Inhalt

FG Nürnberg, Zwischenurteil v. 14.10.2021 – 4 K 1444/18
Titel:

Eintritt von Festsetzungsverjährung zum Erlasszeitpunkt des Erbschaftsteuerbescheides

Normenketten:
ErbStG § 33, § 34
ErbStDV § 7
Leitsatz:
Die unterlassene Anzeige einer Vorschenkung führt nicht nur zur Hinterziehung von Schenkungsteuer, sondern eröffnet ggf. auch die verlängerte zehnjährige Festsetzungsfrist im Hinblick auf die Erbschaftsteuer. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Festsetzungsfrist
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – II R 39/21
Fundstellen:
ErbStB 2022, 232
EFG 2022, 1108
BeckRS 2021, 51526
LSK 2021, 51526

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass bei Ergehen des Erbschaftsteuerbescheides vom 12.01.2015 die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war.
2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1
Streitig ist, ob im Erlasszeitpunkt des Erbschaftsteuerbescheides bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war.
2
Die Erblasserin war zu Lebzeiten Erstbegünstigte der von ihr errichteten Stiftung mit der zugehörigen Kundenverbindung bei der Bank 1, Kundennummer: 1 Sie konnte jederzeit unbeschränkt über sämtliche Vermögenswerte verfügen. Am 22.02.2007 brachte die Erblasserin einen Großteil der Wertpapiere aus der Kundenverbindung der Bank 1 in die mit ihrem Ehemann, dem Kläger, gemeinsam errichtete Lebensversicherung, Versicherungsnummer 2, bei der Versicherung 3 ein. Dieser Vermögensübertrag stellt eine Schenkung in Höhe des hälftigen Vermögens aus der Kundenverbindung zur Bank 1 dar (1.526.920,62 € x ½ = 763.460,31 €).
3
Der Kläger wurde aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom 22.07.1991 Alleinerbe seiner am 25.02.2007 verstorbenen Ehefrau (vgl. Erbschein vom 08.05.2007 des Amtsgerichts Stadt 1 Geschäftszeichen: 4).
4
Mit Schreiben vom 15.03.2007 bat das Finanzamt das Amtsgericht Stadt 1 - Nachlassgericht - gemäß § 34 ErbStG i.V.m. § 110 AO um Amtshilfe.
5
Der Kläger reichte beim Amtsgericht Stadt 1 ein Nachlassverzeichnis vom 18.04.2007 mit einem geschätzten Verkehrswert des Nachlasses von 817.157 € und einem geschätzten Reinnachlass von 541.332 € ein. Hierbei handelte es sich um den Vordruck NS 71a Wertanfrage in Testaments- und Erbscheinsangelegenheiten mit Nachlassverzeichnis (04.04).
6
Das Nachlassverzeichnis enthielt folgende Werte:

1. Nachlassvermögen am Todestag

EUR

1.2

In- und ausländische Guthaben

46.057,-

1.6

Kunstgegenstände, Schmuck, unverarbeitete Edelmetalle (z.B. Barrengold), Sammlungen (z.B. Münzen, Porzellan, Briefmarken, Waffen), Musikinstrumente

- geschätzter Verkaufswert -

8.000,-

1.7

Gebrauchsgegenstände (Beispiele: Kraftfahrzeuge, Fahrräder, Sportgeräte, Computeranlagen, Mobiltelefone, Film-/Videokameras, Werkzeuge, Maschinen), wertvolle Haustiere u. Viehbestand

- geschätzter Verkaufswert -

95.000,-

1.8

Mobiliar/Hausrat sowie wertvolle Kleidung (Beispiele: verwertbare Möbel- und Antiquitäten, Teppiche, sonstige neu- und hochwertige Gegenstände)

- geschätzter Verkaufswert -

20.000,-

1.10

Grundbesitz

Stadt 1

194.000,-

54.000,-

Stadt 2 (Wert laut Angaben: 700.000,-) x 1/2

350.000,-

Ferienwohnung in der Schweiz

50.000,-

Summe der Nachlasswerte

817.157,-

2. Nachlassschulden

2.1.1

Darlehensverbindlichkeiten (lediglich Anteil d. Verstorbenen und nur soweit noch geschuldet, einschl. rückständiger Zinsen)

- Bitte Nachweise beifügen -

257.325,-

2.2.1

2.2.2

Beerdigungskosten Grabsteinkosten (ggf. Schätzung)

18.400,-

Reinerlass

541.332,-

7
Beim beklagten Finanzamt gingen Anzeigen nach § 33 ErbStG wie folgt ein:

28.03.2007

Sparkasse Stadt 1

73.923,- zzgl. Zinsen (davon 67.047,- zzgl. Zinsen auf Gemeinschaftskonten)

514.649,- gemeinschaftliche Darlehen

19.04.2007

Bank 2

4.658,-

8
Das Nachlassgericht Stadt 1 übersandte am 09.07.2007 dem Finanzamt nach § 34 ErbStG i.V.m. § 7 ErbStDV die Kopie des gemeinschaftlichen Testaments der Eheleute, den Erbschein und das vom Kläger unterschriebene Nachlassverzeichnis.
9
Das Finanzamt prüfte und brachte am 09.11.2007 einen Vermerk auf dem Übersendungsschreiben des Amtsgerichts an: Steuerfrei gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG.
10
Auf der Rückseite befindet sich folgende Berechnung:

Grundbesitzwerte

649.000 x 60% = 389.400 ≈

400.000,00 €

Bankguthaben (allein)

11.534,00 €

1/2 Anteil gemeinsame Bankguthaben

33.570,50 €

sonstige Gebrauchsgegenstände

100.000,00 €

545.104,50 €

½ Anteil Darlehen

257.324,50 €

Erbfallkosten laut Nachlassverzeichnis

18.400,00 €

269.380,00 €

§ 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG

307.000,00 €

Ǿ

11
Es forderte den Kläger nicht zur Erklärungsabgabe gemäß § 31 ErbStG auf.
12
Am 30.12.2014 reichte der Kläger die Anzeige nach § 30 ErbStG einer Schenkung seiner verstorbenen Ehefrau an ihn ein, woraus sich ergab, dass diese ihm noch kurz vor ihrem Tod zum 22.02.2007 Wertpapiere i.H.v. 763.460,31 € schenkungsweise überlassen hatte. Durch dieses Schreiben wurde dem Finanzamt auch erstmalig bekannt, dass der Wert des Nachlasses von der Ehefrau insgesamt 1.680.332,89 € vor Abzug der Verbindlichkeiten beträgt. Der Klägervertreter schätzte den Nachlass rein vorsorglich mit einem Sicherheitszuschlag von 30% auf insgesamt 2.184.432,75 €.
13
Das Finanzamt erließ daraufhin am 12.01.2015 einen geschätzten Erbschaftsteuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 AO ausgehend von einem Nachlass von 2.174.132,99 € (2.184.432,99 € abzüglich der Erbfallkostenpauschale von 10.300 €), berücksichtigte Vermögen aus Vorerwerben von 763.460,31 € und setzte die Erbschaftsteuer auf 382.695,00 € fest.
14
Die Werte für das Grundvermögen (Stadt 1, Stadt 2 und Ferienwohnung Schweiz) wurden geschätzt, wobei für die inländischen Grundstücke Feststellungsbescheide angefordert wurden. Das inländische Bankguthaben wurde mit 58.635,20 €, das Bankguthaben bei der Bank 1 mit 392.299,44 € und die Wertpapiere mit 992.498,35 € angesetzt. Diese drei Werte enthalten jeweils einen Sicherheitszuschlag von 30%. Die Darlehensschulden wurden mit 0 € statt mit 257.325 € angesetzt. Die Anrechnung der Vorerwerbe erfolgte mit 68.460,00 €.
15
In den Erläuterungen des Bescheides forderte das Finanzamt den Kläger zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung bis zum 16.02.2015 auf. Ferner führte es aus, die Erbschaftsteuer werde entsprechend des Schreibens vom 30.12.2014 festgesetzt, da sie bereits am 25.02.2007 entstanden sei und die Vorschenkung vom 22.02.2007 nicht ordnungsgemäß angezeigt worden sei. Der Erlass des Schenkungsteuerbescheides vom 12.01.2015 für die am 30.12.2014 bekannt gewordene Vorschenkung vom 22.02.2007 aufgrund der Selbstanzeige stelle ein rückwirkendes Ereignis dar. Der Erbschafsteuerbescheid werde daher nach § 175 Abs. 1 Satz1 Nr. 2 AO i.V.m. § 14 Abs. 1 ErbStG erlassen. Nach § 175 Abs. 1 Satz 2 AO beginne die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Ereignis eintrete (2015).
16
Ebenfalls am 12.01.2015 wurde der Kläger mit gesonderten Schreiben aufgefordert, eine entsprechende Erbschaftsteuererklärung bis zum 16.02.2015 mit Angabe etwaiger Vorschenkungen einzureichen.
17
Gegen den Erbschaftsteuerbescheid vom 12.01.2015 erhob der Kläger Einspruch mit Schreiben vom 28.01.2015. Er führte zur Begründung im Wesentlichen aus, es sei mit Ablauf des Jahres 2014 Festsetzungsverjährung eingetreten. Der Erlass eines Schenkungsteuerbescheides aufgrund einer Vorschenkung stelle für die Erbschaftsteuer kein rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO dar.
18
Am 02.03.2015 erließ das Finanzamt einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Erbschaftsteuerbescheid. Dieser wurde Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens. In diesem Bescheid wurden unverarbeitete Edelmetalle, sonstige bewegliche Gegenstände und Hausrat laut Nachlassverzeichnis zusätzlich angesetzt. Die Vorschenkung wurde mit 759.640,31 € (763.460,31 € abzüglich Steuerberatungskosten von 3.820,00 €) berücksichtigt und es wurden Freibeträge nach § 13 Abs. 1 Nr. 1a und 1b ErbStG gewährt. Die Anrechnung der Vorerwerbe erfolgte nunmehr mit 67.890,00 €.
19
Mit Einspruchsentscheidung vom 25.09.2018 wies das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, § 175 AO finde vorliegend keine Anwendung. Entscheidend sei aber, ob der Erstbescheid innerhalb der Festsetzungsfrist ergangen sei. Nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO betrage die verlängerte Festsetzungsfrist zehn Jahre, soweit Steuern objektiv und subjektiv hinterzogen worden seien.
20
Vorliegend habe der Kläger durch das Verschweigen der Vorschenkungen bezüglich der Schenkungen Steuerhinterziehung begangen. Darüber hinaus habe die verspätete Anzeige direkt und unmittelbar kausal dazu geführt, dass das Finanzamt keine Erbschafsteuererklärung angefordert habe.
21
Zudem habe der Kläger Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO in mittelbarer Täterschaft unter Einschaltung des Nachlassgerichtes begangen. Wenn der Erbe das Bewusstsein habe, dass seine Falschangaben vom Finanzamt mangels anderweitiger Kenntnisse übernommen werden, so stehe die nachfolgende Steuerfestsetzung in einem adäquaten Kausalzusammenhang mit der zu niedrigen Wertangabe. Diesen Erfolg habe der Kläger zweifelslos gewollt und wissentlich durch seine unterlassene Anzeige der Vorschenkung als auch insbesondere durch das falsch ausgefüllte Nachlassverzeichnis herbeigeführt.
22
Der Kläger hat am 19.10.2018 Klage erhoben.
23
Seiner Ansicht nach war bei Erlass des Erbschaftsteuerbescheides vom 12.01.2015 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO setze Angaben des Steuerpflichtigen gegenüber Finanzbehörden voraus.
24
Das Nachlassgericht sei keine „andere Behörde“ i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO (BFH-Urteil vom 30.01.2002 II R 25/99). Im Fall des FG Nürnberg (4 K 1902/15), auf den sich das Finanzamt berufe, habe der Steuerpflichtige Angaben gegenüber einem Steuerberater zum Zweck der Weitergabe an das Finanzamt gemacht, nachdem er bereits zur Abgabe der steuerlichen Erklärung aufgefordert worden sei. Die Annahme einer mittelbaren Täterschaft durch falsche Angaben gegenüber dem Nachlassgericht müsse ausscheiden, weil sonst auch in den Fällen, in denen der Bundesfinanzhof das Nachlassgericht nicht als „andere Behörde“ i. S. d. § 370 AO angesehen habe, Steuerhinterziehung hätte angenommen werden müssen.
25
Unstreitig habe er, der Kläger, durch die unterlassene Anzeige der Vorschenkungen vom 22.02.2007 eine Hinterziehung von Schenkungsteuer gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begangen. Diese schlage allerdings nicht auf die Erbschaftsteuer durch. Zwar möge die mangelnde Kenntnis von den Vorschenkungen zu einer Fehleinschätzung des Finanzamts geführt haben, die direkt und unmittelbar kausal für die unterbliebene Aufforderung zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung gewesen sei. Allein die Kausalität seines Verhaltens für die unterbliebene Aufforderung zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung könne eine Strafbarkeit gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht begründen. Hierfür sei zwingend eine Anzeige- bzw. Erklärungspflicht des Steuerpflichtigen im Hinblick auf den jeweiligen steuerpflichtigen Erwerb erforderlich. Dieser sei im vorliegenden Fall in der Erbschaft des Klägers nach seiner am 25.02.2007 verstorbenen Ehefrau zu sehen. Die Vorschenkungen der Ehefrau seien für diese Erklärungspflicht dabei irrelevant.
26
Selbst bei einer bestehenden Anzeigepflicht nach § 30 ErbStG sei der Steuerpflichtige nur dazu verpflichtet, den Erwerb an sich dem Finanzamt mitzuteilen. Die Angabe des Werts des Erwerbs sei hingegen nur eine Soll-Vorschrift.
27
Da auf die Aufforderung zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung verzichtet worden sei, könne von einer Steuerhinterziehung nicht ausgegangen werden.
28
Die Lebensversicherung bei der Versicherung 3 als Vertrag zugunsten Dritter sei zivilrechtlich nicht als Teil des Nachlasses anzusehen. Insoweit habe keine Pflicht zur Angabe gegenüber dem Nachlassgericht bestanden.
29
Mangels Steuerhinterziehung ergebe sich daher keine verlängerte Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO von 10 Jahren.
30
Die im Erbschaftsteuerbescheid vom 12.01.2015 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 02.03.2015 aufgeführten Nachlassgegenstände seien teilweise noch mit einem Sicherheitszuschlag versehen und Nachlassverbindlichkeiten derzeit mit 0 € angesetzt worden. Sollte das Gericht zu der Einschätzung gelangen, dass Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten sei, behalte er, der Kläger, sich die Berichtigung der Werte dieser Nachlassgegenstände sowie die Geltendmachung von Nachlassverbindlichkeiten vor.
31
Der Kläger beantragt,
den Erbschaftsteuerbescheid auf den 25.02.2007 vom 12.01.2015 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 02.03.2015 und die Einspruchsentscheidung vom 25.09.2018 aufzuheben.
32
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
33
Die Beteiligten regen übereinstimmend an, für den Fall des jeweiligen Unterliegens die Revision zu zulassen.
34
Der Beklagte trägt vor, der Kläger habe die Vorschenkung vom 22.02.2007 nicht gegenüber dem Finanzamt angezeigt. Bei der Schenkung habe es sich um ausländische Wertpapiere gehandelt, deren Erwerb weder von einem inländischen Gericht noch von einem Notar oder einem Kreditinstitut nach § 30 Abs. 3 ErbStG gemeldet worden sei oder gemeldet habe werden müssen. Hier sei der Kläger in seiner Person aus § 30 ErbStG verpflichtet gewesen, diese Schenkung innerhalb von drei Monaten direkt dem Finanzamt anzuzeigen. Diese Anzeige sei aber erst über sieben Jahre später nach dem Tod der Ehefrau des Klägers im Dezember 2014 erfolgt.
35
Zwar handele es sich bei der Erbschaft- und der Schenkungsteuer um unterschiedliche Steuerarten mit eigenständigen Entstehungszeitpunkten und Verjährungsfristen. Allerdings sei die verspätete Anzeige der Schenkung direkt und unmittelbar kausal dafür gewesen, dass zunächst keine Erbschaftsteuererklärung angefordert und die Erbschaftsteuer viel zu spät festgesetzt worden sei.
36
Der Bearbeiter habe aufgrund des zunächst bekannt gewordenen Reinnachlasses i. H. v. 541.332 € ohne Kenntnis der besagten Vorschenkung angenommen, dass die zur Verfügung stehenden Freibeträge nicht überstiegen würden und somit keine Steuer festzusetzen sei. Wäre dem Finanzamt die Vorschenkung bereits damals bekannt gewesen, wäre der Kläger nicht nur hypothetisch, sondern mit Sicherheit rechtzeitig zur Erklärungsabgabe aufgefordert und die Erbschaftsteuer nicht verspätet festgesetzt worden.
37
Das subjektive Bewusstsein eines steuerlichen Fehlverhaltens in diesem Zusammenhang sei von Seiten des Klägers zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt worden und habe auch eindeutig vorgelegen. Der Kläger habe die Zuwendung in seiner Selbstanzeige vom 30.12.2014 als Schenkung deklariert und in seinem späteren Schreiben vom 28.06.2018 in diesem Zusammenhang von Hinterziehung gesprochen.
38
Der Umstand, dass die Vorschenkung dem Finanzamt - nicht dem Nachlassgericht - gegenüber zunächst verschwiegen worden sei, erfülle somit auch im Hinblick auf die Erbschaftsteuer den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO.
39
Zum anderen habe der Kläger eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO in mittelbarer Täterschaft unter Einschaltung des Nachlassgerichts begangen, indem er wissentlich falsche und unvollständige Angaben im Nachlassverzeichnis gemacht habe. Die Frage, ob dabei das Nachlassgericht eine „andere Behörde“ im Sinne der zitierten Vorschrift darstelle, sei vorliegend nicht entscheidungserheblich. Diese Frage stelle sich nur bei unmittelbarer Täterschaft. Im Streitfall habe der Kläger jedoch als mittelbarer Täter unter Einschaltung des Nachlassgerichts als Bote unvollständige und falsche Angaben dem Finanzamt gegenüber abgegeben. Bote im Fall der Konstellation der mittelbaren Täterschaft könne dabei auch eine Behörde sein, die keine steuerlich erheblichen Entscheidungen treffe, also auch das Nachlassgericht. Es genüge im strafrechtlichen Sinn, wenn der Täter die Steuerhinterziehung durch das Nachlassgericht als „gutgläubiges Werkzeug“ begehe.
40
Der Kläger habe den Wert der Immobilien im Nachlassverzeichnis mit gerade einmal 454.000 € beziffert, während er in seinem Schreiben aus 2014 dann von hälftig 570.000 € ausgegangen sei. Die Angaben zu den Versicherungen und Wertpapieren in der Schweiz habe er im Nachlassverzeichnis vollständig verschwiegen, obwohl ihm diese zum Teil erst drei Tage vor dem Tod seiner Ehefrau am 22.02.2007 anteilig übertragen worden seien. Er habe daher deren enorme Höhe gekannt und gewusst, dass seine falschen bzw. unvollständigen Angaben im Nachlassverzeichnis so dem Finanzamt übermittelt würden.
41
Die Festsetzungsfrist betrage daher nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn Jahre und habe rechnerisch mit Ablauf des Jahres 2017 geendet. Da der Kläger innerhalb dieser Frist am 12.01.2015 förmlich zur Erklärungsabgabe aufgefordert worden sei und diese bisher nicht vorliege, verlängere sich die Verjährungsfrist noch weiter auf den Ablauf des Jahres 2020 (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Sowohl die angefochtene Erstfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung als auch die Änderung nach § 164 Abs. 2 AO seinen im Jahr 2015 und somit weit innerhalb der Verjährungsfrist ergangen.
42
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, den Inhalt der Akten sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 17.06.2021 verwiesen.

Entscheidungsgründe

43
I. Es wird durch Zwischenurteil festgestellt, dass bei Ergehen des Erbschaftsteuerbescheides vom 12.01.2015 die Feststellungsfrist noch nicht abgelaufen war.
44
Nach § 99 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht über eine entscheidungserhebliche Sach- oder Rechtsfrage durch Zwischenurteil vorab entscheiden, wenn dies sachdienlich ist und nicht der Kläger oder der Beklagte widersprechen. Durch Zwischenurteil nach § 99 Abs. 2 FGO darf nur über solche Vorfragen entschieden werden, über die mit Sicherheit auch in einem Endurteil zu entscheiden wäre. Entscheidungserheblich sind danach nur solche Vorfragen, ohne deren Beantwortung ein Urteil über die geltend gemachte Rechtsbeeinträchtigung nicht möglich ist.
45
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Frage des Verjährungseintritts ist für den ganzen Rechtsstreit entscheidungserheblich. Über die tatsächlichen Voraussetzungen zur Beantwortung dieser Rechtsfrage kann der Senat bereits jetzt durch ein Zwischenurteil abschließend entscheiden. Die Beteiligten haben nicht widersprochen und der Senat hält ein Zwischenurteil für sachdienlich angesichts der streitigen und noch aufklärungsbedürftigen Höhe der einzelnen Vermögenswerte und Nachlassverbindlichkeiten.
46
II. Der angefochtene Bescheid über Erbschaftsteuer konnte am 12.01.2015 noch ergehen, denn im Zeitpunkt der erstmaligen Festsetzung der Erbschaftsteuer war die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen.
47
Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO sind eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist.
48
1. Der Beginn der Festsetzungsfrist richtet sich nach § 170 AO.
49
a) Die Festsetzungsfrist beginnt vorliegend nach § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Jahres 2007, mithin am 31.12.2007. Nach § 170 Abs. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG entsteht die Steuer bei Erwerben von Todes wegen mit dem Tode des Erblassers, im Streitfall also am 25.02.2007.
50
b) Die Prüfung der Vorschrift des § 170 Abs. 2 AO ergibt keinen anderen Zeitpunkt. Ist eine Steuererklärung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten, beginnt die Festsetzungsfrist abweichend hiervon erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung oder die Anzeige eingereicht wurde, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Die Anlaufhemmung dient dem Sicherungszweck, eine Verkürzung der Bearbeitungszeit des Finanzamts - ggf. gezielt - durch Verzögerung beispielsweise einer Anzeige zu vermeiden (BFH-Urteil vom 27.08.2008 II R 36/06, BStBl II 2009, 232).
51
aa) Das Finanzamt hat den Kläger nicht zur Abgabe einer Erklärung nach § 31 ErbStG aufgefordert.
52
bb) Auch eine Anzeige ist nicht zu erstatten.
53
Nach § 30 Abs. 1 ErbStG ist jeder der Erbschaftsteuer unterliegende Erwerb vom Erwerber binnen einer Frist von drei Monaten nach erlangter Kenntnis von dem Anfall dem für die Verwaltung der Erbschaftsteuer zuständigen Finanzamt schriftlich anzuzeigen. Der Soll-Inhalt der Anzeige ergibt sich aus § 30 Abs. 4 ErbStG.
54
Im Streitfall entfiel die bestehende Anzeigepflicht gemäß § 30 Abs. 1 ErbStG des Klägers nach § 30 Abs. 3 Satz 1 ErbStG i. d. bis zum 31.12.2008 gültigen Fassung bzw. durch Anzeigen Dritter.
55
Einer Anzeige bedarf es nach § 30 Abs. 3 S. 1 ErbStG i.d.F. bis 31.12.2008 nicht, wenn der Erwerb auf einer von einem deutschen Gericht oder einem deutschen Notar eröffneten Verfügung von Todes wegen beruht und sich aus der Verfügung das Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser unzweifelhaft ergibt.
56
Im Streitfall beruhte der Erwerb des Klägers auf einer von einem deutschen Gericht am 27.03.2007 eröffneten Verfügung von Todes wegen. Aus dem Gemeinschaftlichen Testament ergibt sich das Verhältnis des Erwerbers (Kläger)/ Alleinerben zur Erblasserin (hier: Ehefrau).
57
Dies wurde dem Finanzamt auch vom Nachlassgericht mit Schreiben vom 09.07.2007 angezeigt.
58
Mithin bedurfte es keiner weiteren Anzeige und der Beginn der Festsetzungsverjährung verbleibt beim 31.12.2007.
59
c) Selbst bei Verzicht auf die Anforderung einer Erbschaftsteuererklärung gemäß § 31 Abs. 1 ErbStG aufgrund einer unrichtigen Anzeige gegenüber der Erbschaftsteuerstelle, würde die Verjährungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres beginnen, in dem der Sachbearbeiter entschieden hat, keine Erbschaftsteuererklärung anzufordern.
60
Im Streitfall erfolgte die Entscheidung des Finanzamtes am 09.11.2007.
61
Die Festsetzungsfrist beginnt somit am 31.12.2007.
62
2. Im Zeitpunkt des Erlasses des Erbschaftsteuerbescheids vom 12.01.2015 war die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen; sie beträgt im Streitfall 10 Jahre und endete erst mit Ablauf des 31.12.2017.
63
a) Die Festsetzungsfrist beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre und nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen, und fünf Jahre, soweit sie leichtfertig verkürzt worden ist. Dies gilt auch dann, wenn die Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung nicht durch den Steuerschuldner oder eine Person begangen worden ist, deren er sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten bedient, es sei denn, der Steuerschuldner weist nach, dass er durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat und dass sie auch nicht darauf beruht, dass er die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen unterlassen hat (§ 169 Abs. 2 Satz 3 AO).
64
b) Die Festsetzungsfrist beträgt 10 Jahre, da eine Steuerhinterziehung durch den Kläger vorliegt.
65
aa) Nach § 370 Abs. 1 AO begeht eine Steuerhinterziehung, wer (1) den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder (2) die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Steuern sind nach § 370 Abs. 4 Satz 1 AO namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht.
66
Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen von Normen des materiellen Strafrechts - wie des § 370 AO - bei der Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften von den Finanzbehörden und den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit festzustellen, sind verfahrensrechtlich die Vorschriften der AO und der FGO maßgebend und nicht die Strafprozessordnung (BFH-Urteil vom 15.01.2013 VIII R 22/10, BStBl II 2013, 526). Bezüglich des Vorliegens einer Steuerhinterziehung ist allerdings kein höherer Grad von Gewissheit erforderlich als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die das Finanzamt die Feststellungslast trägt (BFH-Urteil 07.11.2006 VIII R 81/04, BStBl II 2007, 364).
67
Diese Grundsätze gelten auch für die Beurteilung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 370 AO im Rahmen der Bestimmung der Festsetzungsfrist.
68
bb) Im Streitfall sind sowohl der objektiv als auch der subjektive Tatbestand der Verkürzung von Erbschaftsteuer erfüllt.
69
i Zwar hat der Kläger selbst hinsichtlich der Erbschaftsteuer weder gegenüber der Finanzbehörde selbst noch gegenüber einer entsprechend anderen Behörde unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO). Denn der Kläger hat gegenüber dem Finanzamt weder eine Anzeige noch eine Erklärung abgegeben.
70
Der Kläger hat zwar gegenüber dem Nachlassgericht Werte erklärt; hierbei handelt es sich jedoch nicht um steuerliche Tatsachen.
71
Tatsachen i.S.d. § 370 Abs. 1 AO sind konkrete Geschehnisse oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind. Hiervon abzugrenzen sind Werturteile, d.h. Äußerungen, bei denen Tatsachen einer Wertung unterzogen werden, wie z.B. Schlussfolgerungen, Schätzungen, rechtliche Beurteilungen usw. Werturteile sind nicht dem Beweis zugänglich und keine Tatsachen. Auch Rechtsauffassungen sind keine Tatsachen. Steuerlich erheblich sind alle Tatsachen, die für die Besteuerung von Bedeutung sind, also steuerlichen Zwecken dienen, insbesondere die Ermittlung, Erhebung oder Beitreibung einer Steuer betreffen.
72
Die Ermittlungen des Geschäftswerts durch das Nachlassgericht dient ausschließlich der Festsetzung von Gerichtsgebühren, nicht aber der Feststellung des Nachlasswerts im steuerlichen Interesse (BFH-Urteil vom 30.01.2002 II R 52/99, BFH/NV 2002, 917). Der entsprechende Vordruck und die Ausfüllhilfe sprechen von einer Wertanfrage in Testaments- und Erbscheinsangelegenheiten. Mithin sind die vorsätzlich falschen Angaben gegenüber dem Nachlassgericht keine (falschen) steuerlichen Tatsachen.
73
Zudem ist das Nachlassgericht keine andere Behörde i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Hierzu zählen nur solche Behörden, die steuerlich erhebliche Entscheidungen treffen. Die Ermittlungen des Geschäftswerts durch das Nachlassgericht dient ausschließlich der Festsetzung von Gerichtsgebühren, nicht aber der Feststellung des Nachlasswerts im steuerlichen Interesse (BFH-Urteil vom 30.01.2002 II R 52/99, BFH/NV 2002, 917).
74
ii Der Kläger hat auch nicht in mittelbarer Täterschaft - unter Verwendung des Nachlassgerichts als undoloses Werkzeug - gegenüber der Finanzbehörde falsche Angaben hinsichtlich der Erbschaftsteuer gemacht.
75
Nach § 25 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) wird als Täter bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht. Bei mittelbarer Täterschaft begeht der Täter die Tat „durch einen anderen“. Der Hintermann beherrscht die die Tathandlung ausführende Person und setzt sie als Werkzeug ein. Das Gesamtgeschehen stellt sich als Werk des steuernden Willens des Hintermanns dar, nicht als das Werk des in eigener Person Handelnden.
76
Zwar hat das Nachlassgericht am 09.07.2007 entsprechend seiner Mitteilungspflicht dem Finanzamt nach § 34 ErbStG i.V.m. § 7 ErbStDV die Kopie des gemeinschaftlichen Testaments der Eheleute, den Erbschein und das vom Kläger unterschriebene Nachlassverzeichnis übersandt. Es hat allerdings hierbei keine steuerlichen Pflichten des Klägers erfüllt.
77
Auch aus dem Urteil des FG Nürnberg vom 16.06.2016 (4 K 1902/15, juris) ergibt sich nichts anders, denn es ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Dort wurde die Klägerin (Beschenkte) vom Finanzamt zur Abgabe einer Erklärung aufgefordert und der Ehemann der Klägerin (Schenker) hat mittels der Steuerberaterin unvollständige Angaben über die Zuwendungsgegenstände gegenüber dem Finanzamt gemacht. Das Machen unvollständiger Angaben setzt zwar nicht voraus, dass die unvollständigen Angaben im Rahmen einer Steuererklärung im Sinn des § 149 AO gemacht worden sind. Der Tatbestand der Steuerhinterziehung i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO wird auch erfüllt, wenn die unvollständigen Angaben außerhalb einer förmlichen Steuererklärung, etwa im Vorfeld einer Steuererklärung gemacht wurden, aber dennoch Auswirkungen auf die Festsetzung von Steuer haben. Dies ist wie bereits oben ausgeführt vorliegend nicht der Fall, da keine Steuererklärung nach § 31 ErbStG angefordert wurde.
78
iii Der Kläger hat auch keine Erbschaftsteuer durch Unterlassen der entsprechenden Anzeige gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO hinterzogen.
79
Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen kann nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen verpflichtet ist (BGH-Beschluss vom 23.03.2017 1 StR 451/16, juris).
80
Die Anzeige nach § 30 ErbStG bezieht sich auf den der Erbschaftsteuer unterliegenden Erwerb i.S.d. § 1 ErbStG. § 1 ErbStG beschreibt ganz allgemein die steuerpflichtigen Vorgänge. Damit bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass nicht der einzelne Vermögensgegenstand, sondern nur die Tatsache des Erwerbes als solches Gegenstand der Anzeigepflicht ist. Dies ergibt sich auch aus der folgenden Vorschrift des § 31 ErbStG, der die Möglichkeit des Finanzamtes regelt, von den Beteiligten eine Erbschaftsteuererklärung zu verlangen. Die Anzeige soll die Steuerverwaltung lediglich erst in die Lage versetzen, beurteilen zu können, ob und wen sie zur Abgabe einer Steuererklärung auffordern (BFH-Urteil vom 27.08.2008 II R 36/06, BStBl II 2009, 232 und FG Nürnberg Urteil vom 03.09.2015 4 K 317/14, juris). Diese Erbschaftsteuererklärung muss gemäß § 31 Abs. 2 ErbStG ein Verzeichnis der zum Nachlass gehörenden Vermögensgegenstände enthalten.
81
Die Anzeige dient der Sicherung des Erbschaftsteueraufkommens und soll dem Finanzamt ermöglichen festzustellen, ob ein Besteuerungsverfahren eingeleitet werden soll und der Steuerpflichtige zu einer Erklärung aufgefordert werden soll. Aus dieser Zwecksetzung ergibt sich, dass die Anzeigepflicht des Erwerbers immer dann entfällt, wenn die zuständige Dienststelle des organisatorisch zuständigen Finanzamtes bereits auf andere Weise von dem Erwerb Kenntnis erlangt hat. Da u.a. die deutschen Gerichte zur Anzeige an das Erbschaftsteuer-Finanzamt gemäß § 34 ErbStG verpflichtet sind, bedarf es keiner Verpflichtung des Erwerbers. Dies gilt aber nur, soweit die Informationen, die das Gericht oder der Notar erhalten, das Finanzamt ausreichend in die Lage versetzen, beurteilen zu können, ob in ein erbschaftsteuerrechtliches Verfahren einzutreten ist. Hierzu reicht regelmäßig die namentliche Bezeichnung des Erblassers und des Erwerbers sowie die Mitteilung des Rechtsgrundes für den Erwerb aus (BFH-Urteil vom 05.02.2003 II R 22/01, BStBl II 2003, 502). Soweit § 30 Abs. 3 ErbStG den Wegfall der Anzeigepflicht davon abhängig macht, dass sich aus der amtlich eröffneten Verfügung von Todes wegen „das Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser“ ergibt, sind damit die Rechtsverhältnisse zwischen dem Erwerber und dem Erblasser gemeint, die den Erbschaftsteuertatbestand ausgelöst haben (BFH-Beschluss vom 09.06.1999 II B 101/98, BStBl II 1999, 529 und BFH-Urteil vom 16.10.1996 II R 43/96, BStBl II 1997, 73). Es bedarf also nicht aller Angaben, die gemäß § 30 Abs. 4 ErbStG eine Anzeige enthalten soll. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass in der Anzeige die genauen Steuerwerte enthalten sind. Lassen sich aus der Anzeige die Angaben entnehmen, die das Finanzamt zu einer weiteren Prüfung benötigt, so ist der Erwerber von seiner Anzeigepflicht vollständig befreit (Jochum in: ErbStG - eKommentar, § 30, Rz. 25). Das Finanzamt hat die weiteren Angaben im Wege einer Steuererklärung zu erfragen (BFH-Urteil vom 30.01.2002 II R 52/99, BFH/NV 2002, 917).
82
Vorliegend hat das Nachlassgericht mit Schreiben vom 09.07.2007 gegenüber dem beklagten Finanzamt den Erwerb von Todes wegen gemäß § 34 ErbStG angezeigt. Aus den übersandten Unterlagen, insbesondere der am 27.03.2007 eröffneten Verfügung von Todes wegen/dem gemeinschaftlichen Testament ergibt sich das Verhältnis des Erwerbers (Kläger)/Alleinerben zur Erblasserin (hier: Ehefrau). Soweit das beklagte Finanzamt ausführt, dass der Erwerber von seiner Anzeigepflicht nur befreit ist, soweit zum Erwerb kein Grundbesitz, kein Betriebsvermögen, keine Anteile an Kapitalgesellschaften, die der Vermögensverwahrung oder Verwaltung nach § 33 ErbStG unterliegen, und kein Auslandsvermögen gehört, ist dem im Streitjahr nicht zu folgen, denn der durch die Erbschafsteuerform geänderten § 30 Abs. 3 ErbStG gilt erst für Erwerbe, für die die Steuer nach dem 31.12.2008 entstanden ist, vgl. § 37 Abs. 1 ErbStG.
83
Besteht weder eine Anzeigepflicht noch eine Erklärungspflicht und sind auch gegenüber der Finanzbehörde (oder einer anderen Behörde, die steuerlich erhebliche Entscheidungen trifft) über steuerlich erhebliche Tatsachen keine Angaben gemacht worden, kommt auch eine Anzeigepflicht oder Richtigstellungspflicht nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nicht in Betracht (BFH-Urteil vom 30.01.2002 II R 52/99, BFH/NV 2002, 917).
84
iv Allerdings führt die Steuerhinterziehung durch Unterlassen hinsichtlich der unterbliebenen Anzeige gemäß § 30 ErbStG der (Vor-)Schenkungen vom 22.02.2007 - entgegen der Ansicht des Klägervertreters - auch zu einer (zweiten) Hinterziehung der Erbschaftsteuer. Denn die mangelnde Kenntnis von den Vorschenkungen zum Zeitpunkt der Mitteilung durch das Nachlassgericht am 09.07.2007 führte kausal zu einer Fehleinschätzung des Finanzamtes und somit zum einstweiligen Unterbleiben der Festsetzung der Erbschaftsteuer (Taterfolg).
85
Durch eine Tathandlung können auch mehrere Taterfolge erzielt werden (BGH-Urteil vom 10.02.2015 10.02.2015 1 StR 405/14, NJW 2015, 2354).
86
Wer einen (ersten) Erwerb verschwiegen hat, begeht zwei Steuerhinterziehungen, wenn er anlässlich einer weiteren, innerhalb von zehn Jahren erfolgenden Schenkung den Vorerwerb nicht angibt. Denn der Erwerber soll unrichtige bzw. unvollständige Angaben sowohl in Bezug auf den ersten Erwerb (d.h. insoweit erneute Steuerhinterziehung) als auch wegen der Nichtanwendung des § 14 ErbStG in Bezug auf den neuen Erwerb machen (BGH-Urteil vom 10.02.2015 1 StR 405/14, NJW 2015, 2354; a.A. Krumm in: Tipke/Kruse, AO, § 370, Rz. 48). Auch wenn die frühere Schenkungsteuerhinterziehung bereits verjährt ist, kann u.U. noch die Schenkungsteuer festgesetzt werden (§ 170 Abs. 5 Nr. 2 AO). Selbst bei steuerlich bereits verjährtem Vorerwerb löst das Verschweigen des Vorerwerbs eine erneute Steuerhinterziehung aus, deren Verjährung erst mit der Beendigung dieser neuen Tat beginnt.
87
Eine Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begeht, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt. Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (§ 370 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 AO).
88
Über die tatsächlichen Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung hat das Finanzgericht nach Maßgabe des § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO nach freier Überzeugung zu entscheiden. Die Feststellungslast trägt das Finanzamt, da es sich um steuerbegründende Tatsachen handelt.
89
Die unterlassene Anzeige der Vorschenkungen führt zu mehreren Taterfolgen. Zum einen Hinterziehung der Schenkungsteuer und zum anderen auch zur Hinterziehung der Erbschaftsteuer, da diese zunächst nicht festgesetzt wurde.
90
Der Kläger hat die Finanzbehörde auch pflichtwidrig über steuerliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen, denn nach § 30 ErbStG war er verpflichtet die (Vor-)Schenkung anzuzeigen. Er hätte hierzu auch tatsächlich die Möglichkeit gehabt.
91
Das Unterlassen der Anzeige der Vorschenkung ist auch kausal für die Nichtfestsetzung der Erbschaftsteuer. Die Tatsachen (Vorschenkungen) sind auch steuerlich erheblich für die Festsetzung und Höhe der Erbschaftsteuer.
92
Nach der in der Rechtsprechung vorherrschenden Bedingungs- oder Äquivalenztheorie ist jede Handlung kausal, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele (BGH-Urteil vom 23.10.1981 2 StR 263/81, NJW 1982, 295). Jede Handlung, die „condicio sine qua non“ für den konkreten Erfolg ist, ist gleichwertig (äquivalent).
93
Auch wenn an eine Ursache eine Zweithandlung des Täters oder das freiverantwortliche Verhalten eines Dritten anknüpft, das den tatbestandlichen Erfolg herbeiführt, bleibt die Vorbedingung kausal, wenn sie bis zum Erfolgseintritt fortwirkt (BGH-Urteil vom 30.03.1993 5 StR 720/92, NJW 1993, 1723). Von einer Unterbrechung des Kausalverlaufs spricht man vielmehr nur, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung einer früheren Ursachenkette beseitigt und nunmehr alleine unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeiführt (BGH-Urteil vom 14.03.1989 1 StR 25/89, MDR 1989, 752). Die neue bis zum Erfolgseintritt führende Ursachenkette bezeichnet man als überholende Kausalität.
94
Im Falle des Unterlassens liegt Ursächlichkeit vor, wenn die unterlassene Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der tatbestandsmäßige Schadenserfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele (BGH-Urteil vom 06.07.19910 2 StR 549/89, NJW 1990, 2560 und vom 12.01.2010 1 StR 272/09, NJW 2010, 1087). Das Unterlassen einer Anzeige oder Erklärung ist also kausal, wenn der Täter durch die Erfüllung seiner steuerlichen Mitwirkungspflicht dem Sachbearbeiter die erforderlichen Kenntnisse verschafft hätte und daraufhin die Steuer zutreffend festgesetzt worden wäre (Krumm in: Tipke/Kruse, AO § 370, Rz. 123).
95
Hätte der Kläger die Vorschenkung beim Finanzamt angezeigt, hätte es die Vorschenkung in einer entsprechenden Datenbank erfasst und bei der Überprüfung, ob eine Erbschaftsteuererklärung angefordert werden soll, nach Abruf der Daten aus der Datenbank, eine Erbschaftsteuererklärung angefordert, so dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Erbschaftsteuer (rechtzeitig) festgesetzt worden wäre. Mangels angezeigter Vorschenkung kam der Bearbeiter des Finanzamtes am 09.11.2007 zu dem Ergebnis, die Erbschaft sei steuerfrei und forderte daher keine Erbschaftsteuererklärung an. Dass der Bearbeiter es aufgrund der Berechnung unterlassen hat, die Erbschaftsteuererklärung anzufordern, unterbricht den Kausalzusammenhang nicht.
96
Die Tat ist dem Kläger auch objektiv zurechenbar.
97
Objektiv zurechenbar kann ein durch menschliche Handlung verursachter Erfolg danach nur dann sein, wenn die Handlung eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat und sich diese in dem Erfolg niedergeschlagen hat. Ein tatbestandstypischer Risikozusammenhang scheidet dann aus, wenn ein Dritter oder der Täter selbst an das gefährliche Erstverhalten anknüpft, durch diese Zweithandlung aber eine völlig neue Gefahr und damit einen Erfolg schafft, der nicht mehr im Wertungszusammenhang zur Ersatzhandlung steht. Auch für die Unterlassungsdelikte gilt die haftungseinschränkende Formel der objektiven Zurechnung, wonach für einen von ihm verursachten Erfolg nur haftet, wer durch sein Verhalten eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat, die sich in tatbestandstypischer Weise in dem Erfolg niedergeschlagen hat (sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhang, BGH-Urteil vom 06.07.1990 2 StR 549/89, NJW 1990, 2560). Die Pflichtwidrigkeit des Unterlassens des Steuerpflichtigen wird durch das Untätigbleiben der Finanzbehörde nicht aufgehoben. Es ist nach wie vor gerade das pflichtwidrige Verhalten des Steuerpflichtigen, das wertungsmäßig den Erfolg herbeigeführt hat und aufrechterhält (Krumm in: Tipke/Kruse, AO, § 370 Rz. 122).
98
Vorliegend ist das pflichtwidrige Unterlassen der Anzeige der (Vor-)
99
Schenkung durch den Kläger das Verhalten, das den wertungsmäßigen Erfolg der Nichtfestsetzung der Erbschaftsteuer herbeigeführt hat.
100
Der Kläger hat auch vorsätzlich gehandelt.
101
Bei Steuerhinterziehung muss sich der Vorsatz auf sämtliche äußeren Tatbestandsmerkmale erstrecken, d.h. auf die jeweiligen Tathandlungen des § 370 Abs. 1 Nr. 1 - 3 AO, den Hinterziehungserfolg und den Zurechnungszusammenhang. Der Täter muss den Sinngehalt des Tatbestandsmerkmals und des darunter zu subsumierenden Verhaltens zutreffend erfassen.
102
Bei der Begehungsform des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO muss der Unterlassungstäter Vorsatz haben in Ansehung des Erfolgseintritts und des Kausalverlaufes in seinen wesentlichen Umrissen. Darüber hinaus muss er den Willen zum Untätigbleiben bei Kenntnis der Handlungsmöglichkeit umfassen.
103
Der Vorsatz wird durch Absicht (direkter Vorsatz ersten Grades), wissentliche Tatbestandsverwirklichung (direkter Vorsatz zweiten Grades) oder bedingten Vorsatz verwirklicht. Bedingter Vorsatz liegt vor, wenn der Täter ernsthaft mit der Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung rechnet und den Erfolg billigend in Kauf nimmt. Fahrlässigkeit hingegen ist gegeben, wenn der Täter auf das Ausbleiben des Erfolges vertraut hat.
104
Der Senat ist nach § 96 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz FGO vom Vorliegen eines zumindest bedingten Vorsatzes hinsichtlich der Hinterziehung von Erbschaftsteuer beim Kläger überzeugt.
105
Er hat beim Unterlassen der Anzeige der steuerlich erheblichen Tatsache der (Vor-)Schenkung, ernsthaft mit der Möglichkeit gerechnet, dass das Unterlassen und die Angaben gegenüber dem Nachlassgericht betreffend die Erbschaft, dazu führen, dass das Finanzamt keine Erbschaftsteuererklärung anfordert. Er hat ernsthaft mit der Möglichkeit gerechnet, dass dadurch Steuern verkürzt werden und diesen Erfolg billigend in Kauf genommen. Dies ergibt sich nach Auffassung des Senates insbesondere aus dem zeitlichen Ablauf des Geschehen, d.h. der Schenkung zum 22.02.2007, 3 Tage vor dem Todeszeitpunkt (25.02.2007), der Nichtanzeige der Schenkung innerhalb von 3 Monaten und den am 18.04.2007 gegenüber dem Nachlassgericht gemachten Angaben. Dem Kläger waren die Werte des geschenkten Vermögens und die Werte der Erbschaft bekannt und er wusste, dass bei Zusammenrechnung eine Steuerfreiheit der Erbschaft nicht gegeben ist.
106
Der Kläger hat die Erbschaftsteuer, durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO der Anzeige der Vorschenkung, hinterzogen.
107
Folglich beträgt die Festsetzungsfrist zehn Jahre, endete am 31.12.2017 und war bei Ergehen des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids am 12.01.2015 noch nicht abgelaufen.
108
III. Die Revision ist zuzulassen, da die Rechtssache wegen Steuerhinterziehung der Erbschaftsteuer durch Unterlassen der Anzeige der Vorschenkung grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) hat und daneben auch eine Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
109
IV. Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.