Titel:
Fakultatives Widerspruchverfahren
Normenketten:
VwGO § 74, § 84 Abs. 4
BayAGVwGO aF Art. 15
Leitsatz:
Aus der Formulierung "entweder Wiederspruch eingelegt oder unmittelbar Klage erhoben" wird ist auch für einen Laien deutlich, dass er entweder einen längeren Verfahrensweg mit einem Widerspruchsverfahren oder einen kürzeren, unmittelbareren Weg der Klageerhebung hat. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Subvention, Mehrfachantrag, Cross-Compliance (CC)-Verstoß, Verwaltungspraxis, Rechtsbehelfsbelehrung, Widerspruch, Klage, Frist
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 08.03.2022 – 6 ZB 21.2271
Fundstelle:
BeckRS 2021, 49507
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen die Kürzung landwirtschaftlicher Subventionen aufgrund Cross-Compliance (CC)-Verstößen.
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Der Kläger beantragte am 15. Mai 2019 mit Mehrfachantrag verschiedene landwirtschaftliche Subventionen für das Jahr 2019.
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Mit Bescheid vom 10. Dezember 2019 wurden ihm daraufhin vom * Direktzahlungen in Höhe von 98.092,00 EUR gewährt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass ein Verstoß oder mehrere Verstöße gegen die Cross-Compliance-Vorschriften (CC) festgestellt worden sei. Auf den entsprechenden Prüfbericht werde verwiesen. Es entspreche bei derartigen Fällen der ständigen Verwaltungspraxis, die Beihilfezahlungen um 35% zu kürzen. Besondere Umstände, die ein Abweichen von dieser Regeleinstufung rechtfertigen würden, seien nicht ersichtlich. Ausweislich der dem Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung konnte gegen diesen Bescheid innerhalb eines Monats nach seiner Bekanntgabe Widerspruch eingelegt oder unmittelbar Klage erhoben werden. Der Bescheid wurde ausweislich der Postauslaufliste des * am 7. Januar 2020 versandt.
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Dagegen ließ der Kläger mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2020, bei Gericht mit Fax am gleichen Tag eingegangen, Klage erheben und beantragen,
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1. den Bescheid des * vom 10. Dezember 2019, Az., auf zuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Antrag des Klägers vom 15. Mai 2019 ohne Kürzungen neu zu bescheiden,
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2. hilfsweise den Bescheid des * vom 10. Dezember 2019 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Antrag des Klägers vom 15. Mai 2019 unter besonderer Beachtung des Gerichts neu zu bescheiden.
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Der Bescheid sei nicht bestandskräftig geworden, weil die Rechtsbehelfsbelehrung rechtswidrig und somit falsch gewesen sei. Die Rechtsbehelfsbelehrung rekurriere eindeutig auf Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AGVwGO, wonach im Bereich des Landwirtschaftsrechts entweder Widerspruch eingelegt werden könne oder unmittelbar Klage zu erheben sei. Hier handele es sich jedoch nicht um einen Fall des Landwirtschaftsrechts, sondern um einen Fall des Tierschutzrechts. Im Übrigen sei die Vorschrift des Art. 15 AGVwGO Bayern verfassungswidrig. Für den Bürger sei nicht erkennbar, welcher Rechtsbehelf für ihn der günstigste sei. Andere Bundesländer seien den Weg gegangen, dass die Behörde selbst entscheiden könne, ob hier ein Widerspruch statthaft sein solle oder ob unmittelbar Klage erhoben werden könne, so beispielsweise in Niedersachen mit § 80 Abs. 3 NJG. Des Weiteren bestehe eine erhebliche Unbestimmtheit in Bezug auf die anzuwendenden Rechtsgebiete. Es sei nicht eindeutig, welchem Gebiet die jeweiligen Sachbereiche zugeordnet würden. Der Bürger müsse also erkennen, welcher Rechtsbehelf statthaft sei. Dabei seien sowohl Widerspruch als auch Klage gleichwertig nebeneinander aufgeführt. Es werde vollkommen unterlassen, darauf hinzuweisen, dass nach der Durchführung des Vorverfahrens, also nach Erheben des Widerspruchs, gleichwohl ein Klageverfahren durchgeführt werden könne. Dies werde aus der Rechtsbehelfsbelehrung nicht deutlich. Es bestehe keine Pflicht zur anwaltlichen Vertretung. Für den Laien sei der Umstand des gestuften Verfahrens und der Rangfolge der Rechtsbehelfe nicht bekannt. Ferner werde nicht deutlich, inwiefern Widerspruch oder Klage zur Niederschrift einzulegen sei. Bei Gericht dürfte dies die Geschäftsstelle sein. Der Hinweis fehle jedoch. Bei Verwaltungsbehörden, wie dem Landratsamt, sei dies völlig offen. Es sei nicht davon auszugehen, dass jeder Sachbearbeiter zur Entgegennahme von Widersprüchen befugt sei. Dem Rechtsuchenden sei es nicht zuzumuten, hier verschiedene Anlaufstellen aufzusuchen, bis schließlich die richtige Anlaufstelle gefunden worden sei. Auch der Hinweis auf die elektronische Einlegung sei nicht ausreichend. Hinweise seien zwar zulässig, diese müssten jedoch auch konkrete Hinweise darauf enthalten, wie der Rechtsbehelf eingelegt werde. Es reiche nicht aus, lediglich aufzuzeigen, welche Einlegung nicht zugelassen sei. Gerade auch der Hinweis auf die Homepage der Bayerischen Verwaltungsgerichtsbarkeit verfange hier nicht, da nicht unmittelbar auf die entsprechende Seite mit elektronischen Kommunikationsmitteln verwiesen werde, sondern auf die allgemeine Homepage der Bayerischen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Doch auch die Internetpräsenz des Landratsamtes * sei hier nicht geeignet, dem Rechtssuchenden Klarheit zu verschaffen, differenziere die Seite doch zwischen fondfreien Schreiben und fondgebundenen Schreiben. Ein Hinweis, um welches Schreiben es sich bei einem Widerspruch handle, fehle in der Rechtsbehelfsbelehrung.
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Der Beklagte beantragt,
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Der Bescheid sei am 7. Januar 2020 mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versandt worden. Er sei daher bereits seit 11. Februar 2020 bestandskräftig, da insbesondere auch kein Widerspruch erhoben worden sei. Die Klage sei daher zu spät eingereicht und somit unzulässig. Die Gewährung von Agrarzahlungen werde auch an die Einhaltung bestimmter Vorschriften geknüpft (Cross-Compliance). Verstöße dagegen würden zu Kürzungen führen. Hinsichtlich des Rechtsbehelfs sei nicht gegen das Bestimmtheitsgebot verstoßen worden. Abweichende Regelungen anderer Bundesländer würden die Verfassungsmäßigkeit von Art. 15 AGVwGO nicht berühren, da es sich um einen Bereich der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz handle. Alle erforderlichen Hinweise seien in der Rechtsbehelfsbelehrung enthalten. Es sei auch auf die richtige Ausgangsbehörde, das, und nicht das Landratsamt, hingewiesen worden. Die Internetpräsenz des Landratsamtes * spiele insoweit keine Rolle.
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Nach Anhörung der Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid wies die Kammer mit Gerichtsbescheid vom 25. März 2021 die Klage ab.
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Mit Schreiben vom 7. Mai 2021 beantragte der Kläger die Durchführung der mündlichen Verhandlung und führte ergänzend aus, dass sich die im Gerichtsbescheid zitierte Entscheidung des Bayrischen Verfassungsgerichtshofs vom 23. Oktober 2008 und der zitierte Beschluss des Bayerisches Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Januar 2011 gerade nicht mit der Frage befassen würden, inwieweit es für den rechtsunkundigen Betroffenen von Relevanz sei, dass auf eine Instanz verzichtet werde. Vorliegend gehe es um ein Verfahren einer parallel verlaufenden Rechtsbehelfseinlegung. Art. 15 AGVwGO stelle dem Rechtsanwender eine „Abkürzung“ zur Verfügung, indem er das Vorverfahren überspringen könne. Dies werde jedoch zu keinem Zeitpunkt deutlich. Eine taugliche Rechtsbehelfsbelehrung könne nur erfolgen, wenn auch dem rechtsunkundigen Betroffenen die Konsequenzen klar seien. Es sei eine Beschneidung der Rechte aus Art. 19 Abs. 4 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG anzunehmen. Etwas Anderes würde sich ergeben, wenn sich der Beklagte an die gesetzlich festgelegte Terminologie gehalten und den Begriff des Vorverfahrens verwendet hätte, woraus der Betroffene ein klares Stufenverhältnis hätte ausmachen können. Es werde angeregt, das Verfahren auszusetzen und eine Normkontrolle durchzuführen. Selbst wenn die Verfassungswidrigkeit von Art. 15 AGVwGO verneint werden würde, seien jedenfalls die Angaben in der Rechtsbehelfsbelehrung in der konkreten Ausgestaltung irreführend.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die vom Kläger erhobene Klage ist bereits unzulässig, da sie nicht fristgerecht gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO erhoben worden ist.
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Das Gericht verweist auf die Begründung des Gerichtsbescheids vom 25. März 2021, in dem die Sach- und Rechtslage ausführlich dargestellt und behandelt wurde, und sieht daher insoweit von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 84 Abs. 4 VwGO).
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1. Lediglich ergänzend wird zum Vorbringen der Klägerseite nach dem Gerichtsbescheid vom 25. März 2021 ausgeführt, dass auch nach Durchführung der mündlichen Verhandlung die Kammer der Auffassung ist, dass die Regelung zur teilweisen Abschaffung und im Übrigen fakultativen Ausgestaltung des Widerspruchsverfahrens in Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AGVwGO verfassungsgemäß ist. In seiner Entscheidung vom 23. Oktober 2008 hat sich der Bayerische Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH, E.v. 23.10.2008 - 10-VII 07 - juris Rn. 33ff./40) auch mit der im Übrigen fakultativen Ausgestaltung des Widerspruchsverfahrens befasst und ausdrücklich festgestellt, dass diese Regelung nicht gegen Vorschriften der Bayerischen Verfassung verstößt. Soweit der Bevollmächtigte des Klägers darauf hinweist, dass für den rechtsunkundigen Betroffenen nicht erkennbar sei, dass er bei dem Verfahren einer parallel verlaufenden Rechtsbehelfseinlegung bei entsprechender Wahl das Vorverfahren überspringt und somit eine „Instanz“ verliert, ist dies allenfalls eine Frage, ob die Rechtsbehelfsbelehrung ausreichend informiert, und keine Frage, die Einfluss auf die Verfassungsmäßigkeit der Regelung des Art. 15 AGVwGO hat.
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Entgegen der Auffassung der Klägerseite ist auch die konkrete Ausgestaltung der Rechtsbehelfsbelehrung im streitgegenständlichen Bescheid nicht fehlerhaft oder gar irreführend. Zwar wird dort nicht ausdrücklich erwähnt, dass es sich hier um einen Bereich des fakultativen Widerspruchverfahrens handelt. Aber bereits aus der Formulierung „entweder Wiederspruch eingelegt oder unmittelbar Klage erhoben“ wird auch für einen Laien deutlich, dass er die Möglichkeit einer „Abkürzung“ hat, in dem er „unmittelbar“ Klage erhebt. „Unmittelbar“ wird u.a. synonym zu „ohne Umweg“ oder „direkt“ verwendet (www.duden.de/Synonyme/unmittelbar). Auch für einen rechtsunkundigen Betroffenen müsste demnach klar ersichtlich sein, dass er entweder einen längeren Verfahrensweg mit einem Widerspruchsverfahren oder einen kürzeren, unmittelbareren Weg einschlagen kann, in dem er unmittelbar Klage erhebt. Und im Umkehrschluss ist daraus wiederum erkennbar, dass es auch einen Weg ohne „Abkürzung“ gibt, indem man vor Klageerhebung Widerspruch einlegen kann und somit erst „mittelbar“ zur Klagemöglichkeit gelangt.
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2. Die Kosten des Verfahrens trägt nach § 154 Abs. 1 VwGO der Kläger als unterlegener Teil.
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3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGOi. V.m. §§ 708 ff. ZPO.