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AG Augsburg, Endurteil v. 11.06.2021 – 30 C 4404/20 WEG
Titel:

Anfechtung von Beschlüssen einer Wohnungseigentümerversammlung in der Pandemie

Normenketten:
WEG § 23 Abs. 4 (idF bis zum 1.12.2020)
7. BayIfSMV § 5 Abs. 2, § 25a Abs. 2 Nr. 3
Leitsätze:
1. Ein Wohnungseigentümerbeschluss ist materiell-rechtlich nach dem bei Beschlussfassung geltenden Recht zu beurteilen. Eine spätere Änderung der Gesetzeslage hat auf die Beurteilung der Frage, ob der Beschluss für ungültig zu erklären ist, keinen Einfluss. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Betrug der Inzidenzwert der Covid-19-Infektionen am Ort der angesetzten Eigentümerversammlung am Tag der Einladung zwar unter 50, ist jedoch auf rund 250 am Tag der Versammlung gestiegen, muss der Verwalter auf Bitten der Eigentümer die Eigentümerversammlung absagen. Allein die Verweisung auf die Möglichkeit der Teilnahme an der Abstimmung durch die Erteilung von Vollmachten genügt nicht. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Covid-19, Coronavirus, Inzidenzwert, Eigentümerbeschluss, Ungültigkeit, Teilnahmerecht
Rechtsmittelinstanz:
LG München I, Endurteil vom 18.05.2022 – 1 S 8843/21 WEG
Fundstelle:
BeckRS 2021, 55555

Tenor

1. Sämtliche Beschlüsse, welche auf der Eigentümerversammlung der Wohnungseigentümergemeinschaft W.-H.-Straße ..., ... A. gefasst wurden, werden für ungültig erklärt.
2. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreites.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 71.310,00 € festgesetzt.
Gründe: Die einzelnen wirtschaftlichen Werte der Beschlüsse werden wie folgt festgesetzt:
TOP 4: Jahresabrechnung für 2019 354.538,- €
TOP 5: Wirtschaftsplan 2020 359.100,- €
TOP 6: Sanierung Balkon WG Nr. 144 7.200,- €
TOP 7: Brandschutzklappen TG 22.907,- €
TOP 8.1.1 Fassadensanierung Nr. 9, 9a+b 235.000,- € Begleitkosten 26.500,- €
TOP 8.1.2 Balkoninstandsetzung 50.000,- € 7.
TOP 8.1.3 Fassadensanierung Nr. 7, 7a7b+ 210.000,- € TG-Abfahrt in 2022 Begleitkosten 26.500,- €
TOP 8.1.4 Balkonsanierung Nr. 7, 7a+7b in 2022 50.000,- €
TOP 8.2.1 Planungsbüro für Fassadensanierung Nr. 9, 9a+9b 8.300,- €
TOP 8.2.2 Planungsbüro für Fassadensanierung Nr.7,7a+7b+TG 8.300,- €
TOP 9.1 Sanierung Kinderspielplatz 16.000,- €
TOP 9.2 Austausch Spielgeräte 20.000,- €
TOP 10 Sondervergütungen Verwalter für Zensus 1.510,- €
TOP 11 Schneiden von Bäumen und Sträuchern 1.000,- €
Die Beschlüsse unter den Tagesordnungspunkten 8.3.1,8.3.2, und 8.4 wurden bei der Festsetzung des Streitwertes nicht aufgenommen, da diese eine wirtschaftliche Einheit mit den Beschlüssen unter Tagesordnungspunkt 8.1 und 8.2 darstellen
Gesamtwert: 1.396.855,- €
Das einfache Interesse der Kläger (insgesamt: 10,21/1000) beträgt daher 14.262,- €.
Der fünffache Streitwert (§ 49 a GKG) mit 71.310,- € ist daher entscheidend.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Gültigkeit sämtlicher Beschlüsse, welche auf der Eigentümerversammlung vom 29.10.2020 gefasst wurden. Die Parteien bilden die Wohnungseigentümergemeinschaft W2. Straße ..., ... A.. Die Wohnungseigentümergemeinschaft besteht aus insgesamt 161 Wohneinheiten und 150 Tiefgaragenplätzen. Die Teilungserklärung stammt vom 05.08.1983. Die WEG wird verwaltet durch die Firma K. GmbH, welche beigeladenen wurde.
2
Bezüglich des Textes sämtlicher Beschlüsse wird auf das Protokoll zur Eigentümerversammlung vom 29.10.2020 verwiesen (Anlage K1). Zu dieser wurde mit Schreiben vom 12.10.2020 eingeladen.
3
Die Eigentümerin Frau B. bat die Hausverwaltung mit Schreiben vom 21. 10. 2020 um Absage der Eigentümerversammlung. Am 12.10.20 bat der Kläger telefonisch die Hausverwaltung um eine Verlegung. Mit E-Mail vom 23.10.2020 bat der Kläger, welcher im Jahre 1942 geboren ist um Absage der Eigentümerversammlung. Der Kläger bat mit Schreiben vom 28.10.2020 erneut aufgrund seiner Vorerkrankungen um Verlegung der Eigentümerversammlung. Desweiteren bat der Eigentümer Herr S. mit E-Mail vom 28.10.2020 um Verschiebung der Eigentümerversammlung.
4
Die Eigentümerversammlung fand statt im K4., dessen einzige Gesellschafterin der Betreibergesellschaft die Stadt A. ist. Von Seiten der Betreibergesellschaft erfolgte kein Hinweis, dass die Versammlung nicht stattfinden dürfe. Anwesend waren zumindest 13 Eigentümer. 75 Vollmachten waren erteilt. Nach dem Protokoll waren 582,61/1000 Anteile anwesend.
5
Zum Teil lagen Vollmachten als Fotokopien vor. Eine Rüge erteilter Vollmachten erfolgte auf der Eigentümerversammlung nicht.
6
Die Sanierung des Balkones der Einheit N4. ist dringend.
7
Im Jahr 2015 erfolgte durch den Sachverständigen Herrn G. eine Überprüfung der Fassade. Auf der Eigentümerversammlung am 14.05.2018 wurde die Fassadensanierung für die Häuser 8, 10,12 und 14 beschlossen.
8
Eine Anforderung von Angeboten erfolgte nicht seitens der Kläger gegenüber der Hausverwaltung.
9
Die Kläger trugen vor, zum Zeitpunkt der Einladung am 12.10.2020 habe der 7 Tage-Inzidenzwert für die Stadt A. bei 48,995 gelegen und am Tag der Versammlung am 29.10.2020 bei 250,68. Es seien viele andere Eigentümer bereits älter.
10
Zumindest 50 Vollmachten seien nicht im Original vorgelegen.
11
Die Kläger sind der Ansicht, aufgrund der hohen Coronazahlen in Augsburg habe die Eigentümerversammlung nicht stattfinden dürfen. Die Kläger befänden sich in einem fortgeschrittenem Alter und gehören zur Risikogruppe. Zum Zeitpunkt der Versammlung habe aufgrund der 7. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung sowie der Allgemeinverfügung der Stadt A. vom 13.10.2020 die Versammlung nicht stattfinden dürfen, sodass gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen worden sei. Zwar seien Eigentümerversammlungen im Wortlaut der Verordnung nicht explizit enthalten, es sei jedoch auch juristischen Laien klar gewesen, dass sich nicht mehr als 5 Personen zum Zeitpunkt der abgehaltenen Eigentümerversammlung in geschlossenen Räumen haben treffen dürfen. Den Klägern sei die Teilnahme an der Versammlung aufgrund ihres hohen Alters nicht zumutbar gewesen. Die tatsächlich abgehaltene Eigentümerversammlung habe ihren Sinn des Informationsaustausches und des Austausches von Argumenten zur Willensbildung nicht ermöglichen können.
12
Die Kläger sind der Ansicht, die Vollmachten haben der Schriftform bedurft; die Hausverwaltung sei verpflichtet gewesen, vor Beginn der Versammlung die Wirksamkeit sämtlicher vorgelegter Vollmachten zu überprüfen und habe bei Nichteinhaltung der Schriftform diese zurückzuweisen müssen, auch zumal aufgrund der Pandemie nur wenige Miteigentümer anwesend gewesen seien. Die Beschlüsse seien nichtig, zumal die Versammlung nicht beschlussfähig gewesen sei.
13
Bezüglich der Beschlüsse unter Tagesordnungspunkt 4 (Jahresabrechnung) und Tagesordnungspunkt 5 (Wirtschaftsplan) wird seitens der Kläger kritisiert, es habe keine Notwendigkeit der Beschlussfassung bestanden, zumal die Unterlagen den Eigentümern aufgrund der Übersendung im Vorfeld der geplanten 1. Eigentümerversammlung im März 2020 bereits zugesandt wurden.
14
Bezüglich der Baumaßnahmen wird seitens der Klagepartei kritisiert, es habe keine ausreichende Information im Vorfeld gegeben. Die Unterlagen und Angebote haben Papierform übersandt werden müssen. Eine Einsichtnahme bei der Hausverwaltung sei aufgrund der coronabedingten Ausgangsbeschränkung nicht zumutbar gewesen. Eine Übersendung per Mail sei nicht ausreichend, zumal eine Vielzahl der Eigentümer nicht über einen Drucker/Laptop oder PC mit Monitor verfügten.
15
Bezüglich des Beschlusses unter Tagesordnungspunkt 6 (Sanierung des Balkons N4.) sei ein Angebot den Eigentümern nicht vorgelegt worden, sodass eine Meinung hierüber nicht gebildet habe werden können.
16
Bezüglich des Beschlusses unter Tagesordnungspunkt 7 (Brandschutzklappen Tiefgarage) läge ein Angebot nicht vor.
17
Die Kläger kritisieren an den Beschlüssen gefasst unter Tagesordnungspunkten 6, 7 und 8, die Beschlüsse seien inhaltlich unbestimmt zumal in dem Angebot, welches der Kläger nach der Versammlung erhalten habe, mehrere Alternativen enthalten seien, jedoch unklar sei, was nun beschlossen worden sei. Auch fehle die Festlegung auf eine Fassadenfarbe, zumal in dem Angebot „Farbton nach ihrer Wahl“ enthalten sei. Die Wahl der Farbe könne jedoch nicht dem Verwalter nach Belieben überlassen bleiben.
18
Bezüglich des Tagesordnungspunktes 8.2 wird seitens der Kläger moniert, das Angebot der Firma H4. habe nicht vorgelegen und sei den Klägern auch nicht überlassen worden. Es habe zunächst ein Bausachverständiger vor der Beschlussfassung eingeschaltet werden müssen, um zu überprüfen, ob und in welchem Umfang Sanierungsbedarf bestehe.
19
Bezüglich des Tagesordnungspunktes 9 wird seitens der Kläger moniert, es sei ihnen keine Angebote überlassen worden, weswegen eine Meinungsbildung nicht möglich gewesen wäre.
20
Hinsichtlich des Beschlusses unter Tagesordnungspunkt 10 wird seitens der Kläger moniert, der Zensus sei er für 2021 abgesagt, sodass keine Veranlassung der Beschlussfassung bestanden habe.
21
Seitens der Klageparteien wurde beantragt,
Sämtliche Beschlüsse, die auf der Eigentümerversammlung vom 29 10. 2020 gefasst wurden, werden für ungültig erklärt.
Hilfsweise wurde beantragt,
festzustellen, dass sämtliche Beschlüsse nichtig sind.
Des weiteren wurde beantragt,
die Kosten des Rechtsstreites der Verwaltung aufzuerlegen.
22
Seitens der beklagten Parteien wurde
die Klageabweisung beantragt.
23
Die Beklagtenparteien trugen vor, der Geschäftsführer der Verwaltung habe am 28.10.2020 beim Bayerischen Gesundheitsministerium und dem Augsburger Gesundheitsamt angerufen, wobei ihm mitgeteilt worden sei, die Abhaltung der Versammlung in Ordnung sei. Zum Zeitpunkt der Eigentümerversammlung sei eine solche Versammlung in der durchgeführten Größenordnung zulässig gewesen.
24
In der Teilungserklärung sei eine Schriftform bzgl der Vollmachten nicht vorgeschrieben. Die nachträgliche Rüge des Schriftformerfordernisses sei unbeachtlich. Auf das Beschlussergebnis haben gerügte Vollmachten keine Auswirkung gehabt.
25
Die Angebote und Stellungnahmen hätten bei der Verwaltung eingesehen oder per Mail angefragt werden können. Auf Nachfrage wären die Angebote übersandt worden.
26
Im Angebot enthaltene Eventualpositionen hätte besonders beauftragt werden müssen. Eine zur bisherigen Farbe abweichende Farbe sei nicht beschlossen oder beauftragt worden.
27
Herr H2. sei bereits als Gutachter eingeschaltet worden und habe eine Empfehlung für die Sanierung ausgesprochen. Die Angebote haben vorgelegen. Die Eigentümer haben sich im Vorfeld ausreichend und rechtzeitig über die Beschlussgegenstände informieren können. Eine rechtzeitige Planung der umfangreichen Sanierungsmaßnahmen sei notwendig. Bei einer Beschlussfassung im Jahre 2021 wäre eine Ausführung 2022 nicht mehr möglich gewesen, was auch zu einer nicht unerheblichen Verteuerung geführt hätte. Die Arbeiten müssten durchgeführt werden. Eine spätere Beauftragung hätte zu einer nicht unerheblichen Verteuerung geführt. Das äußere Erscheinungsbild der Anlage werde nicht verändert.
28
Die unter Tagesordnungspunkt 9 beschlossenen Maßnahmen seien unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflicht notwendig. Weitere Angebote sollten nicht eingeholt werden.
29
Die Beschlussfassung bezüglich des Tagesordnungspunktes 10 sei den Eigentümern freigestellt worden. Eine Verschiebung habe zum Zeitpunkt der Eigentümerversammlung nicht festgestanden.
30
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und sonstige Aktenbestandteile.

Entscheidungsgründe

31
Die zulässige Klage ist in vollem Umfange begründet.
32
I. Die Klage ist zulässig. Das Amtsgericht Augsburg ist örtlich und sachlich zuständig.
33
II. Die Klage ist begründet. Die angefochtenen Beschlüsse sind für ungültig zu erklären, § 23 IV WEG aF.
34
1. Materiell ist der gefasste Beschluss im Grundsatz nach dem bei Beschlussfassung geltenden Recht zu beurteilen (vgl. LG Frankfurt, Urteil vom 25. Februar 2021 - 2-13 S 127/19 -, juris; Kammer, NZM 2021, 45; LG Rostock ZMR 2021, 63; Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, Kap. 14 Rn. 223; Riecke MDR 2021, 213 (214)). Ein Beschluss entspricht nur ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn er im Einklang mit der zum Zeitpunkt der Beschlussfassung geltenden Rechtslage steht. Denn allein an dieser Rechtslage können sich die Eigentümer bei Beschlussfassung ausrichten. Eine spätere Änderung der Gesetzeslage hat auf die Beurteilung der Frage, ob der Beschluss für ungültig zu erklären ist, keinen Einfluss, auch wenn die Klage vor dem 01.12.2020 (Inkrafttreten des WEMoG) einging und das Urteil nach dem 01.12.2020 ergeht.
35
2. Zwar durfte die Eigentümerversammlung am 29.10. 2020 nach der zu diesem Zeitpunkt geltenden 7. BaylfSMV abgehalten werden, sie hätte jedoch aufgrund der besonderen Pandemielage im Oktober 2020 nach Bitte der Verlegung durch die Kläger abgesagt werden müssen.
36
Eigentümerversammlungen fielen unter § 5 II der 7. BaylfSMV. Dieser lautete wie folgt (BayMBl 2020 Nr. 562):
„Veranstaltungen, die üblicherweise nicht für ein beliebiges Publikum angeboten oder aufgrund ihres persönlichen Zuschnitts nur von einem absehbaren Teilnehmerkreis besucht werden (insbesondere Hochzeiten, Beerdigungen, Geburtstage sowie Vereins- und Parteisitzungen) und nicht öffentliche Versammlungen sind mit bis zu 100 Teilnehmern in geschlossenen Räumen oder bis zu 200 Teilnehmern unter freiem Himmel gestattet, wenn der Veranstalter ein Schutz- und Hygienekonzept ausgearbeitet hat und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorlegen kann. Speziellere Regelungen nach dieser Verordnung bleiben unberührt. Abweichend von Satz 1 gilt § 13, wenn die Veranstaltung in einem gastronomischen Betrieb stattfindet; die Teilnehmergrenzen nach Satz 1 gelten auch insoweit“.
37
Am 16.10.2020 erfolgte eine Änderung der 7. BaylfSMV (BayMBl. 2020 Nr. 588). § 25 a (Regelungen bei örtlich erhöhter Infektionsgefahr) (2) 3. lautete wie folgt:
„Der Teilnehmerkreis an nach § 5 Abs. 2 zulässigen privaten Feiern (wie insbesondere Hochzeits- oder Geburtstagsfeiern o. ä. Feierlichkeiten) ist unabhängig vom Ort der Veranstaltung auf die Angehörigen von zwei Hausständen oder auf höchstens fünf Personen beschränkt.“
38
Die seitens der Klageparteien angeführte Allgemeinverfügung der Stadt A. vom 13. Oktober 2020 (Anlage K3) wurde mit der Allgemeinverfügung vom 20.10.2020 (Anlage B3) bezüglich Kontaktbeschränkung, Maskenpflicht und Abgabe von Speisen und Getränken hinsichtlich der Ziffern 1-5 mit Wirkung zum 20. Oktober 2020 widerrufen. Die Allgemeinverfügung der Stadt A. vom 29.10.2020 (Ziffer 2: Teilnehmerkreis von Zusammenkünften beschränkt auf Angehörige von 2 Hausständen, höchstens 10 Personen) war nach deren Ziffer 11 erst ab dem 30.10.2020 wirksam (vergleiche Anlage B4) und somit nach der hier streitgegenständlichen Eigentümerversammlung.
39
Die Eigentümerversammlung war daher nach § 5 Abs. 2 der 7. BaylfSMV zu beurteilen. Die Änderung vom 16.10.2020 betraf insbesondere private Feiern, zumal nur diese hier explizit aufgeführt wurden. Vereins - und Parteisitzungen waren gerade nicht von der Änderung vom 16.10.2020 betroffen.
40
Gleichwohl war den Klägern das Erscheinen zur Eigentümerversammlung nicht zumutbar. Nach den von der Stadt A. ermittelten Werte der 7 TageInzidenz, welche von der Klageseite vorgetragen und seitens des Gerichtes nachvollzogen werden können aufgrund der Veröffentlichung im Internet, war der Inzidenzwert für Augsburg am 12.10.2020 (Tag der Einladung) 48,995. Am Tag der Versammlung jedoch betrug dieser bereits 250,68. Entscheidend ist der Wert zum Zeitpunkt der Versammlung. Dieser Wert ist zwar zum Zeitpunkt der Einladung für den Verwalter aufgrund der unsicheren Pandemie nicht vorhersehbar, der Verwalter muss jedoch, wenn sich die Inzidenzzahlen nachvollziehbar derart verändern, auf Bitten der Eigentümer die Eigentümerversammlung absagen. Die Teilnahme an den Eigentümerversammlung stellt auch während der Corona-Pandemie eines der elementaren Kernrechte der Eigentümer dar (vgl. LG Frankfurt, Beschluss vom 29.03.2021, 2-13 T 7/21). Allein die Verweisung auf die Möglichkeit der Teilnahme an der Abstimmung durch die Erteilung von Vollmachten genügt daher nicht.
41
Hinzu kommt, dass gerade in einem Zeitraum der rasant steigenden Inzidenzzahlen der einzelne stets angehalten wurde, Kontakte wo auch nur irgend möglich, zu vermeiden. Zudem ist es für das Gericht nachvollziehbar, dass der einzelne Eigentümer aufgrund der Verschärfung der 7.BaylfSMV und der Allgemeinverfügungen der Stadt A. befürchtete, sich mit einer Teilnahme an eine Eigentümerversammlung ordnungswidrig zu verhalten. Gerade in einem Zeitraum, wo nahezu das gesamte öffentliche Leben zum Erliegen kam, besteht ein Anspruch auf Absage einer anberaumten Eigentümerversammlung.
42
Letztlich kann nicht sicher ausgeschlossen werden, dass bei Teilnahme der Kläger abweichende Beschlüsse gefasst worden wären.
43
III. Kostenentscheidung: § 91 ZPO.
44
Eine Kostentragungspflicht der Hausverwaltung gemäß § 49 II WEG war nicht auszusprechen. Hiernach können dem Verwalter die Prozesskosten auferlegt werden, sowie die Tätigkeit des Gerichtes durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft, auch wenn er nicht Partei des Rechtsstreites ist. Ein grobes Verschulden ist jedoch nicht gegeben. Dieses setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (vgl. Hügel /Elzer, WEG, 2. Auflage, § 49/23).
45
Ein solch grobes Verschulden liegt jedoch nicht vor. Weder ist der Verstoß objektiv schwer noch unentschuldbar, auch vor dem Hintergrund, dass es sich um einen professionellen Verwalter handelt.
46
IV. Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO.