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VG München, Urteil v. 16.09.2021 – M 11 K 19.4908
Titel:

Nutzungsuntersagung bei Aufstockung eines Nebengebäudes im Außenbereich

Normenkette:
BayBO Art. 76 S. 1
Leitsatz:
Ein etwaiger vormals bestehender Bestandsschutz eines Gebäudes ist aufgrund von umfangreichen Bauarbeiten, die es in erheblichem Maße verändert haben und letztlich einer wirtschaftlichen Neuerrichtung gleichkommen, erloschen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beseitigungsanordnung, Aufstockung eines kleineren Nebengebäudes im Außenbereich, Nutzungsuntersagung, Bestandsschutz
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 04.04.2022 – 1 ZB 21.3217
Fundstelle:
BeckRS 2021, 51196

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Kläger wenden sich gegen eine Beseitigungsanordnung betreffend ein Nebengebäude auf dem in ihrem Eigentum stehenden Grundstück Fl.Nr. 1213 der Gemarkung … (Vorhabengrundstück).
2
Im Rahmen einer Baukontrolle am 17. Oktober 2017 wurde u.a. festgestellt, dass die Wände des Nebengebäudes nach vollständiger Entfernung des Dachstuhls aufgemauert und ein neues Pultdach errichtet worden sei. Wegen der Einzelheiten wird auf den Baukontrollbericht und die in den Akten befindlichen Lichtbilder Bezug genommen. In der Folge verfügte das Landratsamt … (im Folgenden: Landratsamt) die Einstellung der Bauarbeiten. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf das Klageverfahren M 11 K 17.5367 Bezug genommen.
3
Die Erteilung einer von den Klägern beantragten nachträglichen Baugenehmigung für die Aufstockung des Nebengebäudes lehnte das Landratsamt mit Bescheid vom 13. August 2019 ab. Diesbezüglich wird wegen der weiteren Einzelheiten auf das Klageverfahren M 11 K 19.4631 Bezug genommen.
4
Nach vorheriger Anhörung gab das Landratsamt den Klägern mit Bescheid vom 17. September 2019 unter Androhung eines Zwangsgeldes i.H.v. 7.500,- EUR auf, das Nebengebäude auf dem Vorhabengrundstück bis zum 17. April 2020 restlos und auf Dauer zu beseitigen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 76 Satz 1 BayBO für den Erlass der Beseitigungsanordnung lägen vor. Das Grundstück liege im Außenbereich. Die bloße Ansammlung von Gebäuden auf den Fl.Nrn. 1216/2, 1234/2, 1237/1, 1236, 1214/1, 1213 und 1280/2 bilde in der Gesamtbetrachtung keinen Bebauungszusammenhang im Sinne von § 34 BauGB, da die Gebäude keiner geordneten städtebaulichen Entwicklung zuzuordnen seien. Es handele sich um eine Splittersiedlung, was das Verwaltungsgericht München im Jahre 2012 in Hinblick auf das Grundstück Fl.Nr. 1216 bereits bestätigt habe. Das Vorhaben erfülle keinen der Privilegierungstatbestände des § 35 Abs. 1 BauGB und sei auch nicht als sonstiges Vorhaben gemäß § 35 Abs. 2 BauGB zulässig, da öffentliche Belange beeinträchtigt würden. Das Vorhaben entspreche nicht dem rechtsverbindlichen Flächennutzungsplan der Gemeinde T* …, ferner sei durch die Bebauung mit Wohn- und Lagernutzung die Verfestigung bzw. Erweiterung einer Splittersiedlung zu befürchten. Für das Nebengebäude liege keine Genehmigung vor, weshalb bauaufsichtliche Maßnahmen eingeleitet worden seien. Das im Rahmen des Anhörungsverfahrens vorgetragene Argument, wonach durch die Aufstockung keine Änderung des Ist-Zustands eintrete, sei daher falsch. Das Nebengebäude sei formell und materiell illegal. Der Erlass der Beseitigungsanordnung stehe im pflichtgemäßen Ermessen der Bauaufsichtsbehörde wobei sich das eingeräumte Ermessen daran zu orientieren habe, inwieweit die öffentlichrechtlichen Vorschriften eingehalten würden und welche erforderlichen Maßnahmen zu treffen seien. Im vorliegenden Falle könnten nur durch die Beseitigung des Nebengebäudes wieder rechtmäßige Zustände hergestellt werden. Die gesetzte Frist zur Beseitigung sei angemessen, ferner entspreche die Anordnung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Nebengebäude stehe im Widerspruch zu den bauplanungsrechtlichen Vorschriften. Eine nachträgliche Genehmigung sei nicht möglich, sodass das öffentliche Interesse an einer geordneten städtebaulichen Entwicklung und an der Bewahrung bauplanungsrechtlicher Grundsätze das private Interesse der Kläger am weiteren Fortbestand des Nebengebäudes überwiege. Die Beseitigung von materiell rechtswidrigen Anlagen liege grundsätzlich im besonderen öffentlichen Interesse, weil nur so ein rechtmäßiger Zustand hergestellt werden könne und andere von einer rechtswidrigen Errichtung von Anlagen abgehalten würden. Persönliche wirtschaftliche Verhältnisse oder persönliche Belange könnten gegenüber der Beseitigung rechtswidriger baulicher Anlagen nicht eingewendet werden, da das Baurecht objektives Recht sei. Adressaten der Beseitigungsanordnung seien die Kläger als Handlungsstörer in Zusammenhang mit den Bauarbeiten am Nebengebäude, zudem seien sie als Eigentümer auch Zustandsstörer. Der Bescheid wurde der Klägerseite am 20. September 2019 zugestellt.
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Gegen diesen Bescheid haben die Kläger am … September 2019 durch ihren Bevollmächtigten Klage erhoben. Sie beantragen,
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Der Bescheid des Landratsamts … vom 17. September 2019, Az. …, wird aufgehoben.
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Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom … April 2020 im Wesentlichen vorgetragen, das Nebengebäude sei in seinem Bestand geschützt, zumindest handele sich um ein teilprivilegiertes Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 d) BauGB. Die Kläger nähmen an, das streitgegenständliche Nebengebäude sei gleichzeitig mit dem Wohngebäude in der Nachkriegszeit bis 1960 errichtet worden, wahrscheinlich sogar noch vor 1936. Nach § 6 Abs. 1 lit. a der Bayerischen Bauordnung von 1901 sei eine Baugenehmigung für das gegenständliche Nebengebäude nicht erforderlich gewesen, da es sich um ein geringfügiges Bauwerk gehandelt habe. Das Vorhaben sei daher nach der Bayerischen Bauordnung von 1901 zulässig gewesen. Dies gelte selbst dann wenn das Gebäude nach 1936 errichtet worden sei und die Verordnung über die Regelung der Bebauung vom 15. Februar 1936 Anwendung finde. Nach § 3 dieser Verordnung sei das Bauen im Außenbereich zwar eingeschränkt, aber weiterhin nicht gänzlich unzulässig gewesen. Dies gelte v.a. für das hier gegenständliche Nebengebäude, auf das § 3 der Verordnung nicht anwendbar erscheine, da allenfalls das genehmigte Hauptgebäude, nicht aber das Nebengebäude geeignet sei, einer geordneten Entwicklung des Gemeindegebiets oder einer ordnungsgemäßen Bebauung zuwiderzulaufen. Eine Rechtswidrigkeit der Beseitigungsanordnung ergebe sich zudem daraus, dass das Landratsamt sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe. Das Landratsamt sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass das streitgegenständliche Nebengebäude im Außenbereich unzulässig sei. Aus dem Umstand, dass das Nebengebäude den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspreche, könne nicht geschlossen werden, dass öffentliche Belange beeinträchtigt würden. Die tatsächliche Entwicklung des Gebiets weiche derart von der von dem Flächennutzungsplan vorgesehenen städtebaulichen Planung ab, dass der Flächennutzungsplan bezogen auf das Grundstück der Kläger funktionslos geworden sei. Auch § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB stehe der Zulässigkeit des Nebengebäudes nicht entgegen, da es seit Jahrzehnten Bestandteil der bestehenden Siedlung sei, sodass es durch das Vorhaben weder zu einer Verfestigung noch zu einer Erweiterung der vorhandenen Bebauung komme. Da auch im Übrigen nicht ersichtlich sei, dass dem Nebengebäude öffentlichrechtliche Belange entgegenstünden, sei das Gebäude nach § 35 Abs. 2 BauGB genehmigungsfähig, weshalb die Beseitigungsanordnung rechtswidrig und aufzuheben sei.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Hierzu wurde mit Schriftsatz vom 15. Mai 2020 insbesondere ausgeführt, dass das Vorhaben aufgrund der vollständigen Entfernung und Neuerrichtung eines um 180° gedrehten Pultdachs samt Neuerrichtung der Außenmauern in beträchtlichem Umfang seine ursprüngliche Identität verloren habe und daher nicht mehr vom Bestandsschutz gedeckt sei. Im Übrigen würden sich die Argumente der Klägerseite hinsichtlich des Errichtungszeitpunkts und der möglichen materiellen Zulässigkeit des Nebengebäudes auf bloße Annahmen stützen, die trotz Fehlens einer Baugenehmigung weder durch Vorlage von Luftbildaufnahmen noch Fotos o.ä. untermauert worden seien. Für das Hauptgebäude sei am 15. Januar 1962 eine Baugenehmigung für einen Anbau genehmigt worden. Das streitgegenständliche Nebengebäude sei in dem damaligen Eingabeplan vom 7. Oktober 1958 nicht dargestellt. Auch auf den Aufnahmen des Bayern Atlas sei nur das Hauptgebäude dargestellt und dies auch erst ab ca. 1960. Dass das Hauptgebäude und das Nebengebäude gleichzeitig in der Nachkriegszeit bis 1960 errichtet worden seien bzw. sogar noch vor 1936 scheine daher eine bloße Behauptung zu sein. Die Tatbestände des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 d) oder Nr. 5 a) BauGB seien vorliegend nicht einschlägig, da es sich bei dem Nebengebäude nicht um ein zulässigerweise errichtetes Gebäude im Sinne dieser Vorschriften handele. Das Vorhaben sei nicht privilegiert und beeinträchtige öffentliche Belange. Der Flächennutzungsplan sei nicht als funktionslos zu betrachten. In Bezug auf die Verfestigung und Erweiterung einer Splittersiedlung wurde auf die Ausführungen des streitgegenständlichen Bescheids Bezug genommen.
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Die Kammer hat am 16. September 2021 Beweis über die örtlichen Verhältnisse durch Einnahme eines Augenscheins erhoben und anschließend die mündliche Verhandlung durchgeführt. Wegen der beim Augenschein getroffenen Feststellungen und des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Augenscheins- und Sitzungsniederschrift verwiesen.
11
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten in diesem Verfahren sowie in den parallelen Klageverfahren M 11 K 17.5367 und M 11 K 19.4631 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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1. Die angefochtene Beseitigungsanordnung ist rechtmäßig und verletzt die Kläger somit nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Nach Art. 76 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von im Widerspruch zu öffentlichrechtlichen Vorschriften errichteten oder geänderten Anlagen anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Diese Voraussetzungen liegen vor.
15
1.1 Das streitgegenständliche Nebengebäude wurde ohne erforderliche Baugenehmigung und damit im Widerspruch zu öffentlichrechtlichen Vorschriften errichtet bzw. geändert. Von Klägerseite konnte insoweit im Laufe des Verfahrens weder der Errichtungszeitpunkt noch die zumindest materielle Zulässigkeit der Anlage während eines maßgeblichen Zeitraums hinreichend substantiiert dargetan werden, sodass für das streitgegenständliche Nebengebäude kein Bestandsschutz besteht. Im Übrigen wäre ein etwaiger vormals bestehender Bestandsschutz des Gebäudes aufgrund der umfangreichen Bauarbeiten, die das kleine Nebengebäude in erheblichem Maße verändert haben und letztlich einer wirtschaftlichen Neuerrichtung gleichkommen (vgl. hierzu die Urteilsgründe im Parallelverfahren M 11 K 17.5367), jedenfalls erloschen. Das Nebengebäude ist zudem nicht genehmigungsfähig, sodass auf andere Weise keine rechtmäßigen Zustände hergestellt werden können. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die Urteilsgründe im Parallelverfahren M 11 K 19.4631 Bezug genommen. Das Nebengebäude ist damit formell und materiell baurechtswidrig.
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1.2 Rechtlich nicht zu beanstanden ist ferner die Ausübung des dem Beklagten durch Art. 76 Satz 1 BayBO eingeräumten Ermessens. Entgegen der Ansicht der Klägerseite hat der Beklagte seine Entscheidung nicht auf fehlerhafte Überlegungen gestützt, indem er davon ausgegangen ist, dass das Vorhaben im Außenbereich öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB beeinträchtigt und insbesondere die Erweiterung und Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lässt. Eine Beeinträchtigung dieser öffentlichen Belange liegt vor (vgl. Urteilsgründe im Verfahren M 11 K 19.4631). Auch im Übrigen ist das vom Landratsamt im streitgegenständlichen Bescheid ausgeübte Ermessen im Rahmen des nach § 114 Satz 1 VwGO im gerichtlichen Verfahren eingeschränkten Prüfungsumfangs nicht zu beanstanden. Die Beseitigungsanordnung ist geeignet, um rechtmäßige Zustände wiederherzustellen und auch verhältnismäßig.
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Da das Nebengebäude unter keinem Gesichtspunkt materiell genehmigungsfähig ist, kommen mildere Mittel wie etwa eine Nutzungsuntersagung nicht in Betracht. Auch eine Rückbauanordnung auf den vor dem Abriss bestehenden Zustand scheidet aus, da ein etwaiger Bestandsschutz des kleinen Nebengebäudes - sofern ein solcher in der Vergangenheit überhaupt bestanden haben sollte (zur fehlenden Darlegung s.o.) - infolge der durchgeführten massiven Umbauarbeiten jedenfalls erloschen ist.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.