Inhalt

LG Ansbach, Beschluss v. 17.05.2021 – 4 T 460/21
Titel:

Freiheitsentziehende Unterbringung durch einen Betreuer

Normenketten:
BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 1
FamFG § 84
Leitsatz:
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung setzt die Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge psychischer Erkrankung in verfassungskonformer Auslegung des Gesetzes weiterhin voraus, dass der Betroffene aufgrund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann (VGH München FamRZ 1993, 600; VGH München BeckRS 1998, 2233; BeckRS 2000, 30146409). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterbringungsbeschwerde, Unterbringung, geschlossene Unterbringung, Betreuer, psychische Krankheit, Selbstschädigungsgefahr, Kostenentscheidung, besonderer Umstand
Vorinstanz:
AG Weißenburg, Beschluss vom 08.04.2021 – 403 XVII 94/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 13.04.2022 – XII ZB 267/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 53153

Tenor

1. Die Beschwerde der Betreuten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Weißenburg i. Bay. vom 08.04.2021, Az. 403 XVII 94/20, wird zurückgewiesen.
2. Von der Erhebung der Kosten wird abgesehen.

Gründe

I.
1
Mit Beschluss vom 08.04.2021 hat das Amtsgericht Weißenburg die Unterbringung der Betroffenen durch die Betreuer in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis längstens 08.04.2022 genehmigt. Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wurde angeordnet. Rechtsanwalt … wurde zum Verfahrenspfleger bestellt.
2
Die Betroffene hat mit Faxschreiben vom 13.04.2021, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, Beschwerde gegen den vorgenannten Beschluss eingelegt. Mit Schreiben vom 15.04.2021, eingegangen am selben Tag, trug sie ergänzend vor, sie beantrage ein neues ärztliches Gutachten durch einen neutralen Arzt. Mit am selben Tag beim Beschwerdegericht eingegangenen Faxschreiben vom 21.04.2021 führte sie aus, Herr … schreibe sein Gutachten vom letzten ab, man sei ausgeliefert und das könne ja nicht sein. Weitere Ergänzungen erfolgten mit Faxschreiben vom 23.04.2021 sowie 11.05.2021.
3
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
4
Der Verfahrenspfleger hat mit Schreiben vom 06.05.2021 mitgeteilt, dass die Unterbringung der Betroffenen erforderlich sei, weil aufgrund einer psychischen Krankheit der Betreuten die Gefahr bestehe, dass sie sich gesundheitlichen Schaden zufüge.
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Der Betreuer hält die Unterbringung ausweislich seines Schreibens vom 11.05.2021 für ein weiteres Jahr für zielführend.
II.
6
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
7
1. Nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist die freiheitsentziehende Unterbringung durch den Betreuer nur zulässig, wenn auf Grund der psychischen Krankheit bzw. geistigen oder seelischen Behinderung des Betroffenen die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. In diesem Zusammenhang müssen objektivierbare, konkrete Anhaltspunkte für eine akute Suizidgefahr oder den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens bestehen (BGH NJW-RR 2010, 291; 2010, 1370 (1370, 1371); OLG München BeckRS 2005, 11854). Nicht erfasst sind dagegen grundsätzlich Schäden oder Gefährdungen anderer Rechtsgüter als Leben und Gesundheit des Betroffenen, wie z. B. Vermögensschäden. Ferner muss die Ursache für die bestehende Selbstschädigungsgefahr in der psychischen Krankheit bzw. geistigen oder seelischen Behinderung des Betroffenen liegen. Hiermit soll klargestellt werden, dass Gesundheitsgefährdungen oder -schädigungen, die auch bei Nichtbetreuten üblich sind, keine freiheitsentziehende Unterbringung des Betroffenen rechtfertigen (BT-Drucks. 11/4528, S. 146). Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung setzt die Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge psychischer Erkrankung in verfassungskonformer Auslegung des Gesetzes weiterhin voraus, dass der Betroffene auf Grund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann (BayObLG, FamRZ 1993, 600; NJW-RR 1998, 1014 (1015); NJWE-FER 2001, 150 (150)).
8
2. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
9
a) Der Sachverständige Dr. med. …, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, hat in seinem Gutachten vom 17.02.2021 festgestellt, dass bei der Betroffenen eine psychische Krankheit in Form einer chronischen Alkoholabhängigkeit und einem daraus resultierenden dementiellen Syndrom mit entsprechenden kognitiven und mnestischen Defiziten vorliege. Zusätzlich bestehe bei ihr eine Epilepsie nach Schädel-Hirn-Trauma und Kleinhirnatrophie mit deutlicher Atraxie.
10
Die Betroffene habe zum Gutachtenszeitpunkt einen altersentsprechenden und gut gepflegten Eindruck gemacht. Sie sei wach, zur eigenen Person örtlich, zeitlich und situativ orientiert. Ein Gesprächskontakt sei mit ihr wiederum gut herstellbar, sie erweise sich dabei als ruhig, freundlich und kooperativ. Affektiv wirke sie eingeengt, immer wieder dysphorisch-gereizt und dann aber auch wieder hyperthym. Die affektive Schwingungsfähigkeit sei nicht beeinträchtigt, der psychomotorische Antrieb vermindert. Im Rahmen der psychiatrischen Exploration ließen sich nach wie vor leichte kognitive und mnestische Defizite eruieren. Es ergäbe sich kein Hinweis auf ein halluzinatorisches Erleben, inhaltliche und/oder formale Denkstörungen. Es persistiere eine deutliche Einschränkung der Urteils- und Kritikfähigkeit in Bezug auf die Suchterkrankung, Alkoholfolgekrankheiten und weitere Begleiterkrankungen.
11
Aus medizinischer Sicht lägen die Voraussetzungen für freiheitssentziehende Maßnahmen für ein weiteres Jahr vor. Die Betroffene könne aufgrund ihrer Erkrankung ihren Willen in Bezug auf die freiheitsentziehenden Maßnahmen nicht mehr frei bestimmen. Andere, weniger einschneidende Maßnahmen als die geschlossene Unterbringung, seien nicht möglich. Es wäre ansonsten mit Selbstgefahr bei der Betroffenen zu rechnen. Sie würde mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wieder alkoholrückfällig, würde sich im Straßenverkehr gefährden, keine Medikamente und unzureichend Nahrung und Flüssigkeit zu sich nehmen und verwahrlosen. Es bestünde auch die konkrete Gefahr von Stürzen mit entsprechenden schweren Verletzungen, nachdem die Schutzreflexe der Betroffenen eingeschränkt seien. Die vorgesehenen Heilbehandlungen hätten insofern Aussicht auf Erfolg, als dass Selbstgefahr von der Betroffenen abgewendet werde.
12
b) Die Kammer hat keinen Zweifel an der Richtigkeit der umfassenden gutachterlichen Stellungnahmen des Sachverständigen. Das Gutachten ist schlüssig, nachvollziehbar, widerspruchsfrei und orientiert sich an den zutreffenden Anknüpfungstatsachen, insbesondere der Krankengeschichte der Betroffenen. Aus diesem ist eindeutig erkennbar, dass die Betroffene aufgrund ihrer Krankheit ihren Willen in Bezug auf die freiheitsentziehenden Maßnahmen nicht frei bestimmen kann; sie kann die Notwendigkeit der Maßnahme nicht erkennen und danach handeln. Die Kammer sieht auch keinen Anlass dazu, an der fachlichen Qualifikation des Sachverständigen zu zweifeln. Dieser ist dem Gericht als sehr sorgfältiger, gewissenhafter und als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie auch fachlich uneingeschränkt geeigneter Sachverständiger bekannt. Anhaltspunkte dafür, dass dieser bei der Gutachtenserstellung nicht die gebotene Sorgfalt angewandt hätte und seinen Feststellungen nicht die konkrete Exploration der Betroffenen zugrundelegt hätte, liegen nicht vor und wurden von der Beschwerdeführerin über die pauschale Behauptung, der Sachverständige würde von seinem alten Gutachten abschreiben, hinaus auch nicht näher begründet.
13
Die Kammer ist daher davon überzeugt, dass die Voraussetzungen einer stationären Unterbringung weiterhin, jedenfalls bis zum 08.04.2022, vorliegen. Ohne eine geschlossene Unterbringung bestünde auch aus Sicht des Beschwerdegerichts die erhebliche Gefahr, dass die Betroffene einen Alkoholrückfall erleidet, aufgrund mangelnder Orientierung bzw. Verkehrssicherheit erheblich gefährdet wäre und massiv verwahrlosen würde.
14
Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände ist die seitens des Amtsgerichts Weißenburg angeordnete Unterbringung bis längstens zum 08.04.2022 zum Wohl der Betroffenen unabdingbar. Insbesondere kann der drohende gesundheitliche Schaden durch keine andere die Betroffene weniger belastende Maßnahme abgewendet werden. Auch die Dauer der Genehmigung der Unterbringung ist nicht zu beanstanden. Diese entspricht der vom Sachverständigen vorgeschlagenen Unterbringungsdauer.
15
3. Eine Anhörung der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren ist nicht geboten, da diese erst am 08.04.2021 vom Amtsgericht Weißenburg angehört wurde. Neue Erkenntnisse sind infolge einer weiteren Anhörung - auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens - nicht zu erwarten, § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG.
16
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Absatz 1 FamFG, § 84 FamFG. Danach soll das Gericht die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels dem Beteiligten auferlegen, der es eingelegt hat. Die Fassung als Sollvorschrift ermöglicht es jedoch, bei Vorliegen besonderer Umstände ausnahmsweise ganz oder teilweise von der Kostenbelastung des Rechtsmittelführers abzuweichen. Ein besonderer Umstand ist - wie vorliegend - dadurch gegeben, dass das Rechtsmittel eine Angelegenheit der staatlichen Fürsorge (Betreuung, Unterbringung) betrifft und das Rechtsmittel vom Fürsorgebedürftigen selbst eingelegt wurde (Schulte-Bunert/Weinrich/Keske, FamFG, a. a. O., § 84, Rn. 5; Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Auflage, Rn. 15 zu § 84).