Titel:
Betriebsbedingte Kündigung – Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit einer Sozialauswahl
Normenkette:
KSchG § 1 Abs. 3, Abs. 5 S. 2
Leitsätze:
1. Grob fehlerhaft iSv § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG ist die Sozialauswahl dann, wenn eine evidente, ins Auge springende erhebliche Abweichung von den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 KSchG vorliegt und der Interessenausgleich jede soziale Ausgewogenheit vermissen lässt (hier verneint). Eine grob fehlerhafte Sozialauswahl kann sich auch daraus ergeben, dass der auswahlrelevante Personenkreis evident verkannt wurde. Dabei muss sich die getroffene Auswahl gerade mit Blick auf den klagenden Arbeitnehmer als grob fehlerhaft erweisen. Nicht entscheidend ist, ob das gewählte Auswahlverfahren als solches zu Beanstandungen Anlass gibt (s. BAG BeckRS 2013, 67921 Rn. 45 mwN). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Arbeitnehmer muss nach einer betriebsbedingten Kündigung mit der Kündigungsschutzklage, jedenfalls wenn er ausreichend unterrichtet worden ist, die soziale Auswahl konkret rügen, d.h. geltend machen, ein bestimmter, mit ihm vergleichbarer Arbeitnehmer sei weniger sozial schutzwürdig, sodass diesem habe gekündigt werden müssen. Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl ergibt, liegt hierbei grundsätzlich beim Arbeitnehmer (Anschluss an BAG BeckRS 2013, 67921 Rn. 45). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kündigungsschutzklage, betriebsbedingte Kündigung, Sozialauswahl, Interessenausgleich, Namensliste, Darlegungs- und Beweislast, auswahlrelevanter Personenkreis
Rechtsmittelinstanz:
LArbG München, Urteil vom 12.05.2022 – 3 Sa 13/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 53823
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Der Streitwert wird festgesetzt auf € 12.266,00.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Kündigung nach Interessenausgleich mit Namensliste.
2
Die am 1959 geborene, verheiratete und keinem Kind zum Unterhalt verpflichtete Klägerin ist bei der Beklagten - die mit zwei weiteren Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb bildet, für den ein gemeinsamer Betriebsrat gewählt ist - seit dem 01.02.2012 beschäftigt. Zunächst war die Klägerin als „Mitarbeiter im telemedizinischen Servicecenter“ tätig (s. befristeter Anstellungsvertrag vom 09.01.2012, Kopie als Anlage K1, Bl. 9 ff.; Anstellungsvertrag vom 19.12.2013 / 07.01.2014, Kopie als Anlage K2, Bl. 17 ff. d.A.). Für den Zeitraum vom 01.02.2012 bis zum 31.12.2019 unterstand sie als „Teamleiterin Telemetrie-Team“ der „Teamleitung Kundenservice“. Ab dem 01.01.2020 war die Klägerin als „Assistenzteamleitung“ in der Organisationseinheit Kundenservice tätig (s. Vertragsänderung vom 04.12.2019, Kopie als Anlage B1, Bl. 83 d.A.). Zum 01.01.2021 wurde die Klägerin in der Organisationseinheit Kundenservice zur Teamleiterin / Teammanagerin (bei der Beklagten synonym verwendet) befördert. Zu dieser Beförderung schlossen die Parteien am 04.12./12.12.2020 eine Änderungsvereinbarung (s. Kopie als Anlage B2, Bl. 84 f. d.A.) mit folgendem Wortlaut:
„Der Anstellungsvertrag vom 19.12.2013, zuletzt geändert am 04.11.2020, wird wie folgt zum 01.01.2021 geändert:
Der Mitarbeiter wird zukünftig in der Organisationseinheit Kundenservice als Teammanager eingesetzt.
§ 3 Arbeitszeit Als Teammanager gilt für Sie Vertrauensarbeitszeit. …
Die übrigen Bestimmungen des Anstellungsvertrags vom 19.12.2013 bleiben unberührt.
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Die Beklagte schloss am 04.03.2021 mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste, in dem die Klägerin in der Anlage 1 unter Ziffer 4 bei zuerkannten „91 Punkte Sozialauswahl“ namentlich benannt ist (s. Kopie als Anlage K6, Bl. 30 ff., 37 d.A.). Der vorgesehene Personalabbau betraf 30 von ursprünglich 155 Arbeitnehmern.
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Für die Sozialauswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer und für die Erstellung der Namensliste bildeten die Betriebsparteien nach § 5.1 des Interessenausgleichs fünf Vergleichsgruppen: Eine Vergleichsgruppe mit Arbeitnehmern, die in den telemedizinischen Zentren der Beklagten beschäftigt sind sowie vier Vergleichsgruppen aus den übrigen Beschäftigungsbereichen ohne Leitungsfunktion.
§ 5.1 des Interessenausgleichs bestimmt weiter:
„Es wurde keine Vergleichsgruppe für den nichtmedizinisch tätigen Teamleiter im Kundenservice (Kundenservice / Admin / Telemetrie) gebildet, da es keine vergleichbaren Arbeitnehmer zu diesem gibt.“ (Bl. 34 d.A.)
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Die Jahresbruttovergütung der Klägerin bei einem Arbeitszeitvolumen von 85% belief sich zuletzt auf € 36.789,24.
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Mit Schreiben vom 25.02.2021 / 26.02.2021 informierte die Beklagte den Betriebsrat über die beabsichtigten Kündigungen der im Interessenausgleich namentlich benannten Arbeitnehmer, darunter auch die beabsichtigte Kündigung der Klägerin (s. Kopie als Anlage B6, Bl. 101 ff. d.A.).
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Die Anzeige für Entlassungen gemäß § 17 KSchG wurde bei der Agentur für Arbeit am 04.03.2021 eingereicht mit namentlicher Erwähnung der Klägerin (s. Kopie als Anlage B9, Bl. 117 ff. d.A.). Mit Schreiben vom 09.03.2021, der Klägerin zugegangen am selben Tag, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zum 30.06.2021 (s. Kopie als Anlage K4, Bl. 26 f. d.A.).
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Nicht gekündigt wurde dem Teamleiter Logistik / Lager, dem Mitarbeiter M. Dieser ist der Ehegatte der Personalleiterin/ Operation Managerin, geboren am 1965, ohne unterhaltsberechtigte Kinder, seit Februar 2016 bei der Beklagten. Unter Hinzuziehung des Punkteschemas aus dem Interessenausgleich wären Herrn M. ca. 75 Punkte bei der Sozialauswahl zugeordnet worden.
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Gegen ihre Kündigung ließ die Klägerin durch Anwaltsschriftsatz vom 22.03.2021, beim Arbeitsgericht München eingegangen am selben Tage, Kündigungsschutzklage erheben.
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Die Klägerin hält die Kündigung für sozial ungerechtfertigt und daher rechtsunwirksam.
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Denn die von der Beklagten vorgenommene soziale Auswahl sei grob fehlerhaft i.S.d. § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG. Der grobe Fehler bestehe darin, dass die Beklagte es unterlassen habe, im Interessenausgleich eine Vergleichsgruppe der nichtmedizinischen Teamleiter zu bilden und dann statt der Klägerin derem Teamleiterkollegen, dem Mitarbeiter M., als weniger sozial schutzwürdig zu kündigen. Die Beklagte sei grob fehlerhaft davon ausgegangen, dass es für die Klägerin keine Vergleichsgruppe bzw. keinen vergleichbaren Mitarbeiter im Gemeinschaftsbetrieb der Beklagten gebe. Dabei habe sich ein Vergleich mit dem Mitarbeiter M. förmlich aufgedrängt. Die horizontale Vergleichbarkeit ergebe sich daraus, dass Beide - Klägerin und Mitarbeiter M. - der Ebene der Teamleiter (Teammanager) zuzuordnen seien. Auch die arbeitsvertragliche und die tätigkeitsbezogene Austauschbarkeit seien zwanglos zu bejahen. Zum einen sei die sehr weite allgemeine arbeitsvertragliche Versetzungsklausel in § 1 Abs. 5 des Arbeitsvertrages vom 19.12.2013 / 07.01.2014 zu keinem Zeitpunkt eingeschränkt worden, und zwar auch nicht durch die Änderungsvereinbarung vom 04.12.2020, die allein das Aufgabengebiet, nicht aber das weiter bestehende Direktionsrecht betreffe. Zum anderen sei die Klägerin auch hervorragend für die Tätigkeiten im Bereich Teamleitung Logistik / Lager zur Erledigung aller damit zusammenhängenden Arbeiten geeignet; denn die Klägerin habe bei der Beklagten bereits in der Vergangenheit eine Vielzahl von Tätigkeiten in diesem Bereich erledigt, was sowohl das Zwischenzeugnis vom 30.11.2015 (s. Kopie als Anlage K12, Bl. 146 f. d.A.) als auch das Zwischenzeugnis vom 31.05.2016 (s. Kopie als Anlage K9, Bl. 58 f. d.A.) bestätigten. Nicht zuletzt habe die Klägerin für ihre herausragenden Tätigkeiten im Bereich Lager und Logistik eine Belobigung der Beklagten mit finanzieller Anerkennung in Form eines Sonderbonus erhalten (s. Schreiben der Beklagten vom Dezember 2016, in Kopie als Anlage K13, Bl. 150 d.A.). Wegen der deutlich längeren Betriebszugehörigkeit der Klägerin (01.02.2012 gegenüber 01.02.2016) und des deutlich höheren Alters der Klägerin (geboren 1959 gegenüber 1965) bei sonst gleichen relevanten Sozialdaten (Unterhaltspflichten / keine Schwerbehinderung) sei die höhere soziale Schutzwürdigkeit der Klägerin und damit der Fehler der Beklagten bei der Sozialauswahl evident.
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Die Klägerin beantragt,
- 1.
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Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin bei der Beklagten nicht durch ordentliche Kündigung der Beklagten vom 09.03.2021 mit Wirkung zum 30.06.2021 geendet hat.
- 2.
-
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverrfahrens als Teammanager vertragsgerecht weiterzubeschäftigen.
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Die Beklagte beantragt
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Sie ist der Auffassung, dass die Kündigung der Klägerin aus betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt und damit rechtswirksam war. Sie ist der Ansicht, dass ihr insbesondere bei der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 u. 5 KSchG in Bezug auf die Klägerin und im Vergleich mit dem Mitarbeiter M. kein Fehler unterlaufen ist, geschweige denn ein vom Gesetz für den Fall einer aufgrund Interessenausgleichs mit Namensliste erfolgten ordentlichen betriebsbedingten Kündigung geforderter grober Fehler. Weder die arbeitsvertragliche noch die tätigkeitsbezogene Austauschbarkeit der Klägerin im Verhältnis zu dem Mitarbeiter M. seien gegeben. Zum einen sei die geschuldete Arbeitsleistung der Klägerin ausweislich des Änderungsvertrags vom 04.12.2020 / 12.12.2020 auf eine Tätigkeit „in der Organisationseinheit Kundenservice als Teammanager“ beschränkt. Zum anderen fehle es auch an der tätigkeitsbezogenen Austauschbarkeit, da die tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten der Klägerin mit den Aufgaben des Teamleiters Logistik / Lager nicht vergleichbar seien. Auch die in der Vergangenheit von der Klägerin vertretungsweise ausgeübten Tätigkeiten im Lager und in der Logistik änderten nichts daran, dass die Klägerin nicht sämtliche Funktionen des Teamleiters Logistik / Lager übernehmen könne (s. dazu die nähere Begründung im Schriftsatz vom 22.09.2021, S. 2 ff., Bl. 154 ff. d.A.).
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Zum weiteren Sachvortrag der Parteien sowie zur Prozessgeschichte wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften verwiesen; hierbei insbesondere auf das Sitzungsprotokoll über die öffentliche Sitzung vom 20.10.2021 (S. 2, letzter und vorletzter Abs., Bl. 184 d.A.).
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet und war daher abzuweisen. Denn die ordentliche Kündigung der Klägerin durch die Beklagte vom 09.03.2021 ist sozial gerechtfertigt und daher rechtswirksam, sodass das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf des 30.06.2021 sein Ende gefunden hat. Die von der Beklagten vorgenommene soziale Auswahl war nicht grob fehlerhaft i.S.d. § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG.
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Der Feststellungsantrag der Klägerin war abzuweisen, da das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 09.03.2021 mit Ablauf des 30.06.2021 beendet wurde.
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1. Unstreitig war die Rechtswirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 09.03.2021 am Maßstab des § 1 Abs. 2, 3 u. 5 KSchG zu messen, denn das Arbeitsverhältnis der Parteien hatte zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung weit länger als sechs Monate bestanden, wobei im Betrieb der Beklagten weit mehr als zehn Arbeitnehmer regelmäßig in Vollzeit beschäftigt sind (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG). Ebenso unstreitig hat die Klägerin durch ihre beim Arbeitsgericht München am 22.03.2021 eingegangene Kündigungsschutzklage die Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG gewahrt und damit rechtzeitig die fehlende soziale Rechtfertigung ihrer Kündigung geltend gemacht.
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2. Die zwischen den Parteien zuletzt noch allein umstrittene Frage, ob die Beklagte bei der sozialen Auswahl der Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 u. 5 KSchG einen groben Fehler begangen hat, ist zu verneinen, sodass die Kündigung auch unter diesem Aspekt sich nicht als angreifbar darstellt.
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a) Nach ständiger Rechtsprechung gilt (vgl. nur BAG, Urteil vom 24.05.2005 - 8 AZR 398/04, zit. nach Juris, dort Rz. 37): Die soziale Auswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG erstreckt sich innerhalb des Betriebes auf Arbeitnehmer, die miteinander verglichen werden können. Die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer setzt im Einzelnen voraus, dass die unmittelbar betroffenen Arbeitnehmer auf einem vorhandenen Arbeitsplatz tatsächlich und rechtlich einsetzbar sind. Daher können in die Sozialauswahl nur solche Arbeitnehmer einbezogen werden, deren Aufgabenbereich miteinander vergleichbar ist (tatsächliche Einsetzbarkeit); ferner muss der Arbeitgeber in der Lage sein, den Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz wegfällt, nach den arbeitsvertraglichen Vorgaben kraft Direktionsrecht auf den in Betracht kommenden Arbeitsplatz umzusetzen bzw. zu versetzen (rechtliche Einsetzbarkeit). Schließlich können nur Arbeitnehmer auf derselben Ebene der Betriebshierarchie in die Sozialauswahl einbezogen werden (horizontale Vergleichbarkeit).
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Grob fehlerhaft ist die Sozialauswahl i.S.d. § 1 Abs. 5 KSchG dann, wenn eine evidente, ins Auge springende erhebliche Abweichung von den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 KSchG vorliegt und der Interessenausgleich jede soziale Ausgewogenheit vermissen lässt. Eine grob fehlerhafte Sozialauswahl kann sich auch daraus ergeben, dass der auswahlrelevante Personenkreis evident verkannt wurde. Dabei muss sich die getroffene Auswahl gerade mit Blick auf den klagenden Arbeitnehmer als grob fehlerhaft erweisen. Nicht entscheidend ist, ob das gewählte Auswahlverfahren als solches zu Beanstandungen Anlass gibt.
22
Dem entspricht es, dass der Arbeitnehmer mit der Kündigungsschutzklage, jedenfalls wenn er ausreichend unterrichtet worden ist, die soziale Auswahl konkret rügen, d.h. geltend machen muss, ein bestimmter, mit ihm vergleichbarer Arbeitnehmer sei weniger sozial schutzwürdig, sodass diesem habe gekündigt werden müssen. Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl ergibt, liegt grundsätzlich beim Arbeitnehmer (s. BAG, Urteil vom 27.09.2012 - 2 AZR 516/11, zit. nach Juris, Rz. 45 f.).
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b) Jedenfalls nach dem hier allein maßgeblichen strengen Maßstab des § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG führt die von der Beklagten vorgenommene soziale Auswahl nicht zur Rechtsunwirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 09.03.2021. Denn die soziale Auswahl der Beklagten - Ausspruch der Kündigung gegenüber der Klägerin und nicht gegenüber dem Mitarbeiter M. - stellt keine „evidente, ins Auge springende erhebliche Abweichung von den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 KSchG“ dar.
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(1) Dabei kann offengelassen werden, ob für den Fall einer zu treffenden Auswahlentscheidung zwischen der Klägerin und dem Mitarbeiter M. der von der Beklagten ermittelte (fiktive) Unterschied bei der Ermittlung der für die soziale Auswahl maßgeblichen Punkte (Klägerin: 91 Punkte / Mitarbeiter M. unstr.: „ca. 75 Punkte“) im Hinblick auf die soziale Schutzbedürftigkeit der Klägerin derart erheblich gewesen wäre, um von einem groben Fehler auszugehen - oder ob sich (auch insoweit) die (fiktive) Entscheidung der Beklagten im Rahmen des ihr zuzubilligenden Beurteilungsermessens gehalten hätte.
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(2) Denn jedenfalls war die Entscheidung der Beklagten, die Klägerin nicht mit dem Mitarbeiter M. in den auswahlrelevanten Personenkreis einzubeziehen, nicht grob fehlerhaft.
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(a) Auch insoweit kann wiederum offengelassen werden, ob - was zwischen den Parteien streitig ist - die Klägerin aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation und ihrer bei der Beklagten bereits ausgeübten Tätigkeiten in der Lage ist, die Aufgaben des Mitarbeiters M. als Teamleiter Logistik / Lager auszuüben - wobei es auch insoweit schwerfällt, infolge der Darlegungs- und Beweislast der Klägerin nach dem Vortrag der Parteien auf eine grob fehlerhafte Einschätzung durch die Beklagte schließen zu können.
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(b) Denn jedenfalls hat die Beklagte vorliegend die (fehlende) rechtliche Einsetzbarkeit der Klägerin auf dem Arbeitsplatz des Mitarbeiters M. nicht grob fehlerhaft verkannt. Nach dem im Kammertermin von Seiten der Parteien einvernehmlich vorgenommenen Klarstellungen (s. Sitzungsprotokoll, Bl. 184 d.A.) steht nämlich fest, dass durch den Änderungsvertrag vom 04.12.2020 / 12.12.2020 das arbeitsvertraglich angebundene Aufgabengebiet der Klägerin seit dem 01.01.2021 auf die Aufgabe einer Teamleiterin / Teammanagerin in der Organisationseinheit Kundenservice eingeschränkt wurde. Denn § 1 der im Änderungsvertrag in Bezug genommenen Vereinbarung vom 19.12.2013 / 07.01.2014 (Bl. 18 d.A.) wurde durch § 1 („Aufgabengebiet“) der Änderungsvereinbarung ersetzt, sodass auch die in § 1 Ziffer 5 der ursprünglichen Vereinbarung enthaltene Versetzungsklausel aufgehoben wurde. Wegen dieser engen Aufgabenzuweisung erscheint es der Kammer zumindest zweifelhaft, ob es der Beklagten rechtlich überhaupt möglich gewesen wäre, der Klägerin einseitig das Aufgabengebiet des Mitarbeiters M. zuzuweisen. Je enger die Tätigkeit eines Arbeitnehmers sowie die Einzelheiten seiner Beschäftigung im Arbeitsvertrag nämlich festgeschrieben sind, umso geringer ist der Spielraum des Arbeitgebers zur Ausübung seines Weisungsrechts, wobei die vertragliche Reichweite des Weisungsrechts wiederum unmittelbare Auswirkungen auf die Feststellung der Vergleichbarkeit im Rahmen der Sozialauswahl hat (vgl. nur Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 21.Aufl.,§ 106 GewO, Rz. 8; Oetker, ebenda, § 1 KSchG, Rz. 323, jeweils m.N. zur Rspr.). Dabei mag es ggf. zweifelhaft sein, ob es dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien bei Abschluss der Änderungsvereinbarung vom Dezember 2020 entsprochen haben mag, auch eine solche Versetzung - trotz der guten Erfahrungen, die beide Seiten bei den vorangegangen Einsätzen der Klägerin unstreitig gemacht hatten - auszuschließen; die Einschätzung der Beklagten, eine solche Versetzungsmöglichkeit sei durch die arbeitsvertragliche Änderung nun aber ausgeschlossen worden, erscheint aber nach dem Regelwerk der Änderungsvereinbarung keinesfalls evident falsch.
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Aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2021 war auch der auf Weiterbeschäftigung gerichtete Antrag zu 2 abzuweisen. Denn die Tatsache, dass der Kündigungsschutzprozess noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, begründet jenseits des Kündigungstermins keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung.
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1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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2. Für den gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzenden Urteilsstreitwert wurde der Wert von vier Bruttomonatslöhnen zugrunde gelegt (drei Bruttomonatslöhne für den Feststellungsantrag, ein Bruttomonatslohn für den Weiterbeschäftigungsantrag, vgl. §§ 42 Abs. 2 GKG, 3 ZPO).
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3. Gegen diese Entscheidung steht nur der beschwerten Klägerin das Rechtsmittel der Berufung zum Landesarbeitsgericht München zu, und zwar nach näherer Maßgabe der nachfolgenden Rechtsmittelbelehrung.