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LG München I, Endurteil v. 09.04.2021 – 40 O 13958/20
Titel:

Unbegründeter Anspruch auf Rückabwicklung eines Leasingvertrages vor dem Hintergrund des "Diesel-Abgasskandals"

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
GG Art. 103 Abs. 1
StGB § 263
EG-FVG § 6, § 27
Leitsätze:
1. Im Rahmen des sog. "Diesel-Abgasskandals" ist ein greifbarer, tatsächlicher Anhaltspunkt für den klägerischen Vortrag zur Verwendung einer unzulässigen Abschaltvorrichtung  unerlässlich. Willkürliche Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ reichen nicht aus. (Rn. 9 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. §§ 6, 27 EG-FVG stellen keine Schutzgesetze hinsichtlich des § 823 Abs. 2 BGB dar. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Leasingvertrag, unzulässige Abschalteinrichtung, Motorsteuerung, Rückrufaktion, sekundäre Darlegungslast, Schädigungsvorsatz
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 27.08.2021 – 32 U 2856/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 11.04.2022 – VIa ZR 301/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 53407

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 26.448,34 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Rückabwicklung zweier Leasingverträge über einen Pkw der Marke ….
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Am 11.04.2016 mietete die Klägerin das Neufahrzeug Pkw … Erstzulassung 15.04.2016 (Anlage K 1) bei der …. Der Vertrag sah eine Laufzeit von 48 Monaten und monatliche Leasingraten in Höhe von 417,34 € nebst einmaliger Gebühren in Höhe von 485,48 € vor. Zudem schloss die Klägerin am 21.04.2020 über denselben Pkw einen weiteren Leasingvertrag bei der … (Anlage K2). Der Vertrag sah eine Laufzeit von 24 Monaten und monatliche Leasingraten in Höhe von 462,69 € nebst einmaliger Gebühren in Höhe von 358,81 € vor. Bei Abschluss des zweiten Leasingvertrages betrug der Kilometerstand 110.000 km. In dem Fahrzeug ist der Motor B47 verbaut, der von der Beklagten hergestellt wurde und vom Kraftfahrzeugbundesamt als der Euro-6-Norm entsprechend eingestuft wurde. Ein amtlicher Rückruf für den Motor oder das Fahrzeug wurde bisher nicht angeordnet. Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten (Anlagenkonvolut 4) forderte die Klägerin die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz auf. Zu einer Rückabwicklung kam es nicht.
3
Die Klägerin behauptet, das Diesel-Fahrzeug verfüge über eine illegale Abschalteinrichtung, die Schadstoffausstöße unter Testbedingungen derart optimiere, dass nur unter Testbedingungen die Grenzwerte eingehalten würden. Hierüber sei die Klägerin getäuscht worden; hätte sie um diese gewusst, hätte sie das Fahrzeug nicht gemietet. Aufgrund von Softwareupdates sei es zu Folgemängeln am Fahrzeug gekommen.
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Die Klägerin beantragt:
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 26.448,34 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf diesen Betrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung in EUR pro mit diesem Fahrzeug gefahrenem Kilometer, welche sich nach folger Formel berechnet: 34.080,00 EUR multipliziert mit der Summe der ab Kilometerstand 62.001 bis zur Rückgabe an die Beklagte gefahrenen Kilometern geteilt durch 449.894 (450.000 - 106) km;
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des unter Ziffer 1 genannten Fahrzeugs nebst Fahrzeugschlüssel in Annahmeverzug befindet;
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagte das unter Ziffer 1 genannte Fahrzeug dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge [hilfsweise: der Stickoxide] im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr, zu ersetzen.
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Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
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Die Beklagte behauptet, die Untersuchung des Kraftfahrt-Bundesamtes habe ergeben, dass der streitgegenständliche Motor über keine unzulässige Abschalteinrichtung verfüge. Das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge über keine unzulässige Abschalteinrichtung. Ein Schaden sei der Klägerin als Leasingnehmerin nicht entstanden.
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Bezüglich des weiteren Sachverhalts wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen sowie den Akteninhalt im Übrigen verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Ein Schadensersatzanspruch, der sich mangels Vertragsbeziehungen zwischen den Parteien lediglich aus Deliktsrecht bzw. ungerechtfertigter Bereicherung ergeben könnte, besteht nicht.
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1. Es fehlt zunächst an einem substantiierten Vortrag der Klägerseite zu einer gem. § 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung in der Motorsteuerung.
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1.1. Die Klägerseite trägt u.a. unter Verweis auf Messergebnisse der Deutschen Umwelthilfe bezogen auf ihrer Ansicht nach vergleichbare Motoren vor, dass das streitgegenständliche Fahrzeug über unzulässige Abschalteinrichtungen in diversen Konstellationen - Thermofenster in zwei Varianten (Höhenmessungs-Abschalteinrichtung), Radwinkel-Abschalteinrichtung, Lenkwinkel-Abschalteinrichtung, Betriebszeit-Abschalteinrichtung, Radrotation-Abschalteinrichtung, Beschleunigungsmessung-Abschalteinrichtung, Geschwindigkeitsmessung-Abschalteinrichtung, SCR-System - verfüge. Als Beweis wurde hierzu jeweils Sachverständigengutachten angeboten.
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1.2. Ein Beweisangebot kann allerdings einen substantiierten Tatsachenvortrag zu den Schäden am Fahrzeug nicht ersetzen, konkrete Messungen/Daten zum streitgegenständlichen Fahrzeug wurden nicht vorgetragen.
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1.3. Ein unzulässiger Ausforschungsbeweis, an dessen Vorliegen vor dem Hintergrund des Art. 103 Abs. 1 GG strenge Anforderungen zu stellen sind (BGH, NJW-RR 2015, 829), setzt voraus, dass die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt (BGH, NJW-RR 2004, 337).
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In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die beklagte Partei eine sekundäre Darlegungslast trifft, wenn die beweisbelastete Klagepartei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen hat, während der Gegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und ihm detaillierte Angaben zuzumuten sind (OLG Koblenz, BeckRS 2020, 9935). Diese Grundsätze der sekundären Darlegungslast reduzieren nicht bereits die allgemeinen Anforderungen an die Substantiierung der primären Darlegung des Anspruchstellers auf die allgemeine Behauptung der maßgebenden Tatbestandsmerkmale.
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1.4. Daraus folgt, dass der Beklagten als … es grundsätzlich nicht zuzumuten ist, auf die bloße pauschale Behauptung einer unzulässigen Abschalteinrichtung hin im Einzelnen darlegen zum müssen, welche konkreten Abschalteinrichtungen ein bestimmter Motor enthält und warum diese gegebenenfalls für notwendig gehalten werden, um den Motor vor Beschädigungen oder Unfällen zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Eine solche Sichtweise würde den Beibringungsgrundsatz aushöhlen und dem beklagten … eine der Zivilprozessordnung fremde allgemeine Aufklärungspflicht auferlegen (OLG Koblenz, BeckRS 2020, 9935).
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1.5. Ein greifbarer, tatsächlicher Anhaltspunkt für den klägerischen Vortrag zur Verwendung einer unzulässigen Abschaltvorrichtung ist damit unerlässlich (BGH, BeckRS 2020, 2119). An einem solchen fehlt es vorliegend allerdings. Weder ist das streitgegenständliche Fahrzeug von einer Stilllegung durch das Kraftfahrt-Bundesamt oder einer Rückrufaktion betroffen. Noch erlaubt der Vergleich mit anderen Motoren desselben Typs den Schluss, dass eine unzulässige Abschaltvorrichtung vorliegen könnte, denn auch nach Klägervortrag ist der streitgegenständliche Motor nicht von Rückrufaktionen etc. betroffen (vgl. BGH, BeckRS 2020, 2119).
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Es fehlt damit hinsichtlich der Schädigung an einem ausreichend substantiierten Vortrag (siehe auch OLG München, BeckRS 2020, 1062).
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2. Dies gilt auch für den Schädigungsvorsatz bzw. die - sittenwidrige - Täuschungs-/Betrugsabsicht bei § 823 Abs. II i.V.m. §§ 6, 27 EG-FVG - hierbei handelt es sich schon um kein Schutzgesetz (OLG Braunschweig, BeckRS 2020, 16626) -, § 263 StGB sowie § 826 BGB. Dieser setzt das Bewusstsein und die Billigung der Beklagten oder ihr zurechenbarer Organe/Mitarbeiter voraus, einen anderen - in Betrugsabsicht oder sittenwidrig - zu schädigen. Vor dem Hintergrund der Feststellungen des Kraftfahrt-Bundesamtes im Rahmen der Felduntersuchung (siehe Bericht der Untersuchungskommission … Anlage B1) sowie den Auskünften des Kraftfahrt-Bundesamtes an das OLG München mit Schreiben vom 9.9.2019 und 17.10.2019, dass nach seinen Informationen und Überprüfungen keine unzulässigen Abschalteinrichtungen an den geprüften Motoren der Beklagten vorliegen, kann Fahrlässigkeit/Vorsatz nicht angenommen werden. Das Gericht verkennt nicht, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit den Motor B47 nicht Gegenstand der genannten Prüfungen bzw. Informationen war. Ein substantiierter Vortrag zu Betrugs-/Schädigungsvorsatz fehlt damit und kann ein solcher kann aufgrund dieser Auskünfte nicht per se angenommen werden.
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3. Die Nebenforderungen teilen das Schicksal des abgewiesenen Hauptantrags. Die unter Ziffer 3 der Klageanträge begehrte Feststellung auf das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs besteht im Übrigen auch deshalb nicht, da die Klägerin nicht dargelegt hat, welche Schäden ihr über die Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit hinaus entstanden sind.
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.