Inhalt

LArbG Nürnberg, Urteil v. 31.08.2021 – 4 Sa 44/21
Titel:

Wirksamkeit der Versetzung eines Piloten an ausländische "homebase" bei unternehmsweiter Versetzungsklausel

Normenketten:
BGB § 139, §§ 305 ff., § 315
GewO § 106
TVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, Abs. 3
Leitsätze:
1. Wird im Arbeitsvertrag eines Piloten mit einer international agierenden Fluggesellschaft kein konkreter Arbeitsort festgelegt und eine unternehmensweite Versetzbarkeit vereinbart, so kann der Pilot auch im Wege des Direktionsrechtes an eine ausländische "Basis" versetzt werden. (Rn. 55 – 63)
2. Diese Vereinbarung verstößt nicht gegen §§ 305 ff. BGB. (Rn. 64 – 75)
1. Eine in einem Arbeitsvertrag zwischen einer ausländischen Fluggesellschaft und einem Piloten enthaltene unternehmensweite Versetzungsklausel erfasst auch die Versetzung an eine ausländische "homebase". Dies verstößt als echte das Direktionsrecht erweiternde Klausel nicht gegen die §§ 305 ff. BGB (Parallelentscheidung zu LAG Nürnberg BeckRS 2021, 14334 und BeckRS 2021, 52594). (Rn. 55 – 75) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine derartige arbeitsvertragliche Versetzungsklausel verstößt allerdings gegen die Regelungen im Tarifsozialplan bzgl. der Stilllegung/Einschränkung von Stationierungsorten für die Piloten der Ryanair in Deutschland (TVSP) und ist, soweit sie die Versetzung über die EU-Länder einschließlich Großbritannien, Norwegen und die Schweiz hinaus ermöglicht, nicht anzuwenden (s. auch LAG Nürnberg BeckRS 2021, 52594 Rn. 83 ff.). (Rn. 77 – 80) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Arbeitsvertrag, Pilot, Versetzung, unternehmensweite Versetzungsklausel, Direktionsrecht, Auswahlentscheidung, Inhaltskontrolle
Vorinstanz:
ArbG Nürnberg, Endurteil vom 16.11.2020 – 7 Ca 796/20
Rechtsmittelinstanz:
BAG Erfurt, Urteil vom 30.11.2022 – 5 AZR 462/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 52593

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 16.11.2020 - Az. 7 Ca 796/20 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Versetzung, hilfsweise über die Wirksamkeit einer vorsorglich erklärten Änderungskündigung sowie Weiterbeschäftigung zu unveränderten Vertragsbedingungen.
2
Der am ... 1965 geborene, verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit 26.03.2018 bei der Fluggesellschaft R. DAC als First Officer auf dem Muster Boeing 737-800 beschäftigt und am Flughafen in Nürnberg stationiert. Sein Arbeitsverhältnis ging zum 01.01.2020 im Weg des Betriebsübergangs auf die Beklagte über. Diese ist eine zur irischen R.-Gruppe gehörende Fluggesellschaft mit Sitz in Malta und Heimatbasis auf dem Flughafen von Malta. Sie führt an verschiedenen Flughäfen in Deutschland, Italien, Frankreich, Malta und Rumänien internationale Flüge durch.
3
Der Kläger ist Mitglied in der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit e.V..
4
Im Arbeitsvertrag des Klägers vom 23.03.2018 (vgl. Bl. 86 ff. d.A.) wurde unter Ziffer 36.1 die Anwendbarkeit irischen Rechts vereinbart. Der Arbeitsvertrag wurde seitens der R. DAC in Irland unterzeichnet.
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In Ziffer 8.1 des Arbeitsvertrages vom 23.03.2018 wurde vereinbart, dass der Kläger ein jährliches Grundgehalt von € 19.000,00 erhält. Zuletzt verdiente er ein Grundgehalt von € 4.166,67 brutto monatlich zuzüglich einer „allowance“ von € 458,33 monatlich (vgl. Bl. 102 f. d.A.).
6
Ziffer 6.1 des Arbeitsvertrages vom 23.03.2018 enthält folgende Regelung:
„R.’s aircraft are registered in the Republic of Ireland and as you will perform your duties on these Irish aircraft your employment is based in the Republic of Ireland. You will be located principally at Nuremberg Airport and at such other place or places as the Company reasonably requires for the proper fulfilment of your duties and responsibilities under this Agreement. It is a condition of your employment that you comply with any such requirement. This would include, for the avoidance of doubt, transfer to any of the Company’s bases without compensation. It must be understood that should you be transferred to another base you will be paid in accordance with the prevailing salary and flight pay system at that base.”
7
Der Kläger übersetzt diese vertragliche Regelung wie folgt:
„Die Flugzeuge von R. sind in der Republik Irland registriert, und da Sie Ihre Aufgaben mit diesen irischen Flugzeugen wahrnehmen werden, hat Ihr Arbeitsplatz seinen Sitz im Gebiet der Republik Irland. Sie befinden sich hauptsächlich am Nürnberger Airport und an einem anderen Ort oder anderen Orten, die das Unternehmen zur ordnungsgemäßen Erfüllung Ihrer Pflichten und Verantwortlichkeiten im Rahmen dieser Vereinbarung benötigt. Es ist eine Voraussetzung für Ihre Anstellung, dass Sie diese Anforderung erfüllen. Dies würde zur Vermeidung von Zweifeln eine entschädigungslose Übertragung auf einen der Standorte der Gesellschaft beinhalten. Es muss verstanden werden, dass Sie, wenn Sie auf eine andere Basis transferiert werden, in Übereinstimmung mit dem geltenden Gehaltssystem und der Bezahlung pro Flug dieser Basis bezahlt werden.“
8
Die Beklagte übersetzt diese vertragliche Regelung wie folgt:
„Die Flugzeuge von R. sind in der Republik Irland registriert, und da Sie Ihre Pflichten in diesen irischen Flugzeugen erfüllen werden, ist Ihr Arbeitsplatz im Hoheitsgebiet der Republik Irland angesiedelt. Sie werden grundsätzlich am Flughafen Nürnberg und an einem anderen Ort oder an anderen Orten eingesetzt, die das Unternehmen in nachvollziehbarer Weise zur ordnungsgemäßen Erfüllung Ihrer Pflichten und Verantwortlichkeiten im Rahmen dieser Vereinbarung benötigt. Es ist eine Bedingung für Ihre Beschäftigung, dass Sie diese Anforderungen erfüllen. Dies umfasst, um Zweifel auszuschließen, auch eine entschädigungslose Versetzung zu jedem anderen Standort des Unternehmens. Sollten Sie an eine andere Basis versetzt werden, so werden Sie gemäß dem dort geltenden Gehalts- und Flugvergütungssystem bezahlt.“
9
Unter dem 09.09. und 05.11./07.11.2019 schlossen die R. DAC, die Beklagte und die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit e.V. einen Vergütungstarifvertrag (im Folgenden: VTV) für alle direkt bei R. DAC angestellte Piloten, die an deutschen Basen stationiert sind (vgl. Bl. 17 ff. d.A.). In § 1 Ziffer 1 VTV wurde festgelegt, dass für diese rückwirkend zum 01.02.2019 deutsches Recht mit Ausnahme deutschen Steuerrechts und des Rechts zur betrieblichen Altersversorgung Anwendung findet. § 3 Ziffer 2 VTV enthält die ab 01.10.2019 gültige Vergütungstabelle für alle in Deutschland stationierten und bei R. DAC vor dem 01.12.2018 als First Officer in Deutschland angestellten First Officer.
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Ebenfalls unter dem 09.09. und 05.11./07.11.2019 schlossen die R. DAC, die Beklagte und die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit e.V. einen Tarifsozialplan (im Folgenden: TVSP) für den Fall der dauerhaften Stilllegung bzw. Einschränkung von Stationierungsorten in Deutschland für alle Piloten mit einem Arbeitsvertrag mit R. DAC mit einer deutschen „Homebase“, die für eine Versetzung bzw. Kündigung ausgewählt werden (vgl. Bl. 70 ff. d.A.). In § 3 Ziffer 2 TVSP ist der Prozess zur Beseitigung eines Pilotenüberhangs in Deutschland, der sich aus einer dauerhaften Stilllegung oder Einschränkung des Stationierungsortes ergibt, in fünf Stufen geregelt. Auf Stufe 1 soll der Personalüberhang dadurch abgebaut werden, dass die betroffenen Piloten an einen Flughafen, an dem geeignete offene Stellen bestehen und der von der IATA als dieselbe Stadt bedienend benannt wird, oder einen Flughafen mit einer Fahrzeit von weniger als 60 Minuten vom derzeitigen zum neuen Stationierungsort versetzt werden. Sofern der Personalüberhang über Stufe 1 nicht vollständig abgebaut werden kann, erfolgt auf Stufe 2 die Möglichkeit einer freiwilligen Änderung des Stationierungsortes auf eine freie Position innerhalb und außerhalb Deutschlands, auf die sich die Piloten bewerben können. Sofern gleichwohl ein Personalüberhang verbleibt, ist auf Stufe 3 die Möglichkeit zum Abschluss von Arbeitsverträgen als mobile Piloten basierend auf deren Verfügbarkeit anzubieten. Für den Fall, dass nach den Stufen 1 bis 3 ein Personalüberhang verbleibt, kann auf Stufe 4 den Piloten des betroffenen Stationierungsortes ein anderer Stationierungsort innerhalb Deutschlands oder ein Stationierungsort in EU-Ländern (einschließlich Großbritannien, Norwegen und Schweiz) arbeitgeberseitig per Versetzung oder Änderungskündigung zugewiesen werden. Die Auswahl der Piloten erfolgt gemäß § 6 TVSP auf der Grundlage von Sozial- und Leistungskriterien nach einem Punktesystem. Gemäß § 3 Ziffer 4 TVSP werden Piloten, die an einen ausländischen Stationierungsort verlegt werden, zu den dort geltenden Arbeitsbedingungen, insbesondere den Gehältern, gemäß dem an dem neuen Stationierungsort geltenden Tarifvertrag weiterbeschäftigt. Nach § 8 Ziffer 2 TVSP haben Piloten, die infolge einer arbeitgeberseitigen Änderung des Stationierungsortes umziehen, Anspruch auf Umzugsleistungen, um die wirtschaftlichen Nachteile zu mildern. Diese bestehen in einer Einmalzahlung von € 2.000,00 sowie weiteren Zahlungen, sofern der Pilot anderen Personen zum Unterhalt verpflichtet ist, sowie einer bezahlten Freistellung für die Dauer einer Kalenderwoche. Sofern nach den Stufen 1 bis 4 ein Personalüberhang verbleibt, können die Arbeitsverhältnisse mit Piloten aus betriebsbedingten Gründen gekündigt werden (Beendigungskündigung). Die Sozialauswahl erfolgt gemäß § 7 TVSP nach einem Punktesystem.
11
Die R. DAC und die Beklagte informierten gemeinsam mit Schreiben vom 02.12.2019 die in Deutschland stationierten Piloten über den bevorstehenden Betriebsübergang (vgl. Bl. 83, 85 d.A.). In einem Meeting in Nürnberg am 03.12.2019 wurden die in Nürnberg stationierten Piloten von der zum 28.03.2020 beabsichtigten Schließung der Station Nürnberg in Kenntnis gesetzt. Mit Schreiben vom 10.12.2019 teilte die R. DAC den in Deutschland stationierten Piloten mit, dass sie mit dem 31.12.2019 nicht mehr aus deutschen Basen heraus operieren werde, sondern alle Flüge aus Deutschland im Rahmen eines sog. Wet-Lease durch die Beklagte erbracht werden (vgl. Bl. 84 d.A.). Mit Memorandum vom 18.12.2019 wurden alle Piloten der Nürnberger Base daran erinnert, bis 31.12.2019 ihre Base-Präferenzen mitzuteilen (vgl. Bl. 105 d.A.). Der Kläger gab keine Präferenzen an.
12
Mit zweisprachigem Schreiben vom 20.01.2020, das dem Kläger am 27.01.2020 zuging, wurde dieser mit Wirkung zum 01.05.2020 nach Bergamo/Italien versetzt (vgl. Bl. 107 ff. d.A.). Vorsorglich kündigte die Beklagte mit diesem Schreiben das bestehende Arbeitsverhältnis zum 30.04.2020 und bot gleichzeitig an, das Arbeitsverhältnis ab 01.05.2020 in Bergamo fortzusetzen. Mit Schreiben vom 06.02.2020 widersprach der Kläger der Versetzung und nahm die Änderungskündigung unter dem Vorbehalt an, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist (vgl. Bl. 116 f. d.A.). Der tatsächliche Beginn der Tätigkeit des Klägers in Italien wurde aufgrund der COVID-19-Pandemie einvernehmlich auf den 01.07.2020 verschoben.
13
Die Beklagte erstattete mit Schreiben vom 21.01.2020 Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit in Nürnberg (vgl. Bl. 240 ff. d.A.).
14
Am 09.07.2020 übersandte die Beklagte dem Kläger einen Arbeitsvertrag, der in Ziffer 32 die Anwendung italienischen Rechts auf das Arbeitsverhältnis vorsieht (vgl. Bl. 173 ff. d.A.).
15
Mit Klage vom 17.02.2020, am gleichen Tag beim Arbeitsgericht Nürnberg eingegangen, hat der Kläger die Unwirksamkeit der Versetzung bzw. hilfsweise der vorsorglich ausgesprochenen Änderungskündigung geltend gemacht. Zudem hat er Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Vertragsbedingungen begehrt und die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 30.04.2020 hinaus fortbesteht, beantragt.
16
Der Kläger ist der Auffassung, dass auf das Arbeitsverhältnis deutsches Arbeitsrecht Anwendung finde, die Versetzung ins Ausland sei unzulässig. Bei der in Ziffer 6.1 des Arbeitsvertrages vom 23.03.2018 vereinbarten Versetzungsklausel handle es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung. Die Klausel sei intransparent gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und benachteilige ihn unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Der Arbeitnehmer wisse nicht, was ihn im Falle einer Versetzung erwarte, wenn es dort heiße, dass bei dem Transfer zu einer anderen Basis die Vergütung auf Basis des geltenden Vergütungssystems erfolgen solle. Die Beklagte stelle den Kernbereich des vertraglichen Synallagmas in ihr einseitiges Entscheidungsrecht und könne die Vergütung sowie die weiteren Arbeitsbedingungen ändern. Es liege zudem ein Verstoß gegen § 308 Nr. 4 BGB vor.
17
Die Möglichkeit einer internationalen Versetzung auch außerhalb der Europäischen Union sei mit deutschem Recht nicht vereinbar. Sie gehe weit über das nach § 106 Satz 1 GewO existierende Weisungsrecht hinaus, zumal der Kläger nach dem Arbeitsvertrag grundsätzlich am Nürnberger Flughafen stationiert sei. Ausgeschlossen sei nach der Formulierung nur eine völlig willkürliche Versetzung. Der TVSP weite das Weisungsrecht der Beklagten nicht aus, die Tarifvertragsparteien hätten sich hierauf nicht einigen können. Deswegen sei in § 3 Ziffer 2 Stufe 4 TVSP auch die Formulierung „per Versetzung oder Änderungskündigung“ aufgenommen worden. Die beratenden Anwälte seien sich in den Tarifvertragsverhandlungen einig gewesen, dass eine Versetzung die Zuweisung eines Einsatzortes im Ausland nicht ermögliche. Weiterhin habe die Beklagte das für die Änderung von Stationierungsorten vorgesehene Sozialauswahlverfahren nach § 6 TVSP nicht deutschlandweit durchgeführt.
18
Die Versetzung entspräche nicht billigem Ermessen, die Beklagte habe zu keiner Zeit die Interessen des Klägers berücksichtigt und die tarifliche Bindung völlig außer Acht gelassen. Sie habe in Ausübung ihres angeblichen Versetzungsrechts Tarifflucht begangen. Die Versetzung bedeute für den Kläger eine besondere Härte, da er seinen gesamten Lebensschwerpunkt in ein anderes Land verlegen müsse und hierbei mit Einkommenseinbußen rechnen müsse.
19
Der Kläger bestreitet, dass es zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Versetzung keine freien Stellen in Deutschland für die betroffenen Piloten gegeben habe. In der Zeit zwischen Ende Oktober und Anfang Dezember 2019 seien zwei Piloten nach dem Linetraining eingestellt worden, einer vermutlich an der Station in Köln, der andere in Frankfurt am Main. Die Beklagte habe Ende 2019 und Anfang 2020 Piloten aus England auf freie Stellen in Frankfurt, Piloten aus Hamburg auf freie Stellen in Berlin, Köln und Frankfurt versetzt.
20
Die vorsorglich ausgesprochene Änderungskündigung sei ebenfalls unwirksam. Diese sei schon zu unbestimmt, da im Kündigungsschreiben lediglich der Arbeitsort geändert worden sei, tatsächlich aber eine vollständige Änderung der Arbeitsbedingungen erfolge. Die Änderungskündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Die Durchführung einer ordnungsgemäßen Sozialauswahl werde bestritten, insoweit seien gemäß § 24 KSchG alle in Deutschland stationierten Piloten zu berücksichtigen. Die Beklagte habe sich nicht an das im TVSP vorgegebene Verfahren gehalten. Sie habe weder das Verfahren nach § 3 Ziffer 2 Stufe 1 TVSP durchgeführt, noch die Möglichkeit einer freiwilligen Änderung des Stationierungsortes eröffnet. Gleiches gelte für die Durchführung der Sozialauswahl nach § 3 Ziffer 2 Stufe 5 TVSP. Weiterhin verstoße die Änderungskündigung gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, da sie den Abschluss eines Arbeitsvertrages nach ausländischem Recht bezwecke und damit dem Kläger den Kündigungsschutz nehme. Insoweit handle es sich offensichtlich nicht um die am wenigsten beeinträchtigende Änderung.
21
Der Kläger hat erstinstanzlich ursprünglich folgende Anträge gestellt:
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, dem Kläger aufgrund der Versetzung vom 20.01.2020 eine Tätigkeit in Bergamo (Italien) zuzuweisen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen Arbeitsvertragsbedingungen als First Officer an einer Station der Beklagten in Deutschland weiterzubeschäftigen.
3. Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 2.:
Es wird festgestellt, dass die Änderungen der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom 20.01.2020, zugegangen am 27.01.2020, sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist.
4. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 30.04.2020 hinaus fortbesteht.
22
Nachdem die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 14.07.2020 nicht erschienen ist, hat das Arbeitsgericht Nürnberg mit Teilversäumnisurteil vom gleichen Tag dem Klageantrag zu 1. stattgegeben.
23
Gegen dieses Teilversäumnisurteil hat die Beklagte Einspruch eingelegt.
24
Im Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache vom 16.11.2020 hat der Kläger zuletzt folgende Anträge gestellt:
1. Das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 14.07.2020 wird aufrechterhalten.
2. Hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1.:
Es wird festgestellt, dass die Änderungen der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom 20.01.2020, zugegangen am 27.01.2020, sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam sind.
3. Hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 2.:
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als First Officer an einer Station der Beklagten in Deutschland weiterzubeschäftigen.
4. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 30.04.2020 hinaus fortbesteht.
25
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
26
Sie hat vorgetragen, dass die Versetzung des Klägers, jedenfalls aber die vorsorglich ausgesprochene Änderungskündigung, wirksam sei. Am 25.11.2019 habe die Geschäftsleitung der R. DAC die Entscheidung getroffen, künftig keine Flugzeuge mehr am Flughafen Nürnberg zu stationieren und die von ihr dort betriebene Base mit Wirkung zum 29.03.2020 vollständig und dauerhaft zu schließen. Diese Entscheidung sei auch nach der Übernahme des Flugbetriebs und der Arbeitsverhältnisse durch die Beklagte entsprechend weiterverfolgt und - insoweit klägerseits im Rahmen der Berufungsbegründung unstreitig gestellt - umgesetzt worden. Der Beschäftigungsbedarf für die in Nürnberg stationierten Piloten sei deshalb entfallen.
27
Die Versetzung des Klägers bewege sich in den durch den Arbeitsvertrag und den TVSP vorgegebenen Grenzen. Die vertragliche Versetzungsklausel unterliege keiner AGB-Kontrolle, da zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses deutsches Arbeitsrecht auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung gefunden habe. Die Versetzungsklausel entspreche auch inhaltlich der Regelung des § 106 Satz 1 GewO und stelle deshalb keine von Rechtsvorschriften abweichende Regelung im Sinne von § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB dar. Insbesondere habe die Beklagte beim Einsatz des Klägers eine angemessene bzw. vernünftige Entscheidung zu treffen, d.h. auch dessen Interessen miteinzubeziehen. Die vertragliche Regelung sei hinreichend klar und verstoße weder gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB noch gegen die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB. Versetzungsklauseln würden dem im Arbeitsverhältnis als Dauerschuldverhältnis bestehenden spezifischen Anpassungs- und Flexibilisierungsbedürfnis Rechnung tragen. Die Möglichkeit der internationalen Versetzung sei ausdrücklich und eindeutig vereinbart worden. Eine derartige Versetzungsklausel sei damit zulässig, insbesondere sei der Tätigkeit von Flugpersonal eine gewisse Volatilität und Flexibilität immanent. Die Frage, welche Folge sich hieraus für die Vergütung des Klägers ergebe, stelle sich erst in einem weiteren Schritt und berühre die Wirksamkeit der Versetzung nicht. Insoweit sei die Klausel hinsichtlich der Änderung der Vergütung jedenfalls im Rahmen des Blue-Pencil-Tests streichbar. Die Versetzungsentscheidung habe aufgrund der vollständigen Schließung des Stationierungsortes Nürnberg billigem Ermessen entsprochen.
28
Die Versetzung sei auch durch die Regelungen des TVSP gedeckt. Dieser bestätige lediglich das arbeitsvertraglich Erlaubte und sehe ausdrücklich eine Versetzung ins Ausland vor. Das in § 3 Ziffer 2 TVSP vorgesehene Stufenverfahren anlässlich der Schließung des Stationsortes Nürnberg sei eingehalten worden. Einen Stationierungsort nach Stufe 1 habe es beim Flughafen Nürnberg nicht gegeben. Stufe 2 sei nicht durchführbar gewesen, der Kläger habe keine Präferenzen angegeben, zudem habe es keine freien Stellen in Deutschland gegeben. Der auf Stufe 3 vorgesehene Abschluss eines Arbeitsvertrages als mobiler Pilot sei ebenfalls nicht in Betracht gekommen. Ein Pilot habe zum damaligen Zeitpunkt bereits über einen derartigen Vertrag verfügt und sei vorübergehend dem Stationierungsort Nürnberg zugewiesen gewesen. Dies sei gemäß den Regelungen des TVSP derjenige Pilot gewesen, der die längste Betriebszugehörigkeit aufgewiesen habe. Ein weiterer Vertrag als mobiler Pilot sei nicht verfügbar gewesen. Von den in Nürnberg einschließlich des mobilen Piloten stationierten 24 Piloten seien zwei im November und Dezember 2019 durch Eigenkündigung ausgeschieden. Den verbleibenden 21 Piloten sei mangels freier Arbeitsplätze an Stationsorten in Deutschland im Rahmen der Stufe 4 ein neuer Arbeitsort in Italien zugewiesen worden. Das insoweit gemäß § 6 TVSP vorzunehmende Auswahlverfahren sei nicht durchzuführen gewesen, da alle Piloten der Station Nürnberg eine Versetzung/Änderungskündigung erhalten hätten. Eine Sozialauswahl nach § 7 TVSP sei nur im Rahmen des Verfahrens nach Stufe 5, mithin bei Beendigungskündigungen, vorgesehen.
29
Die Sozialdaten des Klägers hätten demnach zu keinem anderen Ergebnis führen können, da es keine freien Stellen in Deutschland gegeben habe. Soweit der Kläger behauptet, dass zwischen Ende Oktober 2019 und Anfang Dezember 2019 zwei Piloten nach dem Linetraining neu eingestellt worden seien, sei einer als First Officer/Co-Pilot bereits am 10.06.2019 für den Stationierungsort Frankfurt eingestellt worden. Auf welchen Piloten sich der Kläger bezüglich der Base in Köln beziehe, sei nicht ersichtlich. Bereits vor der unternehmerischen Entscheidung vom 25.11.2019 betreffend die Schließung des Stationierungsorts Nürnberg sei entschieden worden, zwei Positionen für Co-Piloten in Köln und Baden-Baden an zwei Piloten aus Hamburg zu vergeben, da der Hamburger Stationierungsort zum 08.01.2020 geschlossen worden sei. Bei den Versetzungen von Hamburg nach Berlin habe es sich nicht um freie Positionen gehandelt, vielmehr hätten Kapitäne in Berlin angeboten, anlässlich der Schließung des Hamburger Stationierungsortes ihre Vollzeitstelle zu reduzieren und sich den Arbeitsplatz im Rahmen eines Jobsharings mit Kapitänen aus Hamburg zu teilen. Dies sei bereits vor der Versetzung der Nürnberger Kollegen geschehen. Die letzte Versetzung nach Frankfurt am Main sei zum 01.10.2019 und nach Frankfurt-Hahn mit Wirkung zum 01.12.2019 erfolgt. Beide Versetzungen seien bereits im Oktober 2019 ausgesprochen worden und damit ebenfalls vor Schließung des Nürnberger Stationierungsortes erfolgt.
30
Die tarifliche Versetzungsklausel sei aufgrund der Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien wirksam und von der in Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Tarifautonomie gedeckt. Es sei darauf zu verweisen, dass sich die beratenden Anwälte in den Tarifvertragsverhandlungen gerade nicht einig gewesen seien, dass ein Transfer von Arbeitnehmern aus Deutschland an eine andere Base im Wege der Versetzung nicht möglich sei. Die Versetzungsentscheidung habe auch billigem Ermessen entsprochen. Auf Seiten der Beklagten sei die unternehmerische Entscheidung zur dauerhaften Neuordnung der Stationierung der Piloten zu berücksichtigen. Von Bedeutung sei auch hierbei, dass die Erwartung eines ortsfesten Arbeitseinsatzes beim Flugpersonal vom Vertragszweck von vorneherein nicht gedeckt sei. Dem Kläger sei frühestmöglich mitgeteilt worden, dass er versetzt werde. Zudem seien die vom TVSP vorgesehenen Umzugsleistungen zu berücksichtigen. Die Unwirksamkeit der Versetzung ergebe sich auch nicht daraus, dass diese nach § 3 Ziffer 4 TVSP dazu führe, dass für den Kläger die am neuen Stationierungsort geltenden Arbeitsbedingungen zur Anwendung kämen. Dies ergebe sich bereits aus dem Versetzungsvorbehalt des Arbeitsvertrages sowie als automatische Folge aus dem TVSP. Der Vorwurf der Tarifflucht sei abwegig. Der Geltungsbereich des VTV sei ausdrücklich auf die in Deutschland stationierten Piloten begrenzt. Die Änderung der tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen trete aufgrund der durch die Versetzung ausgesprochene Änderung des Arbeitsortes ein. Insofern sei zwischen der Wirksamkeit der Versetzung und deren Folgen zu unterscheiden. Die Geltung der italienischen Arbeitsbedingungen sei eine automatische Folge des geänderten Arbeitsortes. Sofern die Versetzung nicht vom arbeitgeberseitigen Direktionsrecht umfasst gewesen sein sollte, so wäre jedenfalls die vorsorglich ausgesprochene Änderungskündigung wirksam.
31
Das Arbeitsgericht Nürnberg hat mit Endurteil vom 16.11.2020 das Teilversäumnisurteil vom 14.07.2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Dabei hat es seine internationale Zuständigkeit bejaht. Den Klageantrag zu 4. auf Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses hat es bereits als unzulässig zurückgewiesen, da hierfür kein Feststellungsinteresse ersichtlich sei. Die Versetzung des Klägers vom 20.01.2020 zum 01.05.2020 nach Bergamo hat es für wirksam gehalten und das Versäumnisurteil vom 14.07.2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Über die Hilfsanträge hatte das Arbeitsgericht nicht mehr zu entscheiden.
32
Das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 05.01.2021, in berichtigter Form am 11.02.2021, zugestellt worden. Hiergegen haben diese mit Schriftsatz vom 05.02.2021, eingegangen beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am selben Tag, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 05.03.2021, eingegangen beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am selben Tag, begründet.
33
In der Berufungsbegründung wiederholen und vertiefen die Klägervertreter überwiegend ihre bereits erstinstanzlich vorgebrachten Argumente.
34
Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die Versetzung des Klägers rechtmäßig gewesen sei. Diese sei bereits deshalb unwirksam gewesen, da die Beklagte billiges Ermessen nicht gewahrt, insbesondere die dem Kläger entstehenden Nachteile nicht in ihre Entscheidung miteinbezogen habe. Überdies habe das Arbeitsgericht den erstinstanzlichen Sachvortrag unbeachtet gelassen, wonach eine Versetzung ins Ausland im Wege des Direktionsrechtes nicht zulässig sei. Eine Versetzung ins europäische Ausland sei auch aufgrund des TVSP nicht möglich gewesen. Die tarifliche Regelung beziehe sich insoweit auf eine Versetzung innerhalb Deutschlands, die Änderungskündigung auf den Versuch der Arbeitgeberseite, eine Versetzung ins europäische Ausland vorzunehmen. Dies sei auch im Rahmen der Tarifvertragsverhandlungen so besprochen worden, zumindest zwischen den Tarifvertragsparteien streitig gewesen. Die tarifschließende Gewerkschaft habe bei Abschluss des TVSP deutlich gemacht, dass eine Erweiterung des Direktionsrechtes ein absolutes „No go“ sei. Deshalb hätten sich die Tarifvertragsparteien darauf geeinigt, dass eine Versetzung nur im Rahmen des vertraglich vorhandenen Direktionsrechts möglich sei.
35
Die tarifliche Formulierung sei auch keine eigenständige Regelung, sondern nehme auf die arbeitsvertragliche Regelung Bezug, womit letztere auf ihre Wirksamkeit hin überprüft hätte werden müssen. Der Tarifvertrag genieße insofern keinen Anwendungsvorrang, da eine tarifliche Regelung nur günstiger sein könne, sofern die arbeitsvertragliche Klausel an sich wirksam sei. Da die vertragliche Versetzungsklausel unwirksam sei, stelle die tarifliche Regelung eine Verschlechterung der Rechtsposition des Klägers dar, womit eine Versetzung nur im Rahmen des Direktionsrechtes nach § 106 Satz 1 GewO möglich sei. Eine Versetzung ins Ausland sei hierauf gestützt jedoch nicht zulässig. Nachdem das Direktionsrecht durch die tarifliche Regelung nicht erweitert werden sollte, stelle die vertragliche Regelung den maximal zulässigen Rahmen für die Versetzung dar.
36
Die Versetzungsklausel sei jedenfalls unangemessen und intransparent nach § 307 BGB, da sich der Arbeitgeber durch sie vorbehalte, ohne Ausspruch einer Änderungskündigung einseitig die vertraglich vereinbarte Tätigkeit zu Lasten des Arbeitnehmers ändern zu können. Die Klausel sehe vor, dass nach einer Versetzung zu einer anderen Station eine Vergütung nach dem dort gültigen Vergütungssystem erfolge. Die Beklagte vergüte den Kläger nach italienischen Bedingungen, ohne dies je angekündigt zu haben, obwohl seine Vergütung durch den VTV fest geregelt sei. Die Versetzung sei auch nicht nach billigem Ermessen erfolgt. Der TVSP gebe zwar ein bestimmtes Stufenverfahren vor, regle jedoch die Ausübung des Ermessens nicht abschließend, § 315 BGB müsse ergänzend herangezogen werden. Die Beklagte habe die Interessen des Klägers zu keiner Zeit in irgendeiner Form berücksichtigt. Für ihn bedeute die Versetzung nach Italien eine besondere Härte. Im Wege der Ausübung ihres angeblichen Versetzungsrechts habe die Beklagte Tarifflucht begangen und ihm tariflich zustehende Rechte einseitig vollständig geändert. Dem Kläger entstünden durch die Versetzung nach Italien erhebliche finanzielle Nachteile. Das tarifliche Grundgehalt betrage in Deutschland € 4.166,67, in Italien dagegen nur € 923,33. Dies bedeute eine schlechtere Absicherung, wenn nur wenig geflogen werde, da die Flugstunden ein variabler Gehaltsbestandteil seien. Für die Anreise von seinem Wohnort nach Italien entstünden zusätzliche Kosten für Miete von monatlich € 700,00 sowie Fahrtkosten mit der Bahn von monatlich € 969,50. Die Kosten könnten auf bis € 3.272,00/Monat steigen, wenn der Kläger mit dem Auto fahren müsse, da dann noch die Maut hinzukomme. Die Beklagte habe ihn von der deutschen Krankenkasse abgemeldet. Er erhalte kein Kurzarbeitergeld in Deutschland, aber auch keine Unterstützung in Italien, da er dort die erforderliche Wartezeit noch nicht erfülle. Zudem müsste er hierfür den italienischen Vertrag unterschreiben, was bedeute, dass er seine Versetzung endgültig akzeptiere. Nachdem keine Sozial- und Rentenabgaben in Deutschland erfolgen würden, falle seine künftige Rente dadurch niedriger aus. Fraglich sei auch, welche Unterstützung er im Fall des Eintritts von Arbeitslosigkeit erhalte. Darüber hinaus entstünde ein erheblicher zeitlicher Aufwand, für fünf Tage Arbeit sei er insgesamt sieben Tage unterwegs.
37
Das Arbeitsgericht hätte die Versetzung als unwirksam ansehen und die hilfsweise ausgesprochene Änderungskündigung auf ihre soziale Rechtfertigung hin überprüfen müssen. Diese sei bereits zu unbestimmt, es werde nur die Änderung der „Homebase“ genannt. Aus dem Schreiben ergebe sich nicht, dass damit unter Anwendung italienischen Rechts eine vollständige Änderung der Arbeitsbedingungen verbunden sei. Der Kläger wisse bis heute nicht, welche materiellen Arbeitsbedingungen Anwendung finden sollen. Nach dem VTV sei die Beklagte verpflichtet, auf das Arbeitsverhältnis des Klägers deutsches Arbeitsrecht anzuwenden und könne über eine Änderungskündigung keine Tarifflucht begehen. Die Beklagte hätte die Sozialauswahl gemäß § 24 KSchG auf alle auf in Deutschland stationierten Luftfahrzeugen eingesetzten Piloten erstrecken müssen. Sie habe auch das durch den TVSP vorgegebene Verfahren nicht eingehalten. Sie habe Wünsche von Piloten abgelehnt, in Italien stationiert zu werden und mit einem betroffenen Nürnberger Piloten zu tauschen. Die Regelungen in § 3 Ziffer 2 Stufe 4 bzw. § 6 TVSP hätten die Auswahl nicht zwingend auf die Piloten des betreffenden Stationierungsortes beschränkt. Die Sozialauswahl nach § 3 Stufe 5 TVSP sei nicht durchgeführt worden. Im Übrigen verstoße eine Änderungskündigung, die den Abschluss eines Arbeitsvertrages nach ausländischem Recht bezwecke und dem betroffenen Arbeitnehmer unter anderem den Kündigungsschutz nehme, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Hierbei handle es sich offensichtlich nicht um die am wenigsten beeinträchtigende Änderung.
38
Der Kläger und Berufungskläger beantragt daher in der Berufungsinstanz:
1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 16.11.2020, Az. 7 Ca 796/20, wird geändert.
2. Das Versäumnisurteil vom 14.07.2020 wird aufrechterhalten.
3. Hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 2.:
Es wird festgestellt, dass die Änderungen der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom 20.01.2020 sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam sind.
4. Hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 3.:
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen Arbeitsvertragsbedingungen als Captain in einer Station der Beklagten in Deutschland weiterzubeschäftigen.
39
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 16.11.2020, Az. 7 Ca 796/20, wird zurückgewiesen.
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Das Arbeitsgericht habe nach Auffassung der Beklagten die Klage gegen die Versetzung zu Recht abgewiesen. Die Versetzung des Klägers sei vom arbeitgeberseitigen Direktionsrecht nach § 106 Satz 1 GewO, dem Versetzungsvorbehalt im Arbeitsvertrag sowie den Regelungen des TVSP gedeckt gewesen. Die Ausführungen der Klägerseite in der Berufungsbegründung ergäben keine neuen Erkenntnisse, die eine abweichende Entscheidung begründen könnten.
41
Die im Rahmen der Tarifvertragsverhandlungen beratenden Anwälte seien sich gerade nicht ausdrücklich einig gewesen, dass eine „Transferierung“ eines Arbeitnehmers von Deutschland ins Ausland im Wege der Versetzung nicht gehen würde. Die Vertreter auf Beklagtenseite hätten nicht geäußert, dass eine Versetzung ins Ausland rechtlich nicht möglich sei. Die Formulierung „contractual transfers“ in § 3 Ziffer 2 Stufe 4 TVSP sei gewählt worden, um klarzustellen, dass der Arbeitgeber einseitig von dem im Arbeitsvertrag geregelten Versetzungsrecht Gebrauch machen könne und habe den Gegensatz zu „voluntary transfers“ in § 3 Ziffer 2 Stufe 2 TVSP darstellen sollen. Eine Differenzierung zwischen einer Versetzung innerhalb Deutschlands einerseits und einer Änderungskündigung ins Ausland andererseits finde sich an keiner Stelle des TVSP. Eine Änderungskündigung wäre im Einzelfall relevant gewesen, wenn - abweichend vom Regelfall - mit einem Piloten individuell ein Stationierungsort in Deutschland abschließend festgelegt worden wäre. Im TVSP sei keine Erweiterung des Direktionsrechtes erfolgt. Der arbeitsvertraglich geregelte Versetzungsvorbehalt sehe ausdrücklich eine Versetzung ins Ausland vor und sei damit inhaltlich bestätigt worden. Entgegen der Ausführungen des Arbeitsgerichts liege keine Unwirksamkeit des arbeitsvertraglichen Versetzungsvorbehaltes vor. Es komme allenfalls zu einer Verdrängung des weitergehenden arbeitsvertraglichen Versetzungsvorbehaltes durch die bestehende tarifliche Regelung für den speziellen Fall einer Standortschließung.
42
Die Frage, ob der Kläger nach der Versetzung eine geringere Vergütung erhalte, stelle sich als Folgefrage und müsse in einem separaten Verfahren geklärt werden. Es sei darauf zu verweisen, dass ihm eine Weiterbeschäftigung ermöglicht worden sei, welche gegenüber einer andernfalls erforderlichen Beendigungskündigung das mildere Mittel gewesen sei. Aus dem Geltungsbereich des VTV ergebe sich, dass dieser nach einer Versetzung ins Ausland nicht mehr gelte. Insoweit sehe § 3 Ziffer 4 TVSP ausdrücklich vor, dass für die Stationierungsorte in Italien die dort abgeschlossenen Tarifverträge gelten würden. Die Beklagte habe keine Tarifflucht begangen. Die vom Kläger angeführten Kosten und Zeiten, die für die Reise zum neuen Standort anfallen würden, habe die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigt. Die Versetzung ins Ausland sei wegen fehlender Vakanzen in Deutschland alternativlos gewesen. Der TVSP sehe Leistungen für die wirtschaftlichen Nachteile aufgrund eines Umzuges zu einem neuen Stationierungsort vor. Der Wegfall der Sozialversicherungspflicht in Deutschland ergebe sich zwingend aus der sog. Homebase-Regelung der einschlägigen EU-Verordnung.
43
Die hilfsweise ausgesprochene Änderungskündigung wäre nicht wegen einer fehlerhaften sozialen Auswahl unwirksam. Die Beklagte habe keinen Betrieb in Deutschland. Wenn man dies bejahen würde, sei der jeweilige Stationierungsort als Betrieb im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes anzusehen. Insoweit gelte für einen Luftverkehrsbetrieb die Fiktion, dass die Gesamtheit der Luftfahrzeuge dieses Luftverkehrsbetriebes als ein Betrieb im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes gelte. Grundvoraussetzung für § 24 KSchG sei jedoch, dass es überhaupt einen Luftverkehrsbetrieb im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes gebe. Die Auslegung des Klägers, wonach alle Flugzeuge eines Unternehmens immer einen Betrieb darstellen würden, sei fehlerhaft. Ein Luftverkehrsunternehmen könne in Deutschland über mehrere Luftverkehrsbetriebe verfügen. Die Fiktion des § 24 KSchG führe dann nicht dazu, dass sämtliche Flugzeuge dieser Luftverkehrsbetriebe als ein Betrieb des Kündigungsschutzgesetzes anzusehen wären. Da die Beklagte in Deutschland über keinen Luftverkehrsbetrieb verfüge, greife § 24 KSchG nicht. Sämtliche Entscheidungen in personellen und sozialen Angelegenheiten würden von der Personalabteilung in Malta getroffen, ein Leitungsapparat in Deutschland existiere nicht. Wenn überhaupt, gäbe es irgendwelche Strukturen nur an den jeweiligen Stationierungsorten, an denen nur fliegendes Personal beschäftigt sei. Pro Stationierungsort seien ein Pilot und ein Flugbegleiter als „Base Captain“ bzw. „Base Supervisor“ ernannt, welche unter anderem bestimmte administrative Aufgaben übernehmen würden. Die Stationierungsorte seien organisatorisch voneinander völlig unabhängig und würden allein von Malta bzw. Dublin aus gesteuert. Für den Fall, dass die Strukturen am Stationierungsort für einen Luftverkehrsbetrieb im Sinne des § 24 KSchG als ausreichend angesehen würden, existiere somit ein eigener Luftverkehrsbetrieb an jedem Stationierungsort mit der Folge, dass die Sozialauswahl auf diesen begrenzt wäre. Von dieser Betrachtung seien auch die Tarifvertragsparteien ausgegangen. Insoweit sei in § 3 Ziffer 2 Stufe 4 TVSP vorgesehen, dass Piloten des betroffenen Stationierungsortes ein anderer Stationierungsort zugewiesen werden könne. Da allen Piloten des Stationierungsortes Nürnberg eine vorläufige Änderungskündigung ausgesprochen worden sei, habe eine Sozialauswahl nicht erfolgen müssen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Darstellung des Sachverhalts in Tatbestand und Entscheidungsgründen des arbeitsgerichtlichen Endurteils, auf die Sitzungsprotokolle sowie auf die von den Parteien in erster und zweiter Instanz eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.
45
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft gemäß § 64 Abs. 1, Abs. 2 b) und c) ArbGG und in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG; 519, 520 ZPO.
46
Die Berufung wendet sich ausweislich der gestellten Anträge nicht mehr gegen die Abweisung des Klageantrages zu 4., so dass diese sich insoweit auch nicht als unzulässig erweist.
B.
47
Die Berufung ist jedoch in der Sache unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Versetzung des Klägers nach Bergamo für wirksam erachtet. Eine Überprüfung der hilfsweise geltend gemachten Feststellung der Unwirksamkeit der vorsorglich ausgesprochenen Änderungskündigung war nicht veranlasst. Gleiches gilt für die hilfsweise beantragte Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen.
48
I. Die internationale Zuständigkeit ist - was auch von den Parteien nicht in Zweifel gezogen wird - nach Art. 21 Nr. 2 lit. a EUGVVO gegeben, da der Kläger seine Arbeit zuletzt gewöhnlich von der Base in Nürnberg aus verrichtet hat (vgl. Zöller/Geimer, ZPO, 33. Aufl. 2020, Art. 21 EuGVVO, Rdnr. 6; zur Bedeutung des Begriffs der Heimatbasis als wichtigem Indiz für den Begriff des Ortes, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet vgl. BAG v. 07.05.2020, Az. 2 AZR 692/19).
49
II. Die Versetzung des Klägers nach Bergamo ist nach Ansicht des Berufungsgerichts vom Direktionsrecht der Beklagten nach § 106 GewO in Verbindung mit dem TVSP gedeckt. Die Frage, ob die Versetzungsklausel in Ziffer 6.1 des Arbeitsvertrages vom 23.03.2018 wirksam ist oder nicht, ist nach Auffassung des Berufungsgerichtes nicht entscheidungserheblich. Das erkennende Gericht schließt sich insoweit den sorgfältigen und weitgehend zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts sowie nach eigener Prüfung der Berufungsbegründung den zutreffenden rechtlichen Ausführungen des LAG Nürnberg vom 12.05.2021, Az. 2 Sa 29/21 bzw. des LAG Nürnberg vom 23.04.2021, Az. 8 Sa 450/20, an.
50
1. Die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Versetzung von Nürnberg nach Bergamo ist nach deutschem Recht zu überprüfen. Dies gilt trotz der Vereinbarung irischen Rechts in Ziffer 36.1 des Arbeitsvertrags vom 23.03.2018 sowohl für die Prüfung der Versetzungsklausel im Arbeitsvertrag als auch für die Frage, ob die Versetzung billigem Ermessen im Sinne des § 106 Satz 1 GewO entspricht.
51
a. Nach Art. 3 Abs. 1 Rom-I-VO gilt grundsätzlich die freie Rechtswahl. Vorliegend haben die Vertragsparteien ausdrücklich eine Rechtswahl getroffen und die Anwendung irischen Rechts vereinbart. Die Rechtswahl ist im internationalen Arbeitsvertragsrecht jedoch in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt, d.h. unabhängig von einer Vereinbarung über das anzuwendende Recht setzen sich bestimmte zwingende Normen aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes durch. Zunächst folgt aus Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Rom-I-VO, dass durch die Rechtswahl dem Arbeitnehmer nicht der Schutz der zwingenden Normen des Rechts entzogen werden darf, welches bei objektiver Anknüpfung nach Art. 8 Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 4 Rom-I-VO anzuwenden wäre. Bei objektiver Anknüpfung käme deutsches Recht zur Anwendung, da der Kläger an der Base in Nürnberg stationiert war und daher die Arbeit gewöhnlich von Deutschland aus verrichtet hat, Art. 8 Abs. 2 Satz 1, 2. Alt. Rom-I-VO (vgl. EuGH v. 14.09.2017, Az. C-168/16 und C-169/16; BAG v. 07.05.2020, a.a.O.). Zwingende Vorschriften in diesem Sinne sind Normen, die dem Schutz der Beschäftigten dienen und vertraglich nicht abdingbar sind, z.B. §§ 1 bis 14 KSchG sowie §§ 305 ff BGB (vgl. Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/Schlachter, 21. Aufl. 2021, Art. 9 Rom I-VO, Rdnr. 19). Hierzu zählen auch Tarifnormen, sofern sie für das Arbeitsverhältnis konkret gelten, § 4 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 TVG (vgl. BAG v. 09.07.2003, Az. 10 AZR 593/02; ErfK/Schlachter, a.a.O., Art. 9 Rom I-VO, Rdnr. 19). Anzuwenden ist die für den Arbeitnehmer günstigere Norm, wobei für den Günstigkeitsvergleich zusammengehörige Regelungskomplexe als sog. Sachgruppenvergleich zu vergleichen sind (vgl. Preis/Temming, Der Arbeitsvertrag, 6. Aufl. 2020, § 220, Entsendung, Rdnr. 9; m.w.N.).
52
b. Der zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Versetzung geltende VTV sieht ausdrücklich vor, dass rückwirkend ab 01.02.2019 für alle an deutschen Basen stationierten Piloten deutsches Recht zur Anwendung kommt.
53
aa. Eine solche Vereinbarung des Arbeitsvertrags-Statuts durch einen Tarifvertrag ist zulässig. Die Notwendigkeit des tariflichen Schutzes kann bei grenzüberschreitenden Unternehmenstätigkeiten nicht geringer eingeschätzt werden als bei rein nationalen Sachverhalten. Die anwendbare Rechtsordnung kann die Arbeitsverhältnisse in so erheblichem Ausmaß gestalten, dass sie als tariflich regelbare Arbeitsbedingung einzuordnen ist (vgl. ErfK/Schlachter, a.a.O., Art. 9 Rom I-VO, Rdnr. 7; Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht/Krebber, 3. Aufl. 2020, Art. 8 VO 593/2007/EG, Rdnr. 9; m.w.N.). Weitere Voraussetzung ist, dass der entsprechende Tarifvertrag das in Frage stehende Arbeitsverhältnis rechtlich erfasst und gestaltet. Dies ist bei Tarifgebundenheit nach §§ 3 Abs. 1 und 4 Abs. 2 TVG der Fall (vgl. EuArbRK/Krebber, a.a.O., Art. 8 VO 593/2007/EG, Rdnr. 9; m.w.N.). Im vorliegenden Fall liegt beiderseitige Tarifgebundenheit vor. Der Kläger ist Mitglied der tarifschließenden Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit e.V.. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten und diese selbst sind als tarifschließende Arbeitgeber Tarifpartei. Das Arbeitsverhältnis hätte ohne die im Arbeitsvertrag getroffene Rechtswahl deutschem Arbeitsrecht unterlegen. Die Parteien haben Nürnberg als Homebase des Klägers vereinbart. Aus der Gesamtheit der Umstände ergibt sich nicht, dass der Arbeitsvertrag eine engere Verbindung zu einem anderen Staat im Sinne von Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO hatte.
54
bb. Die Rechtswahl kann jederzeit geändert werden, Art. 3 Abs. 2 Rom I-VO. Dies haben die Tarifvertragsparteien für an den deutschen Basen stationierten Piloten getan, in dem sie deutsches Recht vereinbart haben. Hinzu kommt, dass die Beklagte und ihre Rechtsvorgängerin selbst Arbeitsvertrags- und Tarifvertragspartei sind. In einem solchen Fall wäre es ohnehin treuwidrig, sich weiterhin auf die Geltung irischen Rechts zu berufen.
55
2. Die Auslegung der arbeitsvertraglichen Versetzungsklausel ergibt, dass diese auch Versetzungen ins Ausland erfasst.
56
a. Bei den Regelungen des Arbeitsvertrags vom 23.03.2018 handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Hierauf lässt bereits das äußere Erscheinungsbild der formularmäßigen Vertragsgestaltung schließen. Es handelt sich um für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen. Jedenfalls ist der Arbeitsvertrag ein Verbrauchervertrag im Sinne von § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB. Dass der Kläger auf den Inhalt des Arbeitsvertrags Einfluss nehmen konnte, hat die Beklagte nicht behauptet.
57
b. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Vertragspartner zu orientierende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist (vgl. z.B. BAG v. 26.11.2020, Az. 8 AZR 58/20; BAG v. 03.12.2019, Az. 9 AZR 44/19; m.w.N.).
58
aa. Der Arbeitsvertrag vom 23.03.2018 enthält nach seinem Wortlaut keine Festlegung des Arbeitsortes. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verhindert die Bestimmung eines Ortes der Arbeitsleistung in Kombination mit einer im Arbeitsvertrag durch Versetzungsvorbehalt geregelten Einsatzmöglichkeit im gesamten Unternehmen regelmäßig die vertragliche Beschränkung auf den im Vertrag genannten Ort der Arbeitsleistung. In einem solchen Fall ist eine örtliche Versetzung vertraglich nicht ausgeschlossen und grundsätzlich vom Weisungsrecht des Arbeitgebers nach § 106 Satz 1 GewO gedeckt. Es macht keinen Unterschied, ob im Arbeitsvertrag auf eine Festlegung des Ortes der Arbeitsleistung verzichtet und diese dem Arbeitgeber im Rahmen von § 106 Satz 1 GewO vorbehalten bleibt oder ob der Ort der Arbeitsleistung bestimmt, aber die Möglichkeit der Zuweisung eines anderen Orts vereinbart wird. In diesem Fall wird lediglich klargestellt, dass § 106 Satz 1 GewO gelten und eine Versetzungsbefugnis an andere Arbeitsorte bestehen soll (vgl. BAG v. 30.11.2016, Az. 10 AZR 11/16; m.w.N.). Das Recht der Beklagten bezüglich des Arbeitsortes ist nicht durch den Arbeitsvertrag dahingehend eingeengt, dass jedwede andere Zuweisung eines Arbeitsortes außerhalb Nürnbergs per se unwirksam wäre. Die Formulierung „will be located principally at Nuremberg Airport and at such other place or places as the Company reasonably requires for the proper fulfiment of your duties and responsibilities under the Agreement“ kann nach beiden Übersetzungen nicht anders verstanden werden, als dass der Stationierungsort Nürnberg gerade nicht vertraglich garantiert war. Sie zielt vielmehr gerade darauf ab, sich die durch § 106 Satz 1 GewO eingeräumte Befugnis „vorzubehalten“, den Kläger auch an eine andere Base versetzen zu können.
59
bb. Der Wortlaut der Versetzungsklausel enthält weder nach der Übersetzung des Klägers noch nach der der Beklagten eine örtliche Begrenzung auf Deutschland oder Europa. Sie ist auch nicht unter Berücksichtigung der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise entsprechend einschränkend auszulegen. Es handelt sich hier um einen Arbeitsvertrag mit fliegendem Personal einer irischen Fluggesellschaft. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war die Anwendung irischen Rechts vereinbart. Weiter ist vereinbart, dass sich bei einer Versetzung die Vergütung nach dem an der neuen Base geltenden Gehaltssystem richten soll. Auch dies ist - unabhängig von der Wirksamkeit einer solchen Klausel - ein deutlicher Hinweis, dass eine Versetzung auch an eine ausländische Base, grundsätzlich weltweit, vertraglich vorbehalten sein sollte.
60
3. Die das Ausland erfassende Versetzungsklausel im Arbeitsvertrag verstößt nicht gegen zwingendes deutsches Arbeitnehmerschutzrecht.
61
a. Die Versetzungsklausel verstößt nicht gegen § 106 Satz 1 GewO.
62
aa. Nach § 106 Satz 1 GewO darf der Arbeitgeber den Ort der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften etwas Anderes festgelegt ist.
63
bb. Es ist zwar umstritten, ob die Regelung des § 106 Satz 1 GewO grundsätzlich auch eine Versetzung ins Ausland zulässt. So wird einerseits vertreten, dass die Befugnis zu einer Versetzung ins Ausland grundsätzlich direkt aus § 106 Satz 1 GewO folgt (vgl. ErfK/Preis, a.a.O., § 106 GewO, Rdnr. 18; m.w.N.). Nach anderer Ansicht ist eine Versetzung in einen ausländischen Betrieb allein auf der Grundlage von § 106 Satz 1 GewO in der Regel ausgeschlossen. Allerdings kann auch nach dieser Ansicht eine solche Möglichkeit vereinbart werden (vgl. Kreft in KR/Gemeinschafts-kommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 12. Aufl. 2019, § 2 KSchG, Rdnr. 66). Das Bundesarbeitsgericht hat festgehalten, dass es für die Möglichkeit der Versetzung (im entschiedenen Fall von Berlin nach Lyon wegen Betriebsverlagerung) auf die vertraglichen Vereinbarungen ankommt (vgl. BAG v. 20.04.1989, Az. 2 AZR 431/88). Der Meinungsstreit kann hier dahingestellt bleiben, da die Parteien im Arbeitsvertrag eine ins Ausland umfassende Versetzung vereinbart haben.
64
b. Die Versetzungsklausel ist nicht wegen Verstoßes gegen §§ 305 ff BGB unwirksam.
65
aa. Die Versetzungsklausel ist nicht intransparent im Sinne von § 307 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 1 Satz 2 BGB. Sie regelt eindeutig die Versetzungsmöglichkeit an eine andere Base und ist nicht auf Deutschland beschränkt.
66
bb. Die Versetzungsklausel hält auch der Inhaltskontrolle nach §§ 307 Abs. 1 Satz 1, 308, 309 BGB stand.
67
(1) Geht man davon aus, dass § 106 Satz 1 GewO ohnehin die örtliche Versetzung ins Ausland mitumfasst, weicht die arbeitsvertragliche Versetzungsklausel im Ergebnis nicht von der gesetzlichen Regelung ab. Eine solche unechte Erweiterung des Direktionsrechts auf das ohnehin zulässige Maß als gesetzeswiederholende allgemeine Geschäftsbedingung ist gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB inhaltskontrollfrei (vgl. ErfK/Preis, a.a.O., § 106 GewO, Rdnrn. 17, 18; m.w.N.).
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(2) Geht man davon aus, dass es sich bei der Versetzungsklausel um eine echte das Direktionsrecht erweiternde Klausel handelt, so unterliegt diese zwar der vollen Inhaltskontrolle der §§ 307 ff BGB, hält ihr jedoch stand.
69
(a) Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine formularmäßige Vertragsbestimmung ist unangemessen, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zu gewähren. Die Feststellung einer unangemessenen Benachteiligung setzt eine wechselseitige Berücksichtigung und Bewertung rechtlich anzuerkennender Interessen der Vertragspartner voraus. Zur Beurteilung der Unangemessenheit ist ein genereller typisierender, vom Einzelfall losgelöster Maßstab anzulegen. Im Rahmen der Inhaltskontrolle sind dabei Art und Gegenstand, der Zweck und die besondere Eigenart des jeweiligen Geschäfts zu berücksichtigen. Zu prüfen ist, ob der Klauselinhalt bei der in Rede stehenden Art des Rechtsgeschäfts generell unter Berücksichtigung der typischen Interessen der beteiligten Verkehrskreise eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners ergibt (vgl. BAG v. 13.03.2007, Az. 9 AZR 433/06).
70
(b) Es kann dahinstehen, ob die Klausel, soweit sie regelt, dass die Vergütung nach dem am neuen Standort geltenden Gehalts- und Flugvergütungssystem erfolgt, einer Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 ff BGB, insbesondere § 308 Nr. 4 BGB, standhält.
71
Die mögliche Unwirksamkeit dieser Klausel nach deutschem Recht führt jedenfalls nicht zur Gesamtunwirksamkeit der Versetzungsklausel. § 306 Abs. 1 BGB enthält eine kodifizierte Abweichung von der Auslegungsregel des § 139 BGB und bestimmt, dass bei Teilnichtigkeit grundsätzlich der Vertrag im Übrigen aufrechterhalten bleibt. Die Anwendung dieses Grundsatzes entspricht der Interessenlage beider Arbeitsvertragsparteien. Soweit die Klausel nicht teilbar ist, tritt an ihre Stelle gemäß § 306 Abs. 2 BGB das Gesetz. Die Teilbarkeit einer Klausel ist mittels des sog. Blue-Pencil-Tests durch Streichung des unwirksamen Teils zu ermitteln. Ist die verbleibende Regelung weiterhin verständlich, bleibt sie bestehen. Maßgeblich ist also, ob die Klausel mehrere sprachliche Regelungen enthält und der unzulässige Teil sprachlich eindeutig abtrennbar ist. Gegenstand der Inhaltskontrolle sind für sich jeweils verschiedene nur formal verbundene Vertragsbedingungen (vgl. BAG v. 13.04.2010, Az. 9 AZR 976/09).
72
Die Befugnis zur Versetzung und der Hinweis, dass im Falle der Versetzung/Übertragung/Transferierung an eine andere Base die Bezahlung nach dem dort geltenden Gehaltssystem erfolgen wird, sind inhaltlich abtrennbar, letzterer kann problemlos vollständig gestrichen werden. Die übrige Versetzungsklausel bleibt dennoch äußerlich und inhaltlich unverändert und behält ihre Selbständigkeit und ihren spezifischen Zweck. Eine etwaige Unwirksamkeit der Klausel, soweit sie das im Falle einer Versetzung geltende Vergütungssystem betrifft, berührt deshalb die verbleibende Regelung nicht.
73
(c) Die Versetzungsklausel benachteiligt den Kläger nicht unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.
74
Die gesetzliche Regelung des § 106 Satz 1 GewO sowie entsprechende Versetzungsklauseln tragen dem im Arbeitsrecht bestehenden spezifischen Anpassungs- und Flexibilisierungsbedürfnis Rechnung. Der Arbeitsvertrag bedarf als Dauerschuldverhältnis einer ständigen, bei Vertragsschluss gedanklich nicht vorwegnehmbaren Anpassung. Die Einflussfaktoren sind im Arbeitsrecht so zahlreich und vielgestaltig, dass gesicherte Prognosen kaum möglich sind. So sind die Art des Arbeitsvertrages, der Status des Arbeitnehmers, der konkret vereinbarte Inhalt, die Vergütungsform und der zeitliche Umfang der geschuldeten Tätigkeit sowie die Dauer der Vertragsbeziehung jeweils für die Wirksamkeit der Vertragsklausel relevant. Festlegungen bezüglich der zulässigen Entfernung sowie von Ankündigungsfristen sind bei Versetzungsklauseln zwar wünschenswert, jedoch nicht zwingend zur Vermeidung einer unangemessenen Benachteiligung erforderlich. Der Arbeitnehmer wird durch die nach §§ 106 Satz 1 GewO; 315 BGB durchzuführende Ausübungskontrolle vor unbilligen Überforderungen geschützt (vgl. BAG v. 13.04.2010, a.a.O.; ErfK/Preis, a.a.O., §§ 305 - 310 BGB, Rdnr. 46; m.w.N.).
75
Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitsvertrag vom 23.03.2018 die Position eines First Officers bei einem ausländischen Luftverkehrsunternehmen umfasst, der Arbeitsvertrag seitens der Rechtsvorgängerin der Beklagten nicht in Deutschland unterzeichnet und ausdrücklich die Anwendung irischen Rechts vereinbart worden ist. Dem Kläger musste aus den sich bei Vertragsabschluss ergebenden Umständen somit von Anfang an klar gewesen sein, dass sein Einsatz gerade nicht auf einen deutschen Stationierungsort begrenzt ist. Der Tätigkeit von Flugpersonal einer international tätigen Fluggesellschaft ist eine gewisse Volatilität bzw. Flexibilität immanent. Der Status des Klägers und die Art seines Arbeitsvertrages führen somit dazu, dass die arbeitsvertraglich vereinbarte Versetzungsmöglichkeit ins Ausland nicht unangemessen ist.
76
c. Auch die im Bereich der Luftfahrt geltenden Regelungen über Flug-, Dienst- und Ruhezeiten stehen der Wirksamkeit der getroffenen vertraglichen Regelung nicht entgegen. Nach § 20 ArbZG i.V.m. Art. 1 i.V.m. Ziffer 3.1 des Anhangs III Abschnitt Q OPS 1.1090 der Verordnung (EG) Nr. 859/2008 vom 20.08.2008 (ABl. EU L 254 v. 20.09.2008 S. 1, 223) ist die Beklagte verpflichtet, für jedes Besatzungsmitglied eine „Homebase“ anzugeben. Aus diesen Vorschriften ergibt sich aber keine Verpflichtung, diese Base arbeitsvertraglich so festzuschreiben, dass eine Änderung nur im Wege einer Änderungskündigung erfolgen könnte. Vielmehr schließen auch diese Vorschriften nicht aus, dass der Arbeitgeber im Rahmen der vertraglichen Regelungen im Wege des Direktionsrechts diese „Homebase“ verändert und gegenüber dem Besatzungsmitglied neu benennt (vgl. BAG v. 30.11.2016, a.a.O.; m.w.N.).
77
d. Die arbeitsvertragliche Versetzungsklausel verstößt allerdings gegen die Regelungen im TVSP und ist, soweit sie die Versetzung über die EU-Länder einschließlich Großbritannien, Norwegen und die Schweiz hinaus ermöglicht, nicht anzuwenden. Die arbeitsvertragliche Regelung ist insoweit nicht günstiger als die tarifliche Regelung, § 4 Abs. 3 TVG.
78
aa. Auf Grund beiderseitiger Tarifgebundenheit gilt der TVSP für das Arbeitsverhältnis der Parteien unmittelbar und zwingend, §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG. Der TVSP gilt nach dessen § 1 Ziffer 1 „(i) für alle dauerhaften (…) Stilllegungen und Einschränkungen (…) von Stationierungsorten in Deutschland und (ii) für alle Piloten mit einem Arbeitsvertrag mit R. (…) mit einer deutschen „Homebase“, die auf Grund einer dauerhaften Stilllegung/Einschränkung ihres Stationierungsortes in Deutschland für eine Versetzung/Kündigung ausgewählt werden können“. Der Kläger hatte seine „Homebase“ in Nürnberg, dieser Stationierungsort wurde stillgelegt. Damit ist der räumliche, sachliche und persönliche Anwendungsbereich des TVSP eröffnet.
79
bb. Der TVSP regelt im Einzelnen den Prozess der Personalreduzierung bei Stilllegungen von Stationierungsorten und lässt hierbei in § 3 Ziffer 2 Stufe 4 nur die Versetzung/Änderungskündigung innerhalb Europas einschließlich Großbritanniens, Norwegens und der Schweiz zu, also keine weltweite Versetzung. Eine Versetzung an einen außerhalb dieses Raums liegenden Ort ist nicht geregelt. Damit enthält der Arbeitsvertrag hinsichtlich des Regelungsbereichs des TVSP keine hiervon abweichenden günstigeren Regelungen. Die Regelungen des TVSP gehen daher als nicht ungünstigere Regelungen vor und sind anzuwenden, § 4 Abs. 3 TVG.
80
cc. Es liegt somit eine Einschränkung des vertraglichen Weisungsrechts vor und entgegen der Auffassung des Klägers gerade keine Erweiterung. Er trägt selbst vor, dass die Tarifvertragsparteien sich im Rahmen des arbeitsvertraglich vereinbarten Weisungsrechtes halten wollten und eine Versetzung nur im Rahmen der vertraglichen Vereinbarungen möglich sein sollte. Diese Voraussetzung ist vorliegend gegeben. Für Arbeitsverträge, die hingegen eine Konkretisierung des Arbeitsortes und damit eine Einschränkung des Weisungsrechts beinhalten, wäre eine darüber hinausgehende Versetzung nur im Rahmen einer Änderungskündigung möglich. Diese Differenzierung erfolgt durch den TVSP. Insoweit wird in § 3 Ziffer 2 Stufe 4 TVSP auch ausdrücklich von einer Änderung des Stationierungsortes per „Versetzung oder Änderungskündigung“ gesprochen. Damit wird deutlich, dass die Tarifvertragsparteien von verschiedenen Fallkonstellationen ausgegangen sind, aber eben auch von der Möglichkeit einer vom Weisungsrecht gedeckten Versetzung. Dass die tarifschließende Gewerkschaft im Rahmen der Tarifverhandlungen insoweit die Rechtsauffassung gehabt hat, dass § 106 Satz 1 GewO bzw. die vertraglichen Regelungen ohne Ausnahme nur eine Inlandsversetzung zulassen würden und die Aufnahme der Formulierung „Versetzung oder Änderungskündigung“ aus dem Grund erfolgt sei, dass Versetzungen nur Stationen im Inland und Änderungskündigungen Stationierungsorte im Ausland umfassen, ist irrelevant. Der Kläger trägt selbst vor, dass diese Frage im Rahmen der Tarifverhandlungen kontrovers diskutiert wurde und somit beide Parteien das Risiko auf sich genommen haben, dass der Umfang des arbeitsvertraglichen Weisungsrechtes durch die Arbeitsgerichte anders beurteilt werden könnte.
81
4. Die Versetzung des Klägers nach Bergamo erfolgte im Rahmen der Regelungen des § 106 Satz 1 GewO i.V.m. § 3 TVSP und aufgrund einer nicht zu beanstandenden Ermessensentscheidung der Beklagten. Nach § 3 Ziffer 2 Stufe 4 des TVSP kann eine arbeitgeberseitige Änderung der Stationierungsorte bei Stilllegung oder Einschränkung von Stationierungsorten innerhalb Deutschlands oder an einem anderen Stationierungsort in EU-Länder einschließlich Großbritannien, Norwegen und Schweiz erfolgen. Einer Änderungskündigung bedurfte es nicht.
82
a. Die Versetzung ist nicht bereits deshalb unwirksam, weil nach § 3 Ziffer 4 TVSP Piloten, die an einen anderen ausländischen Stationierungsort verlegt werden, zu den dort geltenden Arbeitsbedingungen, insbesondere den Gehältern gemäß dem an dem neuen Stationierungsort geltenden Tarifvertrag, weiterbeschäftigt werden. Die Tarifvertragsparteien haben mit dieser Regelung nicht die ihnen zustehende tarifliche Regelungsmacht überschritten.
83
aa. Es liegt keine Umgehung zwingender Kündigungsschutzvorschriften vor. Insoweit sollen wesentliche Elemente des Arbeitsvertrages gerade nicht einer einseitigen Änderung durch den Arbeitgeber unterliegen, durch die das Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung grundlegend gestört würde. Die Regelung in § 3 Ziffer 4 Satz 1 TVSP ist keine Änderung der Arbeitsbedingungen im Sinne des § 2 KSchG. Der Eingriff in das Gehaltsgefüge, das sich aufgrund eines automatischen Wegfalls der Geltung eines Tarifvertrages und der möglichen Anwendung eines anderen Tarifvertrages ergibt, erfolgt nicht aufgrund einer einseitigen Gestaltungserklärung des Arbeitgebers und lässt günstigere arbeitsvertragliche Regelungen unberührt, § 4 Abs. 3 TVG.
84
bb. Die Versetzung selbst greift auch nicht in die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitsvergütung ein.
85
(1) Eine Erhöhung der mit der Berufsausübung verbundenen finanziellen Belastungen wie z.B. Fahrtkosten oder Übernachtungskosten betrifft nicht die vereinbarte Vergütung. Dies ist bei der Ausübungskontrolle im Rahmen der Prüfung des billigen Ermessens zu berücksichtigen (vgl. BAG v. 28.08.2013, Az. 10 AZR 569/12).
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(2) Die Versetzung betrifft die Änderung des Stationierungsortes. Die Tätigkeit des Klägers bleibt unverändert. Es ist keine Änderung der arbeitsvertraglich vereinbarten Vergütung erfolgt, dies wäre nur über eine Änderungskündigung oder einvernehmlich möglich. Das zuletzt vom Kläger verdiente Bruttomonatsgehalt hat sich nicht aus dem Arbeitsvertrag, sondern aus dem für das Arbeitsverhältnis unmittelbar und zwingend geltenden VTV ergeben. Dieser Tarifvertrag entfaltet aber nur Wirkung für die in seinen örtlichen Geltungsbereich fallenden Piloten und findet ab dem Zeitpunkt der Versetzung nach Bergamo, mithin ab 01.05.2020 bzw. ab 01.07.2020 keine Anwendung mehr. Eine dauerhafte Entsendung aus dem räumlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrages führt regelmäßig zum Ende der Geltung des Tarifvertrages, es sei denn, arbeitsvertraglich ist etwas Anderes geregelt. Dies ist jedoch hier nicht der Fall. Bei einer nicht nur vorübergehenden Entsendung tritt ein Statutenwechsel zum ausländischen Recht ein, es entfällt das TVG und die Geltungsgrundlage für einen deutschen Tarifvertrag (vgl. Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 4 Rdnrn. 204, 206; m.w.N.). Die Änderung des kollektiven Rechts aufgrund der Änderung des Arbeitsortes tritt automatisch ein, eine Änderungskündigung ist nicht erforderlich. Tarifverträge gelten - soweit nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart ist - grundsätzlich nur für Arbeitnehmer, die unter deren Geltungsbereich fallen. Mit der dauerhaften Versetzung nach Italien gilt der VTV für den Kläger nicht mehr. Ob ein in Italien von den dort zuständigen Tarifvertragsparteien geschlossener Tarifvertrag automatisch für den Kläger Anwendung findet, ist dann zunächst wohl nach irischem Recht zu beurteilen, es sei denn, die Tarifvertragsparteien in Italien hätten insoweit ebenfalls eine Änderung des Arbeitsvertrags-Statuts vereinbart.
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b. Die Versetzung hält auch der Ermessensausübungskontrolle nach §§ 106 Satz 1 GewO; 315 BGB stand.
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aa. Dem Inhaber des Bestimmungsrechts nach § 315 Abs. 1 BGB verbleibt für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Innerhalb dieses Spielraums können ihm mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Dem Gericht obliegt nach § 315 Abs. 3 BGB insoweit allein die Prüfung, ob der Arbeitgeber die Grenzen seines Direktionsrechts beachtet hat. Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und der Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Hierzu gehören die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen. Welche Umstände dies im Einzelnen sind, hängt auch von der Art der Leistungsbestimmung ab, die der Berechtigte zu treffen hat. So können bei der Zuweisung der Tätigkeit an einen anderen Ort andere Faktoren relevant sein als bei der Bestimmung der Höhe einer variablen Vergütung. Von maßgeblicher Bedeutung kann auch die Ursache für die Notwendigkeit der Leistungsbestimmung sein. Ob die Interessen des Arbeitnehmers angemessen berücksichtigt wurden, kann nur durch Abwägung mit den dienstlichen Gründen des Arbeitgebers ermittelt werden, die zu der Ausübung des Direktionsrechts geführt haben. Die Berücksichtigung schutzwürdiger Belange des Arbeitnehmers anlässlich der Ausübung des Direktionsrechts kann eine personelle Auswahlentscheidung des Arbeitgebers erfordern, wenn mehrere Arbeitnehmer betroffen sind. Die Leistungsbestimmung ist dann gegenüber demjenigen Arbeitnehmer zu treffen, dessen Interessen weniger schutzwürdig sind. Ob die Entscheidung der Billigkeit entspricht, unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle, § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB. Die Darlegungs- und Beweislast für die Wirksamkeit der getroffenen Ermessensausübung liegt beim Arbeitgeber. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - ein Tarifvertrag eine Versetzung zulässt (vgl. BAG v. 10.07.2013, Az. 10 AZR 915/12).
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bb. Die Beklagte hat bei ihrer Versetzungsentscheidung - wie das Arbeitsgericht völlig zutreffend ausführt - nach objektiver Betrachtung billiges Ermessen gewahrt. Die Versetzung entspricht auch der in § 3 TVSP geregelten Vorgehensweise bei Stilllegungen von Stationierungsorten. Der TVSP will im Rahmen von Stilllegungen von Stationierungsorten und sich hieraus ergebenden und absehbaren Personalüberhängen die Piloten vor notwendigen betriebsbedingten Beendigungskündigungen schützen, eine geordnete Stilllegung von Stationierungsorten ermöglichen, die den Interessen der Arbeitnehmer an einem höchstmöglichen Bestandsschutz ihrer Arbeitsverhältnisse Rechnung trägt, indem zunächst Versetzungsmöglichkeiten voll ausgeschöpft werden müssen.
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(1) Anlass für die Versetzung war die unstreitige vollständige Stilllegung des Stationierungsortes in Nürnberg zum 29.03.2020 und damit ein Personalüberhang in Bezug auf die am Flughafen Nürnberg stationierten Piloten.
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(2) Der Pilotenüberhang konnte nicht über § 3 Ziffer 2 Stufe 1 TVSP abgebaut werden. Die Beklagte hat dargelegt, dass eine Änderung des Stationierungsortes zu von der IATA als dieselbe Stadt bedienend benannten Flughäfen oder eine Änderung des Stationierungsortes mit einer Fahrtzeit von weniger als 60 Minuten nicht möglich war, da es einen solchen Stationierungsort nicht gibt. Dies wurde vom Kläger auch bereits erstinstanzlich nicht bestritten.
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(3) Der Kläger hat innerhalb der bis 31.12.2019 gesetzten Frist keine Präferenzen für einen anderen Standort angegeben. Insoweit hat die Beklagte auch unbestritten vorgetragen, dass in Deutschland keine freien Stellen vorhanden gewesen sind, womit § 3 Ziffer 2 Stufe 2 TVSP nicht zum Tragen gekommen ist. Unabhängig davon hat die Beklagte auch zum Sachvortrag des Klägers, wonach zwischen Ende Oktober und Anfang Dezember 2019 zwei Piloten nach dem Linetraining eingestellt worden seien, einer vermutlich an der Station in Köln, der andere in Frankfurt am Main sowie, dass Ende 2019 und Anfang 2020 Piloten aus England nach Frankfurt und Piloten aus Hamburg nach Berlin, Köln sowie Frankfurt versetzt worden seien, substantiiert Stellung genommen, was nicht mehr bestritten worden ist. Nach dem Vortrag der Beklagten gab es zum Zeitpunkt der Entscheidung vom 25.11.2019, den Stationierungsort in Nürnberg zu schließen, keine freien Arbeitsplätze in Deutschland mehr. Ein Pilot sei als First Officer/Co-Pilot bereits am 10.06.2019 für den Stationierungsort Frankfurt eingestellt worden. Zwei Positionen für Co-Piloten an den Stationierungsorten Köln und Baden-Baden, die im November 2019 frei geworden sind, sind an zwei Piloten aus Hamburg vergeben worden. Bei den Versetzungen von Hamburg nach Berlin hat es sich nicht um freie Positionen in Berlin gehandelt, sondern anlässlich der Schließung des Hamburger Stationierungsortes haben Kapitäne aus Berlin angeboten, ihre Vollzeit zu reduzieren und sich den Arbeitsplatz im Rahmen eines Jobsharings mit einem der Hamburger Kapitäne zu teilen. Dies ist bereits vor der Versetzung der Nürnberger Piloten geschehen. Die Versetzung nach Frankfurt am Main ist zum 01.10.2019 und die Versetzung nach Frankfurt-Hahn mit Wirkung zum 01.12.2019 erfolgt, wobei diese bereits im Oktober 2019 ausgesprochen worden sind.
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(4) Die Beklagte hat weiter ausgeführt, dass zum Zeitpunkt der Versetzung auch keine Möglichkeit zum Abschluss eines Arbeitsvertrages als mobiler Pilot gemäß § 3 Ziffer 2 Stufe 3 TVSP bestand, da der einzige Arbeitsplatz für einen mobilen Piloten an einen Kollegen vergeben worden ist, der nach § 5 TVSP sozial schutzwürdiger war. Dies wurde vom Kläger ebenfalls nicht mehr bestritten.
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(5) Nach der Regelung in § 3 Ziffer 2 Stufe 4 TVSP war die Auswahl der Piloten, denen arbeitgeberseitig ein anderer Stationierungsort zugewiesen wird, gemäß § 6 TVSP vorzunehmen. Die Beklagte hat insoweit unwidersprochen vorgetragen, dass keine freien Stellen in Deutschland mehr vorhanden gewesen sind. Eine Verletzung der tariflichen Bestimmungen ist deshalb nicht erkennbar. Die in § 3 Ziffer 2 Stufe 5 TVSP nach § 7 TVSP vorzunehmende Sozialauswahl ist nur für den Fall von Beendigungskündigungen vorgesehen und nicht bei Versetzungen vorzunehmen. Abgesehen davon sind alle Piloten des Nürnberger Stationierungsortes nach Italien versetzt worden, so dass auch unter diesen keine Auswahl getroffen werden konnte. Eine Auswahlentscheidung unter Abwägung der dienstlichen Belange der Beklagten und der persönlichen Umstände des Klägers war aufgrund der gleichen Ausgangslage für alle in Nürnberg stationierten Piloten damit nicht zu treffen.
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cc. Die Ermessensentscheidung der Beklagten war somit weitgehend durch das im TVSP geregelte Stufenverfahren vorgegeben. Etwaige Motive oder Erwägungen der Beklagten, die unternehmerische Entscheidung zur Stilllegung von Standorten zu treffen, können dahinstehen. Die Organisationsentscheidung kann nicht auf ihre Zweckmäßigkeit hin überprüft werden. Die Tarifparteien haben die Interessen der von einem Umzug betroffenen Piloten in § 8 TVSP mit Umzugsleistungen von € 2.000,00, die sich bis maximal € 8.000,00 für unterhaltsberechtigte Personen steigern, sowie eine Woche bezahlte Freistellung berücksichtigt. Es ist nicht ersichtlich, dass - nachdem in Deutschland keine freien Stellen vorhanden waren - ein weniger belastender, insbesondere näherliegender Stationierungsort als Bergamo zur Verfügung gestanden hätte. Die soziale Absicherung beim Wechsel des Arbeitsortes ins europäische Ausland richtet sich nach der VO (EG) 883/2004. Nach Art. 11 Abs. 5 VO (EG) 883/2004 gilt die Tätigkeit eines Piloten in dem Mitgliedstaat ausgeübt, in dem sich die Heimatbasis im Sinne von Anhang III der VO (EWG) Nr. 3922/91 befindet, nach der Versetzung also Italien. Dass ein anderer Stationierungsort der Beklagten mit freien Stellen im Hinblick auf die soziale Absicherung weniger belastend gewesen wäre, ist weder behauptet noch ersichtlich. Die Versetzung ist auch mit einer Ankündigungsfrist erfolgt. Insbesondere aufgrund der Einhaltung des tariflich geregelten Stufenverfahrens ist die Versetzungsentscheidung damit sowohl unter Berücksichtigung der Interessen des Einzelfalles als auch unter Einbeziehung aller von der Stilllegung erfassten Arbeitnehmer nach billigem Ermessen im Sinne der §§ 106 Satz 1 GewO; 315 Abs. 1 BGB erfolgt.
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III. Über den für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag auf Aufrechterhaltung des Teilversäumnisurteils vom 14.07.2020 hilfsweise gestellten Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der vorsorglichen Änderungskündigung sowie den hilfsweise gestellten Weiterbeschäftigungsantrag zu den bisherigen Vertragsbedingungen war aufgrund der Wirksamkeit der Versetzung nicht mehr zu entscheiden.
C.
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Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.
D.
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Wegen grundsätzlicher Bedeutung war die Revision nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.