Titel:
Gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstandes während der Corona-Pandemie
Normenketten:
BetrVG § 17 Abs. 3, Abs. 4
BetrVG aF § 129 Abs. 3
Leitsätze:
1. § 17 Abs. 4 S. 1 BetrVG sieht als eine Fallgestaltung der gerichtlichen Bestellung des Wahlvorstands ausdrücklich vor, dass eine Betriebsversammlung trotz Einladung überhaupt nicht stattfindet. Aus welchem Grund die Betriebsversammlung nicht stattfindet, ist durch das Gesetz nicht vorgegeben. Dementsprechend ist die gerichtliche Bestellung auch nicht auf Fälle beschränkt, in denen der Arbeitgeber die Einladung, die Betriebsversammlung oder die Wahl in der Betriebsversammlung behindert. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber keine Telefonkonferenzwahlen ermöglichen wollte, kann nicht darauf geschlossen werden, § 17 Abs. 4 BetrVG sei entgegen seinem Wortlaut dahingehend auszulegen, dass die gerichtliche Bestellung des Wahlvorstands trotz ordnungsgemäßer Einladung zu einer Betriebsversammlung zu unterbleiben hat. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betriebsratswahl, Wahlvorstand, gerichtliche Bestellung, Corona-Virus, Corona-Pandemie, Betriebsversammlung
Rechtsmittelinstanz:
LArbG Nürnberg, Beschluss vom 11.03.2022 – 8 TaBV 25/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 54773
Tenor
Es wird ein aus drei Personen bestehender Wahlvorstand zur Durchführung der Betriebsratswahl im Betrieb der Beteiligten zu 5) bestellt. Der Wahlvorstand setzt sich zusammen aus der Beteiligten zu 1) als Vorsitzender, den Beteiligten zu 2) und 3) als weitere Mitglieder und der Beteiligten zu 4) als Ersatzmitglied.
Gründe
1
Die Antragstellerinnen begehren die Einsetzung eines Wahlvorstands für die Wahl eines Betriebsrats im Betrieb E-Stadt/EE der Beteiligten zu 5) (Arbeitgeberin) durch das erkennende Gericht. Der Wahlvorstand soll nach dem Antragsbegehren von den Antragstellerinnen besetzt sein.
2
Die volljährigen Antragstellerinnen sind Arbeitnehmer der Arbeitgeberin. Sie sind im Betrieb der Arbeitgeberin beschäftigt, in dem insgesamt 365 Arbeitnehmer am Standort E-Stadt und 23 Arbeitnehmer am Standort EE tätig sind. Im Betrieb besteht kein Betriebsrat. Auch ein Gesamtbetriebsrat oder ein Konzernbetriebsrat bestehen nicht.
3
Die Herren A. und B, zum damaligen Zeitpunkt wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebs, sowie die Antragstellerin zu 2) luden mit Schreiben vom 09.03.2020 zu einer Betriebsversammlung am 18.03.2020 ein. Gemäß Tagesordnung sollte in der Betriebsversammlung ein Wahlvorstand für die Wahl eines Betriebsrats gewählt werden (vergleiche Einladungsschreiben gemäß Anlage BB01, Blatt der Akte 52). Das Einladungsschreiben wurde von der Arbeitgeberin an verschiedenen Stellen im Betrieb, insbesondere den schwarzen Brettern, aufgehängt und an alle abwesenden Arbeitnehmer versandt.
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Zeitgleich nahmen die Fälle bestätigter Infektionen mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 in Bayern zu (vgl. etwa Pressmitteilung des bayerischen Gesundheitsministeriums vom 09.03.2020: „39 weitere Coronavirus-Fälle in Bayern bestätigt - Insgesamt nun 239 Fälle seit vorvergangenem Donnerstag“, abgerufen am 18.08.2021 von www.bayern.de).
5
Mit E-Mail vom 11.03.2020 um 21.20 Uhr lehnten die einladenden Arbeitnehmer eine Absage der Betriebsversammlung aus Gründen des Gesundheitsschutzes gegenüber einer Mitarbeiterin der Personalabteilung der Arbeitgeberin zunächst noch ab (vergleiche E-Mail gesendet vom Postfach der Beteiligten zu 2) in Anlage BB02, Blatt der Akte 53 f).
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Mit E-Mail vom 12.03.2020, 22:01 Uhr, teilte der Chief Human Resources Officer der N., einer Muttergesellschaft der Arbeitgeberin, allen Arbeitnehmern mit, dass aufgrund der Verbreitung des Coronavirus größere Zusammenkünfte (mehr als 25 Arbeitnehmer) zu vermeiden und Besprechungen in Konferenzräumen auf bis zu zehn Arbeitnehmer zu beschränken seien (vergleiche Anlage BB04, Blatt der Akte 64). Am 13.03.2020 fand daraufhin um 9:00 Uhr eine Besprechung mit den zur Betriebsversammlung einladenden Arbeitnehmern statt, in denen diese auf die Covid-Situation und die daraus bestehenden Gefahren für die Belegschaft hingewiesen wurden. Am 13.03.2020 um 11:35 Uhr übersandten die einladenden Arbeitnehmer eine E-Mail an den Verteiler „E-Stadt“, in der sie mitteilten, dass die Betriebsversammlung aufgrund der neuesten Entwicklungen zum Coronavirus - unter anderem der Schließungen von Schulen und Kindergärten in Bayern - auf unbestimmte Zeit verschoben werde (vergleiche Anlage BB05, Blatt der Akte 66). Mit Allgemeinverfügung des Bayerischen Gesundheitsministeriums AZ. 51-G8000-2020/122-65 vom gleichen Tag wurden entsprechende Schließungen von Bildungseinrichtungen verfügt (vergleiche BayMBL. 2020 Nr. 140). Schließlich gab die Bayerische Staatsregierung mit Ausrufung des Katastrophenfalls am 16.03.2020 weitgehende Versammlungsbeschränkungen ab 17.03.2020 bekannt.
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In der Anhörung vor dem Vorsitzenden am 17.03.2021 wies dieser darauf hin, dass dem Wahlvorstand Frauen und Männer angehören sollten. Er bat um Mitteilung, falls ein männlicher Arbeitnehmer des Betriebs bereit sein sollte, dem Wahlvorstand anzugehören.
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Die Antragstellerinnen sind der Ansicht, dass das Arbeitsgericht den Wahlvorstand nach § 17 Abs. 4 BetrVG zu bestellen habe, da die Betriebsversammlung zu dessen Wahl nicht stattgefunden habe. Zudem sei die Durchführung einer Betriebsversammlung mit 390 Arbeitnehmern vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie auf absehbare Zeit nicht möglich.
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Die Antragstellerinnen beantragen, nachdem die ursprüngliche Beteiligte zu 1) A, die mit ursprünglichem Antrag als Wahlvorstandsmitglied vorgeschlagen werden sollte, ihren Antrag zurückgenommen hat, zuletzt: „Im Betrieb der Antragsgegnerin wird ein Wahlvorstand bestellt, bestehend aus 1. C. als Vorsitzender, sowie 2. E. und 3. A. als Beisitzer sowie 4. Frau G. als Ersatzmitglied.“
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Die Arbeitgeberin beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
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Die Arbeitgeberin bestreitet, dass männliche Arbeitnehmer nicht gewillt seien, sich als Wahlvorstandsmitglieder zu engagieren.
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Weiterhin geht die Arbeitgeberin davon aus, dass die derzeit geltenden massiven Kontaktbeschränkungen im Extremfall noch wenige Wochen bis Monate andauern würden und im Anschluss Betriebsversammlungen unter Einhaltung eines Hygienekonzepts wieder möglich sein würden.
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Die Arbeitgeberin ist der Ansicht, durch die Absage der Betriebsversammlung sei die ursprünglich ordnungsgemäße Einladung beseitigt worden, da eine echte Partizipationsmöglichkeit zu keinem Zeitpunkt bestanden habe. Würde der Ausspruch der Einladung und die sofortige Rücknahme der Einladung den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Einladung genügen, würde dies liegt letztlich eine Umgehungsmöglichkeit der Arbeitnehmerbeteiligung bedeuten.
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Die Arbeitgeberin ist weiter der Ansicht, die gerichtliche Bestellung des Wahlvorstands habe zu unterbleiben, da den Arbeitnehmern des Betriebs ansonsten endgültig die Möglichkeit genommen würde, einen demokratisch legitimierten Wahlvorstand zu wählen. Es müsse zumindest die Möglichkeit bestanden haben, die Wahlvorstandsmitglieder in einer Betriebsversammlung zu wählen. Zudem sei die Bestellung des Wahlvorstandes durch das Gericht bereits aus rein tatsächlichen Gründen nicht zielführend, da die Wahl des Betriebsrats in der derzeitigen Situation nicht durchführbar sei.
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Schließlich sei die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts mit Beschluss vom 16.02.1992 (Aktenzeichen: 7 ABR 37/91) auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Das Bundesarbeitsgericht habe über einen Fall zu entscheiden gehabt, in dem das Hindernis, dass der Einladung zur Betriebsversammlung entgegenstand, aus der Sphäre des Arbeitgebers stammte. Dieser habe versucht, den Beginn der Betriebsratswahl zu verzögern und den Arbeitnehmern, die zur Wahl einladen wollten, eine entsprechende Möglichkeit zu nehmen. Damit habe der Einladung als solcher ein Hindernis aufgrund mangelnder Kooperation des Arbeitgebers im Wege gestanden.
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Die Arbeitgeberin ist weiter der Ansicht, die Undurchführbarkeit der Betriebsversammlung mit der Folge der Unmöglichkeit der Wahl eines Wahlvorstands sei zumindest zum jetzigen Zeitpunkt hinzunehmen. Dies folge aus der Regelung des § 129 Abs. 3 BetrVG. Der Gesetzgeber habe in Kenntnis von Vorschlägen, die Wahl des Wahlvorstands in Videokonferenz zu ermöglichen, bewusst davon abgesehen, die digitale Bestellung des Wahlvorstands in Betrieben ohne Betriebsrat zu ermöglichen, so dass präsentes Zusammenwirken nach wie vor erforderlich sei.
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Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten und seinen Einzelheiten wird auf die Schriftsätze, ihre Anlagen, de Sitzungsprotokolle und den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
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Das Gericht hatte den Wahlvorstand nach § 17 Abs. 4 BetrVG zu bestellen, da es nach Einladung zu einer Betriebsversammlung zur Wahl des Wahlvorstands zu keiner Betriebsversammlung gekommen war.
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1. Die Antragstellerinnen sind als volljährige und damit nach § 7 BetrVG wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebs antragsberechtigt nach § 17 Abs. 4 Satz 1 BetrVG.
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2. Die gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstands nach § 17 Abs. 4 BetrVG setzt nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BetrVG voraus, dass der betreffende Betrieb betriebsratsfähig ist (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) aber noch nicht über einen Betriebsrat verfügt. Nach § 17 Abs. 2 BetrVG ist zudem erforderlich, dass weder ein Gesamtbetriebsrat noch ein Konzernbetriebsrat besteht.
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2.1. Betriebsratsfähigkeit nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG setzt voraus, dass im Betrieb in der Regel mindestens fünf ständige wahlberechtigte Arbeitnehmer, von denen drei wählbar sind, beschäftigt werden. Dies ist vorliegend der Fall, im betreffenden Betrieb der Arbeitgeberin sind ca. 390 Arbeitnehmer tätig.
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2.2. Es bestehen weder ein Betriebsrat, ein Gesamtbetriebsrat noch ein Konzernbetriebsrat.
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3. Nach § 17 Abs. 4 Satz 1 BetrVG ist der Wahlvorstand durch das Arbeitsgericht zu bestellen, wenn trotz Einladung zur Wahl des Wahlvorstands in einer Betriebsversammlung keine Betriebsversammlung stattfindet oder die Betriebsversammlung keinen Wahlvorstand wählt. Vorliegend ist die erste der beiden genannten Alternativen einschlägig, nämlich das „trotz Einladung keine Betriebsversammlung“ stattfindet.
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3.1. Eine ordnungsgemäße Einladung zur Wahl des Wahlvorstands in einer Betriebsversammlung liegt vor. Nach § 17 Abs. 3 BetrVG können drei wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebs zu einer solchen Betriebsversammlung einladen. Die vorliegend einladenden Personen A und B sowie die Antragstellerin zu 2) waren - jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt - wahlberechtigte Arbeitnehmer des betreffenden Betriebs. Das Einladungsschreiben ist inhaltlich nicht zu beanstanden und wurde an verschiedenen Stellen im Betrieb, insbesondere an den - offenkundig für die Bekanntmachung von Mitteilungen an die Arbeitnehmer eingerichteten - schwarzen Brettern, bekannt gemacht sowie abwesenden Arbeitnehmern übersendet. Zwischen den Beteiligten besteht dementsprechend auch keine Meinungsverschiedenheit, was die Ordnungsgemäßheit der ursprünglichen Einladung angeht.
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3.2. Die Einladung wurde entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin durch die Absage der Betriebsversammlung auch nicht gegenstandslos, sondern stellt nach wie vor eine Einladung im Sinne des § 17 Abs. 4 Satz 1 BetrVG dar.
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§ 17 Abs. 4 Satz 1 BetrVG sieht als eine Fallgestaltung der gerichtlichen Bestellung des Wahlvorstands ausdrücklich vor, dass eine Betriebsversammlung trotz Einladung überhaupt nicht stattfindet. Aus welchem Grund die Betriebsversammlung nicht stattfindet, ist durch das Gesetz nicht vorgegeben. Das Arbeitsgericht kann vielmehr sofort angerufen werden, nachdem eine Betriebsversammlung zu dem in der Einladung vorgesehenen Zeitpunkt nicht zustande kam (Richardi/Thüsing, BetrVG, 16. Aufl., § 17, Rz. 33; Fitting, 29. Aufl. Rz. 32 zu § 17 BetrVG). In diesen Fällen gebietet die u.a. in § 1 BetrVG zum Ausdruck kommende Konzeption des Gesetzes, möglichst in jedem betriebsratsfähigen Betrieb einen Betriebsrat zu errichten (vgl. BAG 27. Juli 2011 - 7 ABR 61/10 - Rn. 33 mwN, BAGE 138, 377), die Bestellung des Wahlvorstands auf andere Weise sicherzustellen (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 22. Januar 2020 - 3 TaBV 23/19 -, Rn. 36, juris). Dementsprechend ist die gerichtliche Bestellung auch nicht auf Fälle beschränkt, in denen der Arbeitgeber die Einladung, die Betriebsversammlung oder die Wahl in der Betriebsversammlung behindert (vgl. auch BAG, Beschluss vom 20. Februar 2019 - 7 ABR 40/17 -, Rn. 36, juris für den Fall der erfolglosen Durchführung einer Betriebsversammlung: „Aus welchen Gründen die Wahl eines Wahlvorstands auf der Wahlversammlung unterblieb, ist unerheblich.“).
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Dies gilt grundsätzlich auch für Fälle, in denen die einladenden Arbeitnehmer die Betriebsversammlung selbst wieder absagen. Lediglich in Fällen, in denen die einladenden Arbeitnehmer bereits bei Ausspruch der Einladung die Durchführung der Betriebsversammlung oder der Wahl nicht beabsichtigten, dürften die Voraussetzungen einer gerichtlichen Einsetzung nicht vorliegen. Die bloße Einladung zum Schein, dürfte bereits keine Einladung im Sinne des § 17 Abs. 3 BetrVG sein (Rechtsgedanke § 117 Abs. 1 BGB). Diese Frage bedarf vorliegend aber keiner Entscheidung, da vorliegend die einladenden Arbeitnehmer die Einladung nicht nur zum Schein ausgesprochen hatten. Vielmehr erfolgte die Absage offensichtlich unter dem Eindruck der fortschreitenden Beschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie zum Schutz der Belegschaft und der Allgemeinheit vor Infektionsgefahren. Dies lässt sich dem zeitlichen Ablauf der Ereignisse zweifelsfrei entnehmen. So erfolgte die Absage nach Aufforderung des gruppenweit Personalverantwortlichen B, Versammlungen mit mehr als 25 Arbeitnehmern zu vermeiden, einem Gespräch mit Vertretern der Arbeitgeberin zu den Gefahren für die Belegschaft und der Bekanntgabe von Schulschließungen durch die Bayerische Staatsregierung. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die einladenden Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Einladung bereits eine Absage beabsichtigt haben könnten. Vielmehr haben sie eine Absage der Betriebsversammlung mit E-Mail vom 11.03.2020 zunächst sogar noch abgelehnt.
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Das Argument der Arbeitgeberin, durch die Absage der Betriebsversammlung sei die ursprünglich ordnungsgemäße Einladung beseitigt worden, da eine echte Partizipationsmöglichkeit zu keinem Zeitpunkt bestanden habe, vermag nicht zu überzeugen. Zwar ist der Arbeitgeberin insoweit beizupflichten, als die gerichtliche Bestellung nur eine subsidiäre Möglichkeit gegenüber der Wahl in einer Betriebsversammlung darstellt. Der Gesetzgeber hat aber ausdrückliche Ausnahmen geregelt, unter anderem den Fall, dass „trotz Einladung keine Betriebsversammlung“ stattfindet. Darin kommt ohne Zweifel zum Ausdruck, dass eine gerichtliche Bestellung auch in solchen Fällen vorgesehen ist, denen mangels Durchführung einer Betriebsversammlung keinerlei Partizipationsmöglichkeit bestand. Die Absage der Betriebsversammlung muss auch nicht deshalb als nichtig erachtet werden, da sonst eine Umgehungsmöglichkeit eröffnet würde. Vorliegend liegt keine Umgehung durch eine Einladung zum Schein vor (s.o.). Die bloße Möglichkeit einer Umgehung rechtfertigt zudem für sich genommen nicht, von den gesetzlichen Tatbestand wider seinen Wortlaut auszulegen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es der Belegschaft unbenommen bleibt, bis zur gerichtlichen Bestellung in einer neu einberufenen Betriebsversammlung doch noch selbst einen Wahlvorstand zu wählen.
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Auch das Argument der Arbeitgeberin, eine gerichtliche Bestellung habe zu unterbleiben, da den Arbeitnehmern des Betriebs hierdurch endgültig die Möglichkeit genommen werde, einen demokratisch legitimierten Wahlvorstand zu wählen, vermag nicht zu überzeugen. Zwar ist der Arbeitgeberin insofern beizupflichten, als die gesetzgeberische Zielsetzung, den Wahlvorstand im betriebsratslosen Betrieb durch die Arbeitnehmer wählen zu lassen, in diesen Fällen tatsächlich verfehlt wird. Jedoch hat der Gesetzgeber in § 17 Abs. 4 BetrVG ausdrückliche Ausnahmen geregelt, in denen die Verfehlung dieser Zielsetzung vor dem Hintergrund der weiteren Zielsetzung, jeder betriebsratsfähige Betrieb, solle über einen Betriebsrat verfügen, ausdrücklich in Kauf genommen wird. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier - wie bereits erörtert - vor.
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Das weitere Argument der Arbeitgeberin, die Bestellung eines Wahlvorstands sei nicht zielführend, da eine Betriebsratswahl nicht durchgeführt werden könne, überzeugt nicht. Die Arbeitgeberin weist selbst richtig darauf hin, dass es bei der Betriebsratswahl um eine Urnenwahl handelt, eine Zusammenkunft der gesamten Belegschaft an einem Ort, anders als bei einer Wahl in einer Betriebsversammlung also überhaupt nicht erforderlich ist. Dass die Durchführung einer Urnenwahl auch in Pandemiezeiten möglich ist, haben bereits die Durchführung von Kommunalwahlen und mehreren Landtagswahlen deutlich vor Augen geführt.
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Schließlich ergibt sich auch nichts anderes aus § 129 Abs. 3 BetrVG aF (aufgehoben zum 30.06.2021) oder dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz. Die Arbeitgeberin ist offenbar der Ansicht, aus dem in der Normsetzung zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Willen sei zu folgern, dass die Unmöglichkeit der Einsetzung von Wahlvorständen vorübergehend hinzunehmen sei. Dies ergebe sich daraus, dass der Gesetzgeber entgegen anderslautender Vorschläge keine Möglichkeit geschaffen habe, Wahlen auf Betriebsversammlungen mittels audiovisueller Einrichtungen durchzuführen. Darin komme zum Ausdruck, dass es bei Präsenzwahlen zu bleiben habe und die Entstehung neuer Betriebsräte in Pandemiezeiten gegebenenfalls zurückzustehen habe. Dieser Schluss der Arbeitgeberin erscheint in keinster Weise zwingend und im Ergebnis auch unzutreffend. Die Arbeitgeberin verkennt die grundlegende Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes, möglichst in jedem betriebsratsfähigen Betrieb einen Betriebsrat zu errichten (vgl. BAG 27. Juli 2011 - 7 ABR 61/10 - Rn. 33 mwN, BAGE 138, 377). Vielmehr erscheint es eher naheliegend, dass der Gesetzgeber aufgrund der bestehenden Regelung in § 17 Abs. 4 BetrVG kein Bedürfnis für eine Regelung gesehen hat, die die Einleitung von Betriebsratswahlen während der Pandemie zu ermöglichen. So hatte das Bundesarbeitsgericht bereits in seiner Entscheidung vom 26. Februar 1992 (7 ABR 37/91 -, BAGE 70, 12-19, BAGE 70 12-19) angedeutet, dass auf das Erfordernis der vorherigen Einladung zu einer Betriebsversammlung sogar gänzlich zu verzichten sein kann, wenn einer solchen Einladung Hindernisse entgegenstehen, deren Beseitigung dem die gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstandes Betreibenden nicht möglich oder doch wenigstens nicht zumutbar ist. In Literatur und Instanzenrechtsprechung wird mit guten Gründen vertreten, dass unter Heranziehung dieser Maßgaben die gerichtliche Bestellung von Wahlvorständen in Zeiten der Pandemie selbst ohne vorherige Einladung möglich sein kann (ArbG Lingen, Beschluss vom 19. März 2021 - 1 BV 1/21 -, juris; ArbG Saarland, 12.02.2021 - 10 BV 94/20, n.v., BdA 110 ff; Bafteh/Vitt, BB 2021, 183, 186; a.A. Hey, DB 2021, M18-M19). Jedenfalls aber kann aus dem Verhalten des Gesetzgebers, keine Telekonferenzwahlen zu ermöglichen, keinesfalls darauf geschlossen werden, § 17 Abs. 4 BetrVG sei entgegen seinem Wortlaut dahingehend auszulegen, dass eine gerichtliche Bestellung trotz ordnungsgemäßer Einladung zu einer Betriebsversammlung zu unterbleiben habe. Vielmehr bestätigt, der Gesetzgeber lediglich den Präsenzgrundsatz des § 17 Abs. 3 BetrVG, ohne eine Aussage zu den in § 17 Abs. 4 BetrVG bereits angelegten Ausnahmefällen zu treffen.
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3.3. Auf die Frage, ob auf das Erfordernis einer Einladung zu einer Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstands vorliegend aufgrund pandemiebedingter Hindernisse verzichtet werden könnte, kommt es vorliegend nicht an. Wie dargestellt liegt vorliegend eine ordnungsgemäße Einladung vor, die durch die Absage der Betriebsversammlung auch nicht gegenstandslos geworden ist.
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Folglich hat das erkennende Gericht den Wahlvorstand zu bestellen.
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4. Hinsichtlich der Zusammensetzung des Wahlvorstands, konnte das Gericht dem Vorschlag der Antragstellerinnen folgen.
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Dem steht nicht entgegen, dass dem Wahlvorstand hierdurch kein männliches Mitglied angehört. Zwar sollen nach §§ 16 Abs. 1 Satz 5, Abs. 2, 17 Abs. 4 BetrVG dem Wahlvorstand in Betrieben mit weiblichen und männlichen Arbeitnehmern sowohl Männer als auch Frauen angehören. Es handelt sich jedoch lediglich um eine Soll-Vorschrift, der allenfalls dann nachzukommen ist, wenn die Bereitschaft zur Amtsübernahme bei Arbeitnehmern beider Geschlechter vorliegt. Denn die funktionsfähige Errichtung des Wahlvorstands setzt notwendigerweise voraus, dass die bestellten Wahlvorstandsmitglieder der (als Ehrenamt nicht ohne ihr Einverständnis möglichen) Amtsübernahme auch zustimmen (BAG, Beschluss vom 20. Februar 2019 - 7 ABR 40/17 -, Rn. 52, juris). Zwar hat die Arbeitgeberin bestritten, dass kein Mann gewillt sei, als Wahlvorstand tätig zu werden. Jedoch lag trotz Aufforderung des Vorsitzenden in der Anhörung am 17.03.2021 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung keine konkrete Mitteilung hinsichtlich auch nur eines männlichen Arbeitnehmers des Betriebs vor, der der Amtsübernahme zustimmen würde.
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Die Antragstellerinnen erfüllen die Voraussetzungen, die an Mitglieder des Wahlvorstands zu stellen sind, da sie als volljährige Arbeitnehmer des Betriebs wahlberechtigt iSd. § 7 BetrVG iVm. §§ 16 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 17 Abs. 4 BetrVG sind.
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Gem. §§ 16 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2, 17 Abs. 4 BetrVG besteht der Wahlvorstand - wie hier - regelmäßig aus drei Mitgliedern. Für jedes Mitglied kann nach §§ 16 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2, 17 Abs. 4 BetrVG ein Ersatzmitglied bestellt werden. Aus Gründen der Praktikabilität ist es jedoch auch zulässig, - wie hier - ein Ersatzmitglied für mehrere Mitglieder des Wahlvorstands zu bestellen (Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz, 30. Aufl. 2020, BetrVG § 16 Rn. 35).