Titel:
Erfolglose Klage gegen Ausweisung
Normenkette:
AufenthG § 11, § 53, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1a
Leitsätze:
1. Für die Annahme einer Wiederholungsgefahr muss dem Ausweisungsanlass ein besonderes Gewicht zukommen, das sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt und es müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass neue strafrechtliche Verfehlungen des Ausländers ernsthaft drohen und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht, wobei mit steigender Bedeutung des Rechtsguts die Anforderungen an die Wiederholungsgefahr sinken (Anschluss an BVerwG BeckRS 2013, 47815). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die einer strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden Tatsachen können bei der Prüfung einer Ausweisung zugrunde gelegt werden, wenn die Feststellungen und die Beweisaufnahme nachvollziehbar und schlüssig sind und sich eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht aufdrängt (Anschluss an BVerwG BeckRS 1986, 5305). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Voraussetzung einer generalpräventiven Ausweisung ist, dass von der Ausweisung eine mögliche und angemessene generalpräventive Wirkung tatsächlich zu erwarten ist und dies in einer kontinuierlichen Ausweisungspraxis Ausdruck findet. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung, Einreise- und Aufenthaltsverbot, Ausweisungsinteresse, Wiederholungsgefahr, strafgerichtliche Verurteilung, generalpräventive Ausweisung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 05.04.2022 – 19 ZB 22.241
Fundstelle:
BeckRS 2021, 50997
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und die befristete Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots.
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1. Der Kläger ist ausweislich seines gambischen Reisepasses, welcher am 29. Dezember 2017 ausgestellt wurde, bis 29. Dezember 2022 gültig ist und am 18. Februar 2021 von Herrn S. (wohl dem Vater der Freundin des Klägers Frau J. S.) der Zentralen Ausländerbehörde Unterfranken zugesandt wurde, gambischer Staatsangehöriger. Er reiste am 19. August 2014 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er gab an, verheiratet zu sein und die senegalesische Staatsangehörigkeit zu haben. Er stellte am 3. September 2014 einen Asylantrag. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 26. Januar 2017, rechtskräftig nach Klageabweisung im Verfahren W 3 K 17.30549 seit 23. April 2018, als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Dem Kläger wurde die Abschiebung nach Senegal angedroht. Mit bestandskräftigem Bundesamtsbescheid vom 29. Oktober 2021 wurde diese Abschiebungsandrohung dahingehend geändert, dass der Antragsteller für den Fall, dass er der Ausreiseaufforderung nicht nachkommt, nach Gambia abgeschoben wird. Es wurde festgestellt, dass keine Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen.
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Der Kläger hat keinen Schul- oder Berufsabschluss erworben und hat kein regelmäßiges Einkommen.
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Der Kläger ist mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Auf die Darstellung im angefochtenen Bescheid wird Bezug genommen. Am 20. April 2016 verurteilte ihn das Amtsgericht München (Az.: 1* … Cs 3** Js 1* …16) wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe in Höhe von 20 Tagessätzen je 10 Euro. Der Strafbefehl ist seit 18. Mai 2016 rechtskräftig. Am 9. März 2017 verurteilte ihn das Amtsgericht Würzburg (Az.: 1** Cs 8** Js 3* …17) wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe in Höhe von 10 Tagessätzen je 40 Euro. Der Strafbefehl ist seit 7. April 2017 rechtskräftig. Zuletzt wurde er mit Urteil des Amtsgerichts Würzburg (Az.: 3 Ls 9** Js 2* …18) vom 26. Mai 2020 nach Maßgabe des Urteils des Landgerichts Würzburg (Az. 3 Ns 9** Js 2* …18) vom 1. Dezember 2020 wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von drei Jahren verurteilt. Das Urteil ist seit dem 1. Dezember 2020 rechtskräftig. Auf die Urteilsgründe wird jeweils Bezug genommen.
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Seit dem 7. Februar 2020 ist der Kläger in Haft. Auf den Führungsbericht der JVA Würzburg vom 4. Februar 2021 wird Bezug genommen. Disziplinarisch sei der Kläger nicht in Erscheinung getreten. Privatbesuch habe er regelmäßig seit Februar 2020 von seiner Lebensgefährtin erhalten. Zudem führe er mit ihr auch regelmäßige Telefonate zur Erhaltung der Sozialkontakte. Bislang setze er sich nicht ausreichend mit der Tat und den Folgen für das Opfer auseinander. Regelmäßige Motivationsgespräche für eine Therapie zur Aufarbeitung der Ursachen seiner Straffälligkeit in der hiesigen Sozialtherapeutischen Abteilung für Sexualstraftäter würden durchgeführt, jedoch reichten die Deutschkenntnisse des Klägers bislang dafür nicht aus. Ein beim Zugang durchgeführter Alkohol- und Drogentest habe ein positives Ergebnis auf THC ergeben. Es sei jedoch positiv hervorzuheben, dass die mehrfach durchgeführten Urinkontrollen während der Inhaftierung ein negatives Ergebnis aufgewiesen hätten.
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Mit Schreiben der Regierung von Unterfranken - Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken (ZAB) - vom 25. Januar 2021 wurde der Kläger zur beabsichtigten Ausweisung angehört. Mit Schreiben vom 1. und 4. Februar 2021 beantragte die Klägerbevollmächtigte, dem Kläger eine Duldung zur Eheschließung zu erteilen, hilfsweise eine Duldung nach § 60a AufenthG. Es wurde ausgeführt, dass der Kläger beabsichtige, die deutsche Staatsangehörige J. S., wohnhaft in 2* … V* …, zu ehelichen. Es wurden Kopien von Reisepass, Geburtsurkunde und Ledigkeitsbescheinigung beigefügt.
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2. Mit Bescheid vom 4. März 2021 wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziffer 1). Gegen ihn wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet, das auf die Dauer von fünf Jahren befristet wurde. Die Befristung erfolgte unter der Bedingung, dass er bis zum Ablauf der Frist durch Vorlage einer geeigneten Bescheinigung gegenüber der deutschen Auslandsvertretung nachweist, dass er in der Zwischenzeit nicht mehr straffällig geworden ist. Sollte er diese Bedingung nicht erfüllen, werde das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von sieben Jahren, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Ausreise, befristet (Ziffer 2). In Ziffer 3 des Bescheides wurde dem Kläger die Abschiebung nach Gambia aus der Haft angedroht. Für den Fall, dass die Abschiebung aus der Haft nicht möglich sein sollte, wurde er aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach der Entlassung zu verlassen. Sollte er dieser Aufforderung nicht nachkommen, werde ihm die Abschiebung nach Gambia angedroht.
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Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, Rechtsgrundlage der Ausweisung sei § 53 Abs. 1 AufenthG.
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Seit seiner illegalen Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2014 sei der Kläger vor allem durch zahlreiche Verstöße gegen das Aufenthalts- und Asylgesetz aufgefallen. Er habe jahrelang über seine Identität getäuscht, um sich so seinen unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu sichern. Er sei wiederholt wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz aufgefallen. Nun habe er, weil es für ihn günstig erschien, seinen gambischen Pass übersenden lassen. Bei der Tat vom 2. Dezember 2018 habe er den schlafenden Zustand der Geschädigten ausgenutzt, um gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr an ihr auszuüben. Auch habe er die Tat bis zuletzt abgestritten. Somit gehe aufgrund seines Verhaltens und den vom Kläger ausgeübten Straftaten, seiner Missachtung der sexuellen Selbstbestimmung und der Würde und der Gesundheit Dritter, seiner jahrelangen Missachtung unseres Rechts- und Gesellschaftssystems eine aktuelle schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Es handele sich gem. Art. 83 Abs. 1 Satz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) auch um Straftaten aus dem Bereich besonders schwerer Kriminalität, welche als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen sind, die geeignet ist, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und die damit unter dem Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen können, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist, was im Fall des Klägers zutreffe. Es sei im Fall des Klägers auch von einer hinreichenden Wiederholungsgefahr auszugehen. Der Kläger sei mehrfach strafrechtlich aufgefallen und habe bewusst seit Jahren gegen die ausländerrechtlichen Bestimmungen verstoßen. Er habe bis zum heutigen Zeitpunkt keine Reue für seine Taten gezeigt und habe sich auch nicht damit auseinandergesetzt. Er habe keine Schul- oder Berufsausbildung erworben und sei vollziehbar ausreisepflichtig. Er verfüge über unzureichende Deutschkenntnisse und habe keine sozialen Bindungen oder Verwurzelung im Bundesgebiet vorzuweisen. Sein Verhalten sei auf eine Missachtung des Rechtssystems, mangelnden Integrationswillen und Geringschätzung der Würde und der Gesundheit sowie der sexuellen Selbstbestimmung anderer Personen zurückzuführen. Sein weitgehend beanstandungsfreies Verhalten in der Haft sei vor allem auf mangelnde Deutschkenntnisse und die strengen Bedingungen in der Haft zurückzuführen und nicht auf eine Wesensänderung seiner Person. Das schwerwiegende Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG sei erfüllt, auch weitere Ausweisungsinteressen nach § 54 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 Nr. 1, 3, 4, 9 AufenthG seien begründet. Ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse im Sinne des § 55 Abs. 1 AufenthG sowie ein schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 2 AufenthG könnten beim Kläger nach Aktenlage nicht erkannt werden. Zwar habe er angegeben, eine Verlobte zu haben, bei welcher er sich in unregelmäßigen Abständen aufgehalten habe. Eine familiäre Gemeinschaft im Sinne des Gesetzes sei aber nicht nachgewiesen worden. Seine Verlobte sei nach seiner Inhaftierung in ihren Heimatort zurückgezogen. Sie habe selbst in der Gerichtverhandlung angegeben, emotional sehr instabil zu sein. Sie sei vielmehr auf die Unterstützung ihrer Familie angewiesen. Der Kläger sei erwachsen und gesund und habe noch weitere Verwandte in seinem Heimatland. Eine Rückkehr in sein Heimatland sei dem Kläger auch laut den Ausführungen vom Bundesamt zumutbar. Das Ausweisungsinteresse überwiege das Interesse des Klägers am Verbleib im Bundesgebiet erheblich. Die Ausweisung erfolge sowohl aus spezialpräventiven als auch aus generalpräventiven Erwägungen.
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Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles werde das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von fünf Jahren ab Ausreise/Abschiebung befristet. Angesichts des erheblich straffälligen Verhaltens des Klägers, werde die festgesetzte Befristung für sein Einreise- und Aufenthaltsverbot im Zuge der Ermessensausübung zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auch mit der Bedingung einer nachweislichen Straffreiheit nach Maßgabe des § 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG versehen. Nur durch diese Bedingung könne sichergestellt werden, dass mit seiner Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland nicht erneut mit Straftaten insbesondere gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetzt zu rechnen ist. Sollte ein entsprechender Nachweis allerdings nicht erbracht werden, werde die Einreise- und Aufenthaltssperre auf sieben Jahre festgelegt, weil im Gesamtergebnis der Ermessensausübung das persönliche Interesse des Klägers an einer Einreise hinter das öffentliche Interesse zurückzutreten habe.
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Auf die Gründe des Bescheides im Übrigen wird Bezug genommen.
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3. Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 9. März 2021, bei Gericht eingegangen am 11. März 2021, ließ der Kläger Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg erheben und zuletzt beantragen,
Der Bescheid des Beklagten vom 4. März 2021, Gesch.-Z.: 3* …, zugestellt am 6. März 2021, wird aufgehoben.
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Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 7. August 2021 insbesondere ausgeführt, vom Kläger gehe keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus, eine Ausweisung lasse sich weder spezial- noch generalpräventiv begründen. Der Kläger sei zwar zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von drei Jahren wegen Vergewaltigung rechtskräftig verurteilt worden. Doch der strafgerichtlich festgestellte Sachverhalt sei vor dem Hintergrund sich widersprechender Zeugenaussagen und unklarer Beweislage als mindestens zweifelhaft zu bewerten. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Kläger die ihm angelastete Vergewaltigung nicht begangen habe. Auf die Ausführungen des Klägerbevollmächtigten im Strafverfahren vom 25. November 2020 wurde verwiesen. Zum Zeitpunkt des Tatvorwurfs sei der Kläger schon lange mit seiner Verlobten liiert gewesen. Die Wiederholungsgefahr einer erneuten Vergewaltigung bestehe nicht. Der Kläger sei zweimal wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt worden. Seit der Rechtskraft dieser Urteile seien über vier Jahre vergangen. Sie könnten daher nicht mehr als Ausweisungsgründe verwertet werden. Seither sei der Kläger nicht mehr wegen Delikten gegen das Betäubungsmittelgesetz straffällig geworden. Die Urinkontrollen des Klägers während der Inhaftierung hätten immer ein negatives Ergebnis aufgewiesen. Die Gefahr einer künftigen Identitätstäuschung sei ausgeschlossen, da der Kläger nun einen gültigen Reisepass vorgelegt habe. Auch ein erneutes „Untertauchen“ des Klägers sei vor dem Hintergrund seiner aktuellen und zukünftigen familiären Situation nicht zu erwarten. Der Kläger strebe eine Heirat mit J. S. an und dem Paar sei von der Mutter der Partnerin eine Mietwohnung mit 2,5 Zimmern zur Verfügung gestellt worden. Der einwandfreie Führungsbericht der JVA, die Verlobung und geplante Hochzeit sowie die familiäre Einbindung durch Familie S. belegten eine positive Prognose. Durch seine Verlobung und die Verbindung mit der Familie der Verlobten verfüge der Kläger über intensive familiäre Bindungen, die ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG begründeten. Der Kläger habe mit seiner Verlobten bereits das Aufgebot beim Standesamt Würzburg bestellt. Eine Duldung zur Eheschließung sei beantragt worden. Der Kläger und seine Verlobte seien unverändert ein Paar. J.S. besuche den Kläger so oft es die Haftbedingungen zuließen. Sie wohne in der geplanten zukünftigen Wohnung des Paares. Daneben stehe die intensive Bindung zu den Eltern von J.S. Beide seien bereit, den Kläger in ihren Wohnungen aufzunehmen. Ein gewichtiges Bleibeinteresse ergebe sich auch aus der Aufenthaltsdauer von sieben Jahren. Weiter bestünden Abschiebungshindernisse aufgrund der erheblichen Verletzung des Klägers aufgrund eines im Jahr 2019 erlittenen Unfalls am rechten Handgelenk. Der Entlassbrief Handchirurgie R* … vom 22. März 2019 wurde vorgelegt. Der Kläger sei nach wie vor in der Verfügbarkeit seiner rechten Hand eingeschränkt. Ein etwa vorliegendes Ausweisungsinteresse überwiege das Bleibeinteresse des Klägers nicht.
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Der Beklagte beantragt,
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Zur Begründung wurde insbesondere auf die Gründe des angefochtenen Bescheides verwiesen und ausgeführt, die vom Kläger ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sei nach wie vor gegeben. Die Verurteilung wegen Vergewaltigung sei in einem Berufungsverfahren bestätigt worden. Der Beklagte habe keine Zweifel an der Richtigkeit der Ermittlungsergebnisse in der Strafakte und zweifele mangels anderer Beweise das Urteil im Vergewaltigungsprozess nicht an. Der Kläger sei bei seiner Inhaftierung positiv auf THC getestet worden, habe also auch nach seinen Verurteilungen wegen Betäubungsmitteldelikten weiterhin Betäubungsmittel konsumiert. Die im Bundeszentralregister aktuell aufgelisteten Verurteilungen seien noch nicht verbraucht, da dem Kläger zu keiner Zeit eine entsprechende Mitteilung oder Zusicherung seitens der Ausländerbehörde zugegangen sei. Der Kläger habe wiederholt bei verschiedenen Behörden bewusst und über Jahre hinweg über seine Identität getäuscht, um seine Ausreise zu verhindern. Spätestens seit dem Jahr 2017 sei der Kläger in Besitz seines gültigen gambischen Reisepasses gewesen. Dennoch habe er am 26. Mai 2020 bei seiner Verurteilung die senegalesische Staatsangehörigkeit und andere Personalien angegeben. Da der Kläger während der Beziehung zu seiner Freundin polizeilich und strafrechtlich in Erscheinung getreten sei, auch während dieser Beziehung wiederholt unbekannten Aufenthalts gewesen sei, könne nicht ausgeschlossen werden, dass er sein Verhalten nach der Entlassung beibehalte und erneut unbekannten Aufenthalts sein werde. Die Verlobung des Klägers sowie die Beziehung des Klägers zu der Familie der Verlobten begründe kein Bleibeinteresse im Sinne des § 55 AufenthG. Es bestehe keine familiäre oder lebenspartnerschaftliche Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen. Aktuell müsse von einer Begegnungsgemeinschaft des Klägers mit seiner Freundin ausgegangen werden. Die lange Aufenthaltsdauer des Klägers im Bundesgebiet sei von ihm unrechtmäßig erzwungen worden. Die beschriebene Verletzung des Klägers im Jahr 2019 stelle kein Abschiebungshindernis dar. Der Kläger sei nur zeitweise durch die Verletzung am Handgelenk eingeschränkt gewesen, so dass weiterhin Reisefähigkeit und Erwerbsfähigkeit bestehe. Eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung liege nicht vor, so dass vermutet werde, dass der Abschiebung keine gesundheitlichen Gründe entgegenstehen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll vom 29. November 2021 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 4. März 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Der Beklagte hat den Kläger zu Recht aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (1.) und die Wirkungen der Ausweisung auf fünf Jahre, für den Fall der Nichterfüllung der Bedingung einer nachweislichen Straffreiheit auf sieben Jahre befristet (2.).
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1. Die Ausweisung des Klägers in Ziffer 1 des Bescheides vom 4. März 2021 ist rechtmäßig.
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Maßgeblicher Zeitpunkt für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder der Entscheidung des Tatsachengerichtes (vgl. BVerwG, U.v. 30.7.2013 - 1 C 9.12, InfAuslR 2013, 418, Rn. 8; U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11, BVerwGE 143, 277, Rn. 12 m. w. N.).
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Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet (1.1), wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (1.2.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
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1.1. Die nach § 53 Abs. 1 AufenthG tatbestandlich vorausgesetzte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist beim Kläger gegeben.
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Für die Feststellung der Wiederholungsgefahr gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wonach an die Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11, juris Rn. 16; U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11, juris Rn. 18). Bei dieser Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgutes sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BVerwG, U.v. 4.5.1990 - 1 B 82.89, juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 25.5.2010 - 19 ZB 09.1988, AuAS 2010, 161 ff.). Nach dem Willen des Gesetzgebers gilt dieser von der Rechtsprechung entwickelte Gefahrenbegriff auch unter neuem Recht fort (BT-Drs. 18/4097, S. 49). Für die Annahme einer Wiederholungsgefahr muss daher dem Ausweisungsanlass ein besonderes Gewicht zukommen, das sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Zum anderen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass neue strafrechtliche Verfehlungen des Ausländers ernsthaft drohen und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Sind durch das Verhalten des Ausländers Rechtsgüter von erheblicher Bedeutung verletzt worden, reicht wegen des möglichen Schadensausmaßes bei einer erneuten strafrechtlichen Verfehlung vergleichbarer Art eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit für die Bejahung der Wiederholungsgefahr aus (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12, NVwZ-RR 2013, 435 ff.; BayVGH, U.v. 3.2.2015 - 10 BV 13.421, BeckRS 2015, 43077).
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Gemessen an diesen Grundsätzen und unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles besteht die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass vom Kläger weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Das Gericht folgt insoweit der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids, auf welche im Einzelnen verwiesen wird (§ 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend ist auszuführen:
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Der Kläger wendet sich insbesondere gegen die Annahme eines Ausweisungsgrundes und einer entsprechenden Wiederholungsgefahr im Hinblick auf seine Verurteilung durch das Amtsgericht Würzburg (Az. 3 Ls 9** Js 2* …18) vom … Mai 2020, nach Maßgabe des Urteils des Landgerichts Würzburg (Az. 3 Ns 9** Js 2* …18) vom *. Dezember 2020, rechtskräftig seit dem *. Dezember 2020, wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von drei Jahren. Der strafgerichtlich festgestellte Sachverhalt sei vor dem Hintergrund sich widersprechender Zeugenaussagen und unklarer Beweislage als mindestens zweifelhaft zu bewerten. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Kläger die ihm angelastete Vergewaltigung nicht begangen habe. Auf die Ausführungen des Klägerbevollmächtigten im Strafverfahren vom 25. November 2020 wurde verwiesen. Auch in der mündlichen Verhandlung am 29. November 2021 führte der Kläger aus, er sei unschuldig verurteilt worden, es habe sich um eine Verschwörung zu seinen Lasten gehandelt.
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Von den dieser Verurteilung zugrundeliegenden Tatsachen kann das Gericht jedoch aufgrund der nachvollziehbaren und schlüssigen Feststellungen sowie der Beweisaufnahme und -würdigung im rechtskräftigen Strafurteil des Amtsgerichts Würzburg vom 26. Mai 2020 ausgehen, weil sich eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht aufdrängt (BVerwG, B.v. 8.5.1989 - 1 B 77.89 - Inf-AuslR 1989, 269/270; B.v. 16.9.1986 - 1 B 143.86 - juris Rn. 4; Fleuß in Kluth/Heusch a.a.O., AufenthG § 53 Rn. 27). Die im vorliegenden Klageverfahren geltend gemachten Einwände der Klägerseite gegen die Verurteilung durch das Amtsgericht Würzburg waren Gegenstand des Berufungsverfahrens beim Landgericht Würzburg (Az. 3 Ns 9** Js 2* …18). Mit Urteil des Landgerichts Würzburg vom 1. Dezember 2020 wurde auf die Berufung des Angeklagten das Urteil des Amtsgerichts - Schöffengerichts - Würzburg vom 26. Mai 2020 im Rechtsfolgenausspruch (Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten) dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt wurde. Die weitergehende Berufung des Angeklagten wurde verworfen. Aus den Urteilsgründen ergibt sich, dass der Angeklagte die Berufung in der Berufungshauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, was bei der Strafzumessung Berücksichtigung fand, wenn die Berufungsbeschränkung auch als prozesstaktisches Verhalten erkannt wurde. Auch vor diesem Hintergrund kommt eine weitere Sachverhaltsaufklärung im vorliegenden Verfahren nicht in Betracht. Dass der Kläger seinem eigenen Vortrag zufolge zum Zeitpunkt des Tatvorwurfs der Vergewaltigung schon lange mit seiner Verlobten liiert war, spricht im Übrigen nach Auffassung des Gerichts jedenfalls nicht gegen die Annahme der Wiederholungsgefahr einer erneuten Vergewaltigung.
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Auch die Verurteilungen durch das Amtsgericht München vom 20. April 2016 (Az.: 1* … Cs 3** Js 1* …16), rechtskräftig seit … Mai 2016, wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe in Höhe von 20 Tagessätzen je 10 Euro sowie durch das Amtsgericht Würzburg vom 9. März 2017 (Az.: 1** Cs 8** Js 3* …17), rechtskräftig seit *. April 2017, wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe in Höhe von 10 Tagessätzen je 40 Euro können noch zur Begründung eines Ausweisungsgrundes und einer entsprechenden Wiederholungsgefahr herangezogen werden, nachdem gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 2a BZRG insoweit noch keine Tilgungsreife im Bundeszentralregister eingetreten ist. Für einen von Klägerseite geltend gemachten Verbrauch dieses Ausweisungsgrundes sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, da dem Kläger zu keiner Zeit eine entsprechende Mitteilung oder Zusicherung seitens der Ausländerbehörde zugegangen ist, zumal der Kläger in der Folge auch in gravierendem Umfang straffällig wurde, wenn auch nicht im Bereich der Betäubungsmitteldelikte. Das Gericht geht mit dem Beklagten von einer entsprechenden Wiederholungsgefahr hinsichtlich Delikten gegen das Betäubungsmittelgesetz aus, wenn auch der Kläger seither nicht mehr wegen solcher Delikte straffällig geworden ist. Zwar ist auch positiv zu sehen, dass die mehrfach durchgeführten Urinkontrollen während der Inhaftierung ein negatives Ergebnis aufwiesen. Ein beim Zugang durchgeführter Alkohol- und Drogentest brachte allerdings ein positives Ergebnis auf THC, so dass nach Auffassung des Gerichts aus der Drogenfreiheit unter Haftbedingungen nicht auf entsprechendes Verhalten nach Haftende geschlossen werden kann.
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Für die Feststellung der Wiederholungsgefahr ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger über einen erheblichen Zeitraum hinweg über seine Identität getäuscht hat. Der Kläger ist bereits im Jahr 2014 unter Angabe einer falschen, nämlich der senegalesischen Staatsangehörigkeit in das Bundesgebiet eingereist. Mit Bescheid vom 26. Januar 2017 wurde sein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt, rechtskräftig nach Klageabweisung im Verfahren W 3 K 17.30549 seit 23. April 2018, so dass der Kläger seit diesem Zeitpunkt, vollziehbar ausreisepflichtig ist. Seinen gambischen Reisepass, welcher am 29. Dezember 2017 ausgestellt wurde, ließ der Kläger erst am 18. Februar 2021 kurz nach der Beantragung einer Duldung zur Eheschließung vorlegen und beendete damit die Identitätstäuschung. Zwar wird durchaus nicht verkannt, dass die Identitätstäuschung nunmehr beendet ist und insofern eine Wiederholungsgefahr nicht mehr besteht. Angesichts der über sechs Jahre aufrechterhaltenen Identitätstäuschung liegt es aber nahe, dass der Kläger auch in Zukunft falsche Angaben betreffend seine persönlichen Verhältnisse machen wird oder Aufforderungen der Ausländerbehörde nicht Folge leisten wird.
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Die persönliche Situation des Klägers lässt keine andere Bewertung zu. Der Kläger ist zwar eigenen Angaben zufolge mit einer deutschen Staatsangehörigen verlobt. Allerdings wurde die Verlobung erst nach Haftantritt des Klägers geschlossen, wie von diesem in der mündlichen Verhandlung erläutert. Der Kläger lebte mit seiner Verlobten zudem vor Haftantritt nicht in einer stabilen Lebensgemeinschaft, ein Zusammenleben ist erstmals für die Zeit nach der Haft angestrebt. Er hat sich ferner nie um die Aufnahme einer Beschäftigung und um eine damit verbundene wirtschaftliche Integration bemüht. Dies hätte im Fall des Klägers insbesondere die Beendigung seiner Identitätstäuschung vorausgesetzt. Damit trägt auch die fehlende berufliche und wirtschaftliche Perspektive dazu bei, dass beim Kläger eine hinreichende Wiederholungsgefahr vorliegt. Ob künftig von einem stabilen familiären und sozialen Umfeld ausgegangen werden kann, erscheint zweifelhaft, nachdem vor der Inhaftierung noch keine Lebensgemeinschaft bestand und sich das angestrebte Zusammenleben erst noch bewähren müsste.
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Es ist also davon auszugehen, dass der weitere Aufenthalt des Klägers die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, denn es ist wahrscheinlich, dass erneute (ausländer-) strafrechtliche Verfehlungen und Mitwirkungspflichtverletzungen ernsthaft drohen und von ihm daher eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht.
31
Die Ausweisung des Klägers kann ebenfalls auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden. Nach der Rechtsprechung ist es grundsätzlich zulässig, eine Ausweisung mit generalpräventiven Erwägungen zu begründen, selbst wenn es sich um nachhaltig „verwurzelte“ Ausländer handelt (vgl. nur BVerwG, U.v. 14.2.2012 - 1 C 7.11, NVwZ 2012, 1558, Rn. 19 ff.; B.v. 22.9.2015 - 1 B 48.15, BeckRS 2015, 52994, Rn. 8). Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 53 Abs. 1 AufenthG sollen diese von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze auch im Rahmen des neu konzipierten Ausweisungsrechts weiterhin Gültigkeit behalten (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 49; siehe auch BayVGH, B.v. 3.3.2016 - 10 ZB 14.844, BeckRS 2016, 44267, Rn. 10), sofern nicht die Voraussetzungen von § 53 Abs. 3 AufenthG vorliegen, was vorliegend nicht der Fall ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes kann die Ausweisung eines Ausländers auch alleine auf generalpräventive Gründe gestützt werden. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass jedes generalpräventive Ausweisungsinteresse mit zunehmendem Zeitabstand an Bedeutung verliert und ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr herangezogen werden kann. Sofern eine Ausweisung an strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, bieten die strafrechtlichen Verjährungsfristen (§§ 78 ff. StGB) einen geeigneten Rahmen zur Konkretisierung. Bei abgeurteilten Straftaten stellen die Fristen für ein Verwertungsverbot nach § 51 BZRG die Obergrenze dar (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 - BVerwG 1 C 16.17, NVwZ 2019, 486; BVerwG, Pressemitteilung Nr. 35/2019). Voraussetzung einer generalpräventiven Ausweisung ist, dass von der Ausweisung eine mögliche und angemessene generalpräventive Wirkung tatsächlich zu erwarten ist und dies in einer kontinuierlichen Ausweisungspraxis Ausdruck findet (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 53 Rn. 132 [Stand: Januar 2020]).
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Im Falle der vom Kläger begangenen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und im Bereich der Betäubungsmittelstrafbarkeit, sowie seiner jahrelang aufrecht erhaltenen Identitätstäuschung besteht ein besonderes Bedürfnis, durch die Ausweisung andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten und Täuschung über deren Identität abzuhalten. Die Ausweisung dient daher auch dem Zweck verhaltenslenkend auf andere Ausländer einzuwirken, indem diesen die aufenthaltsrechtlichen Nachteile eines pflichtwidrigen Verhaltens aufgezeigt werden. Das Ausweisungsinteresse ist vorliegend auch noch aktuell, denn die abgeurteilten Straftaten können nach den Vorschriften des BZRG noch gegen den Kläger verwertet werden und die Identitätstäuschung des Klägers wurde erst im Jahr 2021 beendet. Das generalpräventive Ausweisungsinteresse ist daher gemessen an den oben dargelegten Anforderungen noch aktuell, so dass die Ausweisung des Klägers auch hierauf gestützt werden kann.
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1.2. Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles (§ 53 Abs. 2 AufenthG) vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an einer Ausreise des Klägers überwiegt. Der Kläger erfüllt die besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen des § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1 Buchst. a sowie die schwerwiegenden Ausweisungsinteressen des § 54 Abs. 2 Nr. 1 sowie Nr. 3 und Nr. 9 AufenthG. Dem Ausweisungsinteresse stehen vorliegend lediglich allgemeine Bleibeinteressen des Klägers gegenüber. In die Abwägung fließen auch die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände sowie die in diesem Zusammenhang maßgeblichen grund- und konventionsrechtlichen Wertungen ein. Diese Abwägung fällt vorliegend zu Lasten des Klägers aus.
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Gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Durch die seit 1. Dezember 2020 rechtskräftige Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht Würzburg (Az.: 3 Ls 9** Js 2* …18) vom 26. Mai 2020 nach Maßgabe des Urteils des Landgerichts Würzburg (Az. 3 Ns 9** Js 2* …18) vom 1. Dezember 2020 wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von drei Jahren ist dieses Ausweisungsinteresse erfüllt, zugleich auch das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AufenthG, nachdem es sich um eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer vorsätzlichen Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 177 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 6 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 StGB handelt. Durch diese Verurteilung ist auch das schwer wiegende Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG erfüllt (rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten).
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Durch die seit 18. Mai 2016 rechtskräftige Verurteilung des Amtsgerichts München vom 20. April 2016 (Az.: 1* … Cs 3** Js 1* …16) wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe in Höhe von 20 Tagessätzen je 10 Euro erfüllt der Kläger auch das schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG, da er als Täter den Tatbestand des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklichte.
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Gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse ferner schwer, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebietes eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist. Da der Kläger zudem rechtskräftig sei dem 7. April 2017 mit Strafbefehl des Amtsgerichts Würzburg vom 9. März 2017 (Az.: 1** Cs 8** Js 3* …17) wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe in Höhe von 10 Tagessätzen je 40,00 EUR verurteilt wurde, ist bereits aufgrund der beiden Verurteilungen wegen Delikten gegen das Betäubungsmittelgesetz auch der Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG erfüllt. Zudem kann auch die Nichtbefolgung behördlicher Anordnungen, insbesondere ausländerrechtlicher Maßnahmen, sowie der vorliegende Verstoß gegen ausweisrechtliche Pflichten nach § 48 Abs. 1 AufenthG oder gegen Mitwirkungspflichten nach § 49 Abs. 2 AufenthG diesen Ausweisungstatbestand erfüllen.
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Diesem nach gesetzlicher Wertung besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse sowie schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehen lediglich allgemeine Bleibeinteressen gegenüber. Insbesondere erfüllt der Kläger nicht, wie geltend gemacht, das besonders schwer wiegende Bleibeinteresse des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG. Er lebt nicht mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft. Dies war vor der Inhaftierung des Klägers nicht der Fall. Eine Eheschließung und Zusammenleben sind zwar in der Zukunft angestrebt, liegen aber im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht vor.
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§ 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Diese sind insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner, wobei die in Absatz 2 aufgezählten Umstände weder abschließend zu verstehen sind, noch nur zu Gunsten des Ausländers ausfallen müssen. Zudem sind stets die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familie, die sich insbesondere aus Art. 2 und 6 GG sowie Art. 8 EMRK ergibt, und die sich daraus ergebenden Gewichtungen in den Blick zu nehmen. Umstände im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG prägen den Einzelfall insoweit, als sie über die den vertypten Interessen zugrundeliegenden Wertungen hinausgehen oder diesen entgegenstehen. Insbesondere ist an dieser Stelle der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen. Sind im konkreten Fall keine Gründe - etwa auch solche rechtlicher Art - ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren (zum Vorstehenden: VGH Mannheim, U.v. 13.1.2016 - 11 S 889/15, BeckRS 2016, 41711). Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkretem Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso (BVerfG, B.v. 10.5.2007 - 2 BvR 304/07, NVwZ 2007, 946) wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen.
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Gemessen an diesen Grundsätzen überwiegt das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers unter Berücksichtigung sämtlicher den Einzelfall prägender Umstände.
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Für eine Ausweisung des Klägers spricht, dass dieser neben seinen strafrechtlichen Verurteilungen, welche nicht nur Delikte gegen das Betäubungsmittelgesetz, sondern auch eine vorsätzliche Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung betrifft, welche zu einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren führte, seit seiner Einreise in das Bundesgebiet im Jahr 2014 bis zum Jahr 2021 und damit mehr als sechs Jahre lang stetig über seine Identität getäuscht hat. Erst nach der Beantragung einer Duldung zur Eheschließung im Februar 2021 hat er seinen gambischen Reisepass vorgelegt.
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Den nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1 Buchst. a AufenthG besonders schwerwiegenden sowie gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 1, 3 und Nr. 9 AufenthG schwerwiegenden Ausweisungsinteressen steht vorliegend lediglich das allgemeine Bleibeinteresse gegenüber. Hinzu treten auf Seiten des Ausländers grundsätzlich dessen Recht auf Privatleben (Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 8 Abs. 1 EMRK) sowie sein Anspruch auf Achtung seiner familiären Bindungen nach Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG. Deren Gewicht ist, soweit es nicht bereits über § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfasst wird, aus § 53 Abs. 2 AufenthG und den verfassungs- und konventionsrechtlichen Wertungen mit Blick auf die Folgen der Ausweisung zu ermitteln.
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Vorliegend ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger mit einer deutschen Staatsangehörigen verlobt ist.
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Die Ausländerbehörden und Gerichte sind verpflichtet, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (BVerfG, B.v. 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05, NVwZ 2006, 682). Eine solche Bindung führt aber nicht zwangsläufig zum Überwiegen der Interessen des Klägers an einem Verbleib in Deutschland. Eine Ausweisung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist daher nicht generell ausgeschlossen; die zwischen dem Kläger und seiner Verlobten bestehende Beziehung hat nicht ausnahmslos Vorrang vor dem öffentlichen Vollzugsinteresse (vgl. BVerwG, U.v. 10.2.2011, 1 B 22/10, BeckRS 2011, 48267, Rn. 4). Der Schutz der familiären Bindungen gebietet aber, dass anhand einer einzelfallbezogenen Würdigung die für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und die gegenläufigen Interessen des Ausländers gegeneinander abgewogen werden (vgl. BayVGH, B.v. 6.12.2012 - 19 ZB 12.1084, BeckRS 2013, 46413, Rn. 15; B.v. 29.7.2014 - 10 ZB 14.538, juris, Rn 9).
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Der Kläger erhält regelmäßig seit Februar 2020 von seiner Verlobten Privatbesuche in der Haft. Zudem führt er mit ihr auch regelmäßige Telefonate. Es ist anhand seiner Angaben und der Angaben der Mutter der Verlobten in deren Schreiben vom 23. März 2021 sowie des Vaters der Verlobten in dessen Schreiben vom 2. August 2021 (vorgelegt von der Klägerbevollmächtigten als Anlage zur Klagebegründung) davon auszugehen, dass der Kläger durchaus eine gewisse Bindung zu ihnen sowie deren Tochter hat, wenn sich diese im vorliegenden Verfahren auch nicht selbst geäußert hat. Es ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass die Ausgestaltung der Beziehung des Klägers zu seiner Verlobten bislang eher als Begegnungsgemeinschaft anzusehen ist und sich das künftige Zusammenleben erst noch bewähren müsste. Ferner ist der Umstand zu sehen, dass die Verlobung erst während der Haft des Klägers geschlossen wurde und damit in Kenntnis der Verurteilung, welche den maßgeblichen Ausweisungsanlass begründet. Im Ergebnis vermag damit die Beziehung des Klägers zu seiner Verlobten das Ausweisungsinteresse nicht zu überwiegen. Der Kläger kann den Kontakt zu seiner Verlobten auch durch die Inanspruchnahme moderner Kommunikationsmittel aufrechterhalten. Durch die Beantragung von Betretenserlaubnissen (§ 11 Abs. 8 AufenthG) ist es dem Kläger darüber hinaus möglich, seine Verlobte zu besonderen Anlässen im Bundesgebiet zu besuchen.
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Schließlich ist zu sehen, dass der Kläger sich nunmehr bereits seit dem Jahr 2014 im Bundesgebiet aufhält. Dennoch ist es ihm nicht gelungen, sich wirtschaftlich und sozial sowie kulturell in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland zu integrieren. Der Kläger hat sich nie um die Ausübung einer Beschäftigung bemüht und einen konkreten Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis bei der Ausländerbehörde gestellt. Auch hat der Kläger nie einen Aufenthaltstitel erlangt, sondern sich bislang lediglich geduldet im Bundesgebiet aufgehalten. Durch seine strafrechtlichen Verurteilungen sowie die jahrelange hartnäckige Identitätstäuschung wird ferner die mangelnde Integration in die deutsche Rechtsordnung offensichtlich. Auch hat der Kläger bis auf seine in Varel lebende Verlobte und deren Eltern keinerlei familiäre oder soziale Bindungen im Bundesgebiet.
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Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Wertungen in den §§ 54, 55 AufenthG sowie aller den Fall prägenden Umstände im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG, Art. 8 EMRK, Art. 6 und Art. 2 GG überwiegt das öffentliche Interesse an einer Ausweisung des Klägers aus dem Bundesgebiet.
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Die Ausweisung des Klägers erweist sich daher als rechtmäßig.
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2. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Nach Satz 2 darf der Ausländer infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist im Falle der Ausweisung das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist somit zwingende Folge der in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids verfügten Ausweisung.
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Nach § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen, wobei die Frist mit der Ausreise beginnt. Diese allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist liegt gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG im Ermessen des Beklagten, darf aber nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG außer in den Fällen des § 11 Abs. 5 bis Abs. 5b AufenthG fünf Jahre nicht überschreiten. Gemäß § 11 Abs. 5 AufenthG soll die Frist zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Dabei besteht nach Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG die Möglichkeit, die Befristungsentscheidung zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung zu versehen, insbesondere einer nachweislichen Straffreiheit.
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Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Höchstfrist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und ggf. relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen (BVerwG, U.v. 6.3.2014 - 1 C 2.13, BeckRS 2014, 49495, Rn. 12; U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.1, BeckRS 2012, 56736, Rn. 42).
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Gemessen daran ist die vorgenommene Befristungsentscheidung nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat die aus § 11 AufenthG resultierenden Vorgaben beachtet, das ihm hinsichtlich der Länge der Frist eingeräumte Ermessen erkannt und bei seiner Ausübung weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Der Beklagte stützt die Fristfestlegung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 3 und Abs. 5 AufenthG auf die Straftaten und die Wiederholungsgefahr im Fall des Klägers auch unter Berücksichtigung der Bleibeinteressen des Klägers, insbesondere aus der Beziehung zu seiner Verlobten, welche der Beklagte in nicht zu beanstandender Weise geringer gewichtet.
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Die Bedingung einer nachweislichen Straffreiheit wurde im Hinblick auf die erhebliche Straffälligkeit des Klägers aufgenommen.
53
Die Befristung der Wirkung der Ausweisung auf sieben Jahre im Fall der Nichterbringung des entsprechenden Nachweises ist nicht zu beanstanden. Die Verlängerung der Wiedereinreisesperre für den Fall, dass die Straffreiheit nicht nachgewiesen werden sollte, wurde zutreffend damit begründet, dass ansonsten die Begehung weiterer Delikte zu befürchten ist.
54
3. Die Androhung der Abschiebung unmittelbar aus der Haft heraus in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Der Kläger ist gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG kraft Gesetzes zur Ausreise verpflichtet, da er keinen Aufenthaltstitel besitzt. Sein Asylantrag wurde rechtskräftig abgelehnt. Darüber hinaus wurde er nach Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides ausgewiesen.
55
Bereits der Umstand, dass sein Asylantrag unanfechtbar abgelehnt wurde, hat zur Folge, dass der Kläger gemäß § 58 Abs. 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig ist.
56
Gemäß § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG bedarf die Abschiebungsandrohung in den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG keiner Fristsetzung; der Ausländer wird direkt aus der Haft heraus abgeschoben. Nachdem sich der Kläger zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe in der JVA Würzburg befindet, bedurfte es nach § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG keiner Fristsetzung.
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Auch die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 Satz 2 des angegriffenen Bescheides für den Fall, dass die Abschiebung aus der Haft heraus nicht möglich sein sollte, ist rechtmäßig.
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Rechtsgrundlage der Abschiebungsandrohung ist insofern § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 59 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG. Die Länge der eingeräumten Ausreisefrist von dreißig Tagen wahrt den in § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorgegebenen Rahmen zwischen sieben und dreißig Tagen.
59
Schließlich stehen etwaige Abschiebungsverbote bzw. Duldungsgründe im Sinne des § 60a AufenthG dem Erlass der Abschiebungsandrohung wegen § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegen. Mit bestandskräftigem Bescheid des Bundesamts vom 29. Oktober 2021 wurde insbesondere festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen.
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Die Klage war daher abzuweisen.
61
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.