Titel:
Entschädigung wegen Benachteiligung im Bewerbungsverfahren – Anwendungsbereich des AGG
Normenketten:
AGG § 6, § 7 Abs. 1, § 15 Abs. 2, Abs. 4
BBiG § 26
Leitsatz:
Die Förderung eines Studienplatzes stellt keine Beschäftigung iSd § 6 AGG dar, auch nicht eine Beschäftigung zur Berufsbildung iSd § 6 Abs. 1 Nr. 2 AGG, denn ein Hochschulstudium dient nicht dazu, berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten oder berufliche Erfahrungen zu erwerben. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entschädigung, Benachteiligung im Bewerbungsverfahren, Schwerbehinderung, Förderstudienplatz, Hochschulstudium, Beschäftigungsverhältnis
Rechtsmittelinstanzen:
LArbG Nürnberg, Urteil vom 18.11.2021 – 5 Sa 211/21
BAG Erfurt, Beschluss vom 02.06.2022 – 8 AZN 23/22
BAG Erfurt, Urteil vom 23.11.2023 – 8 AZR 212/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 55494
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten darüber, ob die beklagte Körperschaft des öffentlichen Rechts dem Kläger eine Entschädigung zu zahlen hat, weil sie ihn bei der Aufnahme in ein Förderprogramm für Studierende wegen seiner Behinderung benachteiligt hat.
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Der am 11. September 1994 geborene und ausweislich des Bescheids des Landratsamtes vom 4. Juni 2019 mit einem Grad von 40 behinderte Kläger ist seit mehreren Umschulungen als Verwaltungsfachangestellter, als Referent Gesundheitstourismus und als Meister für Bäderbetriebe nach über 1200 erfolglosen Bewerbungen derzeit Studierender an der Hochschule Fulda im Fachbereich Sozialrecht. Mit Schreiben vom 31. Juli 2020 und Antrag vom 8. August 2020 stellte der Kläger einen Gleichstellungsantrag bei der Agentur für Arbeit in S. Mit Bescheid vom 10. September 2020 wurde die Gleichstellung rückwirkend zum 31. Juli 2020 bewilligt. Gleichstellungsanträge aus den Jahren 2012 und 2018 des Klägers waren abgelehnt worden.
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Die Dienststellen der Beklagten in Kassel und in Bad Hersfeld Fulda schrieben eine Stelle im Rahmen ihres Förderprogramms für Studierende aus mit den Einsatzorten Bad Hersfeld, Fulda und Frankfurt am Main. Die Beklagte fördert Teilnehmer des Programms mit einem monatlichen Betrag in Höhe von 880 € brutto und bietet für Zeiten der betrieblichen Praxis eine monatliche Praktikumsvergütung in Höhe von 1.570 € brutto an.
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Der Kläger bewarb sich hierauf am 28. Juli 2020. Mit Schreiben vom 4. August 2020 wurden der Kläger und zwei weitere Bewerber*innen zu Auswahlgesprächen am 12. August 2020 in der Agentur für Arbeit in Fulda eingeladen. In seinem Vorstellungsgespräch wies der Kläger auf seine Behinderung hin und dass er im Juli 2020 einen Gleichstellungsantrag gestellt habe, um dessen dringliche Bearbeitung er im Vorstellungsgespräch bat.
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Am 17. August 2020 sagte die Beklagte dem Kläger telefonisch ab.
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Mit Schreiben vom 23. August 2020 reichte der Kläger zunächst eine auf eine Einstellung auf einen Förderstudienplatz an den ausgeschriebenen Standorten der Beklagten in Fulda, Kassel und Frankfurt am Main und Bad Hersfeld gerichtete Klage beim Arbeitsgericht Nürnberg ein. Mit Schreiben vom 30. August 2020 beantragte der Kläger, die Beklagte zu einer Einstellung des Klägers oder zu Schadensersatz in angemessener Höhe zu verurteilen. Mit Schreiben vom 5. November 2020 beantragte der Kläger eine Entschädigung in Höhe von mindestens 5000 €.
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Der Kläger ist der Ansicht, seine Bewerbung habe berücksichtigt werden müssen. Das Vorstellungsgespräch sei gut verlaufen. Im Vorstellungsgespräch sei mitgeteilt worden, dass die ausgeschriebene Stelle in Bad Hersfeld bereits besetzt sei und die Stelle in Frankfurt am Main nicht mehr zur Verfügung stünde. Im Bewerbungsgespräch sei es um eine zu besetzende Stelle in Fulda und in Kassel gegangen. Bei der telefonischen Absage am 17. August 2020 habe ihm der Sachbearbeiter bestätigt, dass er einen sehr guten Eindruck im Gespräch hinterlassen habe und die Beklagte ihn auch gerne einstellen würde, doch andere Bewerber besser gewesen wären. Ihm sei wegen der Behinderung abgesagt und er sei daher wegen seiner Behinderung benachteiligt worden. Er habe im Vorstellungsgespräch nicht nach einer Verbeamtung gefragt und auch das Gespräch nicht darauf gelenkt. Ihm sei bekannt, dass seit 2003 keine Verbeamtungen mehr vorgenommen werden würden.
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Der Kläger beantragt zuletzt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine Entschädigung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die aber 5000 € nicht unterschreiten sollte, zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte trägt vor, es hätte sich um eine Stelle gehandelt, die ausgeschrieben worden sei, auf die sich insgesamt 13 Bewerber*innen beworben hätten. Zu Beginn des Gesprächs habe der Kläger einige Fragen gut beantwortet, im Verlauf des Auswahlgesprächs jedoch nur noch Fragen nach einer möglichen Verbeamtung und der damit verbundenen Beamtenlaufbahn gestellt. Darin, dass der Kläger nach Einladung zu einem Vorstellungsgespräch nicht eingestellt worden sei, liege kein Indiz für eine Benachteiligung. Am 13. August 2020 habe die Auswahlkommission der Beklagten entschieden, das Stellenbesetzungsverfahren für das Studium ohne eine Einstellung zu beenden. Da alle Bewerber eine Absage erhalten hätten, fehle es an einer für den Kläger weniger günstigen Behandlung.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 c ArbGG eröffnet. Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Nürnberg ergibt sich aus §§ 12, 17 Abs. 1 ZPO.
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Die Beklagte ist nicht nach § 15 Abs. 2 AGG verpflichtet, an den Kläger eine Entschädigung zu zahlen. Die Klage ist unschlüssig, da der Kläger keinen ausreichenden Vortrag dazu geleistet hat, dass der persönliche Anwendungsbereich des § 6 AGG eröffnet ist.
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1. Zwar hat der Kläger den Entschädigungsanspruch frist- und formgerecht geltend gemacht und eingeklagt (§ 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG).
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a. Der Kläger hat die Frist des § 15 Abs. 4 AGG eingehalten.
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i. Die Beklagte hat dem Kläger am 17. August 2020 telefonisch eine Absage erteilt. Der Kläger hat den Entschädigungsanspruch zwar noch nicht mit Klageschrift vom 23. August 2020 geltend gemacht. Streitgegenstand der Klageschrift vom 23. August 2020 war ein behaupteter Anspruch auf Einstellung des Klägers.
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ii. Mit Schriftsatz vom 30. August 2020 hat der Kläger jedoch den Streitgegenstand seiner Klage alternativ auf Einstellung des Klägers oder auf Schadensersatz in angemessener Höhe erweitert. Zwar handelte es sich hierbei mangels Bestimmtheit der Reihenfolge der geltend gemachten Streitgegenstände um eine unzulässige Klage. Für die Geltendmachung nach § 15 Abs. 4 AGG ist jedoch eine zulässige Klage nicht erforderlich, sondern eine schriftliche Geltendmachung ausreichend.
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iii. Die inhaltlichen Anforderungen einer Geltendmachung richten sich nach deren Zweck: Der Arbeitgeber muss in die Lage versetzt werden, zu prüfen, ob er der Forderung entsprechen, ggf. Beweise sichern und Geldmittel bereitstellen muss. Die Schilderung des Sachverhalts muss dafür hinreichend genau sein, ggf. müssen auch die Personen genannt werden, von denen die Diskriminierung unmittelbar ausging. Soweit möglich, ist dazu auch die Nennung der ungefähren Schadenshöhe erforderlich (vgl. (BeckOGK/Benecke, 1.3.2021, AGG § 15 Rn. 93).
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iv. Diesen Anforderungen genügt der Schriftsatz vom 30. August 2020. Aus dem Schriftsatz vom 30. August 2020 ist ersichtlich, dass der Kläger sich aufgrund des laufenden Gleichstellungsverfahrens wegen seiner Behinderung benachteiligt sieht, weil er keine Zusage auf Einstellung eines öffentlichrechtlich geförderten Förderstudiums im Fach Sozialrecht erhalten hat, und hierfür Schadensersatz fordert. Der Auslegung des Schriftsatzes vom 30. August 2020 als Geltendmachungsschreiben steht nicht entgegen, dass der Kläger die Höhe des geforderten Schadensersatzes nicht beziffert hat. Der Kläger hat ausgeführt, dass er Schadensersatz in angemessener Höhe fordert. Dies ist für eine Geltendmachung nach § 15 Abs. 4 AGG ausreichend.
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v. Das Schreiben ging bei Gericht am 30. August 2020 ein. Auf § 15 Abs. 4 AGG findet nach der Rechtsprechung des für Entschädigungsansprüche nach dem AGG zuständigen Achten Senat des BAG § 167 ZPO Anwendung (BAG 22. Mai 2014 - 8 AZR 662/13 -, BAGE 148, 158-167, Rn. 9, a.A. zur außergerichtlichen Geltendmachung eines Anspruchs zur Wahrung einer tariflichen Ausschlussfrist BAG 16. März 2016 - 4 AZR 421/15 -, BAGE 154, 252-267, Rn. 20). Mit dem Eingang bei Gericht am 30. August 2020 ist damit nach der Rechtsprechung des Achten Senats des BAG die zweimonatige Frist des § 15 Abs. 4 AGG gewahrt.
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b. Mit der am 30.8.2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger auch die dreimonatige Klagefrist des § 61b Abs. 1 ArbGG gewahrt. Auch mit Schriftsatz vom 5. November 2020, der erstmals einen zulässigen Antrag enthielt, hat der Kläger die dreimonatige Klagefrist des § 61b Abs. 1 ArbGG gewahrt.
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2. Der Kläger hat jedoch nicht ausreichend Vortrag dazu geleistet, dass der persönliche Anwendungsbereich des AGG eröffnet ist. Darauf, ob ein Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot vorliegt, kommt es daher vorliegend nicht an.
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a. Gem. § 6 AGG gilt das AGG für Beschäftigte iSd § 6 Abs. 1 AGG sowie für Arbeitgeber iSd § 6 Abs. 2 AGG. Unter den Begriff der Beschäftigten fallen gem. § 6 Abs. 1 S. 2 AGG auch die Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis. Arbeitgeber iSd § 6 Abs. 2 AGG ist jedenfalls derjenige, der um Bewerbungen für ein von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis bittet (BAG 19.8.2010 - 8 AZR 370/09, NZA 2011, 200).
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b. Vor einer Benachteiligung in Beschäftigungsverhältnissen sollen nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch die zur Berufsbildung Beschäftigten und arbeitnehmerähnliche Personen bewahrt werden. Auf die „Berufsbildung“ wird abgestellt, um zu verdeutlichen, dass nicht allein die dem BBiG unterliegenden Ausbildungsverhältnisse einbezogen wurden, sondern auch Umschüler, Volontäre, Praktikanten ua., die außerhalb eines Arbeitsverhältnisses eingestellt werden, um berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse oder Erfahrungen zu erwerben, § 26 BBiG. Sie müssen sich dabei in einem dem Beschäftigungsverhältnis vergleichbaren Abhängigkeitsverhältnis befinden (ErfK/Schlachter, 21. Aufl. 2021, AGG § 6 Rn. 2).
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c. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Zwar hat sich der Kläger beworben. Er hat jedoch nicht vorgetragen, dass er sich für ein Beschäftigungsverhältnis beworben hat. Unstreitig hat sich der Kläger sowohl nach seinem Vortrag als auch nach seiner vorgelegten Bewerbung auf einen Förderstudienplatz bei der Beklagten beworben. Die Förderung eines Studienplatzes stellt keine Beschäftigung im Sinne des § 6 AGG dar, auch nicht eine Beschäftigung zur Berufsbildung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 2 AGG, denn ein Hochschulstudium dient nicht dazu, berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten oder berufliche Erfahrungen zu erwerben. Zwar ist ein Fachhochschulstudium, das mit dem Programm der Beklagten gefördert werden sollte, grundsätzlich praxisbezogener als ein Hochschulstudium an einer Universität. Auch ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers zur Höhe der Förderung - monatlich 880 € brutto und für Zeiten der betrieblichen Praxis 1570 € brutto - dass eine betriebliche Praxis Teil des Studiums ist. Konkreten Vortrag dazu, was die betriebliche Praxis beinhaltet, ob diese Zeiten zum Beispiel bei der Beklagten abgeleistet werden, hat der Kläger nicht geleistet. Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich damit nicht, dass es sich bei dem Förderprogramm um ein anderes Vertragsverhältnis im Sinne des § 26 BBiG handelt.
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d. Auch fehlt es an Vortrag dazu, dass die Beklagte Arbeitgeberin im Sinne des § 6 Abs. 2 AGG ist. Aus dem Vortrag des Klägers ist nicht ersichtlich, dass eine Beschäftigung bei der Beklagten Inhalt des Förderprogramms war. So ist auch aus der Angabe der unterschiedlichen monatlichen Förderbeträge für Zeiten der betrieblichen Praxis nicht ersichtlich, dass Zeiten der betrieblichen Praxis bei der Beklagten abgeleistet werden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG, § 91 Abs. 1 Satz1 ZPO. Der Kläger hat die Kosten zu tragen, da er unterlegen ist.
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Der Rechtsmittelstreitwert wurde gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG, §§ 3 ff. ZPO in Höhe der eingeklagten Mindestentschädigung festgesetzt.
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Gründe gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG, die Berufung gesondert zuzulassen, liegen nicht vor. Die Statthaftigkeit der Berufung nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes bzw. in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gemäß § 64 Abs. 2 b), c) ArbGG bleibt hiervon unberührt.