Titel:
Berufung, Sittenwidrigkeit, Fahrzeug, Geschwindigkeit, Gutachten, Kommission, Auslegung, Form, Arglist, Beweisaufnahme, Emissionen, Offenlegung, Umfang, sittenwidrig, konkrete Anhaltspunkte, Rechtsprechung des BGH, billigend in Kauf
Schlagworte:
Berufung, Sittenwidrigkeit, Fahrzeug, Geschwindigkeit, Gutachten, Kommission, Auslegung, Form, Arglist, Beweisaufnahme, Emissionen, Offenlegung, Umfang, sittenwidrig, konkrete Anhaltspunkte, Rechtsprechung des BGH, billigend in Kauf
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 03.03.2021 – 8 U 7321/19
LG Passau vom -- – 4 O 344/19
LG Passau, Endurteil vom 29.11.2019 – 4 O 344/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 20.04.2022 – VII ZR 456/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 53492
Tenor
I. Die Berufung der Klagepartei gegen das Endurteil des Landgerichts Passau vom 29.11.2019, Az. 4 O 344/19, wird zurückgewiesen.
II. Die Klagepartei trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 65.000.- Euro festgesetzt.
Tatbestand
Tatsächliche Feststellungen:
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Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Abgas-Skandal geltend. Sie erwarb am 09.12.2015 bei der Beklagten einen von dieser hergestellten Pkw Mercedes Benz GLC 220d 4MATIC zu einem Kaufpreis von 63.147,35 Euro als Neuwagen. Im Fahrzeug ist ein von der Beklagten entwickelter und hergestellter Motor OM 651 verbaut.
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Die Klagepartei wurde mit Hinweisbeschluss des Senats vom 03.03.2021 darauf hingewiesen, dass und warum der Senat beabsichtigt, ihre Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen. Hierzu hat sie mit Schriftsatz vom 01.04.2021 umfänglich Stellung genommen.
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Bezüglich der näheren Einzelheiten wird auf den Inhalt des angegriffenen Urteils, die Ausführungen im Hinweisbeschluss des Senats vom 03.03.2021 sowie auf die Schriftsätze der Parteien im Berufungsverfahren Bezug verwiesen.
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1. Die Berufung der Klagepartei ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO im Beschlussweg als unbegründet zurückzuweisen, da der Senat einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
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Der Senat hält das Urteil des Landgerichts zumindest im Ergebnis für offensichtlich zutreffend. Er nimmt Bezug auf dieses Urteil. Bezug genommen wird ferner auf die Hinweise des Senats vom 03.03.2021, wonach er die Berufung i.S.v. § 522 Abs. 2 ZPO für unbegründet hält.
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Der weitere Schriftsatz der Klagepartei vom 01.04.2021 ergab keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung. Soweit die Klagepartei in diesem Schriftsatz nunmehr im Berufungsverfahren noch umfangreich neu vorträgt, ist vorauszuschicken, dass die der Klagepartei eingeräumte Frist zur Stellungnahme gemäß § 522 II 2 ZPO nicht etwa eine Art „zweite Berufungsbegründung“ ermöglicht. Soweit in dem weiteren Schriftsatz im Berufungsverfahren neue Angriffs- und Verteidigungsmittel enthalten sind, sind diese deshalb gemäß §§ 530, 296 I ZPO zwingend zurückzuweisen (vgl. z.B. Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl. 2015, § 530 Rnr. 4; Rimmelspacher in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Auflage 2012, § 522 Rnr. 28). Darauf hatte der Senat als nobile officium auch bereits in seinen Allgemeinen Verfahrenshinweisen ausdrücklich aufmerksam gemacht. Auch entspricht das dortige Vorbringen nicht den Anordnungen gem. § 139 I 3 ZPO in II. des Hinweises vom 03.03.2021 und ist auch deshalb präkludiert (vgl. BT-Drs 19/13828 S. 31). Auch das verspätete Vorbringen hätte aber keine andere Entscheidung gerechtfertigt:
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a) Der Kläger trägt nunmehr erstmals und verspätet vor, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer sog. Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung vorliege. Dieses Vorbringen erfolgt pauschal und ohne konkrete Anhaltspunkte für das Vorhandensein im klägerischen Fahrzeug und vermag zu keinem abweichenden Ergebnis führen.
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(1) Soweit nunmehr das Vorliegen einer Kühlmittel-Solltemperartur-Regelung und damit offenbar einer sog. Umschaltlogik mit Verweis auf ein aktuelles Daimler Diesel-Gutachten, welches auf Veranlassung des LG Stuttgart erstellt worden ist, behauptet werden soll, so datiert dieses Gutachten bereits vom 12.11.2020 und ist dieser verspätete Vortrag aus dargelegten Gründen ohnehin nicht mehr berücksichtigungsfähig.
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(a) Im Übrigen ist dem Gutachten nicht zu entnehmen, wie seitens der Klagepartei ausgeführt, dass die dort beschriebene Programmierung für alle Euro 5 und Euro 6 Fahrzeuge der Beklagten und sämtliche der darin verbauten Motortypen festgestellt worden wäre.
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Begutachtet wurde dort ein Fahrzeugmodell MB E 250 bei einer Erstzulassung am 27.06.2013. Dem Sachverständigen ist es nicht gelungen, eine A2L- oder winOLS-Datei für das dortige Fahrzeugmodell MB E 250 zu beschaffen. Er hat stattdessen die Kennfeldbeschreibungen aus den Dateien ähnlicher Fahrzeugmodelle mit gleichem Motor und Baujahr transferiert. In der A2L-Datei wird - wie von ihm weiter ausgeführt - ein Solltemperaturkennfeld beschrieben, das sich auch bei mehreren Modellen der gleichen Motorreihe und der Schadstoffklasse Euro 5 finden lässt, so zum Beispiel bei einem Modell C 200 und einem E 280.
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Die Aussagen des Sachverständigen beziehen sich damit auf einen bestimmten Motor, ohne dass ersichtlich wäre, dass es sich dabei um den Dieselmotor OM651 in seiner hier streitgegenständlichen Variante handeln würde oder dies seitens der Berufung auch nur konkret behauptet worden wäre.
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Hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer oder mehrerer unzulässiger Abschalteinrichtungen im streitgegenständlichen Fahrzeug sind damit auch dem diesbezüglichen Vortrag der Klagepartei nicht zu entnehmen. Es geht nämlich nicht an, sämtliche Motoren einer Motorenfamilie/einer Baureihe ohne Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen technischen Merkmale und ohne Berücksichtigung der möglicherweise äußerst unterschiedlichen technischen Rahmenbedingungen dem Generalverdacht einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu unterwerfen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Hinweisbeschluss (dort S.8ff.) wird ergänzend verwiesen.
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(b) Außerdem wurde auch in diesem Sachverständigengutachten keine Prüfstandserkennungsfunktion i.S.d. Rspr. des BGH festgestellt:
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(aa) Die Applikation einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ist nämlich gerade nicht mit der Verwendung der Prüfstandserkennungssoftware zu vergleichen, die VW im Motor EA189 zunächst zum Einsatz gebracht hatte. Während letztere, wie unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielte und einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleichsteht, ist der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht von vornherein durch Arglist geprägt. Denn eine solche Funktion führt gerade nicht dazu, dass bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und der Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert wird, sondern sie arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand) entspricht die Rate der Abgasrückführung danach im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, Rz. 27, zum Software-Update für den VW-Motor EA189).
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Eine an den Bedingungen des Prüfstands orientierte Ausgestaltung eines Thermofensters - sog „Prüfstandsoptimierung“ - auf die im Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand) - ist danach also jedenfalls nicht per se sittenwidrig. Selbst wenn sie verwaltungsrechtlich unzulässig wäre, würde sie für sich genommen somit nicht ausreichen, um das Verdikt der Sittenwidrigkeit zu begründen.
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(bb) Nichts anders hat der Sachverständige des LG Stuttgart hier festgestellt, wenn er meint, die Motorsteuerung erkenne die mit dem Prüfstandbetrieb einhergehende geringe Drehzahl und den geringen Luftmassenstrom, also die niedrige benötigte
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Motorleistung. Sie regele dann die Kühlmittelsolltemperatur auf 70 Grad Celsius anstatt der sonst eingestellten Solltemperatur von 100 Grad Celsius. Außerdem werde die Kühlerjalousie, die im normalen Fahrbetrieb meistens geschlossen sei, bei hoher Motorlast und damit einhergehender erhöhter Wärmeproduktion geöffnet.
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Das Alles würde nichts daran ändern, dass diese Funktionen in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise arbeiten würden. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand) entspräche die Rate der Abgasrückführung danach im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, Rz. 27, zum SoftwareUpdate für den VW-Motor EA189).
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(cc) In diesem Sinne hat das nach Beweisaufnahme z.B. auch das OLG Stuttgart (Urteil vom 11.12.2020 - 3 U 101/18, Rz. 63 zum Motor OM651) beurteilt:
„Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats nach § 286 ZPO fest, dass die vom Kläger behaupteten Programmierungen, wonach anhand der Geschwindigkeiten und Beschleunigungswerte erkannt werde, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im realen Betrieb befände, so dass das Fahrzeug häufig im „unsauberen“ Modus sei, während auf dem Prüfstand in den „sauberen“ Modus geschaltet werde (Funktion Slipguard), und die Abschaltung der Abgasreinigung nach 26 Kilometern (Funktion Bit 15) erfolge, nicht vorliegen. Gleiches gilt für die vorgebrachte Regelung der Kühlmittelsolltemperatur, zu der der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung eingehend befragt wurde. Der Sachverständige konnte keine wie auch immer geartete Prüfstanderkennung feststellen, die in Bezug auf den NOxAusstoß zu bewusst herbeigeführten Unterschieden zwischen dem Rollenprüfstand und dem Straßenbetrieb führt“.
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Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass in dem streitgegenständliche Motor OM 651 eine - wie auch immer geartete - Prüfstandserkennungsfunktion vorhanden wäre, die in Bezug auf den NOx-Ausstoß zu bewusst von der Beklagten herbeigeführten Unterschieden zwischen dem Rollenprüfstand und dem Straßenbetrieb führen würde, hat die Klagepartei somit auch verspätet nicht vorgebracht.
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(2) Soweit im Schriftsatz in diesem Zusammenhang aus einem Urteil des OLG Naumburg vom 18.09.20 zitiert wird, vermag das Zitieren oder Zusammenfassen eines anderen Urteils einen konkreten Tatsachenvortrag wohl bereits nicht zu ersetzen. Auch dieser verspätete Auszug enthält aber keine konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Prüfstandserkennungssoftware im streitgegenständlichen Fahrzeug, sondern allenfalls die rechtliche Einschätzung des dortigen Oberlandesgerichts. Auf die obigen Ausführungen wird insoweit verwiesen. Ein konkreter Vortrag zu einer Prüfstandserkennungssoftware oder zu weiteren Umständen, die bezüglich des streitgegenständlichen Fahrzeugs das Verhalten der Beklagten als verwerflich erscheinen lassen, lässt sich dem Vorbringen jedenfalls nicht entnehmen.
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b) Das Vorliegen eines sog. Thermofensters als solches genügt aber nach der Rechtsprechung des BGH für eine Verwerflichkeit des Handelns noch nicht, insoweit wird auf den Hinweis vom 03.03.21 verwiesen. Für eine Annahme derartiger erforderlicher weiterer Umstände i.S.d. Rechtsprechung fehlt es aber weiterhin an greifbaren Anhaltspunkten. Soweit nunmehr verspätet vorgebracht wird, dass eine Offenlegung der Abschalteinrichtung in ihrer konkreten Ausgestaltung (S. 11) und eine Offenlegung der konkreten Bedatung des Thermofensters (S. 12) gegenüber der Genehmigungsbehörde nicht erfolgt sei, ist dies als Pauschalbehauptung „ins Blaue“ nicht zielführend.
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(1) Schon dass weitere Angaben der Beklagten verwaltungsrechtlich erforderlich gewesen wären, ist bisher nicht ersichtlich:
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Gem. Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 (TypgenehmigungsVO, Umfang in Juris 139 Druckseiten) weist der Hersteller für die EG-Typgenehmigung eines Fahrzeugs hinsichtlich der Emissionen nach, dass die Fahrzeuge den Prüfanforderungen entsprechen, die in den Anhängen III bis VIII, X bis XII, XIV und XVI dieser Verordnung genannt sind, wobei die Fahrzeuge gem. Abs. 2 gemäß Anhang I Abbildung I.2.4 geprüft werden. Gemäß Art. 3 Abs. 9 VO gilt die Prüfung Typ 6 zur Messung der Emissionen bei niedrigen Temperaturen gemäß Anhang VIII aber nicht für Dieselfahrzeuge. Bei der Beantragung einer Typgenehmigung belegen die Hersteller der Genehmigungsbehörde jedoch, dass die NOxNachbehandlungseinrichtung nach einem Kaltstart bei -7 C innerhalb von 400 Sekunden eine für das ordnungsgemäße Arbeiten ausreichend hohe Temperatur erreicht, wie in der Prüfung Typ 6 beschrieben. Darüber hinaus macht der Hersteller der Genehmigungsbehörde Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems (AGR), einschließlich ihres Funktionierens bei niedrigen Temperaturen.
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Angesichts dieser hochkomplexen und hochtechnischen Materie müsste für einen schlüssigen Vortrag zu angeblich falschen oder unvollständigen Angaben eines Herstellers im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens sehr konkret im Einzelnen ausgehend von der VO dargestellt werden, welche der äußerst zahlreichen und komplexen erforderlichen Angaben aus welchem Grund unzutreffend oder unvollständig gewesen sein sollen.
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So ergibt sich z.B. aus dem Erfordernis von „Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems (AGR), einschließlich ihres Funktionierens bei niedrigen Temperaturen“ zwar bei wörtlicher Auslegung wohl noch hinreichend klar, dass das Vorhandensein eines sog. „Thermofenster“ der Genehmigungsbehörde als solches wohl grundsätzlich offenzulegen war; daraus ergibt sich jedoch nicht ohne Weiteres, dass hierzu ganz konkrete Temperaturbereiche des „Thermofensters“ anzugeben gewesen wären. Die Klagepartei trägt indessen nicht vor, was konkret warum von der Beklagten weiter anzugeben gewesen wäre, sondern rügt lediglich pauschal einen Verstoß des Art. 3 Nr. 9 VO (EG) 692/2008 (Schriftsatz vom 6.4.21, S. 4). Schon gar nicht ergibt sich daraus eine Verpflichtung, eine vorherige Klarstellung oder Überprüfung bei der Komission einzuholen, wie die Berufung nunmehr (Schriftsatz vom 6.4.21, S.. 8 f.) meint.
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(2) Selbst wenn die Beklagte gleichwohl verwaltungsrechtlich „weitere Angaben“ des Abgasrückführungssystems hätte offenbaren müssen, ginge es zivilrechtlich nicht an, dies ohne weiteres mit konkreten Falschangaben gleichzusetzen:
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Zivilrechtlich kommt eine „arglistige Täuschung durch Verschweigen“ nämlich nur in Betracht, wenn hinsichtlich der verschwiegenen Tatsachen eine Aufklärungspflicht besteht. Dabei besteht aber zivilrechtlich keine Pflicht, alle Umstände zu offenbaren, die für die Entschließung des anderen Teils von Bedeutung sein können. Grundsätzlich ist es nämlich Sache jeder Partei, ihre Interessen selbst wahrzunehmen. Ungünstige Eigenschaften des Vertragsgegenstands brauchen daher grundsätzlich nicht ungefragt offen gelegt zu werden. Für Arglist muss der Handelnde außerdem die Unvollständigkeit seiner Angaben und seine Rechtspflicht zur Aufklärung kennen oder zumindest billigend in Kauf nehmen (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 78. A. 2019, § 123 Rz. 4 und 11 mwN).
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Selbst wenn die Angaben der Beklagten tatsächlich unvollständig gewesen sein sollten, wäre dies demnach noch kein konkreter Anhaltspunkt für deren Bewusstsein, eine unzulässige Abschalteinrichtung bei Verheimlichung dieses Umstands zu verwenden bzw. verwendet zu haben. Es wäre ggf. Sache des KBA gewesen wäre, vermeintlich unvollständige Angaben im Typgenehmigungsverfahren zu monieren, was offensichtlich nicht geschehen ist. Denn das KBA hat zunächst zu prüfen, ob die Antragsunterlagen im Hinblick auf die gesetzlichen Vorgaben vollständig sind. Fehlt es daran, hat es den Antragsteller aufzufordern, die Antragsunterlagen zu ergänzen. Kommt der Antragsteller dem nicht nach, lehnt die Behörde den Antrag ab (Führ, NVwZ 2017, 265 [269]).
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Selbst wenn die Beklagte verwaltungsrechtlich zu weiteren Angaben im Typgenehmigungsverfahren verpflichtet gewesen wäre, spräche angesichts der Untätigkeit des KBA daher nichts dafür, dass die Beklagte diese - unterstellte - Unvollständigkeit ihrer Angaben im Typgenehmigungsverfahren und ihre - unterstellte - Rechtspflicht zur weiteren Aufklärung gekannt hätte oder zumindest billigend in Kauf genommen hätte, m.a.W. dass sie im Typgenehmigungsverfahren irgendetwas vorsätzlich „verschleiert“ hätte i.S.d. Rspr. des BGH (aaO Rz. 24). Anders als bei einer Prüfstandserkennungssoftware mit Umschaltlogik, wie sie im VW Moter EA189 enthalten war, könnte aus dem - unterstellten - Fehlen derartiger ergänzender Angaben nach Auffassung des Senats angesichts dieser Gesamtumstände nicht darauf geschlossen werden, dass die Beklagte damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abgezielt oder dies auch nur billigend in Kauf genommen hätte.
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c) Zur Verjährung etwaiger Gewährleistungsansprüche hat der Senat im Hinweis ausführlich dargelegt, dass und warum die Klageseite hier ein arglistiges Verschweigen einer etwaigen Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs durch die Beklagte nicht nachgewiesen hat.
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d) Soweit der Kläger weitere Ausführungen dazu macht, dass die Verordnung 715/2007/EG ein Schutzgesetz darstelle, hat der BGH zwischenzeitlich entschieden, dass die Bestimmungen der Verordnung keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB darstellen, wie bereits im Hinweisbeschluss vom 03.03.21 ausgeführt (dort S. 5). Weitere Ausführungen hierzu sind daher nicht veranlasst.
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2. Anlass zur Zulassung der Revision besteht nicht. Die Rechtslage ist spätestens durch den Beschluss des BGH vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, hinreichend geklärt. Die klägerseits angesprochenen OLG-Entscheidungen stammen sämtlich aus der Zeit vorher. Außerdem würden selbst - bisher allerdings nicht ersichtliche - unterschiedliche tatrichterliche Auslegungen nicht zwangsläufig zu einer Divergenz im Sinne des Revisionsrechts führen. Gelangt ein Berufungsgericht im Einzelfall trotz identischen Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis als ein anderes gleich- oder höherrangiges Gericht, so begründet dies für sich allein nicht die Notwendigkeit der Revisionszulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Es kommt vielmehr darauf an, ob eine Divergenz in Rechtsfragen oder ein Rechtsfehler mit symptomatischer Bedeutung vorliegt (BGH, Beschluss vom 16.09.2003 - XI ZR 238/02). Beides ist hier nach Einschätzung des Senats nicht ersichtlich.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.