Titel:
Anspruch auf Gleichbehandlung eines nicht tarifgebundenen Arbeitnehmers bei Gewährung tariflicher Leistungen an andere nicht tarifgebundene Arbeitnehmer
Normenketten:
TVG § 1
GG Art. 3 Abs. 1
Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer des Speditions-, Transport- und Logistikgewerbes in Bayern idF des ÄndTV v. 8.12.2014 § 16 Nr. 2, 3
Leitsatz:
Hat der Arbeitgeber in der Vergangenheit eine allgemeine und generalisierende Regelung aufgestellt, allen – auch nicht tarifgebundenen – Arbeitnehmern, welche länger als 6 Wochen arbeitsunfähig erkrankt waren, tarifliche Leistung (hier: Zuschuss zum Kranken- und Übergangsgeld) zukommen zu lassen, kann ein nicht tarifgebundener Arbeitnehmer aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ebenfalls tariflich vorgesehene Leistungen verlangen. (Rn. 56 – 64) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Übergangsgeld, Krankengeld, Zuschuss, Tarifbindung, Gleichbehandlungsgrundsatz
Vorinstanz:
ArbG München, Endurteil vom 27.07.2021 – 11 Ca 1907/20
Fundstelle:
BeckRS 2021, 52403
Tenor
I. Das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 27. Juli 2021 - 11 Ca 1907/20 wird abgeändert.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 1.913,57 netto zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1. Januar 2020 sowie weitere € 2.196,14 zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11. Februar 2020 zu zahlen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Zuschusszahlungen zum Übergangs- und Krankengeld.
2
Der Kläger ist mit Arbeitsvertrag vom 13. März 2000 (Anlage K1, Bl. 55 ff. d. A.) bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Feederfahrer beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt in Bayern insgesamt 121, deutschlandweit 508 Feederfahrer. In § 3 Nr. 3 des Arbeitsvertrages (Bl. 55 d. A.) ist u.a. festgehalten:
3. … Die Vertragspartner sind sich darüber einig, daß auf das Vertrags verhältnis kein Tarifvertrag Anwendung findet. …“
3
Wegen des Inhalts des Arbeitsvertrages im Übrigen wird auf die bezeichnete Anlage Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 13. Feb. 2017 (Anlage B1, Bl. 155 ff. d. A.) erhielt der Kläger nachfolgende Informationen:
„Unterrichtung über den Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses von der Z OHG auf die Z OHG Sehr geehrter Herr A.,
diesem Schreiben beigefügt finden Sie ein Unterrichtungsschreiben, mit welchem die Z OHG und die Y OHG Sie gemeinsam ausführlich über den bevorstehenden Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses auf die Y OHG informieren. Wir bitten Sie in diesem Zusammenhang zunächst, uns den Empfang dieses Unterrichtungsschreibens durch Ausfüllen der nachfolgenden Empfangsbestätigung und Rücksendung dieser Empfangsbestätigung bis spätestens 2. Februar 2017 zu bestätigen.
5
Im beigefügten Unterrichtungsschreiben vom selben Tag (Anlage B1, Bl. 156 ff., 160 ff. d. A.) ist ausgeführt:
Die Z OHG ist nicht tarifgebunden, damit finden auf Ihr Arbeitsverhältnis mit der Z OHG aktuell auch keine Tarifverträge Anwendung. Die Z OHG als Ihr künftiger Arbeitgeber ist allerdings Mitglied verschiedener Arbeitgeberverbände der Speditions- und Logistikbranche, namentlich in folgenden Verbänden:
- Verband Spedition und Logistik Baden-Württemberg e.V.
- LBS - Landesverband Bayerischer Spediteure e.V.
- … Bei der Z OHG werden die jeweils räumlich einschlägigen Tarifverträge der Speditions- und Logistikbranche angewendet. Dieser Umstand kann sich auf Ihr Arbeitsverhältnis wie folgt auswirken:
- Sollten Sie dagegen kein Mitglied einer tarifschließenden Arbeitnehmervertretung sein, bleiben Sie auch nach dem Übergangszeitpunkt nicht tarifgebundener Arbeitnehmer. Auf Ihr Arbeitsverhältnis findet auch nach dem Übergangszeitpunkt kein Tarifvertrag Anwendung.
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Mit Interessenausgleich vom 26. Juli 2017 (Anlage K2, Bl. 57 ff. d. A.) wurde die bisherige Z OHG in die Beklagte integriert. Zu den Einzelheiten der Integration der Mitarbeiter der Transport OHG in die Regionalbetriebe der Beklagten wird auf § 2 des Interessenausgleiches (Bl. 58 f. d. A.) Bezug genommen.
7
Im Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer des Speditions-, Transport-, und Logistikgewerbes in Bayern vom 27. Nov. 1992, i.d.F. des Änderungstarifvertrages vom 08. Dezember 2014, gültig ab 01. Oktober 2014 (Anlage K7, Bl. 68 ff. d. A.; nachfolgend: MTV) ist unter § 16 Nr. 2, 3 vorgesehen:
2. Bis zur Dauer von sechs Wochen wird als Lohn/Gehalt die durchschnittliche Vergütung der letzten zwölf Abrechnungsmonate gewährt. Für den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit gilt die gesetzliche Regelung. Der arbeitstägliche Bruttolohn bzw. das Bruttogehalt errechnet sich aus 1/260 des zwölfmonatigen Durchschnittsverdienstes des Arbeitnehmers, wobei dadurch das derzeitige Bruttoeinkommen garantiert sein muss. Die Schmutzzulage, sofern sie nicht pauschaliert ist, Spesen sowie sonstiger steuerfreier Aufwandsersatz werden dabei nicht berücksichtigt. Einmalzahlungen (Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld) werden bei der Durchschnittsberechnung nicht berücksichtigt.
3. Mit Beginn der siebten Woche erhalten arbeitsunfähige Arbeitnehmer zu den Leistungen der Kranken- oder Unfallversicherung als Krankengeldzuschuss den Differenzbetrag zwischen den Leistungen der Versicherungsträger und des durchschnittlichen, aus Ziffer 2 resultierenden Nettoentgeltes. Der Krankengeldzuschuss wird nach einer Betriebszugehörigkeit:
von mehr als 5 Jahren auf die Dauer von = 4 Wochen von mehr als 10 Jahren auf die Dauer von = 6 Wochen von mehr als 15 Jahren auf die Dauer von = 8 Wochen von mehr als 20 Jahren auf die Dauer von = 10 Wochen in allen Fällen jedoch nicht über die Dauer des Arbeitsverhältnisses hinaus gewährt. Der Anspruch besteht nur einmal im Kalenderjahr.
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In den Jahren 2018 und noch 2019 war der tarifliche Krankengeldzuschuss an fünf nicht tarifgebundene Mitarbeiter, die Feederfahrer X, W, V, U und T, Zulagen zum Krankengeldzuschuss bezahlt worden, ob auch der Feederfahrer S im Jahr 2017 den Zuschuss erhalten hatte, ist unter den Parteien streitig.
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Daneben erhielt auch der Kläger die tarifliche Weihnachtsgeldzahlung gem. § 20 MTV (vgl. Anlagen K12, Bl. 118 ff. d. A.) mit der Entgeltzahlung im November in den Jahren 2017 (€ 2.697,60), 2018 (€ 752,00) und 2019 (€ 2809,60). Ferner entrichtete die Beklagte an die Feederfahrer, auch an den Kläger, seit 1. Jan. 2018 die monatliche Zulage für die Betriebszugehörigkeit für die Betriebszugehörigkeit (Anlage K3, Bl. 121 d. A.). Daneben erbrachte die Beklagte an Feederfahrer auch die tarifliche Jubiläumszuwendung nach 25-jähriger Betriebszugehörigkeit nach § 19 MTV in Höhe von € 650,00 und gewährte 5 Tage Jubiläumsurlaub nach § 14 Abs. 2 MTV, etwa an die Mitarbeiter R, Q, P, O und N, jeweils im Jahr 2018.
10
Der Kläger war vom 1. Okt. 2019 bis 2. Feb. 2019 arbeitsunfähig erkrankt. Für Oktober 2019 erhielt er gem. Abrechnung der Beklagten vom 8. Nov. 2019 Entgeltfortzahlung in Höhe von € 6.190,59 (Anlage K3, Bl. 62 d. A.). Weiter bezog er bis 11. Nov. 2019 Entgeltfortzahlung und ab 12. Nov. 2019 bis 10. Dez. 2019 Übergangsgeld in Höhe von kalendertäglich € 77,83. Danach erhielt er Krankengeld in Höhe von kalendertäglich € 93,10 netto.
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Mit seiner am 21. Feb. 2020 per Telefax beim Arbeitsgericht München eingegangenen und der Beklagten am 26. Feb. 2020 zugestellten Klage vom 21. Feb. 2020 macht der Kläger Zuschusszahlungen zum Übergangs- und Krankengeld geltend.
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Er hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, er habe aus § 16 Abs. 3 MTV Ansprüche auf Zuschuss zum Übergangsgeld und zum Krankengeld, die sich nach § 16 Abs. 2 MTV berechneten. Der Tarifvertrag werde auf alle Arbeitnehmer des Betriebes angewendet, sei daher auch für ihn zu berücksichtigen.
13
Er sei Feederfahrer, die Beklagte habe diese Zahlungen an alle Feederfahrer ausbezahlt, weswegen sie auch ihm zustünden. Die pauschale Behauptung, dies sei versehentlich erfolgt, sei unsubstanziiert und nicht nachvollziehbar.
14
Die Beklagte habe den MTV auf die Feederfahrer angewendet. Daher stünden auch ihn aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz, der betrieblichen Übung und des Gleichstellungsgrundsatzes eine entsprechende Zahlung zu. Daneben stütze er seinen Anspruch auf eine Gesamtzusage. Ihm sei mitgeteilt worden, dass sich die Beklagte im entsprechenden Arbeitgeberverband befinde. Zwar habe er mangels Gewerkschaftszugehörigkeit keine Rechte aus dem Tarifvertrag, doch wende die Beklagte diesen generell an, weswegen, wie er gemeint hat, eine betriebliche Übung gegeben sei.
15
Er hat b e a n t r a g t:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 1.913,57 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 01.01.2020 zu bezahlen.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 2.196,14 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 11.02.2020 zu bezahlen.
16
Die Beklagte hat b e a n t r a g t,
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Sie hat vorgetragen, die Z GmbH II und die Z OHG seien nicht tarifgebunden gewesen. Die OHG habe auch keine Tarifverträge angewendet, weder durch eine Bezugnahmeklausel noch durch betriebliche Übung. § 3 Nr. 3 des Arbeitsvertrages lege sogar fest, dass kein Tarifvertrag Anwendung finde. Auch im Informationsschreiben sei darauf verwiesen worden, die einschlägigen Tarifverträge fänden nur dann Anwendung, wenn die Arbeitnehmer einer tarifschließenden Gewerkschaft angehörten.
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Die Umstände, dass an eine kleine Zahl von Feedern Zulagen gezahlt worden seien, erkläre sich daraus, dass es bei Einführung des Abrechnungssystems über Monate zu Problemen gekommen sei. Mitarbeiter hätten daher über längere Zeit zu wenig Geld erhalten, andere seien überzahlt worden.
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Der Kläger könne nichts daraus herleiten, dass andere einen Zuschuss zum Krankengeld erhalten hätten. Zwar sei 2018 und teils noch 2019 bei einigen Mitarbeitern übersehen worden, dass sie keinen Anspruch auf die Zahlungen hätten und es sei fälschlich zu Zuschusszahlungen gekommen. Dies beruhe auf einem systembedingten Fehler bei der Programmierung, der bei der Auszahlung nicht bekannt gewesen sei. Die irrtümliche Auszahlung sei den Begünstigten auch erkennbar gewesen.
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Weitere freiwillige Leistungen bewirkten keine Tarifbindung und keinen Anspruch auf Krankgeldzuschuss.
21
Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz oder einer Gesamtzusage. Es liege keine willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe vor. Es fehle bereits an einer Regelung ihrerseits. Auch gebe es keine Vergleichsgruppe. Das Berufen auf das Unterrichtungsschreiben zur Begründung einer Gesamtzusage gehe ins Leere. Darin liege eine Unterrichtung über die Rechtslage, keine Zusage.
22
Das Arbeitsgericht München hat die Klage mit Endurteil vom 27. Juli 2021 (Bl. 237 ff. d. A.) auf Kosten des Klägers abgewiesen. Wegen der maßgeblichen rechtlichen Erwägungen wird auf diese Entscheidung Bezug genommen.
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Im Wesentlichen führt das Arbeitsgericht aus, die zulässige Klage sei unbegründet. Mangels Tarifbindung finde § 16 Nr. 3 MTV keine Anwendung. Der Zahlungsanspruch folge auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz, da keine willkürliche Ungleichbehandlung gegeben sei. Bei der Beklagten sei vom Vorliegen mehrerer Vergütungssysteme auszugehen, zu deren Angleichung sie im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang nicht verpflichtet sei. Ebenso sei die Beklagte nicht wegen konkludenter Vereinbarung der Tarifgeltung zur Zahlung verpflichtet. Der Beklagten könne kein entsprechender Rechtsbindungswille unterstellt werden. Schließlich bestehe auch keine betriebliche Übung, die die Beklagte zur Zuschusszahlung verpflichte. Aus den einzeln erfolgten Zahlungen sei keine generealisierende Verhaltensweise zu erkennen, die eine betriebliche Übung begründete. Letztlich sei auch keine Gesamtzusage gegeben. Der Kommunikation im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang sei keine Zusage zu entnehmen.
24
Gegen diese ihm am 10. Aug. 2021 zugestellte Entscheidung wendet sich der Kläger mit seiner Berufung vom 19. Aug. 2021, die am selben Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangen war, die er mit Schriftsatz vom 2. Sept. 2021, eingegangen über einen sicheren Übermittlungsweg (beA) am selben Tag, begründet hat.
25
Er hält an seiner Forderung auf Zuschuss zum Übergangs- und Krankengeld aus dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes fest. Die Beklagte habe, wie er vorträgt, 5 bzw. 6 vergleichbaren Mitarbeitern den Zuschuss nach dem MTV in Bayern bzw. BadenWürttemberg gewährt. Es sei auch eine betriebliche Übung begründet worden. Zudem habe die Beklagte im Informationsschreiben zum Betriebsübergang die Geltung der Tarifverträge für Bayern bzw. Baden-Württemberg bestätigt. Damit ergebe sich auch eine Gesamtzusage.
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Der Anspruch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz sei gegeben, da er eine klar umschriebene Vergleichsgruppe der nicht tarifgebundenen Feederfahrer in Bayern und Baden-Württemberg (hilfsweise nur in Bayern) benannt habe, die sämtlich zum gleichen Stundensatz beschäftigt seien; dazu habe er 3 Vergleichsfälle bezeichnet. Der MTV BadenWürttemberg enthält eine § 16 MTV vergleichbare Regelung; auch insoweit habe er 3 Vergleichsfälle benannt. Den vergleichbaren 3 Feederfahrern (in Bayern) seien die Zuschüsse sämtlich ausbezahlt worden; allein hinsichtlich des Fahrers S bestreite die Beklagte dies; der Mitarbeiter sei als Zeuge benannt. Den Zeugen hätte das Arbeitsgericht, wie er meint, anhören müssen. Mit den Zahlungen auch an Fahrer in Baden-Württemberg sei die Zahlung nicht auf Einzelfälle beschränkt, weswegen der Gleichbehandlungsgrundsatz anwendbar sei. Zudem lägen Arbeitsunfähigkeitszeiten von mehr als 10 Wochen auch selten vor. Die Einwendung der Beklagten, sie habe nur wegen eines Fehlers bezahlt, sei weder substanziiert noch schlüssig.
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Unzutreffend sei auch die Annahme, es liege keine willentliche Entscheidung der Beklagten vor. Das Arbeitsgericht beachte nicht, dass sämtliche vorgetragenen Zahlungen über 2,5 Jahre mit Nichtwissen bestritten seien. Die Zahlungen prüfe der jeweilige Sachbearbeiter in der Lohnbuchhaltung individuell. Was ein „Versagen des internen Kontrollsystems“ sei, bleibe unklar. Daher sei ein bewusster Vorgang anzunehmen. Daher mache die Beklagte auch vollkommen unsubstanziierte Rückforderungen geltend.
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Im Übrigen gehe auch der Betriebsrat von der Anwendung der Tarifverträge auch nicht tarifgebundene Arbeitnehmer aus. Er sei zu Recht von der Anwendung des MTV ausgegangen.
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Aus den 5 unstreitigen Vergleichsfällen, die über 2,5 Jahre die Zuschüsse erhalten haben, sei erkennbar, dass die Beklagte die streitgegenständlichen Tarifverträge habe zur Anwendung bringen wollen. Die allgemeine arbeitsvertragliche Klausel, wonach keine Tarifverträge zur Anwendung gelangten, könne sich im Verlaufe der Zeit ändern. Eine konkludente Vereinbarung sei über den Betriebsübergang erfolgt. Ab diesem Zeitpunkt habe die Beklagte die streitgegenständlichen Zuschüsse erbracht. Daneben sei zu beachten, dass die Beklagte im Schreiben zum Betriebsübergang auf Seite 8 ausgeführt habe, bei ihr würden die einschlägigen Tarifverträge angewendet. Daraus habe er entnehmen können, auch auf ihn würden die Tarifverträge angewendet werden. Tarifliche Leistungen (Weihnachtsgeld etc.) seien ebenso an andere nicht tariflich gebundene Mitarbeiter bezahlt worden, was eine zumindest konkludente Vereinbarung bestätige.
30
Aus dem wiederholten tatsächlichen Geschehen sei eine betriebliche Übung der Beklagten entstanden. Maßgeblich sei nicht der Verpflichtungswille, sondern ob das Verhalten aus Sicht der Arbeitnehmer so habe verstanden werden dürfen. Ein etwaiger Irrtum der Beklagten sei diesen nicht erkennbar gewesen. Für ihn habe sich dies als Tarifanwendung dargestellt.
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Schließlich sei eine Gesamtzusage gegeben. Das Arbeitsgericht verkenne, dass im Schreiben zum Betriebsübergang ausdrücklich ausgeführt werde, sie streitgegenständlichen Tarifverträge fänden (nicht kollektivrechtlich) Anwendung. Maßgeblich sei der objektive Empfängerhorizont.
32
Ergänzend nehme er auf den gesamten erstinstanzlichen Sachvortrag Bezug.
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichtes B-Stadt vom 27.07.2021, Az. 11 Ca 1907/20 aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 1.913,57 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 01.01.2020 zu bezahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 2.196,14 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 11.02.2020 zu bezahlen.
34
Die Beklagte b e a n t r a g t,
die Berufung zurückzuweisen.
35
Ein Anspruch des Klägers bestehe, wie sie meint, nicht kraft des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Mangels generalisierender Regelung zur Zahlung des begehrten Zuschusses an nicht tarifgebundene Feederfahrer scheitere der Anspruch, da unterschiedliche Vergütungssysteme zur Anwendung gelangten. Auch fehle es an einer willentlichen Zahlung des Zuschusses.
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Entgegen der Annahme des Klägers habe sie die Fehlerhaftigkeit der Zahlungen sowie das Versagen des Kontrollsystems im Schriftsatz vom 28. Aug. 2020, Seite 3 ff. (Bl. 150 ff. d. A.) substanziiert dargelegt, wie sie meint. Sie nehme ergänzend auf diesen erstinstanzlichen Vortrag Bezug. Bei den fehlerhaften Zahlungen habe es sich deutschlandweit um vereinzelte Zahlungen gehandelt. Angesichts dessen stützte dies auch bei Annahme einer individuellen Zahlung ihre Ansicht; es habe keine generalisierende Verhaltensweise vorgelegen.
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Der Hinweis des Klägers auf die Rechtsauffassung des Betriebsrats (Anlagen K8 und K9, Bl. 91 und 92 d. A.) sei unbeachtlich. Für die Beurteilung der Erkennbarkeit eines Fehlers sei nach der Rechtsprechung auf die Beurteilung des Empfängers, also nicht des Betriebsrats, abzustellen.
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Auch seien, wie das Arbeitsgericht zu Recht ausführe, keine willentlichen Zahlungen erfolgt. Die Rüge des Klägers, es liege eine substanziierte Darlegung einer Vergleichsgruppe vor, gehe fehl und sei inhaltlich unzutreffend. Sie hätte eine Gruppe begünstigter Arbeitnehmer gebildet haben müssen, was bei 2 von 121 Feederfahrern in Bayern nicht gegeben sei. Erkennbar sei dies auch, wenn sich der Kläger auf die Seltenheit dieser Fälle berufe. Auch deutschlandweit handelte es sich um bloße Einzelfälle. Richtigerweise habe das Arbeitsgericht auch S nicht als Zeugen für eine fest umrissene Vergleichsgruppenbildung vernommen. Ein weiterer Fahrer hätte an der Beurteilung nichts geändert. Es habe auch keine weitergehende Hinweispflicht des Arbeitsgerichts bestanden.
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Ebenso fehle es an einer konkludenten Vereinbarung der Anwendbarkeit der Tarifverträge, insbesondere nicht aus den tatsächlichen Zahlungen oder dem Unterrichtungsschreiben zum Betriebsübergang. Es habe bei diesen vereinzelt erfolgten Zahlungen kein Rechtsbindungswille ihrerseits bestanden. Solches habe auch nicht aus Sicht eines objektiven Empfängers angenommen werden dürfen. Dies schließe eine individualvertragliche Regelung, wie eine betriebliche Übung, aus. Weihnachtsgeld werde auf Grund des Arbeitsvertrages geleistet und schließe so einen Rückschluss auf die Tarifanwendung aus. Für eine betriebliche Übung müssten die wesentlichen Tarifnormen zur Anwendung gelangen, was nicht der Fall sei. Auch sei aus dem Betriebsübergang keine betriebliche Übung zustande gekommen. Sie sei in die Arbeitsverhältnisse der übernommenen Beschäftigten eingetreten. Auch fehle es an einer generalisierenden Regelung.
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Schließlich könne ein Anspruch ebenso nicht aus einer Gesamtzusage abgeleitet werden. Ein dahingehender Rechtsbindungswille sei dem Informationsschreiben beim Betriebsübergang nicht zu entnehmen.
41
Ergänzend nehme sie auf den erstinstanzlichen Sachvortrag Bezug.
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Wegen des Sachvortrags der Parteien im Einzelnen wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 21. Feb. 2020 (Bl. 49 ff. d. A.), vom 30. Juni 2020 (Bl. 114 ff. d. A.), vom 12. Jan. 2021 (Bl. 179 ff. d. A.), vom 18. Feb. 2021 (Bl. 201 ff. d. A.), vom 23. Juni 2021 (Bl. 226 ff. d. A.), vom 19. Aug. 2021 (Bl. 258 ff. d. A.), vom 2. Sept. 2021 (Bl. 283 ff. d. A.) und vom 9. Nov. 2021 (Bl. 340 ff. d. A.), der Beklagten vom 28. Aug. 2020 (Bl. 148 ff. d. A.), vom 19. Jan. 2021 (Bl. 191 ff. d. A.), vom 26. März 2021 (Bl. 214 ff. d. A.) und vom 27. Sept. 2021 (Bl. 323 ff. d. A.) - einschließlich evtl. Anlagen - sowie auf die Sitzungsprotokolle vom 13. Juli 2021 (Bl. 231 f. d. A.) und vom 23. Nov. 2021 (Bl. 349 ff. d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die statthafte Berufung hat in der Sache Erfolg.
44
I. Die Berufung ist zulässig.
45
Sie ist nach § 64 Abs. 1, 2b ArbGG statthaft. Sie ist in rechter Form und Frist eingelegt und begründet worden (§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 519 Abs. 2, § 520 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 66 Abs. 1 Sätze 1, 2, 5 ArbGG, § 222 ZPO).
46
II. In der Sache hat die Berufung Erfolg.
47
Der Kläger hat Anspruch auf die Zuzahlung zum Kranken- und Übergangsgeld nach § 16 Nr. 3 MTV. Denn die Beklagte hat den Tarifvertrag bzw. dem Tarifvertrag in Baden-Württemberg, der eine vergleichbare Regelung enthält, seit 2018 gegenüber sämtlichen Arbeitnehmern, welche die Voraussetzungen der Norm erfüllt hatten, zur Anwendung gebracht. Umstände, dass darin nur die Begünstigung einzelner Beschäftigter hatte liegen sollen, sind weder zu erkennen noch vorgetragen. Damit kann der Kläger seine Gleichbehandlung, also den Erhalt des Zuschusses zum Kranken- und Übergangsgeld, in gleicher Weise verlangen.
48
Die dagegen eingewandten Umstände seitens der Beklagten greifen nicht durch. Weder fehlt es an einer begünstigten Gruppe. Der Umstand, dass es sich um eine relativ kleine Vergleichsgruppe handelt, denen gegenüber eine Zuschusszahlung zum Kranken- oder Übergangsgeld erfolgt war, liegt in der Natur der Sache; bei den begünstigten Beschäftigten handelt es sich um alle (nicht tarifgebundenen) Beschäftigten, welche die Voraussetzungen für eine tarifliche Zuschusszahlung erfüllt hatten, ggf. abgesehen von dem Arbeitnehmer S, der allerdings bereits 2017 für längere Dauer erkrankt gewesen war. Zudem ist nicht nachvollziehbar dargetan, dass die Auszahlungen an die anderen nicht tarifgebundenen Beschäftigten in den Jahren 2018 und 2019 kraft eines Fehlers im Abrechnungsprogramm erfolgt seien. Ebenso steht die vertragliche Regelung und die Information im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang, der Kläger sei nicht tarifgebundener Arbeitnehmer, nicht entgegen; die Aussage als solche ist durchaus zutreffend, doch schließt dies eine Tarifanwendung kraft betrieblicher Übung nicht aus.
49
Ob daneben der MTV kraft betrieblicher Übung insgesamt zur Anwendung gebracht worden war, was sich durch die weiteren Zahlungen tariflicher Leistungen an nicht tarifgebundene Arbeitnehmer, wie das teilweise auch an den Kläger bezahlte tarifliche Weihnachtsgeld und die Jubiläumszuwendung etc. bestätigen könnte, kann dahinstehen.
50
1. Als privatrechtliche Ausprägung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG bildet der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz eine Anspruchsgrundlage für einzelne, von einer regelhaften Gewährung von Leistungen ausgeschlossene Arbeitnehmer. Eine sachlich nicht gerechtfertigte Gruppenbildung bedingt im Ergebnis die Anpassung der Regelung.
51
a. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz stellt die privatrechtliche Ausprä gung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG dar. Er findet dann Anwendung, wenn arbeitgeberseits Leistungen nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip aufgrund einer abstrakten Regelung gewährt werden, indem bestimmte Voraussetzungen oder ein bestimmter Zweck festlegt wurden. Der Arbeitgeber ist nach diesem Grundsatz gehalten, seine Arbeitnehmer oder Gruppen seiner Arbeitnehmer, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gegebenen Regel gleich zu behandeln (vgl. nur BAG v. 3. 6. 2020 - 3 AZR 730/19, NZA 2021, 347 Rz. 42). Danach ist nicht allein die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe untersagt, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung. Der Gleichbehandlungsgrundsatz greift allein dann nicht ein, wenn der Arbeitgeber nur einzelne Arbeitnehmer, unabhängig von abstrakten Differenzierungsmerkmalen, in Einzelfällen besser stellt oder die Anzahl der begünstigten Arbeitnehmer im Verhältnis zur Gesamtzahl der betroffenen Beschäftigten sehr gering ist (vgl. BAG v. 3. 6. 2020, a.a.O.; BAG v. 20. 3. 2018 - 3 AZR 861/16, juris, Rz. 28; BAG v. 21. 8. 2012 - 3 AZR 81/10, juris, Rz. 24 f.; BAG 14. 6. 2006 - 5 AZR 584/05, NZA 2007, 221).
52
b. Eine vorgenommene Differenzierung muss nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz sachlich gerechtfertigt sein. Doch verstößt eine sachverhaltsbezogene Ungleichbehandlung erst dann gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, wenn sie willkürlich ist, da sich kein vernünftiger Grund für die Differenzierung finden lässt. Demgegenüber ist bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung der Gleichbehandlungsgrundsatz schon verletzt, wenn eine Gruppe anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können (vgl. BAG v. 3. 6. 2020, a.a.O., Rz. 43; BAG v. 12. 8. 2014, a.a.O. Rz. 25). Maßgeblich für die Beurteilung eines bestehenden Sachgrundes für eine unterschiedliche Behandlung ist insbesondere der Regelungszweck, der die Gruppenbildung rechtfertigen muss (dazu BAG v. 14. 11. 2017 - 3 AZR 516/16, juris, Rz. 20; BAG v. 12. 8. 2014, a.a.O., Rz. 26 m.w.N.).
53
c. Der Gleichbehandlungsgrundsatz stellt in gleicher Weise eine Anspruchsgrundlage wie auch eine Schranke der Rechtsausübung dar. Der Schutzcharakter gegenüber der Gestaltungsmacht des Arbeitgebers greift nur dort ein, wo dieser durch gestaltendes Verhalten ein eigenes Regelwerk oder eine eigene Ordnung schafft (BAG v. 3. 6. 2020, a.a.O., Rz. 44; BAG v. 21. 12. 2017 - 6 AZR 790/16 ZTR 2018, 261, Rz. 31). Voraussetzung für die Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes auf die Regelbildung des Arbeitgebers ist daher, dass durch ein gestaltendes Verhalten des Arbeitgebers ein eigenes Regelwerk oder eine eigene Ordnung geschaffen wurde. Liegen einer Leistung bestimmte Voraussetzungen zugrunde, muss die vom Arbeitgeber damit selbst geschaffene Gruppenbildung gemessen am Zweck der Leistung im genannten Sinne sachlich gerechtfertigt sein (vgl. BAG v. 22. 1. 2009 - 8 AZR 808/07, NZA 2009, 547, Rz. 35).
54
Aber auch bei Vorliegen arbeitsvertraglicher Vereinbarungen begrenzt der Grundsatz die Gestaltungsmacht des Arbeitgebers, um des Schutzes des Arbeitnehmers willen (BAG v. 3. 6. 2020, a.a.O., Rz. 45; BAG v. 21. 5. 2014 - 4 AZR 50/13, NZA 2015, 115 Rz. 24). Insbesondere bei Gesamtzusagen befindet sich ein einzelner Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen typischerweise in einer Situation struktureller Unterlegenheit, weswegen die Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Gesamtzusagen in ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anerkannt ist (BAG v. 3. 6. 2020, a.a.O., Rz. 45 m.w.N.).
55
d. Bei Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes findet eine Korrektur der arbeitgeberseitig bestimmten gleichbehandlungswidrigen Voraussetzung statt. Eine sachlich nicht gerechtfertigte Gruppenbildung bedingt im Ergebnis eine Anpassung dieses Merkmals durch ein gleichbehandlungskonformes Merkmal. Ein ohne sachliche Gründe ungleich behandelter Arbeitnehmer kann die Leistung, von der er ausgeschlossen war, von diesem verlangen, sofern keine weiteren Voraussetzungen bestehen oder von ihm erfüllt werden müssen (BAG v. 3. 6. 2020, a.a.O. Rz. 46 m.w.N.).
56
2. Nach dem Vorstehenden kann der Kläger die Gewährung des Zuschusses zum Kranken- und Übergangsgeld verlangen. Denn die Beklagte hatte jedenfalls seit 2018 eine allgemeine und genrealisierende Regelung aufgestellt, allen auch nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern, welche länger als 6 Wochen arbeitsunfähig erkrankt waren, diese tarifliche Leistung zukommen zu lassen. Sachliche Gründe, derentwegen der Kläger von dieser Regelung ausgeschlossen hätte werden können und sollen, sind nicht zu erkennen.
57
a. Hier ist von der Aufstellung einer allgemeinen und generalisierenden Regelung aus zugehen, auch nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer den Zuschuss nach § 16 Nr. 3 MTV bzw. nach der vergleichbaren Regelung des z.B. vergleichbaren Tarifvertrags in BadenWürttemberg zukommen zu lassen.
58
b. Die Beklagte kann dagegen weder einwenden, eine Regel sei angesichts der gerin gen Zahl der Fälle nicht zu erkennen, noch kann sie sich auf eine bloße Besserstellung Einzelner berufen.
59
Der Kläger trägt unbestritten vor, die von ihm vorgetragenen Fälle der Gewährung einer Zuschusszahlung seien alle Fälle einer längeren, mehr als 6-wöchtigen Erkrankung eines nicht tarifgebundenen Arbeitnehmers seit 2018, die zu verzeichnen gewesen wären. In allen diesen Fällen hatte die Beklagte eine tarifliche Zuschusszahlung an die betreffenden Arbeitnehmer vorgenommen, trotzdem der anspruchsbegründende Tarifvertrag auf deren Arbeitsverhältnis, wie auch beim Kläger, keine Anwendung gefunden hatte. Dass gegenüber dem Arbeitnehmer S, der bereits 2017 länger als 6 Wochen arbeitsunfähig erkrankt gewesen war, ggf. keine Zuschusszahlung gewährt worden war, ist unerheblich. Die abstrakt generelle Regelung der Zuschussgewährung war dann eben seitens der Beklagten erst ab 2018 aufgestellt worden. Der Streit zwischen den Parteien hinsichtlich dieses einen Arbeitnehmers bedarf damit keiner weiteren Betrachtung.
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Die Beklagte kann dem auch nicht entgegenhalten, es habe sich um eine nur sehr kleine Zahl von Arbeitnehmern gehandelt, die begünstigt worden wären. Dies ist in absoluten Zahlen im Vergleich zu allen Beschäftigten der Beklagten sicherlich zu bejahen. Doch stellt nicht die Gesamtzahl der Beschäftigten der Beklagten die Vergleichsgruppe dar, sondern allenfalls die Zahl der tarifungebundenen Arbeitnehmer, welche länger als 6 Wochen arbeitsunfähig erkrankt waren oder erkranken. Und: Hier hatte die Beklagte seit 2018 allen Arbeitnehmern, welche - vor dem Kläger - länger als 6 Wochen erkrankt waren, einen (tariflichen) Zuschuss zum Kranken- oder Übergangsgeld gewährt.
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Sie kann sich ferner nicht auf das Informationsschreiben zum Betriebsübergang berufen, aus dem erkennbar gewesen wäre, dass der Zuschuss an die betreffenden Mitarbeiter zu Unrecht bezahlt worden wäre. Denn dieses Informationsschreiben ist jedenfalls nicht eindeutig, wenn zu Tarifverträgen ausgeführt wird, die Beklagte wende die einschlägigen Tarifverträge an. Damit durften - isoliert nach dieser Aussage - die betreffenden Arbeitnehmer mit der Zahlung auch der tariflichen Leistungen rechnen. Dass sie in der Folge im Text weiterhin als nicht tarifgebundene Arbeitnehmer bezeichnet werden, steht dem nicht notwendig entgegen. Sie bleiben weiterhin nicht tarifgebunden, auch wenn die Beklagte (alle oder einzelne) tarifliche Leistungen den betreffenden Beschäftigten freiwillig gewährt (vgl. auch nachfolgend d).
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Das deutschlandweite Auftreten vergleichbarer anderer Fälle längerer Erkrankungen nicht tarifgebundener Arbeitnehmer, da keine Zuschusszahlungen zum Kranken- oder Übergangsgeld erfolgt wären, trägt die Beklagte nicht vor.
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c. Die Beklagte kann dagegen auch nicht mit Erfolg einwenden, es habe sich um einen Programmfehler gehandelt, kraft dessen die Zuschussgewährung erfolgt sei. Der behauptete und klägerseits bestrittene Programmfehler ist auch mit dem in Bezug genommenen erstinstanzlichen Sachvortrag der Beklagten in keiner Weise nachvollziehbar dargetan, dass insoweit aus eine Beweiserhebung nicht hätte oder hatte stattfinden können.
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In gleicher Weise ist diesseits nicht nachzuvollziehen, dass die begünstigten Arbeitnehmer den behaupteten Programmfehler hätten erkennen können oder, dass diese (in welcher Weise?) die erhaltenen Zuschüsse zurückzahlen müssten.
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d. Nach dem Vorstehenden kann letztlich dahinstehen, ob nicht nur der (tarifliche) Anspruch auf Zuschusszahlung kraft des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes seitens des Klägers verlangt werden kann oder, ob der MTV insgesamt kraft einer allgemeinen und generellen Regelung der Beklagten den Arbeitnehmern zur Anwendung gebracht worden war.
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Für eine allgemeine Anwendung des MTV auf alle, auch die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer könnte sprechen, dass tarifliche Weihnachtsgeld- und Urlaubsgeldzahlungen auch an nicht tarifgebundene Arbeitnehmer erfolgt waren. Eine solche Anwendung könnte sich auch aus den Informationen im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang ergeben, wenn dort ausgeführt wurde, bei der Beklagten würden die jeweils einschlägigen Tarifverträge angewandt. Zwar wird nachfolgend ausgeführt, dass nicht gewerkschaftsangehörige Arbeitnehmer weiterhin tarifungebunden bleiben, was aber einer freiwilligen Anwendung der tariflichen Normen nicht entgegenstehen muss. Die Regelung in Nr. 3 Satz 3 des Arbeitsvertrages, dass auf das Arbeitsverhältnis kein Tarifvertrag Anwendung finde, steht ebenso nicht entgegen. Diese Formularklausel (§ 305 Abs. 1 BGB) steht einer Individualabrede nicht entgegen, derzufolge nunmehr doch tarifliche Normen Anwendung finden sollten (§ 305b BGB).
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Doch letztlich bedürfen diese Fragen nach dem Vorstehenden keiner abschließenden Entscheidung.
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3. Die Höhe des begehrten Zuschusses ist unter den Parteien nicht umstritten, weswegen der Klagebetrag zugrunde zu legen ist.
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4. Die Zinszahlung beruht auf §§ 284, 286, 288 BGB.
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III. Die Kostenfolge beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
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IV. Umstände, welche die Zulassung der Revision bedingten (§ 72 Abs. 2 ArbGG), sind nicht gegeben.