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VG München, Urteil v. 18.11.2021 – M 27 K 19.31650
Titel:

Asyl, Jordanien: Keine relevante Verfolgungs- oder Bedrohungslage bei unterstellter Konversion zum Christentum

Normenketten:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
VwGO § 113 Abs. 1 , Abs. 5
Leitsatz:
In Jordanien herrscht Religionsfreiheit, eine staatlich vorgegebene Religion existiert dort nicht. Der Kläger kann  internen Schutz zumindest in mehreren Städten finden. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Jordanischer Staatsangehöriger, Unbegründeter Antrag auf internationalen Schutz, Abwendung vom islamischen Glauben, Behauptete Bedrohung durch Familienclan, Interne Fluchtalternative, Vorliegen von Abschiebungsverboten (verneint), jordanischer Staatsangehöriger, unbegründeter Antrag auf internationalen Schutz, behauptete Bedrohung durch Familienclan, interne Fluchtalternative
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 11.03.2022 – 15 ZB 22.30084
Fundstelle:
BeckRS 2021, 49485

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der 1984 geborene Kläger ist jordanischer Staatsangehöriger mit palästinensischer Volkszugehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben am 15. Dezember 2017 in das Bundesgebiet ein und stellte dort am 26. Januar 2018 einen Asylantrag. Bei einer Befragung zur Klärung seiner Identität durch die Regierung von Oberbayern (Regierung) bereits am 9. Januar 2018 erklärte er unter anderem, er sei mittels eines ersten Visums im März 2017 insgesamt 10 Tage lang in Italien gewesen, mit einem weiteren Visum sei er dann im November nach Europa gekommen und geblieben. Er habe 25 Jahre in Amman zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern gewohnt, dann habe er geheiratet und sei umgezogen. Mit seiner Frau habe er weitere fünf Jahre lang dort gewohnt, bis zur Scheidung im April 2017. Er habe einen Sohn, der im Jahr 2013 geboren worden sei. Mit dem Flugzeug sei er im November 2017 nach Italien gekommen, wo er sich bei einem Freund aufgehalten habe. Dann sei mit einem Bus nach Deutschland gekommen.
2
In einer Anhörung durch das Bundesamt für ... (Bundesamt) am 15. Februar 2018 trug der Kläger im Wesentlichen zur Begründung seines Asylantrags vor, er habe in Jordanien nach Abschluss der Schule das Fach „…“ studiert und dann vier Jahre in einem Hotel gearbeitet. Im November 2017 sei er über Ägypten, Italien, Norwegen, Belgien wieder nach Italien, dann nach Schweden, sodann wieder nach Italien und danach nach Deutschland gekommen. In Oslo und in Schweden habe er Freunde. Als er sich das zweiten Mal in Italien aufgehalten habe, habe er hinsichtlich eines geplanten Aufenthalts in Deutschland gedacht, wenn es aus irgendeinem Grund nicht funktioniere, werde er wieder nach Jordanien zurückkehren. In Jordanien habe er noch drei Brüder und drei Schwestern, seine frühere Ehefrau reise zwischen Jordanien und Katar, bei ihr befinde sich sein Sohn. In Jordanien sei er vom Islam zum Christentum konvertiert, was seine Familie nicht akzeptiert habe. Die Freunde seines Vaters hätten ihn angegriffen, deshalb könne der Familienclan ihn jetzt nicht beschützen. Die Polizei habe ihm, als er diese um Schutz gebeten habe, gesagt, dass es sich um eine Familienangelegenheit handele. Bei der Rückkehr nach Jordanien habe er Angst, ermordet zu werden, niemand würde ihn schützen. Der Nachrichtendienst habe ihn festgenommen und bedroht; man habe gesagt Christ oder Moslem, das sei egal, sie könnten ihn nicht schützen. Man wolle keine Krise zwischen Moslems und Christen, deswegen helfe ihm niemand. Nur in den Medien gebe es in Jordanien Religionsfreiheit. Seine Brüder hätten ihm mit dem Tod gedroht, ebenso fünf Freunde seines Vaters. Als Anlagen legte er dem Bundesamt ein Schreiben seines Vaters vor, in dem dieser den Söhnen des Familienclans sinngemäß mitteilt, dass der Kläger nicht mehr zur Familie gehöre, ferner Unterlagen zu einem jordanischen Scheidungsverfahren hinsichtlich seiner früheren Ehefrau und seines Sohnes, eine Anzeige bei der jordanischen Staatsanwaltschaft über eine Beschimpfung und Bedrohung des Klägers auf offener Straße, ein Arztbericht eines jordanischen Krankenhauses von Oktober 2017 über beim Kläger festgestellte Kratzspuren, Schwellungen im Rückenbereich und einem gebrochenen Zahn und schließlich einen „Haftbefehl“ gegen einen Beschuldigten ebenfalls von Oktober 2017.
3
Mit Bescheid vom 15. April 2019, dem Bevollmächtigten des Klägers am 18. April 2019 zugestellt, lehnte das Bundesamt dessen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, dessen Asylantrag sowie dessen Antrag auf subsidiären Schutz als unbegründet ab (Nr. 1 bis 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde unter Androhung der Abschiebung nach Jordanien aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keine begründete Furcht vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden glaubhaft machen können. Insbesondere sein Vortrag über eine Konversion vom Islam zum Christentum sei nicht glaubwürdig, doch selbst bei Wahrunterstellung hätte der Kläger keinen Anspruch auf Asyl oder Flüchtlingsschutz, da er die Möglichkeit habe, innerhalb Jordaniens anderweitig internen Schutz zu finden, etwa in den Städten Zarqa oder Irbid. Eine staatliche Verfolgung sei nicht erkennbar, ferner könne er sein Existenzminimum sichern, da er gesund und arbeitsfähig sei. Auch gebe es keine Hinweise auf das Vorliegen von Abschiebungsverboten. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
4
Der Kläger ließ durch einen Bevollmächtigten am … April 2019 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und beantragt zuletzt sinngemäß,
5
unter Aufhebung von Ziff. 1 und 3 bis 6 des Bescheids des Bundesamts vom 15. April 2019 die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise, ihm den subsidiären Schutz zuzuerkennen, hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach §§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
6
Zur Begründung seiner Klage ließ der Kläger Unterlagen deutscher kirchlicher Stellen zum Beleg seiner Konversion zum Christentum vorliegen (Taufvorbereitungskurs, Taufschein, pfarreramtliches Zeugnis).
7
Die Beklagte legte am 20. Mai 2019 die Behördenakten vor, stellte jedoch keinen Antrag.
8
Mit Beschluss vom 7. Dezember 2020 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
9
In der mündlichen Verhandlung am 18. November 2021 führte der Kläger ergänzend aus seiner seiner Cousins sei Vizepräsident des jordanischen Parlaments und gleichzeitig seinem Familienclan angehörig. Vor einem Jahr habe dieser ihn im Zuge eines Aufenthalts in Frankreich kontaktiert und ihn zu bewegen versucht, auf dessen Verantwortung hin nach Jordanien zurückzukehren. Drei Monate später habe dieser Cousin in seiner dienstlichen Funktion mit Stellen der Europäischen Union darüber gesprochen, wie man Jordanier nach Jordanien zurückbringen könne. Darüber sei auch in der jordanischen Presse berichtet worden. Der Grund für seine Scheidung sei seine Konversion vom Islam zum Christentum gewesen, sie habe im April oder Juli 2017 stattgefunden; er habe Gedächtnisprobleme. Der Angriff auf ihn auf offener Straße sei ebenfalls im Jahr 2017 gewesen, vielleicht im Februar oder März. Bis zur Konversion habe er sich ca. drei Jahre lang mit dem christlichen Glauben befasst. Dem Einfluss seines Familienclans könne er sich innerhalb Jordaniens an anderer Stelle nicht entziehen, da dieser Clan weit verbreitet sei. Einige seiner Stammesangehörigen hätten im Irak und in Syrien im Auftrag des IS gekämpft und seien danach nach Jordanien zurückgekommen; einige von ihnen seien Imame oder Angestellte in öffentlichen Positionen geworden. Er habe Angst, bei einer Rückkehr nach Jordanien bereits auf dem Flughafen getötet zu werden. Aus mehreren Quellen habe er erfahren, dass sein Name schon zur Fahndung veröffentlicht worden sei. Das hätten Freunde von ihnen im staatlichen Computersystem einsehen können.
10
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

11
Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Be teiligten in der mündlichen Verhandlung anwesend oder vertreten waren, da in den Ladungsschreiben auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
12
Die Klage ist unbegründet, da der angegriffene Bescheid auch bei Beurteilung der Sach- und Rechtslage zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, der auf die von ihm begehrte Verpflichtung der Beklagten keinen Anspruch hat (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die vom Kläger zur Begründung seines Asylantrags genannten Gründe sind ohne flüchtlingsrechtliche Relevanz. Wegen der näheren Begründung wird insoweit unter Absehen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Begründung des angegriffenen Bescheids des Bundesamts, der das Gericht folgt, Bezug genommen.
13
Ergänzend ist auszuführen, dass der Kläger auch im gerichtlichen Verfahren keine Gründe genannt hat, aus denen sich nach Art oder nach Intensität eine asylerhebliche Verfolgungs- oder Bedrohungslage entnehmen lässt, und dass er auch hiernach weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG hat. Aus denselben Gründen hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Hierbei kann unterstellt werden, dass der Kläger tatsächlich in Jordanien vom Islam zum Christentum konvertiert ist, da das allein kein Hinweis auf eine in Jordanien vom Kläger zu befürchtende staatliche Verfolgung hindeutet. In Jordanien herrscht Religionsfreiheit, eine staatlich vorgegebene Religion existiert dort nicht. Hinsichtlich des Vortrag des Klägers, er befürchte, von Angehörigen seines Familienclans umgebracht zu werden, ist ebenfalls auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid zum internen Schutz gemäß § 3e AsylG zu verweisen. Der Kläger kann diesen Schutz nach zur Überzeugung des Gerichts zumindest in den dort genannten Städten finden. Konkrete Hinweise darauf, dass sein Familienclan ihn landesweit trotz des Umstands, dass er bereits im November 2017 und damit vor über vier Jahren das Land verlassen hat, verfolgen und umbringen will, liegen dem Gericht nicht vor. Im Gegenteil geht es davon aus, dass der Kläger - wie er dies gegenüber der Regierung und auf dem Gericht selbst eingeräumt hat - sich bereits im März 2017 schon einmal in einem Mitgliedstaat Europas, nämlich in Italien für mehrere Tage aufgehalten hatte und dann wieder nach Jordanien zurückgekehrt war. Da er andererseits einräumt, dass seine Scheidung auf seiner Konversion vom Islam zum Christentum beruht hatte und er diese Konversion bereits seit mehreren Jahren durch Beschäftigung mit dem Christentum vorgebracht hatte, zeigt seine Rückkehr nach Jordanien im März 2017, dass weder von staatlicher Seite noch von Seiten seines Familienclans mit der von ihm behaupteten Verfolgung zu rechnen war. Der Kläger hat keine Umstände genannt, die auf eine Änderung dieser Verhältnisse zwischen seiner Rückkehr nach Jordanien im März 2017 und dem erneuten Verlassen Jordaniens im November 2017 hindeuten, auch nicht durch den erst im gerichtlichen Verfahren genannten Umstand, dass einer seiner Cousins sich in dienstlicher Funktion in Europa um die Rückführung von Jordanien nach Jordanien bemüht habe, ferner auch nicht durch den Hinweis auf ISnahe Angehörige seines Familienclans als ehemalige Kämpfer im Irak und in Syrien. Hierbei kann unterstellt werden, dass im Oktober 2017 ein körperlicher Angriff auf den Kläger in Jordanien stattgefunden hat, worauf die von ihm vorgelegten Unterlagen hinweisen. Aus diesem geht jedoch auch hervor, dass sich staatliche Stellen um eine Strafverfolgung hinsichtlich des Angreifers bemüht haben. Dass er angesichts dessen öffentlich in Jordanien zur Fahndung ausgeschrieben worden sein soll, ist weder belegt noch ansatzweise plausibel und nachvollziehbar. Ein Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder Anerkennung als Asylberechtigte aufgrund eines solchen körperlichen Angriffs auf seine Person besteht gleichwohl nicht, da auch insoweit - wie bereits oben ausgeführt - zumindest die Möglichkeit internen Schutzes innerhalb Jordaniens für den Kläger besteht.
14
Auch die vom Bundesamt nach Maßgabe der § 34, § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind rechtlich nicht zu beanstanden. Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken. Auch insoweit wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Begründung im Bescheid des Bundesamts Bezug genommen.
15
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
16
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.