Inhalt

VG München, Urteil v. 15.02.2021 – 17 K 19.3076
Titel:

Gewährung von Beihilfeleistungen für ein Hörgerät

Normenketten:
BBhV § 25 Abs. 1, § 6 Abs. 1 S. 1
VwGO § 101 Abs. 2
BBG § 80
Leitsatz:
Die ärztliche Verordnung für Hilfsmittel muss bereits im Zeitpunkt der Anschaffung vorliegen, um den Erfordernissen des § 25 Abs. 1 Satz 1 BBhV zu genügen. Da die ärztliche Verordnung erst nach dem Kauf und damit zeitlich nach Anschaffung Ende des Jahres 2018 ausgestellt wurde, sind die Hörgeräte nicht beihilfefähig. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beihilfe, Hilfsmittel (Gehörgerät), Zeitpunkt der ärztlichen Verordnung, Hilfsmittel, Gehörgerät, Behinderung, Bewilligung, Widerspruch, Ruhestandsbeamter, ärztliche Bescheinigung, medizinische Notwendigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2021, 51863

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Gewährung von Beihilfeleistungen für ein Hörgerät. Der Kläger ist als Ruhestandsbeamter dem Grunde nach beihilfeberechtigt. Der Bemessungssatz zu krankheitsbedingten Aufwendungen des Klägers beträgt 70 v.H.
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Der Kläger bat die Beklagte unter Vorlage eines Kostenvoranschlags am 11. April 2018 um Prüfung der Beihilfefähigkeit von Hörgeräten. Der Kläger trug zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Hörgeräte. Mit Schreiben vom 17. April 2018 nahm die Beklagte gegenüber dem Kläger Stellung. Hierbei machte sie zunächst deutlich, dass die notwendige ärztliche Verordnung nicht beiliege und sich der Kostenvoranschlag auf 3.418,20 € belaufe. Aufgrund von Ziffer 8.8 der Anlage 11 zu § 25 Abs. 1 BBhV seien Hörgeräte alle fünf Jahre einschließlich der Nebenkosten bis zu einem Höchstbetrag von 1.500,00 € beihilfefähig, sodass der beihilfefähige Höchstbetrag für ein Hörgerät beidseits maximal 3.000,00 € betrage. Unterstrichen und in fett gedruckten Buchstaben enthielt das Schreiben zusätzlich folgenden Hinweis:
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Sofern Sie eine ärztliche Verordnung vorlegen, wären die Aufwendungen für das beidseitige Hörgerät bis zum Höchstbetrag von 3.000,00 € dem Grunde nach beihilfefähig.
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Der Kläger solle zur Abrechnung die Rechnung zusammen mit der ärztlichen Verordnung vorlegen.
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Mit Formblatt vom 16. Februar 2019 beantragte der Kläger die Gewährung von Beihilfe u.a. für eine Rechnung der … … GmbH vom 21. Dezember 2018 über einen Betrag von 3.298,00 €. Gegenstand der Rechnung waren zwei Hörgeräte, jeweils eines für das rechte und eines für das linke Ohr. Dem Kläger waren die Hörgeräte am 21. Dezember 2018 übergeben worden. Neben der Rechnung legte der Kläger die ohrenärztliche Verordnung einer Hörhilfe des HNO-Zentrums- … vom 14. Februar 2019 vor.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 6. März 2019 wurde seitens der Beklagten von der Rechnung vom 21. Dezember 2018 ein Betrag in Höhe von 0,00 € als beihilfefähig anerkannt und dem Kläger dementsprechend keine Beihilfe gewährt. Die Kürzung der Beklagten in Bezug auf die Rechnung wurde damit begründet, dass Hilfsmittel aufgrund einer ärztlichen Verordnung beihilfefähig seien. Die ärztliche Verordnung sei erst nachträglich ausgestellt worden, sodass eine Beihilfefähigkeit ausscheide.
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Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Der Kläger begründete seinen Widerspruch damit, dass die Stellungnahme der Beklagten vom 17. April 2018 nicht darauf hinweise, dass die ärztliche Verordnung vor Anschaffung des Hörgeräts erfolgen müsse. Der Kläger sei aufgrund der Tatsache, dass er bereits seit fünf Jahren ein Hörgerät trage und dieses aufgrund einer ärztlichen Verordnung als beihilfefähig anerkannt worden sei, davon ausgegangen, dass eine neue Verordnung nicht erforderlich sei. Aus diesem Grund habe er erst nach Erhalt des Schreibens vom 23. Januar 2019 einen HNO-Arzt aufgesucht, der die vorgelegte Verordnung nach Durchführung eines Hörtests ausgestellt habe.
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Der Widerspruch gegen den Beihilfebescheid vom 6. März 2019 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2019 zurückgewiesen.
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Hiergegen hat der Kläger am … Juni 2019 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben.
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Der Kläger beantragt,
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Die Beklagte wird unter Abänderung ihres Bescheides vom 6. März 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2019 verpflichtet, dem Kläger antragsgemäß Beihilfe für die Anschaffung zweier Hörgeräte zu bewilligen.
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Zur Begründung der Klage wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass sich die Notwendigkeit einer schriftlichen ärztlichen Verordnung vor Anschaffung des Hilfsmittels nicht aus der Bundesbeihilfeverordnung und dem Wortlaut des § 25 BayBbhV ergebe. Auch die dazu ergangenen Verwaltungsvorschriften enthielten keine derartige Regelung. Die Beklagte habe mir ihrem Schreiben vom 17. April 2018 vielmehr den Eindruck erweckt, dass es ausreiche, wenn der Kläger beim Einreichen des Beihilfeantrags die Rechnung zusammen mit der ärztlichen Verordnung vorlege. Die Ablehnungsentscheidung sei für den Kläger überraschend gekommen und widerspreche der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 22. Juli 2019, 14
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die Klage wird abgewiesen.
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Zur Begründung verwies die Beklagte auf die im Bescheid und Widerspruchsbescheid enthaltene Begründung. Ergänzend trug sie vor, dass es bei ärztlichen Verordnungen allgemein üblich sei, dass diese der Anschaffung zeitlich vorhergingen. Durch die schriftliche Verordnung übernehme der Arzt die Verantwortung für die Inanspruchnahme von Leistungen, die der medizinischen Versorgung dienten und nicht vom Arzt selbst erbracht würden.
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Die Beklagte hat mit Schreiben vom 22. Juli 2019, der Vertreter des Klägers mit Schreiben vom 23. Oktober 2020 auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Die Beklagte und der Vertreter des Klägers haben jeweils mit Schreiben vom 15. Februar 2021 das Einverständnis mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin anstelle der Kammer erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 S. 2 VwGO ).

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage, über die nach übereinstimmender Erklärung der Beteiligten durch die Berichterstatterin und im schriftlichen Verfahren nach § 101 Abs. 2 VwGO entschieden werden konnte, hat in der Sache keinen Erfolg.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Beihilfe im beantragten Umfang (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Bescheid vom 6. März 2019 und der Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO)
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I. Die Klage ist als Verpflichtungsklage statthaft, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Denn bei einer verständigen Würdigung des klägerischen Begehrens gem. § 88 VwGO zielt der Antrag des Klägers auf den Erlass eines konkret bezifferten Leistungsbescheides ab, sodass der Klageantrag entsprechend als Antrag auf Erlass eines Verwaltungsaktes auszulegen ist. Zwar beziffert der Bevollmächtigte des Klägers den begehrten Leistungsbescheid nicht konkret. Allerdings ergibt sich bei verständiger Würdigung des Klageantrags, der auf die antragsgemäße Bewilligung abzielt, des vorgelegten Formblatts des Beihilfeantrags sowie der Angabe des Streitwerts, dass ein Leistungsbescheid in Höhe von 2.100,00 € erlassen werden soll.
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II. Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird (stRspr, vgl. statt aller BVerwG, U.v. 2.4.2014 - 5 C 40.12 - NVwZ-RR 2014, 609 Rn. 9). Die Aufwendungen gelten in dem Zeitpunkt als entstanden, in dem die sie begründende Leistung erbracht wird. Bei einem Kaufvertrag über Hörgeräte ist die Leistung erbracht, wenn der Verkäufer dem Käufer die Sache übergeben und das Eigentum an der Sache verschafft hat (§ 433 Abs. 1 BGB; Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Stand 1. September 2020, Bd. 2 Anm. 12 zu § 7 Absatz 2 BayBhV).
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Da dem Kläger die Hörgeräte am 21. Dezember 2018 übergeben und übereignet wurden, bestimmt sich die Beihilfefähigkeit nach § 80 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 160), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29. November 2018 (BGBl. I S. 2232), und der Verordnung über Beihilfe in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (Bundesbeihilfeverordnung - BBhV) vom 13. Februar 2009 (BGBl. I S. 326), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Juli 2018 (BGBl. I S. 1232, ber. 2019 S. 46).
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III. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Beihilfe hinsichtlich seiner mit Rechnung vom 21. Dezember 2018 geltend gemachten Aufwendungen für Hörgeräte. Die vorgenommene Kürzung durch die Beklagte erfolgte zurecht.
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Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV sind grundsätzlich nur notwendige und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen beihilfefähig. Für Hilfsmittel bestimmt § 25 Abs. 1 Satz 1 BBhV, dass Aufwendungen für ärztlich verordnete Hilfsmittel beihilfefähig sind, wenn sie im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Nach Satz 2 ist die Anschaffung und der Ersatz eines in Anlage 11 genannten Hilfsmittels unter den dort genannten Voraussetzungen beihilfefähig.
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Zwar handelt es sich bei den erworbenen Hörgeräten um Hilfsmittel gem. Ziffer 8.8 der Anlage 11 zu § 25 BBhV. Allerdings fehlt es an einer ärztlichen Verordnung.
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Die ärztliche Verordnung für Hilfsmittel muss bereits im Zeitpunkt der Anschaffung vorliegen, um den Erfordernissen des § 25 Abs. 1 Satz 1 BBhV zu genügen. Da die ärztliche Verordnung erst am 14. Februar 2019 und damit zeitlich nach Anschaffung Ende des Jahres 2018 ausgestellt wurde, sind die Hörgeräte nicht beihilfefähig.
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1. Die Notwendigkeit der ärztlichen Verordnung vor Anschaffung des Hilfsmittels ergibt sich durch Auslegung der Norm.
29
Zwar ist der Wortlaut des § 25 Abs. 1 Satz 1 BBhV und auch der des Einleitungssatzes zu Anlage 11 zu § 25 BBhV offen formuliert. Mit „ärztlich verordnete Hilfsmittel“ und „einem Arzt verordnet werden“ und gerade nicht „zuvor ärztlich verordnete Hilfsmittel“ und „einem Arzt verordnet wurden“ kann noch kein eindeutiger Rückschluss auf den Zeitpunkt der ärztlichen Verordnung gezogen werden.
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Allerdings spricht die Auslegung des § 25 Abs. 1 Satz 1 BBhV nach Sinn und Zweck für eine Notwendigkeit der ärztlichen Verordnung vor Anschaffung des Hilfsmittels.
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Der Sinn des Verordnungszwanges besteht in erster Linie darin, dem Dienstherrn Gewissheit über die Notwendigkeit einer Maßnahme zu verschaffen. Der Beihilfeberechtigte ist regelmäßig nicht in der Lage, selbst zu beurteilen, welches Hilfsmittel notwendig ist (VG Düsseldorf, U.v. 17.2.2017 - 26 K 7307/16 - juris Rn. 52). Durch die schriftliche Verordnung übernimmt der Arzt die Verantwortung für Leistungen, die der medizinischen Versorgung dienen, aber nicht vom Arzt selbst erbracht werden, was insbesondere bei Arzneimitteln, Hilfsmitteln und auch bei Heilbehandlungen durch selbstständig tätige Personen, die nicht selbst Ärzte sind, der Fall ist. Durch die schriftliche Verordnung bestätigt der Arzt u.a. die Notwendigkeit und die Wirksamkeit des betreffenden Mittels (OVG Saarl, U.v. 1.12.2015 - 1 A 94/15 - juris Rn. 49 f. m.w.N.) Die Notwendigkeit der Anschaffung kann die schriftliche ärztliche Verordnung nur glaubhaft darlegen, wenn sie vor Anschaffung des Hilfsmittels erfolgt und wenn sich aus der ärztlichen Verordnung nicht nur die Notwendigkeit der Anschaffung dem Grunde nach, sondern auch Art und Umfang der Ausstattung des Hilfsmittels ergeben (VG Lüneburg, Urteil vom 18. Juni 2003 - 1 A 149/01 -, juris Rn. 22).
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Daneben findet die regelmäßige Nichtanerkennung nachträglicher ärztlicher Bescheinigungen ihre sachliche Rechtfertigung darin, dass jede Eigenbeschaffung oder Eigenbehandlung eine erhöhte Gefahr des Misserfolges in sich trägt (OVG Saarl, U.v. 1.12.2015 - 1 A 94/15 - juris Rn. 53 m.w.N.).
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2. Auch kann sich der Kläger nicht auf eine Ausnahme berufen.
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a) Eine Ausnahme von der Unbeachtlichkeit nachträglich ausgestellter Verordnungen wird nur für Fälle unaufschiebbaren Bedarfs anerkannt, wenn unverzüglich nach Fortfall des anzuerkennenden Hinderungsgrundes (für eine vorherige Konsultation des Arztes) die nachgeholte ärztliche Bescheinigung die medizinische Notwendigkeit der Anschaffung sowie Art und Umfang der Hilfsmittelausstattung bestätigt (OVG Saarl, U.v. 1.12.2015 - 1 A 94/15 - juris Rn. 51 ff. m.w.N.) Es ist daher davon auszugehen, dass die Annahme eines Ausnahmefalles in Betracht kommt, wenn eine vorherige Verordnung entweder ausgeschlossen oder unzumutbar war (VG Hannover, U.v. 12.4.2011 - 2 A 2386/09 - juris Rn. 19). Im vorliegenden Fall ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass dem Kläger eine vorherige Konsultation ausgeschlossen oder unzumutbar war. Vielmehr trug der Kläger im Widerspruchsverfahren vor, dass er von der Notwendigkeit einer vorherigen ärztlichen Verordnung nichts gewusst habe.
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Auch in Fällen einer Dauerverschreibung eines Medikaments, das der Betroffene bereits über Jahre hinweg einnahm und auch noch jahrelang wird einnehmen müssen, erkennt die Rechtsprechung keine Ausnahme vom vorherigen Verordnungszwang an. Zwar kann es Einzelfälle geben, in denen die Zwecke des Verordnungszwanges einer nachträglichen Verordnung nicht zuwider liefen. Denn die Beihilfevorschriften treffen im Interesse der Verwaltungspraktikabilität zulässigerweise pauschalierende und typisierende Regelungen. Die sich daraus ergebenden Härten im Einzelfall sind von den Beamten hinzunehmen. (VG Hannover, U.v. 12.4.2011 - 2 A 2386/09 - juris Rn. 18).
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b) Auch eine Ausnahme dahingehend, dass bei der getätigten Ersatzbeschaffung eines Hörgeräts auf eine ärztliche Verordnung ganz verzichtet werden kann, besteht nicht. Dies ergibt sich aus der systematischen Auslegung von Ziffer 8.8 der Anlage 11 zu § 25 BBhV im Zusammenhang mit Abschnitt 4 Unterabschnitt 2 Nummer 2 derselben Anlage.
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Bei der Anschaffung des Klägers handelte es sich um den Ersatz für ein veraltetes Hörgerät. Dieses trug der Kläger bereits länger als fünf Jahre, sodass die Beihilfefähigkeit für ein Ersatzgerät aus zeitlicher Perspektive an sich gegeben gewesen wäre. Auch war ihm für das veraltete Hörgerät Beihilfe gewährt worden. Mit Blick auf die oben dargestellten Zwecke des Verordnungszwanges, medizinische Notwendigkeit und Schutz des Patienten vor einer erhöhten Gefahr des Misserfolgs, ließe sich grundsätzlich vertreten, dass die Zwecke bei der Ersatzbeschaffung eines Hörgeräts nicht konterkariert würden. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich ein Betroffener ein neues Hörgerät besorgt, wenn sich seine Hörfähigkeit so verbessert hätte, dass er ohne ein Hörgerät hört. Zum anderen braucht es für die Anschaffung eines Hörgeräts den Kontakt mit einem Hörgeräteakustiker, sodass die Gefahr eines Misserfolgs gering scheint.
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Allerdings hat der Verordnungsgeber (nur) für Sehhilfen eine Differenzierung zwischen Erst- und Ersatzbeschaffung vorgenommen. In Nummer 2 des Abschnitt 4 Unterabschnitt 2 der Anlage 11 zur § 25 BBhV heißt es: „Voraussetzung für die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für die erstmalige Beschaffung einer Sehhilfe ist, dass diese von einer Augenärztin oder einem Augenarzt verordnet worden ist. Bei der Ersatzbeschaffung genügt die Refraktionsbestimmung von einer Augenoptikerin oder einem Augenoptiker.“ Diese ausdrückliche Beschränkung der Differenzierung auf Sehhilfen bringt den Willen des Verordnungsgebers zum Ausdruck, dass nur in diesem Fall differenziert werden darf. Im Übrigen bleibt es bei der grundsätzlichen Regelung, dass es einer ärztlichen Verordnung vor Anschaffung bedarf. Dem Verordnungsgeber wäre es freigestanden, auch für den Fall einer Ersatzbeschaffung eines Hörgeräts die Durchführung eines Hörtests durch einen Hörgeräteakustiker für ausreichend zu erklären.
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3. Die Ablehnung des klägerischen Beihilfeantrags widerspricht auf nicht der sich aus § 78 BBG ergebenden beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht der Beklagten. Die Beihilfevorschriften stellen eine für den Regelfall grundsätzlich abschließende Konkretisierung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen dar. Weitergehende Beihilfeansprüche können allenfalls dann begründet sein, wenn die Fürsorgepflicht in einem Einzelfall gleichwohl noch in einem Wesenskern verletzt wäre (BVerfG, B.v. 13.11.1990 - 2 BvF 3/88; BVerwG, U.v. 15.12.2005 -2 C 35/04 - juris Rn. 37; OVG NW, B.v. 7.7.1998 - 12 A 5885/96 - juris Rn. 21 f. m.w.N.). Eine derartige Verletzung des Wesenskern im Einzelfall ist nicht ersichtlich.
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4. Schließlich ergibt sich aus dem Schreiben der Beklagten vom 17. April 2018 nichts Anderes. Die Beklagte weist hierin ausdrücklich auf die Notwendigkeit einer ärztlichen Verordnung hin. Sie trifft demgegenüber keine Aussage dazu, zu welchem Zeitpunkt die ärztliche Verordnung ausgestellt sein muss. Sie weist weder auf die Notwendigkeit einer vorherigen ärztlichen Verordnung hin noch erklärt sie eine nachträgliche Verordnung für zulässig. Zu Ersterem ist sie auch nicht verpflichtet, da sich die Notwendigkeit aus dem Gesetz und der hierzu ergangenen Rechtsprechung ergibt. Die Beklagte hatte auch keinen Grund zur Annahme, dass der Kläger das Hilfsmittel ohne vorherige Verordnung anschaffen würde. Zudem trug der Kläger im Widerspruchsverfahren vor, dass er um die generelle Notwendigkeit einer ärztlichen Verordnung nicht gewusst habe. Dieser Vortrag spricht dafür, dass dem Kläger der Inhalt des Schreibens im Zeitpunkt der Anschaffung nicht mehr präsent und damit nicht kausal für die Anschaffung war.
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IV. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.