Inhalt

VG Regensburg, Urteil v. 18.05.2021 – RO 12 K 20.3217
Titel:

Beihilfe für diverse ärztliche Behandlungen

Normenketten:
BayVwVG Art. 32 Abs. 2
BayBG Art. 96 Abs. 3a, Art. 144
Leitsatz:
Die Ausschlussfrist dient aus haushaltstechnischen Gründen dazu, eine baldige Klärung etwa noch bestehender Beihilfeansprüche herbeizuführen und ist mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit erfordert es nicht, dass von der Rechtsordnung verliehene Ansprüche ohne zeitliche Schranken Bestand haben müssten. Ist die zeitliche Grenze, wie hier, so gezogen, dass nach der Lebenserfahrung den Berechtigten auch dann noch genügend Zeit zur Anspruchsverwirklichung zur Verfügung steht, wenn sie im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruches oder später nur vorübergehend daran gehindert waren, so verletzt der Normgeber nicht seine Pflicht, die Durchsetzbarkeit des Anspruchs zu gewähren (BVerwG, U. v. 28.06.1965 - Az. VIII C 334.63). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausschlußfrist, Beihilfeanspruch, Beihilfeantrag, beihilfefähige Aufwendungen, Beihilfefähigkeit, Besoldung, Dienstherr, Erkrankung, Krankheit, Verschulden, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Fundstelle:
BeckRS 2021, 54951

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt Beihilfe für diverse ärztliche Behandlungen, Medikamente und Hilfsmittel.
2
Sie ist Beamtin des Beklagten mit einem Beihilfebemessungssatz von 50 v.H.
3
Mit Beihilfeantrag vom 17.6.2020 (Eingang bei der Beihilfestelle 18.6.2020), auf dem der Vermerk „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“ angebracht ist, hat sie insgesamt 76 Belege mit einer Gesamtsumme von 5740,76 € zur Erstattung eingereicht. Bei diesen Rechnungen sind 1 aus dem Jahr 2011, 6 aus dem Jahr 2012, 2 aus dem Jahr 2013, 3 aus dem Jahr 2017, 20 aus dem Jahr 2018 und 10 aus dem Zeitraum vor Juni 2019. Beigefügt war ein Schreiben, in dem unter Bezugnahme auf ein Telefonat mit der Sachbearbeiterin der Wiedereinsetzungsantrag wie folgt begründet wird: Die Klägerin habe in den letzten Jahren ihre Postangelegenheiten nicht erledigen können wegen der sehr starken Nebenwirkungen eines Antibiotikums, das sie wegen ständiger Nebenhöhlenentzündungen immer wieder einnehmen musste. Dies sei erst Ende 2019 diagnostiziert worden. Sie verweist auf ein Gutachten von Dr. S., bei dem es sich um das im Behördenakt an anderer Stelle eingefügte Attest vom 3.9.2019 handeln dürfte. Dort wird folgendes ausgeführt: „Bei der Patientin bestehen im Rahmen ihrer psychischen Erkrankung seit 2012 ein Antriebsmangel und Konzentrationsstörungen wechselnder und teilweise starker Ausprägung. Bedingt hierdurch konnten die eigenen Angelegenheiten nicht beständig erledigt werden. In schlechten Phasen war die Betroffene oft über Monate nicht in der Lage, ihre Post zu bearbeiten. Auch in besseren Phasen konnte der Rückstand nicht abgearbeitet werden. Krankheitsbedingt sollte daher das Einreichen von Rechnungen bei der Beihilfe rückwirkend bis 2012 gewährt werden. Die Patientin war aufgrund ihrer Willensstörung nicht in der Lage, die Belege fristgerecht einzureichen.“ Die Klägerin hat weiter ausgeführt, es fehlten immer noch Rechnungen, die vermutlich wegen des Umzugs 2018 verloren gegangen seien. Sie könne nur versuchen, ob der entsprechende Arzt die fehlenden Rechnungen nochmal ausdrucken könne.
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Mit weiterem Beihilfeantrag vom 18.06.2020, ebenfalls mit dem Vermerk „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“ hat die Klägerin weitere 3 Rechnungen mit einer Gesamtsumme von 2135,53 € eingereicht, davon ist eine vom 05.02.2019. Mit Beihilfeantrag vom 16.07.2020, wiederum mit dem Vermerk „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“ hat die Klägerin weitere 13 Rechnungen mit einer Gesamtsumme von 2135,53 € zur Erstattung eingereicht. Von diesen ist 1 aus dem Jahr 2011, 1 aus dem Jahr 2014, 7 aus dem Jahr 2015, 1 aus dem Jahr 2017 und 1 aus dem Jahr 2018.
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Mit (drei) Beihilfebescheiden vom 23.10.2020 wurde der Klägerin teilweise Beihilfe gewährt. Abgelehnt wurde die Beihilfegewährung für die Aufwendungen, die länger als ein Jahr vor dem Eingang des Beihilfeantrags bei der Beihilfestelle entstanden sind. Im ersten Bescheid (betreffend den umfangreichsten Beihilfeantrag) wurde die Gewährung von Wiedereinsetzung abgelehnt. Zur Begründung wird ausgeführt, dass dafür strenge Anspruchsvoraussetzungen bestünden und dass die Klägerin nach ihren Schilderungen und nach Aktenlage nicht ohne Verschulden gehindert gewesen sei, die Frist einzuhalten. Es sei bereits eine leichte Fahrlässigkeit ausreichend, um eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auszuschließen. Ein Ermessensspielraum für eine Kulanzentscheidung bestehe leider nicht. Auch wenn die von der Klägerin geschilderte Lebenssituation sicherlich sehr schwierig gewesen sei, so lasse sich trotzdem kein Grund erkennen, nach dem sie ohne Verschulden verhindert gewesen sei, rechtzeitig einen Beihilfeantrag zu stellen. Daneben wäre eine Antragstellung durch einen Bevollmächtigten möglich gewesen.
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Mit Schreiben vom 6.11.2020 hat die Klägerin Widerspruch erhoben und darauf verwiesen, dass ein fachärztliches Gutachten beiliege. Im Behördenakt befindet sich ein solches im Nachgang zur Widerspruchsbegründung nicht. Es dürfte das Attest von Dr. S. gemeint sein. Die Klägerin hat die vom Widerspruch betroffenen Belege mittels Auflistung auf Formblättern zum Beihilfeantrag aufgelistet.
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Mit Widerspruchsbescheid des Landesamts für Finanzen, Dienststelle Würzburg vom 26.11.2020 wurde der Widerspruch gegen die Beihilfebescheide vom 23.10.2020 zurückgewiesen und der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt. Ausgeführt wird bei der Jahresfrist handle es sich um eine sogenannte Ausschlussfrist, deren Nichtbeachtung den Beihilfeanspruch zum Erlöschen bringe. Die Geltendmachung von Ausschlussfristen unterliege nach herrschender Meinung auch bei öffentlich-rechtlichen Ansprüchen dem Grundsatz von Treu und Glauben im Sinne des § 242 BGB. Der Dienstherr sei nicht verpflichtet, für eine vollständige Absicherung des Beamten Sorge zu tragen, denn die Beihilfe sei lediglich eine ergänzende Hilfe, die den Beamten von den nicht durch die Besoldung gedeckten Aufwendungen in angemessenem und notwendigen Umfang freistellen solle. Die Begründung der Ablehnung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entspricht weitgehend der des Ausgangsbescheids.
8
Am 28.12.2020 hat die Klägerin Klage erheben lassen. Sie lässt beantragen,
die drei Bescheide des Beklagten vom 23.10.2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 26.11.2020 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und auf den Beihilfeantrag der Klägerin vom 17.06.2020 weitere 2113,88 Euro, auf den Antrag der Klägerin vom 18.06.2020 weitere 10,02 Euro und auf den Antrag der Klägerin vom 16.07.2020 weitere 370,07 Euro zu erstatten.
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Zur Begründung wird ausgeführt, es sei zwar richtig, dass die Klägerin die betroffenen Rechnungen nicht innerhalb der Jahresfrist eingereicht habe. Allerdings sei die Klägerin an der rechtzeitigen Einreichung ohne Verschulden verhindert gewesen, so dass ihr Wiedereinsetzung in den Vorigen Stand hätte gewährt werden müssen. Es wird das Schreiben der Klägerin vom 17.06.2020 angeführt und das Attest des Dr. S. vom 03.09.2019. Die Klägerin habe damit vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass sie in diesem Zeitraum krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen sei, die Beihilfeanträge zu stellen. Das vorgelegte ärztliche Attest gebe sowohl eine präzise zeitliche Einordnung dafür als auch eine ärztliche Darlegung dazu, dass Tätigkeiten wie die Beantragung von Beihilfe der Klägerin nicht möglich gewesen sei. Die Ausführungen im Widerspruchsbescheid zu den Anforderungen an die Wiedereinsetzung seien floskelhaft, die Beschäftigung mit den konkreten Ausführungen der Klägerin fehle. Die theoretische Überlegung, die Klägerin hätte einen Bevollmächtigten beauftragen können, übersehe, dass dann die Klägerin ihm alle Informationen und Unterlagen, also alles zusammenstellen hätte müssen.
10
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
11
Der Klagevortrag sei nicht geeignet, eine vom Verwaltungsverfahren abweichende Beurteilung zu begründen. Der Beklagte halte an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest und nehme Bezug auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Eine Krankheit könne nur ausnahmsweise Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sein. Erforderlich sei, dass es der betroffenen Person durchgehend unmöglich oder unzumutbar gewesen sei, die fristwahrende Handlung selbst vorzunehmen oder durch einen Vertreter vornehmen zu lassen. Hinsichtlich der Rechnungen aus dem Jahr 2011 nehme das Dr. S. selbst schon nicht an. Es stelle sich die Frage, warum die Klägerin bereits im September 2019 sich ein ärztliches Attest zur Glaubhaftmachung ihres fehlenden Verschuldens speziell bei Beihilfeanträgen besorgt habe. Dies lasse nur den Schluss zu, dass der Wegfall des Hindernisses bereits im September 2019 zu bejahen sei, so dass Wiedereinsetzung schon wegen Ablaufs der Zweiwochenfrist des Art. 32 Abs. 2 BayVwVG nicht zu gewähren sei. Das vorgelegte Attest sei auch nicht hinreichend substantiiert. Es sei auch zu erwähnen, dass durch die Klägerin regelmäßig in den Jahren 2014 und 2016-2018 Beihilfeanträge eingereicht worden seien. Hinzu komme, dass sämtliche beihilfefähigen Aufwendungen, die bis einschließlich 17.6.2018 entstanden seien, schon wegen des in Art. 32 Abs. 3 BayVwVfG geregelten gänzlichen Ausschusses der Wiedereinsetzung für Fristen, die schon länger als ein Jahr abgelaufen seien, ohnehin nicht mehr erstattet werden könnten. Zum Antrag vom 16.07.2020 sei weiter festzustellen, dass selbst bei anderer Auffassung zur Wiedereinsetzung die Klägerin ab dem 17.06.2020 längstens 2 Wochen Zeit gehabt habe, um sämtliche Beihilfeanträge nachzuholen.
12
Seitens des Gerichts wurde der Klägerseite zu den betroffenen Rechtsfragen und der dazu vertretenen Auffassung der Kammer das Urteil vom 01.12.2020 (Az. RN 12 K 18.1775), das einen ähnlichen Sachverhalt betrifft, übermittelt und Verzicht auf mündliche Verhandlung angeregt.
13
Nach Ladung zur mündlichen Verhandlung hat die Klägerseite vorgetragen, dass sich die Klägerin seit Juli 2020 in ambulanter psychiatrischer Behandlung beim Bezirksklinikum W. befinde. Es wurde eine ärztliche Bescheinigung von diesem mit folgendem Inhalt vorgelegt: „Fr. … befindet sich seit Juli 2020 in unserer ambulanten psychiatrischen Behandlung. Diagnostisch liegt eine rezidivierend depressive Störung mit anhaltender Antriebsminderung, Konzentrationsstörungen und raschen Überforderungstendenzen vor. Da hinsichtlich der Alltagsbewältigung (unter anderem Schriftverkehr und Haushaltsangelegenheiten) deutliche Einschränkungen zu erkennen waren, wurde eine aufsuchende Pflege zur Tagesstrukturierung und Anleitung eingeleitet. Der weitere Verlauf bleibt abzuwarten.“
14
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten sowie auf den vorgelegten Vorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung weiterer Beihilfe. Die angefochtenen ablehnenden Bescheide und der Widerspruchsbescheid verletzen sie daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
16
Im Zeitpunkt der Einreichung der streitgegenständlichen Belege ab dem 17.6.2000 waren unabhängig von der grundsätzlichen Beihilfefähigkeit der geltend gemachten Aufwendungen Ansprüche auf die Gewährung von Beihilfe bereits erloschen, weil die wegen der nach den bis dahin geltenden Fassungen des Art. 96 Abs. 3a Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) und § 48 Abs. 6 Bayerische Beihilfeverordnung (BayBhV) geltende einjährige Ausschlussfrist bereits abgelaufen war und auch die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht erfüllt sind. Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist generell die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 02.04.2014 - 5 C 40/12, Rn. 9). Speziell für die Ausschlussfrist bezüglich der Einreichung von Beihilfeanträgen, die aktuell drei Jahre beträgt, besteht die Übergangsregelung des Art. 144 BayBG, nach der die einjährige Ausschlussfrist weiterhin für bis zum 01.01.2020 entstandene Aufwendungen gilt.
17
Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit einer solchen materiellen Ausschlussfrist, die es im Bundesrecht und in den Beihilferegelungen anderer Bundesländer ebenso gibt, bestehen keine Bedenken (BVerwG, U. v. 28.06.1965 - Az. VIII C 334.63; VG Ansbach, U. v. 14.05.2020 - Az. 18 K 18.00645; VG München, U. v. 08.11.2016 - Az. M 17 K 16.4499; VG Köln, U. v. 07.07.2016 - Az. 1 K 5654/15). Die Ausschlussfrist dient aus haushaltstechnischen Gründen dazu, eine baldige Klärung etwa noch bestehender Beihilfeansprüche herbeizuführen und ist mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit erfordert es nicht, dass von der Rechtsordnung verliehene Ansprüche ohne zeitliche Schranken Bestand haben müssten. Ist die zeitliche Grenze, wie hier, so gezogen, dass nach der Lebenserfahrung den Berechtigten auch dann noch genügend Zeit zur Anspruchsverwirklichung zur Verfügung steht, wenn sie im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruches oder später nur vorübergehend daran gehindert waren, so verletzt der Normgeber nicht seine Pflicht, die Durchsetzbarkeit des Anspruchs zu gewähren (BVerwG, U. v. 28.06.1965 - Az. VIII C 334.63). Im Hinblick auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn ist die Ausschlussfrist jedenfalls dann unbedenklich, wenn die Möglichkeit besteht, im besonderen Einzelfall Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen. Obwohl es sich um eine materiell-rechtlich Ausschlussfrist handelt, ist dies ist bei der Ausschlussfrist des Art. 96 Abs. 3a BayBG der Fall (vgl. BayVGH, B. v. 02.10.2018 - Az. 14 ZB 17.1841).
18
Die Voraussetzungen für die Gewährung der Wiedereinsetzung in die abgelaufene Ausschlussfrist sind im vorliegenden Fall allerdings nicht erfüllt.
19
Nach Art. 32 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Gemäß Art. 32 Abs. 2 BayVwVfG ist der Antrag innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen und sind die Tatsachen zur Begründung des Antrags bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Nach Art. 32 Abs. 3 BayVwVfG kann nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.
20
Bei Berücksichtigung dieser Vorgaben ist schon festzustellen, dass hinsichtlich der Rechnungen, die vor dem 18.06.2019 ausgestellt worden sind, die Gewährung von Wiedereinsetzung nach Art. 32 Abs. 3 BayVwVfG von vorneherein nicht in Betracht kommt, weil die von der Klägerin als Grund für die Versäumung der Frist geltend gemachten krankheitsbedingten Einschränkungen unzweifelhaft jedenfalls keine höhere Gewalt sind. Für die Rechnungen aus dem Jahr 2011 ist der Entschuldigungsgrund im Übrigen ohnehin nicht von dem vorgelegten ärztlichen Attest gedeckt, das die Erkrankung erst ab dem Jahr 2012 bescheinigt.
21
Daneben ist auch schon die Antragsfrist des Art. 32 Abs. 2 BayVwVfG überwiegend nicht gewahrt. Die Klägerin hat sich bereits am 3.9.2019 von ihrem behandelnden Arzt ihre Erkrankung zwecks Vorlage bei der Beihilfestelle bestätigen lassen. Es ist nichts vorgetragen oder gar nachgewiesen, dass sie nicht binnen 2 Wochen nach diesem Zeitpunkt imstande gewesen wäre, den Beihilfeantrag mit Wiedereinsetzungsantrag selbst oder durch einen Bevollmächtigten zu stellen.
22
Für alle eingereichten Belege gilt zudem, dass die Klägerin nicht ohne Verschulden daran gehindert war, die Jahresfrist einzuhalten. Verschuldet ist eine Fristversäumnis dann, wenn der Betroffene nicht die Sorgfalt walten lässt, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und ihm nach den gesamten Umständen zumutbar ist (BVerwG, Urteil v. 08.03.1983 - Az. 1 C 34/80). Eine Krankheit greift als Entschuldigungsgrund für die Versäumung der Frist nur dann durch, wenn sie so schwer war, dass der von ihr betroffene Verfahrensbeteiligte nicht bloß unfähig war, selbst zu handeln, sondern auch außerstande war, einen Bevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen und im gebotenen Umfange zu informieren (BVerwG, B. v. 27.09.1993 - Az. 4 NB 35/93 und B. v. 22.07.2008 - AZ. 5 B 50/08).
23
Vorliegend gibt es schon keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die geltend gemachten krankheitsbedingten Einschränkungen dauerhaft über einen Zeitraum von 9 Jahren das Vermögen der Klägerin zur Einreichung von Rechnungen bei der Beihilfestelle ausgeschlossen hätten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich beim Ausfüllen eines Beihilfeantrags einschließlich Zusammenstellung der Belege um eine einfache Tätigkeit handelt, dass die Klägerin im betroffenen Zeitraum auch regelmäßig selbst Beihilfeanträge eingereicht hat und dass sie sich deren Unvollständigkeit bewusst war, wie das schon im September 2019 zur Vorlage bei der Beihilfestelle eingeholte Attest zeigt. Selbst wenn man aber dennoch vertritt, dass die Klägerin wegen der in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen sehr starken Depressionen durchgehend die Beihilfeangelegenheit nicht ordnungsgemäß erledigen konnte, dann geht die Kammer jedenfalls - auch nach der Präzisierung des Sachverhalts in der mündlichen Verhandlung - nicht davon aus, dass die Klägerin auf Grund der bestehenden Erkrankung auch außerstande war, innerhalb der Jahresfrist des § 48 Abs. 6 BayBhV a.F. einen Bevollmächtigten mit der Geltendmachung ihrer Beihilfeansprüche zu beauftragen. Das im Verwaltungsverfahren vorgelegte Attest des Dr. S. vom 3.9.2019 trifft diesbezüglich schon keine Aussage und auch die als Folge der psychischen Erkrankung angeführten Diagnosen Antriebsmangel und Konzentrationsstörungen belegen nicht eine Handlungsunfähigkeit der Klägerin in einem Ausmaß, dass die Beauftragung eines Bevollmächtigten ausgeschlossen erscheint. Die im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Bescheinigung der medbo betrifft den Zeitraum ab Juli 2020 und damit schon formell nicht den Zeitraum vor Juni 2020, für den die Klägerin Wiedereinsetzung begehrt. Die dort sehr unsubstantiiert angeführte „deutliche Einschränkung hinsichtlich der Alltagsbewältigung“ belegt auch keinesfalls die für die Gewährung von Wiedereinsetzung erforderliche Handlungsunfähigkeit, erst recht nicht die fehlende Möglichkeit der Beauftragung eines Bevollmächtigten. Obwohl die Bescheinigung wohl auf die Bestätigung einer krankheitsbedingten Verhinderung der Klägerin zur Einreichung von u.a. Beihilfeanträgen abzielt, ist festzustellen, dass die Klägerin mit der Stellung der Wiedereinsetzungsanträge am 17.6.2020, 18.6.2020 und 18.7.2020 entgegen dieser Wertung die tatsächlich bestehende Möglichkeit zur Bewältigung der Beihilfeangelegenheit gerade dokumentiert hat. Soweit sie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, dass diese Anträge von einem Bekannten verfasst worden seien, belegt dies gerade die Handlungsfähigkeit durch einen Bevollmächtigten und widerlegt den Vortrag in der Klagebegründung, dass ohne eigene Tätigkeit der Klägerin ein solcher die Beihilfeanträge nicht habe stellen können. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angedeutet hat, dass vor 2020 keine Verwandten und Bekannten zur Verfügung gestanden hätten, führt gerade der sehr lange Zeitraum, für den die Klägerin Einschränkungen geltend macht, dazu, dass sie verpflichtet war, auf die von ihr erkannten eigenen Defizite zu reagieren und auch fremde Dritte mit der Erledigung ihrer Angelegenheiten zu beauftragen. Ihrem Vortrag, dass es eine entsprechende Person gegeben habe, diese aber auf die hohen Kosten bei Erledigung aller Angelegenheiten hingewiesen habe, braucht nicht näher nachgegangen zu werden, weil eine derartige Vorgehensweise das Verschulden der Klägerin nicht ausschließt, zumal ihr ein etwaiges Verschulden des Bevollmächtigten zuzurechnen wäre. Der diesbezügliche sehr diffuse und nach Setzung einer Frist nach § 87b VwGO erstmals in der mündlichen Verhandlung erfolgte Vortrag genügt auch nicht der Verpflichtung der Klägerin zur Glaubhaftmachung von Wiedereinsetzungsgründen (Art. 32 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG).
24
Nach alledem besteht für sämtliche streitgegenständliche Belege kein Anspruch auf die Gewährung von Wiedereinsetzung in die jeweils versäumte Antragsfrist.
25
Die Klage war demnach mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
26
Die Entscheidung bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
27
Gründe für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor (§ 124a Abs. 1 VwGO).