Inhalt

LG München I, Urteil v. 06.10.2021 – 18 Ns 111 Js 138359/20
Titel:

Verstoß gegen das vereinsrechtliche Kennzeichenverbot durch Zuschaustellen einer Fahne mit dem Abbild von Abdullah Öcalan

Normenketten:
VereinsG § 9, § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5
BayVersG Art. 20 Abs. 2 Nr. 4
Leitsatz:
Das Zurschaustellen einer Fahne mit dem Abbild von Abdullah Öcalan anlässlich einer öffentlichen Versammlung ist als Verwenden eines Kennzeichens einer verbotenen Vereinigung – der PKK – nach § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, § 9 VereinsG zu werten. (Rn. 43 – 45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vereinsrecht, Zuwiderhandlungen, Strafvorschriften, Versammlungen, Kennzeichenverbot, verbotene Vereinigung, PKK, Fahne, Abbild von Abdullah Öcalan
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 14.07.2022 – 206 StRR 27/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 55307

Tenor

I. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 05.07.2021 aufgehoben, soweit die Angeklagte nicht freigesprochen wurde.
II. Die Angeklagte ist schuldig der Zuwiderhandlung gegen Verbote des Vereinsgesetzes und der Zuwiderhandlung gegen Versammlungsbeschränkungen.
III. Die Angeklagte wird deshalb zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt.
IV. Die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt.
V. Im Übrigen werden die Berufungen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft verworfen.
VI. Die Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und ihre notwendigen Auslagen, soweit sie verurteilt wurde.
Soweit das Verfahren gemäß § 154 a II StPO eingestellt wurde, trägt die Staatskasse die ausscheidbaren Kosten des Verfahrens, die Angeklagte ihre notwendigen Auslagen.
Im Übrigen trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Angeklagten.

Entscheidungsgründe

I.
Verfahrensgang:
1
Die Staatsanwaltschaft M. I erhob im Verfahren 111 Js 138359/20 am 10.08.2020 eine Anklage. Im Verfahren 111 Js 204375/20 wurde eine weitere Anklage gegen die Angeklagte am 15.01.2021 erhoben. Mit Beschluss vom 24.03.2021 wurden beide Anklagen zur Hauptverhandlung zugelassen und zur gemeinsamen Verhandlung verbunden, das Verfahren 111 Js 138359/20 führt dabei.
2
In der mündlichen Hauptverhandlung vom 05.07.2021 wurde die Angeklagte wegen Zuwiderhandlung gegen Verbote des Vereinsgesetzes in zwei tatmehrheitlichen Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Zuwiderhandlung gegen Versammlungsbeschränkungen schuldig gesprochen. Im Übrigen wurde sie freigesprochen. Die Angeklagte wurde deswegen zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt. Zudem wurde die sichergestellte weiße Handyrückseite mit einem Öc.-Aufkleber eingezogen.
3
Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein mit Schriftsatz vom 06.07.2021, bei Gericht eingegangen am 07.07.2021. Mit Schriftsatz vom 10.08.2021 wurde die Berufung beschränkt auf das Strafmaß, soweit die Angeklagte verurteilt wurde und im Übrigen auf den Freispruch. In der Berufungsverhandlung vom 6.10.2021 nahm die Staatsanwaltschaft ihre Berufung zurück, soweit sie sich gegen den Freispruch (angeklagte Tat vom 10.3.2020) richtete.
4
Die Angeklagte legte mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 06.07.2021, eingegangen am 07.07.2021, „Rechtsmittel“ gegen das Urteil ein. Aufgrund der Berufung der Staatsanwaltschaft war das Rechtsmittel ebenfalls als Berufung zu behandeln.
5
In der Berufungshauptverhandlung vom 30.09.2021 wurde das Verfahren hinsichtlich des Zeigens eines Öc.-Bildes auf dem Handyrücken am 20.06.2020 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft gemäß § 154 a Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Die Angeklagte beschränkte daraufhin ihre Berufung betreffend die Tat vom 20.06.2020 hinsichtlich des verbleibenden Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz auf den Rechtsfolgenausspruch.
6
Das Urteil beruht nicht auf einer Verständigung gemäß § 257 c StPO. Entsprechende Gespräche wurden auch nicht geführt.
II.
Persönliche Verhältnisse:
Die Angeklagte ist ….
7
Die Angeklagte ist vorbestraft wie folgt:
„…“
III.
Sachverhalt:
1. Tat vom 15.2.2020
8
Am 15./16.02.2020 fand in M. die sogenannte „Münchner Sicherheitskonferenz“ statt. Anlässlich dieser Tagung kam es - wie jedes Mal bei dieser Tagung - zu einer größeren Demonstration, in diesem Jahr mit dem Thema: „Gegen die Nato-Kriegstagung in M., gegen Aufrüstung, Kriegspropaganda, Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus, Antiislamhetze, für Solidarität mit Flüchtlingen“. An dieser sich fortbewegenden Versammlung nahm die Angeklagte jedenfall im Zeitraum 14.33 Uhr bis 14:58 Uhr als normale Teilnehmerin und nicht in leitender Position teil. Dabei trug sie eine Fahne mit dem Portrait Ab. Öc.s und der Aufschrift „Freedom for Öc.“. Die Fahne hatte eine Größe von ca. 80 × 80 cm und wurde von der Angeklagten teilweise geschwenkt und teilweise vor der Brust getragen. Sie konnte von anderen Personen, wie von der Angeklagten beabsichtigt, wahrgenommen werden.
9
Die Angeklagte ging bei der Demonstration im sogenannten „kurdischen Block“, wobei sie Abstand nach vorne und hinten zu den anderen Teilnehmern hatte und als Einzelperson wahrgenommen werden konnte. Mehrere Meter vor ihr war der Lautsprecherwagen mit kurdischen Fahnen sowie einer Fahne mit Abbild des Öc.. Mehrere Meter hinter ihr waren Demonstrationsteilnehmer, die auf die politische Lage der Kurden aufmerksam machten. D. Platz war der Angeklagten vom Demonstrationsleiter zugewiesen worden, sie hatte keinen Einfluss darauf.
10
Die Person Ab. Öc. gilt als politischer Anführer der Organisation „PKK“ bzw. von deren Nachfolge- und Teilorganisationen und tritt als solche auf. In dieser Eigenschaft genießt die Person Ab. Öc. bei Anhängern der Organisation teilweise personenkultartigen Status. Darstellungen dieser Person dienen, wie der Angeklagten in beiden Fällen bekannt war und von ihr gebilligt wurde, in gleicher Weise wie das klassische Symbol der „PKK“ (fünfzackiger Stern mit Hammer und Sichel, umrandet mit dem Schriftzug der „PKK“), der Verkörperung der Organisation selbst und sind aufgrund ihres Emotionalisierungseffekts in besonderer Weise geeignet, den in Deutschland verbotenen Zusammenhalt der „PKK“ zu fördern und nach außen hin unübersehbar zu demonstrieren.
11
Die „PKK“ ist durch Verfügung des Bundesministeriums des Inneren vom 22.11.1993 verboten, ebenso wurde ein Kennzeichenverbot ausgesprochen. Die Verfügung ist bestandskräftig. Das Bundesministerium des Inneren hat den Vollzug des vereinsrechtlichen Verbots der „PKK“ in der Anlage des Rundschreibens vom 02.03.2017 (Aktenzeichen: Ös II 2-5300515#1), sowie durch die am 29.01.2018 vorgenommene Fortschreibung des Rundschreibens vom 02.03.2017 Kennzeichen mit dem Abbild Ab. Öc.s dem in Nr. 9 der Verfügung vom 22.11.1993 ausgesprochenen Kennzeichenverbot zugeordnet.
12
Das in Deutschland geltende vereinsrechtliche Verbot der Organisation „PKK“ und ihrer Symbole war der Angeklagten in allen Fällen bekannt. Sie nahm zumindest billigend in Kauf, dass es sich bei dem mit dem Abbild Öc.s versehenen Kundgebungsmittel um ein Kennzeichen handelte, welche sich die „PKK“ zu Eigen gemacht hat. Jedes irgendwie geartete Zeigen derartiger Kennzeichen ist - wie ihr auch bewusst war - in der Öffentlichkeit verboten.
13
Eine Ausnahme für den Fall, dass alleine auf die menschenrechtsunwürdigen Haftumstände des Ab. Öc. hingewiesen werden sollte, liegt nicht vor. Die Haftumstände des Öc. wurden nicht thematisiert. Auch aus den Versammlungsthemen ergibt sich eine solche Konkretisierung der Versammlung auf besondere Haftumstände bei Ab. Öc. nicht.
2. Rechtskräftiger Verfahrensteil:
14
Insoweit hat die Angeklagte ihre Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
15
Das Amtsgericht München hat mit Urteil vom 05.07.2021 die Angeklagte in diesem Fall wegen Zuwiderhandlung gegen Versammlungsbeschränkungen gemäß Artikel 20 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. Artikel 15 BayVersG verurteilt.
16
Das Amtsgericht hat dazu festgestellt:
„Am 20.06.2020 fand von 15.27 Uhr bis 16.08 Uhr eine stationäre Versammlung unter freiem Himmel zu dem Thema „Stoppt den erneuten völkerrechtswidrigen Angriff des türkischen Staates in Kurdistan“ auf dem K. S. Platz in M. statt. Bei der Örtlichkeit handelt es sich um einen kleinen Platz neben dem Alten Botanischen Garten in der Nähe des Justizpalastes. An der Versammlung nahmen bis zu 65 Personen teil. Die Angeklagte war Leiterin der Versammlung.
17
Wie die Angeklagte wusste, hatte die Landeshauptstadt München für die Durchführung der genannten Versammlung auf der Grundlage von Artikel 15 BayVersG mit Bescheid vom 19.06.2020 (Aktenzeichen: …) Beschränkungen angeordnet. Unter anderem hatte die Landeshauptstadt München in dem Bescheid die folgende Anordnung getroffen:
„6. Räumliche Abgrenzung des Versammlungsortes:
Die Versammlungsfläche ist räumlich abzugrenzen durch eine entsprechende Kenntlichmachung mittels geeigneter Maßnahmen (z.B. durch Flatterband) in einer Höhe von ca. 90 cm.“
18
Der Bescheid vom 19.06.2020 und die darin getroffenen Anordnungen waren der Angeklagten ebenso bekannt wie der Umstand, dass der Bescheid von Gesetzes wegen sofort vollziehbar war und eine etwaige Klage hiergegen gemäß Artikel 25 BayVersG keine aufschiebende Wirkung hat. Zudem wurde die Angeklagte bei der Belehrung vor Beginn der Versammlung von Kriminalobermeister D… explizit auf die Notwendigkeit der räumlichen Abgrenzung des Versammlungsbereichs hingewiesen, da ihm aufgefallen war, dass eine räumliche Abgrenzung fehlte. Im weiteren Verlauf der Versammlung wurde die Angeklagte dreimal von Kriminalobermeister D… auf die fehlende Abgrenzung hingewiesen, dennoch blieb die Versammlungsfläche völlig unabgegrenzt.“
19
Das Berufungsgericht hat ergänzend festgestellt:
20
Die Landeshauptstadt München hat in ihrem Bescheid vom 19.06.2020 die räumliche Abgrenzung des Versammlungsortes angeordnet, damit die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auch im Übrigen auf ein infektionsschutzrechtliches vertretbares Maß beschränkt bleiben. Es hat in diesem Zusammenhang (alle) angeordneten Maßnahmen, die dem Zweck des Infektionsschutzes dienen, mit den Rechten der Versammlungsteilnehmer abgewogen. Es hat hierzu festgestellt, dass sie verhältnismäßig sind, da sie die Teilnehmer nicht übermäßig belasten; zudem, dass sie geeignet sind, die von der angezeigten Versammlung an sich ausgehende Infektionsgefahr auf ein vertretbares Maß einzuschränken und somit einer Verbreitung des Virus Sars-Cov-2 entgegenzuwirken. Zudem wurde festgestellt, dass die Anordnungen erforderlich sind, da durch die angezeigte Versammlung eine erhöhte Ansteckungsgefahr für Versammlungsteilnehmer/innen, Passanten und eingesetzte Polizeibeamte gilt. Zudem stellen die getroffenen Anordnungen gegenüber der Untersagung der Versammlung das mildere Mittel dar. Die Beschränkungen sind auch angemessen. Dem Recht auf Versammlungsfreiheit aus Artikel 8 GG steht das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Artikel 2 GG gegenüber.
21
Zu einer konkreten Gefährdung von Passanten und eingesetzten Polizeibeamten kam es nicht, da trotz des fehlenden Absperrbandes die Passanten nicht durch den Platz gingen, der von den Demonstranten besetzt war.
IV.
Beweiswürdigung:
22
Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen beruhen auf deren glaubhaften Angaben der Angeklagten. Der Bundeszentralregisterauszug der Angeklagten wurde verlesen und von dieser als richtig anerkannt. Soweit bei den Vorverurteilungen der zugrundeliegende Sachverhalt angegeben ist, wurde dieser in der Hauptverhandlung verlesen. Zudem wurde die Schriftliche Stellungnahme der Angeklagten aus der Verhandlung vom 17.9.2019 (Verfahren zu BZR Nr. …) verlesen, die Angaben dazu enthält, dass sie kurdischer und alevitischer Herkunft ist und in der Türkei Folter erfahren musste.
23
Die Feststellungen zum Sachverhalt beruhen auf der Einlassung der Angeklagten, die den Sachverhalt vom 15.2.2020 in objektiver Hinsicht eingeräumt hat, im Übrigen auf den Angaben der Zeugen F…, D… sowie von Oberregierungsrätin B… vom Innenministerium. Zudem wurde ein polizeiliches Video der Versammlung vom 15.2.2020 in Augenschein genommen.
Im Einzelnen:
24
Die Angeklagte hat sich über eine Verteidigererklärung zur Sache eingelassen. Darin wurde der objektive Sachverhalt hinsichtlich der Tat vom 15.2.2020 eingeräumt. Es sei richtig, dass sie am 15.02.2020 eine Fahne mit einem Bildnis von Öc. gezeigt habe. Dies sei auf der Antisicherheitskonferenz-Demonstration gewesen. Es sei eine große Demonstration gewesen. Sie sei weder Veranstalterin noch Leiterin gewesen. Sie habe einen Platz angewiesen bekommen, an den sie auch gegangen sei. Sie habe eine Fahne mit dem Bild von Öc. sowie der Aufschrift „Freedom for Öc.“ gezeigt.
25
Die Angeklagte gab an, sie könne nicht nachvollziehen, dass sie sich strafbar gemacht haben solle. Sie habe aus ihrem früheren Verhalten und den früheren Strafverfahren gelernt. Damals sei gesagt worden, dass eine Fahne sowie ein Zusammenhang zur kurdischen Problematik unzulässig seien. Sie habe vorliegend das Bild von Öc. ohne jeden Bezug zu kurdischen Problemen oder gar zur PKK gezeigt.
26
Zur Tat vom 20.06.2020 (rechtskräftiger Verfahrensteil) wurde ergänzend KOK D… gehört. Dieser gab an, hinsichtlich des Absperrbandes habe dieses zwar gefehlt, es sei jedoch nicht dazu gekommen, dass Passanten durch die Teilnehmer durchgelaufen wären. Dies habe er nicht mitbekommen. Zu einer Gefährdung des Publikums sei es daher konkret nicht gekommen. Die Gehwege seien frei geblieben.
27
Zum Fall vom 15.02.2020 wurde als Zeuge KHK F… gehört. Dieser gab an, der 15.02.2020 sei der Samstag der Sicherheitskonferenz gewesen. An diesem Tag gäbe es regelmäßig eine Groß-Demo. Diese Groß-Demo sei ca. 1 1/2 Stunden durch die Innenstadt von München gegangen. Er habe Frau … dabei rund 20 Minuten bis eine halbe Stunde lang gesehen, sie habe während dessen die Fahne mit dem Portrait von Öc. getragen, teilweise als Fahne und teilweise als Transparent vor der Brust. Die Fahne habe eine Größe von ca. 80 cm × 80 cm gehabt, eventuell auch einen Meter. Frau … sei im „kurdischen Block“ gegangen. Sie sei direkt hinter dem Lautsprecherwagen gegangen. Hinter Frau … sei dann der massive Block gekommen. Vom Lautsprecherwagen aus seien auch Redebeiträge erfolgt. Ob es Hinweise auf die Haftbedingungen des Öc. dabei gegeben habe, könne er nicht sagen. Es sei wohl gesagt worden, dass dieser sich jetzt rund 21 Jahre in Haft befände.
28
Im „kurdischen Block“ sei auf die Probleme der Kurden hingewiesen worden.
29
Er selbst sei parallel zum Zug mitgelaufen. Er habe Frau … mehrfach gesehen.
30
Frau … sei weder Leiterin noch Ordnerin noch Anmelderin der Demonstration gewesen. Sie sei eine normale Teilnehmerin gewesen.
31
Ergänzend wurde das Video der Polizei zu der Demonstration vom 15.2.2020 in Augenschein genommen. Hierbei ist eine Szene um 14.33 Uhr sowie eine weitere um 14.58 Uhr zu sehen. Es handelt sich jeweils um kurze Szenen, jede etwa eine knappe Minute. Dabei ist die Angeklagte zu sehen, wie sie um 14.33 Uhr eine Fahne mit dem Portrait von Öc. schwenkt mit der Aufschrift „Freedom for Öc.“. Bei dem Ausschnitt um 14.58 Uhr in der B. Straße ist die vorherige Fahne ohne Fahnenstock, die Angeklagte trägt das Transparent vor der Brust. Ihre Position zu den anderen Teilnehmern ist wie im Sachverhalt angegeben.
Gesamtwürdigung:
32
Das Gericht hatte an der Einlassung der Angeklagten, bestätigt durch die beiden vernommenen Polizeibeamten sowie die in Augenschein genommene Videoaufnahme, keinen Zweifel. Aus den Aussagen von KOK D. ergibt sich, dass im Zeitpunkt des Zeigens der Fahne bzw. des Transparentes keinerlei Bezug zu Haftbedingungen des Öc. bestand.
33
Es bestand zu diesen Zeitpunkten auch kein durch die Angeklagte zu verantwortender Bezug zur „Kurdenproblematik“, insoweit ging das Gericht davon aus, dass die Angeklagte bei der Großdemonstration vom 15.02.2020 weder Organisatorin noch Leiterin noch Ordnerin der Demonstration war, den Platz in der Demonstration angewiesen bekommen hat und keinen Zusammenhang hatte mit dem Lkw vor ihr (mit kurdischen Fahnen und ebenfalls einer Fahne mit dem Abbild von Öc.) und auch nicht mit dem Block hinter ihr, der die Kundenproblematik behandelte.
34
Das Gericht hörte im Anschluss daran noch Oberregierungsrätinn B… aus dem Bundesinnenministerium. Diese gab an, dass mit Verfügung des Bundesinnenministers vom 22.11.1993 bestandskräftig ein Verbot der PKK in Deutschland angeordnet wurde. Zudem wurden alle Kennzeichen der „PKK“ in Deutschland verboten. Dies bezöge sich auch auf spätere Kennzeichen. Dies gelte für alle direkten Kennzeichen wie z.B. die Flagge der PKK, gelte aber nunmehr auch nach Auffassung des Bundesministeriums des Inneren auch für das Bild des Ab. Öc.. Aufgrund dieser Bewertung sei auch ein Rundschreiben vom 02.03.2017 bzw. 29.01.2018 erfolgt. Darin sei den Ländern mitgeteilt worden, dass das Bild des Ab. Öc. nach Auffassung des Bundesinnenministeriums zu den Zeichen der PKK zu zählen ist.
35
Zu dieser Beurteilung sei es aufgrund von Auswertung von Versammlungsberichten gekommen. Seit etwa 2008 weiche die PKK auf nicht verbotene Symbole aus, um für sich Werbung zu machen. Es sei festgestellt worden, dass das Bildnis von Öc. einen besonderen Emotionalisierungseffekt bei den Anhängern habe. Dies bedeute, dass bei Zeigen seines Bildnisses bei Versammlungen eine positive Resonanz in Form von Rufen und Schwenken von Fahnen und von sonstigen positiven Reaktionen käme.
36
Allgemein sei natürlich zu sagen, dass Öc. eine zentrale Person der PKK sei. Öc. sei der Gründer der PKK. Er werde auch jetzt noch als zentrale Person gesehen. Er werde weiterhin als Anführer begriffen und als zentrale Figur für die Lösung der Kurdenfrage.
37
Grundsätzlich könne sie sagen, dass größere Versammlungen sowohl vom Bundesamt für Verfassungsschutz als auch vom Bundeskriminalamt bzw. von den jeweiligen Landeskriminalämtern im Hinblick auf Gewalt oder verbotene Aktionen beobachtet werde. Es würden dann Berichte hierzu verfasst, diese liefen beim Bundeskriminalamt zusammen. Bei ihnen im Innenministerium liefen dann die Zusammenfassungen bzw. die getroffenen Auswertungen zusammen, nicht die einzelnen Berichte.
38
Zu den Aufgaben des Öc. in der PKK befragt gab die Zeugin an, Öc. befinde sich nunmehr seit über 21 Jahren in Haft. Es sei daher wohl davon auszugehen, dass er am „Tagesgeschäft“ wohl nicht beteiligt sei. Er habe aber zum Beispiel 2019 über seine Anwälte Botschaften an die Kurden gegeben.
39
Das Gericht hatte an den Angaben der Zeugin Oberregierungsrätin B. keinen Zweifel. Es ging daher - in Übereinstimmung mit der allgemein bekannten Tatsache, dass Öc. die PKK gegründet hat und als ihr Anführer auch heute noch angesehen wird - davon aus, dass im Bundesinnenministerium des Inneren aufgrund von Berichten über die Versammlungen im ganzen Bundesgebiet zu diesem Thema die Auffassung herrscht, dass Öc. immer noch Identifikationsfigur für die PKK ist.
Versatz der Angeklagten:
40
Das Gericht glaubte der Angeklagten nicht, soweit diese angab, sie sei davon ausgegangen, das Zeigen des Bildnisses von Öc. am 15.02.2020 sei rechtmäßig gewesen. Bereits in einer früheren Verurteilung sowie in den früheren Bescheiden der Landeshauptstadt München, die die Angeklagte erhalten hat, wenn sie Versammlungsleiterin war, wurde darauf hingewiesen, dass das Zeigen des Bildnisses von Öc. grundsätzlich verboten ist. Eine Ausnahme besteht alleine dann, wenn auf die individuellen Haftbedingungen von Öc. in der gegenwärtigen Haft hingewiesen werden soll. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Zwar hat die Angeklagte die „Kurdenproblematik“ bei ihren Demonstrationen nunmehr nicht mehr angesprochen. Es fehlt jedoch jeglicher Hinweis auf die Haftbedingungen des Angeklagten. In früheren Verfahren hat die Angeklagte angegeben, sie zeige das Bildnis des Öc., weil sie hinsichtlich der Kurdenfrage einen politischen Dialog erreichen wolle. Damit es zu einem solchen Dialog komme, müssten beide Seiten an den Tisch, dazu gehöre auch Herr Öc.. (verlesene schriftliche Stellungnahme der Angeklagten aus der Verhandlung vom 17.09.2019, BZR Nr. … Anlage zum dortigen Protokoll der Berufungsverhandlung). Dies stellt einen politisch und zielgerichtet im Hinblick auf die Kurdenfrage verbundenen Aufruf zur Freiheit für Öc. dar, thematisiert aber nicht seine Haftbedingungen. Diese werden auch am 15.02.2020 von ihr in keiner Form angesprochen. Das Gericht ging daher davon aus, dass die Angeklagte am 15.2.2020 die Fahne mit dem Abbild Öc.s genau mit der gleichen Intention zeigte, die sie in ihrer Stellungnahme vom 17.9.2019 als Motiv für das Zeigen einer gleichen Fahne angab. Infolge dessen bestand auch keine Ausnahme von dem grundsätzlichen Verbot, ein Porträt von Öc. zu zeigen.
41
Soweit die Demonstrationsteilnehmer vor und hinter der Angeklagten die Kurdenproblematik thematisierten, war die nicht der Angeklagten zuzurechnen. Die Angeklagte war für diese Teilnehmer nicht verantwortlich, sie hatte auch keinen Einfluss auf sie, da sie nur eine normale Teilnehmerin an der Demonstration war ohne Leitungs- oder Ordnungsfunktion. Ein durch andere Teilnehmer entstehender Zusammenhang kann nicht der Angeklagten zugerechnet werden und kann nicht dazu führen, dass die Angeklagte eine für sich genommen zulässige Demonstration ihrerseits nicht weiter durchführen darf. Dies würde das Demonstrationsrecht der Angeklagten unzulässig beschränken. So aber liegt der Fall hier nicht: die Demonstration der Angeklagten war bereits für sich genommen unzulässig.
V.
Rechtliche Würdigung:
42
Die Angeklagte hat sich damit der Zuwiderhandlung gegen Verbote des Vereinsgesetzes und der Zuwiderhandlung gegen Versammlungsbeschränkungen schuldig gemacht.
1. PKK
43
Bei der PKK handelt es sich um eine in Deutschland verbotene Partei. Dies ergibt sich aus der rechtskräftigen Verfügung des Bundesinnenministers vom 22.11.1993. Dieses Verbot erstreckt sich auch auf alle Kennzeichen dieser Partei.
2. Öc. ist ein Kennzeichen für die PKK
44
Dies ergibt sich bereits daraus, dass er, wie allgemein bekannt, Gründer und Führer dieser Organisation ist. Gerade in Deutschland wird mit seiner Person sofort auch die PKK verbunden. Insofern ist sein Bild auch als PKK-Kennzeichen zu werten.
45
Die Auffassung wird bestätigt durch das Schreiben des Bundesinnenministeriums vom 02.03.2017 sowie dessen Ergänzung vom 29.01.2018 (vgl. insoweit auch BayObLG vom 5.10.2021 - 207 StRR 368/21). Es wird zudem dadurch bestätigt, dass Öc. auch heute noch einen erheblich Emotionalisierungseffekt bei seinen Anhängern hat. So ist es jedenfalls in Deutschland, was für eine Verurteilung ausreichend ist (vgl. BayObLG, a.a.O.).
46
3. Eine gemehmigte Ausnahme liegt nicht vor.
47
Eine solche Ausnahme kann dann vorliegen, wenn die Person des Öc. im Vordergrund steht und auf dessen persönliche Situation aufmerksam gemacht werden soll. In der vorliegenden Situation, in der die Angeklagte eine Fahne bzw. ein Transparent mit dem Bildnis des Öc. gezeigt hat, stand jedoch nicht die persönliche Situation/Haftsituation des Öc. im Vordergrund. Dessen Haftsituation wurde überhaupt nicht angesprochen. Daher liegt auch keine „im Einzelfall adäquate“ Ausnahmesituation vor.
4. Meinungsfreiheit
48
Die politische Darstellung des Öc. ist auch nicht durch die Meinungsfreiheit aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 1 GG gedeckt. Bei der PKK handelt es sich um eine verbotene Partei, Meinungsäußerungen zu Öc. sind daher nur insoweit zulässig, als sie keinen erkennbaren Zusammenhang zum Organisationsbereich der PKK oder deren Wirken aufweisen. So liegt es aber - wie bereits ausgeführt - nicht. Die jeweilige Versammlung wies jeweils keinen „individuell menschlichen Aspekt“ im Zusammenhang mit Öc. auf.
49
5. Ein Verbotsirrtum der Angeklagten liegt nicht vor.
50
Aus Sicht des Gerichts war der Angeklagten bewusst, dass sie allgemeine politische Anliegen vertrat. Insoweit war ihr auch bewusst, dass sie hier nicht dessen Haftbedingungen problematisiert, sondern sich gegen die Haft des Öc. als solche wendet. Dies geschah auch hier, um ihn als politischen Anführer tätig zu sehen.
VI.
Strafzumessung:
51
Der jeweilige Strafrahmen ergibt sich aus Artikel 20 Abs. 2 BayVersG bzw. § 20 Abs. 1 VereinsG und beläuft sich auf Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder aber Geldstrafe.
52
Zugunsten der Angeklagten wurde gewertet, dass sie den Sachverhalt - soweit die Berufung nicht ohnehin auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt war - objektiv einräumte. Zugunsten wurde zudem gewertet, dass bei dem Verstoß gegen das Versammlungsgesetz die „Abflatterung“ der Versammlung zwar verhältnismäßig und „sinnvoll“ im Sinne eines Infektionsschutzes war, dass es aufgrund des vernünftigen Verhaltens der Passanten aber tatsächlich nicht zu einer Gefährdung anderer kam.
53
Zu Lasten der Angeklagten sprechen ihre zahlreichen, auch einschlägigen Vorstrafen. Die Angeklagte versucht die Grenzen, die ihr die Verbote nach dem Vereinsgesetz auferlegen, auszutarieren.
54
Unter Abwägung dieser für und gegen die Angeklagte sprechenden Umstände hielt das Gericht folgende Einsatzstrafen für tat- und schuldangemessen:
- Tat vom 15.02.2020: 4 Monate Freiheitsstrafe
- Tat vom 20.06.2020: 50 Tagessätze zu je 15 €
55
Die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe erschien hier aufgrund der vielfältigen gleichgelagerten Straftaten der Angeklagten, wie sie sich aus den verlesenen Sachverhalten der Vorverurteilungen ergeben, notwenig im Sinne des § 47 Abs. 1 StGB. Geldstrafen alleine halten die Angeklagte offensichtlich nicht von der Begehung weiterer Taten ab.
56
Aus den Einzelstrafen war unter Erhöhung der höchsten Einzelstrafe als Einsatzstrafe eine Gesamtstrafe zu bilden.
57
Unter nochmaliger Abwägung aller für und gegen die Angeklagte sprechenden Umstände hielt das Gericht hier eine Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten für tat- und schuldangemessen.
58
Diese Freiheitsstrafe konnte zur Bewährung ausgesetzt werden, da zu erwarten ist, dass die Angeklagte sich bereits die Verhängung einer Bewährungsstrafe zur Warnung diesen lässt und nicht wieder straffällig wird, § 56 I StGB. Insoweit war zu sehen, dass die Angeklagte bisher „nur“ zu Geldstrafen verurteilt worden ist und es sich hier um die erste Freiheitstrafe handelt, die gegen sie verhängt wurde.
VII.
Kosten:
59
Die Kostenentscheidung erging gemäß §§ 464, 467, 473 Abs. 1 StPO.