Inhalt

LG München I, Endurteil v. 26.02.2021 – 41 O 7178/20
Titel:

Anspruch auf Löschung personenbezogener Daten

Normenkette:
DS-GVO Art. 4 Nr. 2, Art. 17 Abs. 1
Leitsätze:
1. Der Klägerin steht gegen die Beklagte der begehrte Unterlassungsanspruch aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO zu. (Rn. 14 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die „Local Listings“ fassen bereits im Internet vorhandene Informationen automatisiert an hervorgehobener Stelle zusammen. Damit handelt es sich um eine Verarbeitung personenbezogener Daten gem. Art. 4 Nr. 2 DS-GVO. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterlassungsanspruch, Local listings, Löschungsanspruch, Suchmaschine, Google, Wiederholungsgefahr
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 22.03.2022 – 18 U 1697/21 Pre
Fundstelle:
BeckRS 2021, 55129

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, zu vollstrecken an den Geschäftsführern der Beklagten, oder Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken an den Geschäftsführern der Beklagten, zu unterlassen, die private Anschrift der Klägerin und/oder deren Telefonnummer zu veröffentlichen, wenn dies wie nachfolgend wiedergegeben geschieht
[Grafik aus Gründen der Anonymisierung entfernt]
und wie geschehen unter der URL https://www…
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
4. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,00 € vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 6.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um einen Unterlassungsanspruch wegen der Veröffentlichung von Daten über das sog. „Google Listing“.
2
Die Klägerin ist eine bekannte freischaffende Künstlerin. Für diesen Beruf führt sie unter der URL www...de eine Internetpräsenz, auf der unter anderem ihr Lebenslauf einsehbar ist. In verschiedenen öffentlich-rechtlichen Mediatheken findet sich zudem eine Dokumentation über ihr künstlerisches Schaffen und ihr Leben im Allgemeinen. Dort werden unter anderem ihr Mann und die zwei gemeinsamen Töchter gezeigt und Name sowie Beruf genannt. Die Klägerin gewährt einen Einblick in ihr Privatleben, indem sie Kinderfotos und Fotos ihrer Eltern zeigt und von ihren Ängsten und der Einsamkeit in der Kindheit berichtet. Ebenfalls sieht man in einer Szene die Familie in der Privatwohnung beim Essen. Die Anschrift und Telefonnummer der Klägerin ist (gemeinsam mit ihrem Mann) auch auf www.telefonbuch.de sowie www.dasoertliche.de zu finden. Sie waren auch längere Zeit im Impressum der Internetseite der Klägerin veröffentlicht (vgl. Anlage B2)
3
Die Beklagte ist ein Unternehmen mit Sitz in Dublin, Irland. Sie bietet verschiedene Dienstleistungen an, unter anderem die streitgegenständlichen sogenannten „Local Listings“. Das sind Einträge mit Informationen (Adresse, URL, Telefonnummer etc.) über unterschiedliche Orte und Einrichtungen wie Unternehmen, Geschäfte, Praxen, Galerien etc. Diese „Local Listings“ sind über den Dienst Google Maps zu finden oder über die Google-Suchmaschine, dort in einem Kasten getrennt von den anderen Suchergebnissen optisch hervorgehoben. Sie dienen dazu, den Nutzern Informationen zentral anzuzeigen und beinhalten direkte Links für die Berechnung der Route dorthin oder einen Anruf. Anbieter der Suchmaschine ist die Google LLC, nicht die Beklagte.
4
Im Februar 2020 stellte die Klägerin fest, dass ihre Anschrift sowie die Telefonnummer bei Eingabe ihres Namens in der Google Suchmaschine bei den „Local Listings“ angezeigt wurden. Die Klägerin wandte sich am 13.02.2020 über ein Webformular an die Google LLC und beantragte die Löschung des Eintrags. Der Eingang der Anfrage wurde am selben Tag per E-Mail von der Adresse removals@google.com bestätigt (vgl. K1). Die Klägerin begründete den Antrag auf Löschung mit einer Verletzung ihrer Privatsphäre und der ihrer Familie wegen der Veröffentlichung der Daten.
5
Der Eintrag wurde zunächst nicht entfernt, woraufhin der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 07.05.2020 eine Abmahnung und Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung mit Frist zum 18.05.2020 an die Beklagte übersendete (vgl. K2). In diesem Schreiben forderte er ebenfalls Ersatz von vorgerichtlichen Anwaltskosten. Dieses Schreiben ging der Beklagten jedenfalls am 14.05.2020 per Fax zu. Am 19.05.2020 teilte die Beklagte mit, dass der Sachverhalt an das zuständige Team weitergeleitet wurde (vgl. K3). Inzwischen ist der Eintrag gelöscht. Die Beklagte gab bisher keine Unterlassungserklärung ab. Die Rechtsanwaltskosten erstattete sie bisher nicht.
6
Die Klägerin behauptet, dass Adresse und Telefonnummer ohne ihr Zutun in den „Local Listings“ veröffentlicht wurden. Sie habe das Webformular an die Beklagte gerichtet und damit von ihr die Löschung des Eintrags verlangt. Das Schreiben des Prozessbevollmächtigten (vgl. K2) sei ebenfalls per Mail und per Post versandt worden. Bei der veröffentlichten Telefonnummer und Adresse handle es sich jeweils um die private, nicht die geschäftliche. Von der Veröffentlichung ihrer Daten in Online-Telefonbüchern habe sie nichts gewusst.
7
Die Klägerin meint, ihr stehe ein Unterlassungsanspruch aus Datenschutzrecht sowie wegen Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts gem. § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, § 1004 BGB analog zu. § 10 TMG sei nicht erfüllt, da die Beklagte vom 13.2.2020 bis Mai 2020 trotz entsprechender Meldung untätig geblieben sei. Zudem handle es sich um keine „fremde Information“ im Sinne der Vorschrift. Maßgeblich sei allgemein ein datenschutzrechtlicher Maßstab, nicht der des Presserechts.
8
Die Klägerin beantragt:
1.1.1.
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, zu vollstrecken an den Geschäftsführern der Beklagten, oder Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken an den Geschäftsführern der Beklagten, zu unterlassen, die private Anschrift der Klägerin und/oder deren Telefonnummer zu veröffentlichen, wenn dies wie nachfolgend wiedergegeben geschieht
[Grafik aus Gründen der Anonymisierung entfernt]
und wie geschehen unter der URL https://www...
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 571,44 zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
9
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10
Die Beklagte behauptet, dass das Onlineformular (vgl. K1) nicht an sie (die Beklagte), sondern an die Google LLC gerichtet wurde (vgl. Anlage B5). Kenntnis von der Anfrage habe sie erst mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 07.05.2020 (vgl. K2), ihr zugegangen am 14.05.2020, erlangt. Sie bringt vor, bei dem Webformular handle es sich um einen Antrag zur Löschung von Sucheinträgen, nicht von „Local Listings“. Die Beklagte trägt weiter vor, die Daten der Klägerin seien nicht ohne ihr (der Klägerin) Zutun veröffentlicht worden, sondern von dieser im Zusammenhang mit ihrer Schaffensstätte auf einer allgemein zugänglichen Internetseite veröffentlicht worden. Auch handle es sich bei den streitgegenständlichen Daten nicht um die rein private Telefonnummer und Adresse der Klägerin.
11
Die Beklagte ist der Meinung, es bestehe kein Unterlassungsanspruch, da das Allgemeine Persönlichkeitsrechtsrecht der Klägerin nicht verletzt sei. Die Interessenabwägung falle zu Lasten der Klägerin aus, da sie solche Informationen selbst preisgebe, zum Beispiel in der Dokumentation, auf ihrer beruflichen Website und in Online-Telefonbüchern. Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Klägerin für ihre Familie die Aktivlegitimation fehle. Ebenfalls liege keine Pflichtverletzung vor, da sie auf das Verlangen der Klägerin in angemessener Zeit reagiert habe. Art. 17 DS-GVO begründe generell keinen Unterlassungs-, sondern nur einen Löschungsanspruch.
12
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt Anlagen, sowie auf das Protokoll der Verhandlung vom 23.02.2021 (Bl. 37-39 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
13
Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
14
1. Der Klägerin steht gegen die Beklagte der begehrte Unterlassungsanspruch aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO zu (Antrag 1)
A.
15
Die DS-GVO ist zeitlich, sachlich und räumlich anwendbar. Sie gilt seit dem 25. Mai 2018 unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat der Europäischen Union. Die Tätigkeit der Beklagten in Bezug auf sogenannte „Local Listings“ fällt, sofern die Informationen personenbezogene Daten enthalten, auch gemäß Art. 2 Abs. 1 DS-GVO in den sachlichen Anwendungsbereich der DS-GVO: Telefonnummer und Adresse einer Person sind personenbezogene Daten im Sinne des Art. 4 Nr. 1 DS-GVO. Die „Local Listings“ fassen bereits im Internet vorhandene Informationen automatisiert an hervorgehobener Stelle zusammen. Damit handelt es sich um eine Verarbeitung personenbezogener Daten gem. Art. 4 Nr. 2 DS-GVO. Die Beklagte ist als Betreiber der „Local Listings“ auch Verantwortlicher im Sinne des Art. 4 Nr. 7 DS-GVO; sie entscheidet darüber ob und wie die personenbezogenen Daten verarbeitet werden. Die „Local Listings“ erfüllen eine reine Ordnungsfunktion bereits vorhandener Daten, somit greift auch die Öffnungsklausel des Art. 85 DS-GVO i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 4 RStV nicht. Die automatisierte Auflistung ist keine eigene journalistisch-redaktionelle Gestaltung (vgl. für Suchmaschinen: BVerfG 6.11.2019 - 1 BvR 276/17, GRUR 2020, 88 Rn 36 - Recht auf Vergessenwerden II; BGH 27.7.2020 - VI ZR 405/18, GRUR 2020, 1331 Rn 14). Insofern kann für die „Local Listings“ nichts anderes gelten, als für reine Suchmaschinen. Zuletzt ist die DS-GVO ist auch räumlich anwendbar. Die Beklagte hat ihren Sitz in Irland, einem Mitgliedsstaat der EU, Art. 3 Abs. 1 DS-GVO.
B.
16
Art. 17 Abs. 1 DS-GVO vermittelt nicht nur einen Beseitigungs-, sondern auch einen Unterlassungsanspruch. Das ergibt eine unionsautonome Auslegung des Begriffs der Löschung in Art. 17 DS-GVO: Zwar spricht der Wortlaut selbst nur von einer „Löschung“ der Daten, was nach allgemeinem Sprachverständnis die reine Eliminierung der vorhandenen Daten meint. Allerdings spricht systematisch schon die amtliche Überschrift von einem „Recht auf Vergessenwerden“. Ein solches Recht ist nur durchsetzbar, wenn es auch die Unterlassung einer weiteren Veröffentlichung in der Zukunft umfasst (BGH 27.7.2020 - VI ZR 405/18, GRUR 2020, 1331 Rn 17; EuGH 24.9.2019 - C 507/17, NJW 2019, 3499 Rn 45 f.; EuGH 24.9.2019 - C-136/17, NJW 2019, 3503 Rn 53 ff). Könnte ein Betroffener nur die einmalige Beseitigung verlangen, so könnte der Verantwortliche die Daten einfach ein zweites Mal veröffentlichen, nachdem er sie zwischenzeitlich gelöscht hatte. Dies widerspräche auch Art. 79 Abs. 1 DS-GVO, der dem Betroffenen einen „wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf“ garantiert (LG Frankfurt a. M. Urt. v. 28.6.2019 - 2/03 O 315/17, BeckRS 2019, 13139 Rn. 31; OLG Frankfurt, Urteil vom 06.09.2018, GRUR 2018, 1283, Rn. 44-47; Kühling/Buchner/Herbst, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 17 Rn. 42a; Paal/Pauly/Paal, 3. Aufl. 2021, DS-GVO Art. 17 Rn. 30).
17
Dafür spricht auch die Entstehungsgeschichte der Norm und des Begriffs „Recht auf Vergessenwerden“. Der Verordnungsgeber der DS-GVO hatte die erste Ausformung des Begriffs in der Rechtssache Google Spain (EuGH 13.5.2014 - C-131/12, GRUR 2014, 895) - noch zur alten Rechtslage unter Geltung der Datenschutz-RL - vor Augen, in dem auch ein Recht auf Unterlassung enthalten sein sollte. Die weitere Verwendung des Begriffs in der Überschrift des Art. 17 DS-GVO zeigt, dass der Verordnungsgeber dasselbe Verständnis zu Grunde legen wollte - somit auch einen Unterlassungsanspruch (vgl. die oben bereits in Bezug genommenen Entscheidungen des LG und des OLG Frankfurt).
18
Etwas anderes folgt auch nicht aus der von der Beklagten in Bezug genommenen Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 10.06.2020 (GRUR 2020, 1109). Zum einen hat das OLG Karlsruhe nicht entschieden, dass Art. 17 DS-GVO keinen Unterlassungsanspruch begründen kann (die Frage hat das OLG Karlsruhe vielmehr ausdrücklich offen gelassen) sondern dies lediglich als „fraglich“ bezeichnet. Darüber hinaus ist der durch das OLG Karlsruhe entschiedene Fall mit der hiesigen Konstellation aber auch nicht vergleichbar. Das OLG Karlsruhe hatte über einen Fall zu entscheiden, bei dem nach Eingabe des Namens des dortigen Klägers ein Link zu einem Presseartikel eines Nachrichtenmagazins erschien. Das OLG Karlsruhe äußerte die Auffassung, in diesem Fall könne es („wohl“, also theoretisch) ausreichen, die Informationsverknüpfung zwischen dem Schlagwort (Name des dortigen Klägers) und dem Link (Ziel-URL) zu löschen, womit dem Löschungsanspruch nach Ansicht des OLG Karlsruhe wohl Genüge getan sein soll, weil zukünftige Verletzungen nicht mehr zu befürchten sind, was eine Wiederholungsgefahr ausschließt. Darum geht es hier aber nicht. Die Beklagte hat keinen fremden Link mit dem Namen der Klägerin verknüpft, sondern zeigte selbstständig in dem von ihr betriebenen Dienst „Google Listings“ die streitgegenständlichen Daten der Klägerin. Insofern kann auch nicht einfach irgendeine Verknüpfung (zu deren Vorhandensein und Beschaffenheit die Beklagte ohnehin nichts vorgetragen hat) gelöscht werden. Es ist nämlich schon völlig unklar, anhand welcher Kriterien und Verknüpfungen die Beklagte ihre „Local-Listings“ genau erstellt und inhaltlich ausrichtet.
C.
19
Die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 DS-GVO sind erfüllt.
20
Danach besteht ein Unterlassungsanspruch, wenn die betroffene Person Widerspruch gegen die Verarbeitung ihrer Daten eingelegt hat und keine vorrangigen berechtigten Gründe für die Verarbeitung vorliegen (Art. 17 Abs. 1 lit. c) DS-GVO) oder die personenbezogenen Daten unrechtmäßig verarbeitet wurden (Art. 17 Abs. 1 lit. d) DS-GVO). Die Klägerin nimmt beide Varianten für sich in Anspruch. Zum einen hatte sie der Beklagten mit Schreiben vom 07.05.2020 (Anlage K2) die Entfernung angemahnt und damit zumindest konkludent gegen die Verarbeitung ihrer Daten bei der Beklagten Widerspruch eingelegt. Zum anderen bringt sie vor, dass ihre Daten unrechtmäßig verarbeitet wurden.
21
Eine zwischen den einzelnen Gründen differenzierende Prüfung ist hier aber nicht geboten. Art. 17 Abs. 1 DS-GVO - in allen seinen Alternativen - gilt gem. Art. 17 Abs. 3 lit. a DS-GVO insgesamt nicht, soweit die Datenverarbeitung zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information erforderlich ist. Das ist ein Ausdruck dessen, dass das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten nicht uneingeschränkt gilt, sondern im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen und unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit gegen andere Grundrechte abgewogen werden muss (vgl. EG Nr. 4 DS-GVO; EuGH 24.9.2019 - C-136/17, NJW 2019, 3503 Rn 57; BGH 27.7.2020 - VI ZR 405/18, GRUR 2020, 1331 Rn 23). Diese Abwägung ist auf Grundlage aller relevanten Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs umfassend vorzunehmen (EuGH a.a.O. Rn 68 f.; BVerfG 6.11.2019 - 1 BvR 276/17, GRUR 2020, 88 Rn 96 ff - Recht auf Vergessenwerden II). Dies gilt unabhängig davon, ob Ausgangspunkt der Abwägung Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO, Art. 9 Abs. 2 lit. g DS-GVO oder Art. 21 Abs. 1 Satz 2 DS-GVO ist.
22
AA. Maßgeblich für die oben herausgearbeitete Abwägung sind im vorliegenden Fall die Unionsgrundrechte. Nach den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts sind im Bereich von unionsrechtlich vollständig vereinheitlichten Regelungen nicht die Grundrechte des Grundgesetzes, sondern die Unionsgrundrechte maßgeblich (BVerfG 6.11.2019 - 1 BvR 276/17, GRUR 2020, 88 Rn 34 ff - Recht auf Vergessenwerden II). Der streitgegenständliche Anspruch ergibt sich aus dem unionsweit vereinheitlichten Datenschutzrecht (vgl. oben B I. 2.), weshalb die Charta der Grundrechte der Europäischen Union Maßstab für die zu treffende Abwägungsentscheidung ist (BVerfG a.a.O. Rn 42, 46 zum ganzen BGH 27.7.2020 - VI ZR 405/18, GRUR 2020, 1331 Rn 25). Die Grundrechte der Charta können ähnlich wie im deutschen Recht einzelfallbezogen auch in das Privatrecht hineinwirken, nicht nur im Staat-Bürger-Verhältnis (BVerfG a.a.O. Rn 96 f.).
23
BB. Für die Klägerin sind die Grundrechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 7 GRCh) sowie auf Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 GRCh) in die Abwägung einzustellen. Die Grundrechte der Art. 7 und Art. 8 GRCh sind dabei eng verwoben. Jedenfalls soweit es um die Verarbeitung personenbezogener Daten geht, bilden diese beiden Grundrechte eine einheitliche Schutzverbürgung. Das gilt insbesondere für den Schutz Betroffener vor Nachweisen einer Suchmaschine (BVerfG, a.a.O., Rn. 98 f. m.w.N.). Etwas anderes kann für den vorliegenden Fall nicht gelten, da die streitgegenständlichen „Local Listings“ aufgrund einer automatisierten Verarbeitung wichtige Daten zentral und hervorgehoben in der Suchmaschine von G. oder auf G. Maps anzeigen. Insoweit ist deren Wirkung ähnlich wie bei einem normalen Treffer in der Suchmaschine - durch die Hervorhebung außerhalb der normalen Suchergebnisse sogar noch stärker.
24
Art. 7, Art. 8 GRCh schützen vor der Verarbeitung personenbezogener Daten und verlangen die „Achtung des Privatlebens“. Unter personenbezogenen Daten werden dabei alle Informationen verstanden, die eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person betreffen (insoweit parallel zur Begriffsbestimmung in Art. 4 Nr. 1 DS-GVO). Demnach ist das Recht auf Achtung des Privatlebens nicht eng zu verstehen und beschränkt sich insbesondere nicht auf höchstpersönliche oder besonders sensible Sachverhalte. Insbesondere wird die geschäftliche und berufliche Tätigkeit hiervon nicht ausgeschlossen (BVerfG, a.a.O., Rn. 100 m.w.N.; BGH a.a.O. Rn 28). Dass die Klägerin personenbezogene Daten auf anderen Wegen, wie Webseiten oder in einer Dokumentation veröffentlicht hat spricht nicht gegen eine Anwendbarkeit dieses Grundrechts. Ebenfalls kommt es nach den oben dargestellten Grundsätzen für die Anwendbarkeit nicht darauf an, ob es sich bei Adresse und Telefonnummer um eine rein private oder (auch) geschäftliche Daten handelt. Dies entspricht dem weiten Verständnis des Rechts auf Achtung des Privatlebens
25
CC. Die Beklagte kann das Recht auf unternehmerische Freiheit aus Art. 16 GRCh ins Feld führen: dieses gewährleistet die Verfolgung wirtschaftlicher Interessen durch das Angebot von Waren und Dienstleistungen. Hierunter fällt auch die Dienstleistung der Beklagten, Informationen aus verschiedenen Quellen zentral zusammenzufassen und optisch hervorzuheben, sowie direkte Verlinkungen zu ermöglichen. Der Wortlaut von Art. 16 GRCh „Unternehmen“, zeigt auch, dass dieses Grundrecht nicht nur auf natürliche Personen anwendbar ist. Art. 11 GRCh ist für die Beklagte dagegen nicht eröffnet, da die „Local Listings“ keiner Verbreitung bestimmter Meinungen dienen (wie schon oben zur Bereichsausnahme ausgeführt).
26
Zu berücksichtigen ist hier, dass es nur um die „Local Listings“ und nicht um die Suchmaschine als solche geht. Das Argument, dass das Internet ohne Hilfestellung von Suchmaschinen aufgrund der schieren Menge an Daten nicht sinnvoll nutzbar wäre greift hier nicht - „Local Listings“ dienen nur der Zusammenfassung wichtiger Daten an zentraler Stelle, nicht der grundlegenden Auffindbarkeit in einer Suchmaschine (so BGH a.a.O. Rn 40). Ebenfalls wiegen die Zugangsinteressen der Internetnutzer sowie das Interesse der Öffentlichkeit am Zugang zu Informationen als Ausdruck des Art. 11 GRCh - welche zwar grundsätzlich mit in die Abwägung einzustellen sind (BGH a.a.O. Rn 36; EuGH 24.9.2019 - C-136/17, NJW 2019, 3503 Rn 59, 68 f., 77; BVerfG a.a.O. Rn 110 m.w.N.) - im zu entscheidenden Fall deutlich geringer. Die Daten sind auch bei einer Löschung aus den Local Listings weiter über andere Quellen, z.B. die in den Schriftsätzen vorgebrachten Online-Telefonbüchern, zu finden. Die Local Listings ersparen dem Nutzer lediglich den Aufwand der Suche. Insoweit besteht ein wesentlicher Unterschied zu den bisher zitierten Entscheidungen.
27
DD. Nach diesen Grundsätzen hat das Grundrecht des Beklagten hinter den Grundrechten der Klägerin zurückzutreten.
28
Hervorzuheben ist zuallererst der Umstand, dass an den streitgegenständlichen Daten, also Adresse und Telefonnummer - im Gegensatz zu Presseartikeln, Blogeinträgen o.ä. - kein öffentliches Interesse besteht. In den bereits zitierten Entscheidungen (BVerfG - Recht auf Vergessenwerden II; BGH 27.7.2020 - VI ZR 405/18, GRUR 2020, 1331) waren Verlinkungen einer Suchmaschine auf solche Presseartikel streitgegenständlich. In diesen Fällen wiegt der Wert grundrechtlich geschützter Positionen der Suchmaschinenbetreiber höher. Dazu stoßen die zu berücksichtigenden Interessen der Allgemeinheit an solchen Erzeugnissen der Meinungsfreiheit. Ebenso können die personenbezogenen Daten eine andere Qualität und damit höhere Bedeutung haben - etwa das Geburtsjahr (so AG München 30.9.2015 - 142 C 30130/14, ZD 2016, 588). Eine solche Interessenlage besteht hier aber nicht. Handelte es sich bei den zu entfernenden und in Zukunft zu unterlassenden personenbezogenen Daten zum Beispiel um Artikel über das künstlerische Wirken der Klägerin wäre die Lage anders zu werten. Die hier streitgegenständlichen Daten sind aber nicht von öffentlichem Interesse.
29
Zwar mag der Eingriff in die Grundrechte der Klägerin relativ gering sein - hier kommt die Tatsache zum Tragen, dass die Daten auch auf anderen Wegen im Internet zugänglich gemacht sind. Allerdings senken „Local Listings“ durch ihre hervorgehobene Stellung die Auffindbarkeit dieser personenbezogenen Daten. Es trifft zu, dass die Daten auch auf anderem Wege gefunden werden können - durch die „Local Listings“ ist es aber bedeutend einfacher auf dieses Ergebnis zu stoßen. Dies umso mehr, als - wie allgemein bekannt ist - die Google LLC, bzw. die Beklagtem bzw. die ihnen übergeordnete Alphabet Inc. die mit Abstand meistgenutzte Internetsuchmaschine betreiben und in diesem Zusammenhang auch das von der Beklagten getriebene „Local Listing“ zu einer erheblichen Verbreitung der dort zur Verfügung gestellten Daten führt. Hier ist es auch unerheblich, ob es sich um rein private oder aber geschäftliche Daten handelt. Das Recht auf Achtung des Privatlebens ist nicht eng zu verstehen und beschränkt sich insbesondere nicht auf höchstpersönliche oder besonders sensible Sachverhalte (siehe schon oben). Unabhängig davon hält das Gericht die von der Beklagten veröffentlichen Daten der Klägerin auch durchaus für sensibel: Die Bekanntgabe von Telefonnummer und Adresse ermöglicht es auch fremden Personen, unmittelbaren Kontakt mit der Klägerin herzustellen. Es steht im Belieben der Klägerin, wo und wie sie diese Daten verbreiten möchte. Es mag der Beklagten widersprüchlich erscheinen, dass die Klägerin in der Vergangenheit freizügiger mit diesen Daten umgegangen ist und nun von der Beklagten die Unterlassung der Veröffentlichung der Daten fordert. Damit begibt sie sich aber nicht für die Zukunft - wie dies offenbar die Beklagte meint - der Verfügungsgewalt über ihre Daten: Es steht der Klägerin frei, insofern einen Meinungswandel zu vollziehen, etwa weil ihr nunmehr aufgegangen ist, dass die bedenkenlose Verbreitung der Daten ab einer gewissen Bekanntheit der betroffenen Person auch Nachteile und Sicherheitsrisiken mit sich bringt. Dem steht auch nicht entgegen, dass Daten der Klägerin an anderer Stelle im Internet abrufbar sein mögen. Es ist Sache der Klägerin, zu entscheiden, wo sie eine Verbreitung ihrer Kontaktdaten für riskant hält und wo nicht.
30
Demgegenüber ist der Eingriff in die Unternehmerfreiheit der Beklagten äußerst gering und faktisch nicht messbar. Da die betreffenden Daten von ihr bereits anstandslos gelöscht wurden, muss sie nur eine weitere Veröffentlichung unterlassen und z.B. die streitgegenständlichen Daten de-indexieren, sodass es zu keiner weiteren Veröffentlichung in einem „Local Listing“ kommt. Andere Schutzgüter - wie Pressefreiheit, etc. - kann die Beklagte nicht für sich ins Feld führen: Das „Local Listing“ ist keine Pressearbeit. Dass die Löschung der Daten für die Beklagten, die - was allgemein bekannt ist - Teil eines internationalen Firmenkonglomerats mit einem Milliardenumsatz ist, irgendwelche konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen hätte, ist schon nicht vorgetragen.
31
EE. Hinsichtlich der Veröffentlichung der streitgegenständlichen Daten der Klägerin durch die Beklagte besteht auch eine Wiederholungsgefahr, obwohl die Beklagte die Daten inzwischen unstreitig gelöscht hat. Zwar hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten ausgeführt, dass seitens der Beklagten kein Interesse an einer weiteren Veröffentlichung besteht. Allerdings wird die Wiederholungsgefahr regelmäßig nur durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtung endgültig beseitigt. Die Abgabe einer solchen Erklärung hat die Beklagte allerdings rechtsgrundlos verweigert. Andere Ausführungen zur Widerlegung der Wiederholungsgefahr hat die Beklagte nicht vorgetragen.
D.
32
Die Androhung der Verhängung von Zwangsmitteln beruht auf § 890 Abs. 2 ZPO.
33
2. Da der Anspruch der Klägerin bereits aus Art. 17 DS-GVO besteht, kann dahinstehen, ob ein Anspruch möglicherweise auch aus § 823 BGB oder § 1004 BGB (analog) folgen würde. Lediglich klarstellend sei insofern angemerkt, dass entsprechende Ansprüche durch Art. 17 DS-GVO gesperrt sein dürften. Das Begehren der Klägerin betrifft Fragen des unionsweit abschließend vereinheitlichten Datenschutzrechts, sodass die DS-GVO etwaige Ansprüche aus nationalem Recht (wie §§ 823, 1004 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) sperrt. Mit der DS-GVO hat die EU in Form der Verordnung ein in allen Mitgliedsstaaten unmittelbar anwendbares Recht geschaffen, Art. 288 AEUV. Verordnungen wie die DS-GVO dienen der Vollharmonisierung, sodass Rechtsnormen der Mitgliedsstaaten zurücktreten (BVerfG a.a.O. Rn 34, 41; BGH a.a.O. Rn 64). Etwas anderes gilt, wenn die Bereichsausnahme des Art. 85 DS-GVO greift - dann ist deutsches Deliktsrecht anwendbar (BVerfG 6.11.2019 - 1 BvR 16/13, NJW 2020, 300 - Recht auf Vergessenwerden I). Dies ist hier aber nicht der Fall (s.o.).
34
3. Dagegen hat die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Ersatz ihrer vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 € (Antrag 2).
A.
35
Bei dem Anspruch aus Art. 17 DS-GVO handelt es sich nicht um einen Schadensersatzanspruch, weswegen eine Ersatzfähigkeit der Anwaltskosten insofern nicht in Betracht kommt. Auch ein Rückgriff auf § 823 Abs. 1 BGB scheidet insofern aus, weil diese Anspruchsgrundlage gesperrt ist (s.o.).
B
36
Ein Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten scheidet auch unter Verzugsgesichtspunkten aus, da sich die Beklagte zur Zeit der Beauftragung des Rechtsanwalts durch die Klägerin nicht in Verzug befand. Das von der Klägerin ausgefüllte Webformular (Anlage K 1) richtete sie nicht an die Beklagte, sondern an Google LLC. Insoweit konnte die Beklagte schon nicht in Verzug geraten und das Gericht sieht auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Google LLC quasi als Empfangsbotin der Beklagten anzusehen wäre. Zuzugeben ist der Klägerin insofern allerdings, dass die feinsinnige Differenzierung der Beklagten zwischen der Suchmaschine und „Google Listings“ und der jeweiligen Zuordnung zu unterschiedlichen Rechtspersonen für einen Verbraucher nicht ohne weiteres erkenn- und nachvollziehbar ist, erst recht, wenn seitens der Google LLC. versichert wird, man werde das Anliegen der Beklagten bearbeiten und dann auf die Anfrage schlicht nicht reagiert (siehe Anlage K 1). Durch eine solche Differenzierung wird es einem Verbraucher (ob absichtlich oder versehentlich, braucht hier nicht weiter erörtert werden) massiv erschwert, überhaupt den richtigen Ansprechpartner für sein Anliegen zu ermitteln und die Beklagte in Verzug zu setzen.
II.
37
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das Unterliegen der Klägerin erweist sich als verhältnismäßig geringfügig, weil die Klage nur hinsichtlich der den Streitwert ohnehin gemäß § 43 Abs. 1 GKG nicht erhöhenden vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten abgewiesen wurde.
III.
38
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 ZPO.
IV.
39
Den Streitwert schätzt das Gericht gemäß § 3 ZPO auf 6.000,00 €. Insofern hält das Gericht an seiner im Rahmen der Verfügung vom 08.07.2020 (Bl. 5-8 d.A.) geäußerten Einschätzung nicht weiter fest. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, die Klägerin befasse sich im Rahmen ihrer Tätigkeit als Künstlerin durchaus auch mit kontroversen Themen und setzte sich z.B. auch mit religiösen Aspekten auseinander, weswegen ein erhöhtes Sicherheitsinteresse der Klägerin in Bezug auf ihre Kontaktdaten bestehe. Dies leuchtet dem Gericht ein, weswegen das Gericht sich insofern der Einschätzung der Klägerin anschließt, wonach der Streitwert für Antrag 1 der Klage mit 6.000,00 € zu bemessen ist. Wie bereits oben dargelegt, erhöht Antrag 2 gemäß § 43 Abs. 1 GKG den Streitwert nicht.