Titel:
Kein Anspruch auf Deckungsschutz für Schadensersatzklage im Zusammenhang mit angeblich vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeug (hier: BMW X 3)
Normenkette:
BGB § 826
Leitsätze:
1. Ein Stichentscheid ist nur verbindlich, wenn er sich im Rahmen der rechtlichen Würdigung auch mit etwaigen Gegenargumenten auseinandersetzt und insbesondere erkennen lässt, in welchen Punkten der Anwalt die Ansicht des Versicherers für unrichtig hält. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Rechtsprechung des BGH zum „Dieselskandal“ ist nicht auf solche Fälle übertragbar, bei denen es um die Verwendung eines möglicherweise gesetzwidrig programmierten Thermofensters geht. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, BMW, N57, Rechtsschutzversicherung, Deckungsklage, Rechtslage, Stichentscheid, Thermofenster, unzulässige Abschalteinrichtung, Prozesskostenhilfe
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 21.03.2022 – 25 U 9289/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 53818
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 9.957,72 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche auf Deckungsschutz für eine beabsichtigte Klage geltend.
2
Der Kläger ist Versicherungsnehmer der Beklagten. Für den Vertrag gelten die Allgemeinen Versicherungsbedingungen Auxilia ARB 2016 (Schreiben der Beklagten vom 19.02.2021 - unbezeichnet in der Anlagenmappe der Klagepartei). Dem jetzigen Rechtsschutzbegehren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
3
Der Kläger kaufte am 11.01.2017 beim Gebrauchtwagenszentrum der BMW Niederlassung in M. einen BMW X3 (Kaufvertrag/Rechnung und Zulassungsbescheinigung Teil 1, Anlagen K4 und K5). Mit Schreiben vom 12.03.2020 lehnte die Beklagte das Rechtsschutzbegehren des Klägers für eine Klage gegen BMW ab (Anlage K2, Anlage A1). Den daraufhin von den Klägervertretern angefertigten Stichentscheid mit Datum vom 13.07.2020 (Anlage K3) wies die Beklagte mit Schreiben vom 19.02.2021 zurück. Zwischenzeitlich war noch ein Ombudsmann zur Regelung der Angelegenheit eingeschaltet (Anlage A 3). Eine von diesem vorgeschlagene vergleichsweise Einigung kam nicht zustande.
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Der Kläger behauptet, dass der in seinem BMW verbaute Motor mit der Kennung N 57 mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet sei, die Prüfungssituationen erkenne. Er enthalte nämlich ein sogenanntes Thermofenster, das nur im Bereich zwischen 20 °C und 30 °C zu 100% arbeite. Der Kläger ist der Meinung, dass es sich nach der EuGH Rechtsprechung daher um ein unzulässiges Thermofenster handele, weil es unter realen Bedingungen deutlich häufiger mit „schmutzigem“ als mit „sauberem“ Modus unterwegs sei. Dies ergäbe sich aus zahlreichen Studien bezüglich dieses Motors, aber auch bezüglich anderer Motoren der Firma BMW. Wegen der diesbezüglichen Ausführungen wird insbesondere auf die Klageschrift Bezug genommen. Der Kläger habe mithin einen Schadensersatzanspruch wegen Eingehen eines nicht gewollten Vertrags. Es läge eine arglistige Täuschung vor. Der Kläger ist der Meinung, dass die Beklagte den Deckungsschutz nicht wegen mangelnder Erfolgsaussichten ablehnen dürfe. Denn der Erfolg der Hauptsacheklage hänge auch von einer Beweisaufnahme ab. Dies ergebe sich aus zahlreichen Beweisbeschlüssen, die in der Klageschrift dargestellt werden. Die entsprechende Programmierung der Software deute darauf hin, dass die Motorsteuerung auf die Bedingung des Prüfmodus zugeschnitten sein könnte. Dies müsse dem Handelnden bewusst gewesen sein und daraus ergebe sich die Sittenwidrigkeit. In einem Hauptsacheprozess wäre es Sache des Prozessgegners im Rahmen einer sekundären Darlegungslast darzustellen, dass Verantwortliche des Unternehmens dies nicht gewusst haben und entsprechende Mitarbeiter sorgfältig ausgewählt und überwacht habe (insbesondere Schriftsatz vom 28.10.2021). Die beabsichtigte Klage habe mithin hinreichende Aussicht auf Erfolg.
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte aus dem Versicherungsvertrag Nr. im Zusammenhang mit der Schadensnummer ... verpflichtet ist, die Kosten der außergerichtlichen und erstinstanzlichen Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der Klagepartei gegen die BMW AG aus dem Kauf eines BMW X3 (FIN ...) und der unterstellten Manipulation der Abgassteuerung dieses Fahrzeugs zu tragen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den Kosten des im Zusammenhang mit der Schadensnummer ... gefertigten außergerichtlichen Anschreibens der KAP Rechtsanwaltsgesellschaft mbH vom 13.07.2020 in Höhe von Euro 973,66 freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, dass das Schreiben der Klägervertreter vom 13.07.2020 nicht die Voraussetzungen und Mindestanforderungen an einen Stichentscheid erfülle. Das Schreiben setzte sich nämlich nicht mit den Argumenten der Beklagten im Ablehnungsschreiben vom 07.04.2020 auseinander. Aus den vorgelegten Studien ergebe sich keine konkrete Betroffenheit des Fahrzeugs des Klägers. Es handele sich mithin um einen Vortrag ins Blaue hinein. Im Übrigen fehle auch einen Vortrag zum Vorsatz des Herstellers. Ansprüche gegen den Hersteller wegen der Verwendung eines Thermofenster seien inzwischen durch Urteil des BGH vom 19.01.2021 (AZ: IV ZR 433/19) abschlägig beschieden worden.
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Wegen der übrigen Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen und den Hinweis des Gerichts in der Verfügung vom 20.09.2021 Bezug genommen. Die Parteien erklärten ihr Einverständnis mit schriftlichem Verfahren. Bei der Entscheidung wurden Schriftsätze berücksichtigt, die bis zum 02.12.2021 bei Gericht eingingen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist nicht begründet. Der Stichentscheid der Klägervertreter vom 13.07.2020 ist für die Beklagte nicht verbindlich. Im Übrigen bestehen nach der derzeitigen Rechtslage auch keine hinreichenden Erfolgsaussichten für die in Aussicht genommene Klage.
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1. Gemäß § 3 Abs. 2 Axilia ARB/2016 ist der Stichentscheid nicht verbindlich, wenn er offenbar von der wirklichen Sach- und Rechtslage erheblich abweicht.
11
Dies erfordert, dass sich der Stichentscheid im Rahmen der rechtlichen Würdigung auch mit etwaigen Gegenargumenten auseinandersetzt und insbesondere erkennen lässt, in welchen Punkten der Anwalt die Ansicht des Versicherers für unrichtig hält. Dabei hängt der erforderliche Umfang von der Komplexität des Streitstoffs, von den schon bisher in der Korrespondenz mit dem Versicherer ausgetauschten Argumenten und dem Stadium ab, in dem sich die Interessenwahrnehmung gerade befindet (Prölss-Martin, ARB 2010, § 3a Rn. 35 mit weiteren Nachweisen).
12
a) Aus dem Schreiben der Beklagten vom 12.03.2020 ist ersichtlich, dass die Beklagte hier deshalb u.a. von mangelnder Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage ausging, weil die Verwendung des Thermofensters keinen Rechtsverstoß begründe. Zudem fehle es an einem Vorsatz des Herstellers, nachdem grundsätzlich Thermofenster nach den entsprechenden Verordnungen der EG erlaubt seien.
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b) Mit dem ersten Argument setzt sich der Stichentscheid vom 13.07.2020 ausführlich auseinander. Es wird unter Bezugnahme auf Messwerte und Beweisbeschlüsse dargelegt, dass es darauf ankäme, ob das entsprechende Emissionskontrollsystem „notwendig“ sei, um den Motor vor einer Beschädigung oder Unfall zu schützen. Im Übrigen gebe es hinreichende Anhaltspunkte, dass der Motor im Fahrzeug des Klägers auch mit einem derartigen Thermofenster ausgestattet sei. Dies sei von einem Sachverständigen zu prüfen.
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c) Zum zweiten Argument verhält sich der Stichentscheid jedoch nicht. Es wird einfach unterstellt, dass sich aus der Verwendung eines derartig konfigurierten Thermofensters ein Anspruch aus arglistiger Täuschung ergäbe. Es gehört jedoch zu einem schlüssigen Vortrag, auch die subjektive Seite, also den Vorsatz zur arglistigen Täuschung bei einem verantwortlichen Mitglied des Prozessgegners (Vorstand oder Repräsentant) darzulegen und unter Beweis zu stellen.
15
Damit ist der Stichentscheid nicht verbindlich.
16
2. Im Übrigen hat die beabsichtigte Klage nach der jetzigen Rechtslage keine Aussicht auf Erfolg.
17
a) Mit Beschluss vom 19.01.2021, AZ: VI ZR 433/19 hat der BGH festgestellt, dass seine Rechtsprechung zum „Dieselskandal“ nicht auf die Fälle übertragbar ist, bei denen es um die Verwendung eines möglicherweise gesetzwidrig programmierten Thermofensters geht. Die Abschalteinrichtung, um die es im „Dieselskandal“ geht, ist eine Motorsteuerungssoftware, die einzig und allein zu dem Zweck in das Fahrzeug eingebaut wurde, um den Prüfmodus zu erkennen. Sie funktioniert nur im Prüfmodus, nicht aber im realen Fahrbetrieb. Es handelte sich um eine evident strategische Frage der verantwortlichen Personen beim Fahrzeughersteller, mit welchen Maßnahmen sie auf die Einführung der - im Verhältnis zu dem zuvor geltenden Recht strengeren - Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm reagierten, die im eigenen Kosten- und Gewinninteresse dahin gehend entschieden wurde, von der Einhaltung dieser Grenzwerte im realen Fahrbetrieb vollständig abzusehen und dem KBA stattdessen zwecks Erlangung der Typgenehmigung mittels einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Motorsteuerungssoftware wahrheitswidrig vorzuspiegeln, dass die von ihm hergestellten Dieselfahrzeuge die neu festgelegten Grenzwerte einhalten. Daraus ergab sich ein hinreichender Anschein dahingehend, dass die Verantwortlichen der Firma dies gewusst hatten. Hingegen ist die Verwendung von „Thermofenstern“ grundsätzlich nicht unzulässig und in gewissem Umfang notwendig, um bei sehr hohen oder niedrigen Temperaturen den Motor zu schützen. Damit ist der Einbau eines Thermofensters grundsätzlich auch nicht arglistig. Bei dieser Sachlage ist der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nur gerechtfertigt, wenn zu dem behaupteten Verstoß gegen die entsprechende Bestimmung der EG weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für BMW handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließe. Dies setzt voraus, dass die Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist nach dem oben genannten Beschluss des BGH bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Die Beweislast trägt der Anspruchsteller. Damit kann sich der Anspruchsteller auch zur Frage des Vorsatzes nach Beschluss des BGH jedenfalls nicht mehr auf eine sekundäre Darlegungslast des Prozessgegners berufen. Damit müssen mindestens gravierende Indizien dafür vorgetragen werden, dass gerade auch die Repräsentanten der Firma davon gewusst und gewollt haben, dass das Thermofenster ebenfalls aus Gewinnstreben heraus die fehlende Einhaltung der Grenzwerte verschleiert. Sonst besteht auch keine sekundäre Darlegungslast des Prozessgegners. Dazu hat die Klagepartei auch in ihrem letzten Schriftsatz nichts vorgetragen.
18
b) Damit ist der Vortrag der Klagepartei nicht schlüssig und nicht substantiiert. Unter diesen Voraussetzungen würde ihr für die entsprechende Klage auch keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden (Zöller, 33. Aufl., § 114 ZPO, Rn. 26, 29, 24).
19
Damit hat die beabsichtigte Klage keine Aussicht auf Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Deckung gegen die Beklagte.
20
Die Klage ist abzuweisen, was sich auch auf die Nebenforderungen bezüglich der Kosten des nicht verbindlichen Stichentscheids bezieht.
21
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
22
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gemäß § 709 ZPO.
23
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 48 GKG, § 3 ZPO.