem der generelle Erinnerungsprozess der Zeugin an das inkriminierte Geschehen erfragt werde.
208
Hypothese 02: Die Zeugin habe die von ihr vorgetragenen Angaben frei erfunden. Die Zeugin beschreibe ein schwieriges Verhältnis zum Angeklagten, der sie in Afrika und auch später in - öfter geschlagen haben solle. Zudem sei die Ehe der Eltern von Konflikten geprägt gewesen und es sei wiederholt zu Trennungsversuchen und anschließenden Versöhnungen gekommen. Möglicherweise habe die Zeugin ihre Angaben vorgebracht, um ihre Adoptivmutter in der Konfliktsituation 2012 dazu zu bewegen, die Trennung vom Angeklagten endgültig zu vollziehen und beizubehalten. Hinzu komme, dass die Mutter Mitglied der katholischen Fokolar-Bewegung gewesen sei und später ihre Ehe mit dem Beschuldigten kirchenrechtlich habe annullieren lassen wollen. Es komme in Betracht, dass die Zeugin die Adoptivmutter mit einer erfundenen Aussage hierbei unterstützen bzw. ihr eine Begründung für die Trennung habe liefern wollen, die eine solche für die Mutter vor dem Hintergrund ihres katholischen Glaubens habe legitimieren sollen.
209
Daneben würden Motivationslagen in Betracht kommen, die in der Person der Zeugin begründet lägen, beispielsweise ein Bedürfnis nach Zuwendung und Aufmerksamkeit, oder der Wunsch, sich am Angeklagten wegen der berichteten Misshandlungen zu rächen.
210
Zur Überprüfung dieser Hypothese diene die merkmalsorientierte Inhaltsanalyse der Belastungsaussage vor dem Hintergrund der Kompetenzanalyse und der Betrachtung der Aussagevalidität.
211
Hypothese 03: Die Angaben der Zeugin würden auf fremdsuggestive Beeinflussung zurückgehen. Hier würden Gespräche zwischen der Mutter und der Zeugin in Betracht kommen, die diese im Zeitraum zwischen der Einlassung der Zeugin gegenüber der Adoptivmutter im Sommer 2012 und der Anzeigeerstattung im November 2012 geführt hätten. Es falle auf, dass die Zeugin auch in ihren Aussagen mehrmals auf Gespräche bzw. einen Austausch mit der Mutter Bezug nehme und in ihrer 2. polizeilichen Vernehmung unter anderem auch davon ausgehe, sie sei schon als Kind vom Angeklagten sexuell missbraucht worden. Zudem ergebe sich aus der aussagepsychologischen Begutachtung der Angaben der jüngeren Schwester der Zeugin - der ... -, dass suggestive Prozesse beim Zustandekommen der Angaben nicht von der Hand hätten gewiesen werden können. Auch im 1. Gerichtsurteil werde beschrieben, dass die Mutter subjektiv davon überzeugt sei, dass der Angeklagte alle seine Töchter missbraucht habe, wobei die Söhne hätten zusehen müssen. Als „Belege“ würden jedoch vornehmlich Verhaltensauffälligkeiten der Kinder angeführt, die per se jedoch keinen Rückschluss auf das Vorliegen eines sexuellen Missbrauchs zulassen würden. Vor diesem Hintergrund könne die Adoptivmutter auch die Zeugin suggestiv beeinflusst haben.
212
Diese Hypothese müsse im Rahmen der Rekonstruktion der Aussagegenese geprüft werden.
213
Hypothese 04: Die Hypothese 04 lege wiederum eine intentionale Falschaussage der Zeugin zugrunde. Hier werde jedoch davon ausgegangen, dass die Angaben der Zeugin auf Fremdquellen zurückgingen. Es müsse geprüft werden, ob die Zeugin sexuelle Übergriffe durch andere Personen als den hier Angeklagten erfahren habe, ob sie anderweitige Betroffene kenne und sich mit diesen möglicherweise ausgetauscht habe, oder ob sich die Zeugin in entsprechenden Medien über Sexualdelikte informiert habe.
214
Zur Prüfung dieser Hypothese erfolgte die Erhebung einer ausführlichen Sexualanamnese. Insbesondere sei zu prüfen, inwieweit die Zeugin über Kenntnisse zu sexuellem Missbrauch verfüge und ob sie außerhalb der hier geschilderten Tatvorwürfe Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen gemacht habe. Des Weiteren sei im Rahmen der merkmalsorientierten Inhaltsanalyse zu prüfen, ob in den Aussagen der Zeugin sogenannte Individualverflechtungen vorliegen würden, anhand derer sich ein konkreter Bezug zur Person des Angeklagten ableiten lasse und die insofern gegen die Annahme sprächen, dass die Belastungsaussage auch auf Schemawissen über Sexualdelikte oder von Dritten übernommene Schilderungen zurück ginge.
215
Den genannten Hypothesen H01-H04 stehe die Alternativhypothese H1 des Gutachtens gegenüber, dass für die Angaben der Zeugin Erlebnisfundierung zugrunde gelegt werden könne. Die Hypothese H1 könne jedoch nur dann angenommen werden, wenn sämtliche der oben aufgeführten Hypothesen mit ausreichender Sicherheit verworfen werden könnten.
Verlauf der Begutachtung, insbesondere angewandte diagnostische Verfahren und deren Zielsetzung
216
Die Sachverständige führte im Rahmen der Hauptverhandlung aus, sie habe die Zeugin am 07.05.2021 in … exploriert.
217
Um die vorgenannten Hypothesen im Rahmen der Begutachtung prüfen zu können, seien folgende diagnostische Verfahren zum Einsatz gekommen:
218
Mit der Zeugin sei zunächst eine Familienanamnese erhoben worden und es sei auf die vergangenen und aktuellen Lebensumstände sowie die Beziehung zum Angeklagten (Motivationsanalyse) eingegangen worden. Es sei zudem das sprachliche Ausdrucksvermögen und der Wortschatz der Zeugin eingeschätzt worden. Ferner seien Inhalte zur Prüfung ihrer Gedächtnisspanne erfragt worden. Das Quellenidentifikationsvermögen sei außerdem explorativ geprüft worden.
219
Mit der Zeugin sei zudem eine psychopathologische Anamnese erhoben worden, um etwaige Störungsbilder und Symptome, welche für die Beurteilung der Angaben relevant sein könnten, zu erfassen.
220
Um die Möglichkeit von Übernahmen von Aussageinhalten aus Fremdquellen abklären zu können, habe eine Sexualanamnese stattgefunden. Die Zeugin sei zu ihrem Kenntnisstand über Sexualität und Sexualdelikte befragt worden und auch dazu, aus welchen Quellen sie diese Kenntnisse bezogen habe. Darüber hinaus sei nach anderweitigen Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen und einer Auseinandersetzung mit entsprechenden Medien gefragt worden.
221
Außerdem habe der Hauptteil der Datenerhebung in der aussagepsychologischen Exploration der Zeugin zu den hier gegenständlichen Vorwürfen in Bezug auf den Angeklagten bestanden. In diesem Rahmen seien die jeweils inkriminierten Vorfälle thematisiert worden. Darüber hinaus sei detailliert auf die Aussagegenese und den Erinnerungsprozess der Zeugin eingegangen worden.
Ergebnisse: Familiärer Hintergrund und Biografie
222
Hinsichtlich des familiären Hintergrunds und der Biografie der Zeugin habe sie sich besonders auf die detaillierten Feststellungen des Urteils der 4. Strafkammer aus dem Jahr 2018 gestützt, führte die Sachverständige aus. Diese Feststellungen hätten sich im Laufe der aktuellen Hauptverhandlung bestätigt.
223
Ferner habe sie auch die Zeugin im Rahmen der Exploration zum familiären Hintergrund und ihre Biografie befragt. Die Zeugin habe hierbei ausgeführt, sie könne sich noch erinnern, wie sie im Jahr 1997 in - gelandet seien. Die Familie habe zunächst in … gelebt. Es sei dann auch schon früh mit dem Missbrauch losgegangen. Es hätten gleich am Anfang in - schon Fälle stattgefunden. Sie - die Zeugin - habe das später im Kindergarten erzählt, der dann beim Jugendamt eine Anzeige gegen die Eltern gemacht habe, die dann aber nicht weiter verfolgt worden sei. Ihr Start in - bzw. in … sei daher nicht so gut gewesen, so die Zeugin gegenüber der Sachverständigen.
Ergebnisse: Kognitive Kompetenz der Zeugin - …
224
Hinsichtlich der kognitiven Kompetenz der Zeugin lasse sich aus den Akten nur begrenzt Information entnehmen. So habe sie beispielsweise eine als normal zu bezeichnende Schullaufbahn absolviert. Nach sachverständiger Einschätzung würden sich zudem keine Hinweise für allgemein vorliegende kognitive Einschränkungen bei der Zeugin finden.
225
Die Zeugin selbst habe im Rahmen der Exploration angegeben, sie habe keine eigenen Erinnerungen mehr an ihre Kindheit in Afrika. Auch an den Umzug nach - habe sie konkret keine Erinnerung. Auf mehrfache Fragen bzw. Versuche, fallneutrale Erinnerungen aus der Zeit von dem Umzug nach - bis ins Grundschulalter anzustoßen, habe sich ergeben, dass die Zeugin sich wenig an konkrete Ereignisse aus der Kindergarten- und frühen Grundschulzeit erinnern könne. Das autobiografische Gedächtnis setze normalerweise ab einem Alter von 3-4 Jahren ein. Erinnerlich seien den Probanden beispielsweise auch markante Erlebnisse wie der 1. Schultag. An ihren 1. Schultag in der Grundschule habe die Zeugin sich nicht konkret erinnern können. Als markantes Ereignis habe sie allerdings von dem Hausbrand in … berichtet, der sich nach Aktenlage am 19.02.2002 ereignet habe. Hier sei die Zeugin bereits 8,5 Jahre alt gewesen. In den gleichen Zeitraum sei die 1. Psychotherapie der Zeugin bei Frau … gefallen, an die ebenfalls keine konkreten Erinnerungen mehr vorliegen würden.
226
Als individuelle Vergleichsschilderung bezüglich der inkriminierten Vorfälle aus dem Zeitraum 2007/2008 habe die Sachverständige Angaben der Zeugin zu der Romreise aus dem Frühjahr 2008 erhoben. Hierbei habe die Zeugin zu zentralen Fragen wie beispielsweise dem Anreiseverkehrsmittel oder der Unterkunft nur wenige Informationen wiedergeben können.
227
Nach Einschätzung der Sachverständigen erschienen die Schilderungen der 3 verfahrensgegenständlichen Taten im Vergleich zu anderen Erinnerungen aus dem entsprechenden Zeitraum überdetailliert. Zwischen den Aussagequalitäten liege hier ein „himmelweiter“ Unterschied.
228
Für diesen Umstand seien verschiedene Ursachen denkbar, so die Sachverständige im Rahmen der Hauptverhandlung. Eine Erklärung könnte beispielsweise ein sogenannter Freezing-Effekt durch wiederholte Aussagen sein. Aber auch eine Auffrischung anhand alter Aussageprotokolle oder die aktiven Versuche sich zu erinnern und Bilder „hochkommen“ zu lassen könnten eine Erklärung hierfür sein. Anschaulich erläuterte die Sachverständige des Weiteren, das Problem bei den aktiven Erinnerungsversuchen sei, dass man nicht mit Sicherheit sagen könne, ob die entstehenden Bilder echte Erinnerungen seien oder von äußeren Umständen bzw. anderen Quellen rekonstruiert würden. Aussagepsychologischen sei es äußerst schwierig eine „hochkommende“ Erinnerung als „echte“ Erinnerung zu qualifizieren.
Ergebnisse: psychopathologische Anamnese
229
Aus den Akten ergebe sich, dass die Zeugin vor der Anzeigeerstattung im November 2012 im Kindes- und Jugendalter insgesamt dreimal - einmal bei Frau Dr. … in … und zweimal bei Frau … in … - psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen habe.
230
Ein diesbezüglicher Bericht der Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie Frau … vom 06.11.1998 schildere, die Vorstellungsgründe der damals noch kindlichen Zeugin seien eine „schwere Essstörung“ sowie eine „Beziehungsstörung“ gewesen. In dem Bericht heiße es weiterhin, die Diagnostik habe klare Hinweise dafür erbracht, dass bereits „in frühester Kindheit die physische und psychische Integrität des Kindes schwer gestört“ worden sei. Misshandlungen körperlicher und oder psychischer Art sowie ein sexueller Missbrauch könnten nicht ausgeschlossen werden, wobei die Befunde nach Einschätzung von Frau … am ehesten auf einen sexuellen Missbrauch hinweisen würden. So habe das Kind - die Zeugin - … - im Sceno-Test mehrmals „eindeutig erotische sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen“ dargestellt. Wie die Sachverständige Dr. … an dieser Stelle im Rahmen der Hauptverhandlung erläuternd ausführte, seien in dem sogenannten Sceno-Kasten auch Kinderpuppen enthalten. Laut des Berichts von Frau … vom 06.11.1998 könne angenommen werden, dass eine psychische Traumatisierung im Zusammenhang mit sexuellen Handlungen am Kind und oder im Beisein des Kindes zu der Essstörung (ständigem Erbrechen) geführt hätten.
231
Des Weiteren sei die Zeugin im Zeitraum von Januar 2001 bis November 2003 (150 Therapiestunden) wegen Verlustängsten und Entwicklungsstörungen bei der analytischen Kinder- und Jugendtherapeutin Frau … in Behandlung gewesen. Die Therapeutin habe die Verlustängste und die Entwicklungsstörungen auf die Adoption und den Umzug der Zeugin nach - zurückgeführt. Weitere Informationen hinsichtlich dieses Abschnitts der Therapie hätten der Sachverständigen nicht zur Verfügung gestanden.
232
Im Rahmen der Exploration habe die Zeugin gegenüber der Sachverständigen die bereits im Rahmen der Hauptverhandlung erwähnte Situation, in welcher sie - die Zeugin - … - gemeinsam mit ihrer Schwester … von dem Angeklagten in der Dusche gewaschen worden sei, klar als Missbrauch eingeordnet und dies mit dem ausführlichen Waschvorgang begründet. In zeitlicher Hinsicht würde die geschilderte Duschsituation in den Zeitraum der 1. Therapie bei Frau … fallen. Diesbezügliche Schilderungen der Zeugin gegenüber ihrer Therapeutin seien den Akten allerdings nicht zu entnehmen gewesen.
233
Des Weiteren habe die Zeugin gegenüber der Sachverständigen im Rahmen der Exploration auch eine „starke Szene“ aus der Kindheit in … geschildert, in welcher sie sich mit dem Angeklagten auf einer Matratze befunden habe und wobei sie ihn habe anfassen müssen.
234
Ferner habe die Zeugin gegenüber der Sachverständigen auch noch ausgeführt, sie habe irgendwann im Zeitraum vor dem Jahr 2007 mit ihrer Schwester … mit Puppen gespielt - eine Puppe habe den Angeklagten repräsentiert und die andere die Zeugin selbst - und dieser mit den Puppen sexuelle Handlungen gezeigt. An Details der genauen Darstellung habe sie sich nicht mehr erinnern können, außer dass sie die Puppen aufeinandergelegt und Bewegungen gemacht habe. Sie könne sich aber erinnern, dass … gesagt habe „ja das macht er bei mir auch“. Die Sachverständige habe die Zeugin dann dahingehend befragt, warum sie erst nach der 2. Hauptverhandlung aus dem Jahr 2018 die entsprechenden Vorfälle geschildert habe und was die Erinnerungsgrundlage für die Erinnerung aus der frühen Kindheit in … und das Vorspielen anhand von Puppen gegenüber der Schwester … sei, insbesondere auch deshalb, weil sie sich sonst an nichts aus der frühen Kindheit und nur bruchstückhaft an die Kindergartenzeit und die Anfangszeit in der Grundschule erinnere. Diesen Umstand habe die Zeugin nicht näher erläutern können, sie habe vielmehr ausgeführt, dass bis zum Abschluss der 2. Hauptverhandlung im Jahr 2018 für sie persönlich nur 3 Vorfälle „klar“ gewesen seien. Alles andere sei erst nach der 2. Hauptverhandlung „hochgekommen“. Im Rahmen dieser 2. Hauptverhandlung habe sie zunächst die Aussage von … bestätigt, welche dem Angeklagten ebenfalls missbräuchliches Verhalten vorgeworfen habe, wenngleich sie -… - dieses im Rahmen ihrer damaligen Aussage wegen ihrer psychischen Belastung nicht konkret habe beschreiben können. Sie - die Zeugin - … - habe sich dann im Nachgang der 2. Hauptverhandlung genauer damit beschäftigt.
235
Im Zeitraum von 21.01.2008 bis 21.07.2008 habe sich die Zeugin nochmals in psychotherapeutischer Behandlung bei Frau … befunden (25 Therapiestunden). Hierzu sei es gekommen, weil - nach Angaben der Frau … bei der Polizei - die Adoptivmutter der Zeugin Anfang 2008 bei ihr angerufen und geschildert habe, dass die Zeugin an Panikattacken und pubertären Problemen leide.
236
Frau … habe dann im Rahmen der 2. Therapie festgestellt, dass die Zeugin unter Selbstwertstörungen, Ängsten und depressiven Verstimmungen gelitten habe. Die Therapeutin habe eine pubertäre Krise, depressive Verstimmungen mittleren Grades sowie eine belastete Frühgeschichte diagnostiziert.
237
Im Rahmen dieser therapeutischen Behandlung habe die Zeugin am 21.05.2008 in einer Therapiesitzung gegenüber der Therapeutin plötzlich geäußert, was man sagen solle, wenn einer komme und sage „das Schlafen erregt mich“. Frau … habe daraufhin die Mutter informiert, die wiederum das Gespräch mit dem Angeklagten gesucht habe. Am 26.05.2008 habe die Zeugin gegenüber der Therapeutin dann berichtet, die Mutter habe mit dem Vater - dem Angeklagten - gesprochen, der es nicht so gemeint und keine Grenzüberschreitung gewollt habe. Die Zeugin habe ausgeführt, in Afrika sei mehr körperliche Nähe üblich. Sie möge es nicht, wenn ihr Vater sie umarme. In den darauffolgenden Sitzungen sei es noch öfter um das schlechte Verhältnis gegangen, welches zwischen dem Angeklagten und der Zeugin bestanden habe.
238
Im Rahmen der Exploration habe die Zeugin gegenüber der Sachverständigen angegeben, dass sie seit dem Abschluss der Behandlung bei Frau … im Jahr 2008 keine Psychotherapien mehr in Anspruch genommen habe.
Ergebnisse: Sexualanamnese
239
Hinsichtlich der Sexualanamnese hätten sich aus den Akten kaum Informationen ergeben. Frau … habe in ihrem Bericht vom 06.11.1998 niedergeschrieben, dass die Zeugin im Sceno-Test 2 erotische Szenen mit Erwachsenen dargestellt, hiervon aber schnell wieder abgelenkt habe, indem sie im Spiel gekocht und Spielfiguren gefüttert habe. Frau … habe in ihren Unterlagen zudem festgehalten, dass während der 2. therapeutischen Behandlung im Jahr 2008 auch das Thema Sexualität und Kontakte mit Jungen im Rahmen der Therapie besprochen worden seien. Hierbei habe die Zeugin die Mutter als „prüde“ bezeichnet.
240
Im Rahmen der Exploration habe die Zeugin angegeben, sie sei nicht zu Hause sondern durch die Schule aufgeklärt worden. Über Sexualität sei im Allgemeinen zu Hause nicht gesprochen worden. Über sexuelle Themen habe sie auch mit ihrer Mutter nicht sprechen können. Als sie ihre Periode bekommen habe, habe ihre Mutter schon kurz mit ihr darüber gesprochen, dass es Einlagen und Tampons gebe, ansonsten sei aber nicht weiter hierüber gesprochen worden. In der Zwischenzeit seit der Anzeigeerstattung 2012 habe sich die Zeugin auch nicht weiter über das Thema „sexueller Missbrauch“ informiert. Interessanterweise habe sie aber mehrere Freundinnen gehabt, die auch sexuell missbraucht worden seien, teilweise ebenfalls von ihren Vätern. Hierauf hätten sich die Freundschaften aber nicht gegründet, es sei vielmehr erst mit der Zeit herausgekommen, dass den anderen dies auch passiert sei. Auf die entsprechende Nachfrage des Sachverständigen habe die Zeugin außerdem sexuelle Übergriffe ihr gegenüber durch andere Personen verneint. Das Thema „sexueller Missbrauch“ sei schließlich auch nicht in der Schule thematisiert wurden.
Ergebnisse: Angaben zur Aussagegenese
241
Zur Aussagegenese habe die Zeugin der Sachverständigen gegenüber angegeben, sie habe inzwischen genauer in Erinnerung, dass es schon kurz nach ihrer Ankunft in - zu sexuellen Übergriffen durch den Angeklagten auf sie gekommen sei. In diesem Zusammenhang könne sie sich schwach daran erinnern, dass sie davon im Kindergarten berichtet habe. Auf die Frage, ob sie sich noch daran erinnern könne, was sie im Kindergarten gesagt bzw. wie sie das signalisiert habe, habe die Zeugin gemeint, sie glaube, sie habe schon mit Worten gesagt, dass ihr zu Hause etwas „Schlimmes“ passiere.
242
Im Rahmen der Hauptverhandlung führte die Sachverständige auf Rückfrage der Kammer hierzu anschaulich aus, dass sich ihres Erachtens nach hinter dem Begriff „Schlimmes“ im vorliegenden Fall kein sexueller Missbrauch verbergen würde. Sie begründete diese Einschätzung folgendermaßen:
243
Kindergartenkinder könnten sexuelle Handlungen noch nicht als solche und als grenzüberschreitend qualifizieren. Aus ihrer Erfahrung als Sachverständige sei ihr bekannt, dass Kindergartenkinder entsprechende Missbrauchshandlungen beispielsweise eher so schildern würden, dass der Täter sie „besonders lieb“ habe. Erst im Jugendalter bzw. als junger Erwachsener werde sexueller Missbrauch als „schlimm“ qualifiziert. Die Beschreibung von sexuellem Missbrauch mit dem Adjektiv „schlimm“ sei aus sachverständiger Sicht eine „Erwachsenenbewertung“. Um den Hintergrund der Äußerung der Zeugin aber zu verstehen, habe sie diese nach anderen negativen Erfahrungen befragt. Ihrer Ansicht - der der Sachverständigen - nach sei es naheliegend, dass die Zeugin bereits im Kindergartenalter von der körperlichen Züchtigung durch den Angeklagten, welche von keinem der Verfahrensbeteiligten grundsätzlich bestritten worden sei, gesprochen habe, als sie von „schlimmen“ Sachen berichtete, welche ihr zu Hause widerfahren würden. Diese Einschätzung stütze sie darauf, dass bereits Kindergartenkinder ein grundsätzliches Unrechtsbewusstsein aufweisen würden und die Regeln des geordneten sozialen Zusammenlebens (beispielsweise Mitmenschen nicht zu beleidigen oder zu schlagen) bereits im Kindergarten eingeübt würden. Schon ganz kleine Kinder wüssten daher, dass das Schlagen als „falsch“ bzw. „schlimm“ anzusehen sei.
244
Die Zeugin habe im Rahmen der Exploration ferner angegeben, sie wisse noch ganz genau, dass sie Frau … gegenüber die Äußerung so formuliert habe, dass sie gesagt habe, was sie machen solle, wenn der Vater sich zu einem ins Bett lege. Frau … habe dann gefragt, wie die Zeugin dies genau meine und sie habe dann gesagt, ihr Vater lege sich regelmäßig zu ihr ins Bett. Auf die Frage, weshalb sie der Therapeutin nicht mehr erzählt habe, habe die Zeugin der Sachverständigen gegenüber angegeben, sie sei zwar lange bei Frau … in Behandlung gewesen, habe aber trotzdem keinen so richtigen Draht mit ihr gehabt bzw. habe die Therapeutin nicht richtig an sich herangelassen.
245
Die Sachverständige habe im Rahmen der Exploration außerdem nach dem Erinnerungsprozess der Zeugin an das inkriminierte Geschehen gefragt. Hierauf habe die Zeugin angegeben, sie habe die geschilderten Vorgänge immer präsent gehabt und eigentlich nur darauf gewartet, dass sie es erzählen könne. Sie habe allerdings nicht diejenige sein wollen, der gegenüber es dann heiße, die Eltern hätten sich wegen ihr getrennt.
246
Mehrmals habe die Sachverständige auch danach gefragt, ob in den 2,5 Monaten zwischen Ende August 2012 (Mitteilung der Trennung der Eltern) und der Anzeigeerstattung am 23.11.2012 weitere Gespräche zwischen der Zeugin und ihrer Mutter stattgefunden hätten. Dieser Umstand habe sich mit der Zeugin jedoch kaum klären lassen, weil sie im zeitlichen Ablauf immer wieder nach vorne gesprungen sei und dann beispielsweise davon berichtet habe, dass es nach der Anzeigeerstattung zu einem Gespräch der Mutter gekommen sei, bei dem diese die Angaben der Zeugin vor dem Hintergrund einer erneuten Versöhnung mit dem Angeklagten kritisch hinterfragt habe. Die Sachverständige habe der Zeugin in diesem Kontext auch vorgehalten, dass sie - die Zeugin - bei ihrer Vernehmung durch den Ermittlungsrichter angegeben habe, sie habe sich mit ihrer Mutter zusammengesetzt und versucht, Zeiträume oder Zeitpunkte zu rekonstruieren. Im Rahmen der Exploration habe die Zeugin jedoch ausgeführt, sie habe sich erst deutlich später mit ihrer Mutter diesbezüglich zusammengesetzt, nämlich erst im Jahr 2018 im Vorfeld der 2. Hauptverhandlung.
247
Danach befragt, welche Haltung die Mutter gegenüber der Anzeigeerstattung eingenommen habe, habe die Zeugin geschildert, die Mutter habe ihr angeboten, sie hierbei zu unterstützen, wenn sie diese machen wolle. Sie habe weder versucht, die Zeugin hiervon abzuhalten, noch habe sie die Anzeigeerstattung forciert. Die Zeugin habe weiterhin ausgeführt, sie selbst habe damals gar nicht in Weitblick gehabt, ob sich eine Anzeige auf die Scheidung der Eltern auswirken könne.
248
Die Sachverständige habe im Rahmen der Exploration die Zeugin zudem darauf angesprochen, dass es zwischen der 1. polizeilichen Vernehmung und der Vernehmung durch den Ermittlungsrichter einen Widerspruch gebe, weil das geschilderte Eindringen mit dem Finger in der polizeilichen Vernehmung nicht vermerkt sei, die Zeugin dies aber dann beim Ermittlungsrichter angegeben habe. Sie habe die Zeugin daher befragt, wie dieser Umstand zustande gekommen sei, so die Sachverständige im Rahmen der Hauptverhandlung.
249
Die Zeugin habe hierzu angegeben, sie habe sich zunächst nicht getraut, vom Eindringen beim 1. Mal zu erzählen. Sie habe zwar den Impuls gehabt, davon zu berichten, habe es aber dann doch nicht gemacht, sie wisse nicht wieso, es sei alles so einschüchternd für sie gewesen, sodass sie es einfach nicht erzählt habe. Dieses Detail sei „die ganze Zeit da gewesen“ und es sei auch so passiert, aber sie habe es einfach irgendwie nicht erzählen können und habe eine Blockade gehabt. Die Sachverständige habe die Zeugin dann vorgehalten, dass sie im Rahmen der 1. Hauptverhandlung im Jahr 2015 abweichend von ihren gerade getätigten Angaben erklärt habe, dass sie das fragliche Eindringen bei der 1. Vernehmung bei der Polizei noch nicht so präsent gehabt habe und dass ihr dies erst bewusst geworden sei, nachdem sie sich nochmals Gedanken über diese fragliche Situation gemacht habe. Im Rahmen der Exploration äußerte die Zeugin daraufhin erläuternd, die Details seien ihr tatsächlich erst nach längerem Nachdenken bewusst geworden. Sie habe den Vorfall bei der Anzeigeerstattung „da gehabt“, habe aber nur erzählen wollen, was sie „ganz klar hätte sehen können“ und habe es dann doch nicht erzählt. Erst später sei es ihr dann richtig klar geworden, dass es wirklich so passiert sei, dann sei es „wirklich da“ gewesen. Als sie die Anzeige erstattet habe, habe sie ein „Bild“ gehabt, weil sie ein sehr visueller Mensch sei. Das habe ihr aber noch nicht gereicht, um da wirklich sicher etwas zu sagen. Es sei quasi so gewesen, dass sie bei ihren Angaben sich ganz sicher habe sein wollen, sie habe nicht mehr sagen wollen, als sie ganz sicher gewusst habe. Das andere habe sich dann mit der Zeit nochmals richtig geklärt, dann sei ihr auch klar gewesen, dass das auch so passiert sei. Da habe sie auch sagen können, wie lange das Eindringen gewesen sei und wie tief oder wie weit.
250
Die Sachverständige habe mit der Zeugin weiterhin darüber gesprochen, dass sie - die Zeugin - nunmehr im Rahmen der Exploration noch weitere inkriminierte Vorfälle beschrieben habe und zwar fragliche Übergriffe auf sie im Alter von 4 Jahren, sowie einen Austausch mit ihrer Schwester … und ein fragliches Erlebnis mit … unter der Dusche, die sie in ihren bisherigen Vernehmungen nicht erwähnt bzw. explizit hierzu angegeben habe, sich an derartige Vorkommnisse nicht erinnern zu können.
251
Die Zeugin habe diesen Umstand begründet, indem sie angegeben habe, sie sei von ihrer Persönlichkeit her inzwischen dazu in der Lage, sich diesen Inhalten zu stellen. Sie unterdrücke die „Bilder“ dann nicht, sondern lasse diese „kommen und sich hocharbeiten“. Es wären dann manchmal wie „Flashs“, die hochkommen würden, und dann habe sie sozusagen auch die Verbindung, die sie dann schließen könne. Zum Beispiel habe sie in der Zeit als Kleinkind kein Essen bei sich behalten, sie habe sich auf der Toilette übergeben. Deshalb wisse sie jetzt noch etwas über den Raum, dass sie auf dieser Matratze gelegen habe. Diese Sachen wären jetzt sicher genug präsent für sie, sodass sie sie auch erzählen könne. Auf Nachfrage habe die Zeugin angegeben, bei den Inhalten, die dann hochkommen würden, handele es sich zunächst um Bilder. Diese seien zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung noch nicht präsent gewesen. Zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung habe sie nur die 3 angezeigten Vorfälle präsent gehabt, über die sie auch gesprochen habe. Die anderen Inhalte, als sie 4 Jahre alt gewesen sei, wären dann so langsam herausgekommen. Die 3 zunächst angezeigten Vorfälle habe sie jedoch immer präsent gehabt. Das habe sie nicht verdrängen können, diese Taten seien auch in kürzeren Abständen geschehen.
252
Die geschilderte Situation mit … unter der Dusche sei erst 2018 „hochgekommen“, nämlich im Zusammenhang mit der damaligen Gerichtsverhandlung. Das mit der Dusche habe auch ihre Schwester damals gesagt, das könne sie - die Zeugin - auch bestätigen, weil das dann wieder so ein Bild sei, wo sie sage, ja, das stimme. Ihre Schwester … habe das nicht offiziell im Rahmen der damaligen Hauptverhandlung ausgesagt, sie wisse aber, dass … ihre Mutter hiervon erzählt habe. Ihre Mutter habe das dann ihr - der Zeugin - erzählt und daraufhin habe sie das bestätigen können. Sie habe sich dann erst mal gedacht „ach, das habe ich ja komplett verdrängt“. Das sei zunächst ihr Gedanke gewesen. Dann habe sie sich auch noch daran erinnern können, dass der Angeklagte in dieser Situation darauf bestanden habe, dass sie jetzt duschen gehen sollen, obwohl dies eigentlich gar nicht nötig gewesen sei. Von dieser Duschsituation habe sie auch erst mal Bilder im Kopf gehabt. Sie habe schließlich sukzessive einen Ablauf rekonstruiert, in welchem sie sich auch daran erinnert habe, was er gesagt habe. Sie habe dann erst mal das Bild mit der Dusche im Kopf gehabt, habe sich gedacht, dass stimme, dann sei nach einer Weile wieder ein Stück hochgekommen, wie einzelne Pixel, aus denen sich dann das Bild habe zusammenstellen können. Sie selbst habe sich mit ihren Schwestern … und … jedoch nie zum Thema sexueller Missbrauch durch den Angeklagten ausgetauscht.
Befund: Aussagetüchtigkeit und Leistungsbesonderheiten
253
Hinsichtlich der Frage nach der Aussagetüchtigkeit der Zeugin ging die Sachverständige bei der mündlichen Erstattung ihres Gutachtens im Rahmen der Hauptverhandlung nochmals darauf ein, dass die Zeugin abweichend von ihren bisherigen Angaben im Rahmen des Verfahrens nun im Rahmen der Sachverständigenexploration erstmals angegeben habe, sich auch an fragliche Übergriffe im Kleinkindalter durch den Angeklagten erinnern zu können. Diese seien kurz nach ihrem Wegzug aus … in der Wohnung der Familie in … geschehen, als die Mutter sich noch in … aufgehalten habe. Hierzu sei aus sachverständiger Sicht allerdings anzumerken, dass die Gedächtnisspanne der Zeugin diesen Zeitraum nicht abdecke. Es sei ihr nämlich nicht möglich gewesen, bei der Zeugin qualifizierte und ausreichend detaillierte Erlebnisberichte, also Schilderungen fallneutraler Ereignisse, aus den Lebensjahren von ca. 4-8 Jahren, zu erheben, so die Sachverständige. Die Zeugin habe beispielsweise angegeben, sich weder an ihre Kindheit in … noch an den Umzug selbst oder an wichtige Lebensereignisse wie den 1. Schultag konkret erinnern zu können. Sie habe hieran nur vage Erinnerungen oder müsse sich auf Fotos stützen. Auch an die einzelnen Wohnorte sowie den Kindergarten und die in … zunächst besuchte Schule habe die Zeugin sich nur unpräzise erinnern können. Dieser Umstand stelle ein starkes Indiz in die Richtung der Hypothese dar, dass es sich bei den Angaben der Zeugin zu den fraglichen Inkriminierungen in … um Pseudoerinnerungen handeln könne. Konkret habe die Zeugin allerdings den Hausbrand im Februar 2002 beschreiben können, welcher vor dem Umzug der Familie in die Notunterkunft in den … datiert sei. Ab diesem Zeitpunkt habe die Zeugin auch sonstige Begebenheiten schildern können. Insofern sei davon auszugehen, dass die weiter berichteten Vorfälle wie zum Beispiel die Duschsituation mit ihrer Schwester … oder die inkriminierten Handlungen im Jahr 2007/2008 von der Gedächtnisspanne der Zeugin abgedeckt würden und dass insofern für diese Inkriminierungen eine Aussagetüchtigkeit vorausgesetzt werden könne.
254
Generell sei die Zeugin ohne weiteres dazu in der Lage, Gedächtnisinhalte selbstständig abzurufen und diese im freien Bericht oder auf offene Fragen hin gut detailliert zu schildern. Aus Sicht der Sachverständigen bestünden jedoch möglicherweise Einschränkungen der Zeugin im Hinblick auf das Quellenidentifikationsvermögen bzw. die Realitätsüberwachung. Er sei an mehreren Stellen der Exploration und auch anhand der Akten deutlich geworden, dass die Zeugin dazu zu neigen scheine, Inhalte, die von außen an sie herangetragen würden, in ihre Angaben zu integrieren, ohne dies im Nachhinein noch kenntlich machen zu können. Dies betreffe vor allem Angaben der Mutter zu den vermeintlichen Kontextbedingungen der inkriminierten Situationen in der frühen Kindheit.
255
Auch habe die Zeugin in Bezug auf ihren Erinnerungsprozess an das inkriminierte Geschehen von Prozessen berichtet, bei welchem sie innere Bilder als Erinnerungen an vermeintliche Erfahrungen mit dem Angeklagten eingeordnet habe, obwohl dies nicht den gedächtnispsychologischen Gesetzmäßigkeiten entspreche. Insofern bestünden Hinweise, dass die Zeugin das Auftreten nicht realitätsbegründeter innerer Bilder möglicherweise nicht ausreichend sicher von tatsächlichem Erinnern differenzieren könne.
256
Die Aussagetüchtigkeit der Zeugin lasse sich insofern nur mit Einschränkungen bejahen.
257
Hinweis auf eine Einschränkung der Aussagetüchtigkeit der Zeugin durch psychische Erkrankungen bzw. Störungsbilder habe sie allerdings nicht finden können, so die Sachverständige.
258
Hinsichtlich der Leistungsbesonderheiten der Zeugin führte die Sachverständige aus, sie habe mit der Zeugin zum Zwecke der Einschätzung der Gedächtnisleistung an Ereignisse aus dem fraglichen Tatzeitraum im Jahr 2007 bzw. 2008 Angaben zu ihrer Romreise als Vergleichsschilderung erhoben. Hierbei habe sich gezeigt, dass die Zeugin sich an diese Ereignisse nur noch vergleichsweise oberflächlich erinnern könne. So habe sie beispielsweise hinsichtlich des zur Anreise gewählten Verkehrsmittels, der Dauer des Aufenthalts oder besonders eindrücklicher Programmpunkte entweder keine oder nur eine sehr oberflächliche Erinnerung schildern können. Unter qualitativen Aspekten hätten diese Angaben der Zeugin somit nur eine geringe Aussagequalität aufgewiesen.
259
Die Forschung zum Verlauf des autobiografischen Gedächtnisses habe gezeigt, dass Erinnerungen an Ereignisse über einen Zeitraum von etwa 5 Jahren Vergessensprozessen unterlägen, wobei Inhalte, die nach diesem Zeitraum jedoch noch erinnert würden, zeitstabil repräsentiert blieben. In Bezug auf die Zeugin würde dieser Punkt jedoch besagen, dass auch in Bezug auf ihre Angaben zum inkriminierten Geschehen keine hohe Aussagequalität zu erwarten sei.
260
Die Sachverständige gehe hinsichtlich der Schilderungen zu den inkriminierten Verhaltensweisen nicht von einer schuldhaften Falschaussage durch die Zeugin aus, wenngleich sie vor dem Hintergrund ihrer unbeeinträchtigten kognitiven Grundkompetenz sicherlich über Täuschungskompetenzen verfüge. Jedoch müsse im vorliegenden Fall bedacht werden, dass erste Andeutungen bereits im Jahr 2008 gegenüber der Therapeutin … erfolgt seien. Es erscheine als sehr unwahrscheinlich, dass die Täuschungskompetenzen der Zeugin ausreichen würden, um von derart langer Hand eine Falschaussage zu initiieren und zu planen.
261
Hinsichtlich des bereichsspezifischen Wissens über Gewalt, Sexualität und Sexualdelikte sei die Sachverständige zu dem Schluss gelangt, dass sich unter Zugrundelegung der gegenwärtigen Befundlage keine Hinweise für Fremdquellen finden ließen, aus welchen die Zeugin bereichsspezifisches Wissen entlehnt und unabsichtlich oder gezielt auf den Angeklagten übertragen habe könnte.
Befund: Zur Aussagevalidität
262
Aus sachverständiger Sicht fänden sich in der Erstaussagesituation keine Hinweise für suggestive Beeinflussungen der Zeugin. Die Therapeutin Frau … habe nach ihren Angaben und Aufzeichnungen auf die Äußerung der Zeugin, der Vater legte sich zu ihr ins Bett, offen nachgefragt, was sie damit meine. Eine Voreinstellung hinsichtlich eines sexuellen Missbrauchs der Zeugin durch den Angeklagten haben offenbar nicht bestanden. Weder die Therapeutin noch die Mutter hätten zum damaligen Zeitpunkt auf die Zeugin eingewirkt, zumal die Situation nach dem Gespräch mit dem Angeklagten geklärt gewesen sei.
263
Auf die Frage nach ihrem Erinnerungsprozess an das inkriminierte Geschehen habe die Zeugin gegenüber der Sachverständigen einerseits angegeben, sie habe die geschilderten Vorfälle aus den Jahren 2007 und 2008 durchgehend erinnert und habe letztlich den richtigen Zeitpunkt abgewartet, um sich ausführlicher hierzu zu äußern. Zugleich habe die Zeugin aber auch angegeben, dass nach ihrem Auszug aus dem Elternhaus im Jahr 2011 „viel hochgekommen“ sei.
264
Die Details der weiteren Aussagengenese zwischen der 1. Einlassung der Mutter gegenüber im August 2012 und der Anzeigeerstattung am 23.11.2012 habe die Sachverständige im Rahmen der Exploration nur unzureichend rekonstruieren können. So habe die Zeugin gegenüber der Sachverständigen angegeben, nach ihrer heutigen Erinnerung hätten im Zeitraum zwischen einem Telefonat mit der Mutter im Sommer 2012 und der Anzeigeerstattung keine weiteren Gespräche zu den Tatvorwürfen stattgefunden. Dies stehe jedoch im Widerspruch zu den Angaben der Mutter, die im Rahmen des Ermittlungsverfahrens berichtet habe, in dem besagten Zeitraum noch mehrfach mit der Zeugin hierüber gesprochen zu haben. Auch die Zeugin selbst habe in der heutigen Hauptverhandlung angegeben, die Mutter habe ihr dabei „geholfen“, die Tatzeitpunkte genauer zu rekonstruieren. Gegenüber dem Ermittlungsrichter, der die Zeugin am 03.03.2014 vernommen habe, habe die Zeugin zudem berichtet, dass die Anzeigeerstattung im Jahr 2012 auf „ausdrückliches Anraten“ ihrer Mutter geschehen sei. Bei dieser Vernehmung habe die Zeugin ferner erwähnt, dass ihre Mutter sie einige Wochen später gefragt habe, ob sie sich auch vorstellen können, dass der Angeklagte so etwas auch mit einem ihrer Geschwister mache. Die Zeugin habe hierauf geantwortet, dass sie dies nicht wisse. In diesem Gespräch habe die Mutter ihr geraten, den Angeklagten anzuzeigen.
265
Die Zeugin habe in ihrem Schreiben an die Sachverständige, das auf den 15.05.2020 datiert gewesen sei, und auch im Rahmen der Exploration angegeben, nicht von der Mutter manipuliert worden zu sein. Die Mutter habe auch nicht versucht, Details aus ihr herauszubekommen. Zudem sei die Zeugin von der Mutter sehr enttäuscht gewesen, weil diese sich nach der Anzeigeerstattung nochmals im Jahr 2013 mit dem Angeklagten versöhnt und der Zeugin in einem Gespräch mitgeteilt habe, dass diese doch dazu neigen würde, zu lügen. Die Zeugin habe daraufhin für 2 Jahre den Kontakt mit der Mutter abgebrochen und insofern über das Scheidungsverfahren keine Informationen gehabt.
266
Folge man diesen Angaben, so ließen sich im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte für eine gezielte Beeinflussung der Zeugin durch die Mutter finden. Die Sachverständige schätze insofern das Suggestionspotenzial der der Anzeigeerstattung vorangegangenen Gespräche der Zeugin mit ihrer Mutter als gering ein.
267
Als wesentlich relevanter stelle sich im vorliegenden Fall ohnehin die einleitend formulierte Hypothese 01 dar, in welcher die Frage aufgeworfen worden sei, ob es sich bei den Angaben der Zeugin ganz oder teilweise um Pseudoerinnerungen handeln könne bzw. ob möglicherweise tatsächlich erlebnisfundierte Inhalte im Laufe der Zeit autosuggestiv überformt worden seien. Hierfür ergäben sich nach der ermittelten Befundlage deutliche Anhaltspunkte.
268
Schein- bzw. Pseudoerinnerungen seien solche, bei denen sich die Person subjektiv sicher sei, dass sich ein objektiv nicht zutreffendes Geschehen tatsächlich ereignet habe.
269
Zur Ausbildung von Scheinerinnerungen komme es vor allem dann, wenn intensive mentale Bilder über das vermeintliche Ereignis generiert und häufig bearbeitet würden. Jedoch seien diese Repräsentationen sehr lebhaft, vertraut und sehr leicht abzurufen. Diese Charakteristika würden wiederum dazu führen, dass ein mentales Bild für eine genuine Erinnerung gehalten werde. Scheinerinnerungen könnten insbesondere auch infolge therapeutischen Einflusses entwickelt werden, was die Sachverständige aber im vorliegenden Fall aus den vorgenannten Gründen ausschließe.
270
Aussagen auf der Basis von Scheinerinnerungen könnten durchaus eine hohe Aussagequalität aufweisen und mit einer hohen subjektiven Überzeugung über den Erlebnisbezug der Darstellung verbunden sein. Definitionsgemäß sei aber immer ein Verlauf von einer kaum vorhandenen zu einer mehr oder weniger komplexen Aussage hin zu beobachten. Meist liege dazwischen ein Prozess von zunächst fragmentarischen Angaben über eine allmählich umfangreicher werdende Darstellung.
271
Es sei wissenschaftlich erforscht, dass verschiedene Prozesse die Ausbildung von Scheinerinnerungen begünstigen würden. Hierzu zähle auch die aktive Suggestion. Hierbei werde ein suggerierter Inhalt in irgendeiner Form an jemanden herangetragen, der eine Empfänglichkeit hierfür aufweise. Dies könne durch eine als vertrauenswürdig und kompetent eingeschätzte Person erfolgen, etwa durch einen Therapeuten, Berater oder eine Bezugsperson. Fallbezogen falle hier zum Beispiel auf, dass die Zeugin in früheren Stadien des Verfahrens jeweils angegeben habe, nicht zu wissen, ob der Angeklagte auch Übergriffe auf ihre Schwestern verübt habe. Im Laufe der Zeit habe die Zeugin jedoch entsprechende Verdachtsmomente in Bezug auf ihre Schwester … berichtet und schildere mittlerweile, sich auch an fragliche Übergriffe beim Duschen auf sie und ihre Schwester … zu erinnern, nachdem die Mutter ihr von diesbezüglichen Angaben … berichtet habe.
272
Bei der Frage nach der Ausbildung von Scheinerinnerungen seien insbesondere nicht kontinuierliche Erinnerungen und langanhaltende Wiedererinnerungsprozesse von großer Bedeutung.
273
Scheinerinnerungen seien immer diskontinuierlich, weil es sich eben nicht um Erinnerungen, sondern um Projektionen in die Vergangenheit handle. Das bedeute, die fraglichen Erlebnisse würden nicht ab dem fraglichen Ereignis, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt „erinnert“. Hinsichtlich der bei der Anzeigeerstattung berichteten fraglichen Vorfälle sei diesbezüglich eine typische Aussageentwicklung nachzuvollziehen, so die Sachverständige. Auffallend sei hier der Umstand, dass die Zeugin erst bei der ermittlungsrichterlichen Vernehmung davon berichtet habe, dass der Angeklagte bei dem letzten geschilderten Vorfall mit dem Finger eingedrungen sei. Hierzu habe sie in der 1. Hauptverhandlung 2015 angegeben, sie habe dies bei der Anzeigeerstattung in … „nicht mehr so deutlich in Erinnerung gehabt“. Sie habe sich nach der Anzeigeerstattung „noch weiter Gedanken darüber gemacht“ und bei der Vernehmung in … habe sie sich dann „ganz deutlich daran erinnert“, dass er mit dem Finger in sie eingedrungen sei. Es stimme, dass sie bei der Anzeigeerstattung noch gesagt habe, er habe versucht, mit dem Finger in sie einzudringen. Später sei aber dann die detaillierte Erinnerung gekommen, dass er tatsächlich mit dem Finger in sie eingedrungen sei. Die Sachverständige führte weiterhin aus, dies stehe im Widerspruch zu den Angaben der Zeugin, welche sie in der 2. Hauptverhandlung im Jahr 2018 machte. Hier habe sie offenbar angegeben, sich schon in … - also bei der Anzeigeerstattung - an das Eindringen erinnert zu haben („er hat dann weitergemacht“) jedoch habe die Vernehmungsbeamtin dies möglicherweise nicht exakt dokumentiert. Gegenüber der Sachverständigen habe die Zeugin dann wieder angegeben, sie habe das geschilderte Eindringen mit dem Finger bei der 1. polizeilichen Vernehmung in … noch nicht so klar sehen können, sie habe zwar ein Bild da gehabt, dieses habe ihr allerdings noch nicht gereicht, um da wirklich sicher etwas sagen zu können. Erst mit der Zeit habe sich dies für sie nochmals richtig geklärt und dann habe sie auch sagen können, wie lang dies gewesen sei und wie tief. Diese Erkenntnisse seien jedoch erst im Laufe des Verfahrens entstanden.
274
Auffallend sei aus sachverständiger Sicht weiterhin, dass bezüglich der 3. geschilderten Tat noch weitere Aussageerweiterungen aufträten. So habe die Zeugin in diesem Zusammenhang bei ihrer Aussage in der Hauptverhandlung 2018 ergänzt, der Angeklagte habe in dieser Situation in einem drohenden Unterton mit ihr gesprochen und sie aufgefordert, ihre Beine auseinander zu machen. Gegenüber der Sachverständigen habe ich Zeugin dann erstmals davon berichtet, der Angeklagte habe auch noch gefragt „Ja, soll ich ihn, soll ich ihn rein stecken so?“ woraufhin sie den Kopf geschüttelt, Angst gehabt und nein gesagt habe. Der Angeklagte habe dann doch den Finger eingeführt, was gebrannt habe und sehr unangenehm gewesen sei. Im Rahmen der aktuellen Hauptverhandlung habe die Zeugin des Weiteren noch geschildert, der Angeklagte habe zu ihr „in einem mächtigen Unterton“ gesagt „Soll ich eindringen? Ich kann, wenn ich will.“, habe dann lediglich die Fingerspitze und nicht den ganzen Finger in sie eingeführt, den Finger in ihrer Scheide dann ruhig gehalten und habe ihr schließlich ins Gesicht gesehen, um ihre Reaktion auf sein Eindringen zu erforschen. Nach sachverständiger Würdigung würden insofern zumindest im Hinblick auf den 3. zunächst angezeigten fraglichen Vorfall Hinweise für autosuggestive Ergänzungen und Überformungen der Angaben vorliegen.
275
Darüber hinaus müsse als kritisch bewertet werden, dass die Zeugin in der Exploration durch die Sachverständige und auch im Rahmen der aktuellen Hauptverhandlung angegeben habe, sich nunmehr auch an vermeintliche Übergriffe im Alter von 4 Jahren, kurz nach ihrem Zuzug nach -, konkret erinnern zu können, was sie bei sämtlichen Befragungen zuvor verneint habe. Auch habe die Zeugin bislang durchgehend angegeben, nicht zu wissen bzw. keine Erinnerung daran zu haben, ob ihre Schwester … vom Angeklagten ebenfalls missbraucht worden sei. Gleichwohl schildere sie jetzt eine Situation, bei der der Angeklagte … und die Zeugin beim Duschen in der Wohnung in den … missbraucht habe. Hierzu habe die Zeugin der Sachverständigen gegenüber angegeben, diese Inhalte nicht durchgehend erinnert zu haben. Sie habe diesbezüglich, teilweise aufgrund externer Informationen, zunächst einzelne Bilder gesehen. Wenn dann so ein Bild komme, lasse sie es da sein, sie vergesse es auch dann nicht wieder. Es würden dann Stück für Stück immer mehr Informationen hochkommen, im Verbund mit externen Informationen können sie anhand dessen dann wie aus „einzelnen Pixeln“ ein vollständiges „Bild“ zusammenstellen. Aus sachverständiger Betrachtung könne in Bezug auf die nunmehr ergänzend berichteten Inhalte ein kritischer Erinnerungsprozess im Sinne der Autosuggestionshypothese verzeichnet werden.
276
Ferner habe die Sachverständige im vorliegenden Fall einen langanhaltenden Wiedererinnerungsprozess erkannt. Während die Ausschöpfung der Erinnerung an tatsächliche Ereignisse durch die in der abgeschlossenen Vergangenheit liegenden Ereignisse begrenzt sei, ließen sich die Projektionen in die Vergangenheit, um die es sich bei Scheinerinnerungen handle, über einen sehr langen Zeitraum und theoretisch ohne Limitierung fortsetzen. Dies treffe auch im vorliegenden Fall zu. Wie bereits dargestellt, weise das autobiografische Gedächtnis eine spezifische Struktur dahingehend auf, dass Inhalte an tatsächlich erlebte Ereignisse über einen Zeitraum von etwa 5 Jahren Vergessensprozessen unterworfen seien. Die Inhalte, die dann noch im Gedächtnis vorhanden seien, würden sich jedoch vergleichsweise zeitstabil verhalten und könnten daher auch zu späteren Zeitpunkten weitgehend konstant abgerufen werden. Es sei insofern aus gedächtnistheoretischer Sicht unplausibel, dass die Zeugin nunmehr, knapp 9 Jahre nach der Anzeigeerstattung, zahlreiche Details und neu aufgefundene „Erinnerungen“ an fragliche Missbrauchserlebnisse berichte, obwohl sie bei sämtlichen vorangegangenen Befragungen zu diesen Themen angegeben habe, hieran keine Erinnerungen zu haben.
277
Da Scheinerinnerungen keine genuinen Erinnerungen seien, könnten sie Muster aufweisen, die gedächtnispsychologischen Gesetzmäßigkeiten nicht entsprächen. Ein Beispiel hierfür seien Erinnerungen an Ereignisse aus den ersten beiden Lebensjahren. Diese Lebensspanne unterliege typischerweise einer generellen infantilen Amnesie, die in aller Regel dazu führe, dass nichts aus dieser Zeit erinnert werde. Auch aus der Folgezeit bis zum Alter von etwa 5-7 Jahren würden nur einige Ereignisse erinnert. Ein Kind, dass zum Zeitpunkt des Erlebnisses über kein sexuelles Wissen verfügt habe, würde beispielsweise Handlungselemente, die es selbst nicht verstehen und einordnen habe können, nicht langfristig erinnern. Wie bereits angesprochen, treffe auch dieser Aspekt in jedem Fall auf die jetzt ergänzend vorgetragenen Angaben der Zeugin zu. Jedoch würden sich auch im Hinblick auf die drei zunächst angezeigten und angeklagten fraglichen Vorfälle kritische Aspekte ergeben. So ließe sich anhand der erhobenen Vergleichsschilderungen nachvollziehen, dass die Erinnerungen der Zeugin an autobiografische Erlebnisse eher oberflächlich und lückenhaft ausfallen würden, sodass ihre diesbezüglichen Schilderungen keine hohe inhaltliche Qualität aufwiesen. Demgegenüber lasse sich feststellen, dass die Aussagen zum inkriminierten Geschehen einen deutlich höheren Detaillierungsgrad und auch wesentlich mehr aussageimmanente Qualitätsmerkmale aufweisen würden als die Angaben der Zeugin im fallneutralen Bereich.
278
Insgesamt lasse sich somit die Hypothese 01, dass die Angaben der Zeugin auf autosuggestive Prozesse zurückgingen bzw. durch autosuggestive Prozesse überformt worden seien, nicht zurückweisen. Die Aussagevalidität könne im vorliegenden Fall daher nicht mehr als gewahrt angesehen werden.
Befund: Zur Aussagequalität
279
Aus sachverständiger Sicht müsste zur Aussagequalität ausgeführt werden, dass die merkmalsorientierte Inhaltsanalyse im vorliegenden Fall aufgrund der problematischen Aussagegenese nicht mit aussagefähigem Ergebnis angewendet werden könne. Die bereits beschriebenen Validitätsprobleme würden dazu führen, dass die heutigen Angaben der Zeugin aus aussagepsychologischer Sicht nicht mehr verwertet werden könnten. Hierbei nahm die Sachverständige nochmals auf das eingangs geschilderte 3-stufige Vorgehen bei einer aussagepsychologischen Bewertung Bezug.
Integrative Bewertung der Befunde
280
Die Aussagetüchtigkeit der derzeit 27-jährigen Zeugin lasse sich nur teilweise bejahen. Das autobiografische Erinnerungsvermögen und die Gedächtnisspanne der Zeugin wiesen Einschränkungen auf. Die Zeugin könne sich im fallneutralen Bereich erst an Ereignisse ab etwa dem 8. Lebensjahr detaillierter erinnern, zudem bestünden Hinweise für Defizite der Zeugin im Bereich der Quellenidentifikation und der Realitätskontrolle.
281
Allerdings liege im vorliegenden Fall eine unter dem Aspekt der Aussagevalidität problematische Aussagegenese vor. So würden sich zum einen Hinweise für autosuggestive Überformungen der ursprünglichen Belastungsaussage finden. Zum anderen habe die Zeugin im Rahmen der Exploration Inhalte zu fraglichen Übergriffen durch den Angeklagten im Alter von ungefähr 4 Jahren sowie zu Missbrauchssituationen gemeinsam mit ihrer Schwester … ergänzt, wobei sie im gesamten bisherigen Verfahrensverlauf verneint habe, sich an derartige fragliche Vorfälle erinnern zu können.
282
In Bezug auf die letztgenannten Inhalte zeige sich ein für Pseudoerinnerungen typischer Verlauf von anfänglichen Erinnerungsfragmenten hin zu einer sukzessive geschlosseneren, elaborierteren Schilderung. Auch habe die Zeugin diese Inhalte nicht kontinuierlich erinnert, sondern diese hätten sich erst im Zuge wiederholter Erinnerungsbemühungen in Form von „Bildern“ eingestellt, welche sie dann sukzessive zu den berichteten Szenen zusammengefügt habe.
283
Somit würden diese Angaben auf der inhaltlichen Ebene Unstimmigkeiten und Inkonstanzen über die Zeit aufweisen und nicht den gedächtnispsychologischen Gesetzmäßigkeiten entsprechen.
284
Letztlich lasse sich aufgrund der erkennbaren Erinnerungsunzuverlässigkeiten und der problematischen Aussagegenese die Aussagevalidität ebenfalls nicht bejahen.
285
Infolge der zu verzeichnenden Qualitätsprobleme könne vorliegend auch die merkmalsorientierte Inhaltsanalyse nicht mehr mit aussagefähigem Ergebnis angewendet werden, sodass eine Beurteilung der Erlebnisfundierung der Angaben unter Berücksichtigung der Aussagequalität nicht mehr vorgenommen werden könne.
286
Die Arbeitshypothese der Begutachtung (keine Erlebnisfundierung der Angaben) könne demnach nicht verworfen werden. Dies betreffe insbesondere die Hypothese 01, welche auf autosuggestive Prozesse in der Entstehungsgeschichte der Aussage abhebe.
287
Es hätten sich allerdings keine Hinweise für fremdsuggestive Einflüsse oder eine Übernahme von Aussageinhalten aus Fremdquellen ergeben. Auch die Hypothese einer gezielten Falschbeschuldigung erscheine vor dem Hintergrund der Aussagegenese als weniger plausibel.
Ergebnis der Stellungnahme
288
Aufgrund der Integration der Befunde komme sie im vorliegenden Fall - auch unter Einbeziehung aller im Rahmen der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse - zu dem Schluss, dass die Angaben der Zeugin, sie habe sexuelle Übergriffe in der geschilderten Form durch den Angeklagten erfahren, nach gegenwärtiger Befundlage nicht mit der erforderlichen Sicherheit als erlebnisgestützt bewertet werden könnten. Grundlage hierfür seien erhebliche Einschränkungen der Aussagevalidität. Die Befundlage spreche jedoch gegen eine gezielte Falschbeschuldigung des Angeklagten. Die Arbeitshypothese des Gutachtens (keine Erlebnisfundierung der Aussage) werde von der Sachverständigen daher - in Übereinstimmung mit ihrem schriftlichen Vorgutachten vom 18.06.2021 - auch nach durchgeführter Beweisaufnahme beibehalten.
289
Die Kammer unterzog die schriftlichen und mündlichen Ausführungen des Sachverständigen Dr. … einer eingehenden und kritischen Überprüfung, im Rahmen derer sie keine Unstimmigkeiten eruieren konnte. Die Sachverständige konnte insbesondere schlüssige Darstellungen und Erklärungen hinsichtlich der Methodik der von ihr durchgeführten aussagepsychologischen Begutachtung machen und ging auch in besonderem Maße auf die Ergebnisse der in der Hauptverhandlung durchgeführten Beweisaufnahme - insbesondere die Aussage der Zeugin - … - ein. Im Anschluss an eine eigene wertende Betrachtung schloss sich die Kammer daher vollumfänglich den umfangreichen und in sich schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen an, weil - auch mangels inhaltlicher Anregung der übrigen Prozessbeteiligten - keine Anhaltspunkte zutage traten, die Zweifel an der Einschätzung der Sachverständigen begründeten.
b) Weitere Zeugen
(1) Zeugin …
290
Die Zeugin … schilderte im Rahmen der Hauptverhandlung die Umstände im Vorfeld der Anzeigeerstattung und insbesondere die Begleitung zu dem Beratungsgespräch beim Weißen Ring in … inhaltlich übereinstimmend mit der Zeugin - ….
291
Sie kenne die Zeugin - … seitdem diese ungefähr 8 Jahre alt gewesen sei. Die Familien seien befreundet gewesen. Sie habe der 15 oder 16 Jahre alten Zeugin - … außerdem im Vorfeld der mittleren Reife für die Dauer von ungefähr einem Jahr einmal wöchentlich Nachhilfe gegeben und sei für diese eine mütterliche Freundin gewesen, so die Zeugin ….
292
Von dem Vorhaben, eventuell eine Strafanzeige gegen den Angeklagten zu erstatten, habe sie erst von der Zeugin - -, nicht aber von der Zeugin - … erfahren.
293
Die Zeugin - … habe ihr gegenüber im Jahr 2012 keine Details der Taten genannt und sie - die Zeugin … - habe sie auch nicht danach gefragt, weil sie eine von - gezogene „Grenze“ habe respektieren wollen. Im Alter von ungefähr 21 oder 22 Jahren habe die Zeugin - … dann nähere Ausführungen gemacht, die aber immer noch sehr oberflächlich ausgefallen sein. Berichte über weitere Vorfälle aus dem Kleinkindalter seien der Zeugin … gegenüber durch die Zeugin - … - bis heute - nicht geäußert worden, wenngleich sie noch gelegentlichen Kontakt pflegen würden.
294
Auch die Zeugin - - habe ihr gegenüber keine Tathandlungen geschildert, als sie sie - die Zeugin … - im Jahr 2012 darum gebeten habe, ihre Tochter zu einer Beratungsstelle zu begleiten. Es sei von ihrer Seite nur das Wort „Missbrauch“ gefallen.
295
Die Zeugin … sei dann mit der Zeugin - … zu der Beratungsstelle des Weißen Rings nach … gefahren, weil deren Mutter aufgrund der Betreuung der jüngeren Geschwister keine Zeit gehabt habe. Bei dem eigentlichen Beratungsgespräch habe sie das Zimmer verlassen, so die Zeugin …. Auf dem anschließenden Heimweg von der Beratungsstelle in … zurück nach … habe die Zeugin - … von sich aus keine näheren Schilderungen zu den Vorfällen gemacht und sie - die Zeugin … - habe hier nicht „nachbohren“ wollen, weil sie den Eindruck gehabt habe, dies sei der Zeugin - … unangenehm.
296
Die Kammer fand keinen Anlass, der Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin … begründete. Ihre Aussage deckte sich vielmehr in allen wesentlichen Punkten mit den Schilderungen der übrigen Zeugen.
(2) Zeugin - -
297
Die Zeugin - - äußerte sich im Rahmen der Hauptverhandlung ebenso übereinstimmend mit den Schilderungen ihrer Tochter - der Zeugin Zeugin - ….
298
Diese sei in … ein „ganz positives“ Mädchen gewesen und sei dort nicht mit einer Essstörung aufgefallen. Etwa ein halbes Jahr nach dem Umzug nach - habe das ständige Erbrechen begonnen. Weil sie Angst um ihre Tochter gehabt habe, habe sie die therapeutische Behandlung bei Frau … in die Wege geleitet. Dort habe ihre Tochter zwar keine genauen Beschreibungen von einzelnen Handlungen abgegeben, habe allerdings sexualisierte Gewalt mit Puppen dargestellt. Diese habe nach Meinung der Therapeutin in irgendeinem Zusammenhang mit dem Thema Essen gestanden. Im Zuge der voranschreitenden Betreuung durch Frau … sei das Erbrechen zunächst besser geworden und schließlich verschwunden.
299
Im Kindergarten habe ihre Tochter angegeben, daheim passiere ihr etwas „Schlimmes“. Daraufhin habe sich das Jugendamt bei den Eltern gemeldet. Der Angeklagte habe jedoch die Erklärung geliefert, das „Schlimme“ sei schon in … geschehen. Seine Familie aus … habe hierzu nichts Aufklärendes sagen können, weil ihnen insoweit nichts aufgefallen sei.
300
Der Angeklagte habe schon immer eine schwierige Beziehung zu den Kindern gehabt, was die Zeugin - - auf seine Herkunft geschoben habe. Teilweise habe er den Kindern einen Klaps auf den Po gegeben oder mit einem Schuh auf den Po gehauen. Sie habe ihm immer gesagt, er solle das nicht machen und dass sie das nicht gut finde. Im Zuge dessen habe er die Kinder nur noch geschlagen, wenn sie nicht zu Hause gewesen sei bzw. zumindest nicht vor ihren Augen.
301
Als sie im Jahr 2008 den Anruf von der Therapeutin Frau … erhalten habe, die ihr erzählt habe, ihre Tochter habe gesagt, der Vater lege sich zu ihr ins Bett, habe sie ein Dreiergespräch zwischen dem Angeklagten, ihr und der gemeinsamen Tochter initiiert. Zu diesem Zeitpunkt habe das Ehepaar gerade eine Paarberatung begonnen. Sie habe deshalb nicht glauben wollen, dass es eine Grenzüberschreitung gegeben habe. Sie habe vielmehr um jeden Preis ihren Lebensinhalt - eine perfekte und sehr christliche Familie und Ehe - erhalten wollen. Der Angeklagte habe ihr gegenüber geäußert, er habe sich zu ihrer gemeinsamen Tochter - ins Bett gelegt, weil er mit ihr über ihre leibliche Mutter habe sprechen wollen. Sie habe sich bei dieser Begründung nichts weiter gedacht.
302
Im August 2012 sei sie dann mit ihren Kindern nach ... gefahren, weil sie sich vom Angeklagten habe trennen wollen. Sie habe im Zuge dessen einen Anruf von ihrer Tochter erhalten, die sich danach erkundigt habe, ob die Trennung tatsächlich vollzogen werden solle. Sie - die Zeugin - - - habe ihr daraufhin mitgeteilt, dass die Trennung endgültig sei. Die Tochter habe ihr daraufhin mitgeteilt, sie könne es ihr ja jetzt endlich erzählen. Der Angeklagte habe sie „richtig angefasst“. Es sei noch mehr passiert, als sie damals bei Frau … geschildert habe. Weitere Detailbeschreibung habe sie von ihr -- - weder erfahren noch erfragt. Sie habe ihre Tochter auch nie weiter befragt, weil solche Gespräche „sehr schwer“ für sie - die Zeugin - - - seien.
303
Auch nach der Anzeigeerstattung sei nie genauer über dieses Thema gesprochen worden, weil ihre Tochter - nichts habe erzählen wollen. Zu einem ihr nicht mehr näher erinnerlichen Zeitpunkt habe sie ihrer Tochter geholfen, eine zeitliche Einordnung bzw. Rekonstruktion der entsprechenden Gelegenheiten der verfahrensgegenständlichen Taten vorzunehmen.
304
Mit dem Angeklagten habe sie sich letztlich wieder versöhnt, weil sein begleiteter Umgang mit den Kindern für sie unzufriedenstellend gewesen sei. Sie habe sich daher gedacht, sie könne die Kinder besser vor ihm beschützen, wenn sie sich in der Nähe aufhalten könne, weswegen sie zu dem Angeklagten zurückgegangen sei.
305
Im Verlauf des Jahres 2014 sei es dann zur endgültigen Trennung und im August 2015 zur Scheidung der Ehe gekommen.
306
Im Juli 2014 habe sie noch gemeinsam mit ihrer Tochter … eine zweiwöchige Kreuzfahrt gemacht, während der die Kinder - und … zu Hause beim Angeklagten geblieben seien. Nach ihrer Rückkehr habe sie entsetzt festgestellt, dass beide Kinder erheblich verstört gewesen seien, was sie auf ein Verhalten des Angeklagten den Kindern gegenüber zurückführe, wenngleich sie hierzu keine konkreten Erkenntnisse habe.
307
In der Weihnachtszeit des Jahres 2014 sei sie schließlich mit ihren Kindern und den Großeltern auf Gran Canaria im Urlaub gewesen. Dort habe ihre Tochter … ihr berichtet, dass der Angeklagte auch ihr gegenüber „mehr“ gemacht habe. Sie habe bezüglich einzelner Handlungen nur die Anfänge geschildert und die Erzählung noch vor dem Kerngeschehen abgebrochen. … habe insbesondere von einem ersten Vorfall im Alter von 4 Jahren erzählt, der sich in der ... D. Straße zugetragen habe. Ferner habe sie ihr von einem Vorfall in der ... erzählt, bei welchem sie sich gemeinsam mit ihrer Schwester - und dem Angeklagten in der Dusche befunden habe. Zur Erklärung, warum sie diese Ereignisse erst jetzt gegenüber der Mutter offenbare, habe … angeführt, sie fühle sich nun in ihrer romantischen Beziehung zu ihrem Partner das erste Mal so sicher, dass sie sich überhaupt daran habe erinnern können. Nach und nach seien bei ihr - der Tochter … - Bilder „hochgekommen“. Ihre Tochter … habe von diesen Schilderungen von … nichts mitbekommen. Mit ihrer Tochter - habe sie über die Schilderungen von … Ihres Erachtens nach erst im Nachgang der 2. Hauptverhandlung gesprochen. Ihre Tochter - habe sich dann ebenfalls an den Vorfall mit der Dusche erinnern können. Ab wann ihre Tochter … letztlich Kenntnis von den Missbrauchsvorwürfen der Tochter - gehabt habe, könne sie nicht beantworten.
308
Über das Thema Sexualität sei in der Familie nicht gesprochen worden, was sie teilweise auch auf ihren christlichen Glauben zurückführe, so die Zeugin - -. Sie habe immer darauf gewartet, dass die Kinder auf sie zukommen würden und sie fragen würden, falls sie etwas hätten wissen wollen. Die Kinder seien aber nie auf sie zugekommen und hätten nie etwas gefragt. Auch das Thema „sexueller Missbrauch“ sei in der Familie nie thematisiert worden. Die sexuelle Aufklärung habe sie quasi „outgesourced“ an die Schule und die christliche Jugendgruppe der Fokolar-Bewegung.
(3) Zusammenfassende Betrachtung der weiteren Zeugenaussagen
309
Letztendlich ergaben sich für die Kammer aus den vorgenannten Zeugenaussagen keine zusätzlichen Erkenntnisse, welche die aus dem Sachverständigengutachten von Frau Dr. … gezogenen Schlüsse in Frage stellten.
III. Zusammenfassende Betrachtung der Ergebnisse der Beweisaufnahme
310
Anhand einer Zusammenschau der im Zuge der Beweisaufnahme erhobenen Beweismittel und einer wertenden Betrachtung aller für und gegen die Schuld des Angeklagten sprechenden Umstände, konnte sich die Kammer letztlich nicht mit der für eine Verurteilung notwendigen Sicherheit die Überzeugung bilden, dass der Angeklagte die ihm in der Anklageschrift vom 02.10.2014 zu Last gelegten Taten tatsächlich beging.
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Hierbei würdigte die Kammer - aufgrund der Aussage-gegen-Aussage-Konstellation - in besonderem Maße die Aussage der Zeugin - …, wobei sie sich den schlüssigen und widerspruchsfreien Ausführungen des Sachverständigen Dr. … anschloss. Diese hielt eine bewusste Falschaussage zwar für unwahrscheinlich, konnte letztlich aber eine Autosuggestionshypothese nicht entkräften. Die Kammer gelangte folglich zu der Überzeugung, dass die von der Kammer selbst unabhängig von der Sachverständigen festgestellte mangelnde Aussagekonstanz und die damit einhergehende mangelnde Aussagevalidität nicht aus bewussten Lügen der Zeugin - …, sondern aus dem repetitivem Aussageprozess eines sehr langen Strafverfahrens resultierten. Da die Angaben der Zeugin - … als das bei Weitem wesentlichste Beweismittel gegen den Angeklagten qualitativ deutlich unzureichend waren, um die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten zu begründen, war der Frage, ob die Angaben ihrer Schwestern über ähnliche Vorgänge belastbar sind oder ähnlichen Entstehungsprozessen unterlagen, nicht mehr - soweit überhaupt möglich - nachzugehen.
312
Der Angeklagte war folglich nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ aus tatsächlichen Gründen freizusprechen.
F. Kosten
313
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.