Titel:
Drittstaatenbescheid, Italien, Kirchlicher Würdenträger
Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1
GG Art. 4 Abs. 1
Schlagworte:
Drittstaatenbescheid, Italien, Kirchlicher Würdenträger
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 07.06.2022 – 24 ZB 21.31087
Fundstelle:
BeckRS 2021, 54711
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger ist eritreischer Staatsangehöriger tigrinischer Volkszugehörigkeit (vgl. S. 2 des Protokolls). Er reiste am 17.09.2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 27.09.2018 einen förmlichen Asylantrag.
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Anlässlich seiner Einreise nach Deutschland wurde der Kläger von der Bundespolizeiinspektion Konstanz befragt und gab als Gründe für seine Einreise und den Aufenthalt in Deutschland an, er sei nach Deutschland gekommen, weil er gerne in Deutschland leben wolle, da das Leben hier schön sein. Er sei orthodoxer Christ, er habe kein schönes Leben als … in Eritrea. Im Rahmen der weiteren Befragung gab er u.a. an, er sei fast sechs Monate in Italien gewesen, alle verließen Italien. In Eritrea sei der Kläger politisch verfolgt worden, seine Religion werde dort nicht geduldet. Im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates gab der Kläger am 27.09.2018 an, er habe über ein Visum für die Einreise nach Italien verfügt, es sei von der Kirche in Äthiopien beantragt worden. Angesprochen auf seinen Reiseweg erklärte er, er sei von Eritrea zu Fuß nach Äthiopien. In Äthiopien sei er ca. vier Jahre illegal gewesen. Er habe vier Jahre in einem Flüchtlingscamp der UNHCR gewohnt und sei dann am 27.02.2018 mit dem Flugzeug nach Italien geflogen. In Florenz sei er bis zum 16.09.2018 gewesen und sei dann mit dem Zug direkt nach Deutschland gefahren. In Italien habe er sich insgesamt ca. sieben Monate aufgehalten, er habe in Florenz in einem Flüchtlingscamp gelebt.
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Im Rahmen der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags gab der Kläger am 01.10.2018 zu seiner Unterbringung in Italien an, er habe dort sieben Monate gewartet und keine Antwort bekommen. Er sei mit anderen Flüchtlingsfrauen und Männern, meist Schwarzafrikanern untergebracht gewesen. Er sei dort nicht gut behandelt worden. Er habe einen Antrag gestellt, eine Wohnung zu bekommen, die habe er aber nicht gekriegt. Wegen der Religion des Klägers habe ihm der Entscheider namens … gesagt, dass der Kläger zum katholischen Glauben wechseln müsse, was er aber nicht gewollt habe. Er habe ihm gesagt, dass der Kläger in ein Kloster an einem anderen Ort verteilt würde, wenn er den katholischen Glauben annehme. Dazu habe der Kläger nein gesagt, deshalb sei er in das Flüchtlingslager gekommen. Der Kläger sei deshalb auch in das amerikanische Konsulat gegangen. Er habe geglaubt, dass er Äthiopien mit einem amerikanischen Visum verlassen habe und dass er als Flüchtling von Amerika aufgenommen werde. Im Konsulat hätten sie ihm dann gesagt, dass er das amerikanische Visum und einen Reisepass vorlegen müsse, sonst könnten sie nichts für ihn tun.
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Im Rahmen der weiteren Befragung gab der Kläger an, dass er erkrankt sei, seine Erkrankung habe etwas mit Depression zu tun, sonst habe er keine Erkrankungen. Er sei auch schon auf dem Gelände der Unterkunft beim Arzt gewesen. Er bekomme Medikamente, um besser schlafen zu können. Er wolle nicht nach Italien zurück, er sei dort nicht gut behandelt worden. Er habe dort Streit gehabt. Wenn es gehe, wolle er auch hier nochmals versuchen, im amerikanischen Konsulat Asyl zu beantragen.
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Am 01.10.2018 erfolgte die Anhörung des Klägers. Im Rahmen seiner Befragung gab der Kläger u.a. an, er sei in Mendefera geboren und habe an Verwandten im Heimatland noch drei Schwestern, Onkel, Tanten und die Großfamilie. Er habe die Grundschule bis zur 5. Klasse besucht und habe dann in einem Kloster die Religion erlernt. Er habe nicht gearbeitet, sondern als Diakon vier Jahre lang im Kloster … weitergelernt und sei dann nach … gegangen und habe dort als … gelebt. Angesprochen darauf, wovon er in … gelebt habe, gab er an, er habe sein Essen vom Kloster bekommen, sie hätten auch einen kleinen Gemüseanbau gehabt, dort habe der Kläger auch gearbeitet. Angesprochen auf seine Angaben anlässlich seiner polizeilichen Vernehmung am 17.09.2018 gab der Kläger an, bei dieser Vernehmung habe es keinen Dolmetscher gegeben. Der Kläger habe dann auf Englisch versucht, seine Gründe für die Flucht zu erklären. Sein Englisch sei aber nicht sehr gut.
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In Äthiopien, wo der Kläger vier Jahre gewesen sei, habe er Asyl beantragt. Er habe Unterstützung bekommen und sei zum UNHCR weitergeleitet worden, um in einen Drittstaat weitergeleitet zu werden. Nach vier Jahren habe er Papiere bekommen, mit denen er nach Amerika habe weiterreisen sollen. Er sei von den äthiopischen Mitarbeitern des UNHCR ausgetrickst worden. Sie hätten ihn nach Italien weitergeleitet. Der Kläger sei davon überzeugt, dass jemand anderes sein amerikanisches Visum bekommen habe. Nach Italien wolle der Kläger nicht zurück, weil er dort nicht gut behandelt worden sei. Er sei durch die Behandlung in Italien krank geworden und habe nicht mehr schlafen können. Er wolle deswegen hier in Deutschland Schutz bekommen.
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Nachdem das Bundesamt ein Dublin-Verfahren eingeleitet hatte, lehnte es mit Bescheid vom 17.10.2018 den Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an. Gegen den Dublin-Bescheid erhob der Kläger Klage und beantragte die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag des Klägers mit Beschluss vom 26.10.2018 ab (Az. B 8 S 18.50774). Nachdem sich die italienischen Behörden zunächst nicht gegenüber dem Bundesamt gemeldet hatten, teilten sie im Zuge einer geplanten Überstellung des Klägers nach Italien am 28.02.2019 mit, dass diesem in Italien internationaler Schutz gewährt worden sei und er eine Aufenthaltserlaubnis für Asyl erhalten habe. Die Überstellung wurde daraufhin abgesagt und der Dublin-Bescheid mit Schriftsatz vom 08.03.2019 aufgehoben. In der Folge wurde das noch anhängige Klageverfahren auf der Basis übereinstimmender Erledigungserklärungen am 18.03.2019 eingestellt (Az. B 8 K 18.50775).
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Der Bevollmächtigte des Klägers hatte sich bereits am 15.11.2018 gegenüber dem Bundesamt angezeigt und dort am 26.03.2019 ein Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie … vom 04.03.2019 eingereicht, das zurückgeht auf eine Vorstellung des Klägers bei der Gutachterin am 31.01.2019, die darüber hinaus Akten beigezogen hatte.
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Die Gutachterin diagnostizierte eine posttraumatische Belastungsstörung mit Dissoziation, Panikattacken und Suizidalität nach F43.1 und nach F32.2 eine mittelschwere bis schwere depressive Episode. Die Gutachterin äußerte sich weiterhin zur Reiseunfähigkeit des Klägers.
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Mit Bescheid vom 05.04.2019 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1). Es wurde festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Nr. 2). Der Kläger wurde unter Androhung der Abschiebung nach Italien aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Es wurde festgestellt, dass der Kläger nicht nach Eritrea abgeschoben werden darf (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
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Der Asylantrag sei unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, da dem Kläger in Italien im Rahmen des dortigen Asylverfahrens internationaler Schutz gewährt worden sei. Da der Asylantrag als unzulässig abgelehnt werde, werde er nicht materiell geprüft. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. In Betracht komme dabei in erster Linie eine Verletzung des Art. 3 EMRK und damit die Prüfung, ob im Fall einer Abschiebung der Betroffene tatsächlich Gefahr liefe, einer dieser absoluten Schutznorm widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Art. 3 EMRK verbiete aufenthaltsbeendende Maßnahmen, wenn im Zielstaat Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohe (wurde näher erläutert).
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Dem Kläger werde die Abschiebung nach Italien angedroht, also in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zählten zu den Staaten, die im Sinne des Artikel 16a Abs. 3 Satz 1 GG gemäß § 29a Abs. 2 AsylG als sichere Herkunftsstaaten bestimmt worden seien. Diese Einschätzung sei erfolgt, da aufgrund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der dortigen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheine, dass dort keine Folter oder unmenschliche und erniedrigende Behandlung stattfinde. Von der vom Gesetzgeber mit der Aufnahme in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten getroffenen Entscheidung könne lediglich in den Fällen eine abweichende Wertung vorgenommen werden, in denen der Ausländer Tatsachen oder Beweismittel angebe, die die Annahme begründeten, dass abweichend von der allgemeinen Lage im Zielstaat der Abschiebung eine von einem Akteur verursachte Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK drohe.
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Der Kläger habe nichts glaubhaft vorgetragen oder vorgelegt, dass ihm in Italien eine, durch einen Akteur verursachte, Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohe. Daher lägen die Voraussetzungen für eine im Sinne des Art. 3 EMRK verursachte Verletzung, durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur, nicht vor.
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Darüber hinaus könne nach der Rechtsprechung des EGMR eine Verletzung des Art. 3 EMRK ausnahmsweise auch dann in Betracht kommen, wenn der Kläger im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr laufe, im Aufnahmeland auf so schlechte humanitäre Bedingungen (allgemeine Gefahren) zu treffen, dass die Abschiebung dorthin eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstelle. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse könne danach nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllen.
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Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Italien führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Die Situation von Schutzberechtigten in Italien habe sich im Vergleich zu vorherigen Jahren deutlich verbessert. Die italienischen Behörden und Regierung unternähmen adäquate Maßnahmen, um die im Land ankommenden Asylantragsteller zu versorgen, sowohl vor, als auch nach dem erfolgreichen Abschluss des Asylverfahrens. Der starke Rückgang von ankommenden Asylsuchenden in Italien in 2017 und 2018 und die gleichzeitige Erhöhung der verfügbaren Plätze in SPRAR hätten dazu beigetragen, dass bei Personen mit Schutzstatus kein grundlegendes systemisches Versagen vorliege, welches nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad nahelege. Das sog. Salvini-Dekret beschränke außerdem seit Ende 2018 den Zugang zu den SPRAR-Zentren auf international Schutzberechtigte und unbegleitete Minderjährige. Daher seien keine Anhaltspunkte erkennbar, die es einem Schutzberechtigten unmöglich machten, nach Italien zurückzukehren. Es wurde auf verwaltungsgerichtliche Entscheidungen hingewiesen, wonach die Aufnahmebedingungen für anerkannte Flüchtlinge in Italien keine schwerwiegenden systemischen Mängel aufwiesen und keine Verletzung von Art. 3 EMRK vorliege. Zwar seien die Unterbringungsbedingungen in Italien regional unterschiedlich, doch begründen diese Unterschiede keine grundlegenden Defizite des gesamten Unterkunftssystems in Italien, zumal der italienische Staat dem nicht mit Gleichgültigkeit gegenüberstehe. Denn er habe klare und effektive Maßnahmen ergriffen und die Lage beträchtlich verbessert, so dass die Zahl der insgesamt zur Verfügung stehenden Unterkunftsplätze in der Zeit von 2015 bis 2017 verdoppelt und im Oktober 2017 ein Integrationsplan verabschiedet worden sei (wurde weiter ausgeführt.
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Anerkennte Personen würden in Italien in sog. SPRAR-Einrichtungen untergebracht. Diese zielten auf eine spätere Selbstständigkeit der Personen ab, die durch den Fokus auf verschiedene Integrationsmaßnahmen gefördert würden. So erhielten die Kläger außer Kost, Logis und ärztlicher Versorgung auch Zugang zu Sprachkursen, Unterstützung bei Bewerbungen und der Arbeits- und Praktikumssuche. Zusätzlich zu Kost, Logis und ärztlicher Versorgung vor Ort in der Unterkunft erhielten die Personen auch ein Taschengeld in Höhe von 1,50 € - 3,00 € am Tag. Zudem stünden staatliche und europäische Fördermittel für Integrationsprojekte und Maßnahmen von NGOs zur Verfügung, an denen die Schutzberechtigten teilnehmen könnten. Die Unterbringung in einer SPRAR-Einrichtung erfolge nach der Anerkennung zunächst für einen Zeitraum von 6 Monaten. Dieser Zeitraum könne jedoch auf bis zu 1,5 Jahre verlängert werden. Zwar gebe es in Italien keine dem deutschen Recht vergleichbaren Sozialleistungen, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK begründe dies jedoch nicht, da auch in Italien eine abgeschwächte Form sozialer Unterstützung vorhanden sei. Anerkennte Personen seien italienischen Staatsbürgern gleichgestellt und erhielten somit den gleichen Zugang zu Sozialleistungen. Neben den staatlichen Leistungen könnten betroffene Personen auch auf Spenden caritativer Organisationen zurückgreifen. Personen mit einem Schutzstatus müssten sich bei dem italienischen nationalen Gesundheitsdienst registrieren und hätten in Bezug auf die medizinische Versorgung dieselben Rechte und Pflichten wie italienische Staatsbürger. Sowohl die innerhalb eines Unterkunftszentrums als auch die außerhalb einer solchen Einrichtung lebenden Schutzberechtigten hätten schließlich einen Anspruch auf eine den Anforderungen aus Art. 4 EUGrCh bzw. Art. 3 EMRK jedenfalls genügende kostenfreie Grund- und Notfallversorgung bei Krankheit oder Unfall sowie auf eine Präventivbehandlung zur Wahrung der individuellen und öffentlichen Gesundheit. Das beinhalte einen in der Regel kostenlosen Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen wie Arzt, Zahnarzt und Krankenhaus.
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Schutzberechtigte genössen wie italienische Staatsbürger Niederlassungsfreiheit. Personen mit Flüchtlingsschutz erhielten automatisch, zunächst auf fünf Jahre begrenzt, Reisedokumente („documenti di viaggio“). Subsidiär Schutzberechtige erhielten Reisedokumente („titolo di viaggio“) nur auf Nachfrage bei der Questura und unter der Voraussetzung, dass sie keinen originalen Reisepass oder andere Dokumente aus ihrem Herkunftsland erhalten könnten. Schutzberechtigte hätten den gleichen Zugang zum Arbeitsmarkt wie italienische Staatsbürger. Programme, die eine Berufsausbildung oder weitere Integrationsmaßnahmen für Schutzberechtigte vorsehen, würden sowohl aus nationalen öffentlichen Mitteln als auch europäischen getragen. Zudem böten auch kommunale Einrichtungen und Gemeinden berufliche Schulungen, Praktika und spezifische Beschäftigungsstipendien an. Dabei seien die Angebote in den einzelnen Regionen unterschiedlich. Beide Gruppen stünden einer regional teilweise sehr hohen Arbeitslosigkeit gegenüber. Viele Migranten arbeiteten als Tagelöhner im Agrarbereich oder auf Märkten. Der Zugang zum Arbeitsmarkt für als international schutzberechtigt anerkannte Personen sei aufgrund der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Italien und der oftmals wenig qualifizierenden Berufsbildung zwar schwierig, aber nicht aussichtslos. Zahlen zu der Beschäftigungs- und Unterbringungsquote von Schutzberechtigten existierten nicht. Die Schätzungen beruhten auf einzelnen regionalen Erhebungen verschiedener NGOs, könnten aber kein Gesamtbild darstellen und seien somit nur begrenzt aussagekräftig.
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Die Versorgungs- und Unterbringungsmöglichkeiten von Schutzberechtigten sei mit denen italienischer Staatsbürger in derselben Situation identisch. Anerkannte Schutzberechtige seien im Hinblick auf Erhalt von Sozialleistungen italienischen Staatsbürgern gleichgestellt. Italien verfüge jedoch nicht über ein engmaschiges Sozialsystem wie Deutschland. Genau wie Italiener hätten anerkannte Schutzberechtigte zusätzlich zu den Unterbringungsmöglichkeiten in den SPRAR-Einrichtungen, prinzipiell das Anrecht auf eine Sozialwohnung, jedoch seien diese für beide Gruppen mit Wartezeiten verbunden und insbesondere Alleinstehende - Schutzberechtigte wie Italiener - hätten Schwierigkeiten, eine zu erhalten. Das vorgebrachte Argument, dass trotz Erwerbstätigkeit aufgrund hoher Mietpreise in den Großstädten keine Wohnung zu finden sei, treffe Italiener und Migranten im gleichen Maße. Vielmehr hätten anerkannte Schutzberechtigte keinen Anspruch darauf, besser gestellt zu werden als inländische Staatsangehörige. Deshalb und weil der italienische Staat ersichtlich bemüht sei, die Hilfen auch für diesen Personenkreis zu verbessern, seien insoweit systemische Mängel in den Aufnahmebedingungen in Italien nicht festzustellen. Es gebe insbesondere für Familien die Möglichkeit, Sachleistungen wie Bücherhilfe, Schulspeisungen oder auch Mutterschaftsgeld zu erhalten. Der Erhalt von Geldleistungen hänge von der jeweiligen Gemeinde ab, in der sich die bedürftige Person aufhalte, in Rom beispielsweise betrage der Sozialhilfebeitrag 500 €/Monat.
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Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich. Als individuelle gefahrerhöhende Umstände habe der Kläger angegeben, er befürchte bei Rückkehr nach Italien erneut so leben zu müssen, wie zuvor. Er könne aber als Mönch nicht so eng mit anderen Personen, insbesondere mit Frauen zusammenleben. Der Kläger beziehe sich dabei aber auf seine Unterbringung als Asylbewerber in einem Flüchtlingslager. Bei einer Rückkehr sei er aber als anerkannter Schutzberechtigter auf diese Art der Unterbringung nicht mehr angewiesen, sondern könne wie zuvor geschildert spezielle Unterbringungsangebote in Anspruch nehmen. Zudem stehe es ihm frei, sich eigenständig nach Wohnraum zu bemühen. Hierbei könnte er ggf. auch auf die Unterstützung der entgegen seiner Angaben durchaus vorhandenen orthodoxen Kirchen in Italien und deren Netzwerk zurückgreifen. So gebe es z.B. in Rom die „Ethiopian Orthodox Tewahedo Rome Debre Tsion St. Mary & St. Urael Church“, die seiner Konfession entspreche und in der seine Sprache gesprochen werde. Sofern der Kläger vorgebe, er könne in Italien seinen orthodoxen Glauben nicht in der von ihm gewünschten Art ausüben, führe auch dies nicht zu einer relevanten Verletzung anderer Menschenrechte oder Grundfreiheiten der EMRK. Nach vorliegenden Informationen lebten in Italien im Jahr 2012 etwa 1,4 Mio. orthodoxe Christen. Orthodoxe Kirchen und Gemeinden existierten im gesamten Staatsgebiet. Die Religionsausübung orthodoxer Christen werde in Italien weder staatlich noch durch andere Gruppen eingeschränkt. Die Einschränkung, dass der Kläger seinen Glauben in Italien nicht in Form eines Lebens als Mönch einem Kloster ausüben könne, erreiche nicht die zur Anwendung der EMRK erforderliche Schwere.
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Auch die Verletzung anderer Menschenrechte oder Grundfreiheiten der EMRK komme nicht in Betracht. Es drohe dem Kläger auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Die demnach vorliegende Erkrankung führe nicht zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes. Die Gutachterin schränke die Diagnose der Suizidalität im eigenen Gutachten erheblich dadurch ein, dass sie angebe, dies (Suizid) sei auf genaues Nachfragen nicht sicher auszuschließen, wenn er keinen Ausweg sehe. Es handele sich somit lediglich um eine vage Prognose, im Falle des Eintritts nicht vorhersehbarer Voraussetzungen. Von einer „konkreten“ Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG könne aber nur ausgegangen werden, wenn sich der Gesundheitszustand des Asylbewerbers alsbald nach seiner Rückkehr in den Abschiebestaat wesentlich oder gar lebensbedrohlich verändern würde, weil er auf die dortigen unzureichenden Möglichkeiten der Behandlung seines Leidens angewiesen wäre und auch anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte. Nach vorliegenden Informationen sei aber weder von alsbaldiger Verschlechterung des Gesundheitszustandes, noch von unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten in Italien auszugehen. Der EGMR habe in seiner Entscheidung vom 18.06.2013 ausgeführt, dass Art. 3 EMRK der Überstellung eines Asylbewerbers mit einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer somatoformen Schmerzstörung nach Italien im Rahmen des Dublin-Systems nicht entgegenstehe. Es gebe keinen Grund für die Annahme, dass die italienischen Behörden nicht in geeigneter Weise auf Ersuchen um medizinische Unterstützung reagieren würden. Die kostenfreie medizinische Versorgung stehe zudem, unabhängig von der Unterbringung in einer staatlichen Unterkunft, jedem zur Verfügung. Zwar handele es sich im vorliegenden Fall nicht um ein Dublin-Verfahren, aber dem Kläger stehe auch als anerkanntem Schutzberechtigten kostenloser Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen wie Arzt, Zahnarzt und Krankenhaus zu.
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Darüber hinaus sei davon auszugehen, dass das Gesundheitssystem in Italien grundsätzlich dem deutschen Gesundheitssystem vergleichbar sei und in der Regel alles behandelt werden könne, was in der klassischen Medizin üblich sei. Ebenfalls seien nach aktueller Erkenntnislage alle Medikamente verfügbar, die zur Behandlung von schwerwiegenden Erkrankungen erforderlich seien. Eine Behandlung von psychischen bzw. traumatischen Erkrankungen sei ebenfalls gewährleistet. Somit sei das Bundesamt davon überzeugt, dass beim Kläger durch die Abschiebung nach Italien keine wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes eintreten werde und dass es für ihn möglich sein werden, in Italien eine eventuell notwendige medizinische Behandlung zu erhalten, da es keinerlei Anhaltspunkte dafür gebe, dass der Kläger von einer derartigen medizinischen Versorgung in Italien grundsätzlich ausgeschlossen wäre. Auf die weitere Begründung des Bescheids wird verwiesen.
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Am 15.04.2019 ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid vom 05.04.2019 erheben. Zugleich wurde die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Das Verwaltungsgericht hat den entsprechenden Eilantrag des Klägers mit Beschluss vom 18.04.2019 - B 8 S 19.30587 - abgelehnt.
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Zur Begründung der Klage wurde ausgeführt, der Kläger habe mündlichen Asylantrag gestellt und sei, nachdem er in Konstanz von der Polizei aufgegriffen worden sei, zur Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge in Karlsruhe verbracht worden. Er stamme aus Eritrea. Er habe sein Heimatland im Juli 2014 verlassen. Er sei zuerst nach Äthiopien geflohen und habe sich dort vier Jahre illegal aufgehalten. Im Nachfolgenden habe er in einem Flüchtlingscamp des UNHCR gelebt. Im Rahmen seines Reiseweges habe er sich ab dem 27.02.2018 vorübergehend in Italien aufgehalten und dort wären auch Fingerabdrücke genommen worden. Er sei mit einem Einreisevisum der äthiopischen Kirche nach Italien eingereist. Der Kläger sei orthodoxer Christ. Hinsichtlich der gesundheitlichen Situation wurde auf die vorliegende umfangreiche Begutachtung verwiesen. Die Argumentation im Beschluss der damals zuständigen 8. Kammer vom 18.04.2019 betreffend das vorgelegte Gutachten überzeuge nicht. Das Gericht habe sich an eine Reihe von Anknüpfungspunkten an das Gutachten kritisch geäußert und vertrete die Auffassung, die medizinisch begründete Argumentation zur Gefährdung des Klägers sei nicht aufrecht zu erhalten. Insoweit setze das Gericht seine Erkenntnisse gegen die behandelnde Ärztin. Es wäre hier erforderlich, falls aus der Sicht des Gerichts Zweifel an der Begutachtung vorlägen, von Amts wegen eine Begutachtung durchzuführen, die sich dann kritisch mit den Fragen der Begutachtung durch … auseinandersetze. Eine eigenständige Entscheidung des Gerichts über die Richtigkeit der Begutachtung … sei aus Sicht des Bevollmächtigten nicht zulässig.
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Der Kläger bitte nochmals ausdrücklich darum festzustellen, dass man ihn habe bewegen wollen, die Religion zu wechseln. Seinen durch Zugehörigkeit zur orthodoxen Kirche dokumentierten Glauben könne er in Italien nicht ausüben.
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Am 17.07.2019 wurde ein ärztlicher Befundbericht nachgereicht mit der Akutdiagnose Verdacht auf Schistosomiasis (Bilharziose). Ferner werden die behandlungsrelevanten Dauerdiagnosen Lumbago, sonstige Gastritis, posttraumatische Belastungsstörung und Z.n. Schistosomiasis (Bilharziose) genannt. Als weitere Dauerdiagnose ist leichte Hyperkeratose, geringgradige Tinea manum nicht ausschließbar, angegeben. Bei der Anamnese wird angegeben: weiterhin schuppende Hände, geht es nicht besser, hat Sodbrennen, Sz beim atmend li thorakal, Husten ebenfalls. Beim Befund wird angegeben: unverändert guter AEZ, schuppende Haut palmar. Ferner wurden ein Medikationsplan sowie ein Laborbogen vorgelegt.
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Mit Schriftsatz vom 08.04.2021 legte der Bevollmächtigte des Klägers ein Gutachten über eine psychiatrische Nachbegutachtung im „aufenthaltsrechtlichen Verfahren“ vom 10.02.2021 vor. Das Gutachten befasst sich insbesondere mit den Kritikpunkten, die die damals zuständige 8. Kammer mit Beschluss vom 18.04.2019 - B 8 S 19.30587 - in Bezug auf die Erstbegutachtung ausgeführt hatte. Es wird neu berichtet, dass der Kläger seit 01.07.2020 in … in einer kleinen Asylunterkunft in einem eigenen Zimmer lebe, so dass er hier nun endlich seinem Glauben den ganzen Tag nachgehen, sich frei bewegen und immer beten könne. Er habe dort auch mit Hilfe Anschluss gefunden an die eritreische-orthodoxe Kirchengemeinde, die aus ca. … Mitgliedern bestehe. Dort fühle er sich gut aufgehoben und könne seinem Glauben endlich wieder nachgehen. Er habe weiterhin keinerlei private Kontakte, was auch nicht zu seinem Mönchtum passe und ziehe sich immer in sein Zimmer zurück. Der Glaube helfe ihm und gebe ihm Kraft. In Italien gebe es keine orthodoxe Gemeinde, nur katholische, er könne dort keinen Anschluss finden und könne seinem Glauben nicht nachgehen. Dieser wäre aber sein ganzer Lebensinhalt. Seit früher Jugend und ohne diesen finde er keine Kraft und keinen Lebensmut. Er fürchte sich sehr vor einer Rückführung nach Italien, da er dort wieder mit anderen zusammen in Räumen leben müsse, was er aufgrund seines Glaubens und seiner psychischen Probleme nicht mehr verkraften könne.
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Soweit das Verwaltungsgericht Bayreuth bemängele, dass es in Deutschland ein orthodoxes Kloster gebe, lasse sich dies im Internet nicht bestätigen. Die Gutachterin habe die Angaben ohne Prüfung als wahr übernommen. Es wäre auch nicht Aufgabe der Gutachterin, diese Angabe auf Wahrheit zu überprüfen. Das benannte Kloster habe sich in der Nähe von Frankfurt befunden und sei ägyptisch-koptisch gewesen, eine sehr ähnliche Glaubensrichtung nach Angabe des Klägers. Aber eine Nachfrage dort habe auch eine Ablehnung einer möglichen Aufnahme ergeben, so das Fazit der jetzigen Nachuntersuchung. Die Aufnahme in der jetzigen eritreischen Gemeinde entspreche hingegen vollkommen dem Glauben des Klägers, so dass die derzeitige Lebenssituation in Deutschland für ihn fast ideal sei, wenn auch kein Kloster, da er dort seinem Glauben nun endlich wieder nachgehen könne, was wesentlich zur Stabilisierung beitrage. Das Verwaltungsgericht sei auf die besondere Situation des Klägers als Mönch nicht eingegangen, dass in Italien gar nicht die Möglichkeit bestehe, in ein orthodoxes Kloster zu gehen, weil es dort solche gar nicht gebe. Ein Leben in einem Kloster seines Glaubens sei für den Kläger aber eine wichtige Lebensvoraussetzung. Die Ausübung der Religion sei ein Grundrecht und für einen Mönch eine unverzichtbare Grundlage seines Lebens.
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In Italien sei ihm aber anders als hier jetzt in Deutschland eine Ausübung seiner Religion nicht möglich gewesen und man sei auch nicht bereit gewesen, ihm eine andere Wohnform anzubieten, damit er nicht mit anderen auf engem Raum habe leben müssen. Er lebe hier alleine in einem Raum und könne bei der eritreischen Gemeinde seine Religion ungehindert und seinen Glauben entsprechend durchführen. Der Kläger gebe durchaus glaubhaft an, er habe keine ausreichende Hilfe in Italien bekommen, sei in einer für ihn als Mönch unzumutbaren Unterkunft mit Frauen und Männern in einem Raum untergebracht gewesen, habe unter den benannten posttraumatischen Symptomen gelitten, ohne dafür Angebote zu erhalten. Es sei ihm immer schlechter gegangen, er habe kaum schlafen können, er habe seine letzte Kraft aufgebracht, um von dort hierher zu fliehen. Jetzt fürchte er, wenn er nach Italien zurückmüsse, würde es wieder so sein wie zuvor und er habe die Kraft nicht mehr, dort für sich zu kämpfen und weiter um Hilfe zu ringen, da es auch sinnlos wäre und langfristig er dort nicht im Kloster leben könne. Durch die Androhung der Rückführung nach Italien sehe er einen Neuanfang in Deutschland für sich als einzigen möglichen Ausweg nun nicht mehr durchführbar und gerade zunehmend in eine Perspektivlosigkeit, so dass das zunehmende Gefühl von Hoffnungslosigkeit entstanden sei. Bei einer Rückkehr nach Italien sei krankheitsbedingt ohne ausreichende Hilfe vor Ort eine medizinische und psychotherapeutische, besonders aber soziale Unterstützung, die ihm ermögliche, seinem Leben als Mönch nachzugehen, alsbald mit einer starken Dekompensation und Verschlechterung und massiven Gefährdung seines Gesundheitszustands und dann auch möglichen Suizidversuchen zu rechnen.
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Hier gehe es besonders um die soziale Unterstützung, ihm als Mönch eine Möglichkeit zu bieten, seinen Glauben zu leben. Dies sei ihm glaubhaft in Italien verwehrt worden. Außerdem habe er nicht gelernt, auf sich alleine gestellt notwendige Dinge im Alltag zu regeln. Er sei deutlich depressiv, könne auch deshalb seine Angelegenheiten nicht ausreichend verfolgen. Es handele sich um ein schweres Krankheitsbild und der Kläger benötige auch hier in Deutschland Hilfe, die er durch seinen ehrenamtlichen Helfer erhalte, letztlich ein Einzelzimmer und mit Hilfe auch den Anschluss an die religiöse Gemeinschaft. Die Gutachterin habe im Erstgutachten in keiner Weise dargestellt, dass der Kläger ohne Hilfe in keiner Weise lebensfähig wäre, aber deutlich eingeschränkt sei, für sich ausreichend Hilfe zu besorgen und die benannte problematische Situation wegen seines Glaubens und seiner Lebensform allein zu regeln und sich auch eine finanzielle Existenz zu sichern, da er darauf vorher nie angewiesen gewesen sei. In Italien gebe es aber gar keine Angebote im orthodoxen Bereich, da dort der katholische Glaube in den Einrichtungen und Klöstern bestehe. Der Kläger könne dort keinen Anschluss an eine entsprechende Gemeinde finden und er müsse als Mönch sicher ein Einzelzimmer für sich erhalten. Außerdem sei er sehr misstrauisch aufgrund seiner Erlebnisse und es falle ihm sehr schwer, auch Kontakt aufzunehmen und jemandem zu vertrauen, was ebenfalls das Aufsuchen von Hilfen maßgeblich erschwere. Es sei für den Kläger ein unlösbares Dilemma, nirgendwo einen Platz für seine Glaubensausführung als Mönch in seinem Glauben zu finden, das führe zu enormen inneren Druck, die Verzweiflung führe zu selbstdestruktiven Gedanken bis zu Suizidgedanken, dass immer schwerer kontrollierbar bleibe und äußere sich in verschiedenen körperlichen Reaktionen wie Panikattacken. Die psychischen Störungen seien sicher als schwer einzustufen. Es sei aus ärztlicher und gutachterlicher Sicht eine alsbaldige weitere Verschlimmerung des Gesundheitszustands bei Rückführung nach Italien zu befürchten, krankheitsbedingt könne er seine Affekte ohne fachliche Hilfe nicht ausreichend steuern.
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Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, sich aus eigener Kraft in Italien um soziale Hilfe oder medizinische Hilfe vor Ort zu kümmern, er sei aber auf eine ausreichende Behandlung und soziale Unterstützung dringend krankheitsbedingt angewiesen. Er müsse eine Umgebung finden, in der er seiner Religion und seiner Berufung in seinem Glauben nachgehen könne, da dies Inhalt seiner Existenz sei und sonst eine Bedrohung seiner ganzen Persönlichkeit entstehe, eine Sinnlosigkeit im Leben, die er auf Dauer nicht ertragen könne und seine Gesundheit dauerhaft schädige.
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Um eine sichere Gefährdung des Gesundheitszustands des Klägers auszuschließen, müsse vor einer Rückführung nach Italien deshalb von Seiten der Behörden garantiert werden, dass in Italien unmittelbar eine fachärztlich psychiatrische regelmäßige Behandlung und die traumaspezifische Psychotherapie begonnen werden könne, mit Dolmetscher und eine soziale Unterstützung erfolge, die eine gangbare Lösung für die Ausübung seines Mönchsdaseins in seinem Glauben garantiere, da sich der Kläger zurzeit nicht ohne Hilfe aufgrund seiner Erkrankung ausreichend um seine Angelegenheiten kümmern könne. Hier werde er durch ehrenamtliche Helfer gut unterstützt.
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Aus gutachterlicher Sicht liege aufgrund der schweren psychischen Störung ein eindeutiger Sonderfall vor, wäre eine Rückführung nach Italien alsbald mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einer Reaktivierung der früheren Belastungen und einer erheblichen dauerhaften Gefährdung des Gesundheitszustands des Klägers verbunden und wäre auch die indirekte Reisefähigkeit derzeit aufgrund der beschriebenen Symptomatik und der Probleme um die Ausübung seines Glaubens und seiner Berufung als Mönch nicht gegeben.
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Nach der jetzigen Nachuntersuchung sei durch die Möglichkeit, in Deutschland in einem Einzelzimmer zu leben und die Religion ausüben zu können mit Anschluss an die eritreische Glaubensgemeinschaft eine gewisse Stabilisierung eingetreten, eine weitere fachärztliche und psychotherapeutische Hilfe und Therapie sei aber weiterhin dringend erforderlich. Der Kläger gehe regelmäßig in Behandlung bei … einmal wöchentlich seit dem 29.01.2019 und jetzt in nervenärztliche Behandlung bei … in … seit dem 20.07.2020, wegen des Umzugs. Auch ein Abbruch der Therapie würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer massiven Verschlechterung des Gesundheitszustands führen. Die im Vorgutachten beschriebene Symptomatik und Diagnosen bestünden weiterhin, die PTBS sei nicht gebessert, die depressive Symptomatik durch die neue Umgebung und die Religionsausübung etwas gebessert. Diese Stabilisierung würde aber bei einer Rückführung nach Italien sofort wieder zerstört und eine Dekompensation mit hoher Wahrscheinlichkeit folgen. Es bestünden deshalb weiterhin die schon im Vorgutachten ausführlich dargestellten Abschiebehindernisse in vollem Umfang. Auf die weiteren Ausführungen in der psychiatrischen Nachbegutachtung wird verwiesen.
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Der Bevollmächtigte wies unter dem 13.04.2021 darauf hin, dass die Begutachtung vom 10.02.2021 explizit auf die Rechtsmeinung des Gerichts und die aufgeführten Einwendungen gegen das Vorgutachten, wie sie im Beschluss vom 18.04.2019 zum Ausdruck kämen, eingehe. Es werde unter Sachverständigenbeweis gestellt, dass beim Kläger akute Suizidgefahr bestehe und dass eine Abschiebung nach Italien zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers führe, die über die mit den Unzulänglichkeiten des italienischen Gesundheitssystems hinausgehenden Beeinträchtigungen deutlich hinausgehe. Der Kläger sei vulnerabel. Die Gutachterin habe darauf hingewiesen, dass der Kläger nicht mehr in der Lage sei, sich aus eigener Kraft um soziale oder medizinische Hilfe zu kümmern.
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Der Kläger beantragt zuletzt,
1. Der Bescheid der Beklagten vom 05.04.2019 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen.
3. Hilfsweise, dem Kläger subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.
4. Hilfsweise festzustellen, dass beim Kläger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung. Weiterhin erklärte das Bundesamt, dass die Vollziehung der Abschiebungsandrohung im klagegegenständlichen Bescheid ausgesetzt wird. Durch die Aussetzung der Vollziehung werde die Wirksamkeit vorläufig gehemmt. Sie lebe wieder auf, wenn die Entscheidung des Bundesamts über den Asylantrag unanfechtbar werde oder das Bundesamt die Aussetzung abändere oder aufhebe (wurde näher ausgeführt).
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Mit Beschluss der Kammer vom 01.03.2021 wurde der Rechtsstreit auf den Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte samt Sitzungsniederschrift und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Entscheidungsgründe
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Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 05.04.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Diesem stehen die klageweise geltend gemachten Ansprüche nicht zu, insbesondere hat das Bundesamt es zu Recht abgelehnt, zugunsten des Klägers das Vorliegen eines auf Italien bezogenen Abschiebungsverbots festzustellen. Auch die weiteren Entscheidungen im angefochtenen Bescheid erweisen sich als rechtmäßig.
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In der Sache selbst schließt sich das Gericht zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen zunächst den Gründen des angefochtenen Bescheides an und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist zur Sache sowie zur Klage das Folgende auszuführen:
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1. Soweit die italienische Behörde dem Bundesamt am 28.02.2019 mitgeteilt hat, dass dem Kläger in Italien internationaler Schutz und eine Aufenthaltserlaubnis wegen Asyls zugesprochen worden sei (vgl. Bl. 233 d.A.), gibt es keinerlei Hinweise, dass diese Mitteilung unzutreffend sein sollte. Die in dieser Mitteilung genannten Personendaten des Klägers stimmen mit den in Deutschland erfassten Daten überein, insbesondere wird auch das Geburtsdatum übereinstimmend angegeben. Ein Aufklärungsbedarf in diesem Kontext ergibt sich nicht daraus, dass die Klägerseite erstmals in der mündlichen Verhandlung gewisse Zweifel an der Mitteilung der italienischen Behörde erwähnt hat. Diese geben jedoch keinen Anlass zu weiterer Aufklärung. Es ist nicht schlüssig erkennbar, was an der Mitteilung aus Italien aus welchen Gründen fehlerhaft sein sollte. Der Kläger hat zwar angegeben, von einer Anerkennung in Italien persönlich nichts zu wissen, doch hat er ebenso eingeräumt, dass er nach seiner dortigen Anhörung zu den Gründen für seine Ausreise aus Eritrea nicht nachgefragt habe in Bezug auf eine Sachentscheidung der dortigen Behörden, sondern er möchte die Einrichtung in Italien nachts verlassen haben, ohne sich dort abgemeldet oder sonst seine Abreise mitgeteilt zu haben (vgl. S. 3/4 des Protokolls). Dass Entscheidungen in einem Asylverfahren - seien sie positiv oder negativ - dem Betroffenen gegenüber auch dann rechtlich wirksam werden können, wenn sie ihn persönlich nicht (mehr) erreichen, weil er z.B. vorübergehend untergetaucht ist oder das Land verlassen hat, ist aber nicht ungewöhnlich und findet etwa auch im deutschen Asylgesetz eine rechtliche Grundlage.
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Legt man zugrunde, dass der Kläger in Italien international Schutzberechtigter ist, so ist in keiner Weise erkennbar, dass die Italienische Republik diesen dem Kläger zuerkannten Status nicht beachten werde und beispielsweise contra legem Anstrengungen in Richtung einer Abschiebung des Klägers nach Eritrea unternehmen werde (vgl. S. 10 des Protokolls). Es versteht sich, dass der Kläger auch in Italien die Möglichkeit hat, sich gegen behördliche Maßnahmen, die aus seiner Sicht seine Rechte verletzen, gerichtlich zur Wehr zu setzen, wie er dies auch hier in Deutschland veranlasst hat.
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2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die geltend gemachten Rechtspositionen, insbesondere hat es das Bundesamt zu Recht abgelehnt, zugunsten des Klägers das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
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Die in das Verfahren eingeführten Gutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie vom 04.03.2019 und 10.02.2021 geben weder Anlass, von Amts wegen in weitere Ermittlungen einzutreten, noch kann der Kläger aus daraus einen Anspruch gegen die Beklagte ableiten. Denn die Gutachten beruhen auf Prämissen, die jedenfalls bezogen auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ersichtlich nicht (mehr) zutreffend sind, und zwar nicht nur in Bezug auf marginale Punkte, sondern in Ansehung wesentlicher Grundlagen.
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Vorwegzuschicken ist allerdings, dass auch das Gericht davon ausgeht, dass die Ausübung seines Glaubens für den Kläger als … - also gleichsam … - der eritreisch-orthodoxen Kirche (vgl. S. 7/8 des Protokolls) wesentlicher Bestandteil seines Lebensentwurfs ist bzw. dass ein Leben ohne die Möglichkeit, seinen Glauben auszuüben, für den Kläger sinnlos erscheinen mag. Es versteht sich und bedarf im Grunde keiner ausdrücklichen Erwähnung, dass die in den Schutzbereich des Art. 4 GG fallende Lebensweise des Klägers, seine Glaubensinhalte und Überzeugungen von den hiesigen Behörden und Gerichten zu respektieren sind und dass bei grundrechtlichen Kollisionen ein möglichst schonender Ausgleich anzustreben ist.
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Durchaus problematisch wäre vor diesem Hintergrund eine Rückführung des Klägers in einen (Mitglied-)Staat, in dem es an Voraussetzungen, Grundlagen und Strukturen fehlte, die der Kläger für die Praktizierung seines Glaubens benötigt.
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Es trifft jedoch nicht zu, dass die eritreisch-orthodoxe Kirche in Italien nicht vertreten wäre. Der Kläger hat dies in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt und hierzu ausgeführt, dass ihm dies vormals so nicht bekannt gewesen sei. In der Zwischenzeit hat sich der Kläger offenbar selbst hinreichend informiert und in Erfahrung gebracht - entsprechende Hinweise hatte nicht zuletzt das Gericht mit der mit der Ladung übermittelten Auskunftsliste Italien, Stand: März 2021, gegeben - dass es in Italien sehr wohl Gemeinden seiner Konfession gibt. Der Kläger konnte hierzu sogar angeben, dass es derzeit in Italien … gebe (vgl. S. 9 des Protokolls).
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Das Gutachten vom 10.02.2021 greift somit erkennbar auf eine unzutreffende Tatsachenbasis zurück, wenn es ausführt, dass es in Italien gar keine Angebote im orthodoxen Bereich gebe, da dort der katholische Glaube in den Einrichtungen und Klöstern bestehe (S. 13 des Gutachtens). Nicht als belastbar hat sich darüber hinaus die Fixierung in dem Gutachten vom 10.02.2021 dahin erwiesen, dass der Kläger in Italien gar nicht die Möglichkeit habe, in ein orthodoxes Kloster zu gehen, weil es solche dort nicht gebe. Ein Leben in einem Kloster sei für den Kläger aber eine wichtige Lebensvoraussetzung (S. 12 des Gutachtens). Bestätigt hat sich vielmehr die im Gutachten an anderer Stelle angesprochene Version, dass die derzeitige Lebenssituation des Klägers in Deutschland als „fast ideal“ zu bezeichnen sei (S. 10 des Gutachtens). Der Kläger hat hierzu in der mündlichen Verhandlung eingehend geschildert, wie sich sein Weg in Deutschland gestaltet hat und dass er sich nun letztlich in … sehr wohl fühle - hier finde er Ruhe -, wobei die Unterbringungssituation in einem Einzelzimmer in einer Gemeinschaftsunterkunft mit gemeinsamer Nutzung von Bad und WC kein nennenswertes Problem darstelle, denn der Kläger könne in seinem Zimmer in Ruhe beten und meditieren. Auf ausdrückliche Nachfrage gab der Kläger an, dass es ihm in … an nichts fehle (vgl. S. 7, 10, 11 des Protokolls). Der Kläger ist mit keinem Wort darauf gekommen, dass es ihn irgendwie belaste, dass er in Deutschland nicht in einem Kloster seiner Konfession lebe. Vielmehr wurde deutlich, dass der Kläger seinen Glauben und insbesondere sein … innerhalb der eritreisch-orthodoxen Kirche in Deutschland rege ausübt (vgl. hierzu näher sogleich), und das auch ohne ein Leben oder eine sonstige Anbindung an ein Kloster seiner Konfession. Soweit also das Gutachten vom 10.02.2021 das Leben in einem orthodoxen Kloster für den Kläger als „wichtige Lebensvoraussetzung“ darstellt, hat sich dieser Befund in der mündlichen Verhandlung in keiner Weise bestätigt.
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In der mündlichen Verhandlung ist stattdessen deutlich geworden, dass der Kläger als … in Deutschland mittlerweile ausgeprägte Aktivitäten im religiösen Bereich entfaltet. Er hat ausführlich davon berichtet, dass er bereits zu der Zeit, als er in … untergebracht gewesen sei, Anschluss an die dortige orthodoxe eritreische Gemeinde gefunden habe. Der Kläger sei von Eritreern angesprochen worden, dass es in … eine orthodoxe Kirche gebe, nachdem er sich selbst dort zunächst noch nicht ausgekannt habe. Offiziell habe der Kläger dort nicht arbeiten könne, sei aber immer behilflich gewesen, z.B. bei der Vorbereitung der Messen oder auch nachher beim Aufräumen; ferner habe er bei den Messen assistiert. Mit dem dortigen Priester namens … habe sich der Kläger viel unterhalten, so etwa über die gesundheitlichen Probleme des Klägers und … habe versucht, den Kläger aufzubauen und zu trösten. Auch sonst hat sich der Kläger informiert gezeigt über die Verhältnisse der eritreischen Gemeinde in … Sein dortiges … sei zunächst nur für den Übergang gedacht gewesen. Man habe abwarten wollen, bis der Kläger einen Bescheid erhalte, dass er in Deutschland bleiben könne. Der andere Priester habe dann dafür sorgen wollen, dass der Kläger in der Gemeinde in … in eine … werde (vgl. S. 4/5 des Protokolls).
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Der Kläger wurde jedoch schließlich von … zunächst nach … und dann nach … umverteilt. Eine orthodoxe eritreische Kirche gebe es auch in … und dort … Der Kläger … nicht nur in …, sondern er … So sei er zum Beispiel unterwegs zu …, … oder auch … Insgesamt habe der Kläger so viel zu tun. Die dortigen … würden den Kläger auch mögen und seine … verlangen. Sie … So komme es, dass der Kläger ziemlich beschäftigt und … sei in Sachen Kirche.
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Der Kläger erläuterte, dass er als … in Bezug auf den … erreicht habe. Das sei übertragen auf das Katholische quasi ein … Deshalb sei es auch so, dass die …, z.B. auch dazu, dass der … … Es sei in den eritreischen Gemeinden so, dass normalerweise die … Angesprochen auf die Situation konkret in … erklärt er, die dortige Gemeinde … Deshalb übe er eine reguläre andere Arbeit aus, um seine Existenz zu sichern. Ab und zu gebe es aber … (vgl. S. 7/8 des Protokolls).
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Der Kläger hat nach seiner Darstellung auch den Kontakt zur eritreischen Gemeinde in … nicht abreißen lasse, er erscheine dort immer …, nachdem … (vgl. S. 8 des Protokolls).
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Legt man all dies zugrunde, so kann auch nicht festgestellt werden, dass der Kläger gleichsam lebensuntüchtig und nicht einmal in der Lage wäre, für sich selbst ggf. notwendige Hilfe zu organisieren. Soweit im Gutachten vom 10.02.2021 auf S. 11 angeführt wird, dass der Kläger es nicht gelernt habe, sich um die Belange des Alltags zu kümmern, kann dieser Einschätzung bezogen auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht gefolgt werden. Dem Kläger ist es nicht nur gelungen, erfolgreich von Eritrea nach Europa zu fliehen, sondern hat von Italien aus den weiteren Reiseweg nach Deutschland absolvieren können. Unterwegs habe er immer Leute gefragt, wobei die Konversation quasi mit Händen und Füßen erfolgt sei; er sei mit dem Zug gefahren und habe sich selbst die nötigen Zugtickets besorgt (vgl. S. 3/4 des Protokolls).
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Es wird nicht verkannt, dass es dem Kläger im Fall der freiwilligen Ausreise nach Italien oder einer etwaigen Abschiebung deutlich leichter fallen wird, dort ebenso wie hier in Deutschland Fuß zu fassen, wenn er auf gewisse unterstützende Strukturen zurückgreifen kann. Prognostisch ist anzunehmen, dass es dem Kläger gelingen wird, die benötigte Hilfe zu erlangen. Er ist auch nicht gehindert, bereits von Deutschland aus Kontakt mit einer eritreischen Gemeinde in Italien Kontakt aufzunehmen und/oder nötigenfalls mit Hilfe der hiesigen Gemeinden - der Kläger ist nach seiner eigenen Darstellung … und gleichsam gut vernetzt - Vorkehrungen zu treffen für eine Niederlassung in Italien. Freilich mag es zutreffen, dass manche eritreischen Gemeinden klein seien bzw. wegen der Struktur ihrer Mitglieder über keine erheblichen Einnahmen verfügten, doch ist nicht zu erwarten, dass die Gemeinden einem … die notwendige (Start-)Hilfe verweigern würden, sei es durch Hilfe bei der Wohnungssuche, der vorübergehenden Zurverfügungstellung eines Zimmers oder nötigenfalls auch bei der Suche nach einer ergänzenden Arbeitsmöglichkeit im weltlichen Bereich, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Der Kläger hat nicht geltend gemacht, dass die Aufnahme einer Arbeitstätigkeit, die sich mit seinem Lebensentwurf und seinem Glauben vereinbaren lässt - so womöglich eine einfache Tätigkeit im landwirtschaftlichen Bereich oder auch im sozialen Sektor (vgl. S. 10 des Protokolls) unvereinbar wäre mit seinen für ihn wesentlichen Glaubensüberzeugungen. Solches ist auch sonst nicht naheliegend, denn der Kläger hat selbst erwähnt, dass es … gebe, die im weltlichen Bereich arbeiten, auch wenn es sich dabei häufig um … handele (vgl. S. 10 des Protokolls). Der Kläger hat nach eigenen Angaben früher in Eritrea in seinem Kloster auch im Bereich des Gemüseanbaus mit gearbeitet. Es ist nicht zu erwarten, dass der Kläger seine Existenz in Italien dauerhaft auf Hilfen durch die dortigen Mitglieder der eritreischen Gemeinden wird aufbauen müssen, die jene ggf. kaum in der Lage sein würden aufzubringen (vgl. S. 9 des Protokolls).
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Angesprochen darauf, was - unter Ausblendung der damaligen für den Kläger ungenügenden Unterbringungssituation - aus der Sicht des Klägers dagegensprechen würde, nach Italien zurückzukehren, dort ein kleines Zimmer zu finden, ggf. etwas zu arbeiten und als … zu leben, verwies er auf die Inhomogenität der eritreischen Gemeinden (vgl. S. 10/11 des Protokolls). Es erscheint durchaus naheliegend, dass es in den eritreischen Gemeinden Mitglieder gibt, die gegen das politische System in Eritrea eingestellt sind und andererseits solche, die Anhänger der dortigen Machthaber sind. Mit dem gleichen Problem ist der Kläger indessen in Deutschland konfrontiert. Er hat eingeräumt, dass er auch hierzulande schon als Verräter beleidigt worden sei und manchmal Angst verspüre, dass er verprügelt werden könnte (vgl. S. 10/11 des Protokolls). Gleichwohl ist es dem Kläger gelungen, dass er als … … wird. Es ist zu erwarten, dass der Kläger auch in Italien einen gangbaren Weg finden wird, der es ihm ermöglicht, in und mit den dortigen … zusammenzuarbeiten, auch wenn es freilich einmal zu einer Konfliktsituation kommen kann. Ob diesbezüglich der Kläger einmal polizeiliche Hilfe benötigen wird, erscheint spekulativ, doch steht solche erforderlichenfalls auch in Italien zur Verfügung. Naheliegender dürfte jedoch sein, dass es dem Kläger gelingt, durch sein Wirken im religiösen Bereich zugleich denjenigen Elementen zur Geltung zu verhelfen, die die eritreische Gemeinde einen und nicht wegen der Bewertung der Verhältnisse im Heimatland die Spaltung befördern.
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Soweit der Kläger in der Vergangenheit in Italien einmal schlechte Erfahrungen im dortigen Asylverfahren gemacht habe und eben in Bezug auf die angesprochene Konversion nicht lediglich ein Missverständnis vorgelegen haben sollte, sondern ein Fehlverhalten des dortigen Amtwalters, ist nicht zu erwarten, dass sich solches in der Zukunft wiederholen wird. Denn das Asylverfahren des Klägers ist in Italien mit der Zuerkennung internationalen Schutzes erfolgreich abgeschlossen. Es ist auch sonst nicht erkennbar, dass der Kläger gehindert sein sollte, seinen Glauben in Italien auszuüben.
58
Soweit es um die Wohnungssituation in Italien geht, wird der Kläger dort den italienischen Staatsbürgern gleichgestellt sein. Er ist zu erwarten, dass es dem Kläger mit Hilfe der dortigen und ggf. hiesigen eritreischen Gemeinden gelingen wird, ein zumindest einfaches Zimmer zu finden, in dem er die nötige Ruhe für die Ausübung seines Glaubens erfährt. Dabei ist bei der anzustellenden Prognose von einer geplanten, freiwilligen Ausreise auszugehen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bedarf nämlich grundsätzlich ein Asylbewerber dann nicht des Schutzes in der Bundesrepublik Deutschland, wenn er eine geltend gemachte Gefährdung durch zumutbares eigenes Verhalten, wozu insbesondere die freiwillige Ausreise gehört, abwenden kann (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 - 9 C 38.96; U.v. 3.11.1992 - 9 C 21.92 - juris). Dem Kläger muss aber seit dem Zugang des Bescheids vom 05.04.2019 und dem negativen Ausgang des gerichtlichen Eilverfahrens Az. B 8 S 19.30587 (B.v. 18.4.2019) klar sein, dass er grundsätzlich zur Ausreise aus Deutschland aufgefordert ist, auch wenn das Bundesamt die Vollziehung der Abschiebungsandrohung mit am 23.04.2019 eingegangenem Schriftsatz ausgesetzt hat. Insofern war und ist es dem Kläger auch weiterhin möglich, seine Rückreise nach Italien zu planen und notwendige Vorkehrungen zu treffen, die es ihm erleichtern, in Italien Fuß zu fassen.
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Nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen der Kläger auf anderweitiger nicht asylrechtlicher Grundlage ein Bleiberecht in Deutschland erhalten könnte bzw. inwieweit er nach (freiwilliger) Ausreise auf legalem Weg außerhalb eines Asylverfahrens nach Deutschland zurückkehren könnte, beispielsweise um hier als … Schließlich hat der Kläger keinen Anspruch gegen die Beklagte, dass diese zu seinen Gunsten das Vorliegen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots feststellt (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG). Dem Kläger droht in Bezug auf seine gesundheitliche Situation im Falle seiner Rückkehr oder Rückführung nach Italien keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG liegt eine solche Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Sätze 4 und 5 AufenthG). Abzustellen ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG).
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Eine alsbald eintretende erhebliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers ist im Falle seiner Rückkehr bzw. Rückführung nach Italien nicht anzunehmen. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll dem Ausländer nicht eine Heilung von Krankheit unter Einsatz des sozialen Netzes der Bundesrepublik Deutschland sichern, sondern vor gravierender Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter Leib und Leben bewahren. Daher ist eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands auch nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustands anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen, kurz: bei existentiellen Gesundheitsgefahren, was insbesondere aus dem der Vorschrift immanenten Zumutbarkeitsgedanken folgt (vgl. OVG NRW, B.v. 30.12.2004 - 13 A 1250/04.A mit zahlreichen weiteren Nachweisen; siehe ferner BayVGH, B.v. 12.8.2015 - 11 ZB 15.30054 - juris).
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Es ist prognostisch zu erwarten, dass der Kläger ggf. notwendige medizinische Versorgung auch in Italien erhalten wird. Personen mit Schutzstatus sind in Italien den Einheimischen bezüglich der Gesundheitsversorgung gleichgestellt; notwendig ist eine Anmeldung beim nationalen Gesundheitsdienst (vgl. etwa SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 77 ff.). Es mag zwar zutreffend, dass der Kläger nach wie vor mit psychischen Belastungen zu kämpfen hat. Andererseits spricht alles für eine hinreichende Stabilisierung, die es ihm nicht zuletzt ermöglicht, zu … und dort im … zu wirken. Auch in dieser gesundheitlichen Beziehung wird der Kläger prognostisch nötigenfalls Unterstützung durch Gemeindeangehörige erlangen können, die ihn z.B. bei Behördengängen, Arztbesuchen oder auf andere Weise in Italien unterstützen.
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Es ist auch in einer Gesamtschau nicht zu erwarten, dass bei Rückkehr oder Abschiebung des Klägers nach Italien die für eine Schutzgewährung anzulegende Schwelle des § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erreicht wird.
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3. Nach allem ist die Klage insgesamt mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.