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VG Ansbach, Urteil v. 04.05.2021 – AN 2 K 18.01393
Titel:

unerkannte Prüfungsunfähigkeit, Allgemeine Prüfungsordnung für die Diplom-, Bachelor- sowie Masterprüfungen an der, Fachprüfungsordnung für den wissenschaftlichen

Schlagworte:
unerkannte Prüfungsunfähigkeit, Allgemeine Prüfungsordnung für die Diplom-, Bachelor- sowie Masterprüfungen an der, Fachprüfungsordnung für den wissenschaftlichen
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 09.05.2022 – 7 ZB 21.1805
Fundstelle:
BeckRS 2021, 52578

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1
Die Klägerin war von … bis … im … und anschließend bis … im …, dessen Diplomvorprüfung sie endgültig nicht bestand, an der Universität … eingeschrieben. Seit dem Sommersemester 2007 studiert sie im …, wobei ihr eine Reihe von Studienleistungen aus dem Studiengang … angerechnet wurden und sie sogleich in das 2. Fachsemester eingestuft wurde. Aufgrund von … war die Klägerin von Oktober 2003 bis März 2007 und von April 2008 bis September 2011 beurlaubt gewesen. Auf ihren Antrag bewilligte der Prüfungsausschuss eine Fristverlängerung für das Grundstudium bis zum Ende des Wintersemesters 2013/2014.
2
Am 11. April 2016 unterzog sich die Klägerin der schriftlichen Prüfung im Pflichtfach „Elektromagnetische Felder II“ der Studienrichtung Automatisierungstechnik, die sie mit der Note 4,7 (nicht ausreichend) nicht bestand. Zum ersten Wiederholungsversuch am 22. Juli 2016 trat die Klägerin nicht an, mit der Folge, dass sie die Note 5,0 (nicht ausreichend) erhielt. Die zweite Wiederholungsprüfung am 3. April 2017 wurde ebenfalls mit der Note 4,7 (nicht ausreichend) nicht bestanden.
3
Die Klägerin beantragte daraufhin bei der Hochschule die erneute Teilnahme an der Prüfung „Elektromagnetische Felder II“ bzw. die Annullierung des zweiten Versuchs der Prüfung.
4
Zur Begründung trug sie vor, dass sie versehentlich den Termin zur ersten Wiederholungsprüfung verpasst habe. Im Sommersemester 2016 hätte sie sich verlesen und den Prüfungstermin für die Prüfung im Fach „Elektromagnetische Felder I“ statt „Elektromagnetische Felder II“ in ihren Kalender eingetragen. Der Fehler sei ihr erst nach dem Prüfungstermin aufgefallen. Von der Möglichkeit, einen Prüfungsversuch annullieren zu lassen, habe sie keine Kenntnis gehabt. Da sie mit ihrem Studium, ihren …, ihrem … sowie ihrer beruflichen Tätigkeit gänzlich ausgelastet und davon ausgegangen sei, bei dem nächsten Versuch diese Prüfung bestehen zu können, habe sie sich um ihr Versäumnis nicht weiter gekümmert. Demgegenüber habe sich die Prüfungsvorbereitung im Wintersemester 2016/2017 aber doch als schwierig erwiesen, was an der familiären und beruflichen Belastung gelegen habe. Die Klägerin legte außerdem ein … Attest vom 12. Mai 2017 vor, wonach sie sich seit 13. Mai 2016 wegen … in … Behandlung befunden habe und in den letzten Jahren ihrer Prüfungsvorbereitung in erheblichem Ausmaß beeinträchtigt gewesen sei.
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Nachdem der zuständige Prüfungsausschuss ihren Antrag abgelehnt hatte, wurde ihr mit Bescheid vom 17. Juli 2017 das endgültige Nichtbestehen der Diplomprüfung im Studiengang … bekannt gegeben.
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Mit Schreiben vom 31. Juli 2017 beantrage die Klägerin unter Vorlage eines fachärztlichen Attests vom 30. Juli 2017 Gewährung eines Nachteilsausgleichs bei schriftlichen Prüfungen. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass nach Mitteilung des Ergebnisses der nicht bestandenen Prüfung vom 3. April 2017 bei ihr eine Lesestörung und eine Rechtschreibschwäche festgestellt und attestiert worden sei. Erst nach Bekanntgabe des Nichtbestehens der Prüfung im Drittversuch habe sie darüber nachgedacht, warum sie, trotz ihrer im Vergleich zum ersten Versuch, besseren Vorbereitung, durchgefallen sei. Mit E-Mail vom 3. August 2017 teilte die Hochschule der Klägerin mit, dass sie aufgrund des erhobenen Widerspruchs zu den Prüfungen im Sommersemester 2017 zugelassen werde. Mit weiterer E-Mail vom 9. August 2017 genehmigte der Prüfungsausschuss … den Antrag der Klägerin auf Nachteilsausgleich und gewährte ihr eine Verlängerung der Bearbeitungszeit für Klausuren um 20%.
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Mit Bescheid vom 15. Juni 2018 wurde der Widerspruch der Klägerin gegen das endgültige Nichtbestehen der Diplomprüfung zurückgewiesen.
8
Die Klägerin habe sämtliche, nach der Prüfungsordnung zustehenden Wiederholungsversuche im Pflichtfach „Elektromagnetische Felder II“ erfolglos ausgeschöpft. Die Gründe für die Nichtteilnahme an der ersten Wiederholungsprüfung seien von der Klägerin zu vertreten gewesen. Ungeachtet der Tatsache, dass keine besonderen Umstände geltend gemacht worden seien, sehe die Prüfungsordnung auch keine weitere Wiederholungsmöglichkeit aus Härtefallgründen vor. Die von der Klägerin geschilderten familiären Belastungen seien keine prüfungsbezogenen Gesichtspunkte, sondern allgemeiner sozialer Natur und könnten daher nicht berücksichtigt werden, weil sie das typischerweise durch jeden (familiär gebundenen) Studierenden zu tragende Lebenshaltungsrisiko beträfen. Im Hinblick auf die von der Klägerin dargelegte Lesestörung und Rechtschreibschwäche sei ihr für alle künftigen Prüfungen ein Nachteilsausgleich durch Schreibzeitverlängerungen bewilligt worden. Rückwirkend könne dieser Nachteilsausgleich jedoch nicht für bereits abgelegte Prüfungen herangezogen werden.
9
Die Klägerin ließ hiergegen über ihre Bevollmächtigten Klage erheben und beantragen,
unter Aufhebung des Bescheids der Hochschule vom 17. Juli 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juni 2018 die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin zu einer weiteren Wiederholungsprüfung im Fach Elektromagnetische Felder II zuzulassen,
hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin zum Bachelor-Studiengang … unter vollständiger Anerkennung ihrer bisherigen Leistungen zuzulassen.
10
Zur Begründung wurde vorgetragen, die Klägerin sei bei Ablegung unerkannt prüfungsunfähig gewesen. Sie sei zwar bei Ablegung beider Prüfungen der Auffassung gewesen, dass ihre Leistungsfähigkeit nicht durch Krankheit beeinträchtigt sei, sie habe aber danach - nach Ablegung der zweiten Wiederholungsprüfung - feststellen müssen, dass sie an einer Lese- und Rechtschreibschwäche leide. Während der Prüfung habe die Klägerin das nicht erkannt, danach aber ärztlich bestätigt erhalten. Vor diesem Hintergrund hätte der Klägerin ein weiterer Wiederholungsversuch gewährt werden müssen, denn es erscheine unverhältnismäßig, trotz unerkannter Lese- und Rechtschreibschwäche beide Prüfungsergebnisse zu bewerten. Hinsichtlich des gestellten Hilfsantrags hätte man der Klägerin zumindest den Wechsel in den Studiengang ermöglichen müssen. Es erscheine nämlich unverhältnismäßig, die Exmatrikulation schon dann zu versagen, wenn ein Bewerber die Diplomprüfung „in einem inhaltlich verwandten Studiengang“ nicht bestanden hat.
11
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
12
Die von der Klägerin geltend gemachte unerkannte Prüfungsunfähigkeit liege schon deswegen nicht vor, weil eine Lese- und Rechtschreibschwäche keine Prüfungsunfähigkeit begründen könne. Nachteilsausgleiche könnten zudem nicht für bereits abgelegte Prüfungen herangezogen werden. Auch der angestrebte Wechsel in den Bachelor-Studiengang sei nicht möglich, da es sich um einen mit dem Diplomstudiengang inhaltlich verwandten Studiengang handle. Darüber hinaus sei die von der Klägerin endgültig nicht bestandene Prüfung im Fach „Elektromagnetische Felder II“ auch eine im Bachelorstudiengang erforderliche Prüfung in einem Pflichtmodul, sodass mit dem endgültigen Nichtbestehen dieser Prüfung auch die Bachelorprüfung endgültig nicht bestanden wäre.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt mit dem Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist in der Sache unbegründet.
15
Der Bescheid der Hochschule vom 17. Juli 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juni 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
16
Der Klägerin steht weder ein Anspruch auf eine weitere Wiederholungsmöglichkeit im Fach „Elektromagnetische Felder II“ zu, noch besteht für sie die Möglichkeit, in den gleichnamigen Bachelorstudiengang zu wechseln.
17
Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen folgt das Gericht der umfassenden und zutreffenden Begründung des Widerspruchsbescheids vom 14. Juni 2018 und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
18
Ergänzend ist Folgendes festzuhalten:
19
Nicht durchzudringen vermag die Klägerin mit ihrem in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Vorwurf, die Hochschule habe ihr den Termin für die erste Wiederholungsprüfung am 22. Juli 2016 nicht ordnungsgemäß bekannt gegeben. Insoweit kann dahinstehen, ob die Hochschule noch verpflichtet gewesen ist, zusätzlich zu der Einstellung der Termine in dem Studienportal „…“ auch noch einen Aushang am „Schwarzen Brett“ vorzunehmen, obwohl der Diplomstudiengang bereits seit Jahren durch den Bachelorstudiengang ersetzt worden war, da nach Aktenlage davon auszugehen ist, dass sie Kenntnis von dem Prüfungstermin hatte. Im Rahmen des am 2. Mai 2017 bei der Hochschule eingegangenen undatierten Schreibens der Klägerin begründete sie ihren Antrag auf Einräumung einer weiteren Wiederholungsmöglichkeit ausdrücklich damit, dass sie im Sommersemester 2016 versehentlich den Termin zur Prüfung verpasst habe. Da ihr im Portal „…“ die Prüfungstermine nicht angezeigt wurden, wahrscheinlich, weil sie noch nach Diplomrichtlinien studiere, habe sie sich auf der Internetseite des Prüfungsamts informiert. Im Sommersemester 2016 habe sie sich jedoch verlesen und den Prüfungstermin für „EMF I“ statt „EMF II“ in ihren Kalender eingetragen. Der Fehler sei ihr leider erst nach dem Termin aufgefallen. Die Nichtteilnahme an der ersten Wiederholungsprüfung war daher von der Klägerin zu vertreten. Es obliegt grundsätzlich den zu Prüfenden, sich über die Prüfungstermine sowie den verfahrens- bzw. prüfungsrechtlichen Rahmen zu informieren und gegebenenfalls im Zweifel Auskünfte beim Prüfungsamt einzuholen. Dies gilt im Fall der Klägerin umso mehr, als sie bereits die Prüfung einmal nicht bestanden hatte und somit damit rechnen musste, dass der erfolgreiche Abschluss des Studiums gefährdet sein könnte. Gleiches gilt für den Einwand, sie habe von der Möglichkeit, einen Prüfungsversuch annullieren zu lassen, keine Kenntnis gehabt. Der Klägerin ist zudem entgegenzuhalten, dass aufgrund ihres Verhaltens in der Vergangenheit - sie ist allein zwischen 2008 und 2011 fünfmal wegen Krankheit von Prüfungen zurückgetreten - ihr diese Möglichkeit grundsätzlich bekannt sein musste.
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Nicht durchzudringen vermag die Klage ferner mit dem Argument, bei der Klägerin liege eine unerkannte Prüfungsunfähigkeit aufgrund der bei ihr nachträglich festgestellten Lese- und Rechtschreibschwäche vor. Eine derartige Beeinträchtigung kann zunächst bereits begrifflich nicht mit einer Prüfungsunfähigkeit gleichgesetzt werden. Der Klägerin wurde ab dem Zeitpunkt ihrer Antragstellung der beantragte Nachteilsausgleich in Form einer Schreibzeitverlängerung bewilligt. Individuelle Benachteiligungen, die nicht auch zugleich grundlegende Bestandteile der angestrebten beruflichen Tätigkeiten sind, können nur innerhalb einer konkreten Prüfung ausgeglichen werden und nicht im Nachhinein, da eine sachgerechte Abänderung des von den Prüfern angelegten Bewertungsmaßstabs nicht praktikabel ist und zu einer fiktiven Bewertung führen würde. Auch eine Abänderung der Prüfungsbedingungen dergestalt, dass eine nach der einschlägigen Prüfungsordnung nicht vorgesehene zusätzliche Wiederholungsmöglichkeit im Wege des Nachteilsausgleichs eingeräumt wird, ist jedenfalls im vorliegenden Fall nicht geboten, sondern würde im Hinblick auf das Verbot einer Überkompensation unzulässig sein (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Auflage, Rn 259). Im streitgegenständlichen Fall hätte von der Klägerin zudem erwartet werden können, nachdem ihr die Auswirkungen ihrer Lese- und Rechtschreibschwäche im Wege einer Parallelwertung in der Laiensphäre nicht gänzlich unbewusst sein konnten, dass sie bereits zu einem früheren Zeitpunkt und nicht erst nach dem endgültigen Nichtbestehen der Prüfung entsprechenden ärztlichen Rat eingeholt hätte. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin sich laut der Bescheinigung vom 12. Mai 2017 (Bl. 107 der Akte) seit dem 13. Mai 2016 in … Behandlung befunden hat.
21
Schließlich erweist sich auch der geltend gemachte Hilfsantrag, der Klägerin den Wechsel vom Diplomstudiengang in den gleichnamigen Bachelorstudiengang … zu gewähren, als unbegründet. Die Beklagte hat dazu in nicht bestrittener Weise eingewandt, dass die von der Klägerin endgültig nicht bestandene Prüfung im Fach „Elektromagnetische Felder II“ auch im Bachelorstudiengang eine notwendige Prüfung in einem Pflichtmodul darstellt. Nachdem ebenfalls unstreitig der Inhalt dieses Moduls in beiden Studiengängen identisch ist, könnte die Klägerin auch nicht zur Bachelorprüfung zugelassen werden, da nach § 24 Abs. 1 der Allgemeinen Studien- und Prüfungsordnung für den Bachelor- und Masterstudiengang und die sonstigen Studien im Sinne des Art. 56 Abs. 6 BayHSchG die Zulassung zu versagen ist, wenn u.a. die Diplomprüfung im gleichen oder einem inhaltlich verwandten Studiengang endgültig nicht bestanden ist. Diese auch in § 5 Abs. 3 Nr. 5 der Immatrikulationssatzung der Hochschule verankerte Regelung kann auch nicht als unverhältnismäßig angesehen werden, da andernfalls - wie die Beklagte zu Recht vorgetragen hat - diejenigen Studierenden unter Verstoß gegen das Gebot der Chancengleichheit ungerechtfertigt bevorzugt würden, die gerade noch rechtzeitig vor dem endgültigen Nichtbestehen des Moduls den Studiengang oder den Hochschulort wechseln.
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Insgesamt war daher die Klage mit der auf § 154 Abs. 1 VwGO beruhenden Kostenfolge abzuweisen.