Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Beschluss v. 21.06.2021 – 13 T 5391/20
Titel:

Keine Kontrollbetreuung ohne Ausschluss der freien Willensbestimmung des Betreuten

Normenkette:
BGB § 1896 Abs. 1 lit. a, Abs. 3
Leitsätze:
1. Gegen den freien Willen eines Volljährigen darf ein Betreuer nicht bestellt werden. Daher muss vor der gegen den Willen des Betroffenen erfolgenden Bestellung festgestellt werden, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, seinen Willen frei zu bestimmen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Feststellungen zum krankheitsbedingten Ausschluss der freien Willensbestimmung müssen durch ein Sachverständigengutachten belegt sein (BGH BeckRS 2015, 19122 Rn. 12). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Diese Grundsätze gelten auch für die Einsetzung eines sog. Kontrollbetreuers (BGH BeckRS 2019, 13961 Rn. 15). Aus der Entscheidung des BGH vom 8.1.2020 (BeckRS 2020, 1776) ergibt sich nichts Anderes. (Rn. 28 und 47 – 54) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betreuer, Betreuung, Kontrollbetreuung, Generalvollmacht, freier Wille, Gutachten
Vorinstanz:
AG Erlangen, Beschluss vom 01.07.2020 – 5 XVII 1093/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 16.02.2022 – XII ZB 355/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 49701

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Erlangen vom 01.07.2020, Az. 5 XVII 1093/19 (Anordnung der Kontrollbetreuung/Bestellung eines Kontrollbetreuers; Bl. 271 d. A.), aufgehoben.
Das Kontrollbetreuungsverfahren wird eingestellt.
2. Eine Kostenauferlegung bzw. Kostenerstattung findet nicht statt.
3. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Betroffene wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Anordnung der Kontrollbetreuung.
2
Mit notarieller General- und Vorsorgevollmacht vom 21.03.2013 erteilte die Betroffene ihrem Sohn und Bevollmächtigten Dr. O. R2. die Befugnis, sie ab sofort in allen Vermögensangelegenheiten und alle persönlichen Angelegenheiten in jeder Weise zu vertreten, soweit eine Vertretung gesetzlich zulässig ist.
3
Unter Ziff. 3. (“Betreuungsverfügung“) der General- und Vorsorgevollmacht vom 21.03.2013 wurde bestimmt, dass die Vollmacht der Vermeidung einer Betreuung diene und der Anordnung einer Betreuung vorgehe und der Bevollmächtigte nicht den gesetzlichen Beschränkungen eines Betreuers unterliege. Ein Kontrollbetreuer (§ 1896 Abs. 3 BGB) soll nur bestellt werden, wenn dem Gericht konkrete Tatsachen über den Missbrauch der Vollmacht offengelegt werden.
4
Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten, Rechtsanwälte M1., vom 18.07.2019 bat die Tochter der Betroffenen und Antragstellerin Frau S. G. beim Amtsgericht Erlangen um Bestellung eines gerichtlichen Betreuers für die Betroffene (Bl. 1 d. A.). Zur Begründung führte sie im Westlichen aus, dass im Rahmen der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs nach dem am 17.03.2019 verstorbenen Ehemann der Betroffenen, Herrn H2. R2., unmittelbare oder mittelbare Vermögensverschiebungen zugunsten des Bevollmächtigten festgestellt worden seien, wodurch das umfangreiche Vermögen durch die Bevollmächtigten völlig aufgebraucht worden sei. Außerdem wurde dem Bevollmächtigten gegenüber eine Verwahrlosung der Betroffenen erhoben.
5
Im weiteren Verlauf beantragte die Tochter der Betroffenen mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 23.09.2019 (Bl. 30 d. A.) die Anordnung der Betreuung für die Betroffene für sämtliche Angelegenheiten und hilfsweise die Bestellung eines Berufsbetreuers als Kontrollbetreuer gemäß § 1896 Abs. 3 BGB.
6
Hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Schreiben der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin vom 18.07.2019 (Bl. 1 ff d. A.) und 23.09.2019 (Bl. 30 ff d. A.) Bezug genommen.
7
Mit handschriftlichem Schreiben vom 12.08.2019 (Bl. 21 d. A.) nahm die Betroffene dahingehend Stellung, dass sie mit Verwunderung das (die Betreuungsanregung übermittelnde gerichtliche) Schreiben vom 22.07.2021 erhalten habe. Die „Anregung“ habe wohl die Erbauseinandersetzung in der Familie gegeben. Eine Betreuung lehne sie genauso ab wie eine ärztliche Untersuchung. Sie sei sehr wohl Herr ihrer Sinne und in der Lage, sich um ihre Angelegenheiten selbst zu kümmern. Außerdem habe sie ihrem Sohn Dr. O. R2. schon vor Jahren eine umfassende Vollmacht erteilt.
8
Mit Schreiben vom 14.11.2019 (Bl. 51 d. A.) zeigte sich der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen, Rechtsanwalt E2., für die Betroffene an und gab mit weiterem Schreiben vom 02.12.2019 unter Vorlage verschiedener Unterlagen (Bl. 56 ff d. A.) eine Stellungnahme ab, in der er sich gegen die Errichtung einer Betreuung wendete.
9
Mit Verfügung vom 16.12.2019 (Bl. 60 d. A.) vermerkte die zuständige Betreuungsrichterin des Amtsgerichts Erlangen, dass aufgrund der nun vorliegenden Stellungnahme des Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen derzeit keine Verwahrlosungstendenzen bestünden und allenfalls die Bestellung eines Kontrollbetreuers in Betracht käme, wofür der Rechtspfleger zuständig sei. Anschließend wurde die Akte dem Rechtspfleger zur weiteren Veranlassung zugeleitet.
10
Im weiteren Verlauf lehnte das Amtsgericht Erlangen förmlich mit Beschluss vom 01.04.2020 (Bl. 170 d. A.) die Anordnung einer Betreuung ab, stellte hierbei jedoch klar, dass die Entscheidung über die Bestellung eines Kontrollbetreuers hiervon unberührt bleibe.
11
Am 17.02.2020 wurde die Betroffene (in Anwesenheit ihres Verfahrensbevollmächtigten) durch den zuständigen Rechtspfleger des Amtsgerichts Erlangen zur Frage der Anordnung einer Kontrollbetreuung persönlich angehört (Bl. 119 ff d. A.).
12
Im Auftrag des Amtsgerichts Erlangen (Rechtspfleger) vom 18.02.2020 (Bl. 158 d. A.) erstattete der Sachverständige Dr. med. H3. R3. ein neurologischpsychiatrisches Zeugnis über die Betroffene zur Frage des Vorliegens der medizinischen Voraussetzungen der Einrichtung einer Kontrollbetreuung. Hierin kam der Sachverständige im Wesentlichen zu der Feststellung, dass bei der (damals) 90-jährigen Betroffenen sich keine Hinweise auf das Vorliegen einer psychischen Erkrankung, einer geistigen oder seelischen Behinderung ergebe. Körperlich sei eine Gehunsicherheit (Rollatornutzung) festzustellen, deren die Betroffene sich bewusst sei, sodass sie mit Vorsicht der Sturzgefährdung vorbeugen könne.
13
Die Betroffene sei in der Lage, den Willen frei zu bilden und zu äußern. Sie sei aus psychiatrischer Sicht als geschäftsfähig zu erachten und in der Lage, die von ihr erteilte Vollmacht zu kontrollieren oder zu widerrufen, die Bedeutung einer von ihr abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.
14
Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 28.05.2020 teilte die Antragstellerin unter Verweis auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 08.01.2020, XII ZB 368/19 mit, dass die Einrichtung einer Kontrollbetreuung verhältnismäßig und ganz offensichtlich dringend geboten sei und beantragte ferner, dem Kontrollbetreuers zusätzlich den Aufgabenkreis des Widerrufs der vorliegenden General- und Vorsorgevollmacht zu übertragen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Schreibens vom 28.05.2020 (Bl. 249 d. A.) Bezug genommen.
15
Ergänzend wurde seitens der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 10.06.2020 (Bl. 258 d. A.) vorgetragen und mit weiterem Schriftsatz vom 15.06.2020 ein Schreiben der Betroffenen an die Kriminalpolizei Erlangen K3 vom 11.05.2020 (Bl. 262 d. A.) vorgelegt, in dem diese erklärt hat, sie sehe keinen Grund wegen „der hier gemachten, falschen Vorwürfe“ und stelle keinen Strafantrag gegen ihren Sohn.
16
Mit (hier angegriffenem) Beschluss vom 01.07.2020 (Bl. 271 d.A.) ordnete das Amtsgericht Erlangen durch den zuständigen Rechtspfleger die Kontrollbetreuung für die Betroffene an und bestellte den Berufsbetreuer Rechtsanwalt T. M2. zum Kontrollbetreuer mit den Aufgabenkreisen „Kontrolle des Bevollmächtigten Dr. O. R2. sowie Widerruf der notariellen General- und Vorsorgevollmacht vom 21.03.2013“.
17
Seine Entscheidung begründete das Amtsgericht Erlangen im Wesentlichen damit, dass die Errichtung der Kontrollbetreuung erforderlich gewesen sei. Zur Überzeugung des Gerichts lägen nicht nur Anhaltspunkte, sondern tatsächlich handfeste Beweise und somit auch konkrete Tatsachen vor, die in jedem Fall die Redlichkeit des Bevollmächtigten stark bezweifeln ließen und somit eine Anordnung einer Kontrollbetreuung rechtfertigten. Der Bevollmächtigte schotte die Betroffene quasi gegen äußere Einflüsse regelrecht ab, die Betroffene wohne im Obergeschoss der P2. Straße, bewege sich ausschließlich mit dem Rollstuhl fort. Er sei es daher nicht möglich, selbständig ohne Hilfe des Bevollmächtigten zum Beispiel in die Nähe des Briefkastens zu gelangen oder allein das Haus zu verlassen. In dieser speziellen Konstellation sei es der Betroffenen von den örtlichen Gegebenheiten her nur schwer möglich, den Bevollmächtigten wirksam zu überwachen. Aus den Angaben der Betroffenen im Rahmen der persönlichen Anhörung vom 17.02.2020 wie auch aus dem Protokoll der Anhörung im Nachlassverfahren des Hartmut Reichold vom 25.05.2020 werde deutlich, dass die Betroffene keinerlei Überblick über ihr ehemaliges Vermögen habe, sie in die Entscheidung des Vollmachtnehmers nicht einbezogen worden sei. Und wenn sie einbezogen worden sei, dann sei zur Überzeugung des Gerichts dargestellt, dass sie teils mit unwahren Informationen versorgt worden sei, die ihr das Gefühl geben sollten, es sei alles in Ordnung. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses des Amtsgerichts Erlangen vom 01.07.2020 Bezug genommen.
18
Mit am 04.08.2020 bei Gericht eingegangenem Schreiben vom selben Tag legte der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen in deren Namen und Auftrag gegen den - ihm am 04.07.2021 zugestellten - Beschluss des Amtsgerichts Erlangen (Rechtspfleger) vom 01.07.2020 Beschwerde ein verbunden mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und keine Kontrollbetreuung anzuordnen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass in der angefochtenen Entscheidung außer Betracht geblieben sei, dass bei der Betroffenen keinerlei gesundheitliche Einschränkungen im Sinne des§ 1896 Abs. 1 BGB bestünden, dass sich das Amtsgericht nicht im gebotenen Maße mit der Frage auseinandergesetzt habe, ob die von dem Bevollmächtigten getätigten Vermögensverfügungen überhaupt dem Interesse der Betroffenen zuwiderliefen. Alle Vorgänge seien immer mit ihr abgestimmt worden. Vorliegend sei es nicht der Fall, dass die Betroffene die Wahrnehmung ihrer Überwachungs- und Rechnungslegungsrechte gegenüber dem Bevollmächtigten nicht mehr selbst durchführen könne. Nach dem Befundergebnis des Herrn Dr. med. H3. R3. vom 08.05.2020 bestünden keine Hinweise auf das Vorliegen einer psychischen Erkrankung sowie einer geistigen und seelischen Behinderung. An der Geschäftsfähigkeit, Einsichtsfähigkeit und Testierfähigkeit der Betroffenen hätte sich aus fachärztlicher Sicht keinerlei Zweifel ergeben. Die Bestellung eines Kontrollbetreuers gegen den Willen des einsichtsfähigen Volljährigen sei jedoch grundsätzlich ausgeschlossen. Selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellen wollte, dass der Bevollmächtigte hier mit einem Teil seiner Handlungen die Vermögensinteressen der Betroffene nicht in ausreichendem Maße gewahrt hat, bleibe es doch dabei, dass die Betroffene, wenn sie dies denn überhaupt wollte, jederzeit selbst in der Lage wäre, die Vollmacht vom 31.03.2013 zu widerrufen. Ein dahingehender Grund bestehe jedoch offenbar nicht.
19
Mit Beschluss des Amtsgerichts Erlangen vom 18.08.2020 half der Rechtspfleger des Amtsgerichts Erlangen der Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss vom 01.07.2020 nicht ab und legte die Akten dem Landgericht Nürnberg-Fürth als zuständigem Rechtsmittelgericht zur Entscheidung vor (Bl. 287 d. A.).
20
Mit Verfügung des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 11.05.2021 (Bl. 292 d. A.) wurden der Kontrollbetreuer und die Betreuungsstelle um Stellungnahme zur Beschwerde der Betroffenen gebeten.
21
Die Betreuungsstelle gab mit Schreiben vom 31.05.2021 (Bl. 298 d. A.) eine Stellungnahme ab, der Kontrollbetreuer mit Schreiben vom 04.06.2021 (Bl. 300 d. A.).
22
Mit Verfügung vom 07.06.2021 (Bl. 302 d. A.) wies die Kammer die Verfahrensbeteiligten darauf hin, dass der hier angefochtene Beschluss vom 01.07.2020 über die Anordnung der Kontrollbetreuung auf die Beschwerde der Betroffenen hin aufzuheben sein dürfte vor dem Hintergrund, dass keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Betroffene zur freien Willensbestimmung nicht in der Lage wäre. Die Verfahrensbeteiligten erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Hinweis.
23
Mit Schreiben vom 17.06.2021 teilte der Kontrollbetreuer mit, dass aus seiner Sicht keine Einwände gegen die in der Verfügung vom 07.06.2031 aufgeführten Argumente bestünden.
24
Mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 17.06.2021 beantragte die Betroffene erneut, den Beschluss vom 01.07.2020 aufzuheben und aufgrund der im Verlaufe des Verfahrens gewonnenen Erkenntnisse der Beteiligten Sigrun Gerg gemäß § 81 Abs. 1 S. 1 FamFG die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Betroffenen Gisela Reichold aufzuerlegen, da der Antragstellerin sowohl der gesundheitliche Zustand ihrer Mutter als auch die sonstigen tatsächlichen Verhältnisse von Beginn an bekannt gewesen seien; es lägen sogar die Voraussetzungen des § 81 Abs. 2 Nr. 2 FamFG vor.
25
Zur Vervollständigung des Sachverhalts wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze und sonstigen Unterlagen sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
II.
26
Die Beschwerde der Betroffenen ist zulässig und führte daher - da sie auch in der Sache Erfolg hat - zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses vom 01.07.2021 und zur Einstellung des Kontrollbetreuungsverfahrens.
27
1. Nach § 1896 Abs. 3 BGB kann ein Betreuer auch zur Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigten bestellt werden. Mit dieser so genannten Kontrollbetreuung kann im Falle einer wirksam erteilten Vorsorgevollmacht für eine Kontrolle des Bevollmächtigten gesorgt werden, wenn der Vollmachtgeber aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht mehr in der Lage ist, den Bevollmächtigten zu überwachen und gegebenenfalls die Vollmacht zu widerrufen (vgl. BGH NJW-RR 2020, 449 Rn. 9 [mit weiteren Nachweisen]).
28
Nach § 1896 Abs. 1 a BGB darf gegen den freien Willen eines Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Daher muss vor der gegen den Willen des Betroffenen erfolgenden Bestellung festgestellt werden, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, seinen Willen frei zu bestimmen. Dies gilt auch, soweit - wie hier mit Beschluss vom 01.07.2020 erfolgt - ein Kontrollbetreuer eingesetzt wird (vgl. BGH NJW-RR 2016, 579 [Rn. 9]; NJW-RR 2016, 385 [Rn 12]; NJW-RR 2018, 642 [Rn. 6]; NJW-RR 2019, 1027 [Rn. 15]).
29
Die Feststellungen zum krankheitsbedingten Ausschluss der freien Willensbestimmung müssen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch ein Sachverständigengutachten belegt sein (BGH NJW-RR 2016, 385 [Rn. 12]; FamRZ 2014, 1626 [Rn. 14] und NJW-RR 2014, 772 [Rn. 9] mit weiteren Nachweisen).
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2. Die Voraussetzungen für die Anordnung der Kontrollbetreuung sind vorliegend nicht gegeben.
31
Es kann an dieser Stelle mangels Entscheidungserheblichkeit dahingestellt bleiben, ob die Kontrollbetreuung tatsächlich - wie vom Amtsgericht im angefochtenen Beschluss angenommen - erforderlich war. Denn jedenfalls mangelt es an der für die Anordnung der Kontrollbetreuung notwendigen weiteren Voraussetzung des Fehlens der Fähigkeit der Betroffenen zur freien Willensbestimmung.
32
a) Die Betroffene ist zur freien Willensbestimmung in der Lage und geschäftsfähig.
33
Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus dem vom Amtsgericht erholten neurologischpsychiatrischen Zeugnis des Sachverständigen Dr. med. H3. R4. vom 08.05.2020. Hierin kam der Sachverständige im Rahmen der Prüfung der medizinischen Voraussetzungen der Einrichtung einer Kontrollbetreuung aufgrund der im ärztlichen Zeugnis im Einzelnen bei der Betroffenen durchgeführten Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass sich keine Hinweise auf das Vorliegen einer psychischen Erkrankung, einer geistigen oder seelischen Behinderung der Betroffenen ergeben hätten. Die Betroffene sei in der Lage, den Willen frei zu bilden und zu äußern. Sie sei aus psychiatrischer Sicht als geschäftsfähig zu erachten. Sie sei in der Lage, die von ihr erteilte Vollmacht zu kontrollieren oder zu widerrufen. Ferner sei sie in der Lage, die Bedeutung einer von ihr abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Sie sei als testierfähig zu erachten. Körperlich sei eine Gehunsicherheit (Rollatornutzung) festzustellen, deren die Betroffene sich bewusst ist, sodass sie mit Vorsicht der Sturzgefährdung vorbeugen könne.
34
Es bestehen keinerlei Zweifel an der Richtigkeit der Ausführungen des Sachverständigen Dr. R3., der als Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut auch über die für die Beurteilung der Betreuungsvoraussetzungen erforderliche Sachkunde und Erfahrung verfügt. Insbesondere wurden im Gutachten die Angaben der Betroffenen auf die ihr gestellten Fragen im Einzelnen wiedergegeben und die Ergebnisse der durchgeführten Testverfahren dargestellt.
35
Nach alledem ist davon auszugehen, dass die Betroffene geschäftsfähig und zur freien Willensbildung in der Lage ist.
36
Daran hat sich auch im weiteren Verlauf nichts geändert.
37
So hat die Betreuungsstelle in ihrer Stellungnahme vom 31.05.2021 unter anderem berichtet, dass eine Mitarbeiterin der Betreuungsstelle die Betroffene am 31.05.2021 zu Hause aufgesucht und mit ihr ein Gespräch geführt habe. Die Betroffene habe unter anderem erklärt, dass sie sich sehr wohl fühle, sie unbedingt wolle, dass ihr Sohn die Vollmacht weiterhin ausübe. Es könne ihr nicht besser gehen. Auch im weiteren Verlauf des Gesprächs habe die Betroffene, auf die Vollmacht angesprochen, erneut erklärt, dass sie sich gut umsorgt fühle und keine Änderung der Vollmacht wünsche.
38
Die Betreuungsstelle kam zu der Einschätzung, dass sich nach ihrer Einschätzung nach Einsicht in die Gerichtsakte Zweifel ergeben hätten, ob die Eheleute in vollem Umfang gewusst haben, inwieweit Dr. O. R2. die Vollmacht ausgeübt habe, Vermögen von insgesamt 3,5 Millionen € verkauft und überschrieben habe. Zumindest teilweise könne es den Eheleuten nicht entgangen sein, dass Umbauten auf dem Grundstück vorgenommen worden seien und hier wohl Einverständnis bestanden haben dürfte. Mit Hilfe eines Kontrollbetreuers ließe sich das überschriebene und verkaufte Vermögen wohl auch nicht wieder beschaffen. Eine widerrufene Vollmacht könnte unmittelbar nach Widerruf von der Betroffenen erneut erteilt werden.
39
In dem kurzen Gespräch mit der Betroffenen vom 31.05.2021 hätten keine Zweifel an der Orientiertheit der Betroffenen festgestellt werden können. Die Betroffene wünsche weiterhin die rechtliche Vertretung durch den Sohn, Dr. O. R2. Die Frage nach dem Widerruf der Vollmacht verneine sie.
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Damit ist zur Überzeugung der Kammer auch weiterhin von der Fähigkeit der Betroffenen zur freien Willensbestimmung und von ihrer Geschäftsfähigkeit auszugehen.
41
b) Die Betroffene lehnt die Kontrollbetreuung nach wie vor ab.
42
So hatte die Betroffene bereits in ihrem früheren Schreiben vom 12.08.2019 (Bl. 21 d. A.) die Errichtung einer Betreuung abgelehnt.
43
Im Einklang hiermit berichtete auch der Sachverständige Dr. R3. im Gutachten vom 08.05.2020 (Bl. 244 d. A.), dass die Betroffene im Rahmen der Exploration zur Frage der jetzigen Pflege des Anwesens angegeben habe, dass der Sohn O. es gut mache, er die Vollmacht 2013 vom Ehemann und von ihr bekommen habe, er alles nach ihrem Wunsch erledige, es keinen Streit gebe.
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Auch in dem - seitens der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin vorgelegten - Schreiben der Betroffenen vom 11.05.2020 an die Kriminalpolizeiinspektion Erlangen K3 (Bl. 262 d. A.) hat die Betroffene erklärt, keinen Grund wegen der hier gemachten, falschen Vorwürfe zu sehen und keinen Strafantrag gegen ihren Sohn zu stellen. Die Schenkung der Immobilien an den Verein Stadtgarten 25 e.V. hätten ihr Mann und sie bekanntlich 13 T 5391/20 - Seite 9 - testamentarisch verfügt. Vom Verkaufserlös der Berliner Wohnungen hätten sie die Darlehen abbezahlt und die Sanierungsmaßnahmen am Haus ausbezahlt, die im Hinblick auf die Pflege im Alter notwendig gewesen seien.
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Auch aus den oben genannten Schreiben der Betreuungsstelle vom 31.05.2021 geht sinngemäß hervor, dass sie auch aktuell eine Kontrollbetreuung nicht wünscht.
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Aufgrund der gegebenen Geschäftsfähigkeit und des der Kontrollbetreuung entgegenstehenden freien Willens der Betroffenen sind die Voraussetzungen für die Errichtung der Kontrollbetreuung nicht gegeben.
47
c) Abweichendes ergibt sich nach Ansicht der Kammer auch nicht aus dem im Beschluss des Amtsgerichts vom 01.07.2020 zitierten Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 08.01.2020 - VII ZB 368/19, NJW-RR 2020, 449).
48
aa) Dort hatte der Bundesgerichtshof - ohne das Postulat zu erwähnen, dass gegen den freien Willen eines Volljährigen auch eine Kontrollbetreuung nicht angeordnet werden darf (§ 1896 Abs. 1a BGB) - ausgeführt, dass eine Kontrollbetreuung wie jede andere Betreuung (vgl. § 1896 Abs. 2 S. 1 BGB) nur dann eingerichtet werden darf, wenn sie erforderlich ist.
49
Hierzu hatte der Bundesgerichtshof folgendes ausgeführt:
„[Rn. 10] Da der Vollmachtgeber die Vorsorgevollmacht gerade für den Fall bestellt hat, dass er seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann, um eine gerichtlich angeordnete Betreuung zu vermeiden, kann das Bedürfnis nach einer Kontrollbetreuung nicht allein damit begründet werden, dass der Vollmachtgeber aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr selbst in der Lage ist, den Bevollmächtigten zu überwachen. Denn der Wille des Vollmachtgebers ist auch bei der Frage der Errichtung einer Kontrollbetreuung zu beachten (vgl. § 1896 I a BGB). Daher müssen weitere Umstände hinzutreten, die die Errichtung einer Kontrollbetreuung erforderlich machen. Notwendig ist der konkrete, dh durch hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte untermauerte Verdacht, dass mit der Vollmacht dem Betreuungsbedarf nicht Genüge getan wird (Senat NJW-RR 2018, 1025 = FamRZ 2018, 1188 Rn. 24 mwN und NJW 2015, 3657 = FamRZ 2015, 2163 Rn. 15 mwN).
Rn. 11 Dies kann der Fall sein, wenn nach den üblichen Maßstäben aus der Sicht eines vernünftigen Vollmachtgebers unter Berücksichtigung des in den Bevollmächtigten gesetzten Vertrauens eine ständige Kontrolle schon deshalb geboten ist, weil Anzeichen dafür sprechen, dass der Bevollmächtigte mit dem Umfang und der Schwierigkeit der vorzunehmenden Geschäfte überfordert ist, oder wenn gegen die Redlichkeit oder die Tauglichkeit des Bevollmächtigten Bedenken bestehen. Ein Missbrauch der Vollmacht oder ein entsprechender Verdacht ist nicht erforderlich. Ausreichend sind konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Bevollmächtigte nicht mehr entsprechend der Vereinbarung und dem Interesse des Vollmachtgebers handelt (vgl. Senat NJW-RR 2018, 1025 = FamRZ 2018, 1188 Rn. 25 mwN).
Rn. 12 Soll dem Kontrollbetreuer auch der Aufgabenkreis Vollmachtwiderruf übertragen werden, setzt dies zusätzlich tragfähige Feststellungen voraus, dass das Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des Wohls des Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere befürchten lässt. Sind behebbare Mängel bei der Vollmachtausübung festzustellen, erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz grundsätzlich zunächst den Versuch, durch einen zu bestellenden (Kontroll-)Betreuer auf den Bevollmächtigten positiv einzuwirken, insbesondere durch Verlangen nach Auskunft und Rechenschaftslegung (§ 666 BGB) sowie die Ausübung bestehender Weisungsrechte. Nur wenn diese Maßnahmen fehlschlagen oder es aufgrund feststehender Tatsachen mit hinreichender Sicherheit als ungeeignet erscheint, drohende Schäden auf diese Weise abzuwenden, ist die Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf, der die ultima ratio darstellt, verhältnismäßig (Senat NJW 2015, 3657 = FamRZ 2015, 2163 Rn. 17 mwN).“
50
Auf Grundlage dieser Ausführungen hat das Amtsgericht im Rahmen seiner ausführlichen und sorgfältigen Begründung die Erforderlichkeit der Kontrollbetreuung bejaht.
51
bb) Aus den vorstehend zitierten Ausführungen des Bundesgerichtshofs ist nach Ansicht der Kammer allerdings nicht zu schlussfolgern, dass eine Kontrollbetreuung - entgegen der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in seinen früheren Entscheidungen und entgegen der gesetzlichen Regelung in § 1896 Abs. 1a BGB - nunmehr auch gegen den freien Willen eines Volljährigen eingerichtet werden könnte.
52
Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs beziehen sich insoweit lediglich auf das Merkmal der „Erforderlichkeit“ einer Kontrollbetreuung, wie die Bezugnahme auf § 1896 Abs. 2 S. 1 BGB zeigt.
53
Auch ist das Fehlen der Erwähnung des Verbots der Einrichtung einer Betreuung gegen den freien Willen (§ 1896 Abs. 1a BGB) in der vorgenannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs nach Ansicht der Kammer nicht dahingehend zu verstehen, dass der Bundesgerichtshof nunmehr auf dieses Postulat verzichtet. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass dessen Erwähnung im Rahmen der Entscheidung lediglich deshalb unterblieben war, da eine Geschäftsfähigkeit der Betroffenen im dort zugrunde liegenden Fall zum Zeitpunkt der Bestellung des Kontrollbetreuers nicht problematisch war und daher keine Veranlassung hierfür bestand. So geht insbesondere etwa aus den Gründen der vorgenannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs hervor, dass das Landgericht die Voraussetzungen für die Bestellung eines Kontrollbetreuers bejaht hatte und hierbei unter anderem ausgeführt hatte, dass die Ablehnung der Betroffenen gegen die Bestellung eines Kontrollbetreuers nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht auf einem freien Willen der Betroffenen beruhe (BGH NJW-RR 2020, 449 [Rn. 7]).
54
Nach alledem setzt die Anordnung einer Kontrollbetreuung nach wie vor nicht nur die Bejahung der Erforderlichkeit dieser Anordnung, sondern darüber hinaus auch das Fehlen eines entgegenstehenden freien Willens des Betroffenen voraus.
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cc) Auch der Kontrollbetreuer und die Betreuungsstelle teilen die Einschätzung der Kammer, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Kontrollbetreuung aktuell nicht vorliegen.
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So hat der Kontrollbetreuer in seiner aktuellen Stellungnahme vom 04.06.2021 ausgeführt, dass er nach Durchsicht der Akte, Durchführung weiterer Ermittlungen und Kontakte dem Bevollmächtigten der weiteren Mitglieder zweifellos mehr als ausreichende Anhaltspunkte dafür sehe, die die Besorgnis begründen würden, dass die Vollmacht nicht im Interesse der Betroffenen ausgeübt worden sei und dass die Betroffene aus tatsächlichen Gründen daran gehindert worden sei, die ordnungsgemäße Ausübung der Vollmacht zu kontrollieren. Unterstelle man, dass die Einschätzung des Dr. R3. zur Geschäftsfähigkeit und damit einhergehenden Fähigkeit zur Kontrolle des Bevollmächtigten zutreffend sei, sehe auch er, dass eine Kontrollbetreuung für den vorliegenden Fall nicht das geeignete Instrument sei. So sehr auch die Notwendigkeit bestehe, die ganze Vermögensverschiebung zivilrechtlich und strafrechtlich zu überprüfen, so wenig bestehe die Möglichkeit, dies aktuell im Rahmen der Kontrollbetreuung zu tun. Anders als im klassischen Fall einer Kontrollbetreuung würde der Widerruf der Vollmacht hier mit dem Gutachten des Dr. R3. nicht dazu führen, dass ein Betreuer eingesetzt werden könnte/würde, der die fehlende Kontrolle der Vollmachtgeberin nun ausüben könne. Von einem Widerruf der Vollmacht habe der Kontrollbetreuer abgesehen, da der wesentliche Schaden bereits eingetreten sei und durch den Widerruf nicht mehr hätte beseitigt werden können. Der seiner Meinung nach tatsächlich erhebliche Missbrauch der Vollmacht werde an anderer Stelle zu klären sein.
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Dementsprechend hatte auch die Betreuungsstelle in ihrer Stellungnahme vom 31.05.2021 ausgeführt, dass mithilfe eines Kontrollbetreuers sich das überschriebene und verkaufte Vermögen wohl auch nicht wieder beschaffen ließe und eine widerrufene Vollmacht unmittelbar nach Widerruf von der Betroffenen erneut erteilt werden könne.
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Nach alledem war auf die Beschwerde der Betroffenen der Beschluss vom 01.07.2020 über die Kontrollbetreuung aufzuheben und das Kontrollbetreuungsverfahren einzustellen.
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3. Es entsprach vorliegend billigem Ermessen im Sinne des § 81 Abs. 1 S. 2 FamFG, von der Kostenerstattung bzw. Kostenauferlegung abzusehen.
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Es verbleibt damit bei dem in den Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Grundsatz, dass jede Partei ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat.
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Insbesondere kam eine vom Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen mit Schriftsatz vom 17.06.2021 angeregte Auferlegung der Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Betroffenen auf die Antragstellerin gemäß § 81 Abs. 2 FamFG nicht in Betracht.
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Vor dem Hintergrund der in den Gründen des hier angefochtenen Beschlusses im Einzelnen dargelegten Anhaltspunkten für einen Missbrauch der Vollmacht durch den Bevollmächtigten kann weder davon ausgegangen werden, dass der Anlass für das seitens der Antragstellerin in Gang gesetzte Betreuungs- bzw. Kontrollbetreuungsverfahren auf einem groben Verschulden der Antragstellerin im Sinne des § 81 Abs. 2 Nr. 1 FamFG beruht, noch dass der (Kontroll-)Betreuungsanregung von vornherein die Aussicht auf Erfolg fehlte oder dies für die Antragstellerin erkennbar war (§ 81 Abs. 2 Nr. 2 FamFG).