Titel:
Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung für ein Mehrfamilienhaus mit 6 Wohneinheiten und Garage; Entstehung eines Notleitungsrechts (hier: verneint)
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BauGB § 34 Abs. 1, Abs. 2
BayBO Art. 4, Art. 5
BGB § 917 Abs. 1 S. 1
BayVwVfG Art. 40
Leitsätze:
1. Die Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung, über die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, sind nach ganz herrschender Meinung nicht nachbarschützend. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots im Hinblick auf die Kubatur eines Bauvorhabens ist in aller Regel ausgeschlossen, wenn die erforderlichen Abstandsflächen eingehalten werden, da dann grundsätzlich kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme bezüglich Belichtung, Belüftung und Besonnung anzunehmen ist. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Grundsätzlich sind die von dem Zufahrts- und Abfahrtsverkehr zu Stellplätzen einer rechtlich zulässigen Wohnbebauung ausgehenden Emissionen im Regelfall als sozialadäquat hinzunehmen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Innenbereich, Wohnnutzung, Maß der baulichen Nutzung, Kubatur, Gebot der Rücksichtnahme, abriegelnde Wirkung, Zufahrt- und Abfahrtsverkehr, Emissionen, Notwegerecht, Notleitungsrecht
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 25.03.2022 – 15 ZB 22.267
Fundstelle:
BeckRS 2021, 49482
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar, für die Beigeladene gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
1
Der Kläger, Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. 226/2 der Gemarkung … (* …) wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 6 Wohneinheiten und Garagen auf dem östlich durch das dazwischenliegende bebaute Grundstück Fl.Nr. 226/1 der Gemarkung …, …weg … getrennten Grundstück Fl.Nr. 226 Gemarkung …, Gemeinde … (* …weg …*).
2
Vom Baugrundstück aus verläuft eine Privatstraße zu einer öffentlichen Straße. Der derzeit genutzte Privatweg ist im nördlichen Teil Bestandteil des Grundstücks Fl.Nr. 225, im südlichen Teil Bestandteil des klägerischen Grundstücks sowie der Grundstücke Fl.Nrn. 226/1 und 226. Auf dem klägerischen Grundstück Fl.Nr. 226/2 ist eine Grunddienstbarkeit (Geh- und Fahrtrecht) zu Gunsten des Baugrundstücks eingetragen, sowie ein Versorgungsleitungsrecht - Frisch- und Abwasser, Strom, Telefon etc. zu Gunsten des Grundstücks Fl.Nr. 226/1. Eine zu dem Baugrundstück führende eigenständige Wasserleitung ist im Grundstück des Klägers verlegt.
3
Im Vorfeld wandten sich die Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. 226/1 an die Gemeinde … und wiesen darauf hin, dass der Bauherr auf der privaten Zufahrtsstraße kein durchgehendes Leitungsrecht habe. Die Zufahrtsrechte für ein Mehrfamilienhaus auf der Privatstraße seien ungeklärt. Ebenfalls ungeklärt sei die Räum- und Streupflicht für die Privatstraße. Das Gebäude entspreche nicht der bestehenden Umgebungsbebauung. Die Kubatur und die Nutzungsintensität übertreffe die bestehenden Anwesen um ein Vielfaches. Müllfahrzeuge könnten die Privatstraße nicht befahren. Die abwassertechnische Erschließung sei nicht gesichert.
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In der Sitzung vom 30.01.2020 erteilte der Gemeinderat das gemeindliche Einvernehmen. Hierbei wurde darauf hingewiesen, dass eventuell eine neue Wasserleitung verlegt werden müsse. Das Grundstück liege in einem Gebiet ohne Bebauungsplan. In der Folge änderte die Beigeladene die Bauvorlagen in Bezug auf die Darstellung der Zufahrtssituation.
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Mit Bescheid vom 06.08.2020 wurde der Beigeladenen eine bauaufsichtliche Genehmigung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 6 Wohneinheiten und Garagen gemäß den mit Genehmigungsvermerk versehenen Bauvorlagen erteilt. Die Baugenehmigung wurde dem Kläger mit Postzustellungsurkunde am 11.08.2020 zugestellt.
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Mit Schriftsätzen seines Prozessbevollmächtigten vom 11.09.2020, eingegangen am 11.09.2020, ließ der Kläger ebenso wie weitere Nachbarn Klage gegen den Bescheid zum Verwaltungsgericht Regensburg erheben.
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Das Baugrundstück werde derzeit als Grünland genutzt. Das Grundstück sei nicht über das öffentliche Straßennetz erschlossen. Die Zufahrt solle von der nächstgelegenen öffentlichen Verkehrsfläche dem …weg in Verlängerung des bestehenden Privatwegs zunächst über das Grundstück Fl.Nr. 226/2 und folgend über das klägerische Grundstück erfolgen. Am westlichen Ende der Zufahrt solle ein einseitiger Wendehammer mit einem Wendekreisradius von 7 m errichtet werden, der teils auf dem Grundstück Fl.Nr. 226/3 zum Liegen komme. Die Schmutzwasserableitung des Vorhabens sei im Eingabeplan vom Baugrundstück in westlicher Richtung eingezeichnet. Der mögliche Anschluss sei aus der Eingabeplanung nicht ersichtlich. In der Niederschrift zur Sitzung des Gemeinderats sei festgehalten, dass eine neue Wasserleitung verlegt werden müsse. Auf dem klägerischen Grundstück Fl.Nr. 226/2 sei zwar für den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks der Beigeladenen ein Geh- und Fahrtrecht mit einer Ausübungsbreite von 3,5 m, nicht aber ein Leitungsrecht eingetragen. Die Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. 226/1 hätten sich bereits im Vorfeld an die Gemeinde … gewandt und darauf hingewiesen, dass das Vorhaben ihrer Meinung nach planungsrechtlich unzulässig sei. Es sei bauordnungsrechtlich nicht gesichert erschlossen, insbesondere fehle es für das Baugrundstück an einem gesicherten Leitungsrecht. In den Gründen des Bescheids sei ausgeführt, dass ein Wohnweg begrenzter Länge ausreichend sei. Zum Vorhalt, dass ein gesichertes Leitungsrecht fehle, habe sich der Beklagte im Bescheid nicht eingelassen.
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Das Vorhaben sei planungsrechtlich unzulässig wegen Überschreitung des Maßes der baulichen Nutzung der in der Umgebung vorhandenen Bebauung (maximal zulässige Wandhöhe 6,50 m). An der von der Beklagten selbst festgestellten Unzulässigkeit habe die Umplanung nichts geändert. Das Vorhaben füge sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Jedenfalls sei die Erschließung nicht gesichert.
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Nachdem für die ausreichende Erschließung des dahinterliegenden Baugrundstücks auch die Errichtung eines Wendehammers erforderlich sei, liege entgegen der Einschätzung des Beklagten ein Wohnweg begrenzter Länge (Art. 4 Abs. 2 Nummer 2 BayBO) nicht mehr vor. Es beständen Bedenken wegen des Brandschutzes sowie des Einsatzes von Feuerlösch- und Rettungsgeräten. Nach Art. 5 Absatz 1 Satz 4 BayBO seien bei Gebäuden, die mehr als 50 m von einer öffentlichen Verkehrsfläche entfernt seien, zur Personenrettung im Brandfall und zur Brandbekämpfung Zufahrten oder Durchfahrten zu schaffen, wenn sie aus Gründen des Feuerwehreinsatzes erforderlich seien. Der erforderliche Kurvenradius von mindestens 10,50 m im Einmündungsbereich des Privatwegs zum …weg werde deutlich nicht eingehalten. Auch die Mindestbreite im Übergangsbereich von 5 m sei nicht erfüllt.
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Die Erschließung sei auch nicht gesichert, weil es für das Baugrundstück an dem erforderlichen Leitungsrecht fehle. Das Baugrundstück Fl.Nr. 226 sei derzeit nicht durch die kommunale Wasserversorgungseinrichtung erschlossen. Für eine Inanspruchnahme des klägerischen Grundstücks bestehe keine Leitungsdienstbarkeit, sodass die für das Vorhaben notwendigen Leitungen dort auch nicht dauerhaft gesichert eingelegt werden könnten. Hieran ändere nichts, dass die Beigeladene die Abwasserleitung nach Westen in den gemeindlichen Kanal eingezeichnet habe. Zumindest für die Trinkwasserleitung und die übrigen Versorgungsleitungen müssten entweder das klägerische oder das Grundstück Fl.Nr. 225 in Anspruch genommen werden. Ein Nachbar brauche keine wegen der fehlenden Erschließung des Baugrundstückes rechtswidrige Baugenehmigung dulden, er müsse ein Notwege- oder Notleitungsrecht nach § 917 Abs. 1 BGB nicht hinnehmen.
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Der Kläger lässt beantragen,
den Bescheid des Landratsamts D. vom 06.08.2020 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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Das Vorhaben sei im unbeplanten Innenbereich zulässig. In der näheren Umgebung um das geplante Bauvorhaben befänden sich Wohngebäude mit Wandhöhen zwischen 6,50 m (Fl.Nr. 226/1) und 7 m (Fl.Nr. 291). Mit seiner geplanten Wandhöhe von 6,95 m füge sich das genehmigte Mehrfamilienwohnhaus somit auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung ein.
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Die Frage der Erschließung sei nicht nachbarschützend. Für die Zufahrt liege unstreitig ein Geh- und Fahrtrecht für die Nutzung als Wohnhaus vor. Dies werde auch durch den Klägerbevollmächtigten nicht bestritten. Die Abwasserentsorgung erfolge durch Einleitung auf dem Baugrundstück selbst in den gemeindlichen Kanal, welche anschließend über das ebenfalls im Eigentum des Beigeladenen befindliche Grundstück Fl.Nr. 226/3 verlaufe. Die Trinkwasserversorgung sei durch die Gemeinde … über eine zentrale Wasserversorgung als gesichert angegeben worden. Der genaue Verlauf der Leitung sei unklar, zumindest augenscheinlich bestehe die Möglichkeit, das Baugrundstück Fl.Nr. 226 auch über andere Grundstücke (östlich gelegener Sportplatz, öffentliche Grünfläche auf Fl.Nr. 130/5) mit Trinkwasser zu versorgen. Im Übrigen müsse davon ausgegangen werden, dass soweit ein Geh- und Fahrtrecht vorhanden sei, sich hieraus auch das Recht ergebe, die hierfür erforderlichen unterirdischen Leitungen zu verlegen (VGH Urteil vom 11.03.1996, VG Regensburg Beschluss vom 02.03.2007). Das Baugrundstück befinde sich lediglich ungefähr 52 m von der öffentlichen Verkehrsfläche entfernt. Im Übrigen seien die Vorschriften über die sichere Zugänglichkeit und Zufahrt von Grundstücken nicht nachbarschützend und auch nicht Prüfgegenstand des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens. Die gesicherte Erschließung sei auch nicht Bestandteil des nachbarschützenden Gebots der Rücksichtnahme. Der angefochtene Bescheid verletze keine Rechte des Klägers.
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Die Beigeladene beantragt,
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Das Bauvorhaben füge sich in die nähere Umgebung ein. Das Mehrfamilienhaus diene nur Wohnzwecken. Das zulässige Maß der baulichen Nutzung sei nicht nachbarschützend. Das Grundstück sei auch voll erschlossen. Unstreitig liege für die Zufahrt ein Geh- und Fahrtrecht vor. Sowohl die Trinkwasserversorgung als auch die Abwasserentsorgung seien gesichert. Jedenfalls habe die Gemeinde … im Rahmen des gemeindlichen Einvernehmens die Wasserversorgung zugesichert und auch die Entwässerung sei gegeben. Darüber hinaus bestehe eine Grunddienstbarkeit zugunsten des Grundstücks der Beigeladenen zulasten des dienenden Grundstücks mit der Fl.Nr. 226/1. Der Ausübungsbereich für das Entsorgungsleitungsrecht entspreche dem Ausübungsbereich des Geh- und Fahrtrechts. Die von der Klägerseite vorgetragenen Einwände zum Wohnweg begrenzter Länge und zum Brandschutz griffen nicht durch. Im Übrigen habe die Gemeinde gegenüber dem Voreigentümer des Baugrundstücks erklärt, dass die für die Grundstücksflächen gültigen Herstellungsbeiträge für die Wasserversorgung und Entwässerung vollständig bezahlt seien. In der Folge wurde der Auszug eines E-Mailverkehrs mit der Gemeinde vorgelegt, wonach dem Geschäftsführer der Beigeladenen bestätigt wird, dass ein Kanal über das Baugrundstück führe. Aus einem Bestandsplan der Wasserversorgungsanlage ergebe sich ein möglicher Verlauf einer Wasserversorgungsleitung, falls die Grunddienstbarkeit nicht ausreiche.
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Das Gericht hat zur Feststellung der örtlichen Verhältnisse auf dem Baugrundstück und dessen Umgebung am 11.06.2021 durch die Berichterstatterin einen Augenschein eingenommen.
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Im Übrigen wird auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakten, der gewechselten Schriftsätze und der Protokolle über den Beweistermin am 11.06.2021 und die mündliche Verhandlung am 26.10.2021 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Landratsamts D. vom 06.08.2020 verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Einem Nachbarn des Bauherrn steht ein Anspruch auf Versagung der Baugenehmigung grundsätzlich nicht zu. Er kann eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg anfechten, wenn Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn das Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf das Grundstück des Nachbarn fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt. Nur daraufhin ist das genehmigte Vorhaben in einem nachbarrechtlichen Anfechtungsprozess zu prüfen (vgl. OVG Münster, B.v. 5.11.2013 - 2 B 1010/13 - juris; BVerwG, B.v. 28.7.1994 - 4 B 94/94 - juris; BVerwG, U.v. 19.9.1986 - 4 C 8.84; BVerwG, U.v. 13.6.1980 - IV C 31.77 - juris; VG Würzburg, U.v. 11.8.2016 - W 5 K 15.830 - juris, Rn. 51). Es ist daher unerheblich, ob die Baugenehmigung einer vollständigen Rechtmäßigkeitsprüfung standhält, insbesondere ob die Vorschriften des jeweiligen Verfahrens eingehalten wurden.
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In bauplanungsrechtlicher Hinsicht bestimmt sich die Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB. Danach ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete im Sinne der Baunutzungsverordnung, beurteilt sich gemäß § 34 Abs. 2 BauGB die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Baunutzungsverordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre.
22
Das Vorhaben fügt sich hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nämlich des Wohnens in die von Wohnnutzung geprägte Umgebung unstreitig ein.
23
Soweit der Kläger geltend macht, dass ein Einfügen nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht vorliege, folgt daraus keine Rechtsverletzung. Ob sich das Vorhaben objektiv nach dem Maß der baulichen Nutzung nach der Bauweise und nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, denn die Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung, über die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, sind nach ganz herrschender Meinung nicht nachbarschützend (vgl. VG München U.v. 29.2.2016 - M 8 K 14.3232, BeckRS 2016, 50220, beck-online unter Hinweis auf BVerwG, B.v. 11.3.1994 - 4 B 53/94, UPR 1994, 267 - juris Rn. 4; B.v. 19.10.1995 - 4 B 215/95, NVwZ 1996, 888 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 29.9.2008 - 1 CS 08.2201 - juris RdNr. 1; B.v. 6.11.2008 - 14 ZB 08.2327 - juris Rn. 9; B.v. 5.12.2012 - 2 CS 12.2290 - juris Rn. 3; B.v. 30.9.2014 - 2 ZB 13.2276 - juris Rn. 4; VG München, B.v. 12.7.2010 - M 8 SN 10.2346 - juris Rn. 53). Unabhängig davon stellt die von der Klägerseite thematisierte Zahl der im Gebäude vorgesehenen Wohneinheiten keine Frage des Maßes der baulichen Nutzung dar.
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Eine Rechtsverletzung kann nur dann angenommen werden, wenn ein Verstoß gegen das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme vorliegt. Für einen solchen Verstoß reicht es nicht aus, dass ein Vorhaben sich nicht in jeder Hinsicht innerhalb des Rahmens hält, der durch die Bebauung der Umgebung gebildet wird. Hinzukommen muss objektivrechtlich, dass es im Verhältnis zu seiner Umgebung bewältigungsbedürftige Spannungen erzeugt, die potentiell ein Planungsbedürfnis nach sich ziehen, und subjektivrechtlich, dass es die gebotene Rücksichtnahme auf die speziell in seiner unmittelbaren Umgebung vorhandene Bebauung vermissen lässt (VG München, B.v. 20.5.2011 - M 1 SN 11.2167 - juris unter Bezugnahme auf BVerwG v. 13.11.1997, NVwZ - RR 1998,540).
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Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt nach der Rechtsprechung wesentlich von den jeweiligen Umständen ab (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1993 - 4 C 5/93 - juris). Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, welcher das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles wesentlich auf die Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 25.10.2010 - 2 CS 10.2137 - juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die dem Kläger aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihm als Nachbar billigerweise noch zumutbar ist.
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Das Vorhaben der Beigeladenen kann dem Klägern gegenüber nicht als abwehrfähig rücksichtslos bzw. unzumutbar angesehen werden. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots im Hinblick auf die Kubatur des Bauvorhabens ist in aller Regel bereits ausgeschlossen, wenn die erforderlichen Abstandsflächen eingehalten werden, da dann grundsätzlich kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme bezüglich Belichtung, Belüftung und Besonnung anzunehmen ist (vgl. BVerwG, B.v. 11.1.1999 - 4 B 128/98; U.v. 23.5.1986 - 4 C 34/85; B.v. 22.11.1984 - 4 B 244/84; BayVGH, B.v. 22.6.2011 - 15 CS 11.1101; B.v. 15.3.2011 - 15 CS 11.9; B.v. 31.3.2010 - 2 CS 10.307).
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Eine abriegelnde oder erdrückende Wirkung infolge des Nutzungsmaßes eines Bauvorhabens wird ungeachtet des grundsätzlich fehlenden Nachbarschutzes bezüglich des Maßes der baulichen Nutzung als unzumutbare Beeinträchtigung im Übrigen nur angenommen werden können bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 - 4 C 1/78: 2½-geschossiges Gebäude des Klägers an der engsten Stelle nur 15 m vom 11-geschossigen Hochhaus des Beigeladenen entfernt; U.v. 23.5.1986 - 4 C 34/85: 11,5 m hohe Siloanlage im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen auf lediglich 7 m breitem Grundstück). Vorliegend grenzt das Bauvorhaben nicht an das Grundstück des Klägers an, daher kann von vornherein nicht von einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots auf Grund der Kubatur des Gebäudes ausgegangen werden. Auch im Übrigen ist kein Gesichtspunkt erkennbar, dass hier von einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung in dem von der Rechtsprechung entwickelten Maß gesprochen werden könnte.
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Die befürchteten Belästigungen durch den Zu- und Abfahrtsverkehr, der über ein gesichertes Geh- und Fahrtrecht über das Grundstück des Klägers führt, können hier zu keiner Verletzung des Rücksichtnahmegebots führen. Grundsätzlich sind die von dem Zufahrts- und Abfahrtsverkehr zu Stellplätzen einer rechtlich zulässigen Wohnbebauung ausgehenden Emissionen im Regelfall als sozialadäquat hinzunehmen. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass durch die im Lageplan dargestellte mindestens 3,5 Meter breite Zufahrt zu den nun entstehenden 6 Wohneinheiten eine für den Kläger unzumutbare Beeinträchtigung entstehen könnte. Die als Stichstraße geplante Zufahrt ist gerade und in der vollen Länge einsehbar. Der genehmigte Eingabeplan sieht eine Wende- und Haltemöglichkeit auf dem Vorhabengrundstück vor. Die Entstehung unzumutbarer Verkehrsverhältnisse ist nicht zu befürchten.
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Der Kläger kann sich nicht auf eine Rechtsverletzung aus einer behaupteten fehlenden oder unzureichenden Erschließung berufen. Die Erschließung eines Baugrundstückes ist nicht nachbarschützend, da die ausreichende Erschließung eines Grundstückes nicht im Interesse der Nachbarn des Baugrundstückes besteht, sondern ausschließlich im öffentlichen Interesse (Umwälzung der Erschließungskosten) und im Interesse des Bauherrn (Zugang zum öffentlichen Verkehrs- und Versorgungsnetz; vgl. BayVGH, B.v. 29.08.2014 - 15 CS 14.615 -; VG Gelsenkirchen, U.v. 23.06.2015 - 6 K 71/14 -, jeweils zitiert nach juris).
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Die Entstehung eines Notwegerechts zu Lasten des Klägers ist bereits deshalb auszuschließen, da auf seinem Grundstück zu Gunsten des Vorhabengrundstücks ein Geh- und Fahrtrecht eingetragen ist. Das eingetragene Geh- und Fahrtrecht umfasst unstreitig eine Mindestzufahrtsbreite von 3 Metern, die die Regelungen der Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen vorsehen. Unbeachtlich ist daher, dass der derzeit genutzte Weg sich darüber hinaus auch auf das Grundstück Fl.Nr. 225 erstreckt. Dessen Nutzung ist zum einen nicht notwendig, zum anderen könnte dies auch nicht zu einer Rechtsverletzung des Klägers führen. Es ergeben sich auch keine Anhaltspunkte, dass die Genehmigung einer Wohnnutzung in der dargestellten Kubatur nicht von dem im Übrigen nicht ausdrücklich auf die bisherige Nutzung beschränkten Geh- und Fahrtrecht umfasst wäre. Es ist nicht ersichtlich, dass sich aus den im behördlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen in irgendeiner Weise eine Einschränkung des ohne Beschränkungen eingetragenen Geh- und Fahrtrechts ergeben könnte. Hierfür ist auch unbeachtlich, dass das herrschende Grundstück damals unbebaut war, da auch zu diesem Zeitpunkt von einer künftigen Wohnnutzung auszugehen war. Maßgebend für den Umfang einer Dienstbarkeit und das Ausmaß der Benutzung ist das jeweilige - nicht das im Zeitpunkt der Bestellung vorhandene - Bedürfnis des herrschenden Grundstücks. Dabei kommt es auf den allgemeinen, der Verkehrsauffassung entsprechenden und äußerlich für jedermann ersichtlichen Charakter des herrschenden Grundstücks an. Neben der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung ist insbesondere auch einer Bedarfssteigerung Rechnung zu tragen, so dass dadurch zugleich der Bereich der dem Eigentümer eingeräumten Befugnisse wächst (Grziwotz/Lücke/Saller NachbarR-HdB,KapVO.4. Das Grundstück und seine Nutzung durch Dritte, beck-online). Die hier vorliegende Bedarfssteigerung durch Nutzung von 6 Wohneinheiten stellt eine der Art nach gleichbleibenden Benutzung des Grundstücks dar und ist auch nicht auf eine zur Zeit der Dienstbarkeitsbestellung nicht voraussehbare oder willkürliche Benutzungsänderung zurückzuführen. Eine Erweiterung des auf dem klägerischen Grundstück eingetragenen Geh- und Fahrtrechts, ist damit nicht zu befürchten.
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Es steht auch keine Entstehung eines Notleitungsrechts zu Lasten des Klägers zu befürchten. Die bereits bestehende Abwasserleitung ist nach den von der Gemeinde vorgelegten Bestandsplänen vom Baugrundstück ohne Inanspruchnahme von Grundstücken privater Dritter zum gemeindlichen Kanal verlegt. Hinsichtlich der zum Baugrundstück führenden Wasserleitung, die bereits im Grundstück des Klägers verlegt ist, kommt es nicht darauf an, ob diese Verlegung durch das bestehende Geh- und Fahrtrecht gedeckt ist (so bisherige ständige Rechtsprechung des BayVGH, B.v. 28.8.2008, Az. 4 ZB 08.1071 - juris sowie der Kammer) oder der Kläger nunmehr unter Bezugnahme auf die neuere Rechtsprechung des BGH, U.v. 26.01.2018, V ZR 47/17, juris eine Unterlassung der Nutzung des Grundstücks zur Leitungsführung verlangen könnte. Eine Notlage i. S. des § 917 BGB ist bereits deshalb nicht zu befürchten, da im Hinblick auf die dargestellte Trassenführung der Abwasserleitung eine andere Grundstücksverbindung besteht, durch die eine ordnungsgemäße Benutzung gewährleistet ist (Busse/Kraus/Wolf, 143. EL Juli 2021, BayBO Art. 4 Rn. 190). Die Gemeinde hat im Zusammenhang mit der Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens ausdrücklich erklärt, dass gegebenenfalls auch eine neue Wasserleitung zu verlegen wäre. Dies ist nach den vorgelegten Plänen auch ohne Inanspruchnahme des klägerischen Grundstücks über andere Grundstücke (östlich gelegener Sportplatz, öffentliche Grünfläche auf Fl.Nr. 130/5) ohne weiteres möglich. Gleiches gilt ggfs. auch für die Versorgung des Vorhabengrundstücks mit Strom, unabhängig davon, ob es sich hierbei um eine Frage der Erschließung im engeren Sinn handelt und ob sich eine Besitzberechtigung des Versorgers bzw. eine Duldungspflicht von Leitungen bereits aus § 12 NiederspannungsanschlussVO (NAV) ergibt, wonach Leitungen und Anlagen zu dulden sind, die der Versorgung anderer Anschluss- und Teilnehmer dienen (siehe auch BGH, U.v. 9.12.2016 - V ZR 231/15 - juris). Eine aus der bestandskräftigen Baugenehmigung resultierende Rechtsverletzung des Klägers durch (künftigen) Eingriff in sein Eigentum ist daher nicht gegeben.
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Soweit sich der Kläger darauf bezieht, dass eine Bereitstellung der Mülltonnen im Bereich des …wegs nicht möglich wäre, dass die Räum- und Streupflicht auf der Privatstraße nicht geklärt sei sowie die bauordnungsrechtliche Erschließung des Grundstücks gem. Art. 4, 5 BayBO nicht gegeben wäre, ist dies nicht Gegenstand der Baugenehmigung. Weitere Anhaltspunkte dafür, dass die streitgegenständliche Genehmigung in bauplanungs- oder bauordnungsrechtlicher Hinsicht drittschützende Normen verletzt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, sind nicht ersichtlich.
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Nach alledem musste die Klage mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1 VwGO abgewiesen werden. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig, da sie einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils ist im Kostenpunkt beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.