Titel:
Keine Außervollzugsetzung der inzidenzabhängigen Schließung von Textileinzelhandelsbetrieben
Normenketten:
GG Art. 2 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4
IfSG § 28, § 28a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 6, § 32
VwGO § 47 Abs. 6
12. BayIfSMV § 12
Leitsätze:
1. Eine Infektionsschutzverordnung, die Betriebsschließungen von der Höhe regionaler Inzidenzwerte abhängig macht, wirkt sich lediglich reflexartig auf nachteilig betroffene Unternehmen aus. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach der Höhe der Inzidenzwerte abgestufte Schutzmaßnahmen entsprechen dem Gebot der Verhältnismäßigkeit. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Angesichts des diffusen Infektionsgeschehens sind gegenüber der Schließung von Einzelhandelsbetrieben mildere und gleich wirksame Schutzmaßnahmen nicht offensichtlich. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ob die infektionsschutzrechtlichen Differenzierungen zwischen verschiedenen Betrieben des Einzelhandels und verschiedenen Dienstleistungsunternehmen dem Gleichheitssatz entsprechen, ist zweifelhaft. (Rn. 25 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona, Pandemie, Textileinzelhandel, Betriebsschließung, Inzidenz, Verhältnismäßigkeit, Folgenabwägung, Gleichbehandlung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 5348
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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1. Die Antragstellerin, die in Bayern ein Textileinzelhandelsgeschäft mit rund 400 Arbeitnehmern betreibt, begehrt mit ihrem Eilantrag die vorläufige Außervollzugsetzung des § 12 Abs. 1 Satz 1 und 7 der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 5. März 2020 (12. BayIfSMV; BayMBl. 2021 Nr. 171).
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2. Der Antragsgegner hat durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die o.g. Verordnung erlassen, die mit Ablauf des 28. März 2021 außer Kraft tritt (§ 30 12. BayIfSMV) und auszugsweise folgenden Wortlaut hat:
„§ 12 Handels- und Dienstleistungsbetriebe, Märkte
(1) 1In Landkreisen und kreisfreien Städten, in denen eine 7-Tage-Inzidenz von 100 überschritten wird, ist die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr für Handels-, Dienstleistungs- und Handwerksbetriebe untersagt. 2Ausgenommen sind der Lebensmittelhandel inklusive Direktvermarktung, Lieferdienste, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Kfz-Werkstätten, Fahrradwerkstätten, Banken und Sparkassen, Pfandleihäuser, Filialen des Brief- und Versandhandels, Reinigungen und Waschsalons, Blumenfachgeschäfte, Gartenmärkte, Gärtnereien, Baumschulen, Baumärkte, der Verkauf von Presseartikeln, Versicherungsbüros, Buchhandlungen, Tierbedarf und Futtermittel und sonstige für die tägliche Versorgung unverzichtbare Ladengeschäfte sowie der Großhandel. 3Der Verkauf von Waren, die über das übliche Sortiment des jeweiligen Geschäfts hinausgehen, ist untersagt. … 7In Landkreisen und kreisfreien Städten, in denen die 7-Tage-Inzidenz zwischen 50 und 100 liegt, ist zusätzlich die Öffnung von Ladengeschäften für einzelne Kunden nach vorheriger Terminbuchung für einen fest begrenzten Zeitraum zulässig; hierfür gilt Satz 4 Nr. 1 bis 4 mit der Maßgabe, dass die Zahl der gleichzeitig im Ladengeschäft anwesenden Kunden nicht höher ist als ein Kunde je 40 m2 der Verkaufsfläche; der Betreiber hat die Kontaktdaten der Kunden nach Maßgabe von § 2 zu erheben.“
3
3. Zur Begründung ihres am 24. Februar 2021 eingegangenen Eilantrags, der mit Schriftsatz vom 8. März 2021 auf die 12. BayIfSMV umgestellt wurde, legt sie dar, durch die Betriebsschließung ab 16. März 2020 einen Umsatzeinbruch von 43% erlitten zu haben. Zwar habe sie im Geschäftsjahr 2020 noch ein positives Betriebsergebnis erzielen können; dieses liege aber um fast 90% niedriger als im Vorjahr. Auch im Schließungszeitraum ab 16. Dezember 2020 habe sie alle ihre Möglichkeiten genutzt, über Fernabsatzgeschäfte Umsätze zu erzielen; diese hätten jedoch zwischen 73% und 87% unter den bisherigen Umsätzen gelegen. Allein für Januar 2021 habe sie einen Verlust von fast einer dreiviertel Million Euro zu verzeichnen. Echte, nicht rückzahlbare staatliche Zuschüsse seien nicht geflossen. Anträge auf Entschädigungsleistungen nach § 56 IfSG würden erfahrungsgemäß abschlägig verbeschieden.
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Die angegriffene Vorschrift beruhe auf einer unzureichenden Ermächtigungsgrundlage. § 28a IfSG enthalte lediglich eine Aufzählung bisheriger Regelungen der Verordnungen der Bundesländer. Die Antragstellerin teile die Rechtsprechung des Senats im Beschluss vom 8. Dezember 2020 (Az. 20 NE 20.2461) nicht. Zumindest in ihrer Anwendung fehle es an der gesetzlichen Präzisierung im Hinblick auf Dauer, Reichweite und Intensität möglicher Maßnahmen im Sinne von Art. 80 Abs. 1 und 2 GG. Erforderlich wäre eine echte ortsspezifische Regelung. Zudem fehle ein „Ausstiegsszenario“. Das alleinige Abstellen auf Inzidenzwerte sei mangels Aussagekraft rechtswidrig; dies gelte besonders im Hinblick auf die zunehmende Verfügbarkeit von Schnell- und Selbsttests. Die Ermächtigungsgrundlage sei mangels gesetzlicher Entschädigungsgrundlage unverhältnismäßig. Die Öffnung von Friseuren, Gärtnereien, Gartenmärkten, Blumen- und Baumärkten sei willkürlich. Die für letztere angeführte Verderblichkeit der Waren sei „an den Haaren herangezogen“. Im Übrigen bewerte der Gesetzgeber bei der Überbrückungshilfe III Textilwaren ebenfalls als „verderbliche Ware“. Die Infektionsgefahr im Einzelhandel sei nachgewiesen unterdurchschnittlich. Zudem verfüge die Antragstellerin über ein umfassendes Schutz- und Hygienekonzept.
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Von der Ausnahme in § 12 Abs. 1 Satz 7 12. BayIfSMV, wonach in Landkreisen und kreisfreien Städten, in denen die 7-Tage-Inzidenz zwischen 50 und 100 liegt, zusätzlich die Öffnung von Ladengeschäften für einzelne Kunden nach vorheriger Terminbuchung für einen fest begrenzten Zeitraum zulässig ist, sei die Antragstellerin nicht begünstigt (Landkreis Freyung-Grafenau). Der Zusatz „sonstige für die tägliche Versorgung unverzichtbare Ladengeschäfte“ sei nur eine leere Floskel, wie die ausdrückliche Ergänzung der Versicherungsbüros in der vorstehenden Aufzählung belege.
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4. Der Antragsgegner tritt dem Eilantrag entgegen und beantragt dessen Ablehnung.
7
5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
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Der nur zum Teil zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
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A. Der Antrag ist unzulässig, soweit er die vorläufige Außervollzugsetzung der Bestimmung in § 12 Abs. 1 Satz 7 12. BayIfSMV begehrt. Soweit die Regelung mögliche Konkurrenten in Landkreisen mit einer 7-Tage-Inzidenz zwischen 50 und 100 im Wettbewerb um Kunden begünstigt, betrifft sie die Antragstellerin nur als Rechtsreflex. Eine echte Konkurrenzlage in dem Sinn, dass die Öffnung der Ladengeschäfte gleichzeitig unmittelbar rechtlich und nicht nur tatsächlich, also reflexartig, in ihre Position als Betreiberin eines Textileinzelhandelsgeschäfts eingreift, liegt nicht vor (vgl. BayVGH, B.v. 14.7.2020 - 20 NE 20.1572 - juris Rn. 18 m.w.N.). Auch Art. 19 Abs. 4 GG erfordert es nicht, der Antragstellerin insoweit eine Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO zuzubilligen. Die sachliche Rechtfertigung der Besserstellung von Ladengeschäften in Landkreisen mit niedrigerer Inzidenz unterliegt der gerichtlichen Überprüfung im Rahmen der Vereinbarkeit der Betriebsschließung in § 12 Abs. 1 Satz 1 12. BayIfSMV mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.
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B. Hinsichtlich § 12 Abs. 1 Satz 1 12. BayIfSMV ist der Antrag zulässig, aber unbegründet. Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor. Die Erfolgsaussichten des hiergegen gerichteten Normenkontrollantrags in der Hauptsache sind unter Anwendung des Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (1.) bei der nur möglichen summarischen Prüfung als offen anzusehen (2.). Eine Folgenabwägung geht zulasten der Antragstellerin aus (3.).
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1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen oder noch zu erhebenden Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 - juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 - 4 B 480/19.NE - NVwZ-RR 2019, 993 - juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann.
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Ergibt die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ juris Rn. 12).
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Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 - 4 VR 5.14 u.a. - juris Rn. 12; Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 395; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 106).
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2. Nach diesen Maßstäben geht der Senat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bei der nur möglichen, aber ausreichenden summarischen Prüfung davon aus, dass die Erfolgsaussichten der Hauptsache offen sind.
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a) Der Senat geht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren davon aus, dass die angegriffene Maßnahme nach § 12 Abs. 1 Satz 1 12. BayIfSMV mit § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage hat (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2020 - 20 NE 20.2461 - juris Rn. 22 ff.).
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Soweit die Antragstellerin eine gesetzliche Präzisierung im Hinblick auf Dauer, Reichweite und Intensität vermisst, ist zu bedenken, dass § 28a IfSG nur für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag gilt. Abgesehen davon legt § 28 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz IfSG allgemein fest, dass notwendige Schutzmaßnahmen zu treffen sind, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist (vgl. BayVGH, B.v. 30.3.2020 - 20 NE 20.632 - NJW 2020, 1236 - juris Rn. 57 zu § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a.F.; Lindner in Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 17 Rn. 77). Soweit die Antragstellerin das Fehlen einer Präzisierung der Eingriffsintensität rügt, ist die grundrechtsdeterminierte materielle Eingrenzung besonders eingriffsintensiver Maßnahmen durch die Bestimmung in § 28a Abs. 2 Satz 1 zu berücksichtigen (vgl. dazu auch BT-Drs. 19/24334 S. 73).
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b) Die von der Antragstellerin angegriffene Regelung in § 12 Abs. 1 Satz 1 12. BayIfSMV steht mit der Ermächtigungsgrundlage der § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG in Einklang, weil ihre Voraussetzungen vorliegen (aa.), und erweist sich bei summarischer Prüfung nicht als offensichtlich unverhältnismäßig (bb.). Der Senat hegt allerdings Bedenken hinsichtlich des Gleichheitsgebotes, wobei im einstweiligen Rechtsschutzverfahren offenbleibt, ob sich ein möglicher Gleichheitsverstoß auf die Wirksamkeit der angegriffenen Norm auswirkt (cc.).
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aa) Die Anzahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen (Inzidenz) betrug am 17. März 2021 bundesweit 86 und in Bayern 92. Wegen der Überschreitung des Schwellenwertes von 50 sind nach § 28a Abs. 3 Satz 4 und 5 IfSG umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen. Soweit sich der Antragsteller auf den Rückgang der Neuinfektionen beruft, dauert diese Entwicklung aktuell nicht mehr an (vgl. bereits BayVGH, B.v. 2.3.2021 - 20 NE 21.469 - BeckRS 2021, 3794). Die 7-Tage-Inzidenz nimmt derzeit wieder deutlich zu, nun insbesondere in den Altersgruppen unter 60 Jahre. Auch der Anteil der besorgniserregenden Virusvarianten (VOC) nimmt zu. Dies betrifft vor allem die in Großbritannien verbreitete Variante B.1.1.7, die nach vorläufigen wissenschaftlichen Untersuchungen wohl leichter übertragbar ist und mutmaßlich zu einer größeren Anzahl schwerer Krankheitsverläufe führen kann (vgl. RKI, Lagebericht vom 17.3.2021, abrufbar unter https://www...de/DE/Content/InfAZ/N/ Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Maerz_2021/2021-03-17-de.pdf? blob= publicationFile; RKI, Risikobewertung vom 15.3.2021, abrufbar unter https://www...de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html; RKI, 4. Bericht zu Virusvarianten von SARS-CoV-2 in Deutschland, insbesondere zur Variant of Concern [VOC] B.1.1.7, Stand 17.3.2021, abrufbar unter https://www...de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/DESH/Bericht_VOC_2021-03-17.pdf? blob=publicationFile).
19
Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit ist nach dem Willen des Gesetzgebers, der in § 28a Abs. 3 IfSG zum Ausdruck kommt, ein gestuftes Vorgehen geboten, das sich an dem tatsächlichen regionalen Infektionsgeschehen orientieren soll (vgl. BT-Drs. 19/23944 S. 35). Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen (§ 28a Abs. 3 Satz 5 IfSG). Bei einer landesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind landesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben (§ 28a Abs. 3 Satz 10 IfSG). Mit einer landesweiten Inzidenz von 92 am 17. März 2021, die im Vergleich zu der 7-Tage-Inzidenz zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Verordnung am 5. März 2021 bereits angestiegen ist (69, https://www...de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Maerz_2021/2021-03-05-de.pdf? blob=publicationFile), besteht Handlungsbedarf zur effektiven Eindämmung des Infektionsgeschehens.
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bb) Die Regelung in § 12 Abs. 1 Satz 1 12. BayIfSMV erweist sich bei summarischer Prüfung aller Voraussicht nach derzeit nicht als offensichtlich unverhältnismäßig.
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(1) Hierzu verweist der Senat zunächst auf seine bisherige Rechtsprechung zu Betriebsschließungen aufgrund der Corona-Pandemie (BayVGH, B.v. 25.2.2021 - 20 NE 21.460 - BeckRS 2021, 3819, B. v. 23.2.2021 - 20 NE 21.367 - BeckRS 2021, 2697).
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(2) Dass dem Normgeber mildere, aber gleichermaßen wirksame Mittel zur Verfügung gestanden hätten, um in den geregelten Bereichen die Infektionsgefahr zu minimieren und damit der weiteren Ausbreitung der Pandemie entgegenzuwirken, ist nicht offensichtlich. Der Senat geht nach wie vor davon aus, dass die Betriebsschließungen mit der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag kraft Gesetzes eine grundsätzlich zur Bekämpfung der Coronavirus-Krankheit-2019 geeignete und erforderliche Infektionsschutzmaßnahme ist. Davon ist der Gesetzgeber durch den Erlass des mit Artikel 1 des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) eingefügten § 28a IfSG ausgegangen. Zwar sind die dadurch eingeräumten Befugnisse der Infektionsschutzbehörden und damit vor allem des Verordnungsgebers nach § 32 IfSG, Untersagungs- und Beschränkungsmaßnahmen für ganze Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie allgemeine Verhaltenspflichten für jedermann zur Bekämpfung von COVID-19 zu erlassen, zum Teil sehr weitgehend und in die Grundrechte der Betroffenen tief eingreifend. Auf der anderen Seite muss jedoch berücksichtigt werden, dass diese Befugnisse allein auf das Ereignis der Corona-Pandemie zugeschnitten sind und jedenfalls flächendeckend nur für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag erlassen werden können. Dadurch hat der Bundestag eine Gefährdungseinschätzung durch die Corona-Pandemie, welche sowohl Gefahrenabwehrelemente als auch Gefahrenprognoseelemente (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 28.6.2004 - 6 C 21.03 - BeckRS 2004, 25030) enthält, zum Ausdruck gebracht, welche grundsätzlich solch einschneidende Maßnahmen voraussichtlich rechtfertigen kann. Dass der Bundestag hier seinen weiten Gestaltungsspielraum bei der Erfüllung seiner verfassungsrechtlichen Schutzpflichten gegenüber Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit und der Gesundheit (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 12.5.2020 - 1 BvR 1027/20 - NVwZ 2020, 1823 - juris Rn. 6) überschritten hätte, ist nicht ersichtlich. Dafür, dass sich an dieser Risikoeinschätzung durch den Bundesgesetzgeber maßgeblich etwas ändert, bestehen keine Anhaltspunkte. Vielmehr hat der Deutsche Bundestag in seiner Sitzung vom 4. März 2021 den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD - Entwurf eines Gesetzes zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen (Drucksachen 19/26545 und 19/27291) in zweiter Lesung angenommen; von einer Zustimmung des Bundesrates ist derzeit auszugehen (vgl. BR-Drs. 197/21 und 197/1/21).
23
Die Einwendung der Antragstellerin, die Infektionsgefahr im Einzelhandel sei nachgewiesen unterdurchschnittlich, sodass die Schließung von Einzelhandelsbetrieben nicht erforderlich sei, um das Infektionsgeschehen einzudämmen, greift nicht durch. Zwar können auch Schutz- und Hygienekonzepte zu einer Reduzierung von Ansteckungen mit SARS-CoV-2 beitragen. In der derzeitigen Phase der Pandemie, die weiterhin von einem stark diffusen Ausbruchsgeschehen geprägt ist und in der in vielen Fällen das Infektionsumfeld nicht ermittelt werden kann (vgl. RKI, Lagebericht vom 17.3.2021, a.a.O., S. 2), ist die Prognose des Verordnungsgebers, dass die bestehenden Infektionszahlen zu hoch sind, um die ergriffenen Maßnahmen „umfassend zu lockern“ (vgl. Begründung vom 5.3.2021, BayMBl. 2021 Nr. 172), unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Vorgaben zur Ergreifung umfassender Schutzmaßnahmen bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen (§ 28a Abs. 3 Satz 5 IfSG) rechtlich nicht zu beanstanden.
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(3) Auch gegen die Angemessenheit der weitreichenden Betriebsschließungen im Einzelhandel bestehen derzeit keine durchgreifenden Bedenken. Dabei verkennt der Senat nicht, dass diese nicht zuletzt wegen ihrer Dauer zu schwerwiegenden wirtschaftlichen Einbußen der Betreiber führen und damit deren Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG schwer beeinträchtigen und ggf. im Einzelfall - mit zunehmender Dauer - auch in die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) eingreifen können. Gleichwohl erscheint das mit der Verordnung zur Änderung der 11. BayIfSMV vom 24. Februar 2021 (BayMBl. Nr. 149) bereits begonnene und mit der 12. BayIfSMV weiter umgesetzte Gesamtkonzept erster, vorsichtiger Öffnungsschritte nur in „spezifischen Settings“ (BayMBl. 2021, Nr. 150 S. 2) bei summarischer Prüfung als nicht von vorneherein unangemessene Reaktion auf das derzeit noch auf hohem Niveau befindliche pandemische Geschehen. Die Maßnahmen stehen im Einklang mit der Risikobewertung des Robert-Koch-Instituts (vgl. oben Rn. 18). Angesichts des weiterhin angespannten und sich zuletzt wieder deutlich verstärkenden Infektionsgeschehens sowie der gravierenden Auswirkungen im Fall einer (konkret drohenden) Überlastung des Gesundheitssystems stehen die mit den Maßnahmen verbundenen Einschränkungen für die Grundrechte der Antragstellerin gegenwärtig nicht offensichtlich außer Verhältnis zu Gewicht und Dringlichkeit der die Maßnahmen rechtfertigenden Gründe.
25
cc) Der Senat hegt allerdings Zweifel, ob die Regelungen des § 12 BayIfSMV als Ganzes gesehen noch mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren sind (vgl. hierzu auch OVG Saarland, B.v. 9.3.2021 - 2 B 58/21 - juris).
26
(1) Zwar handelt es sich bei den Betriebsschließungen nach § 28a Abs. 1 Nr. 14, Abs. 3 Satz 5 und Satz 10 IfSG grundsätzlich um eine kraft Gesetzes geeignete und erforderliche Maßnahme zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Dem liegt die Risikoeinschätzung des Bundesgesetzgebers zu Grunde, dass es in Betrieben, Gewerben und im Einzel- oder Großhandel zu einer Vielzahl von Kontakten kommt, welche das Risiko der massenhaften Übertragung des Sars-CoV-2-Virus mit sich bringt. Dieses Übertragungsrisiko realisiert sich in sämtlichen Betrieben unabhängig davon, ob es sich dabei um sogenannte „systemrelevante“ Betriebe handelt oder um Betriebe, welche nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung von Interesse sind, oder deren Unternehmensgegenstand zumindest vorübergehend als verzichtbar erscheint.
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(2) Nach § 28 Abs. 6 Satz 3 IfSG können allerdings einzelne soziale, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Bereiche, die für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind, von den Schutzmaßnahmen ausgenommen werden, soweit ihre Einbeziehung zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) nicht zwingend erforderlich ist. Hierzu wird in der Begründung des Gesetzesentwurfes ausgeführt (BT-Drs. 19/24334, S. 74):
28
„Hiermit wird dem Erfordernis einer notwendigen Differenzierung in einem Gesamtkonzept von Schutzmaßnahmen Rechnung getragen. Die sachliche Rechtfertigung und Differenzierung einzelner Schutzmaßnahmen ist daher nicht allein anhand des infektionsschutzrechtlichen Gefahrengrades der betroffenen Tätigkeit zu beurteilen. Vielmehr sind auch alle sonstigen relevanten Belange zu berücksichtigen, etwa die Auswirkungen der Ge- und Verbote für die betroffenen Unternehmen und Dritte und auch öffentliche Interessen an der uneingeschränkten Aufrechterhaltung bestimmter unternehmerischer Tätigkeiten.“
29
Ob die vom Gesetzgeber in § 28a Abs. 6 Satz 3 IfSG gemachten Vorgaben im Hinblick auf den Parlamentsvorbehalt und Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18.11.2020: BayVGH, B.v. 29.10.2020 - 20 NE 20.2360 - juris Rn. 28 ff.) ausreichend sind, lässt sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend beurteilen und muss deshalb einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Bei der Beurteilung der besonderen Bedeutung der einzelnen Bereiche für die Allgemeinheit dürfte dem Verordnungsgeber ein gerichtlich nur begrenzt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zukommen. Der gerichtlichen Kontrolle unterliegt allerdings die Frage, ob der Verordnungsgeber von sachlichen Erwägungen ausgegangen ist (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 23.2.2021 - 20 NE 21.367 - juris Rn. 22). Hierbei kommt der Begründung der Verordnung nach § 28a Abs. 5 IfSG besondere Bedeutung zu.
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Die mit Änderungsverordnung vom 24. Februar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 149) in die 11. BayIfSMV eingefügten Ausnahmen von Blumenfachgeschäften, Gartenmärkten, Gärtnereien, Baumschulen und Baumärkten in die Liste der ausnahmsweise nicht geschlossenen Betriebe (§ 12 Abs. 1 Satz 2 11. BayIfSMV) sowie die ausnahmsweise zulässigen körpernahen Dienstleistungen der Friseure sowie - im hygienisch oder pflegerisch erforderlichen Umfang - der nichtmedizinische Fuß-, Hand-, Nagel- und Gesichtspflege (§ 12 Abs. 2 11. BayIfSMV) werfen im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz zahlreiche Fragen auf, die zumindest Zweifel an der Rechtmäßigkeit von § 12 12. BayIfSMV, der diese Regelungen fortführt, begründen können.
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So ist zum einen nur wenig nachvollziehbar, warum körpernahe Dienstleistungen zum Teil inzidenzunabhängig öffnen dürfen, Dienstleistungen, die in Ladengeschäften ohne Körperkontakt erbracht werden, jedoch nicht. Denn köpernahe Dienstleistungen dürften im Hinblick auf die Nichteinhaltung des Mindestabstandes aus infektiologischer Sicht deutlich kritischer einzuschätzen sein als der Betrieb sonstiger Ladengeschäfte mit Kundenverkehr für Handels-, Dienstleistungs- und Handwerksbetriebe. Selbst wenn die Öffnung der Friseurladengeschäfte aufgrund ihrer allgemeinen Bedeutung für die Bevölkerung noch nachvollziehbar wäre, erkennt der Senat für die Ausnahme für die nichtmedizinische Fuß-, Hand-, Nagel- und Gesichtspflege demgegenüber keinen zwingenden Sachgrund, zumal schon fraglich erscheint, was unter einem „hygienisch oder pflegerisch erforderlichen Umfang“ zu verstehen ist. Denn pflegerische Leistungen in diesem Bereich für Bedürftige (Alte und Kranke) dürften ohnehin schon unter dem Geltungsbereich des § 12 Abs. 3 11. BayIfSMV (jetzt § 12 Abs. 3 12. BayIfSMV) gefallen und damit zulässig gewesen sein. Auch anhand der Begründung der Verordnung zur Änderung der 11. BayIfSMV vom 24. Februar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 150 S. 3 f.) kann der Senat die Differenzierung des Verordnungsgebers anhand des mit der körpernahen Dienstleistung verfolgten Zwecks der Körperhygiene und -pflege nicht ohne Weiteres nachvollziehen.
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Zum anderen könnte die weitere ausnahmsweise Zulassung von Betrieben nach § 12 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 12. BayIfSMV ein allgemeines repressives Verbot von Ladengeschäften mit Kundenverkehr für Handels-, Dienstleistungs- und Handwerksbetriebe zunehmend in Frage stellen. Durch die Aufnahme weiterer Betriebsarten und des offenen Auffangtatbestandes des § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV hinsichtlich der „sonstigen für die tägliche Versorgung unverzichtbaren Ladengeschäfte“ werden zusätzliche Bezugsfälle geschaffen, welche eine Abgrenzung deutlich erschweren.
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Im Ergebnis dürfte im hier zu entscheidenden Fall ein entsprechender Verstoß jedoch deshalb nicht zu einem Anspruch der Antragstellerin auf vorläufige Außervollzugsetzung des § 12 Abs. 1 Satz 1 12. BayIfSMV führen, weil die Voraussetzungen für den Erlass der angegriffenen Norm - wie oben dargelegt - derzeit erfüllt sind und aus einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG jedenfalls im Grundsatz kein Anspruch auf Normaufhebung folgt (vgl. BVerfG, B.v. 17.1.2006 - 1 BvR 541/02 u.a. - juris Rn. 44 ff.; BVerwG, U.v. 25.7.2007 - 3 C 10/06 - juris Rn. 30 f.; Wollenschläger in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, § 3 Rn. 316; anders wohl OVG Saarland, B.v. 9.3.2021 - 2 B 58/21 - juris). Bei einer gleichheitswidrigen Rechtsverordnung kommt eine gerichtliche Korrektur durch Aufhebung einer belastenden Maßnahme im Grundsatz nur dann in Betracht, wenn das normative Ermessen des Verordnungsgebers rechtmäßig nur in einem bestimmten Sinn ausgeübt werden könnte oder wenn sich mit Sicherheit annehmen lässt, dass der Verordnungsgeber, wäre ihm das Problem bewusst, den Anforderungen des Gleichbehandlungsgebots gerade in diesem Sinn Rechnung tragen würde (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 31). Das ist hier jedoch nicht der Fall, weil sich die aus der pandemischen Gefahrenlage aufgrund von COVID-19 und der Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Konfliktlage nicht derart auflösen lässt, dass eine vom Verordnungsgeber nicht nachvollziehbar begründete Ausnahme von einer Infektionsschutzmaßnahme durch die Einbeziehung eines vergleichbaren Lebenssachverhaltes erweitert wird. Gerät allerdings das Verhältnis von repressiven Verboten und Befreiungen derart in Schieflage, dass das repressive Verbot an sich in Frage gestellt wird, kann dieses Verbot im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht mehr aufrechterhalten bleiben. Ob dieser Punkt in der vorliegenden Konstellation gerade im Hinblick auf die Schwere der Grundrechtseingriffe und die hier konkurrierenden Grundrechte schon erreicht ist, ist bei summarischer Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren als offen anzusehen und muss einer Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
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3. Bei der Annahme offener Erfolgsaussichten der Hauptsache ergibt die gebotene Folgenabwägung zwischen den betroffenen Schutzgut der freien wirtschaftlichen Betätigung aus Art. 12 Abs. 1 GG mit dem Schutzgut Leben und Gesundheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG insbesondere im Hinblick auf die wieder steigenden Infektionszahlen, dass die von der Antragstellerin dargelegten wirtschaftlichen Folgen hinter den Schutz von Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen zurücktreten müssen.
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Das pandemische Geschehen verstärkt sich aktuell erneut. Nach dem Situationsbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 17. März 2021 (abrufbar unter https://www...de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Maerz_2021/2021-03-17-de.pdf? blob=publicationFile) nimmt die Zahl der Übertragungen von COVID-19 in der Bevölkerung in Deutschland wieder deutlich zu. In den letzten Tagen hat sich der Anstieg der Fallzahlen beschleunigt. COVID-19-bedingte Ausbrüche beträfen momentan insbesondere private Haushalte, zunehmend auch Kitas, Schulen und das berufliche Umfeld. Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Nach der aktuellen Risikobewertung des RKI (Stand 15.3.2021, vgl. https://www...de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html) ist die Dynamik der Verbreitung einiger neuer Varianten (VOC) von SARS-CoV-2 besorgniserregend. Aufgrund der vorliegenden Daten hinsichtlich einer erhöhten Übertragbarkeit der Varianten und potenziell schwererer Krankheitsverläufe trägt dies zu einer schnellen Zunahme der Fallzahlen und der Verschlechterung der Lage bei. Alle Impfstoffe, die aktuell in Deutschland zur Verfügung stehen, schützen nach derzeitigen Erkenntnissen sehr gut vor einer Erkrankung durch die in Deutschland hauptsächlich zirkulierende VOC B.1.1.7 und auch vor schweren Erkrankungen durch die anderen Varianten. Für die Senkung der Neuinfektionen, den Schutz der Risikogruppen und die Minimierung von schweren Erkrankungen ist die Impfung der Bevölkerung von zentraler Bedeutung. Effektive und sichere Impfstoffe sind seit Ende 2020 zugelassen, stehen aber noch nicht in ausreichenden Mengen zur Verfügung und werden derzeit vorrangig den besonders gefährdeten Gruppen angeboten. Das individuelle Risiko, schwer an COVID-19 zu erkranken, kann anhand der epidemiologischen bzw. statistischen Daten nicht abgeleitet werden. Auch ohne bekannte Vorerkrankungen und bei jungen Menschen kann es zu schweren bis hin zu lebensbedrohlichen Krankheitsverläufen kommen. Langzeitfolgen können auch nach leichten Verläufen auftreten.
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In dieser Situation ergibt die Folgenabwägung, dass die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm im Hinblick auf die damit einhergehende mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten schwerer ins Gewicht fallen als die Folgen ihres weiteren Vollzugs für die Interessen der Normadressaten. Gegenüber den bestehenden Gefahren für Leib und Leben durch eine in ihrem Verlauf und ihren Auswirkungen bisher nicht zuverlässig einzuschätzende Pandemie, vor der zu schützen der Staat nach dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 GG verpflichtet ist, müssen die Interessen der Betroffenen derzeit zurücktreten (vgl. auch BVerfG, B.v. 15.7.2020 - 1 BvR 1630/20 - juris Rn. 25).
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C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Da die angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 28. März 2021 außer Kraft tritt (§ 30 12. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren nach Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 nicht angebracht ist.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).