Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 14.07.2021 – AN 15 S 21.00023
Titel:

Anordnung des Leinenzwangs für Mischlingsrüden

Normenkette:
LStVG Art. 18 Abs. 1, Abs. 2
Leitsätze:
1. Von großen Hunden geht, wenn sie auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei umherlaufen, selbst dann eine konkrete Gefahr für Leib und Leben Dritter iSd Art. 18 Abs. 2 iVm Abs. 1 LStVG aus, wenn es in der Vergangenheit noch nicht zu konkreten Beißvorfällen gekommen ist (Anschluss an VGH München BeckRS 2016, 45082 Rn. 19). (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Außerhalb von bewohnten Gebieten kann eine konkrete von einem Hund ausgehende Gefahr – selbst in einer vom Tourismus geprägten Region – nicht ohne weiteres angenommen werden, weil es dort nicht zwangsläufig zu den die konkrete Gefahrenlage begründenden Kontakten mit anderen Menschen oder Hunden kommt (Anschluss an VGH München BeckRS 2016, 45082 Rn. 20). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Maulkorbzwang kann zusätzlich zum Leinenzwang angeordnet werden, wenn die Anleinpflicht zur effektiven Gefahrenabwehr nicht ausreicht, weil zu erwarten ist, dass der Hund auch angeleint zubeißen oder sich von der Leine losreißen würde (Anschluss an VGH München BeckRS 2019, 2239). (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Hund, Beißvorfälle, Leinenzwang, Maulkorbzwang, Innenbereich, Außenbereich, konkrete Gefahr
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 31.03.2022 – 10 CS 21.2222
Fundstelle:
BeckRS 2021, 51665

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 9. März 2021 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Februar 2021 wird insoweit wiederhergestellt, als sie in den Ziffern 1.2 und 1.5. eine Anordnung des Leinenzwangs auch im Außenbereich betrifft. Sie wird im Hinblick auf Ziffer 3 (Zwangsgeldandrohung) insoweit angeordnet, als sie sich insoweit auf Ziffer 1.2 und 1.5 bezieht; im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Antragstellerin zu 3/4 und die Antragsgegnerin zu 1/4.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten streiten nunmehr um die Rechtmäßigkeit des Bescheids der Antragsgegnerin vom 17. Februar 2021, durch den gegenüber der Antragstellerin Anordnungen zur Haltung ihres Hundes „…“ (Mischlingsrüde) getroffen wurden.
2
Am 4. November 2020 verließ der Hund „…“ unbeaufsichtigt das Anwesen in der …, … … der Antragstellerin und verletzte im öffentlichen Raum den vorbeilaufenden Passanten … … durch einen Biss in die Wade. Der Vorgang wurde vom Geschädigten polizeilich zur Anzeige gebracht. Nach dem Einsatzbericht der Polizeiinspektion … sei beim Eintreffen der Polizeibeamten auf der Wade des Geschädigten ein eindeutiger Bissabdruck zu erkennen gewesen. Herr … habe angegeben, auf dem Bürgersteig unterwegs gewesen zu sein, als er von dem Hund „…“ attackiert und gebissen worden zu sein. Der Hund sei beim Aussteigen des herbeigerufenen Polizeibeamten in einer territorialen Haltung bellend auf diesen zugekommen. Der Hund habe sich mit dominanter Körpersprache bis zum Grundstück der Antragstellerin drängen lassen. Als der Polizeibeamte kurz den Blick abgewendet habe, um die Gartentür zu öffnen, habe der Hund „…“ kurz in seine Richtung angesetzt, sich jedoch zurückdrängen lassen, woraufhin er auf das Grundstück der Antragstellerin geflüchtet sei. Der Ehemann der Antragstellerin habe sich im Wohnanwesen befunden. Dieser habe angegeben, dass er den Hund „…“ in den Garten gelassen und diesen für ausbruchssicher gehalten habe. Dass sich der Hund außerhalb des Grundstücks befand, habe er nicht mitbekommen. Der Ehemann der Antragstellerin sei darauf hingewiesen worden, dass er sein Grundstück ausbruchssicher gestalten müsse beziehungsweise den Hund nicht unbeaufsichtigt im Garten lassen dürfe.
3
Am 10. November 2020 wurde die Antragstellerin von der Antragsgegnerin zu dem Vorfall angehört. Hierbei schilderte die Antragstellerin, dass ihr Ehemann die Gartentür bereits so umgebaut habe, dass diese nur noch nach innen aufgehe, sodass der Hund „…“ nicht mehr in der Lage sei, die Gartentür selbst zu öffnen. Zudem sei eine Lichtschranke mit Lichtsignalen installiert worden.
4
Am 16. November 2020 fand ein Ortstermin auf dem Grundstück der Antragstellerin statt, um den Hund „…“ sowie die Grundstücksgegebenheiten am Anwesen der Antragstellerin in Augenschein zu nehmen. Am Ortstermin nahmen die Antragstellerin, ihr Ehemann, Vertreter der Antragsgegnerin sowie Vertreter des Veterinäramtes … teil. Mit schriftlicher Stellungnahme von selben Tag bestätigte das Veterinäramt die angegebene Grundstückssituation. Das Halteranwesen sei mit einem 80 cm hohen Holzlattenzaun, z.T. durch einen zweiten, circa 1,50 Meter dahinter angebrachten, circa 100 cm hohen Drahtzaun umzäunt. Tor und Eingang seien fest verschlossen und seit kurzem hundesicher hergerichtet (Türgriff nach oben, circa 120 cm hoch, fest verbrettert, Warnschild). Nach Angabe der Antragstellerin sei der Hund gut leinenführig, neige bei Anlegen eines Maulkorbes u.ä. aber zu Abwehr- bzw. Angstverhalten. Nach den Angaben des Veterinäramts habe der Hund „…“ den Vertreter des Veterinäramtes gleich nach dem Herauslassen aus dem Haus verbellt und sei Kommandos der Antragstellerin nicht konsequent bzw. z.T. gar nicht gefolgt. Die Antragstellerin habe angegeben, der Hund „…“ habe sehr große Angst vor Fremden. Nach Aufforderung durch den Vertreter des Veterinäramtes sei der Hund von der Antragstellerin wie bei einem Spaziergang aufgeschirrt und bis auf den öffentlichen Gehweg geführt worden. Auch dort habe der Hund „…“ Kommandos nicht immer sicher umgesetzt und schon bei geringer Provokation versucht, den Vertreter des Veterinäramtes in den Schuh zu beißen. Hierbei habe der Hund „…“ Dominanzzeichen, wie z.B. eine dominante Körpersprache gezeigt. Der Hund könne derzeit das Halteranwesen nicht mehr unbeaufsichtigt verlassen. Da der Hund „…“ offensichtlich gelernt habe, Reiz- und Provokationssituationen mit Aggressionsverhalten zu beantworten, sei eine Gefährdung von unbeteiligten Passanten im öffentlichen Raum ohne weitere Maßnahmen nicht sicher auszuschließen.
5
Mit Bescheid vom 16. November 2020, der Antragstellerin zugegangen am 9. Dezember 2020, ordnete die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin an, dass diese ein Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Hundewesen vorzulegen hat, mit welchem der Nachweis zu erbringen ist, dass und unter welchen Voraussetzungen vom Mischlingsrüden „…“ keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Das Gutachten muss das Verhalten des Hundes im und außerhalb des Halteranwesens beleuchten. Dieses muss bis auf die Punkte der Rassenzuordnung den Umfang eines Gutachtes zum Erhalt eines Negativzeugnisses beinhalten (Ziffer 1). Bis zur Vorlage des Gutachtens wurde ein Leinen- (Ziffer 2.1) sowie ein Maulkorbzwang (Ziffer 2.2) angeordnet. Der Hund ist nur noch von befähigten Menschen zu führen (Ziffer 2.3). Die Antragstellerin ist zur Gewährleistung der in Ziffer 2.1 bis 2.3 angeordneten Maßnahmen verpflichtet (Ziffer 2.4). Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet (Ziffer 3) und für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld von 500,00 € bzw. 1.000,00 € angedroht. (Ziffer 4). Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen (Ziffer 5), diese betragen 50,00 € Gebühren sowie 4,00 € Auslagen. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
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Die Antragstellerin ließ durch Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 5. Januar 2021, dem Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach am selben Tag zugegangen, gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. November 2020 Klage erheben und mit Schriftsatz vom gleichen Tag zudem beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16.11.2020 wird hergestellt, hilfsweise die sofortige Vollziehung wird aufgehoben.
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Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass der Hund „…“ im August 2015 in Rumänien geboren und von der Antragstellerin im Oktober 2016 käuflich erworben worden sei.
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Der Hund sei anfänglich sehr ängstlich und traurig gewesen, inzwischen habe er sich jedoch zu einem treuen und liebevollen Begleiter entwickelt. Auch plane die Antragstellerin, mit dem Hund „…“ im Frühjahr wieder die Hundeschule zu besuchen. Was am 4. November 2020 genau geschehen ist, könne die Antragstellerin nicht sagen. Sie vermute aber, dass der Hund die nicht richtig geschlossene Türe aufgedrückt habe, sodass er das Grundstück verlassen konnte. Da der Hund aber nicht mehr zurück gekonnt und einen Eingang gesucht habe, sei diese ungewohnte Situation möglicherweise die Ursache für das Fehlverhalten. Auch habe der Passant keine nennenswerten Verletzungen davongetragen. Weiter wurde ausgeführt, dass der Sofortvollzugsanordnung eine hinreichende Begründung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO fehle. Sie sei lediglich floskelhaft und enthalte keine konkreten Argumente, die sich auf den konkreten Einzelfall bezögen. Eine Abwägung finde nicht statt. Der Leinenzwang sei zudem ungeeignet, dass geschilderte Hundegebell zu verhindern. Unzutreffend sei es, dass es in der Vergangenheit wiederholt zu Beschwerden über den Hund „…“ gekommen sei. Auch sei der angefochtene Bescheid offensichtlich rechtswidrig. Da der Hund „…“ kein Kampfhund oder sonst gefährlicher Hund sei, gehe von diesem keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Bezüglich des Leinenzwangs sei nicht ersichtlich, warum eine 1,5 Meter lange Leine notwendig sei, vielmehr kämen auch zwei bis drei Meter in Betracht. Auch der zusätzliche Maulkorbzwang stelle nur eine Vorratsanordnung dar, die nicht auf einen konkreten Anlass gestützt werde. Die Maßnahmen seien ungeeignet, da der Vorfall darauf beruhe, dass der Hund „…“ das Grundstück der Antragstellerin verlassen habe, die angeordneten Maßnahmen verhinderten aber nicht, ein unkontrolliertes Entweichen des Hundes zu verhindern.
9
Mit Schreiben vom 10. Januar 2021 legte die Antragstellerin der Antragsgegnerin den unter Ziffer 1 des Bescheides geforderten Nachweis in Form eines Gutachtens des öffentlich bestellten und beeidigten Sachverständigen … … vom 6. Januar 2021 vor. Nach dem Gutachten sei der Hund „…“ als normal aggressiv einzustufen. Aus der hierbei getroffenen Empfehlung für das weitere Halten und Führen des Hundes (Ziffer 14) geht hervor, dass der Hund „…“ innerhalb bewohnter Gebiete nur angeleint (Leinenlänge max. 1,5 Meter), an schlupfsicherem Halsband/Geschirr und beißsicherem Maulkorb, von geeigneten Personen geführt werden sollte, außerhalb bewohnter Gebiete ebenfalls nur angeleint (Leinenlänge max. 10 Meter) und von geeigneten Personen geführt werden sollte, wobei ein Maulkorb hier weder sachgerecht noch erforderlich sei, sowie dafür zu sorgen sei, dass sich dem Hund „…“ innerhalb des Halteranwesens keine unbefugten Personen nähern könnten. Auf die weiteren Ausführungen im Gutachten wird Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 13. Januar 2021 erklärte die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin den Empfang des Gutachtens und wies die Antragstellerin darauf hin, dass die im Bescheid angeordneten Maßnahmen bis zur weiteren Entscheidung weiter einzuhalten seien. Mit Schriftsatz vom 18. Januar 2021 erklärten die Antragstellerbevollmächtigten gegenüber der Antragsgegnerin, dass sich die Anordnungen in Ziffer 2 des Bescheides erledigt hätten, sodass die Antragsgegnerin aufgefordert werde, zu erklären, dass die Maßnahmen nicht mehr zu beachten seien. Mit Schriftsatz des Veterinäramts … vom 20. Januar 2021 wurde das vorgelegte Gutachten aus fachlicher Sicht in formeller und inhaltlicher Hinsicht bestätigt. Der Antragsgegnerin wurde empfohlen, die in Ziffer 14 des Gutachtens vorgeschlagenen Maßnahmen, die nachvollziehbar, geeignet und verhältnismäßig seien, gegenüber der Antragstellerin zu erlassen.
11
Mit Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 21. Januar 2021 wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass diese durch Vorlage des Gutachtens die in Ziffer 1 angeordnete Pflicht vollständig erfüllt habe. Auch wurde festgestellt, dass damit das zeitliche Befristungsereignis für die Regelungen der Ziffern 2 bis 4 des Bescheids entfallen sei, sodass diesen Ziffern nicht mehr Folge zu leisten sei. Weiterhin wurde die Antragstellerin zum geplanten Erlass eines Bescheids mit den im Gutachten vorgeschlagenen Anordnungen zum Halten des Hundes „…“ angehört. Mit Schriftsatz vom 27. Januar 2021 teilte die Antragsgegnerin dies dem Gericht gegenüber mit. Aufgrund der Erledigung des Bescheides wurde daher beantragt, die Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO und in der Hauptsache einzustellen. Vorsorglich beantragte die Antragsgegnerin zudem, den Antrag abzulehnen sowie Klageabweisung. Mit Schriftsatz vom 29. Januar 2021 teilten die Antragstellerbevollmächtigten gegenüber der Antragsgegnerin mit, dass diese die angegriffenen Maßnahmen für rechtswidrig hielten. Dennoch sei die Antragstellerin bereit, wenn die Sache damit erledigt sei, die in Ziffer 1.1 und 1.4 angeordneten Maßnahmen zu akzeptieren, da die Antragstellerin diese insoweit selbst einhalte. Im Übrigen sei die Antragstellerin mit den Anordnungen nicht einverstanden.
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Mit Bescheid vom 17. Februar 2021 ordnete die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin folgende Anordnungen an:
1.1. Der Mischlingsrüde „…“ darf außerhalb des Anwesens in der „…“, … … und innerhalb der im Zusammenhang bebauter sowie bewohnter Ortsteile bayernweit nur an einer maximal 1,50 Meter langen reißfesten Leine mit schlupfsicherem Halsband oder Geschirr geführt werden.
1.2. Der Mischlingsrüde „…“ darf außerhalb des Anwesens in der „…“, … … und außerhalb der im Zusammenhang bebauter sowie bewohnter Ortsteile in unübersichtlichem Gelände bayernweit nur angeleint an einer maximal 10 Meter langen reißfesten Schleppleine oder Flexileine mit schlupfsicherem Halsband oder Geschirr geführt werden.
1.3. Außerhalb des Anwesens in der „…“, … … und innerhalb bebauter Gebiete ist der Mischlingsrüde „…“ bayernweit mit einem beißsicheren Maulkorb zu führen.
1.4. Die führende Person muss volljährig sowie dazu befähigt sein und die notwendige Zuverlässigkeit besitzen. Sie muss mit dem Verhalten des Hundes vertraut sein und ausreichend auf ihn einwirken können.
1.5. Frau … … wird dazu verpflichtet, zu gewährleisten, dass die sich aus der Nummer 1.1 bis 1.3 dieses Bescheides ergebenden Verpflichtungen auch von Dritten erfüllt werden, die mit der Betreuung und dem Ausführen des Hundes beauftragt werden.
2. Die sofortige Vollziehung der Ziff. 1.1 bis 1.5 wird angeordnet.
3. Für den Fall der Zuwiderhandlung durch Frau … … gegen
Nr. 1.1 dieses Bescheides wird ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 € pro Einzelfall fällig
Nr. 1.2 dieses Bescheides wird ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 € pro Einzelfall fällig
Nr. 1.3 dieses Bescheides wird ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 € pro Einzelfall fällig
Nr. 1.4 dieses Bescheides wird ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 € pro Einzelfall fällig Nr. 1.5 dieses Bescheides wird ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 € pro Einzelfall fällig
4. Frau … … hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
5. Für diesen Bescheid wird eine Gebühr in Höhe von 50,00 € festgesetzt. Die Auslagen für die Postzustellungsurkunde betragen 4,00 €.
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Auf die Begründung des Bescheides wird Bezug genommen.
14
Mit Schriftsätzen vom 9. März 2021 erklärten die Antragstellerbevollmächtigten, die Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz sowie in der Hauptsache fortzuführen, nunmehr aber den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Februar 2021 zum Gegenstand der Verfahren zu machen und die Klage bzw. den Antrag zu ändern. In der Hauptsache wurde nunmehr beantragt, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Februar 2021 aufzuheben; im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes wird beantragt,
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17.02.2021 wird hergestellt, hilfsweise die sofortige Vollziehung wird aufgehoben.
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Begründet wurde dies u.a. damit, dass aus dem vorgelegten Gutachten hervorgehe, dass der Hund „…“ kein Hund mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit sei. Es liege keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vor, da aus dem einmaligen Vorfall vom 4. November 2020, der unnötig dramatisiert und hochgespielte werde, keine Schlüsse dafür gezogen werden dürften, dass der Hund immer wieder zubeiße. Der Bescheid stelle eine Maßregelung der Antragstellerin dar.
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Mit Schreiben vom 29. April 2021 lehnte die Antragsgegnerin die Klageänderung ab. Der Bescheid vom 16. November 2020 habe sich, wie die Antragstellerbevollmächtigten mit Schreiben vom 18. Januar 2021 gegenüber der Antragsgegnerin selbst festgestellt hätten, erledigt, sodass gegen den Bescheid vom 17. Februar 2021 eine separate Klage erforderlich sei. Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO wurde daher beantragt, das Verfahren einzustellen, hilfsweise den Antrag abzulehnen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass beide Bescheide der Antragsgegnerin recht- und zweckmäßig seien. Im Übrigen wurde auf die bisherigen Ausführungen verwiesen.
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Mit Schriftsatz vom 26. Mai 2021 führten die Antragstellerbevollmächtigen aus, dass eine Klageänderung möglich sei, da eine Sachdienlichkeit vorliege. Eine prozessuale Erledigungserklärung liege auf Antragstellerseite nicht vor, sodass die Anträge der Antragsgegnerin zur Verfahrenseinstellung ins Leere gingen.
18
Im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte.
II.
19
Zu entscheiden war allein über den Antrag in seiner mit Schriftsatz vom 9. März 2021 geänderten Form, da eine zulässige Antragsänderung vorliegt.
20
Eine Erledigung des Rechtsstreites ist in prozessualer Hinsicht nicht gegeben. Erforderlich hierfür wäre zumindest eine entsprechende - grundsätzlich ausdrückliche - Erklärung durch die Antragstellerseite, dass sich der Rechtsstreit erledigt hat (vgl. Schübel-Pfister, in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 161 Rn. 7). Diese ist im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben. Auch der Schriftsatz der Antragstellerbevollmächtigten an die Antragsgegnerin vom 18. Januar 2021 stellt keine solche Erledigungserklärung dar. Zwar wird hierin festgestellt, dass sich der ursprüngliche Bescheid durch Beibringung des angeforderten Gutachtens erledigt habe, eine prozessuale Erledigungserklärung kann hierin jedoch nicht gesehen werden, zumal bereits eine weitere Äußerung gegenüber dem Gericht erst mit Schriftsatz vom 9. März 2021 erfolgte, in welchem aber unzweifelhaft eine Antragsänderung, nicht jedoch die Erledigung des Rechtsstreits erklärt wurde. Dahinstehen kann somit, ob sich der Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. November 2020 im Sinne von Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG erledigt hat.
21
Eine Antragsänderung nach § 91 Abs. 1 VwGO, der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprechend anwendbar ist (VGH Kassel, B.v. 6.4.1987 - 2 TG 912/87 - NVwZ 1988, 88), liegt vor, wenn der Streitgegenstand eines anhängigen Verfahrens durch Erklärung des Antragstellers geändert wird. Die Antragstellerin begehrte zunächst Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 5. Januar 2021 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. November 2020, änderte ihren Antrag mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 9. März 2021 jedoch dahingehend ab, dass nunmehr allein die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Februar 2021 wiederhergestellt werden soll. Antragsgegenstand ist somit ein anderer Antrag, sodass nach dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff (vgl. BVerwG, U.v. 20.4.1977 - VI C 7.74 - BVerwGE 52, 247-255 Rn. 26; U.v. 13.9.1984 - 2 C 22/83 - BVerwGE 70, 110-115 Rn. 16 m.w.N) ein neuer Streitgegenstand und damit eine Antragsänderung im Sinne des § 91 VwGO vorliegt. Diese ist auch zulässig. Zwar hat die Antragsgegnerin ihre Einwilligung ausdrücklich verweigert (§ 91 Abs. 1 Alt. 1 VwGO), das Gericht erachtet die Antragsänderung jedoch für sachdienlich gemäß § 91 Abs. 1 Alt. 2 VwGO. Zu beachten ist, dass dem Gericht hierbei ein richterlicher Beurteilungsspielraum zusteht, bei Vorliegen einer Sachdienlichkeit die Klage- (oder Antrags-)änderung jedoch zwingend anzunehmen ist (W.-R. Schenke, in Kopp/Schenke VwGO, § 91 Rn. 18). Wesentliches Kriterium für die Sachdienlichkeit ist die Prozesswirtschaftlichkeit (BVerwG, B.v. 16.8.1989 - 5 B 87.89 - BeckRS 1989, 31231231). Der geänderte Antrag ist in der Regel sachdienlich, wenn er die endgültige Beilegung des Streits fördert und der Streitstoff im Wesentlichen derselbe bleibt (BVerwG, U.v. 18.8.2005 - 4 C 13/04 - BVerwGE 124, 132-147 Rn. 22). Ein „völlig neuer Streitstoff“, für den das Ergebnis der bisherigen Prozessführung nicht verwertet werden könnte, scheidet mithin aus (BVerwG, B.v. 16.8.1989 - 5 B 87.89 - BeckRS 1989, 31231231). Nach diesen Grundsätzen erachtet die Kammer eine Sachdienlichkeit für gegeben. Zwar wurde mit dem Bescheid vom 17. Februar 2021 ein neuer Streitgegenstand eingeführt, dieser ist jedoch überwiegend mit dem ursprünglich angefochtenen Bescheid vom 16. November 2020 vergleichbar. Die Klage- bzw. Antragsänderung dient daher dazu, den bereits rechtshängigen Streit um die Anordnungen zur Haltung des Hundes „…“, nun in Form des Bescheides vom 17. Februar 2021, zu klären. Die Ausführungen zum vorgegangenen Lebenssachverhalt, einschließlich dem bisherigen behördlichen Verfahren, sind insoweit als „Streitstoff“ auch vollumfänglich verwertbar, da sich der neue Bescheid ebenfalls überwiegend auf den Vorfall vom 4. November 2020 stützt. Eine Sachdienlichkeit ist damit gegeben, sodass die Klage- bzw. Antragsänderung zwingend als zulässig zu sehen ist. Über den bisherigen Antrag war demnach nicht mehr zu entscheiden, da mit zulässiger Antragsänderung dessen Rechtshängigkeit entfallen ist (Rennert, in Eyermann VwGO, 15. Auflage 2019, § 91 Rn. 35).
22
Der Antrag in seiner geänderten Form ist zulässig, jedoch nur im tenorierten Umfang begründet. Im Übrigen war der Antrag abzulehnen.
23
1. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist dahingehen auszulegen (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO), dass die Antragstellerin begehrt, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Ziffern 1.1 bis 1.5 wiederherzustellen und gegen Ziffer 3 des Bescheids vom 17. Februar 2021 anzuordnen. Einer Einbeziehung auch der Kostenentscheidung (Ziffern 4. und 5. des Bescheids) in den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz steht bereits § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO entgegen; ein Ausnahmefall des § 80 Abs. 6 Satz 2 VwGO ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
24
Soweit der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 9. März 2021 gegen die von der Antragsgegnerin in den Ziffern 1.1 bis 1.5 des streitgegenständlichen Bescheids angeordneten Verfügungen gerichtet ist, ist er gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthaft und auch sonst zulässig. Der Klage gegen die Anordnungen kommt in den Ziffern 1.1 bis 1.5 aufgrund § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO keine aufschiebende Wirkung zu, da die sofortige Vollziehung in Ziffer 2 des Bescheides angeordnet wurde. Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Ziffer 3 des Bescheids folgt die Statthaftigkeit aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit Art. 21a VwZVG, da einer Klage gegen eine Zwangsgeldandrohung nach dem Gesetz keine aufschiebende Wirkung zukommt.
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2. Der Antrag ist jedoch nur im tenorierten Umfang begründet.
26
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet worden ist, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen den zugrundeliegenden Bescheid ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO anordnen. Das Gericht prüft dabei im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zunächst, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Das Gericht trifft sodann eine eigene Ermessensentscheidung. Bei der im Rahmen dieser Entscheidung gebotenen umfassenden Interessenabwägung kommt vor allem den Erfolgsaussichten des Verfahrens in der Hauptsache besondere Bedeutung zu, wobei aber auch die gesetzgeberische Entscheidung für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs mit zu berücksichtigen ist. Erweist sich das Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit als erfolgreich, überwiegt regelmäßig das Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung; umgekehrt kommt dem öffentlichen Interesse am Vollzug in der Regel der Vorrang zu, wenn die Klage mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird. Erscheinen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache hingegen als offen, ist eine reine Interessenabwägung erforderlich. Das Interesse der Antragstellerin, mit dem Vollzug des ihn belastenden Verwaltungsaktes vor dessen Bestandskraft nicht überzogen zu werden, ist abzuwägen mit dem besonderen öffentlichen Interesse der Allgemeinheit, den angefochtenen Verwaltungsakt - im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG ausnahmsweise - schnellstmöglich zu vollziehen. Maßstab für diese Abwägung ist ein Vergleich der Verhältnisse einerseits für den angenommenen Fall, dass die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt bzw. angeordnet wird, der Verwaltungsakt im Hauptsacheverfahren jedoch bestätigt wird, mit andererseits der angenommenen Konstellation, dass der Sofortvollzug bestehen bleibt, der Verwaltungsakt im Hauptsacheverfahren jedoch aufgehoben wird.
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Die Antragsgegnerin hat vor dem Hintergrund, dass an den Inhalt der schriftlichen Begründung des Sofortvollzugs keine zu hohen Anforderungen zu stellen sind (Hoppe, in Eyermann VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 43), das besondere Interesse an der Anordnung des sofortigen Vollzugs in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids ausreichend gemäß § 80 Abs. 3 VwGO schriftlich begründet. Die Begründungspflicht soll u.a. der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehbarkeitsanordnung bewusst machen und sie veranlassen, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein vorrangiges öffentliches Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung fordert (BayVGH, B.v. 24.3.1999 - 10 CS 99.27 - juris Rn. 18). Die Begründung der Antragsgegnerin erfüllt diese Voraussetzungen. Die Antragsgegnerin hat sich damit auseinandergesetzt, dass für eine sofortige Vollziehung gewichtige öffentliche Interessen, wie der Schutz der Rechtsgüter von Leib, Leben, Gesundheit und Unversehrtheit von Menschen, sprechen, da ohne sofortige Durchsetzung der angeordneten Maßnahmen die nicht hinnehmbare Gefahr bestehe, dass der Hund weitere Menschen attackiere oder beiße. Das Suspensivinteresse der Antragstellerin müsse daher gegenüber dem öffentlichen Interesse am Schutz der körperlichen Unversehrtheit von Menschen zurücktreten. Dies genügt der Begründungspflicht des § 80 Abs. 3 VwGO.
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Bei der im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt sich, dass die gegen den streitgegenständlichen Bescheid erhobene Anfechtungsklage nur teilweise erfolgreich sein wird, da nur der in Ziffer 1.2 und 1.5 des angefochtenen Bescheides angeordnete Leinenzwang auch im Außenbereich sowie die dazugehörende Zwangsgeldandrohung rechtswidrig ergangen sind und die Antragstellerin somit in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies hat zur Folge, dass das private Interesse der Antragstellerin am Suspensiveffekt ihres Rechtsbehelfs das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der angeordneten Maßnahme insoweit überwiegt. Im Übrigen überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse.
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Im vorliegenden Fall sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine sicherheitsrechtliche Anordnung nach Art. 18 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 LStVG nach gebotener summarischer Prüfung grundsätzlich gegeben. Danach können die Gemeinden zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit, Eigentum oder die öffentliche Reinheit Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Für Anordnungen gemäß Art. 18 Abs. 2 LStVG ist es dabei nicht zwingend erforderlich, dass ein Hund bereits durch Beißen von Menschen oder Tieren oder durch sonst aggressives Verhalten auffällig geworden ist. Die Gefahrenabwehr setzt also nicht voraus, dass bereits ein schädigendes Ereignis stattgefunden hat. Eine hinreichende konkrete Gefahr in diesem Sinne liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor, wenn in einem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit einem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann (BVerwG, U.v. 18.12.2002 - 6 CN 1/02 - juris Rn. 40). Die an das Vorliegen einer Gefahr zu stellenden Anforderungen hängen von der Wertigkeit des bedrohten Rechtsguts ab. Da es sich bei dem zu befürchtenden Schaden um ein zukünftiges Ereignis handelt, hat die Gemeinde eine wertende Prognoseentscheidung über die zu erwartenden Schäden zu treffen (BayVGH, B.v. 18.11.2011 - 10 ZB 11.1837 - juris Rn. 17).
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Dabei sind an die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Schadens umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer der zu erwartende Schaden ist. Bei einem hohen Schutzgut kann je nach den Umständen des Einzelfalls auch ein konkreter Gefahrenverdacht für eine sicherheitsrechtliche Anordnung ausreichend sein (BayVGH, U.v. 18.2.2004 - 24 B 03.645 - BayVBl 2004, 535; B.v. 7.4.2004 - 24 CS 04.53 - BayVBl 2004, 727). Erst recht ermöglicht Art. 18 Abs. 2 LStVG eine entsprechende Anordnung der Sicherheitsbehörden dann, wenn es um die Haltung eines Hundes geht, der bereits in einer Weise auffällig geworden ist, der eine Gefahr für die Rechtsgüter Leben, Gesundheit und Eigentum beinhaltete. Vor diesem Hintergrund sind die angegriffenen Anordnungen nach summarischer Prüfung größtenteils zu Recht ergangen.
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a) Der in Ziffer 1.1 angeordnete Leinenzwang im Innenbereich ist rechtmäßig. Die Kammer ist nach summarischer Prüfung der Auffassung, dass von dem Hund „…“ eine konkrete Gefahr für die in Art. 18 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 LStVG genannten Rechtsgüter ausgeht. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs geht von großen Hunden wie dem Hund der Antragstellerin, wenn sie auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei umherlaufen, selbst dann eine konkrete Gefahr für Leib und Leben Dritter aus, wenn es in der Vergangenheit noch nicht zu konkreten Beißvorfällen gekommen ist. (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, U.v. 6.4.2016 - 10 B 14.1054 - juris Rn. 19 m.w.N.). Erst recht gilt dies, wenn es - aus welchen Gründen auch immer (z.B. Reflex, Fehlreaktion anderer Personen) - schon zu einem Beißvorfall gekommen ist. Vorliegend kam es am 4. November 2020 zu einem Beißvorfall, der auch unstreitig zu Verletzungen bei Menschen geführt hat. Auf die Ausmaße eines drohenden Beißvorfalles kommt es dabei auch nicht an, vielmehr stellen auch geringfügige Angriffe auf Menschen eine Gefahr für Leben oder Gesundheit dar, ohne dass es einer Art Erheblichkeitsschwelle bedarf. Eine entsprechende Prognose der Antragsgegnerin dahingehend, dass es wieder zu Beißvorfällen kommen kann und somit eine konkrete Gefahr für die in Art. 18 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 LStVG genannten Rechtsgüter vorliegt, ist demzufolge nicht zu beanstanden. Dies wird auch nicht dadurch widerlegt, dass der Hund „…“ vor dem Jahr 2020 bislang nicht auffällig geworden ist. Zwar wird dies von der Antragstellerseite mit dem einmaligen „Ausbruch“ des Hundes und der damit einhergehenden Stresssituation für das Tier begründet, nach Auffassung der Kammer ist bei gebotener summarischer Prüfung aber nicht mit Sicherheit auszuschließen, dass es in Zukunft nicht doch zu weiteren Beißvorfällen kommen kann. So schildert der Vertreter des Veterinäramts Herr Dr. …, dass der Hund „…“ bei dem Ortstermin vom 16. November 2020 versucht habe, ihn schon bei geringfügiger Provokation in den Schuh zu beißen. Dies bestätigt auch das vorgelegte Gutachten, in dem der Hund „…“ zumindest als normal aggressiv, nicht aber als „nicht aggressiv und nicht gefährlich“, eingestuft wurde. Laut Gutachten bedeutet dies, dass der Hund bei Angriffsattacken gegen den Führer bzw. eigenes Territorium sich selbst wehrhaft verteidigt, aber sofort ablässt, wenn der Angriff beendet ist oder das Ablassen befehligt wird. Somit schließt auch der Sachverständige eine von dem Hund „…“ ausgehende konkrete Gefahr nicht aus, was sich letztlich auch in den unter Ziffer 14.1 bis 14.3 aufgeführten Empfehlungen für das weitere Halten und Führen des Hundes zeigt, da hiernach unter anderem auch eine Leinenpflicht empfohlen wird. Da somit eine konkrete Gefahr anzunehmen ist, ist ein nach Art. 18 Abs. 2 LStVG angeordneter Leinenzwang im Innenbereich nicht zu beanstanden.
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Die Antragsgegnerin hat auch das in Art. 18 Abs. 2 LStVG normierte Ermessen, das nach § 114 VwGO nur auf das Vorliegen möglicher Ermessensfehler hin zu überprüfen ist, fehlerfrei ausgeübt. Weder das Entschließungsermessen noch das Auswahlermessen hat die Antragsgegnerin fehlerhaft ausgeübt. Zunächst ist festzuhalten, dass die Antragsgegnerin Ermessenserwägungen angestellt hat, sodass Anhaltspunkte für einen Ermessensausfall nicht bestehen. In Bezug auf das Entschließungsermessen ist aufgrund der vorstehend dargestellten, durch den Hund „…“ ausgehenden, konkreten Gefahr von einem intendierten Ermessen auszugehen (vgl. Bengl/Berner/Emmerig LStVG, Art. 18 Rn. 61b). Die Ausübung des Auswahlermessens durch die Antragsgegnerin ist auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach Art. 8 LStVG nicht zu beanstanden. Es besteht kein Zweifel daran, dass diese teilweise Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Hundes im Sinne einer effektiven Gefahrenabwehr geboten ist. Rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass die Antragsgegnerin eine Leinenlänge von maximal 1,5 Metern angeordnet hat. Die Anordnung einer bestimmten Länge der Leine ist schon aus Gründen der Einhaltung des Bestimmtheitsgrundsatzes erforderlich. Im Übrigen wird die Antragstellerin nur bei Verwendung einer vergleichsweise kurzen Leine in die Lage versetzt, bei Gefahrsituationen unverzüglich auf den Hund einwirken zu können.
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b) Anders ist dies für den in Ziffer 1.2 des Bescheids angeordneten Leinenzwang im Außenbereich zu sehen, da es nach gebotener summarischer Prüfung an der dafür erforderlichen konkreten Gefahr durch den Hund „…“ fehlt. Zu beachten ist nämlich, dass auch von im Einzelfall auffälligen Hunden außerhalb von bewohnten Gebieten nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs eine entsprechende konkrete Gefahr - selbst in einer vom Tourismus geprägten Region - nicht ohne weiteres angenommen werden kann, weil es dort nicht zwangsläufig zu den die konkrete Gefahrenlage begründenden Kontakten mit anderen Menschen oder Hunden kommt (BayVGH, U.v. 6.4.2016 - 10 B 14.1054 - juris Rn. 20 m.w.N.; B.v. 3.5.2017 - 10 CS 17.405 - juris Rn. 10). Die bloße entfernte oder abstrakte Möglichkeit, dass der Hund der Antragstellerin (auch) außerhalb bewohnter Gebiete auf Menschen oder andere Hunde treffen und dieser angreifen und von seiner Halterin in solchen Situationen nicht oder nicht rechtzeitig zurückgehalten werden könnte, reicht für das Erfordernis einer konkreten Gefahr nicht aus (vgl. BayVGH, B.v. 17.10.2018 - 10 CS 18.1717 - juris Rn. 14 m.w.N.). Zur Vermeidung von Gefahren ist es daher regelmäßig zulässig, aber auch ausreichend, innerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile einen Leinenzwang für den jeweiligen Hund anzuordnen. Für eine relevante Ausnahme trägt die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall auch bislang nichts Durchgreifendes vor. Vielmehr wird die Ziffer 1.2 des Bescheides lediglich damit begründet, dass die Leinenpflicht auch in unübersichtlichem Gelände erforderlich sei, da in diesen Bereichen eine Begegnung mit Passanten nicht rechtzeitig erkannt und der Hund anderenfalls nicht wirksam vor Angriffen zurückgehalten werden könne. Dies genügt nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aber gerade nicht, um auch im Außenbereich eine konkrete Gefahr zu begründen. Weitere Anhaltspunkte für eine etwaige starke Frequentierung des Außenbereichs fehlen. Auch im vorgelegten Gutachten wird eingeräumt, dass die Rückkehrbereitschaft des Hundes „…“ im Freilauf zur Vermeidung von Sicherheitsstörungen nicht geprüft wurde, da der Hund außerhalb des Halteranwesens nur angeleint geführt werde (Punkt 7.4. des Gutachtens). Ferner ist im Außenbereich erfahrungsgemäß eine generelle Fluchtmöglichkeit für den Hund „…“ gegeben, sodass die in Ziffer 6.7.2 des Gutachtens festgestellte Meideaggression bei fehlender Fluchtmöglichkeit grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Insofern erweist sich der Bescheid mangels Vorliegen einer konkreten Gefahr auch im Außenbereich nach summarischer Prüfung als rechtswidrig. Diesbezüglich überwiegt somit das Suspensivinteresse der Antragstellerin das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin, sodass die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ziffer 1.2 des Bescheides wiederherzustellen ist.
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Ob die Formulierung der Ziffer 1.2 des streitgegenständlichen Bescheids, wonach der Hund „…“ im Außenbereich nur „in unübersichtlichem Gelände“ mit einer Leine zu führen ist, eine Verletzung des Bestimmtheitsgrundsatzes gemäß Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG darstellt, bedarf somit keiner Entscheidung.
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c) Bezüglich des in Ziffer 1.3 angeordneten Maulkorbzwangs erweist sich die Verfügung nach summarischer Prüfung wiederum als rechtmäßig. Eine Maulkorbpflicht durch Einzelfallanordnung nach Art. 18 Abs. 2 LStVG ist von der Befugnisnorm grundsätzlich gedeckt. Auch eine Kombination von Leinen- und Maulkorbzwang verstößt nicht von vornherein gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BayVGH, B.v. 5.2.2014 - 10 ZB 13.1645 - juris Rn. 4 m.w.N.).
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Ein Maulkorbzwang kann dabei zusätzlich zum Leinenzwang angeordnet werden, wenn die Anleinpflicht zur effektiven Gefahrenabwehr nicht ausreicht, weil zu erwarten ist, dass der Hund auch angeleint zubeißen oder sich von der Leine losreißen würde (BayVGH, B.v. 17.4.2013 - 10 ZB 12.2706 - juris Rn.5; B.v. 4.2.2019 - 10 ZB 17.802 - juris). Dies ist insbesondere dann zu befürchten, wenn der Hund bereits in der Vergangenheit, obwohl er angeleint geführt wurde, andere Hunde oder Personen verletzt hat (BayVGH, B.v. 20.8.2014 - 10 ZB 14.1184 - juris Rn. 5). Im vorliegenden Fall fand zwar unstreitig am 4. November 2020 ein Beißvorfall statt, dieser geschah jedoch im Zusammenhang mit einem Entkommen des Hundes „…“ vom Grundstück der Antragstellerin, sodass hieraus noch keine entsprechenden Schlüsse gezogen werden können. Dennoch ist die von der Antragsgegnerin aufgestellte Prognose zumindest nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. So hat nach Angaben des Herrn Dr. … der Hund „…“ bei dem Ortstermin vom 16. November 2020 trotz vorherigem Anleinen versucht, ihn in den Schuh zu beißen. Dies bestätigt auch das vorgelegte Gutachten, in dem unter Ziffer 6.7.2. festgestellt wird, dass der Hund „…“ innerhalb seiner Sicherheitszone bei fehlender Fluchtmöglichkeit mit bellender Meideaggression (Angstbeißerei) reagierte. Dies stellt zwar eine besondere Situation dar, aber gerade im Innenbereich ist bei beengtem Raum nicht stets gesichert, dass dem Hund „…“ eine Ausweich- oder Fluchtmöglichkeit zur Verfügung steht, sodass die Befürchtung eines Beißangriffs trotz Leine zumindest nach summarischer Prüfung hinreichend gerechtfertigt ist. Die Verhältnismäßigkeit einer zusätzlichen Anordnung eines Maulkorbs ist daher nicht zu beanstanden, zumal der Maulkorbzwang auf den Innenbereich beschränkt ist, sodass im Außenbereich, in dem erfahrungsgemäß hinreichende Fluchtmöglichkeiten für den Hund „…“ bestehen, ein Freilauf möglich ist.
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Auch hinsichtlich der Ermessensausübung durch die Antragsgegnerin bestehen keine ernsthaften Zweifel. Hinsichtlich des Entschließungsermessens sieht die Antragsgegnerin den Grund für die Notwendigkeit der Anordnung eines Maulkorbzwanges sowohl in dem Beißvorfall vom 4. November 2020, der unzweifelhaft im Innenbereich stattfand, als auch in den von Veterinäramt und Gutachter geschilderten Versuchen des Hundes, bei fehlender Fluchtmöglichkeit zuzubeißen. Dies hält jedenfalls der eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung des Ermessens gemäß § 114 Satz 1 VwGO stand.
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d) Die Antragsgegnerin hat nach gebotener summarischer Prüfung in Ziffer 1.4 des Bescheids auch ermessensfehlerfrei angeordnet, dass der Hund der Antragstellerin nur von einer geeigneten Person geführt werden darf. Eine derartige Maßnahme in Bezug auf die Eignung des Hundehalters oder des Hundeführers begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Denn die verfügte Anleinpflicht macht nur dann Sinn, wenn der Hundeführer nach seinen physischen und psychischen Verhältnissen in der Lage ist, über die Leine auf den Hund ausreichend einzuwirken (vgl. Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 18, Rn. 73).
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e) Die in Ziffer 1.5 angeordnete Verpflichtung, für die Einhaltung der in den Ziffern 1.1 bis 1.3 angeordneten Maßnahmen zu sorgen, ist rechtswidrig, soweit sie sich auf die (rechtswidrige) Verpflichtung nach Ziffer 1.2 bezieht. Im Übrigen bestehen keine Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit, da eine Gewährleistung der Einhaltung des Leinen- und Maulkorbzwanges durch die Antragstellerin gegenüber einer Halterbegrenzung das mildere, gleich effektive Mittel im Sinne des Art. 8 LStVG darstellt.
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f) Die in Ziffer 3 verfügte Zwangsgeldandrohung ist zwar grundsätzlich rechtmäßig, im Hinblick auf die (teilweise) Rechtswidrigkeit der Anordnungen zur Anleinpflicht im Außenbereich war jedoch die aufschiebende Wirkung der Klage im tenorierten Umfang anzuordnen. Anhaltspunkte für eine weitere Rechtswidrigkeit der Zwangsgeldandrohung sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Höhe des Zwangsgelds hält sich im Rahmen des Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG und ist angemessen.
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Dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO war nach alldem im tenorierten Umfang stattzugeben; im Übrigen war er abzulehnen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. den Ziffern 1.5 und 35.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.