Titel:
Kein Schadensersatz wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen im Zusammenhang mit dem Erwerb eines gebrauchten Fahrzeugs mit 3,0 Liter-Motor (hier: Audi A 5 3,0 TDI)
Normenketten:
BGB § 826, § 831
VO (EG) 715/2007 Art. 5 Abs. 2
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2021, 41003; OLG München BeckRS 2020, 53350; BeckRS 2021, 31796; BeckRS 2021, 32277; BeckRS 2021, 32276; BeckRS 2021, 32267; BeckRS 2021, 45184; BeckRS 2021, 47471; BeckRS 2022, 5687; OLG Brandenburg BeckRS 2021, 14845; BeckRS 2021, 14846; OLG Düsseldorf BeckRS 2021, 42101; OLG Köln BeckRS 2020, 10284; OLG Hamm BeckRS 2020, 41423; BeckRS 2021, 48767; OLG Stuttgart BeckRS 2020, 5656; OLG Koblenz BeckRS 2020, 34715; LG München I BeckRS 2021, 32309; LG München II BeckRS 2021, 9731; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2020, 17853; BeckRS 2021, 41437; LG Landshut BeckRS 2021, 15304; LG Ingolstadt BeckRS 2021, 19616; LG Würzburg BeckRS 2021, 32313; BeckRS 2021, 43843. (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi AG, 3.0 l V6 Dieselmotor, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Thermofenster, Rückruf, KBA, Prospekthaftung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 04.11.2021 – 27 U 5113/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 30.05.2022 – VIa ZR 627/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 54814
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert des Verfahrens wird festgesetzt auf € 30.583,69.
Tatbestand
1
Die Klägerin fordert von der Beklagten auf deliktischer Grundlage die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über einen gebrauchten Pkw.
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Die Klägerin erwarb am 28.10.2015 bei der N. A. GmbH & Co. KG in Speyer den im Klageantrag Ziffer 1. näher bezeichneten, gebrauchten Pkw Audi A 5 3,0 TDI mit einem Kilometerstand von 57.688 km zu einem Kaufpreis von € 34.777,00 (Anlage K 1 und K 1a). Das Fahrzeug wies im Zeitpunkt der Klageerhebung einen Kilometerstand von 98.963 km und in der mündlichen Verhandlung am 01.06.2021 einen Kilometerstand von 101.327 km auf.
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Das streitgegenständliche Fahrzeug ist mit dem Dieselmotor ausgerüstet und unterliegt der Euro 5 Norm. In ihm ist ein sog. „Thermofenster“ verbaut. Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeuges.
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Mit anwaltlichem Schreiben vom 20.08.2020 forderte die Klägerin die Beklagte unter Fristsetzung zum 02.09.2020 auf, das Fahrzeug gegen Rückzahlung des Kaufpreises zurückzunehmen (Anlage K15).
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Die Klägerin trägt vor, ihr Fahrzeug sei mit dem Dieselmotor EA897 ausgerüstet. Ihr Fahrzeug sei von einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes betroffen.
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Die Klägerin behauptet ferner, das in ihrem Fahrzeug verbaute Thermofenster stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Zudem sei eine unzulässige Lenkwinkelerkennung mit Leistungsreduzierung auf dem Prüfstand sowie eine Abschalteinrichtung in Form einer Aufwärmfunktion verbaut. Ferner sei das OBD-System manipuliert.
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Die Klägerin beantragt zuletzt zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei € 34.777,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.09.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von € 8.809,63 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Audi A5 3,0 TDI mit der Fahrgestellnummer …36 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 03.09.2020 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von € 2.256,24 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.09.2020 zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte trägt vor, das Fahrzeug sei mit dem Dieselmotor EA896 V6 TDI Generation 2 ausgerüstet.
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Die Beklagte behauptet ferner, das streitgegenständliche Fahrzeug sei nicht von einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes in Bezug auf sein Emissionsverhalten betroffen (Anlage B 2 und B 3).
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 01.06.2021 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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I. Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von € 25.967,37 aus §§ 826, 31 BGB zu.
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1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von € 22.955,00 aus §§ 826, 31 BGB zu.
15
a) Das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Dies gilt auch dann, wenn mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt wird. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Die Annahme objektiver Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH NJW 2021, 921).
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b) Gemessen an diesen Maßstäben ist ein sittenwidriges Handeln der Beklagten zu verneinen. Das gilt selbst dann, wenn man den Einbau des Thermofensters als rechtlich unzulässig ansehen wollte. Weitere Umstände, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen, sind weder dargelegt, noch sonst ersichtlich.
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Hinzu kommt, dass es ferner am Bewusstsein der handelnden Personen fehlte, ein - unterstellt - unzulässiges Thermofenster zu verbauen. Denn im Zeitpunkt der Herstellung des streitgegenständlichen Fahrzeuges war jedenfalls gut vertretbar, die Verwendung eines derartigen Mechanismus als mit Art. 5 der Verordnung 207/715/EG vereinbar anzusehen (vgl. OLG München, BeckRS 2020, 22838).
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Dasselbe gilt jeweils für die weiteren geltend gemachten Manipulationen (Lenkwinkelerkennung, Aufwärmfunktion und OBD-System).
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Das Gericht ist zudem aufgrund der durch die Beklagte vorgelegten Anlagen B 2 und B 3 der Überzeugung, dass das streitgegenständliche Fahrzeug nicht von einem verpflichtenden Rückruf in Bezug auf sein Emissionsverhalten betroffen war. Die insoweit von der Klägerin in Bezug genommenen Rückrufe des Kraftfahrtbundesamtes betreffen entweder nicht das streitgegenständliche Fahrzeug des Typs A 5 (der Rückruf 23X6 betraf selbst nach Angaben der Klägerin nur die Fahrzeugtypen A 6, A 7 und A 8) oder waren freiwillig.
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2. Der Klägerin steht gegen die Beklagte auch kein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von € 27.187,71 aus §§ 280 Abs. 1 S. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 3 BGB oder § 831 I BGB zu.
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a) Die Beklagte war am Vertragsschluss unstreitig weder als Vertreter noch als Verhandlungsgehilfe beteiligt. Eine Übertragung der in Kapitalanlagefällen bestehenden Prospekthaftung auf Fälle des Autokaufs scheidet schon deshalb aus, da dem Autokäufer im Gegensatz zum Kapitalanleger nicht nur ein Prospekt, sondern eine Fülle von Informationsquellen zur Verfügung steht (OLG Naumburg, 5 U 6/20).
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b) Für § 831 I BGB fehlt es schon an einer unerlaubten Handlung, die der Verrichtungsgehilfe (Mitarbeiter der Beklagten) begangen haben könnte (siehe oben Ziffer 1).
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3. Schadensersatzansprüche der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 6 I, § 27 I EG-FGV und § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB, § 31 BGB scheiden schon aus Rechtsgründen aus (vgl. BGH ZIP 2020, 1715 Rn 10ff, 17ff; ZIP 2021, 84 Rn. 20).
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4. Mangels Bestehens eines Hauptanspruchs sind die Anträge auf Feststellung des Annahmeverzuges ebenso unbegründet die Anträge auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Zinsen.
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Andere durchgreifende Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich. 1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.
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2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.
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3. Die Streitwertfestsetzung basiert auf § 63 Abs. 2 S. 1 GKG. Maßgebend war gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 GKG i.V. m. § 4 Abs. 1 Halbsatz 1 ZPO der mit der Klage geltend gemachte Hauptsachebetrag. Dieser belief sich ursprünglich auf € 30.583,69 (Kaufpreis abzüglich Nutzungsentschädigung im Zeitpunkt der Klageerhebung). Der Antrag auf Feststellung von Annahmeverzug hatte keinen eigenen Wert (BGH XI ZR 109/17 Textziffer 4). Die in der Sitzung (aufgrund des zwischenzeitlich erhöhten Nutzungsersatzes) erklärte Klageänderung hatte auf den festzusetzenden Streitwert keinen Einfluss; insbesondere war keine Staffelung vorzunehmen (OLG München NJW-RR 2017, 700). Die ferner geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Zinsen hatten demgegenüber gemäß § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO insoweit außer Betracht zu bleiben.