Titel:
Hundezucht im Wohngebiet
Normenketten:
BauGB § 29
BayBO Art. 55 Abs. 1, Art. 76
Leitsätze:
1. Eine formell rechtswidrige Nutzung darf aus Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig nur dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Hundezucht ist keine Nutzungsform, die herkömmlicherweise von der Variationsbreite einer Wohnnutzung mit umfasst ist. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die bloße Hundehaltung ist nur in bestimmtem Umfang als Annex zur Wohnnutzung von der Variationsbreite umfasst und betrifft nur die nichtgewerbliche, dem Wohnen zu- und untergeordnete Haltung von Haustieren in den Wohnräumen. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
4. Wird die Variationsbreite der Wohnnutzung verlassen und ist das Vorhaben "Hundezucht" nicht offensichtlich genehmigungsfähig, muss die Bauaufsichtsbehörde im Rahmen einer Nutzungsuntersagung keine Prüfung nach den Maßstäben eines Baugenehmigungsverfahrens vornehmen. (Rn. 41 – 45) (redaktioneller Leitsatz)
5. Als Handlungsstörer ist bezogen auf die Nutzungsuntersagung derjenige anzusehen, der für die formell und materiell rechtswidrige Nutzung unmittelbar verantwortlich ist. Diese unmittelbare Verantwortlichkeit ist beim Betreiber der Hundezucht gegeben. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nutzungsuntersagung einer Hundezucht, Variationsbreite einer Wohnnutzung, Wohngebiet, Hundezwinger, Hundezucht, störender Gewerbebetrieb, Nutzungsuntersagung, Beseitigungsanordnung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 21.03.2022 – 9 ZB 21.3268
Fundstelle:
BeckRS 2021, 49505
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen einen Anordnungsbescheid der Beklagten vom 5. Mai 2020.
2
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstückes FlNr. …, Gemarkung … Das Grundstück ist bebaut mit einem Einfamilienhaus. Mit Bescheid vom 12. Juli 2019, geändert durch Bescheid vom 28. April 2020 wurde zuletzt der Anbau eines Wintergartens und die Errichtung einer Doppelgarage sowie eine Tektur über die Vergrößerung des zunächst beantragten Wintergartens genehmigt.
3
Anlässlich einer Ortseinsicht am 23. Juli 2019 stellte der Mitarbeiter der Bauordnungsbehörde der Beklagten fest, dass an der nördlichen und westlichen Grundstücksgrenze des streitgegenständlichen Anwesens insgesamt sieben Hundezwinger ohne Baugenehmigung errichtet wurden. Einem Internetauftritt www. …de war zum Abrufdatum 23. Juli 2019 zu entnehmen, dass durch den Kläger und die Klägerin im Verfahren AN 9 K 21.01795 … Zucht betrieben wurde. Die Homepage enthielt unter anderem eine Bestätigung des VDH (Verband für das Deutsche Hundewesen), wonach die Klägerin im Verfahren AN 9 K 21.01795 sei.
4
Züchterin im Verband für das Deutsche Hundewesen für die Rasse Mit Schreiben vom 7. August 2019 wurde der Kläger aufgefordert, die errichteten Hundezwinger bis zum 4. November 2019 zu beseitigen. Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, dass die Errichtung von sieben Hundezwingern und die Hundezucht in einem allgemeinen Wohngebiet planungsrechtlich unzulässig seien.
5
Anlässlich einer Kontrolle durch den Außendienst der Bauordnungsbehörde der Beklagten am 12. November 2019 wurde festgestellt, dass der Rückbau der Hundezwinger nicht erbracht worden sei.
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Mit Schreiben vom 13. Dezember 2019 wurde der Kläger als Eigentümer des streitgegenständlichen Anwesens und Betreiber der Zuchtstätte … aufgefordert, die Nutzung des Grundstückes als Hundezwinger bis zum 31. Dezember 2019 aufzulassen. Zudem wurde er aufgefordert, die sieben errichteten Hundezwinger mit einer Frist bis zum 31. Januar 2019 zu beseitigen. Zur Begründung wurde unter anderem darauf hingewiesen, dass das streitgegenständliche Anwesen in einem allgemeinen Wohngebiet liege. Die Hundezwinger, die dem Zuchtbetrieb dienten, widersprächen der Art der Nutzung des Gebietes. Es handele sich um einen störenden Gewerbebetrieb, welcher einer Hundezucht zuzuordnen sei. Weiterhin wurde auf die nicht eingehaltenen Abstandsflächen hingewiesen. Ebenfalls mit Schreiben vom 13. Dezember 2019 wurde die Klägerin im Verfahren AN 9 K 21.01795 als Betreiberin der Zuchtstätte aufgefordert, die Nutzung des Grundstückes als Hundezuchtstätte bis zum 31. Dezember 2019 aufzulassen und die sieben errichteten Hundezwinger bis zum 31. Januar 2019 zu beseitigen.
7
Mit E-Mail vom 16. Dezember 2019 teilte die Klägerin im Verfahren AN 9 K 21.01795 mit, dass die Hunde im Haus gehalten würden und die Zwinger nur zur temporären Haltung der Hunde von Frühjahr bis Herbst von einer Zeit von 8:00 bis 13:00 Uhr an Werktagen genutzt würden. Die Hunde befänden sich niemals über Nacht in den Zwingern. Es handele sich um eine reine Hobbyzucht, da maximal ein bis zwei Würfe pro Jahr stattfänden. Auch die Zucht finde im Wohnhaus statt, die Welpen seien nicht im Zwinger untergebracht, sondern in Wohnraum. Auch das Veterinäramt sowie das Ordnungsamt hätten keinerlei Einwände zur Haltung und Unterbringung der Hunde und Welpen. Sie sei gewillt, die überdachten Zwingerelemente so aufzubauen, dass sie dem Bauordnungsrecht entsprächen.
8
Mit E-Mail vom 19. Dezember 2019 teilte die Bauordnungsbehörde der Klägerin im Verfahren AN 9 K 21.01795 mit, dass sich aus planungsrechtlicher Sicht keine neuen Erkenntnisse ergeben hätten, die eine neue positive Beurteilung ergäben. Das Vorhaben sei planungsrechtlich weiterhin abzulehnen.
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Mit E-Mail vom 20. Januar 2020 teilte die Klägerin im Verfahren AN 9 K 21.01795 mit, dass die Hundezucht zurückgestellt werde, da sie ein Kind erwarteten. Sie bat um Überprüfung der Vorschläge bezüglich der Änderung der Zwingeranlage.
10
Laut einer E-Mail des Ordnungsamtes der Beklagten vom 20. Januar 2020 war zu diesem Zeitpunkt ein Antrag auf Hundezucht für die Klägerin im Verfahren AN 9 K 21.01795 beim Ordnungsamt anhängig.
11
Mit E-Mail vom 21. Januar 2020 teilte die Klägerin im Verfahren AN 9 K 21.01795 mit, dass die Zucht geschlossen werde und nicht mehr gezüchtet werde. Die Hunde seien alle beim Steueramt gemeldet und blieben Familienhunde, die im Hause lebten.
12
Mit E-Mail vom 7. Februar 2020 teilte die Bauordnungsbehörde der Klägerin im Verfahren AN 9 K 21.01795 mit, dass die Hundezucht, egal ob privat oder gewerblich, auf dem streitgegenständlichen Grundstück planungsrechtlich nicht zulässig sei und somit aufzulassen sei. Die errichteten Zwinger seien zu beseitigen.
13
Die Klägerin im Verfahren AN 9 K 21.01795 bat mit E-Mail vom 7. Februar 2020 um Überprüfung ihres Vorschlages, der eine Reduzierung der überdachten Fläche und eine Beschränkung auf drei Zwinger inklusive eingezäunter nicht überdachter Freifläche vorsehe.
14
Anlässlich einer Ortseinsicht am 18. März 2020 wurde festgestellt, dass die Hundezwinger nicht zurückgebaut worden waren.
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Mit Bescheid vom 5. Mai 2020 wurde dem Kläger in Ziffer 1 des Bescheides die ordnungswidrige Hundezucht auf dem Anwesen … … innerhalb einer Frist von einem Monat ab Unanfechtbarkeit dieses Bescheides untersagt, wobei der Kläger und die Klägerin im Verfahren AN 9 K 21.01795 als Gesamtschuldner verpflichtet wurden. Nach Ziffer 2 des Bescheides sind die an der nördlichen und westlichen Grundstücksgrenze ohne Baugenehmigung errichteten Hundezwinger innerhalb einer Frist von einem Monat ab Unanfechtbarkeit dieses Bescheides zu beseitigen, wobei ebenfalls der Kläger und die Klägerin im Verfahren AN 9 K 21.01795 als Gesamtschuldner verpflichtet sind. Für den Fall der Nichteinhaltung dieser Fristen wurde in Ziffer 3 ein Zwangsgeld in Höhe von insgesamt 3.050,00 EUR angedroht, dass sich bezüglich Anordnung Nr. 1 auf 1.050,00 EUR (150,00 EUR je Hundezwinger) und Anordnung Nr. 2 auf 2.000,00 EUR beläuft. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass das in Nr. 1 der Anordnung genannte Vorhaben nach Art. 55 i.V.m. Art. 57 BayBO genehmigungspflichtig sei. Da eine Genehmigung nicht vorliege, sei die Nutzung grundsätzlich formell illegal. Die formell rechtswidrige Nutzung als Hundezucht sei auch nicht öffentlich genehmigungsfähig. Sie verstoße gegen verschiedene planungsrechtliche Vorschriften. Das streitgegenständliche Anwesen liege in einem festgesetzten allgemeinen Wohngebiet. Die Hundezwinger widersprächen der Art der Nutzung des Gebietes. Die Hundezucht sei als störender Gewerbebetrieb einzuordnen. Ein solcher sei im festgesetzten allgemeinen Wohngebiet nicht zulässig und gemäß § 15 BauNVO nach der Eigenart des Gebietes dort unzumutbar. Die Anordnung auf Nutzungseinstellung sei in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens geboten, weil auch durch Änderungen kein den öffentlichrechtlichen Vorschriften entsprechender rechtmäßiger Zustand geschaffen werden könne und daher ein öffentliches Interesse an der Nutzungseinstellung bestehe. Das Vorhaben sei nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Der Internetauftritt informiere über die Hundezucht, somit sei von einer Nutzung auszugehen. Die Verpflichteten seien Betreiber der Hundezucht und somit als Handlungsstörer heranzuziehen. Bezüglich der errichteten Zwinger sei eine Grenzbebauung entstanden. Ein Grenzabstand werde nicht eingehalten. Das Vorhaben erfülle aufgrund der Gesamtlänge von insgesamt mehr als neun Metern nicht die Kriterien des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 und 2 BayBO und sei damit abstandsflächenpfichtig. Eine nachträgliche Genehmigung könne nicht erteilt werden und es könne auch nicht in anderer Weise ein den öffentlichrechtlichen Vorschriften entsprechender rechtmäßiger Zustand geschaffen werden. Die Beseitigung sei somit auch unter Berücksichtigung der Belange des Bauherrn in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens geboten.
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Ein Bescheid identischen Inhalts, gerichtet an die Klägerin im Verfahren AN 9 K 21.01795, erging ebenfalls am 5. Mai 2020.
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Mit Schriftsatz vom 5. Juni 2020 ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage erheben. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass Bedenken bestünden, ob die Beklagte als Bauordnungsbehörde sachlich zuständig sei für die Untersagung einer Hundezucht.
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Die Untersagung sei aber jedenfalls materiell rechtswidrig. Es bleibe unberücksichtigt, dass er bereits seit Jahren beanstandungsfrei eine Hundezucht ausgeübt habe. Auch die an das Grundstück des Klägers angrenzenden Nachbarn hätten keine Einwendungen gegen die Errichtung einer Außenzwingeranlage. Bei der Ortsbesichtigung am 23. Juli 2019 seien durch die Bauordnungsbehörde keinerlei Hinweise auf eine Hundehaltung, geschweige denn auf eine züchterische Aktivität festgestellt worden. Es habe keinerlei Indizien für eine Hundehaltung gegeben. Außerdem lägen keinerlei Beschwerden vor, die sich gegen die Hundehaltung, die Hundezucht oder die Zwingeranlage richteten. Da unbestritten in einem Wohngebiet die Hundehaltung an sich zulässig sei, bedürfe es genauerer Feststellungen, ob hier ein zu tolerierendes Maß überschritten werde. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Aufzucht im Wohnhaus unter Ausschluss emittierender Geräusche nach außen erfolge. Völlig unberücksichtigt bleibe bisher der teilweise Rückbau der Zwinger durch teilweise Entfernung der Dächer.
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Es sei nicht ersichtlich, woran die Beklagte den Charakter der Wohnumgehung als allgemeines Wohngebiet festmache. Es bestünden Bedenken, ob es sich tatsächlich um ein Wohngebiet oder nicht vielmehr um eine Mischnutzung wie in einem Dorfgebiet oder einem Mischgebiet handele. Da nur in einem sehr geringen Umfang gezüchtet werde, sei die zu besorgende Beeinträchtigung so geringfügig, dass von einer solchen nicht gesprochen werden könne. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass es sich um eine gewerblich betriebene Hundezucht handele. Es handele sich um eine Liebhaberzucht von …, die nicht genehmigungspflichtig im Sinne der Gewerbeordnung sei, da es sich nicht um eine auf Gewinnerzielungsabsicht angelegtes Unternehmen handele, sondern lediglich um eine - wenn überhaupt - kostendeckende Zucht. Es handele sich daher auch nicht um ein formal illegales Gewerbe. Die Haltung der Hunde erfolge ganz überwiegend im Wohnhaus. Ferner habe der Kläger die Hundezucht wegen eigenen Nachwuchses aufgegeben. Die Beklagte habe den Bescheid dennoch nicht zurückgenommen oder für erledigt erklärt.
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Die Beklagte habe vorliegend bereits bei der Frage des Erschließungsermessens fehlerhaft ermittelt. Zum einen habe der Kläger die Zwingeranlage teilweise bis auf zwei Zwinger zurückgebaut, damit sie bauordnungsrechtlichen Vorschriften entspreche. Nach Ansicht des Klägers wäre es geboten, sich zu vergewissern, ob überhaupt Emissionen zu verzeichnen seien. Die Hundehaltung in den Zwingern erfolge nur an wenigen Stunden tagsüber. Auch die Nutzungsuntersagen in Form einer Zuchtuntersagung sei hier unverhältnismäßig. Die Untersagung einer Liebhabertätigkeit greife in die grundrechtlich geschützte allgemeine Handlungsfreiheit ein und bedürfe einer übermäßigen Beeinträchtigung, um einen Eingriff zu rechtfertigen.
den Bescheid vom 5. Mai 2020 aufzuheben.
22
Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung wird unter anderem ausgeführt, dass eine Hundezucht ein Vorhaben i.S.d. § 29 BauGB sei, welches in Gebäuden stattfinde. Es sei unerheblich, wie lange die Kläger bereits ihre Hundezucht betrieben hätten und ob es Einwendungen der Nachbarn in der Zeit gegeben habe. Entscheidend sei, ob der Sachverhalt der Bauaufsichtsbehörde bekannt gewesen sei und ob die Behörde zu erkennen gegeben habe, auf ein bauaufsichtliches Einschreiten zu verzichten. Beides sei nicht der Fall gewesen. Die eigenen Feststellungen der Mitarbeiter beschränken sich nicht auf eine Ortseinsicht, Feststellungen zur Hundezucht seien auch anhand des Internetauftritts der Kläger getroffen worden. Es gebe auch Nachbarschaftsbeschwerden.
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Unzweifelhaft liege ein allgemeines Wohngebiet vor. Das Vorhaben des Klägers sei formell nicht genehmigt und somit nicht maßstabsbildend. Es sei unerheblich, ob eine Hundezucht gewerbsmäßig oder als Hobby betrieben werde. Für das Bauplanungsrecht seien die Auswirkungen des Vorhabens entscheidend, für die in typisierender Betrachtungsweise ein Störpotential im Hinblick auf die Wohnnachbarschaft angenommen werden könne. Dabei spiele es keine Rolle, ob sich die Hunde im Wohngebäude aufhielten oder in einem Zwinger. Es sei richtig, dass vor Erlass der streitgegenständlichen Bescheide die Überdachungen der Hundezwinger teilweise zurückgebaut worden seien und die Anzahl der in sich geschlossenen selbständigen Zwinger verringert worden sei. Es sei jedenfalls keine Anzeige des Rückbaus erfolgt. Die Zwingeranlage erscheine, vorbehaltlich der noch offenen Prüfung, als bauplanungsrechtlich unzulässig. Auch die Mitteilung, dass der letzte Wurf aus der Hundezucht im Jahr 2020 erfolgt sei und die Welpen danach abgegeben worden seien, sei erst nach Erlass des streitgegenständlichen Bescheides erfolgt. Vor Bescheiderlass sei lediglich angekündigt worden, dass die Zucht zurückgestellt werde bzw. die Zucht im Jahre 2020 geschlossen werde. Bei der Nutzungsuntersagung handele es sich um einen Dauerverwaltungsakt. Auf dem Anwesen würden weiterhin acht Hunde gehalten. Es sei zu berücksichtigen, dass bereits die Haltung von drei fortpflanzungsfähigen Hündinnen für eine gewerbsmäßige Zucht spreche. Somit sei die Haltung von fünf Hündinnen ein gewichtiges Indiz dafür, dass die Hundezucht nicht endgültig eingestellt worden sei.
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Mit Schriftsatz vom 8. März 2021 teilte der Klägerbevollmächtigte mit, dass nach wie vor die sachliche Zuständigkeit der Bauordnungsbehörde für die Zuchtuntersagung bestritten werde. Infolge der jahrelangen beschwerdefreien Nutzung des Grundstückes gingen die Störungen durch die Hundezucht nicht über das zu tolerierende Maß hinaus. Nach Einschätzung des Klägerbevollmächtigten handele es sich um eine Mischnutzung und nicht um ein allgemeines Wohngebiet. In ca. 300 m Entfernung vom Grundstück des Klägers verlaufe die Autobahn A; außerdem liege das Gebiet in der Einflugschneise des … Flughafens. Richtig sei, dass die Kläger insgesamt acht Hunde hielten, davon seien vier Weibchen in der Zuchtverwendung. Zwei Hündinnen seien an die Kläger zurückgekommen und dortgeblieben. Da die Hundehaltung selbst nicht untersagt worden sei, sei nicht ersichtlich, was die Beklagte damit ausdrücken wolle, dass mit den vorhandenen Hunden immer noch gezüchtet werden könnte. Im Rahmen der Ermessensausübung wäre es möglich und vorliegend auch geboten gewesen, zu einem milderen Mittel, wie etwa einer Beschränkung der Wurfanzahl, zu greifen. Die angegriffene Verfügung sei somit auch unverhältnismäßig. Die Klägerin im Verfahren AN 9 K 21.01795 habe eine Genehmigung nach § 11 Tierschutzgesetz beantragt. Diese sei auch bewilligt worden und die Kläger hätten nur auf einen Wurf gewartet, den sie für die praktische Prüfung benötigten. Die Bauordnungsbehörde habe jedoch das Ordnungsamt angeschrieben und mitgeteilt, dass den Klägern keine Hundezucht erlaubt sei. Daraufhin habe die Klägerin im Verfahren AN 9 K 21.01795 ein Schreiben erhalten, dass sie die Prüfung nicht ablegen dürfe.
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Im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Behördenakten. Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Entscheidungsgründe
27
Streitgegenstand ist nunmehr nur noch der Bescheid, soweit er dem Kläger die ordnungswidrige Hundezucht auf dem Anwesen … … untersagt, sowie die zugehörige Zwangsgeldandrohung in einer Höhe von 1.000,00 (auf den Kläger entfallender Anteil).
28
Die zulässige Klage ist unbegründet.
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1. Die Nutzungsuntersagung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
30
1.1 Die Nutzungsuntersagung findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 76 Satz 2 BayBO. Nach dieser Vorschrift kann die Nutzung untersagt werden, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlichrechtlichen Vorschriften genutzt werden. Eine Nutzung von Anlagen im Widerspruch zu öffentlichrechtlichen Vorschriften liegt bei einem genehmigungspflichtigen Vorhaben grundsätzlich schon dann vor, wenn das Vorhaben ohne Baugenehmigung ausgeführt wird. Allerdings darf eine formell rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist (vgl. BayVGH B.v. 16.2.2015 - 1 B 13.648 - juris; VG Ansbach U.v. 16.8.2018 - AN 9 K 17.02668 - juris).
31
1.2 Die Nutzungsuntersagung erweist sich auch als hinreichend bestimmt, insbesondere begegnet die Formulierung „ordnungswidrige Hundezucht“ keinen Bedenken. Eine genaue Festlegung beispielsweise auf eine bestimmte Anzahl von Hunden erscheint ohne nähere Angaben zu Betriebsabläufen und insbesondere auch Kenntnis entstehender Emissionen nicht machbar. Die insoweit gegebene Unschärfe belegt gerade die Notwendigkeit eines Genehmigungsverfahrens.
32
1.3 Die Nutzung des streitgegenständlichen Anwesens zur Hundezucht stellt eine Nutzung im Widerspruch zu öffentlichrechtlichen Vorschriften dar, da es sich um eine nicht genehmigte, aber genehmigungspflichtige Nutzungsänderung handelt (siehe 1.3.1), die auch nicht als verfahrensfrei einzustufen ist (siehe 1.3.2)
33
1.3.1 Die Nutzung des streitgegenständlichen Grundstückes für die Hundezucht stellt eine gem. Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar. Eine Nutzungsänderung im Sinne des Art. 55 Abs. 1 BayBO ist dann anzunehmen, wenn die einer jeden Nutzung eigene tatsächliche Variationsbreite überschritten wird und der neuen Nutzung eine andere Qualität zukommt als der bisherigen Nutzung. Eine Nutzungsänderung ist dabei auch dann gegeben, wenn der baulichen Anlage eine zusätzliche Zweckbestimmung gegeben wird (vgl. Decker in Busse/Kraus BayBO, Stand Mai 2021, Art. 55 Rn. 28).
34
Nach den vorliegenden Bauakten wurden bislang nur Änderungen bezüglich einer als Bestand vorhandenen Wohnnutzung genehmigt. So wurde unter dem Aktenzeichen … die Errichtung von zwei Dachgauben genehmigt, unter dem Aktenzeichen … die Erweiterung des Wohngebäudes und Errichtung einer Garage sowie unter dem Aktenzeichen … der Einbau einer Wohnung mit Errichtung eines Erkers.
35
Es wurde zuvor schon keine Tierhaltung im Allgemeinen, erst recht aber keine Hundezucht genehmigt.
36
Die Hundezucht ist auch keine Nutzungsform, die herkömmlicherweise von der Variationsbreite einer Wohnnutzung mit umfasst ist.
37
Bereits die bloße Hundehaltung ist nur in einem bestimmten Umfang als Annex zur Wohnnutzung von der Variationsbreite umfasst. Dies betrifft nur die nichtgewerbliche, dem Wohnen zu- und untergeordnete Haltung von Haustieren in den Wohnräumen selbst (siehe hierzu OVG Münster, U.v. 18.2.2016 - 10 A 985/14 - BauR 2016, 1123 Rn. 30 ff. zur Haltung von Papageien). Die jeweilige Hundehaltung ist nicht mehr von der Wohnnutzung umfasst, sobald sie den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbeschäftigung nach Art und Anzahl der Tiere überschreitet (siehe hierzu z.B. OVG Saarlouis, B.v. 18.4.2019 - 2 A 2/18 - juris). In der Rechtsprechung wird die Grenze dabei teilweise schon bei der Haltung von mehr als zwei Hunden im Rahmen des Wohnens gezogen (vgl OVG Saarlouis, B.v. 18.4.2019 - 2 A 2/18 - juris; VG Neustadt, U.v 18.1.2016 - 3 K 89ß/15 - juris Rn. 43).
38
Vorliegend erscheint es unter Zugrundelegung vorstehender Erwägungen bereits hinsichtlich der bloßen Haltung von acht Hunden auf dem streitgegenständlichen Anwesen äußerst fraglich, ob diese Hundehaltung noch einen Annex zur Wohnnutzung darstellen kann. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass die Hundehaltung nicht auf die Wohnräume beschränkt bleibt, sondern durch die Zwingeranlage im Garten auch die Außenflächen des Grundstückes betrifft. Von entscheidender Bedeutung ist aber, dass mit dem streitgegenständlichen Bescheid nicht schon die Hundehaltung an sich untersagt wurde, sondern die Hundezucht. Diese stellt sich aber erst recht nicht mehr als Annex zur Wohnnutzung dar. Es gilt insoweit bereits zu berücksichtigen, dass die Zahl der sich auf dem Grundstück befindlichen Hunde schon abhängig von der Häufigkeit der Würfe und der jeweiligen Wurfstärke in nicht vorhersehbarer Weise ansteigen kann. Weiterhin beschränkt sich die Welpenaufzucht auch nicht nur auf die Wohnräume, sondern erstreckt sich mit zunehmendem Alter der Welpen auch auf die Freiflächen.
39
Zudem ist angesichts der Zahl der Hündinnen und der dem von den Klägern betriebenen Facebook-Auftritt zu entnehmenden Zahl der Würfe von einer gewerblichen Zucht auszugehen. Zur Orientierung wird insoweit auf die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Tierschutzgesetzes vom 9. Februar 2000 zurückgegriffen, nach deren Nr. 12.2.1.5.1 die Voraussetzungen für ein gewerbliches Züchten bei einer Haltung von drei oder mehr fortpflanzungsfähigen Hündinnen oder drei oder mehr Würfen pro Jahr gegeben sind. Gründe, warum entgegen dieser Vorschrift hier nicht von einem gewerblichen Züchten auszugehen sein sollte, sind nicht ersichtlich.
40
Für das Jahr 2021 sind dem von den Klägern betriebenen Internetauftritt drei Würfe (H-, I- und J-Wurf) zu entnehmen, ein weiterer für Oktober 2021 geplanter scheiterte daran, dass die Hündin nicht tragend wurde. Nach den Angaben des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung werden gegenwärtig vier fortpflanzungsfähige Hündinnen auf dem Grundstück gehalten.
41
Dies führt in der Zusammenschau jedenfalls dazu, dass die Variationsbreite der Wohnnutzung verlassen wird und das Vorhaben als genehmigungspflichtig einzustufen ist.
42
1.3.2 Das Vorhaben stellt sich auch nicht als verfahrensfrei dar, da keiner der Tatbestände des Art. 57 BayBO einschlägig ist.
43
1.4 Die Anordnung der Nutzungsuntersagung erging auch ermessensfehlerfrei. Der durch Art. 76 Satz 2 BayBO der Behörde eingeräumte Ermessensspielraum bezieht sich zum einen darauf, ob die Behörde überhaupt einschreitet (sog. Handlungs- oder Entschließungsermessen) und zum anderen darauf, welches Mittel sie zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustands einsetzt und welchen Störer sie in Anspruch nimmt (sog. Auswahlermessen). Gem. § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Nach Art. 40 BayVwVfG hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Insbesondere ist die Nutzungsuntersagung verhältnismäßig, da gerade nicht von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit auszugehen ist (siehe hierzu 1.3.1). Ein milderes, ebenso effektives Mittel ist nicht erkennbar (siehe hierzu 1.3.2). Auch die Störerauswahl ist nicht zu beanstanden (siehe hierzu 1.3.3).
44
1.4.1 Die Nutzung „Hundezucht“ ist nicht offensichtlich genehmigungsfähig.
45
Lediglich bei einer offensichtlich genehmigungsfähigen Nutzung erweist sich eine dennoch verfügte Nutzungsuntersagung als ermessensfehlerhaft (siehe hierzu etwa BayVGH B.v. 4.8.2004 - 15 CS 04.1648 - juris; VG Ansbach B.v. 12.2.2020 - AN 3 S 19.02602). Die Bauaufsichtsbehörde muss im Rahmen einer Nutzungsuntersagung gerade keine Prüfung nach den Maßstäben eines Baugenehmigungsverfahrens vornehmen. Art. 76 Satz 2 BayBO soll gewährleisten, dass ein genehmigungspflichtiges Vorhaben nicht ohne die Durchführung des nötigen Genehmigungsverfahrens bestehen kann (siehe hierzu Decker in Busse/Kraus, BayBO Stand Mai 2021, Art. 76 Rn. 302).
46
Von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Dies gilt schon im Hinblick auf den nicht abschließend geklärten Gebietscharakter. Zudem fehlen für eine Beurteilung der Ausgestaltung des Zuchtbetriebs die üblicherweise in einer Betriebsbeschreibung enthaltenen Angaben.
47
1.4.2 Ein milderes, ebenso effizientes Mittel ist nicht ersichtlich. Insbesondere war aufgrund der fehlenden Betriebsbeschreibung und des noch nicht abschließend geklärten Gebietscharakters auch keine Beschränkung der Zucht auf ein noch zulässiges Maß vorzunehmen, da ein gegebenenfalls zulässiges Maß gerade erst unter Berücksichtigung der Erkenntnisse im Rahmen des Genehmigungsverfahrens ermittelt werden kann. Insoweit ist auf die bereits im Rahmen der Bestimmtheit getroffenen Aussagen zu verweisen.
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1.4.3 Die Störerauswahl der Beklagten begegnet keinen Bedenken.
49
Bauaufsichtsrechtliche Anordnungen richten sich an diejenige Person, die die sicherheitsrechtliche Verantwortung für den baurechtswidrigen Zustand trägt. Mangels spezialgesetzlicher Regelung ist für die Störerauswahl auf die allgemeinen Grundsätze des Sicherheitsrechts zurückzugreifen, d.h. insbesondere ist Art. 9 LStVG heranzuziehen. Nach dieser Regelung kann die Anordnung sowohl gegenüber dem sogenannten Handlungsstörer, dem Zustandsstörer oder dem Nichtstörer ergehen. Handlungsstörer ist derjenige, dessen Verhalten die Gefahr oder die Störung verursacht hat, Zustandsstörer ist der Inhaber der tatsächlichen Gewalt oder der Eigentümer einer Sache oder einer Immobilie, deren Zustand Grund für die Gefahr oder die Störung ist (siehe hierzu VG Ansbach U.v. 3.7.2019 - AN 9 K 18.00317 - juris).
50
Als Handlungsstörer ist bezogen auf die Nutzungsuntersagung derjenige anzusehen, der für die formell und materiell rechtswidrige Nutzung unmittelbar verantwortlich ist. Diese unmittelbare Verantwortlichkeit ist bei dem Kläger als (Mit-)Betreiber der Hundezucht gegeben.
51
2. Auch die Zwangsgeldandrohung begegnet keinen Bedenken. Diese findet ihre Rechtsgrundlage in den Art. 29 Abs. 2 Nr. 3, 31 Abs. 1, Abs. 2, 36 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BayVwZVG und erweist sich sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach als rechtmäßig.
52
Nach alledem war die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.