Inhalt

OLG München, Hinweisbeschluss v. 23.03.2021 – 21 U 3245/20
Titel:

Berufung, Kaufpreis, Fahrzeug, Widerruf, Software, Technik, Schadenersatz, Beweislast, Bank, Haftung, Aktivlegitimation, Einstellung, Fahrer, Anspruch, Die Fortbildung des Rechts, Fortbildung des Rechts, Aussicht auf Erfolg

Schlagworte:
Berufung, Kaufpreis, Fahrzeug, Widerruf, Software, Technik, Schadenersatz, Beweislast, Bank, Haftung, Aktivlegitimation, Einstellung, Fahrer, Anspruch, Die Fortbildung des Rechts, Fortbildung des Rechts, Aussicht auf Erfolg
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 30.04.2020 – 51 O 1214/19
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 31.05.2021 – 21 U 3245/20
Fundstelle:
BeckRS 2021, 55516

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 30.04.2020, Az. 51 O 1214/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 19.04.2021.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten um Ansprüche nach einem Pkw-Kauf im Zusammenhang mit dem sog. „Diesel Abgasskandal“.
2
Der Kläger erwarb am 16.06.2017 den streitgegenständlichen gebrauchten … (Euro 6), Erstzulassung 03.02.2015, zu einem Kaufpreis von 45.500 € (Anlage K 1, 2). Das Fahrzeug ist finanziert.
3
Das mit einem V6- Dieselmotor ausgestattete Fahrzeug verfügt über zwei Mechanismen zur Reduktion von Stickoxiden, nämlich die Abgasrückführung und den SCR-Katalysator (selektive katalytische Reduktion). Es war von einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) wegen der Feststellung unzulässiger Abschalteinrichtungen betroffen. Das Software-Update wurde vom Kraftfahrtbundesamt am 12.11.2018 freigegeben.
4
Der Kläger begehrt Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Er macht geltend, das Fahrzeug enthalte mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen. Er führt allgemein aus, das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge über eine Software, die Prüfsituationen erkennt (Replik, S. 17). Zudem verfüge es über ein Thermofenster, auf Grund dessen die Abgasreinigung bei sehr kalten oder warmen Temperaturen heruntergefahren werde. Dieses sei nicht von der Ausnahmeregelung des Art. 5 Abs. 2 S. 2 EG-VO 715/2007 erfasst. Mit Schriftsatz vom 17.02.2020 hat er weiter vorgetragen, das KBA habe einen Rückruf von 127.000 Audi-Modellen wegen einer Aufheizstrategie angeordnet, die nahezu nur auf dem Prüfstand aktiv sei, sowie von weiteren Audi-Modellen wegen einer Drosselung der AdBlue-Einspritzung bei nahezu leerem Tank.
5
Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beklagte ihn vorsätzlich sittenwidrig geschädigt habe. Sie müsse sich das Wissen ihrer Repräsentanten zurechnen lassen.
6
Die Beklagte betont, es fehle an der Aktivlegitimation des Klägers. Zudem verfüge das Fahrzeug nicht über eine Technik, die mit der „Umschaltlogik“ beim Motor EA 189 vergleichbar sei. Der Rückruf durch das KBA sei nur erfolgt im Hinblick auf die Arbeitsweise des SCR-Katalysators, wenn der Harnstoff nur noch für eine Restreichweite von 2.400 km ausreicht. Das Abgasnachbehandlungssystem auf der Straße und auf dem Rollenprüfstand sei identisch. Eine sittenwidrige Täuschung sei nicht ersichtlich.
7
Im Einzelnen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 ZPO.
8
Das Landgericht Ingolstadt hat die Klage mit Urteil vom 30.04.2020 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, ein Anspruch bestehe nicht, weil es an der Aktivlegitimation des Klägers fehle. Die Kaufpreisfinanzierung eines Teils des Kaufpreises von 33.000 € sei unstreitig und damit auch die Sicherungsübereignung des Fahrzeugs an die Bank. Der Kläger habe hierzu nicht substantiiert vorgetragen.
9
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, der seine erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche weiter verfolgt. Er rügt, dass das Gericht vermutet habe, dass der Kläger seine Ansprüche an die Bank abgetreten habe. Dies genüge nicht für einen Nachweis. Er habe nur Ansprüche im Falle einer Beschädigung des Fahrzeugs durch Dritte abgetreten. Auf die Eigentümerstellung komme es für einen Anspruch aus § 826 BGB nicht an. Im Übrigen verweist er auf seinen Vortrag in erster Instanz. Bezüglich des Vortrags im Einzelnen wird auf die Berufungsbegründung vom 27.08.2020 Bezug genommen, Bl. 204 ff. d.A., sowie den weiteren Schriftsatz vom 16.10.2020, Bl. 217 ff d.A..
10
Er beantragt unter Abänderung des am 30.04.2020 verkündeten Urteils
I. Die Beklagte unter Abänderung des Urteils Landgericht Ingolstadt 51 O 1214/19 zu verurteilen, an die Klagepartei EUR 45.500,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz SEIT Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zugum-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW … FIN …
II. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2.099,76 freizustellen.
11
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
12
Die Beklagte ist der Auffassung, das Urteil des Landgerichts sei zutreffend. Das Fahrzeug verfüge nicht über eine dem Motor EA 189 vergleichbare Umschaltlogik. Der Rückruf des KBA betreffe nur die aktive Restreichweitenwarnung. Nur in den Fällen, in denen das verbleibende AdBlue nur noch für eine Strecke von 2.400 km ausreicht und ein Fahrer über längere Zeit hochlastig und dynamisch fahre, werde der Wirkungsgrad der AdBlue Einspritzung herabgesetzt. Dies komme im normalen Fahrbetrieb praktisch kaum vor.
II.
13
Der Senat beabsichtigt, sein eingeschränktes Ermessen (“soll“) dahingehend auszuüben, dass er die Berufung der Klagepartei durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückweist.
14
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung, die auch nicht geboten ist, § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO. Die Berufung hat auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO. Die Berufungsbegründung hat nicht aufzeigen können, dass das angefochtene Urteil im Ergebnis auf einer Rechtsverletzung gemäß § 546 ZPO beruht oder dass die nach § 529 ZPO zu Grunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
15
Die Entscheidung des Landgerichts ist im Ergebnis zutreffend. Ein Auswechseln der Begründung ist im Wege des § 522 ZPO zulässig (Zöller/Heßler, ZPO, 33. Aufl., § 522 Rn. 36 mwN). Der Senat stützt seine rechtliche Wertung angesichts der vorgelegten Abtretungserklärung nicht auf die fehlende Aktivlegitimation, sondern darauf, dass ein Anspruch aus § 826 BGB nicht substantiiert vorgetragen ist.
16
Zwar kann im Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen ist, grundsätzlich eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung liegen, da dies dazu führen kann, dass der Widerruf der Typengenehmigung oder zumindest die Stilllegung des konkreten Fahrzeugs droht, sofern der Käufer nicht an einer Rückrufaktion zur Beseitigung der Abschalteinrichtung teilnimmt. Für eine deliktische Haftung der Beklagten trägt jedoch der Kläger grundsätzlich die volle Darlegungs- und Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen, vgl. BGH, Urteil vom 19.07.2004, Az. II ZR 218/03. Nur wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen, liegt ein schlüssiger Tatsachenvortrag vor, über den gegebenenfalls Beweis zu erheben ist. Unschlüssig ist dabei ein Vortrag dann, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass nicht beurteilt werden kann, ob die Behauptung erheblich ist und dann, wenn nicht Tatsachen, sondern nur Rechtsansichten dargetan werden.
17
Im vorliegenden Fall genügt der Vortrag trotz Rückrufs durch das KBA nicht. Im Einzelnen:
18
Der Kläger hat substantiiert als Abschalteinrichtung ein Thermofenster vorgetragen. Die Beklagte hat eine weitere Abschalteinrichtung im Hinblick auf die Arbeitsweise des SCR-Katalysators zugestanden, wenn der Harnstoff nur noch für eine Restreichweite von 2.400 km ausreicht. Diese beiden Abschalteinrichtungen mögen unzulässig sein, rechtfertigen aber nicht den Vorwurf einer sittenwidrigen Schädigung (1. und 2.). Zu anderen Abschalteinrichtungen, die überwiegend auf dem Prüfstand zum Einsatz kommen, erfolgte kein substantiierter Vortrag (3. und 4.).
19
1. Selbst wenn man vor dem Hintergrund der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, Beschluss vom 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19 und dem Urteil des europäischen Gerichtshofs vom 17.12.2020, Rechtssache C-693/18 die Behauptung des Klägers als zutreffend zugrunde legt, das in dem Fahrzeug unstreitig vorhandene Thermofenster sei eine unzulässige Abschaltvorrichtung, reicht der darin liegende - unterstellte - Gesetzesverstoß in der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Die Applikation eines solchen Thermofensters ist nicht mit der Verwendung der Prüfstandserkennungssoftware beim Motor EA 189 zu vergleichen. Während letztere unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielte und einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleichsteht, ist der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht von vornherein durch Arglist geprägt. Sie führt nicht dazu, dass bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und der Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert wird, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten durch Implementation des Thermofensters hätte sich nur dann fortgesetzt, wenn zu dem - unterstellten - Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten., die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließe. Dies würde voraussetzen, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Derartige Anhaltspunkte sind aber vom Kläger hier weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere ist nicht dargetan, dass die Beklagte das Kraftfahrt-Bundesamt im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates arglistig getäuscht haben könnte.
20
Hinzu kommt, dass angesichts der kontrovers geführten Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO 2007/715/EG, eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden muss (vgl. ebenso OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019, Az.: 3 U 148/18, juris Rdnr. 6; OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019, Az.: 5 U 1670/18; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, Az.: 10 U 134/19; OLG Koblenz, Urteil vom 18.06.2019, Az.: 3 U 416/19).
21
Hat die Beklagte aber die Rechtslage fahrlässig verkannt, dann fehlt es sowohl am erforderlichen Schädigungsvorsatz als auch an dem für die Sittenwidrigkeit in subjektiver Hinsicht erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 80. Aufl. 2021, § 826, Rdnr. 8) wie der Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Tatumstände. Dabei kommt es auf den Zeitpunkt der Vornahme des Updates an und nicht auf den heutigen Meinungsstand. Dass auf Seiten der Beklagten im Hinblick auf die beim Update verwendete Technik zum damaligen Zeitpunkt das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes verbunden mit einer zumindest billigenden Inkaufnahme desselben vorhanden war, ist weder dargetan noch ersichtlich.
22
2. Hinsichtlich der reduzierten AdBlue-Einspritzung zur Gewährleistung der Restreichweite von 2.400 km ist eine sittenwidrige Täuschung ebenfalls nicht substantiiert vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Die Beklagte hat substantiiert dargetan, dass das KBA eine Einstellung des SCR-Katalysators gerügt hat, wonach dann, wenn die Restmenge AdBlue im Tank nur noch für eine verbleibende Fahrstrecke von 2.400 km ausreicht und der Fahrer das Fahrzeug über längere Zeit und hoch dynamisch fährt, der Wirkungsgrad der AdBlue Einspritzung geringfügig herabgesetzt wird (Klageerwiderung vom 10.10.2019, Bl. 81 ff, dort S. 6 ff). Dies diente der Erfüllung der Anforderungen von Abs. 3.5. Anhang XVI VO (EG) 692/2008, das ein Warnsystem vorsieht; es sollte sichergestellt werden, dass dem Fahrer tatsächlich noch eine Fahrstrecke von 2.400 km zur Verfügung stehen. Die Einstellung sollte dies für den Fall gewährleisten, dass die vorangegangene Berechnung der Reichweite auch bei einer erheblichen Verbrauchsänderung durch eine sportliche Fahrweise eingehalten wird. Dem diesbezüglichen Vortrag der Beklagten ist der Kläger nicht entgegen getreten. Eine derartige Programmierung ist aber mit der vom Bundesgerichtshof als sittenwidrig erachteten Umschaltlogik nicht zu vergleichen, die bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten wurden (Umschaltlogik), und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielte. Eine Täuschung im Prüfstand ist nicht ersichtlich. Vielmehr hat die eingesetzte Technik auch das Ziel, die Restreichweite zu gewährleisten, erfolgt also nicht zuletzt auch im Interesse des Kunden und zur Erfüllung einer gesetzlichen Anforderung. Selbst wenn diese Anforderung auch auf anderem Wege hätte erfüllt werden können, so spricht jedenfalls nichts dafür, dass die Beklagte die entsprechende Programmierung mit dem Ziel einer arglistigen Täuschung der Typgenehmigungsbehörde vorgenommen hat, zumal es sich hier nicht um eine Prüfstandslogik handelt.
23
Zu dieser Frage liegt keine abweichende oberlandesgerichtliche Entscheidung vor. Das von der Beklagten zitierte Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg, Urteil vom 29.11.2019, Az. 7 U 52/19, hält eine diesbezügliche sittenwidrige Schädigung nicht für substantiiert vorgetragen. Das Oberlandesgericht Oldenburg hat mit Urteil vom 16.10.2020, Az. 11 U 2/20, die Frage ausdrücklich offen gelassen.
24
3. Der Kläger trägt weiter vor, aus im Realbetrieb vorgenommenen Messungen lasse sich schließen, dass die Beklagte vorliegend eine Software verwendet habe, durch die das Verhalten des Fahrzeugs auf dem Prüfstand grundsätzlich anders gesteuert werde, als im Realbetrieb. Auch insoweit genügt der Vortrag indes nicht den Anforderungen als „greifbare Anhaltspunkte“ im Sinne der vorstehend zitierten Rechtsprechung.
25
Die bloße Überschreitung der Grenzwerte in anderen Messumgebungen als im Rahmen des Prüfzyklus 1 kann schon für sich - anders als die Klagepartei meint - kein hinreichender Anhaltspunkt sein. Denn die erforderlichen Messungen im Prüfzyklus 1 stellen auf eine genormte Situation ab, die zwangsläufig im Rahmen von Messungen im realen Straßenverkehr nicht vorliegen; es muss daher zu anderen Messwerten kommen. Gerade deshalb hat der europäische Gesetzgeber den früher geltenden Prüfzyklus durch einen neuen Test ersetzt, wonach Überprüfungen auch im Straßenbetrieb stattfinden (Erwägungsgründe 3, 7, 8, 9 der Verordnung (EU) 2016/646 der Kommission vom 20.04.2016, ABl. L vom 26.04.2016, 1 ff.). Gegebenenfalls könnte hierin gleichwohl ein Indiz liegen, wenn die Abweichungen besonders hoch sind - dabei ist aber zu berücksichtigen, dass jedenfalls allein schon aufgrund des Einsatzes von Thermofenstern deutliche Abweichungen verursacht werden. Dann ist ein Schluss aus besonders hohen Grenzwertüberschreitungen auf das Vorliegen von anderen Abschalteinrichtungen neben einem Thermofenster nicht gerechtfertigt. Jedenfalls aber zeigen der Bericht der „Untersuchungskommission …“ (Anlage K5) und die Übersicht des Umweltbundesamtes „HBEFA Version 3.3“ (Anlage K7) wie auch die sonstigen von der Klagepartei zitierten Messungen, auch der „Deutschen Umwelthilfe“, dass immer konkret auf einzelne Fahrzeugtypen abzustellen ist. So wird etwa konkretisiert nach der Handelsbezeichnung (z.B. … l), der Schadstoffnorm, dem Hubraum, der Motorleistung, dem Alter des Fahrzeugs und der Art der Abgasreduktion. Die Klagepartei beruft sich zwar auf Messungen betreffend einen „…“ (Schriftsatz vom 27.11.2019, Bl. 124 ff, dort S. 9), der die gleiche kW - Leistung aufweist wie der streitgegenständliche (Anlage K 32, Projektnummer 2018-024: 200 kW) und den Grenzwert erheblich übersteigt (NOx: 602,51 bzw. 494,36 mg/km).
26
Aus der vorgelegten Tabelle ergibt sich aber weiter unten (Projektnummer 2018-036) ebenfalls für einen „Audi A6 3.0l TDI 200 kW“ ein erheblich niedrigerer NOx-Wert, nämlich 113,05 und 124,89 mg/km. Bereits daraus lässt sich erkennen, dass Messungen für irgendwelche anderen Fahrzeuge mit ähnlicher Bezeichnung für das konkret vorliegende Modell nicht ausschlaggebend sind. Die Werte 113,05 und 124,89 mg/km überschreiten den Grenzwert nicht erheblich und stellen daher jedenfalls kein Indiz für eine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Der vom BMVI überprüfte A6 (S. 11 des Schriftsatzes) verfügt ohnehin über einen Motor der Schadstoffklasse Euro 5 (hier: Euro 6).
27
4. Soweit der Kläger weitere unzulässige Abschalteinrichtungen vorträgt, fehlt es an substantiiertem Vortrag: Mit der Klage hat er sich im Wesentlichen auf die Manipulationen des Motors EA 189 bezogen und behauptet, dass das Fahrzeug „den Prüfstand erkenne und dort in einen sauberen Modus schalte“. Auf S. 17 des Schriftsatzes vom 27.11.2019 (Bl. 124 ff) ist Beweis zu der Behauptung angeboten, das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge „über eine Software, die Prüfsituation auf dem Prüfstand erkennt (…). Die Bordelektronik schaltet dann in einen Prüfstandmodus“, in dem die Abgasnachbehandlung (natürlich) im optimalen Modus arbeitet.“ Diese Behauptungen haben ihren Ursprung in den bekannten Manipulationen betreffend den Motor EA 189. Wie der Kläger darauf kommt, dass eine vergleichbare Technik auch in seinem Motor Verwendung findet, erschließt sich jedoch nicht und wird auch nicht konkret vorgetragen. Aus den Messungen lässt sich, wie bereits dargelegt, ein solcher Schluss nicht ziehen. Der streitgegenständliche Motor ist anders aufgebaut und verfügt damit auch über eine andere Technik.
28
Mit Schriftsatz vom 17.02.2020 (Bl. 168 d.A.) hat der Kläger weiter vorgetragen, dass das KBA am 21.01.2018 einen Rückruf von 127.000 Audi-Modellen wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt einer Aufheizstrategie ausgesprochen habe. Er trägt aber nicht vor, dass das streitgegenständliche Fahrzeug von diesem Rückruf und von dieser Abschalteinrichtung betroffen ist. Vielmehr führt er unmittelbar anschließend aus, dass mit einem weiteren Rückruf im Mai 2018 eine Drosselung der AdBlue-Zufuhr bei nahezu leerem AdBlue-Tank gerügt wurde. Die Beklagte hat die Betroffenheit des Fahrzeugs von letzterem Rückruf zugestanden. Wenn der Kläger meint, er sei von weiteren Rückrufen bzw. weiteren Abschalteinrichtungen betroffen, so wäre es seine Sache, hierzu substantiiert vorzutragen.
29
Nach alledem fehlt es bislang an substantiiertem Vortrag dazu, dass das Fahrzeug nicht nur von einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen ist, sondern dass deren Einsatz auch zu einer sittenwidrigen Schädigung des Klägers führt.
30
Gelegenheit zur Stellungnahme besteht bis 19.04.2021.