Inhalt

VG München, Urteil v. 24.08.2021 – M 27 K 18.33706
Titel:

Erfolglose Asylklage einer nigerianischen Staatsangehörigen 

Normenketten:
AsylG § 3, § 3e, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Leitsatz:
In Nigeria ist es angesichts des fehlenden funktionierenden Meldesystems und einer Bevölkerungsanzahl von ca. 200 Millionen Einwohnern möglich, internen Schutz vor einer drohenden Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure zu finden. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unbegründeter Antrag auf internationalen Schutz, Unglaubhaftes Vorbringen, Interner Schutz, Vorliegen von Abschiebungsverboten (verneint), Herkunftsland: Nigeria, Asyl, Nigeria, Menschenhändler, interner Schutz, Existenzminimum
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 01.04.2022 – 13a B 22.30121
Fundstelle:
BeckRS 2021, 51663

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin, eine nach eigenen Angaben am … … 1995 geborene nigerianische Staatsangehörige vom Volk der Bini und katholischchristlichen Glaubens, reiste am 5. Juni 2018 mit einer totalgefälschten italienischen Identitätskarte nach Deutschland ein und stellte am 25. Juni 2018 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag.
2
In Deutschland halten sich zudem die beiden am … … 2018 und am … … 2020 in Deutschland geborenen Töchter der Klägerin auf, deren Asylanträge mit Bescheiden des Bundesamts vom 24. Juni 2019 und vom 23. Februar 2021 abgelehnt wurden. Über die hiergegen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München erhobenen Klagen (M 13 K 19.32427 und M 12 K 21.30552) wurde noch nicht entschieden.
3
Im Rahmen des persönlichen Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats und der persönlichen Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 25. Juni 2018 erklärte die Klägerin, bereits in Italien einen Asylantrag gestellt zu haben. Sie wolle aber neue Gründe und Beweismittel geltend machen. Hierzu erklärte die Klägerin am selben Tag schriftlich, von den Leuten, die sie nach Italien gebracht hätten, bedroht zu werden. Diese Leute hätten sie in Italien behalten wollen und sie zur Prostitution gezwungen. Sie habe sich aber immer erfolgreich gewehrt.
4
Am selben Tag wurde die Klägerin zur Zulässigkeit des Asylantrags angehört. Hierbei erklärte sie, in Italien am 5. Oktober 2016 angekommen zu und mit einem nigerianischen Staatsangehörigen, den sie in Italien kennengelernt habe, seit dem 20. März 2018 traditionell verheiratet zu sein. Sie sei von der Frau, die sie dorthin gebracht habe, bedroht worden. Die Probleme mit dieser Frau, deren Namen sie nicht kenne, hätten angefangen, als diese von der traditionellen Hochzeit erfahren habe. Deshalb sei sie von Italien nach Deutschland gereist. Ihr Lebensgefährte wolle nachkommen. Sie habe ein Problem mit ihren Augen und könne weder in die Ferne noch in die Nähe gut sehen.
5
Am 26. Juni 2018 wurde die Klägerin durch das Bundesamt persönlich angehört. Im Rahmen dieser Anhörung erklärte die Klägerin, in ihrem Heimatland zuletzt gemeinsam mit ihrer Tante in Benin City gelebt zu haben. Sie habe dort von 2012 bis 2016 gelebt. Zuvor habe sie gemeinsam mit ihren Eltern im Dorf „… Village“ gelebt. Beide seien im Jahr 2012 verstorben. Sie wisse nicht, ob sie in Nigeria außer ihrer Tante noch Verwandte habe, denke aber, es sollte welche geben. Sie sei bis zur neunten Klasse in die Schule gegangen und habe dann bei ihrer Tante das Schneiderhandwerk gelernt.
6
Zu ihrem Verfolgungsschicksal brachte die Klägerin vor, dass die Verwandten ihrer Eltern sie nach deren Unfalltod im Jahr 2012 bezichtigt hätten, sie umgebracht zu haben. Ihre Tante habe sie daher aus dem elterlichen Dorf weggeholt und zu sich genommen. Sie sei von allen als verflucht bezeichnet worden, die Situation sei für sie sehr schmerzhaft gewesen. Daher habe sie sich entschieden, die Schule abzubrechen. Eines Tages habe sie eine junge Frau getroffen, mit welcher sie am 25. April 2016 nach Libyen gegangen sei. Diese Frau sei während der Reise gestorben. Die Klägerin sei in Libyen gezwungen worden, der Prostitution nachzugehen. Auf Frage des Bundesamts, was die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Nigeria befürchte, erklärte sie, das einzige Problem sei diese Frau in Italien.
7
Im Rahmen der Anhörung im Asylverfahren ihrer im Jahr 2018 geborenen Tochter erklärte die Klägerin, dass der Vater ihrer Tochter in Italien sei. Den Aufenthaltsort kenne sie nicht. Ohne die Unterstützung ihrer Mutter, die die Beschneidung der Tochter verlange, könne sie sich in Nigeria außerhalb ihrer Heimatstadt kein Leben aufbauen. Im Rahmen der Anhörung im Asylverfahren ihrer im Jahr 2020 geborenen Tochter erklärte die Klägerin, am … Januar 2016 geheiratet zu haben. Ihre Mutter lebe noch in Nigeria. Diesbezüglich habe sie im Rahmen ihrer eigenen Anhörung eine „Notlüge“ erzählt. Ihren eigenen Vater kenne sie nicht. Ihre Mutter habe erzählt, dass er die Familie verlassen habe. Die in ihrer eigenen Anhörung genannte Tante gebe es nicht. Sie sei in Nigeria Modedesignerin gewesen und habe einen eigenen Laden gehabt. Im Falle einer Rückkehr nach Nigeria habe sie primär Angst vor der Menschenhändlerin namens Ade und befürchte für ihre Tochter außerdem „FGM“. Alle Frauen in ihrer Familie seien beschnitten. Die Menschenhändlerin habe sie zuletzt vor ein paar Wochen telefonisch bedroht.
8
Mit Schreiben vom 29. August 2018 teilte die Fachberatungsstelle JADWIGA dem Bundesamt mit, dass die Klägerin dort seit August 2018 zur Beratung angebunden sei. Am 1. August 2018 habe eine Madame an viele nigerianische Staatsangehörige in I* …, M* … und F* … eine Whatsapp-Nachricht mit einem Foto der Klägerin sowie eine Sprachnachricht mit der Aufforderung verschickt, den Aufenthalt der Klägerin unter einer bestimmten Telefonnummer zu melden. Die Klägerin habe polizeilich Anzeige erstattet und sei massiv eingeschüchtert.
9
Am 11. September 2018 übersandte das Kriminalfachdezernat * München dem Bundesamt im polizeilichen Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels eine Niederschrift der polizeilichen Zeugenvernehmung der Klägerin vom ... September 2018 mit dem Hinweis, dass ihre dort getätigten Angaben von dem Vortrag beim Bundesamt abwichen. Ausweislich dieser polizeilichen Vernehmung hatte die Klägerin erklärt, weder in Italien noch in anderen Ländern der Prostitution nachgegangen zu sein. Es stimme auch nicht, dass sie in Libyen zur Prostitution gezwungen worden sei. Sie habe gelogen und sich eine Geschichte einfallen lassen, um zu erklären, warum sie nach Deutschland gekommen sei. Die Reisedaten und die Reiseroute würden aber stimmen. Sie gab gegenüber der Polizei an, dass sie in Nigeria eine Madame namens A** kennengelernt habe, die sie nach Italien gebracht habe. Sie sei dort nach der traditionellen Heirat am 20. März 2018 bedroht worden. Die Madame habe sie zur Prostitution zwecks Abbezahlung der Schleusungsschulden zwingen wollen und habe ihr für den Fall der Weigerung mit ihrem und dem Tod ihrer in Nigeria lebenden Mutter gedroht.
10
Mit Bescheid vom 17. September 2018, an die Klägerin mittels Postzustellungsurkunde am 25. September 2018 versandt, lehnte das Bundesamt die Anträge der Klägerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Anerkennung als Asylberechtigte und auf subsidiären Schutz ab (Nr. 1 bis 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4) und forderte die Klägerin auf, das Bundesgebiet innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen; andernfalls würde sie nach Nigeria abgeschoben (Nr. 5). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
11
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am ... Oktober 2018 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München zur Niederschrift Klage erhoben mit dem sinngemäßen Antrag,
12
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 17. September 2018 zu verpflichten, festzustellen, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, des subsidiären Schutzstatus und von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 hinsichtlich Nigeria vorliegen.
13
Am … Oktober 2018 zeigte die Klägerbevollmächtigte die Vertretung der Klägerin an.
14
Die Beklagte legte erstmals am 18. Oktober 2018 Behördenakten vor und beantragte mit Schriftsatz vom 14. August 2020,
15
die Klage abzuweisen.
16
Übermittelt wurde ein Auszug aus dem Bundeszentralregister, aus welchem sich eine Verurteilung der Klägerin durch das Amtsgericht F* … vom … Oktober 2018 wegen unerlaubter Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt und unerlaubtem Aufenthalts ohne Pass in Tatmehrheit mit Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen zu je 10 Euro ergibt.
17
Mit Beschluss vom 22. Juni 2021 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
18
Mit Schriftsatz vom 6. *ugust 2021 begründete die Klägerbevollmächtigte die Klage und führte aus, dass der Bescheid der Beklagten rechtswidrig sei und die Klägerin in ihren Rechten verletze. Die Klägerin habe zwei Töchter und sei alleinerziehend. Sie habe bei mehreren Befragungen sehr unterschiedliche und widersprüchliche Angaben zu ihren Fluchtgründen und dem Fluchtgeschehen gemacht. Die Schilderung beliebig erscheinender Sachverhalte deute nach Aussage der Beraterin der Klägerin bei Jadwiga auf Menschenhandel hin. Dieser lasse sich in Nigeria weitestgehend auf Benin City und dessen Umland eingrenzen. Die Klägerin sei in ihrer vorherigen Unterkunft belästigt worden und interpretiere diese Belästigungen als Auftragstaten. Angesichts der Vorgeschichte der Klägerin bestehe bei einer Rückkehr nach Nigeria für sie die konkrete Gefahr, dass die Helfer und Hintermänner ihrer „Madame“ sie entweder zwangsweise zur Prostitution zuführen, sie verletzen oder sogar töten würden. Bei rückgeführten Opfern von Menschenhändlern handle es sich um eine soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Das Stigma betreffe jede junge Frau aus der genannten geographischen Region, die nicht zu einem erkennbar anderen Zweck nach Europa gegangen sei und von dort aus zurückkehre. Der nigerianische Staat sei nicht in der Lage, diesbezüglich Schutz zu bieten. Eine interne Schutzmöglichkeit bestehe für die Klägerin nicht. Sie sei Mutter von zwei betreuungsbedürftigen Kindern. Im Falle einer Wohnsitznahme bei ihrer Herkunftsfamilie sei sie der Gefahr von Übergriffen durch die Menschenhändler ausgesetzt. Auch wenn es der Klägerin zuzumuten sein sollte, sich getrennt von ihrer Herkunftsfamilie niederzulassen, wäre keine interne Schutzalternative nach § 3e Abs. 1 AsylG gegeben. Die Klägerin könne sich dem Einfluss der Menschenhändler im südlichen Teil des Landes nicht entziehen, da die Menschenhändlerringe weit vernetzt und verzweigt seien. Jedenfalls wäre die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Nigeria nicht zur Existenzssicherung fähig. Durch die Pandemie sei Nigeria 2020 in eine Krise gestürzt, die auch 2021 noch lange nicht überwunden sei. Es bestehe zumindest ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Verwiesen wurde in diesem Zusammenhang auf mehrere erstinstanzliche verwaltungsgerichtliche Entscheidungen.
19
In der mündlichen Verhandlung am 23. August 2021 erklärte die Klägerin unter anderem, mit dem Vater ihrer Kinder nach wie vor in einer Beziehung zu sein. Er lebe in Italien. Sie habe ihn in Italien kennengelernt. Auf der Heiratsurkunde befinde sich ein falsches Datum. Die Eheschließung habe am 30. März 2018 stattgefunden. Auf Vorhalt des Gerichts, dass die Klägerin beim Bundesamt den 20. März 2018 genannt habe, erklärte sie, letzteres Datum sei zutreffend. Die Madame, die ihre Ausreise aus Nigeria organisiert habe, bedrohe sie seit ihrer Ausreise aus Nigeria telefonisch, das letzte Mal vor ein paar Tagen. Hinsichtlich des weiteren Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll vom selben Tag verwiesen.
20
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie die beigezogenen Akten in den Verfahren M 13 K 19.32427 und M 12 K 21.30552 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

21
I. Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und aufgrund der mündlichen Ver handlung entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung anwesend waren. In den Ladungsschreiben war auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO). Das Bundesamt wurde mit Schreiben vom 29. Juni 2021 zur mündlichen Verhandlung geladen. Das Bundesamt hat auf Ladung gegen Zustellnachweis verzichtet.
22
II. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angegriffene Bescheid ist zum nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Ein Anspruch der Klägerin auf die von ihr begehrte Verpflichtung der Beklagten besteht nicht (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
23
Das Gericht folgt insgesamt den Feststellungen und der Begründung in dem streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten. Auf die dortigen Ausführungen wird insbesondere hinsichtlich des rechtlichen Rahmens und des Prüfungsmaßstabs bezüglich der §§ 3 ff., 4 AsylG sowie des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG verwiesen. Von einer nochmaligen Darstellung wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG abgesehen.
24
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich auch aus dem Vorbringen der Klägerin im gerichtlichen Verfahren keine asylerhebliche Verfolgungs- oder Bedrohungslage ergibt, welche zu einem Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach §§ 3 ff. AsylG, auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG führen könnte. Das Gericht ist nach Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung bereits nicht von der Wahrheit des klägerischen Vorbringens überzeugt (nachfolgend 1.). Ungeachtet dessen muss sich die Klägerin darauf verweisen lassen, vor der von ihr behaupteten Verfolgung Schutz innerhalb von Nigeria zu suchen (nachfolgend 2.). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor (nachfolgend 3.). Die der Klägerin in dem streitgegenständlichen Bescheid gesetzte Ausreisefrist sowie die erlassene Abschiebungsandrohung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots begegnen ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken (nachfolgend 4.).
25
1. Auch in Asylstreitigkeiten muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit - und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit - des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Tatsachenvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann. Wenn wegen Fehlens anderer Beweismittel nicht anders möglich, muss die richterliche Überzeugungsbildung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Asylsuchenden glaubt (BVerwG, B.v. 21.7.1989 - 9 B 239.89 - juris Rn. 3). Dabei obliegt es dem Asylbewerber, gegenüber dem Tatsachengericht einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen. Der Asylbewerber muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 - 9 C 141.83 - juris Rn. 11).
26
Diese Anforderungen erfüllt das klägerische Vorbringen in der mündlichen Verhandlung nicht. Der Vortrag der Klägerin war vage und detailarm, wich von ihren im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt getätigten Angaben in wesentlichen Punkten ab und kann der Klägerin daher nicht geglaubt werden. Widersprüchlich sind bereits die Angaben der Klägerin zu ihren familiären Verhältnissen. Während sie beim Bundesamt noch erklärt hat, ihre Eltern seien gestorben und sie habe in Nigeria bei ihrer Tante gelebt, gab sie in der mündlichen Verhandlung an, dass besagte Tante nicht existiere, jedoch die Mutter der Klägerin in Nigeria lebe. Auch das Datum der behaupteten traditionellen Eheschließung der Klägerin ist für das Gericht nicht nachvollziehbar. Die in der mündlichen Verhandlung für die insoweit widersprüchlichen Angaben abgegebene Erklärung, die Urkunde sei diesbezüglich fehlerhaft, ist angesichts der Bestätigung dieses Datums durch die Klägerin im Rahmen ihrer Anhörung zu den Asylgründen ihrer im Jahr 2020 geborenen Tochter nicht glaubhaft. Zudem hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch das weitere im Raum stehende Hochzeitsdatum „20. März 2018“ zunächst nicht bestätigt, sondern den 30. März 2018 als zutreffend genannt. Angesichts dieser massiven Ungereimtheiten entfällt auch der Anknüpfungspunkt für den Beginn der angeblichen Bedrohungen durch die Menschenhändlerin. Unklar ist auch das weitere angebliche Verfolgungsschicksal der Klägerin. So hat sie in ihrer polizeilichen Zeugenvernehmung explizit erklärt, niemals der Prostitution nachgegangen zu sein, diese Aussage in der mündlichen Verhandlung aber wieder revidiert. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich aus den klägerischen Angaben im Rahmen der Anhörungen beim Bundesamt, der polizeilichen Zeugenvernehmung und der mündlichen Verhandlung kein stimmiger Tatsachenvortrag ergibt, der einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 ASylG oder subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG zu begründen vermag. Die hierfür von der Klägerbevollmächtigten abgegebene Erklärung, dass dies gerade auf durchlebten Menschenhandel hindeute, überzeugt das Gericht nicht.
27
2. Ungeachtet dessen wäre die Klägerin zudem auf internen Schutz innerhalb Nigerias nach § 3e AsylG (bzw. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG) zu verweisen, da selbst bei Annahme des Vorliegens einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung oder Bedrohung der Klägerin durch die Menschenhändlerin oder durch von dieser beauftragte Personen als sogenannte nichtstaatliche Akteure (vgl. § 3a i.V.m. § 3c Nr. 3 AsylG) für die Klägerin Fluchtalternativen innerhalb Nigerias bestehen. Es ist der Klägerin möglich, in anderen Gegenden Nigerias internen Schutz gemäß § 3e Abs. 1 AsylG zu finden, etwa in den nigerianischen Großstädten wie Lagos oder Port Harcourt. Es wurde weder schlüssig und glaubhaft dargestellt noch wäre es dem Gericht sonst erkennbar, wie die Klägerin dort angesichts des in Nigeria fehlenden funktionierenden Meldesystems (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 5. Dezember 2020, S. 27) und einer Bevölkerungsanzahl Nigerias von insgesamt ca. 200 Millionen Einwohnern (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 5. Dezember 2020, S. 5) aufgefunden werden könnte.
28
Es ist auch davon auszugehen, dass sie dort eine Lebensgrundlage haben wird. In der vorliegenden Konstellation ist im Rahmen der vorzunehmenden Rückkehrprognose (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45.18 - juris Rn. 17) davon auszugehen, dass die Klägerin gemeinsam mit ihren beiden Kindern nach Nigeria zurückkehren wird. Das Gericht geht ferner davon aus, dass es der Klägerin angesichts ihrer neunjährigen Schulbildung und ihrer langjährigen Erfahrung als Schneiderin auch ohne familiäre Unterstützung gelingen wird, das Existenzminimum der Familie zu erwirtschaften. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Bedingungen der Rückführung und der Reintegration abgefedert werden können. Das Verwaltungsgericht verweist in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit von Rückkehr- und Starthilfen. Internationale Akteure wie GIZ und IOM (mit deutscher und EU-Finanzierung) sind mittlerweile bemüht, neue Rückkehrer bzw. Migrationsberatungszentren in Nigeria aufzubauen. Entsprechende Einrichtungen von IOM und der GIZ existieren unter anderem in Abuja und Lagos. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 5. Dezember 2020, S. 26; VG München, U.v. 24.7.2020 - M 27 K 17.39375 - juris Rn. 12).
29
3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 sind vor diesem Hintergrund ebenfalls nicht ersichtlich. Die von der Klägerbevollmächtigten in diesem Zusammenhang in Bezug genommenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen führen angesichts der Tatsache, dass es sich bei der Frage des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG um eine Einzelfallentscheidung handelt, zu keinem anderen Ergebnis. Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG bestehen ebenfalls nicht.
30
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der derzeitigen Covid-19-Pandemie. Das Gericht geht zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht mit einer hinreichend beachtlichen Wahrscheinlichkeit von einer derartigen Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Nigeria angesichts der Covid-19-Pandemie aus, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund von außerordentlichen individuellen Umständen gegeben wäre. Eine durch die Covid-19- Pandemie hervorgerufene Extremgefahr, welche zu einer Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG führen würde, ist für das Gericht ebenfalls nicht erkennbar.
31
4. Auch die der Klägerin vom Bundesamt nach § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG gesetzte Ausreisefrist sowie die nach § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung sind nicht zu beanstanden. Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken.
III. Die nach § 83 b AsylG gerichtskostenfreie Klage war deshalb abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.