Titel:
Bauvorbescheid hinsichtlich der planungsrechtlichen Zulässigkeit eines Bauvorhabens
Normenketten:
BauGB § 31 Abs. 2, § 34
BayKG Art. 6 Abs. 2
Leitsätze:
1. Während „Ortsteil“ iSv § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde ist, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist, ist ein „Bebauungszusammenhang“ gegeben, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Begriff der organischen Siedlungsstruktur ist dadurch gekennzeichnet, dass er im Gegensatz zur unerwünschten Splittersiedlung das einschließt, was dem inneren Grund für die Rechtsfolge des § 34 BauGB entspricht, nämlich die nach der Siedlungsstruktur angemessene Fortentwicklung der Bebauung innerhalb des gegebenen Bereichs zu gewährleisten, wobei eine organische Siedlungsstruktur auch dann vorliegen kann, wenn es sich nicht um eine nach Art und Zweckbestimmung einheitliche Bebauung handelt, die Bebauung nicht einem bestimmten städtebaulichen Ordnungsbild entspricht oder nicht als städtebauliche Einheit in Erscheinung tritt oder sich nicht als Schwerpunkt der baulichen Entwicklung eines Gemeinwesens darstellt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bauvorbescheid, Abgrenzung Außenbereich, Innenbereich, Befreiung von Baulinie, Gebührenbemessung, Bebauungszusammenhang, Ortsteil, Außenbereich, organische Siedlungsstruktur, Befreiung, Baulinie, Gebührenermittlung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 51960
Tenor
I. Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren eingestellt. Die Beklagte wird verpflichtet, die Frage 1 hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung, der überbaubaren Grundstücksfläche und der Bauweise positiv zu beantworten und Frage 2 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden. Der Vorbescheid der Beklagten vom 9. März 2020 wird in der Kostenentscheidung und soweit er oben genannter Verpflichtung entgegensteht, aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens haben die Beklagten 4/5 und die Kläger 1/5 zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Kläger begehren den Erlass eines Vorbescheids hinsichtlich der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit ihres Vorhabens in Bezug auf die Art der baulichen Nutzung, die überbaubare Grundstücksfläche und die Bauweise sowie die Erteilung einer Abweichung von den festgesetzten Baulinien. Ferner wenden sie sich gegen die Kosten des Verwaltungsverfahrens.
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Die Kläger sind Eigentümer der Grundstücke mit den Fl.Nrn. 1319/7 und 1319/16 (Gemarkung …). Die Grundstücke sind gegenwärtig nicht bebaut. Sie liegen nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans. Der für das Gebiet existierende Flächennutzungsplan stellt für beide Grundstücke eine Allgemeine Grünfläche dar.
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Mit auf den 28. November 2019 datierten Formblattantrag beantragten die Kläger die Erteilung eines Vorbescheids zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit einer Bebauung der genannten Grundstücke mit zwei Gewerbebauten (E+1+D mit einer Grundfläche von 77m x 16m = 1232 qm beziehungsweise 30m x 16m = 480 qm) jeweils parallel zur Nordgrenze des Flurstücks 1319/16 (Frage 1). Des Weiteren wurde abgefragt, ob einer geringfügigen Abweichung der beiden Baukörper von den festgesetzten Baulinien zugestimmt werde.
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Mit Bescheid der Beklagten vom 9. März 2020 wurde die Vorbescheidsfrage dahingehend beantwortet, dass das Bauvorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig sei. In den Gründen des Bescheides heißt es, das Vorhaben befinde sich im Außenbereich. Es sei weder eine Privilegierung noch eine Teilprivilegierung anzunehmen. Das Vorhaben beeinträchtige öffentliche Belange, da es den Darstellungen des Flächennutzungsplans (Allgemeine Grünfläche mit übergeordneter Grünbeziehung) widerspreche. Die Frage 2 wurde nicht beantwortet, da sie abhängig von Frage 1 sei. Im gleichzeitig ergangenen Kostenbescheid wurden Gebühren in Höhe von 2.500,- € nebst Auslagen in Höhe von 4,98 € unter Ausnutzung des Höchstbetrags des Gebührenrahmens für die näher bezeichneten Amtshandlungen festgesetzt.
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Die Kläger haben mittels Fax vom … März 2020, eingegangen bei Gericht am selben Tag, Klage vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben.
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Sie sind der Auffassung, die Beklagte habe den Antrag ohne vorherige Anhörung der Kläger abgelehnt. Das Bauvorhaben befinde sich im unbeplanten Innenbereich, sodass sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 BauGB bemesse. So sei das Baugrundstück Bestandteil des nördlich und südlich angrenzenden Bebauungszusammenhangs und dabei nicht nur von der vorhandenen Gewerbebebauung geprägt, sondern es dränge sich eine Bebauung mit Gewerbebauten zur Lückenfüllung als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung förmlich auf. Dies zeige sich u.a. daran, dass unmittelbar im Norden ca. 18 Gewerbebauten mit zum Teil großen und langgestreckten Baukörpern errichtet worden seien, in die sich die geplante Bebauung nahtlos einfüge. Auch im Süden grenze an das unbebaute Nachbargrundstück FlNr. 1314/11 eine zweizeilige Gewerbebebauung an, die im vorderen und rückwärtigen Bereich durch langgestreckte Baukörper geprägt sei. Die Bewertung der unmittelbar nördlich angrenzenden Gewerbebebauung als „Siedlungssplitter im Außenbereich“ nach § 35 Abs. 2 BauGB durch die Beklagte sei unzutreffend, insbesondere, weil im nördlichen Anschluss noch weitere elf Gewerbebauten folgten, die in der Gesamtheit nicht mehr den Eindruck von Splitterbebauung im Außenbereich vermitteln könnten. Auch die Größe der streitgegenständlichen Grundstücke sei einer Prägung durch die Umgebung noch zugänglich. Ohnehin seien Gewerbegrundstücke regelmäßig größer als Flächen für Wohnbebauung. Eine unerwünschte Vorbildwirkung sei ausgeschlossen, da allein das südliche Nachbargrundstück noch unbebaut sei.
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Hinsichtlich der festgesetzten Gebühren werde beanstandet, dass der geringe Verwaltungsaufwand der Beklagten ohne Beteiligung aller Fachstellen und ohne abschließende Prüfung nicht berücksichtigt worden sei. Ferner sei die Zugrundelegung einer fiktiven Ausgangsgebühr anhand der Baukosten für die Bedeutung der Angelegenheit für die Kläger unzulässig, da man anhand dieser Berechnungsmethode bei größeren Bauvorhaben stets zum Ansatz der Höchstgebühr gelange und das Ziel des Art. 6 KG konterkariere. Es fehle außerdem an ausreichend erkennbaren Ermessenserwägungen zur Rechtfertigung der Höchstgebühr, auch unter Berücksichtigung der Wertung des Art. 8 Abs. 1 S. 1 KG.
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Die Kläger beantragen zuletzt,
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die Beklagte zu verurteilen, die Vorbescheidsfrage 1 hinsichtlich der Art der Nutzung, hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche und hinsichtlich der Bauweise positiv zu verbescheiden und die Vorbescheidsfrage 2 positiv zu beantworten und den Bescheid vom 9. März 2020 insoweit aufzuheben, als er dieser Verpflichtung entgegensteht sowie die Kostenrechnung zum Vorbescheid aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung nimmt sie Bezug auf die Gründe des angefochtenen Bescheides.
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Das Gericht hat am 17. November 2021 über die örtlichen Verhältnisse auf dem Baugrundstück sowie in dessen Umgebung Beweis durch Einnahme eines Augenscheines erhoben. Hinsichtlich der Einzelheiten dieses Augenscheins und der anschließenden mündlichen Verhandlung, in der die Beteiligten ihre Anträge stellten, wird auf das Protokoll verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung die Klagerücknahme erklärt haben, ist das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 VwGO).
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Im Übrigen ist die Klage zulässig und hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
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1. Die Kläger haben zunächst einen Anspruch auf positive Beantwortung der gestellten Vorbescheidsfrage nach der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit ihres Bauvorhabens hinsichtlich der Art der Nutzung, der überbaubaren Grundstücksfläche und hinsichtlich der Bauweise. Der dieses Begehren ablehnende Bescheid der Beklagten ist daher insoweit rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
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Entgegen der Auffassung der Beklagten bestimmt sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des klägerischen Vorhabens nicht nach § 35 BauGB, sondern nach § 34 BauGB.
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Die Anwendung des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB setzt einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil voraus. Die Tatbestandsmerkmale „im Zusammenhang bebaut“ und „Ortsteil“ gehen nicht ineinander auf, sondern sind kumulativer Natur. „Ortsteil“ im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist (BVerwG, U.v. 6.11.1968 - 4 C 2.66 - juris). Ein „Bebauungszusammenhang“ ist gegeben, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt.
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Die erkennende Kammer ist nach Durchführung des Augenscheins davon überzeugt, dass die Bebauung im Umfeld des Vorhabengrundstücks einen Ortsteil im Sinne des § 34 BauGB darstellt.
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Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung nicht auf die Entstehungsweise der vorhandenen Bebauung oder darauf abzustellen, ob die Bebauung einem bestimmten städtebaulichen Ordnungsbild entspricht, eine bestimmte städtebauliche Ordnung verkörpert oder als eine städtebauliche Einheit in Erscheinung tritt (BVerwG Urt. v. 6. 11. 1968 aaO). Ortsteil ist vielmehr jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Der Begriff der organischen Siedlungsstruktur ist seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. November 1968 (IV C 47.68 - juris) dadurch gekennzeichnet, dass er im Gegensatz zur unerwünschten Splittersiedlung das einschließt, was dem inneren Grund für die Rechtsfolge des § 34 BauGB entspricht, nämlich die nach der Siedlungsstruktur angemessene Fortentwicklung der Bebauung innerhalb des gegebenen Bereichs zu gewährleisten. Eine organische Siedlungsstruktur kann auch dann vorliegen, wenn es sich nicht um eine nach Art und Zweckbestimmung einheitliche Bebauung handelt, die Bebauung nicht einem bestimmten städtebaulichen Ordnungsbild entspricht oder nicht als städtebauliche Einheit in Erscheinung tritt oder sich nicht als Schwerpunkt der baulichen Entwicklung eines Gemeinwesens darstellt. Ein Ortsteil liegt danach vor, wenn eine gewisse Anzahl prägender Bauten vorhanden ist, die keine unerwünschte Splittersiedlung darstellen, weil sich die vorhandene Siedlungsstruktur fortentwickeln kann.
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
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Nach den Feststellungen des Augenscheins wird die nähere Umgebung vorliegend nördlich, südlich und westlich der streitgegenständlichen Grundstücke von Gewerbebebauung geprägt. Diese wird vorwiegend durch zum Teil langgestreckte Baukörper mit großer Grundfläche gekennzeichnet. Mit einer Anzahl von etwa 20 solcher Gewerbebauten die Bebauung auch eine gewisse Erheblichkeit.
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Die streitgegenständlichen Grundstücke sind auch nicht derart groß, dass sie den Bebauungszusammenhang unterbrechen und einer eigenständigen städtebaulichen Planung und Beurteilung der planungsrechtlichen Zulässigkeit unterliegen müssten. Allgemein gilt, dass das Vorliegen einer „Baulücke“ umso unwahrscheinlicher wird, je größer die unbebaute Fläche ist (BVerwG, U. v. 12.6.1970 - IV C 77.68 - BVerwGE 35, 256; U.. v. 1.12.1972 - IV 6.71 - BVerwGE 41, 227). Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Umgebungsbebauung nahezu nicht etwa aus kleinteiliger Wohnbebauung, sondern ausschließlich aus großflächigen Gewerbegebäuden besteht. Vergleicht man die prägende Umgebung mit den überwiegend vorhandenen Gewerbebauten mit der für diese typischen großen Grundflächen lassen sich zwei, maximal drei solcher Gewerbebauten auf den Flächen 1319/16, 1319/7 und 1314/11 verwirklichen. Damit drängt sich die Bebauung der streitgegenständlichen Grundstücke als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung auf und erscheint deshalb als bloße Baulücke (BVerwG, B. v. 15.9.2005 - 4 BN 37/05 - juris). Dies hat der gerichtliche Augenschein eindrücklich bestätigt.
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Das Bauvorhaben der Kläger fügt sich schließlich auch nach Art der baulichen Nutzung, der Bauweise sowie der überbaubaren Grundstücksfläche in die nähere Umgebung ein. Insbesondere überschreitet es hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche nicht den durch die Umgebungsbebauung gezogenen Rahmen. Sowohl die konkrete Größe der Grundstücksfläche des in Frage stehenden Vorhabens als auch dessen räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung finden in der Umgebungsbebauung ihre Entsprechung. Auch auf den benachbarten Grundstücken mit den Fl.Nrn. 1319/15 und 1318/5 ist eine Bebauung mit vergleichbarer oder größerer Grundfläche vorhanden. Die geplante Positionierung der streitgegenständlichen Gewerbebauten entspricht im Übrigen der räumlichen Lage der Gebäude auf den Flurstücken 1319/6 und 1319/15, die sich unmittelbar nördlich anschließen.
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2. Die Kläger haben hinsichtlich der in Frage 2 abgefragten Befreiung von der Einhaltung der Baulinie einen Anspruch auf ermessenfehlerfreie Entscheidung durch die Beklagte.
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Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB sind erfüllt. Insbesondere sind die Grundzüge der Planung angesichts des nur geringfügigen Zurückbleibens hinter der Baulinie nicht berührt. Dies ist aus Sicht der erkennenden Kammer auch städtebaulich vertretbar. Da der Beklagten hinsichtlich der Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGb jedoch ein Ermessen eröffnet ist, das die Beklagte bislang nicht ausgeübt hat, kommt insoweit lediglich eine Verpflichtung der Beklagten zur (erneuten) Beantwortung der Vorbescheidsfrage in Betracht. Die darüberhinausgehende Verpflichtungsklage ist daher abzuweisen.
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3. Ist der angefochtene Bescheid daher überwiegend aufzuheben, entfällt auch die Grundlage des ebenfalls angefochtenen Kostenbescheides. Über die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte bei einer erneuten Entscheidung über den Vorbescheidsantrag der Kläger erneut zu entscheiden. Dabei weist die Kammer darauf hin, dass bei der Gebührenermittlung nicht nur die (wirtschaftliche) Bedeutung der Angelegenheit für den Gebührenschuldner, sondern auch der mit der Amtshandlung verbundene Verwaltungsaufwand der beteiligten Behörden und Stellen zu berücksichtigen ist (vgl. Art. 6 Abs. 2 KG). Letzterer dürfte vorliegend - jedenfalls bislang - eher als gering anzusetzen sein, da im Rahmen des Verwaltungsverfahrens gerade keine Fachbehörden beteiligt worden sind.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1, § 155 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.