Titel:
Erstattung von entgangenen Straßenausbaubeiträgen wegen Gesetzesänderung
Normenkette:
BayKAG Art. 5a Abs. 7 S. 1, Art. 19 Abs. 9 S. 1
Leitsätze:
1. Art. 19 Abs. 9 S. 1 BayKAG, wonach der Freistaat Bayern den Gemeinden auf Antrag diejenigen Beträge erstattet, die ihnen unmittelbar dadurch entgehen, dass sie infolge der Änderungen des Kommunalabgabengesetzes zum 1.1.2018 Beiträge für Straßenausbaubeitragsmaßnahmen nicht mehr erheben können, verleiht den betroffenen Gemeinden dem Grunde und der Höhe nach einen Rechtsanspruch. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anwendung der in Art. 19 Abs. 9 BayKAG normierten Erstattungsregelungen setzt grundsätzlich voraus, dass es sich bei den durchgeführten Baumaßnahmen um solche gehandelt hat, die nach Straßenausbaubeitragsrecht abrechenbar gewesen wären, was nicht der Fall ist, wenn bloße Instandsetzungs- oder Unterhaltungsmaßnahmen vorgenommen wurden oder die Straße noch dem Regime des Erschließungsbeitragsrechts unterfällt, weil sie weder als sog. historische Straße (Art. 5a Abs. Abs. 7 S. 1 BayKAG) angesehen werden kann, noch zu irgendeinem Zeitpunkt nach dem 30.6.1961 bereits erstmalig endgültig hergestellt war. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wird eine nach dem Willen der Gemeinde endgültig hergestellte und ihre Aufgabe in vollem Umfang erfüllende im Außenbereich verlaufende Straße wegen des Inkrafttretens eines sie erfassenden Bebauungsplans oder infolge der Entwicklung des Gebiets zum Innenbereich zu einer Anbaustraße, ist ihr Zustand unter dem Blickwinkel des Vorliegens einer erschließungsbeitragsrechtlichen erstmaligen endgültigen Herstellung erneut zu beurteilen, da eine als Außenbereichsstraße endgültig hergestellte Verkehrsanlage als beitragsfähige Erschließungsanlage durchaus eine unfertige Anbaustraße sein kann, wobei für diese erneute Beurteilung auf die Anforderungen abzustellen ist, von deren Erfüllung die endgültige Herstellung einer beitragsfähigen Anbaustraße in dem Zeitpunkt abhängig ist, in dem die betreffende Verkehrsanlage zur beitragsfähigen Erschließungsanlage wird. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
4. Welchen konkreten technischen Anforderungen Teileinrichtungen genügen müssen, um als endgültig hergestellt zu gelten, ist in einer Erschließungsbeitragssatzung nicht erforderlich. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Straßenausbaubeiträge, Erstattung, Gesetzesänderung, Rechtsanspruch, Erschließungsanlage, historische Straße, endgültige Herstellung, Entwässerungseinrichtung, Teileinrichtungen, Beitragspflicht
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 28.03.2022 – 6 ZB 21.1543
Fundstelle:
BeckRS 2021, 51188
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt vom Beklagten die Erstattung von entgangenen Straßenausbaubeiträgen gemäß Art. 19 Abs. 9 Satz 1 KAG in Höhe von 139.967,00 EUR für die vom 19. Oktober 2015 bis 25. Oktober 2016 im Zusammenhang mit der Umsetzung von Hochwasserschutzmaßnahmen bautechnisch durchgeführte Erneuerung der Erschließungsanlage „A Straße Nord“ (umfassende Sanierung des Straßenkörpers mit Erneuerung der Beleuchtung und der Straßenentwässerung).
2
Der entsprechende Erstattungsantrag des Klägers vom 28. Januar 2019 wurde nach weiterem Schriftverkehr mit Bescheid der Regierung von ... vom 5. Mai 2020 abgelehnt. Zur Begründung ist im Wesentlichen dargelegt, dass es sich bei der Anlage „A Straße Nord“ weder um eine historische Straße handelt, noch um eine Straße, die zu einem späteren Zeitpunkt endgültig hergestellt worden ist. Der Einstufung als historische Straße stehe entgegen, dass nach den auf dem Luftbild aus dem Jahr 1960 erkennbaren tatsächlichen Verhältnissen keine zum Anbau bestimmte Straße vorgelegen habe. Entlang der „A Straße Nord“ sei lediglich im südlichen Bereich einseitig eine Bebauung vorhanden gewesen. Der überwiegende Teil habe sich im bauplanungsrechtlichen Außenbereich befunden. Die vorhandene Bebauung könne nicht als Ortsteil betrachtet werden. Der vom Kläger als bloße „Baulücke“ auf einer Länge von 90 m bezeichnete von Bebauung freie Bereich sei zwischen dem Ende der Wohnsiedlung und einer Kläranlage gelegen, die wegen ihrer besonderen Anforderungen an die Umgebung nur im Außenbereich ausgeführt werden könne. Ob die „A Straße Nord“ in späterer Zeit einen Funktionswandel erfahren habe, insbesondere infolge der dort erfolgten Errichtung von vier Wohnblöcken durch die, könne dahingestellt bleiben, da die Straße erst mit den streitgegenständlichen Baumaßnahmen erstmalig endgültig hergestellt worden sei. Erst mit diesen Arbeiten sei eine den Vorgaben der Erschließungsbeitragssatzung vom 1. Juli 2019 entsprechende Straßenentwässerung hergestellt worden. Die vorhanden gewesene offene Entwässerung in das nördlich angrenzende Bankett habe zu keinem Zeitpunkt den notwendigen Anforderungen an eine Straßenentwässerung genügt. Dass bis zum streitgegenständlichen Ausbau noch keine ordnungsgemäße Straßenentwässerung vorhanden gewesen sei, belege auch die Beschlussvorlage zur Bauausschusssitzung vom 23. April 2015. Dort komme eindeutig zum Ausdruck, dass die A Straße vor allem aufgrund der fehlenden Straßenentwässerung erneuerungsbedürftig gewesen sei. Aus den vorgelegten Unterlagen (Bescheid aus dem Jahr 1962 über die Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag, Beschluss des Bauausschusses vom 9.11.1964) ergebe sich nichts Anderes. Beide Schriftstücke könnten die erstmalige endgültige Herstellung der A Straße nicht belegen. Da mithin der Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 9 Satz 1 KAG nicht eröffnet sei, komme die Erstattung von entgangenen Straßenausbaubeiträgen nicht in Betracht.
3
Am 8. Juni 2020 ließ der Kläger gegen den Ablehnungsbescheid der Regierung von ... Klage erheben mit dem Antrag,
4
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids der Regierung von ... vom 5. Mai 2020 zu verpflichten, die Erstattungsleistung für entgangene Straßenausbaubeiträge nach Art. 19 Abs. 9 KAG in Bezug auf die Baumaßnahme „A Straße Nord - umfassende Erneuerung des Straßenkörpers, der Beleuchtung sowie der Kanalisation“ auf 139.967,00 EUR festzusetzen.
5
Mit Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 27. August 2020 wurde zur Begründung der Klage ausgeführt, dass die als Ortsstraße gewidmete Anlage „A Straße Nord“ bereits im Jahr 1960 erstmalig hergestellt gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt seien insbesondere bereits die Straßendecke, eine offene Straßenentwässerung ins nördlich angrenzende Bankett sowie die Straßenbeleuchtung vorhanden gewesen. Erschließungsfunktion habe die Anlage zwischen 1951 und 1960 erlangt. Bis zum Jahr 1962 seien entlang der Anlage sämtliche südlich anliegenden Grundstücke bebaut worden. Die Straße grenze direkt an den nördlich gelegenen Wildbach „B“ und habe deshalb von Anfang an nur eine einseitige Anbaufunktion nach Süden besessen. Vor diesem Hintergrund seien auch Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag für die Erschließungsanlage „A Straße Nord“ festgesetzt worden (Bescheid vom 9.11.1962). Auch im Beschluss des Marktgemeinderats vom 17. September 1964 sei von einem festgesetzten Erschließungsbeitrag die Rede. Wegen des Ablaufs der üblichen Nutzungsdauer und der Erneuerungsbedürftigkeit der Anlage habe der Marktgemeinderat in seiner Sitzung vom 23. April 2015 beschlossen, die A Straße zwischen Kreisstraße ... und ... im Rahmen der Hochwasserschutzmaßnahme an der B zu erneuern. Im Zusammenhang mit dem Ausbau sei der Kläger von Einnahmen aus der Erhebung von Straßenausbaubeiträgen in Höhe von 280.000,00 EUR ausgegangen. Die Ausschreibung sei im Juni 2015 erfolgt, die Vergabe im August 2015. Die erneuerte und verbesserte Erschließungsanlage sei gemessen am gemeindlichen Bauprogramm am 25. Oktober 2016 endgültig technisch hergestellt worden. Die sachliche Beitragspflicht wäre mit Eingang der letzten Unternehmerrechnung am 5. April 2018 entstanden.
6
Der Kläger habe einen Anspruch auf die Erstattung der infolge der Änderung des Kom munalabgabengesetzes zum 1. Januar 2018 ausgefallenen Straßenausbaubeiträge in Höhe von 139.967,00 EUR. Die Voraussetzungen für die Erstattung entgangener Beiträge nach Art. 19 Abs. 9 Satz 1 KAG lägen hier vor, da die Gemeinde für die durchgeführten Straßenbaumaßnahmen an der Anlage „A Straße Nord“ Straßenausbaubeiträge hätte geltend machen können. Bei der Anlage handele es sich um eine sog. historische Straße, die als vorhandene Erschließungsanlage gemäß Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts entzogen sei. Selbst wenn dies nicht angenommen werden könne, wäre die Anlage nach Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes (BBauG) am 30. Juni 1961 endgültig erstmalig hergestellt worden. Nach ständiger Rechtsprechung liege eine vorhandene sog. historische Straße dann vor, wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 Erschließungsfunktion besessen habe und für diesen Zweck - nach den damaligen rechtlichen Anforderungen - endgültig hergestellt gewesen sei. Die A Straße Nord habe schon zwischen 1951 und 1960 eine Erschließungsfunktion besessen. Erforderlich sei, dass zumindest auf einer Straßenseite bauplanungsrechtlich eine Innenbereichslage vorliege. Dies verlange, dass die maßgeblichen Grundstücke in einem Bebauungszusammenhang lägen, der einem Ortsteil angehöre. Gemessen an diesem Maßstab habe die A Straße Nord innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils gelegen und sei damit dem Innenbereich zuzuordnen gewesen. Bereits vor dem Jahr 1961 habe entlang der Straße im Bereich der B eine gehäufte Bebauung vorgelegen, die nach heutigen Maßstäben zumindest für eine Straßenseite zu einer Innenbereichslage geführt habe. Dies ergebe sich daraus, dass bereits im Jahr 1960 südlich der Erschließungsanlage eine Vielzahl von Wohnhäusern und landwirtschaftlichen Gebäuden errichtet gewesen sei. Auf der gegenüberliegenden nördlichen Straßenseite sei aufgrund der Lage an der B eine Bebauung faktisch ausgeschlossen, so dass die einseitige Bebauung auf der südlichen Straßenseite umso mehr die bauplanungsrechtliche Innenbereichssituation geprägt habe. Zwischen den Wohngebäuden hätten keine bzw. allenfalls kleinere Freiflächen existiert. Die Baulücken entlang der Straße in Richtung Westen seien ersichtlich durch die umgebende Bebauung geprägt gewesen. Die größte Baulücke habe lediglich eine Länge von ca. 90 m aufgewiesen, d.h. sie habe der Ausdehnung von zwei bis drei der benachbarten Baugrundstücke entsprochen. Die Anlage „A Straße Nord“ habe auch seinerzeit allein der Erschließung der Grundstücke südlich der B gedient. Eine darüberhinausgehende ortsverbindende Funktion sei ihr nicht zugekommen. Die Straße sei auch den damaligen Gepflogenheiten entsprechend ausgebaut gewesen. Spätestens seit dem Jahr 1960 seien alle Bestandteile vorhanden gewesen, die für eine endgültige Herstellung notwendig gewesen seien, d.h. Straßendecke, Straßenentwässerung und Straßenbeleuchtung. Da die technischen Anforderungen zur damaligen Zeit vor allem in ländlichen Gemeinden sehr niedrig gewesen seien, könne hier davon ausgegangen werden, dass der streitgegenständliche Abschnitt der A Straße erstmals endgültig hergestellt gewesen sei. Im Übrigen habe die Erschließungsanlage auch unter Geltung der Erschließungsbeitragssatzung des Klägers vom 23. Juni 1961 die dortigen satzungsrechtlichen Vorgaben für eine erstmalige endgültige Herstellung erfüllt. Es habe insbesondere nicht an der erforderlichen funktionsfähigen Straßenentwässerung gefehlt. Die A Straße habe lediglich auf einer Teillänge über eine Kanalisation verfügt. Im restlichen Bereich sei das Niederschlagswasser über eine offene Entwässerung in das nördlich angrenzende Bankett Richtung B versickert worden. Die Erschließungsbeitragssatzung habe keine speziellen Regelungen für die Gestaltung der Straßenentwässerung aufgestellt. So sehe z.B. § 8 Abs. 1 Nr. 2 der Erschließungsbeitragssatzung vom 8. Dezember 1986 nur allgemein vor, dass die öffentlichen Straßen mit einer „Straßenentwässerung“ versehen sein müssten, ohne dass ein bestimmtes Entwässerungssystem vorgeschrieben sei. In einem solchen Ausnahmefall könnten auch unterschiedliche Entwässerungssysteme in einer Straße eingesetzt werden, solange diese Systeme gleichwertig seien und die Entwässerung der Straße vergleichbar effektiv gewährleistet werde. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt, da die A Straße streckenweise über die Bankette in die B bzw. über eine Seitenraumversickerung entwässert worden sei. Beide Systeme gewährleisteten vergleichbar effektiv die Entwässerung der Straße. Eine Entwässerung über den Straßenseitenraum sei nicht regelwidrig. Auch dies sei ein anerkanntes System, das mit den Regeln der Technik und Baukunst übereinstimme. Insoweit könne auf den „Teil: Entwässerung“ der Richtlinien für die Anlage von Straßen (RAS-Ew 1987) und das zeitlich davor gültige Merkblatt für die Entwässerung von Straßen aus dem Jahre 1971 zurückgegriffen werden. In der RASEw 1987 werde unter Ziffer 2.0 aufgeführt „Straßenoberflächen werden durch ihre Neigung entwässert. In der Regel sollte das Niederschlagswasser ungesammelt breitflächig über Seitenstreifen und Böschungen abfließen. Wird eine Längsentwässerung erforderlich, ist das Wasser seitlich in Straßenmulden, -gräben oder -rinnen, die auch zwischen den verschiedenen Verkehrsflächen liegen können, zu sammeln und zur Vorflut weiterzuleiten. Wo es die örtlichen Verhältnisse zulassen, sollte man das Wasser nicht fassen, sondern versickern lassen“. Diesen Vorgaben habe die vorhandene Straßenentwässerung entsprochen. Gerade entlang eines Wildbaches wie hier der B könne eine baukunstgerechte Entwässerung vorliegen, ohne dass Einlaufschächte, Randsteine oder Rinnen gebaut würden. Die Seitenentwässerung erfolge hier ausschließlich im öffentlichen Straßenraum bzw. im öffentlichen Grund. Der Kläger habe ungeachtet dessen durch gesonderte Baumaßnahmen an der Straße - hier die Errichtung der nördlich angrenzenden Bankette - eine gezielte Lenkung und Ableitung des Straßenoberflächenwassers nach Norden vorgenommen. Damit sei die Straße zum damaligen Zeitpunkt endgültig hergestellt gewesen. Die nunmehr durchgeführten Baumaßnahmen stellten folglich eine beitragsfähige Ausbaumaßnahme dar. Die Erwähnung einer fehlenden Straßenentwässerung im Ladungsschreiben zur Bauausschusssitzung vom 23. April 2015 beziehe sich offensichtlich auf die nicht vorhandenen Einlaufgullys, Randsteine oder Rinnen, die die Straßenentwässerung ggf. entsprechend optimiert hätten. Das Fehlen einer funktionierenden, dem damaligen Stand der Technik entsprechenden Straßenentwässerung habe nicht zum Ausdruck gebracht werden sollen. Für die Annahme einer straßenausbaubeitragsfähigen Baumaßnahme spreche im Übrigen auch der vorgelegte Bescheid aus dem Jahr 1962 über die Erhebung einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag sowie die Anlage zum Beschluss des Bauausschusses vom 9. November 1964, in der von einem „festgesetzten Erschließungsbeitrag“ die Rede sei. Daraus ergebe sich, dass die Maßnahme dem Straßenausbaubeitragsrecht zuzurechnen gewesen wäre und die Gemeinde die entgangenen Ausbaubeiträge über Art. 19 Abs. 9 Satz 1 KAG erstattet bekommen müsse.
7
Der Beklagte wandte sich mit Schreiben der Regierung von ... vom 26. Oktober 2020 gegen das Klagebegehren. Für ihn ist beantragt,
9
Die Voraussetzungen für die Erstattung entgangener Beiträge lägen im vorliegenden Fall nicht vor. Der Ausbau der Anlage „A Straße Nord“ stelle keine Straßenausbaumaßnahme dar, sondern falle unter das Erschließungsbeitragsrecht. Vor dem 30. Juni 1961 habe die A Straße Nord keine Erschließungsfunktion besessen. Die Straße sei durch den Außenbereich verlaufen und sei nicht zum Anbau bestimmt gewesen. Dies belege das vorgelegte Luftbild aus dem Jahr 1960. Ausweislich des Luftbildes habe nur die im Norden befindliche Kläranlage an dem Straßenstück von 300 m Gesamtlänge angelegen. Aufgrund der Abgeschiedenheit der gesamten Anlage könne von einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil keine Rede sein. Zudem belege auch der Vorausleistungsbescheid vom 8. November 1962, dass der Kläger davon ausgegangen sei, dass es sich nicht um eine vor dem 30. Juni 1961 fertig gestellte Erschließungsanlage gehandelt habe. Die Anlage sei auch nicht nach 1961 endgültig erstmalig hergestellt worden. Es habe zu keinem Zeitpunkt vor den nunmehr durchgeführten Ausbaumaßnahmen eine den satzungsrechtlichen Bestimmungen und dem Stand der Technik entsprechende Straßenentwässerung vorgelegen. Diese habe in Form einer offenen Entwässerung in das nördlich angrenzende Bankett bestanden, die den Anforderungen nicht genügt habe. Die satzungsrechtlichen Bestimmungen des Klägers zur damaligen Zeit stellten keine Ausnahmen dar, sondern seien die Regel gewesen. Es sei in keiner Satzung notwendig gewesen, präzise Vorgaben für die Ausgestaltung der Straßenentwässerung aufzunehmen. Die A Straße Nord habe keine unterschiedlichen Entwässerungssysteme aufgewiesen, sondern lediglich eine Entwässerung in das nördlich angrenzende Bankett. In der Anlage zum vorgelegten Beschluss des Bauausschusses vom 9. November 1964 sei lediglich von einem festgesetzten Erschließungsbeitrag die Rede. Dieses Schriftstück belege nicht die erstmalige endgültige Herstellung der Erschließungsanlage. Insbesondere beziehe sich der Beschluss (Stundung eines Erschließungsbeitrags) auf das Anwesen A Straße 1, das zur Anlage „A Straße Süd“ hin orientiert sei. In Bezug auf die Ausbaumaßnahmen an der A Straße Süd sei über den Erstattungsantrag des Klägers von der Regierung von ... positiv entschieden worden. Da der Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 9 Satz 1 KAG im vorliegenden Fall nicht erfüllt sei, komme eine Erstattung entgangener Straßenausbaubeiträge nicht in Betracht.
10
Mit Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 25. Januar 2021 wurde hierzu vorgetragen, dass die A Straße Nord bereits vor Inkrafttreten des BBauG am 30. Juni 1961 Erschließungsfunktion besessen habe, da eine gehäufte Bebauung vorhanden gewesen sei, die nach heutigen Maßstäben zumindest für eine Straßenseite zu einer Innenbereichslage geführt habe. Vor allem im südlichen Bereich der A Straße Nord seien zahlreiche Wohnhäuser errichtet worden. Die Anlage sei zum Anbau bestimmt gewesen, da an ihr tatsächlich gebaut worden sei und dort rechtlich auch gebaut werden durfte. Die A Straße Nord habe allen anliegenden Grundstücken eine ausreichende Erschließung vermittelt. Dies gelte selbst dann, wenn nicht alle Grundstücke zur A Straße Nord „orientiert“ gewesen seien. Das vorgelegte Luftbild dränge mit Blick auf die Verhältnisse um 1960 die Annahme auf, dass die A Straße Nord aufgrund ihrer Lage und Breite insbesondere im südlichen Teil den dort vorhandenen Wohngebäuden die erforderliche wegemäßige Erschließung vermittelt habe. Auch die weitere zum fraglichen Zeitpunkt vorhandene Bebauung im nördlichen Bereich - eine Kläranlage sowie ein weiteres Wohngebäude - habe an dem bestehenden Bebauungszusammenhang teilgenommen. Relevant sei vor allem, dass die A Straße Nord allein der Erschließung der Grundstücke südlich der B diene. Eine ortsverbindende Funktion sei ihr nie zugekommen. Die Anbaubestimmung gehe auch nicht dadurch verloren, dass die Anbaustraße teilweise durch unbebautes Gelände im Außenbereich verlaufe. Die Anlage „A Straße Nord“ habe über unterschiedliche Kanalsysteme verfügt. Sie besitze auf einer Teillänge eine Kanalisation und auf der restlichen Strecke werde das Niederschlagswasser über eine offene Entwässerung in das nördlich angrenzende Bankett Richtung B versickert. Dies stehe jedoch nicht der Annahme entgegen, dass die Entwässerung bereits auf voller Länge vorhanden gewesen sei. Für die Annahme einer ordnungsgemäßen Straßenentwässerung sei nicht erforderlich, dass auf der gesamten Länge der Erschließungsanlage Einlaufgullys bzw. Straßeneinläufe und Entwässerungseinrichtungen, wie Randsteine oder Rinnen vorhanden seien, wenn das Versickern des Niederschlagswassers in dem unbefestigten Seitenbereich mit den technischen Regelungen vereinbar bzw. nicht vorschriftswidrig sei und dies mangels besonderer Satzungsregelungen den örtlichen Gepflogenheiten und einem bewussten und gewollten Verhalten der Gemeinde bei der Entwässerung einer Straße entspreche. Gerade entlang eines Gewässers wie der B könne damit eine baukunstgerechte Entwässerung vorliegen, ohne dass Einleitungsbauwerke erforderlich seien. Die Seitenraumentwässerung erfolge ausschließlich im öffentlichen Straßenbereich bzw. im öffentlichen Grund. Der Kläger habe ungeachtet dessen durch gesonderte Baumaßnahmen an der Straße - hier die Errichtung der nördlich angrenzenden Bankette - eine gezielte Lenkung und Ableitung des Straßenoberflächenwassers nach Norden vorgenommen. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf vorstehende Ausführungen zur Entwässerungssituation in der Anlage „A Straße Nord“ habe eine funktionsfähige Straßenentwässerung entsprechend der damals gültigen Satzungsbestimmungen vorgelegen, die auch mit den technischen Regeln vereinbar gewesen sei. Dies zugrunde gelegt sei die nunmehrige Einrichtung einer dem heutigen Stand der Technik und Rechtslage entsprechenden Straßenentwässerung keine erstmalige Herstellung im Sinn des Erschließungsbeitragsrechts, sondern stelle eine grundsätzlich nach Straßenausbaubeitragsrecht abrechenbare Verbesserung dar. Dies ergebe sich auch aus dem bereits vorgelegten Beschluss des Bauausschusses vom 9. November 1964, da darin gerade von einem „festgesetzten“ Erschließungsbeitrag die Rede sei. Zutreffend sei, dass hierdurch nicht zwingend die erstmalig endgültige Herstellung der Erschließungsanlage „A Straße Nord“ belegt werde, jedoch könne im Hinblick auf die zeitliche Nähe zum Inkrafttreten des heutigen Erschließungsbeitragsrechts von einer unvoreingenommenen Beurteilung ausgegangen werden, die die damaligen Ausbaugepflogenheiten für Anbaustraßen und die seinerzeitige Einschätzung hinsichtlich des Herstellungszustands der Straße berücksichtigt habe.
11
Für den Beklagten wurde mit Schreiben der Regierung von ... vom 11. Februar 2021 hierzu Stellung genommen. Die Anlage „A Straße Nord“ habe sich vor dem Stichtag am 30. Juni 1961 im Außenbereich befunden. Die dort damals vorhandene Bebauung habe nicht den Anforderungen an eine Innenbereichslage entsprochen. Es habe keine gehäufte Bebauung vorgelegen. Aus dem Luftbild von 1960 ergebe sich, dass im südlichen Bereich kein Anbau vorhanden gewesen sei und die Straße lediglich zu einer Kläranlage geführt habe. Die im südlichen Bereich gelegenen Wohngebäude seien an der Anlage „A Straße Süd“ situiert. Dort könne die Anlage „A Straße Nord“ nicht kausal für die Bebaubarkeit gewesen sein. Zudem reiche die Entwässerung über ein Bankett nicht für das Vorliegen einer endgültig hergestellten Anbaustraße. Dies werde durch den Bescheid vom 8. November 1962 belegt, da damit indiziert sei, dass auch die klagende Gemeinde nach dem 30. Juni 1961 nicht davon ausgegangen sei, dass es sich um eine bereits fertig hergestellte Erschließungsanlage gehandelt habe. Die Straßenentwässerung habe zu keinem Zeitpunkt den zu stellenden Anforderungen entsprochen. Die A Straße Nord sei vor dem jetzigen Ausbau lediglich mit einer Straßenentwässerung in Form einer offenen Entwässerung in das nördlich angrenzende Bankett ausgestattet gewesen. Der Kläger habe im Rahmen des Erstattungsantrags für die Maßnahme „A Straße Nord“ auch Fotos der Anlage „A Straße Süd“ vorgelegt, für die aber ein separater Erstattungsantrag gestellt worden sei. Die vorgelegten Bilder seien in den Erstattungsanträgen nicht den beiden verschiedenen Anlagen zugerechnet und beschriftet worden. Den Anträgen seien die gleichen Bilder beigefügt gewesen. Die Bilder, auf denen Einlaufgullys zu sehen seien, seien nach Überprüfung der „A Straße Süd“ zuzuordnen gewesen. Das Fehlen einer ordnungsgemäßen Straßenentwässerung ergebe sich auch aus der Beschlussvorlage zur Bauausschusssitzung vom 23. April 2015, in der zum Ausdruck komme, dass die Anlage „A Straße Nord“ vor allem aufgrund der fehlenden Straßenentwässerung erneuerungsbedürftig gewesen sei. Der Beschluss vom 17. September 1964 bezüglich der Stundung eines festgesetzten Erschließungsbeitrags beziehe sich auf das Anwesen A Straße 1, das zur Anlage „A Straße Süd“ hin orientiert sei. Für die Ausbaumaßnahmen an der Erschließungsanlage „A Straße Süd“ sei der getrennt gestellte Erstattungsantrag von der Regierung von ... jedoch positiv verbeschieden worden.
12
Mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 29. März 2021 wurde abschließend vorgetragen, dass es sich bei der streitgegenständlichen Anlage um eine eigenständige Erschließungsanlage handele, derentwegen die anliegenden Grundstücke bebaut werden durften, sodass diese gemäß § 131, § 133 BauGB betragspflichtig gewesen seien. Die Anlage „A Straße Nord“ sei zum Anbau bestimmt gewesen, wobei andere bestehende Erschließungsanlagen hinweggedacht werden müssten. Dies verkenne der Beklagte, wenn er darauf verweise, dass die im südlichen Bereich gelegenen Grundstücke mit Wohngebäuden auch an die Anlage „A Straße Süd“ angrenzten. Die Anlage „A Straße Nord“ habe - wie sich aus den beiliegenden Fotos aus der Zeit vor der Durchführung der streitgegenständlichen Erneuerungsmaßnahmen ergebe - unterschiedliche Entwässerungssysteme besessen. Sie habe in ihrem südlichen Bereich eine Kanalisation aufgewiesen und auf der anderen - nördlich gelegenen - Teillänge über eine offene Entwässerung in das angrenzende Bankett Richtung B verfügt. In dem beigefügten Plan seien die Einlaufbauwerke mit den wasserführenden Anlagenteilen dargestellt. Damit lägen die Voraussetzungen für die Erstattung der entgangenen Straßenausbaubeiträge vor.
13
Am 22. April 2021 fand mündliche Verhandlung statt. Die Sache wurde mit den Beteiligten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ausführlich erörtert. Von den Parteien wurden die in den vorbereiteten Schriftsätzen enthaltenen Klageanträge wiederholt.
14
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorliegenden Gerichtsund Behördenakten sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
15
Die zulässige Klage ist unbegründet.
16
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Verpflichtung des Beklagten, eine Erstattungsleistung in Höhe von 139.967,00 EUR für entgangene Straßenausbaubeiträge wegen der an der Anlage „A Straße Nord“ durchgeführten Ausbaumaßnahmen festzusetzen. Der Ablehnungsbescheid der Regierung von ... vom 5. Mai 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
17
Nach Art. 19 Abs. 9 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes (KAG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. April 1993, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Februar 2021 (GVBl, S. 40), erstattet der Freistaat Bayern den Gemeinden auf Antrag diejenigen Beträge, die ihnen unmittelbar dadurch entgehen, dass sie infolge der Änderungen des Kommunalabgabengesetzes zum 1. Januar 2018 Beiträge für Straßenausbaubeitragsmaßnahmen nicht mehr erheben können. Dabei handelt es sich dem Grunde und der Höhe nach um einen Rechtsanspruch der betroffenen Gemeinden (so auch Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand August 2020, Rn. 2207). Die Erstattung kann gemäß Art. 19 Abs. 9 Satz 2 KAG frühestens ab dem 1. Januar 2019 und nach Abschluss des Jahres beantragt werden, in dem die sachlichen Beitragspflichten nach dem Kommunalabgabengesetz in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung und der gemeindlichen Beitragssatzung entstanden wären. Der Erstattungsanspruch setzt weiter voraus, dass die Gemeinde spätestens bis zum 11. April 2018 eine Satzung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 oder Art. 5b Abs. 1 KAG in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung erlassen hatte (Art. 19 Abs. 9 Satz 3 Nr. 1 KAG), für die demnach beitragsfähige Maßnahme in einem der Rechtsaufsichtsbehörde nach Art. 65 Abs. 2 GO spätestens am 11. April 2018 vorgelegten Haushaltsplan Ausgaben im Vermögenshaushalt, Auszahlungen aus Investitionstätigkeit oder Verpflichtungsermächtigungen veranschlagt hatte (Art. 19 Abs. 9 Satz 3 Nr. 2 KAG), spätestens bis zum 11. April 2018 das Vergabeverfahren für die erste Bauleistung eingeleitet oder mit eigenem Personal mit der technischen Herstellung begonnen hatte (Art. 19 Abs. 9 Satz 3 Nr. 3 KAG) und den Antrag auf Erstattung spätestens am 30. April 2028 gestellt hat (Art. 19 Abs. 9 Satz 3 Nr. 4 KAG), es sei denn, die sachlichen Beitragspflichten sind bzw. wären am 11. April 2018 deshalb nicht entstanden, weil die Gemeinde als Straßenbaubehörde eine hierfür erforderliche straßenrechtliche Widmung nicht innerhalb eines Jahres nach ordnungsgemäßer Herstellung der Straße vorgenommen hat (Art. 19 Abs. 9 Satz 4 KAG). In der Höhe ist der Erstattungsanspruch nach Maßgabe von Art. 19 Abs. 9 Satz 5 KAG auf den Betrag beschränkt, der sich bei Ausführung der Maßnahme gemäß dem am 11. April 2018 bestehenden Bauprogramm ergeben hätte (s. hierzu allgemein Matloch/Wiens, a.a.O., Rn. 2204 ff. m.w.N.). Die Einzelheiten in Bezug auf Antragstellung, Aufteilung der für die Erstattungsleistungen zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel, Auszahlung und Fälligkeit der Erstattungsleistungen nach Maßgabe der im Staatshaushalt bereitgestellten Mittel sowie die Zuständigkeit sind - fußend auf der in Art. 19 Abs. 9 Satz 9 KAG enthaltenen Verordnungsermächtigung - in der am 1. Januar 2019 in Kraft getretenen Straßenausbaubeitrags-Erstattungsverordnung (SABErstV) vom 15. Oktober 2018 (GVBl S. 787) geregelt (s. hierzu Bayerle, KommP BY 2018, 418; Rottenwallner, KStZ 2019, 21/43 ff.).
18
Die Anwendung der in Art. 19 Abs. 9 KAG normierten Erstattungsregelungen setzt aber grundsätzlich voraus, dass es sich bei den durchgeführten Baumaßnahmen um solche gehandelt hat, die nach Straßenausbaubeitragsrecht abrechenbar gewesen wären. Das ist nicht der Fall, wenn bloße Instandsetzungs- oder Unterhaltungsmaßnahmen vorgenommen wurden oder die Straße noch dem Regime des Erschließungsbeitragsrechts unterfällt, weil sie weder als sog. historische Straße (Art. 5a Abs. Abs. 7 Satz 1 KAG) angesehen werden kann, noch zu irgendeinem Zeitpunkt nach dem 30. Juni 1961 bereits erstmalig endgültig hergestellt war.
19
Die im vorliegenden Fall zu beurteilende Erschließungsanlage „A Straße Nord“ stellt keine sog. historische Straße (Art. 5a Abs. 7 KAG) dar, da sie bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 aufgrund ihrer weit überwiegenden Lage im Außenbereich nicht die Funktion einer Anbaustraße erfüllt und ihr Ausbaustand selbst geringen Anforderungen nicht entsprochen hat. Ausweislich des Luftbildes aus dem Jahr 1960 (Bl. 13 u. Bl. 81 des Behördenakts - BA) befand sich an der Anlage nur im südlichen, nunmehr der Anlage „A Straße Süd“ zuzurechnenden Bereich eine gehäufte Bebauung. Im Übrigen diente die Straße im Wesentlichen als Zuwegung zur gemeindlichen Kläranlage, einer außenbereichstypischen baulichen Anlage. Eine Straßenbeleuchtung ist auf dem Luftbild nicht erkennbar. Ob die Straße jemals einen frostsicheren Unterbau besessen hat, erscheint fraglich, da dies in den Feststellungen der Baugrunduntersuchung der ... vom 15. Mai 2015 für den Bereich der Bohrung B-1, die zumindest einen gewissen Bezug zur Anlage „A Straße Nord“ aufweist, verneint wurde (Bl. 22 u. Bl. 48 BA).
20
Die Anlage „A Straße Nord“ war aber auch in dem Zeitraum nach dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes unter der Geltung der jeweiligen gemeindlichen Erschließungsbeitragssatzungen beginnend mit der am 29. Juni 1961 in Kraft getretenen Satzung über die Erhebung des Erschließungsbeitrags im Markt ... vom 23. Juni 1961 (EBS 1961) bis zur Durchführung der streitgegenständlichen, am 25. Oktober 2016 technisch abgeschlossenen Baumaßnahmen zu keinem Zeitpunkt endgültig erstmalig hergestellt, da sie jedenfalls nie mit einer ordnungsgemäßen Straßenentwässerungseinrichtung ausgestattet gewesen war.
21
Die in den gemeindlichen Erschließungsbeitragssatzungen bestimmten Herstellungsmerkmale in Zusammenschau mit dem für die flächenmäßigen Teileinrichtungen erforderlichen (formlosen) Bauprogramm sind zu keinem Zeitpunkt erfüllt gewesen. Wird eine nach dem Willen der Gemeinde endgültig hergestellte und ihre Aufgabe in vollem Umfang erfüllende im Außenbereich verlaufende Straße wegen des Inkrafttretens eines sie erfassenden Bebauungsplans oder infolge der Entwicklung des Gebiets zum Innenbereich zu einer Anbaustraße, ist ihr Zustand unter dem Blickwinkel des Vorliegens einer erschließungsbeitragsrechtlichen erstmaligen endgültigen Herstellung erneut zu beurteilen. Denn eine als Außenbereichs straße endgültig hergestellte Verkehrsanlage kann als beitragsfähige Erschließungsanlage durchaus eine unfertige Anbaustraße sein. Für diese erneute Beurteilung ist abzustellen auf die Anforderungen, von deren Erfüllung die endgültige Herstellung einer beitragsfähigen Anbaustraße in dem Zeitpunkt abhängig ist, in dem die betreffende Verkehrsanlage zur beitragsfähigen Erschließungsanlage wird (Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand August 2020, Rn. 210 m.w.N.), wobei im Rahmen dieser Beurteilung sämtliche Teilanlagen einzeln zu betrachten sind (Driehaus/Raden, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 10. Aufl. 2018, § 11 Rn. 46 ff.). Bei der Prüfung, ob ein Ausbau einer beitragsfähigen Erschließungsanlage den Endpunkt, nämlich die erstmalige endgültige Herstellung im Sinne des § 133 Abs. 2 BauGB erreicht hat, kommt es im Übrigen nicht auf die jeweiligen subjektiven Vorstellungen der Gemeinde oder der Beitragspflichtigen an. Vielmehr ist dies objektiv nach dem maßgeblichen Ortsrecht zu beurteilen (BVerwG, U.v. 2.12.1977 - 4 C 55.75 - BauR 1978, 133).
22
Die Erschließungsbeitragssatzungen des Klägers - beginnend mit der oben bereits genannten Satzung über die Erhebung eines Erschließungsbeitrags im Markt ... vom 23. Juni 1961 - sahen seit dem jeweiligen Inkrafttreten im Rahmen des Regelungsauftrags des damaligen § 132 Nr. 4 BBauG für Anbaustraßen u.a. eine „Straßenentwässerung und Beleuchtung“ vor. § 5 EBS 1961 regelte in Abs. 1 in Bezug auf zum Anbau bestimmte Straßen lediglich, dass eine endgültige Herstellung vorliegt, wenn sie folgende Merkmale aufweisen: „1. eine Pflasterung, eine Asphalt-, Teer-, Beton- oder ähnliche Decke in neuzeitlicher Bauweise“, „2. Straßenentwässerung sowie eine etwa vorgesehene Beleuchtung“ und „3. Anschluß an eine dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straße“. In Abs. 4 ist ergänzend bestimmt, dass die Gemeine die endgültige Herstellung der einzelnen Erschließungsanlage feststellt. Welchen konkreten technischen Anforderungen diese Teileinrichtungen genügen müssen, um als endgültig hergestellt zu gelten, ist in der Satzung nicht näher umschrieben. Eine solche Festlegung in der Erschließungsbeitragssatzung ist im Übrigen auch nicht erforderlich (vgl. Driehaus/Raden, a.a.O., § 11 Rn. 55 ff.).
23
Die Regelung von Herstellungsmerkmalen soll es den Beitragspflichtigen ermöglichen, sich durch einen Vergleich der satzungsmäßig festgelegten Kriterien für die Fertigstellung mit dem tatsächlichen Zustand, in dem sich die gebaute Anlage befindet, einen Eindruck darüber zu verschaffen, ob die Anlage endgültig hergestellt ist oder nicht. Mit dieser auf die Laiensphäre abstellenden Zielrichtung wäre es von vornherein nicht zu vereinbaren, die Merkmale „Beleuchtung“ oder „Straßenentwässerung“ in dem Sinn zu verstehen, dass es um Ausbaustandards unter Beachtung bestimmter technischer Regelwerke ginge. Entscheidend kann nur sein, dass überhaupt funktionsfähige, der Straßenlänge und den örtlichen Verhältnissen angepasste Beleuchtungs- und Entwässerungseinrichtungen vorhanden sind (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.2017 - 6 ZB 17.546 - juris; B.v. 29.6.2016 - 6 ZB 15.2786 - BeckRS 2016, 53241; B.v. 12.6.2014 - 6 CS 14.1977 - juris Rn. 11; B.v. 27.1.2012 - 6 ZB 09.1573 - juris Rn. 7; B.v. 6.3.2006 - 6 ZB 03.2961 - juris Rn. 9; Matloch/Wiens, a.a.O., Rn. 412a).
24
Die jetzige Erschließungsanlage „A Straße Nord“ war in der Zeit nach dem 30. Juni 1961 unter Geltung des bundes- bzw. landesrechtlichen Erschließungsbeitragsrechts nicht erstmalig endgültig hergestellt, da dort bis zur Durchführung der streitgegenständlichen, im Oktober 2016 bautechnisch abgeschlossenen Straßenbaumaßnahmen jedenfalls keine ordnungsgemäße, die rechtlichen Vorgaben der in den jeweils geltenden Erschließungsbeitragssatzungen enthaltenen Merkmalsregelungen für die endgültige Herstellung von Erschließungsanlagen erfüllende Straßenentwässerungseinrichtung vorhanden war.
25
Auf der Grundlage der vorhandenen Fotos und Planunterlagen ist zur Überzeugung des Gerichts erkennbar, dass in dem fraglichen Zeitraum eine technisch hergestellte Straßenentwässerungseinrichtung (etwa mit Straßeneinläufen und Sinkkästen) allenfalls partiell existent war. Es war keine durchgehende beidseitige konstruktive Abgrenzung der Straße zu den anliegenden Grundstücksflächen mittels Randsteinen oder Entwässerungsrinnen vorhanden mit der Folge, dass eine gezielte Oberflächenwasserableitung im Straßenbereich nicht erfolgen konnte. Das bloße Abfließen des Regenwassers in die anliegenden Bankett- bzw. Seitenstreifen aufgrund einer Deckenwölbung der Straße genügt aber auch unter Berücksichtigung der damaligen geringeren Anforderungen zur Erfüllung der satzungsmäßigen Merkmale der erstmaligen Herstellung einer Erschließungsanlage nicht (BayVGH, B.v. 15.11.2018 - 6 ZB 18.1516 - juris Rn. 7; B.v. 12.6.2014 - 6 CS 14.1077 - BeckRS 2014, 52922; B.v. 6.3.2006 - 6 ZB 03.2961 - BeckRS 2009, 37088). Erforderlich waren auch bereits in den 1960er Jahren Entwässerungsleiteinrichtungen, wie Randsteine oder Gerinne (BayVGH, U.v. 5.11.2007 - 6 B 05.2551 - juris; Matloch/Wiens a.a.O.). Die hier bis zum jetzigen Ausbauzustand vorhandene Art der Entwässerung durch das gefällebedingte Abfließen des Oberflächenwassers auf die seitlichen Straßenbankettbereiche bzw. in benachbarte (Privat-)Grundstücke erfüllte die Anforderungen an eine innerorts gelegene Ortsstraße einer Stadt in der Größe des Klägers jedenfalls nicht (s. hierzu auch BVerwG, U.v. 11.7.2007 - 9 C 5.06 - juris Rn. 40; BayVGH, B.v. 6.3.2006 - 6 ZB 03.2961 - BeckRS 2009, 37088).
26
Vorliegend kann auch kein Sonderfall angenommen werden, in dem wegen der topographischen Gegebenheiten nur entsprechend angepasste, d.h. in Bezug auf den Herstellungsumfang herabgesetzte Anforderungen an die technische Ausführung der Straßenentwässerungseinrichtung (durch die Einrichtung von zwei verschiedenen Entwässerungssystemen) zu stellen waren. Zwar ist die räumliche Situation in der A Straße Nord dadurch geprägt, dass deren Nordseite unmittelbar an die B, einen im entsprechenden behördlichen Verzeichnis aufgeführten Wildbach im Sinn von Art. 3 Abs. 1 Satz 3 BayWG, angrenzt und es sich aus der seinerzeitigen Sicht der Gemeinde deswegen angeboten haben dürfte, das Richtung Norden abfließende Oberflächenwasser der Straße direkt in den Randbereich des Gewässergrundstücks abfließen und versickern zu lassen, zumal lediglich auf der Südseite der Straße bei der Planung der Straßenentwässerung zu berücksichtigende Bebauung bzw. Anbaumöglichkeiten vorhanden waren. Diese räumliche Situation unmittelbar an der B rechtfertigt aber nach Auffassung des Gerichts nicht den Verzicht auf die Herstellung jeglicher Straßenentwässerungseinrichtungen auf der Nordseite der A Straße Nord, da das Abfließenlassen eines Teils des Oberflächenwassers in den Randstreifen des Gewässergrundstücks bzw. in den Uferbereich der B keine ordnungsgemäße Straßenentwässerung darstellt unabhängig davon, ob dies Anfang der 1960er Jahre bereits einer - nach den Angaben der Vertreter des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht vorhandenen - wasserrechtlichen Erlaubnis bedurft hat. Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass - wie von Klägerseite ausgeführt - nach Maßgabe der RAS-Ew 1987 bzw. des vorher zur Anwendung gekommenen Merkblatts für die Entwässerung von Straßen aus dem Jahr 1971 in Einzelfällen eine ordnungsgemäße Straßenentwässerung über den Straßenseitenraum ohne Durchführung weiterer baulicher Maßnahmen vorliegen kann (so etwa NdsOVG, U.v. 9.8.2015 - 9 LC 29/15 - juris Rn. 28 ff.; VG Lüneburg, U.v. 18.2.2021 - 3 A 696/17 - juris Rn. 30), setzt dies zumindest voraus, dass diese Art der Straßenentwässerung gezielt geplant und das Ablaufen des Regenwassers in den Seitenstreifen durch eine entsprechende Wölbung bzw. Querneigung der Straße bautechnisch gewährleistet wird (VG Lüneburg a.a.O). Dies ist aber weder durch die Vorlage von die A Straße betreffenden Planungsunterlagen belegt, noch wird dies aus den vorliegenden Fotos zum Straßenzustand vor der Durchführung der Ausbauarbeiten (Bl. 49 BA) ausreichend erkennbar. Im Übrigen hat auch die Straßenentwässerungseinrichtung auf der Südseite der A Straße Nord zu keinem Zeitpunkt die zu stellenden Anforderungen erfüllt. Sie bestand nach den entsprechenden Angaben auf dem Übersichtsluftbild (Bl. 62 der Gerichtsakte) aus vier Einlaufgullys und drei zu diesen Abläufen ausgerichteten Abflussrinnen, wobei die unmittelbar vor dem Anwesen A Straße 6 vorhandenen Ablauf- und Zuleitungseinrichtungen (Fotos Bl. 63 u. Bl. 64 der Gerichtsakte) ohnehin nicht auf dem Straßengrundstück gelegen waren, sondern vor dem dort errichteten Gebäude und damit auf Privatgrund hergestellt worden sind. Zudem waren die offenbar zum Schutz der Gebäude auf den Anwesen A Straße 4 bzw. A Straße 5 (Fotos Bl. 65 bis 68 der Gerichtsakte) sowie des Parkplatzes zwischen den Wohngebäuden A Straße 2b und A Straße 3a (Foto Bl. 69 der Gerichtsakte) vor abfließendem Oberflächenwasser von der Straße errichteten Entwässerungseinrichtungen nur geeignet, einen kleinen Teil der Anlage „A Straße Nord“ zu entwässern. Der weitaus größere Teil der Anlage war aber nicht mit Entwässerungseinrichtungen ausgestattet, d.h. das dort von der Straße in Richtung Süden abfließende Wasser wurde nicht gezielt abgeleitet, sondern versickerte in den anliegenden Seitenstreifen der öffentlichen Straße bzw. der Privatgrundstücke (vgl. z.B. Foto Bl. 65 der Gerichtsakte, Fotos Bl. 49 BA). Damit war bis zum Zeitpunkt der 2015/2016 durchgeführten Ausbaumaßnahmen an der A Straße jedenfalls keine ordnungsgemäße den zu stellenden Anforderungen entsprechende Straßenentwässerungseinrichtung vorhanden. Damit kam es auf die Klärung der weiteren Frage, ob die A Straße den notwendigen frostsicheren Unterbau und eine ausreichende Straßenbeleuchtung aufgewiesen hat, nicht mehr entscheidungserheblich an.
27
Soweit von Klägerseite als Indiz für das Vorliegen einer straßenausbaubeitragsfähigen Maßnahme auf den Bescheid vom 8. November 1962 über die Erhebung einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag für das im Jahr 1961 bebaute Grundstück Fl.Nr. Y (Bl. 86 BA) verwiesen wird, vermag dies nicht zu überzeugen, da dies impliziert, dass die Gemeinde zu diesem Zeitpunkt nicht vom Vorliegen der Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht ausgegangen ist. Entsprechendes ergibt sich auch unmittelbar aus dem Schreiben des Klägers vom 10. Oktober 1962 an das Sozial-Wirtschafts-Werk des Landkreises, in dem im Zusammenhang mit der Erhebung einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag ausgeführt wird, dass „die Straßenbaumaßnahme im derzeitigen Zustand keinesfalls als abgeschlossen angesehen werden kann“ (Bl. 87 BA). Dass die Gemeinde in der Folgezeit aufgrund des Erfüllens der satzungsrechtlichen Voraussetzungen für die erstmalige endgültige Herstellung vom Entstehen der sachlichen Beitragspflicht und der Abrechenbarkeit der Anlage „A Straße“ (Nord) ausgegangen ist, erscheint zweifelhaft, da dem Kläger offenbar weder Abrechnungsunterlagen vorliegen, noch jemals endgültige Erschließungsbeitragsbescheide ergangen sind. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass die Gemeinde die seinerzeit noch gemäß § 5 Abs. 4 EBS 1961 für die erstmalige endgültige Herstellung erforderliche Feststellungsentscheidung getroffen hat. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem vorgelegten Beschluss des Marktgemeinderats vom 17. September 1964 (Bl. 89 BA), mit dem den Eigentümern des Grundstücks Fl.Nr. X (Anwesen A Straße 1) „der vom Markt ... festgesetzte Erschließungsbeitrag in Höhe von 3.378 .- DM“ gestundet worden war, da nicht ersichtlich ist, ob der genannte Erschließungsbeitrag für die Anlage „A Straße Nord“ oder die jetzt als Erschließungsanlage „A Straße Süd“ bezeichnete Straße „festgesetzt“ worden war. Dafür, dass der Erschließungsbeitrag für letztere festgesetzt worden sein dürfte spricht der Umstand, dass das Anwesen A Straße 1 nach den örtlichen Verhältnissen, wie sie sich auf dem zum Akt gegebenen Luftbild (Bl. 68 der Gerichtsakte) darstellen, seine Zufahrt nicht von der Anlage „A Straße Nord“ hat, sondern von der Richtung Süden abzweigenden, als „A Straße Süd“ betitelten Straße.
28
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
29
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V.m. §§ 708 ff. ZPO.
30
Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor (§ 124a Abs. 1, § 124 VwGO).