Titel:
Widerspruch per einfacher E-Mail
Normenketten:
VwGO § 70 Abs. 1
BayVwVfG Art. 3a Abs. 2 S. 2, Art. 32
SigG § 2 Nr. 3
Leitsätze:
1. Die Erhebung des Widerspruchs durch einfache E-Mail genügt nicht den Anforderungen von § 70 Abs. 1 VwGO. Nur wenn der Widerspruch mittels eines elektronischen Dokuments eingelegt wird, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur iSv Art. 3a Abs. 2 S. 2 BayVwVfG, § 2 Nr. 3 SigG versehen ist, kann ein elektronisches Dokument in gleicher Weise wie die Unterschrift unter dem Widerspruchsschreiben die Gewähr dafür bieten, dass es von dem Widerspruchsführer herrührt und mit dessen Willen in den Verkehr gebracht worden ist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Wiedereinsetzung setzt nach Art. 32 Abs. 1 S. 1 BayVwVfG voraus, dass jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist gehindert war. Jede schuldhafte (vorsätzliche oder fahrlässige) Verletzung einer Obliegenheit zur Fristwahrung hindert grundsätzlich die Wiedereinsetzung. Leichte Fahrlässigkeit genügt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wesentliche (Mit-)Ursache der Fristversäumnis ist das Behördenhandeln regelmäßig, wenn die Behörde bei einer Privatperson einen Rechtsirrtum erzeugt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Widerspruch, Widerspruchsschreiben, einfache E-Mail, elektronisches Dokument, elektronische Signatur, Wiedereinsetzung, subjektive Vorstellung, Motivirrtum, Rechtsirrtum
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 03.06.2022 – 3 ZB 21.2849
Fundstelle:
BeckRS 2021, 54713
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Klägerin steht als Studiendirektorin (Besoldungsgruppe A 15) in den Diensten des Beklagten. Sie erlitt am 25. Oktober 2018 einen Unfall während des Sportunterrichts. Dabei knickte sie leicht mit ihrem Sprunggelenk nach innen um. Mit Schreiben vom 17. Dezember 2018 beantragte sie die Anerkennung als Dienstunfall.
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Mit Bescheid vom 9. April 2020 des * wurde der Unfall als Dienstunfall anerkannt. Die Klägerin habe grundsätzlich Anspruch auf Unfallfürsorgeleistungen (Nr. 1). In Nr. 2 wurde als Dienstunfallfolge eine Zerrung des linken Knöchelinnenbandes festgestellt. Nr. 3 bestimmt, dass eine Tendinose der Tibialis posterior Sehne links als Dienstunfallfolge abgelehnt werde.
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Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 5. Mai 2020 per E-Mail Widerspruch ein. Sie kündigte auch die Zusendung einer Widerspruchsbegründung in den nächsten Tagen an. Die Widerspruchsbegründung vom 5. Mai 2020 ging beim * am 29. Mai 2020 ein.
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Mit Widerspruchsbescheid des * vom 9. Juni 2020 wurde der Widerspruch der Klägerin vom 5. Mai 2020 gegen den Bescheid des * vom 9. April 2020 zurückgewiesen. Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 9. April 2020 sei nicht formgerecht eingelegt worden. Das postalische Schreiben, welches auf den 5. Mai 2020 datiere, erfülle zwar die Formvorschriften, sei aber erst am 29. Mai 2020 eingegangen. Die Widerspruchsfrist sei demnach versäumt worden und der Widerspruch als unzulässig zurückzuweisen.
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Am 26. Juni 2020 stellte die Klägerin beim * einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
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Gegen den am 13. Juni 2020 zugestellten Widerspruchsbescheid erhob die Klägerin am 26. Juni 2020 Klage. Sie beantragt,
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1. Der Beklagte wird verpflichtet, als wesentliche Dienst unfallfolge vom 25. Oktober 2018 noch folgende Dienstunfallfolge anzuerkennen: Innenbandruptur Sprunggelenk links, Teilruptur der Tibialis Posterior Sehne und Tendinose der Tibialis Posterior Sehne. Der Bescheid vom 9. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2020 wird aufgehoben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.
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2. Es wird beantragt, unter Wiedereinsetzung in den vo rigen Stand, hilfsweise unter Verpflichtung des Beklagten, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, über den Antrag unter Ziff. 1 zu entscheiden.
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Der Widerspruch sei nicht verfristet eingelegt worden. Auf die Schriftform könne ver zichtet werden, wenn sich aus dem Schriftstück allein oder den zugehörigen Unterlagen ergebe, dass es vom widersprechenden komme und mit dessen Willen in den Verkehr gelangt sei. Dies sei hier der Fall, weil die Klägerin unter ihrer Adresse *@gmx.eu eindeutig zu identifizieren sei. Zudem sei die Rechtsbehelfsbelehrungdes Bescheids unrichtig gewesen, weil sie den Adressaten des Bescheids verwirre, da eine E-Mail-Adresse angegeben sei und ausgeführt werde, dass der Widerspruch beim * unter der unterstrichenen und fettgedruckten E-Mail-Adresse einzulegen sei. Erst in den Hinweisen zur Rechtsbehelfsbelehrungfinde sich die Anmerkung, dass der Rechtsbehelf per E-Mail nicht zugelassen sei und keine rechtlichen Wirkungen enthalte. Hinsichtlich der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei ein Mitverschulden des * anzunehmen, weil die Behörde die Klägerin nicht darauf hingewiesen habe, dass sie ihren Widerspruch nicht formgerecht erhoben habe.
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Der Beklagte wandte sich mit Schreiben vom 22. Juli 2020 gegen das Klagebegehren. Für ihn ist beantragt,
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Die Einlegung eines Widerspruchs per E-Mail genüge eindeutig dem Schriftformerfordernis nicht. Die Rechtsbehelfsbelehrungsei auch ordnungsgemäß und nicht in sich widersprüchlich gewesen. Es finde sich der ausdrückliche Hinweis, dass eine Widerspruchseinlegung per einfacher E-Mail nicht zugelassen sei. Für den Antrag auf Wiedereinsetzung sei das Gericht nicht zuständig.
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Mit eidesstattlicher Erklärung vom 23. Juli 2020 erklärte die Klägerin, dass sie die Rechtsbehelfsbelehrungdes Bescheids falsch interpretiert habe. Trotz der Hinweise nach der Rechtsbehelfsbelehrungsei sie mehr fokussiert auf die hervorgehobene Adresse, an die der Widerspruch zu richten sei, gewesen. Sie sei der festen Überzeugung gewesen, frist- und formgerecht Widerspruch an der richtigen Adresse eingelegt zu haben. Mit Schriftsatz vom 4. August 2020 ließ die Klägerin ihren Vortrag weiter vertiefen. Das Gericht sei für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zuständig, wenn die Klage bereits anhängig sei. Im Übrigen habe sich die Klägerin im Hinblick auf die formgerechte Einlegung des Widerspruchs geirrt. Sie sei zu dieser Zeit physisch und psychisch schwer belastet gewesen. Sie habe sich am Rande der Belastbarkeit befunden, worunter auch ihre Konzentrationsfähigkeit gelitten habe.
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Mit Beschluss vom 21. September 2021 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf die Einzelrichterin übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorliegenden Gerichtsund Behördenakten sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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1. Die Klage ist schon unzulässig, weil es der Klägerin am erforderlichen Rechts schutzbedürfnis fehlt. Da der mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrungversehene Bescheid des Beklagten vom 9. April 2020 von der Klägerin nicht mit einem formgerechten Widerspruch und daher nicht rechtswirksam angegriffen wurde, hat der Bescheid mit Ablauf des 18. Mai 2020 Bestandskraft erlangt (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB). Die Erhebung des Widerspruchs durch einfache EMail genügt nicht den Anforderungen von § 70 Abs. 1 VwGO (vgl. z.B. HessVGH, B.v. 18.7.2018 - 1 B 2029/17 - NVwZ-RR 2019, 376; VG Augsburg, U.v. 25.7.2019 - Au 2 K 19.169; Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 70 Rn. 2). Nur wenn der Widerspruch mittels eines elektronischen Dokuments eingelegt wird, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur im Sinn von Art. 3a Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG, § 2 Nr. 3 SigG versehen ist, kann ein elektronisches Dokument in gleicher Weise wie die Unterschrift unter dem Widerspruchsschreiben die Gewähr dafür bieten, dass es von dem Widerspruchsführer herrührt und mit dessen Willen in den Verkehr gebracht worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.2017 - 6 C 12.15 - juris Rn. 21). Da sonstige schriftliche Unterlagen, die zweifelsfrei den Schluss zulassen, dass mit der E-Mail vom 5. Mai 2020 von der Klägerin Widerspruch erhoben werden sollte, innerhalb der Widerspruchsfrist nicht eingegangen sind, war der Widerspruch als nicht formgerecht und damit unwirksam anzusehen. Insbesondere die E-Mail-Adresse der Klägerin lässt nicht den Schluss zu, dass es sich eindeutig um die Klägerin handelt. Denn der Name * ist eher gewöhnlich und daher nicht eindeutig einer einzigen Person im Geschäftsbereich des * zuzuordnen.
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2. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung nach Art. 32 BayVwVfG ist nicht stattzuge ben.
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Eine Wiedereinsetzung setzt nach Art. 32 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG voraus, dass jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist gehindert war. Jede schuldhafte (vorsätzliche oder fahrlässige) Verletzung einer Obliegenheit zur Fristwahrung hindert grundsätzlich die Wiedereinsetzung; leichte Fahrlässigkeit genügt (Baer in Schoch/Schneider, VwVfG, Stand: Juli 2020, § 32 Rn. 18).
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Ein schuldloses Handeln der Klägerin ist gerade nicht ersichtlich. Eine objektiv sorgfältige Widerspruchsführerin (insbesondere eine Beamtin der Besoldungsgruppe A 15) hätte die Hinweise zur Rechtsbehelfsbelehrungsowie die Aussage zur Unzulässigkeit der Widerspruchseinlegung per E-Mail zur Kenntnis nehmen müssen. Als Akademikerin und Lehrerin ist davon auszugehen, dass sie im Umgang mit schriftlichen Ausführungen geübt ist. Insbesondere der Fettdruck und die Unterstreichung der Überschrift machen nach Auffassung der Einzelrichterin deutlich, dass es sich hierbei um wichtige Informationen handelt, zumal der Hinweis auf die Unzulässigkeit zur Einlegung des Rechtsbehelfs per einfacher E-Mail sogar mit einem Ausrufezeichen endete. Die persönliche und belastende Situation der Klägerin zum Zeitpunkt ihrer Widerspruchseinlegung ist äußerst bedauerlich. Allerdings entbindet sie das nicht von der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten. Schließlich war es ihr auch möglich, sich mit ihrem Vorbringen per E-Mail an das * zu wenden. Außerdem ist es ihr gelungen, trotz der großen psychischen und physischen Belastung eine mehrseitige Widerspruchsbegründung zu verfassen, die ebenfalls auf den 5. Mai 2020 datiert. Deshalb war sie keineswegs in einem Zustand der Handlungsunfähigkeit. Von einem zumindest fahrlässigen Handeln ist daher auszugehen.
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Soweit die Klägerin - wie sie es in ihrer eidesstattlichen Versicherung vorträgt - irrig davon ausging, eine E-Mail wahre die Frist, hinderte diese lediglich subjektive Vorstellung (Motivirrtum) nicht die rechtzeitige - und ggf. zur Fristwahrung wenigstens vorsorgliche - Erhebung eines schriftlichen Widerspruchs (vgl. BayVGH, U.v. 14.10.2014 - 22 A 13.40069 - juris Rn. 37). Ein objektives Hindernis im Sinne von Art. 32 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG bestand also nicht.
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Ein Mitverschulden durch das * ist nicht ersichtlich. Wesentliche (Mit-)Ursache der Fristversäumnis ist das Behördenhandeln regelmäßig, wenn die Behörde bei einer Privatperson einen Rechtsirrtum erzeugt (Baer in Schoch/Schneider, VwVfG, Stand: Juli 2020, § 32 Rn. 61). Wie bereits erwähnt, ist von einem beachtlichen Rechtsirrtum nicht auszugehen. Durch die ausdrücklichen Hinweise zur Rechtsbehelfsbelehrungwurde ein Irrtum nicht erzeugt, sondern vermieden. Ein erneuter Hinweis durch die Behörde auf die Unzulässigkeit war nicht erforderlich; insbesondere nicht vor dem Hintergrund, dass die Klägerin in ihrer E-Mail auch angekündigt hatte, in den nächsten Tagen eine Begründung nachzureichen.
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Da die Einlegung des Widerspruchs schuldhaft nicht formgerecht erfolgte, kommt es auf die Frage, ob das Gericht während eines anhängigen Klageverfahrens Wiedereinsetzung in die (behördliche) Widerspruchsfrist gewähren kann, nicht an (str., siehe Michler in Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, Stand 01.07.2021, Rn. 43; für eine Wandelung eines etwaigen Wiedereinsetzungsanspruchs in einen Anspruch auf Berücksichtigung (des nicht rechtzeitig eingewendeten Vorbringens) im gerichtlichen Verfahren (BVerwG, Gb.v. 30.7.1998 - 4 A 1/98 - juris Rn. 20; BayVGH, U.v. 14.10.2014 - 22 A 13.40069 - juris Rn. 34).
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Die Klage war daher als unzulässig abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.