Titel:
Pflicht zur Übersendung des Unterbringungshefts an die Staatsanwaltschaft
Normenketten:
EGGVG Art. 23 Abs. 1 S. 1
BÄO § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 6 Abs. 1 Nr. 2
StPO § 95 Abs. 1
BayDSG Art. 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 S. 2, S. 3
Leitsätze:
1. Ersucht die Staatsanwaltschaft um Amtshilfe durch Übersendung der gerichtlichen Akten eines Betreuungsverfahrens, so bedarf es sowohl für das Ersuchen als auch für eine diesem ganz oder teilweise entsprechende Aktenübermittlung einer einfachgesetzlichen Grundlage. (Rn. 5 – 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung tritt nach Durchführung der erforderlichen Ermessensausübung hinter dem Interesse der Allgemeinheit auf Aufklärung des bei der Staatsanwaltschaft anhängigen Strafverfahrens zurück. (Rn. 8 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht eines unter Betreuung stehenden Arztes muss hinter dem Schutzbedürfnis der Allgemeinheit zurücktreten, wenn er zur Ausübung des ärztlichen Berufes nicht mehr geeignet ist und er trotzdem seiner Tätigkeit weiter nachgehen sollte, obwohl Schäden für die Gesundheit seiner Patienten drohen. (Rn. 12 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Akteneinsicht, pflichtgemäßes Ermessen, informationelle Selbstbestimmung, Datenschutz, personenbezogene Daten, Unterbringungsbeschluss, psychische Verfassung, ärztliche Approbation, approbationsrechtliche Maßnahme
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 02.06.2022 – 102 VA 7/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 53949
Tenor
1. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Schweinfurt vom 09.09.2021 und 23.09.2021 sind dieser die Beschlüsse vom 18.08.2021 und 29.09.2021 zum dortigen Verfahren 11 UJs … zu übersenden.
2. Auf Antrag der Regierung von U. vom 15.09.2021 ist dieser das Unterbringungsheft zur Einsichtnahme zu übersenden.
Gründe
1
Mit Schreiben vom 09.09.2021 und 23.09.2021 hat die Staatsanwaltschaft Schweinfurt im Verfahren 11 UJs … um Übersendung eines etwaigen Beschlusses über die vorläufige Unterbringung des dortigen Anzeigeerstatters, welcher die Zeit ab dem 18.08.2021 betrifft, ersucht. Begründet wurde das Gesuch mit der Berufung auf § 95 Abs. 1 StPO, weil ein etwaiger Unterbringungsbeschluss als Beweismittel im dort anhängigen Ermittlungsverfahren von Bedeutung sein könne.
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Mit Schreiben vom 15.09.2021 hat die Regierung von U. in Vollzug der Bundesärzteordnung um Übersendung des Unterbringungsheftes ersucht. Begründet wurde das Einsichtsgesuch mit dem Hinweis auf die Prüfung approbationsrechtlicher Maßnahmen nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BÄO. So könne das Ruhen der ärztlichen Approbation angeordnet werden, wenn nachträglich die gesundheitliche Eignung zur Ausübung des Arztberufes nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BÄO weggefallen ist.
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Dem Betreuten, dem Betreuer sowie dem Verfahrenspfleger wurde jeweils die Möglichkeit eingeräumt, Einwände gegen die Aktenübersendung bzw. der Unterbringungsbeschlüsse zu erheben. Der Betreute selbst hat der Aktenübersendung widersprochen. Auch der Verfahrenspfleger hat für den Betreuten Einwände gegen die Übersendung erhoben.
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Nach Durchführung der erforderlichen Ermessensausübung ist den entsprechenden Begehren stattzugeben. Die Interessen der nicht am Verfahren beteiligten Behörden überwiegen das Interesse des Betreuten auf informationelle Selbstbestimmung.
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1. Ersucht die Staatsanwaltschaft in einem bei ihr anhängigen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren um Amtshilfe durch Übersendung der gerichtlichen Akten eines Betreuungsverfahrens, so bedarf es wegen des Gesetzesvorbehalts für Grundrechtseingriffe einer einfachgesetzlichen Vorschrift sowohl für das Amtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft als auch für eine dem Ersuchen ganz oder teilweise entsprechende Aktenübermittlung (BayObLG, Beschluss vom 06.08.2020 - 1 VA 33/20). Die Staatsanwaltschaft kann nach § 95 Abs. 1 StPO die Vorlage oder Auslieferung des potenziell beweisbedeutsamen Gegenstands durch den Gewahrsamsinhaber fordern (ebd.). Eine Befugnis der Justizverwaltung zur Übermittlung der Betreuungsakte an die Staatsanwaltschaft i.R.d. Amtshilfe besteht - wenn keine spezialgesetzlichen Bestimmungen einschlägig sind - i.R.d. durch die maßgeblichen datenschutzrechtlichen Vorschriften gezogenen Grenzen (ebd.).
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Gemäß Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 BayDSG ist eine Übermittlung personenbezogener Daten zulässig, wenn sie zur Erfüllung einer der übermittelnden oder der empfangenden öffentlichen Stelle obliegenden Aufgabe erforderlich ist. Gemäß Abs. 4 S. 3 trägt die um Aktenübersendung ersuchte Behörde die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung nur dann, wenn besonderer Anlass zur Prüfung der Zulässigkeit besteht. Im Übrigen obliegt der ersuchten Stelle regelmäßig lediglich die Prüfung, ob das Ersuchen i.R.d. Aufgaben des Empfängers liegt, Art. 5 Abs. 4 S. 2 BayDSG.
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Vorliegend liegt das Ersuchen jedenfalls im Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft. Ein besonderer Prüfungsanlass besteht mit Blick auf die Sensibilität der in dem hiesigen Unterbrinungsheft üblicherweise gesammelten Daten regelmäßig bereits wegen des Gewichts eines mit der Aktenübersendung verbundenen Eingriffs in die Grundrechte der betroffenen Person auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten.
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Die Staatsanwaltschaft begehrt nicht die Übersendung der gesamten Betreuungsakte samt Unterbringungsheft. Lediglich um Übersendung der Unterbringungsbeschlüsse wird ersucht. Insoweit hat bereits die ersuchende Behörde der ihr gem. Art. 5 Abs. 4 S. 1 u. 2 BayDSG zugewiesenen Verantwortung zur Prüfung der Zulässigkeit der Datenübermittlung Rechnung getragen.
9
Vorliegend überwiegt jedenfalls nicht das Interesse des Betreuten auf informationelle Selbstbestimmung dem Interesse der Staatsanwaltschaft auf Aufklärung eines Strafverfahrens. Aus dem Ersuchen der Staatsanwaltschaft geht hervor, dass es sich um ein Ermittlunsverfahren gegen Unbekannt zum Nachteil des dortigen Anzeigeerstatters wegen Freiheitsberaubung handelt. Insoweit ist nicht auszuschließen, dass die psychische Verfassung des Betreuten als Indiz im Strafverfahren von Bedeutung sein kann.
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Der Betreute hat sich pauschal gegen die Übersendung ausgesprochen. Der Verfahrenspfleger hat seine Bedienken insoweit kundgetan, als der Beschluss vom 18.08.2021 davon spreche, dass der Betreute an einer psychischen Krankheit bzw. geistigen/seelischen Behinderung, nämlich einer gereizten Manie sowie einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit dissozialen und narzisstischen Anteilen leide. Diesbezüglich ergebe sich aus dem ärztlichen Zeugnis lediglich eine Verdachtsdiagnose. Die Übersendung des Unterbringungsbeschlusses könne deshalb zu einer Missinterpretation führen. Die Bedenken des Verfahrenspflegers können aus Sicht des Gerichts allein deshalb schon ausgeräumt werden, als es sich vorliegend um einen Beschluss durch einstweilige Anordnung handelt, dem eine summarische Prüfung vorangegangen ist, so dass allein aus diesem Umstand ersichtlich w rd, dass eine abschließende Würdigung nicht stattfinden konnte. Zudem geht die Ergänzung zum Antrag auf Genehmigung einer betreuungsrechtlichen Unterbringung durch Schriftsatz vom 17.08.2021 davon aus, dass diagnostisch eine gereiezte Manie nach ICD-10: F30.1 vorliege.
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Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung tritt hinter dem Interesse der Allgemeinheit auf Aufklärung des bei der Staatsanwaltschaft Schweinfurt anhängigen Strafverfahrens nach Durchführung der erforderlichen Ermessensausübung zurück.
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2. Auch hinsichtlich des Ersuchens der Regie ung von Unterfranken tritt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hinter das Aufklärungsinteresse des Begehrenden nach Durchführung der erforderlichen Ermessensausübung zurück.
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Nach den Bestimmungen der BÄO und der HeilZustV ist die Regierung von U. zur Prüfung approbationsrechtlicher Maßnahmen zuständig. Um dem nachkommen zu können, ist die ersuchende Stelle auf Kenntnisse aus hiesigem Verfahren angewiesen. So können insbesondere die im Unterbringungsheft vorhandenen ärztlichen Stellungnahmen, aber auch die seitens des Verfahrenspflegers und Betreuers schriftsätzlich zur Akte gereichten Eindrücke von erheblicher Bedeutung sein. So dient die Aufgabenwahrnehmung der Regierung von U. dem Schutz der Allgemeinheit vor einem in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung des Berufs ungeeigneten Arzt, § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BÄO.
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Demgegenüber hat der Betreute keine konkreten Gründe vorgebracht, die der Aktenübersendung entgegenstehen würden. Sein informationelles Selbstbestimmungsrecht muss hinter das Schutzbedürfnis der Allgemeinheit jedenfalls zurücktreten. Sofern sich herausstellen sollte, dass der Betreute zur Ausübung des ärztlichen Berufes tatsächlich nicht mehr geeignet sein sollte, könnten erhebliche Schäden für die Gesundheit seiner Patienten verursacht werden, sofern er seiner Tätigkeit weiter nachgehen sollte. Die körperliche Unversehrtheit der Allgemeinheit steht mithin im Vordergrund der durchzuführenden Abwägung.
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Um die Geeignetheit des Betreuten zuverlässig prüfen zu können, ist die zuständige Behörde zur Überzeugung des Gerichts auf sämtliche Erkenntnisquellen angewiesen, weswegen dem Akteneinsichtsgesuch stattzugeben ist.